Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder Letzter Sonntag des

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Predigten – von Hauptpastor Alexander Röder
Letzter Sonntag des Kirchenjahres – Ewigkeitssonntag 20. November 2016
Offenbarung 21, 1-7
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Liebe Gemeinde,
„am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer.“
Am Beginn der Bibel erfahren wir, wie der erste Himmel und die erste Erde
geworden sind aus Gottes Wort und seinem schöpferischen Handeln.
„Vollendet wurden Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.“ So resümiert der
Verfasser am Ende seines Berichtes vom Sechstagewerk Gottes und dem
siebten Tag der Ruhe.
Ein großes Werk ist entstanden, in dem der Mensch seinen Lebensraum in der
von Gott geschaffenen natürlichen Umwelt findet. Nackt sind sie, Mann und
Frau, die Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat, und sie schämen sich ihrer
Nacktheit nicht.
In Ewigkeit hätte es so bleiben können. Doch, so erzählt die Bibel weiter, mit
der Schöpfung beginnt auch die Zeit und mit ihr eine Begrenzung, die sie von
der Ewigkeit Gottes unterscheidet und zugleich trennt. Und es beginnt die
Geschichte des denkenden Wesens Mensch, das fähig ist, Eigenes für sich zu
fordern, und es auch tut, mehr als Gott zugestehen will. Die Bibel nennt das
Auflehnung gegen Gott, nennt es Sünde und einen Fall. Die eben noch gut
genannte Schöpfung Gottes ist gefallen. Die Sünde herrscht in der Welt und zu
ihrem Gefolge gehören Hass, Krieg, Mord, Unrecht, Unglaube, Tränen, Schmerz
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und Geschrei. Zu ihrem Gefolge gehört auch der sterbliche Mensch, der an die
Grenzen seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten gestoßen wird, um sein Leben
fürchtet und wie Hiob verzweifelt seinen Schöpfer fragt, warum überhaupt
dem Mühseligen das Licht des Lebens gegeben ist.
Mit der Offenbarung des Johannes sind wir am Ende des Kirchenjahres auch
zum Ende der Bibel gelangt. Zwischen dem schöpferischen Anfang und dem
apokalyptischen Ende lesen wir, dass Gott ist in diese Welt gekommen ist.
Noch einmal wird Gott schöpferisch tätig – doch ganz anders als zuvor. Wieder
geht es ihm um das Wesen Mensch, das er nach seinem Ebenbild erschaffen
hat. Er will dessen Heil. Er will dessen Freiheit von der Sünde. Er will ihm seine
Ewigkeit öffnen und die Macht des Todes von ihm nehmen.
Darum erniedrigt Gott sich ins Menschsein, wird selbst zu einem Mühseligen
und lädt dennoch die Mühseligen und Beladenen zu sich. Im Menschen Jesus
von Nazareth leidet auch Gott, ja stirbt Gott sogar. Neues wird am
Ostermorgen: Ein kleines, zartes Pflänzchen der neuen Schöpfung wird in diese
gefallene Welt gesetzt. Werden die Menschen es pflegen oder zertreten? Ist es
das nun, was Gott noch tun wird für dieses Welt, deren Zeichen der
Vergänglichkeit und Gebrochenheit die zarten Zeichen der neuen Wirklichkeit
schnell überdecken? Wird Gott noch einmal schöpferisch eingreifen?
Der Seher Johannes erfährt eine apokalyptische Vision, die uns einen Blick
hinter die Grenze der Zeit und des Raumes der Geschichte gewährt.
Längst leben Menschen in Städten mit hohen Mauern und Türmen, mit
Häusern und Tempeln. Hier, wo viele auf engem Raum beieinander leben, wird
der Unterschied zwischen Gewinnern und Verlierern, zwischen Reichen und
Armen, zwischen Recht und Unrecht und Liebe und Hass viel klarer und
schneller erkennbar als an einsamen Orten, an denen nur wenige Menschen
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leben. Die Stadt, jetzt ein Symbol für die Gebrochenheit der Menschheit in
ihrem Verhältnis zu Gott und seinen Geboten und zugleich der Ort der
Gottesgegenwart im Tempel, wird zum Bild auch der neuen Welt, die Gott
schaffen wird.
Die Stadt aller Städte in Israel ist Jerusalem – umkämpft und umstritten bis in
unsere Tage, geliebt, verherrlicht und beweint, geschleift, niedergebrannt und
wieder aufgebaut.
Vom Himmel wird das neue Jerusalem kommen. Nicht der Mensch wird in
Verzückung zu Gott in den Himmel erhoben werden, sondern vom Himmel
herab wird der strahlende Wohnort der erlösten Menschen auf die neue Erde
kommen. Welch ein kühnes und wunderbares Bild, das zugleich sagt, dass Gott
seine erste Schöpfung nicht verwirft, sondern auch darin sich treu bleibt, dass
seine Welt im Ursprung sehr gut war.
Der Glaube an ein himmlisches Jerusalem ist verbreitet in der damaligen
jüdisch-frühchristlichen Welt. Es ist darum ein durchaus vertrautes Bild, von
dem auch der Apostel Paulus in seinem Brief an die Galater schreibt: „Das
Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, das ist unsere Mutter.“ (4, 26)
schreibt er in feierlicher, nahezu liturgischer Sprache.
Doch Johannes schaut, dass dieses Jerusalem nicht droben bleiben wird. Die
Freie wird herabkommen auf die neue Erde und als geschmückte Braut des
Lammes vorgestellt. Das Lamm Gottes verbindet sich mit dem neuen Jerusalem
und wird darin wohnen, dieser großartigen Stadt, in der alle willkommen sind
und niemand ein Fremdling sein kann, ein Ort der steten Vergewisserung für
Gottes Volk, befreit und erlöst zu sein.
Das neue Jerusalem ist nicht nur eine Stadt in der neuen Welt. Es repräsentiert
die ganze erneuerte Welt, strahlend und heilig: „Und Gott wird bei ihnen
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wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr
Gott sein.
An den erlösten Menschen werden die Zeichen des alten Lebens in der alten
Welt noch sichtbar sein, so wie am erhöhten Christus die Male seines Leidens
sichtbar bleiben als Zeichen dafür, dass Gott in die Vergänglichkeit der
Geschichte eingegangen ist. Erlösung heißt für die Menschen, aus der
Vergänglichkeit ihrer Geschichte in die Ewigkeit einzugehen – mit den Wunden,
die das Leben geschlagen hat, mit den Verletzungen, die Seelen erlitten haben,
und mit den Tränen des Leidens und des Schmerzes. Zärtlich wird Gott sie
abwischen – so zärtlich, wie der Vater seinen verlorenen Sohn in seine Arme
geschlossen hat; so liebevoll, wie der barmherzige Samariter die Wunden des
zusammengeschlagenen Opfers mit Öl und Wein betupft und versorgt hat. Die
Bilder der Gleichnisse aus den Evangelien werden Wirklichkeit in der neuen
Welt, und Gott selbst wird sich dem Einzelnen in Liebe zuwenden.
Es sind wunderbare und zugleich fremde Bilder von einer nur schwer
vorstellbaren Wirklichkeit. Haben sie eine Chance, uns zu erreichen und zu
berühren, oder werden sie sofort von den Bildern der Lebenswirklichkeit in
unserer Welt verdrängt und überdeckt?
Das Wort „Apokalypse“ ist heute vor allem mit Bildern von völliger Zerstörung
und Bedrohung verbunden, mit der Vorstellung von Untergang und einem
Ende, dem kein neuer Anfang folgt.
Die Bilder der apokalyptischen Vision am Ende der Bibel sind so wohltuend
anders und haben im Laufe der Geschichte Menschen immer wieder inspiriert,
sie schon hier, schon jetzt zu Vorbildern zu nehmen für das Zusammenleben
der Menschen in unserer gefallenen, aber von Jesus Christus erlösten Welt.
Von diesen Bildern hat sich am Ende der Antike, als das einstmals mächtige
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Römische Reich im Westen mehr und mehr zerbrach und im Jahre 410 von den
Westgoten erobert wurde, der Kirchenvater Augustinus anregen lassen, sein
großes Werk über den Gottesstaat zu schreiben, der sich in den einzelnen
Christenmenschen, die nach Gottes Gebot leben, manifestiert, und sich darin
von jedem weltlichen Staatsgefüge unterscheidet.
Diese Bilder standen auch Martin Luther King vor Augen, als er seine
aufrüttelnde Rede in Washington hielt: „I have a dream“ – der Traum von einer
Menschheit, die sich in Christus erlöst weiß und in der darum Unterschiede von
Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Orientierung aufgehoben sind.
Das himmlische Jerusalem, das Johannes auf die Erde herabkommen sieht, ist
immer wieder Verheißung genug, um das verheißene Leben, um Heilung,
Versöhnung und Gerechtigkeit schon hier zu fordern. Jedes noch so kleine
Beispiel, wo das gelingt, ist ein Zeichen dafür, dass dieses Jerusalem kommen
wird, dass diese Welt, dass aber auch der Himmel einer Auferstehung und
Erneuerung entgegengehen, die Gott bewirken will.
Das Neue am neuen Himmel und der neuen Erde wird den ersten Himmel und
die erste Erde noch erkennbar bleiben lassen. Sie werden nicht mehr sein, aber
Gott wird nicht einfach wie ungeschehen machen, was er geschaffen hat. Das
Neue ist nicht einfach Ersatz für ein verdorbenes Altes. Dann nämlich wäre die
Menschwerdung Christi nicht mehr als eine Episode der Weltgeschichte. Sie ist
aber Heilsgeschichte, in der Gott sein rettendes und erlösendes Werk an seiner
gefallenen Schöpfung auf einzigartige Weise fortsetzt, um zu verwandeln und
zu erneuern, was er im Ursprung gut geschaffen hat, damit fortan nichts von
diesem Guten mehr beschädigt oder zerstört wird.
„Nicht mehr sein“ – das ist die Formel für die neue Welt und Gottes mystische
Stadt der Schönheit: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei
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noch Schmerz wird mehr sein.“ Was jetzt ist, ist das Zeichen der irdischen Stadt
– der Tod, das Leid, das Geschrei, der Schmerz: in Aleppo als derzeitigem
Sinnbild für die irdische Stadt, das uns alle erschreckt und schockiert und
zugleich
unsere
Ohnmacht
dieser
abgründigen
Gewalt
gegenüber
dokumentiert; als Zeichen für Rom und Babylon in der Zeit des Sehers Johannes
– Städte voller Ungerechtigkeit, Städte, in denen damals mit Menschen
gehandelt wurde, als seien sie das Eigentum anderer Menschen.
Auch das ist bis heute nicht überwunden in den Städten dieser Welt. Ist es da
nicht angemessen, einen Traum zu haben und Visionen zu entwickeln, was von
der von Gott geschenkten Vision vom neuen Himmel und der neuen Erde schon
jetzt und durch mich verwirklicht werden könnte?
Die Bilder unseres Textes sind sehr konkret, und so konkret hat Johannes es
gehört: In Gottes Stadt wird jeder, der Durst hat, zu trinken haben und dafür
nicht zahlen müssen. Gott schenkt, weil schon die erste Schöpfung ein
Geschenk war, für die der Mensch nicht bezahlen sollte.
Gottes Anspruch an diese Welt, seine Schöpfung, bleibt bestehen. Er ist das
Alpha. Er hat alles ins Dasein gerufen. Er ist auch das Omega – der letzte
Buchstabe im griechischen Alphabet. Er wird das letzte Wort haben und hat es
gesprochen: Nicht Verderben und Untergang, sondern Verwandlung und
Erneuerung und Kindschaft, ewige Kindschaft für uns Menschen. So wie der
Vater im Gleichnis zu seinen Dienern und noch einmal zu seinem anderen Sohn
sagt: „Dieses mein Kind war tot und ist wieder lebendig geworden; er war
verloren und ist gefunden worden.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen
und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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