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Ch'an und Tao
Ch'an und Tao
© Lawrence Day
Als der Buddhismus vor zweitausend Jahren China erreichte, fand er einen fruchtbaren
Boden vor, auf dem er seine Überzeugungen verbreiten konnte. Der Taoismus, die
allgemeine Religion Chinas jener Tage, hatte viele Ähnlichkeiten mit der Lehre des Buddha.
Die Lehre vom abhängigen Entstehen [pratitya samutpada] ist z.B. eine weitgehende
Widerspiegelung jener Philosophie, die im ersten Kapitel des Tao-te-king dargelegt wird.
Aber der Taoismus war immer schon äußerst sparsam mit Worten. Das Tao-te-king hat alles
in allem nur 5.000 Schriftzeichen. Im chinesischen Denken gilt ganz allgemein, dass die
Kürze eines Ausdrucks ein Zeichen der Kraft seines Inhaltes ist. Einsilbige Benennungen wie
Tao, Te, Wu, Yu, Li, Kung, Ho etc. sind überall in der taoistischen Philosophie vertreten.
Auch wenn der Inhalt unmittelbar einsichtig wäre - allein die Ausdrucksweise der
Maha-prajna-paramita-Hridaya fände im chinesischen Denken kaum Platz. So kam es, dass
in den Übersetzungen der buddhistischen Texte taoistische Ausdrücke verwendet wurden.
Und die Bücher waren populär (die Druckerpresse wurde zu dem Zweck erfunden, genau
diese zu verbreiten - [das erste gedruckte Buch überhaupt war eine Ausgabe des DiamantSutra, hrsg. von Wang-chieh im Jahre 868]), denn in vielen Aspekten schienen die
buddhistischen Sutras wie wertvolle Erklärungen von schwierigen Teilen der taoistischen
Philosophie. Bei aller Tiefe scheint diese Philosophie nämlich mitten im Fluß aufzuhören; sie
'folgt dem Lauf des Wassers', anstatt 'zum anderen Ufer überzusetzen'. Vielleicht ist es gar
nicht zuviel gesagt, dass der Taoismus vereinfacht, wo der Buddhismus die Sache
verkompliziert. Lao-tse legt uns nahe 'das Verstehen dort anzuhalten, wo nicht mehr
verstanden werden kann'. Das lässt keinen Raum für spekulative indische Ideen, wie die
Reinkarnation oder das 'andere Ufer' selbst.
Von den zehn Sekten des Buddhismus, die sich in China entwickelten, war die Ch'an-Schule
des Mahayana diejenige, welche den taoistischen Einfluß am klarsten widerspiegelte.
Insbesondere nach der Reform durch Hui-neng (638 - 713) hat Ch'an begonnen 'den Samen
weitum zu verstreuen', wie Hui-neng's Mentor [Hung-jen] ihm aufgetragen hatte. Im Ch'an
fanden Taoisten und Konfuzianer ebenso Platz wie Buddhisten, und die Angehörigen der
unteren Klassen ebenso wie die gelehrten Aristokraten. [Dies aber auch schon früher, lange
bevor die Ch'an-Schule noch ihren Namen erhielt - der zweite und dritte Patriarch, Hui-kê
und Seng-ts'an, waren tief in die Lehre des Tao eingedrungen, und das Hsin-hsin-ming wird
von manchen Gelehrten eher als taoistischer denn buddhistischer Text angesehen.]
Ob historisch oder mythologisch mag offen bleiben, aber nach der Überlieferung war Huineng selbst ein analphabetischer Hinterwäldler, als er Erleuchtung erlangte. Er hörte zufällig
eine Zeile aus dem Diamant-Sutra zitieren: 'Laß deinen Geist frei tätig sein, ohne dass er
irgendwo oder in irgendetwas zuhause wäre.' Man sollte beachten, wie leicht das mit dem
'Lauf des Wassers' im Taoismus zusammengeht. Tatsächlich soll Hui-neng (die Verbürgtheit
der Geschichte ist unsicher) sich selbst als 'einfachen, tumben Menschen des Tao' bezeichnet
haben - ein Ausdruck, der in Ansprachen von Huang-po und Lin-chi immer wieder
auftaucht.
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Lin-chi begann seine Teisho, indem er seine Mönche mit „Schüler des Tao“ ansprach. Der
Ausdruck 'das Tao erlangen' war ein Synonym für Erleuchtung. Eine verbreitete Metapher
war, dass der Buddhismus der Vater und der Taoismus die Mutter des Sprösslings Ch'an
war. [Wie vertraut mir das klingt - ein immer wiederkehrender Ausspruch meines alten
Lehrers Hung-lei]
Eine typische Episode der chinesischen Geschichte trug sich 845 zu, als der (taoistische)
Kaiser Wu-tsung bestimmte, dass alle orthodoxen buddhistischen Klöster geschlossen
werden sollten. Interessanterweise betrachtete er die Ch'an-Klöster offenbar nicht als
buddhistisch und übersah sie. Diese wurden nicht nur ausgespart, sondern der Kronprinz
Hsüan-tsung trat in eines davon zur Ausbildung ein - in das Hsien-kuan des Meisters
Hsiang-yen [Kyogen Chikan, +898 - 'kuan' war i.A. eher die Bezeichnung eines taoistischen
als eines buddhistischen Klosters, und 'hsien' waren die taoistischen 'Unsterblichen']. Huangpo kam zu Besuch und machte eine Szene daraus, vor der Nase des Prinzen einer
Buddhastatue Verehrung zu erweisen. (Im Folgenden spiegeln die Aussagen des Prinzen die
Lehren des Hui-neng wieder.)
Hsüan-tsung: „Wenn wir dem Tao nachfolgen, dürfen wir nicht am Buddha haften noch am
Dharma noch an der Sangha. Wonach sucht Ihr, Ehrwürden, wenn Ihr diese
Verehrungsformen befolgt?“
Huang-po: „Ich hafte weder am Buddha noch an Dharma oder Sangha - ich befolge nur die
üblichen Rituale.“
Hsüan-tsung: „Wozu sind die Rituale gut?“
Huang-po versetzte ihm einen Schlag.
Hsüan-tsung: „Ihr seid zu grob!“
Huang-po sagte: „Was findet Ihr an diesem Ort, dass Ihr von 'grob' und 'fein' reden
könntet?“ und schlug ihn nochmals.
Wenn diese Geschichte suggeriert, dass Huang-po ein überzeugter Buddhist war, dann sollte
man eine Zeile aus seinen Reden nicht außer Acht lassen: „Die Anbetung und Verehrung
aller Buddhas des Universums sind nichts im Vergleich mit einem einzigen einfachen
Menschen des Tao“ (was sich vermutlich auf Hui-neng bezieht).
Hier noch aus den Reden von Lin-chi: „Der wahre Schüler des Tao greift nicht nach dem
Buddha noch nach den Bodhisattvas, den Arhats, noch nach dem die drei Bereiche
überstrahlenden Glanz. In seiner transzendenten Unabhängigkeit und ungehinderten
Freiheit haftet er an nichts... Erspare dir die nutzlose Arbeit des Unterscheidens und
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Haschens nach Erscheinungen, und in einem einzigen Augenblick wirst du das Tao mit
Leichtigkeit spontan erkennen.“
In der japanische Aussprache von Lin-chi, 'Rinzai', ist er der Ahnherr des bekanntesten
Zweiges des japanischen Zen-Buddhismus. Mit der Zeit sind natürlich die taoistischen
Elemente der Lehre geschwunden und kaum mehr erkennbar geworden. [Ich würde
vermuten, dass das Folgen des 'Laufes des Wassers' zumindest im Japan der letzten 300
Jahre - und noch mehr heute im Westen - eher der Soto-Richtung entsprechen dürfte]
Ein taoistischer Philosoph, dessen Geist in der Lin-chi-Schule ganz evident ist, war
Tschuang-tse aus dem 3. Jh.v.Chr. Er könnte als 'Vater des koan' betrachtet werden, wenn er
schreibt:
„Wer einem antwortet, der nach Tao fragt, der weiß nicht von Tao.
Wenn einer von Tao hört, so hört er doch nicht von Tao.
Um Tao gilt kein Fragen, über Tao gibt es kein Antworten,
Es gibt kein Ding wie eine Antwort auf solche Fragen.
Eine Frage zu stellen, die nicht beantwortet werden kann, ist eitel.
Eine Frage zu beantworten, die nicht beantwortet werden kann,
ist wesenlos. Und wer zum Eitlen das Wesenlose paart,
der hat keine physische Vorstellung des Universums,
der hat keine psychische Vorstellung der Quelle des Seins.“
Nun ja, vielleicht ist das die Quelle all der verrückten Antworten, die Ch'an-Meister auf die
Frage gaben „Was ist das Tao?“ - und davon gibt es eine ganze Palette:
Mönch: „Was ist das Tao?“
Hsiang-yen: „Ein Drache singt im trockenen Wald.“
Yün-men: „Verzieh' dich!“
Nan-chüan: „Dein Alltagsgeist.“
Kuei-shan: „Einfachheit.“
oder: „Du mußt nur den anpacken, der nicht versteht!“
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oder: „Niemand sonst als dein eigenes Selbst.“
(Kuei-shan - ach, er ist so höflich - Ch'an für Konfuzianer...)
Aber das Zurückspielen einer Frage an den Fragenden ist eine grundlegende Ch'an-Methode
- „Wer bist du?“ ist die einzige gültige Antwort. Sie ist eine Antwort 'ad hominem', aber
worauf es im Ch'an ankommt, ist die Verwirklichung des Wahren Selbst, also ist alles andere
ein Abweichen vom Thema.
Interessanterweise wird von Hui-neng der Ausspruch überliefert, daß die individuelle
Identität und das Tao nicht unterscheidbar seien. In der Nicht-Dualität verschmelzen Subjekt
und Objekt...
Ein anderer Ch'an-Meister, der eindeutig in den taoistischen Klassikern bewandert war, war
Tung-shan. Aus einem frühen Dialog:
Ch'u: „O wie wunderbar, wie wunderbar! Die unerschöpflichen Bereiche von Buddha und
Tao!“
Tung-shan: „Ich würde nicht nach den Bereichen von Buddha und Tao fragen. Ich möchte
nur den Mann kennen, der von den Bereichen von Buddha und Tao spricht.“
Ch'u: „Wie - was - ?“
Tung-shan: „Buddha und Tao sind nichts als Namen und Worte, warum wendest du dich
nicht der Wahren Lehre zu?“
Ch'u: „Was lehrt die Wahre Lehre?“
Tung-shan: „Wenn du die Idee erfaßt hast, vergiß die Worte.“
(ein wörtliches Zitat aus Tschuang-tse)
Der Wechsel zwischen Begriffen und Wirklichkeit ist eine chinesische Spezialität. Worte
waren eindeutig ein Thema, und Tschuang-tse war 'die Autorität'. Ch'an-Meister wußten viel
zu sagen über die begrenzten Möglichkeiten von Worten. Der folgende Absatz stammt aus
einer Rede von Yün-men (+949):
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„Wenn du Worten und Sentenzen nachjagst, dein Hirn mit logischen Bedeutungen
niederzuprügeln versuchst, über tausend Möglichkeiten und zehntausend subtilen
Unter-scheidungen brütest und endlose Fragen und Debatten aufwirfst, dann wirst du eine
glatte Zunge erlangen und sonst nichts. Du wirst dich die ganze Zeit nur immer weiter vom
Tao entfernen und auf deiner Suche keinen Rastplatz finden. Wenn der in den Sutras
gefunden werden könnte, wozu gäbe es dann eine 'besondere Überlieferung außerhalb der
Schriften'? ... Aber wenn du wirklich dein Wahres Selbst gefunden hast, dann kannst du
durch Feuer gehen ohne verbrannt zu werden ... Worauf es ankommt, ist deine Erfahrung
und deine Verwirklichung dieses Zustands.“
Vielleicht ist die letztendliche Lektion, sowohl des Tao als auch des Ch'an, nur der eine Satz:
'Worte reichen nicht hin...'
Ein letztes Wort:
Ch'an ist leer, es enthält nichts.
Es gibt keinen Raum für irgendeinen -Ismus;
weder Buddhismus noch Taoismus.
Nur einfach leer.
Kein Glaubenssystem.
Keine Kosmogonie.
Wer du bist, ist alles was es ist.
Grob gesagt - ich unterbreche mich selbst,
um in den Rückspiegel zu schauen und zu fragen:
„Wer bist du?“
------------------------------------07.11.2001 eingebracht von Wolfgang I Waas
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