Societies and Associations · Mitteilungen der Verbände Dermatol Psychosom 2003;4:227–229 Arbeitskreis Psychosomatische Dermatologie (APD) Sektion der DDG APD-Herbsttagung zum Thema «Hautkrankheit und Trauma» Am 20.09.2003 fand in der Sonnenbergklinik in Stuttgart die Herbsttagung des APD unter Leitung von Dr. Christa-Maria Höring statt. Das Tagungsthema «Hautkrankheit und Trauma» zog zirka 50 Teilnehmer aus allen therapeutischen Bereichen, die bei der Therapie chronisch Hautkranker involviert sind, an. Neben Dermatologen und ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten nahmen auch Psychiater, Gynäkologen, Allgemeinärzte sowie Pflegepersonal teil. Traumatisierungserleben wird unterschätzt Das Traumatisierungserleben von Hautpatienten wird häufig unterschätzt. Schutz- und Hilflosigkeit sind Gefühle, die nicht nur Patienten empfinden, sie können auch von den behandelnden Ärzten im Umgang mit chronischen Hauterkranken erlebt werden. Dr. Chr.-M. Höring (Stuttgart) wies in ihrer Einführung darauf hin, dass Patienten mit einem unsicheren Bindungsstil entweder Alles oder Nichts vom dermatologischen Behandler erwarten. Damit entsteht eine schwierige Arzt-Patienten-Beziehung, die bei Nichtbeachtung schnell zu Therapieabbrüchen und insgesamt ungünstigen Therapieverläufen führen kann. Nicht nur äußere Traumata können zu einer Traumatisierung des Patienten führen. Auch eine chronische Hauterkrankung kann dazu führen, dass Patienten zu der Überzeugung gelangen, ein «beschädigtes Leben» zu führen. Diese Wahrnehmung kann zu Schlafstörungen und anderen depressiven Symptomen führen. Viele der Patienten können das Vertrauen in eine hilfreiche Behandlung verlieren. Was ist eine Anpassungsstörung, was ist eine posttraumatische Belastungsstörung? Eine Anpassungsstörung (ICD-10, F 43.2) führt zu einer emotionalen und sozialen Beeinträchtigung nach belastenden Lebensereignissen (körperliche Erkrankung, Emigration, Trauerreaktion etc.). Dabei ist eine hohe individuelle Vulnerabi- © 2003 S. Karger GmbH, Freiburg Fax +49 761 4 52 07 14 E-mail [email protected] www.karger.com Accessible online at: www.karger.com/dps lität bekannt. Die Symptome einer Anpassungsstörung sind eher leicht und können sich in depressiv-ängstlichen oder Überforderungsgefühlen äußern. Die Anpassungsstörung dauert meistens nur einige Wochen, die depressive Symptomatik kann bis zu 2 Jahre anhalten. Dagegen beschrieb Dr. Ingrid Rothe-Kirchberger (Sonnenbergklinik Stuttgart) die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; ICD-10, F 43.1) als eine Reaktion auf ein Trauma (Folter, sexueller Missbrauch etc.), das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Es kommt zu einem vitalen Diskrepanzerlebnis zwischen der Bedrohung und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten. Die PTBS wird erst seit den 1990er Jahren als eigenes Erkrankungsbild in den Klassifikationen der WHO aufgeführt. Von einer PTSB muss eine akute Belastungsreaktion (ICD-10, F 43.0) abgrenzt werden, die sich auf eine außergewöhnliche psychische oder physische Belastung hin entwickeln kann, jedoch nach Stunden bis wenigen Tagen wieder abklingt. Die Lebenszeit-Prävalenz für eine PTBS beträgt circa 9%. Protektive Faktoren (z.B. sichere Bindung, soziale Unterstützung) bewirken, dass Traumata interindividuell in unterschiedlichem Ausmaß eine PTSB nach sich ziehen. Fehlen protektive Faktoren, ist die Wahrscheinlichkeit einer PTSB nach einem schwerem Trauma wesentlich höher. Auch die Art des Traumas beeinflusst die Häufigkeit einer nachfolgenden PTSB. So ist nach sexuellem Missbrauch oder Geiselnahme in mindestens 50% der Fälle mit einer PTSB zu rechnen, während der Verlust eines nahen Angehörigen in zirka 12% der Fälle eine PTSB nach sich zieht. Zu typischen Merkmalen der PTSB gehören: – Intrusionen (Flashbacks, Erinnerungen mit Gegenwartscharakter, Wiederholungsträume), – Konstriktion (emotionale Betäubung, Stumpfheit, Teilnahmslosigkeit), – Hyperarousal (Schlafstörungen, Reizbarkeit, Wut- und Panikanfälle, erhöhte Schreckhaftigkeit, vegetative Übererregtheit oder depressive Reaktionen mit plötzlichen Suizidhandlungen). Alkohol- und Drogenabusus können den Verlauf komplizieren. Traumatische Lebensereignisse können auch zu einer dissoziativen Amnesie (ICD-10, F 44.0) führen, die sich in einer episodischen Unfähigkeit äußert, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern. Die Amnesie bezieht sich meist auf traumatische Ereignisse wie Unfälle oder unerwartete Trauerfälle. Kindliche Traumata haben meist Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter. Bei hautkranken Kindern kann die dauerhafDownloaded by: 88.99.70.242 - 10/31/2017 12:31:50 AM Dermatology Psychosomatics Dermatologie Psychosomatik Katathym-Imaginative Psychotherapie bei einem Neurodermitispatienten Dr. Klaus Krippner (Witten) berichtete über die Behandlung traumatisierter Patienten mit der Katathym-Imaginativen Psychotherapie. Als Neurologe wies er dabei auf interessante Gemeinsamkeiten von Haut- und Hirnstrukturen hin, die jeweils aus 6 Schichten bestehen. Die Amygdala spielt eine besondere Rolle für die emotionale Bedeutungszuschreibung von Ereignissen und das emotionale Gedächtnis. Bei Extremstress kann es zu einer Zerstörung von Verbindungen zwischen Hippokampus und Kortex oder Amygdala kommen. Sogar eine Hippokampusatrophie ist nach Stressereignissen möglich. Durch bildgebende Verfahren kann jedoch auch nachgewiesen werden, dass solche Veränderungen unter (Psycho-)Therapie durch die neuronale Plastizität längerfristig teilweise oder ganz rückgängig gemacht werden können. Es wurde ein eindrucksvoller, mehrjähriger Therapieverlauf eines an Neurodermitis erkrankten Mediziners geschildert, aus dem deutlich wurde, dass schwere psychische Traumata häufig lange Therapieprozesse erfordern. Insbesondere der Zugang des Patienten zu seinen dissoziierten Gefühlen erforderte zunächst eine lange Therapiephase, in der er geschützte innere Orte und innere Helfer finden konnte. In der Katathym-Imaginativen Psychotherapie spielt dabei die Verbindung zwischen Bildern und Sprache eine zentrale Rolle. Krankheitsbewältigung bei schweren Hauterkrankungen Dr. Jochen Wehrmann (Rothaarklinik Bad Berleburg) berichtete von einer Patientin mit einer schweren und stark beeinträchtigenden Folliculitis decalvans. Im Gegensatz zur oben geschilderten ambulanten Psychotherapie (Dr. Krippner) dauerte die Therapie in der Rehabilitationsklinik einige Wochen. Es wurden wichtige Aspekte der Therapieplanung dargestellt: – Dermatologische Symptomatik, – aktuelle depressive Symptomatik, – Persönlichkeitsstörung, 228 Dermatol Psychosom 2003;4:227–229 – sozial-medizinische Fragestellungen, – systemische Aspekte, – psychogenetisches Verständnis. Es wurde deutlich, dass bei stationären Therapien, auch abhängig von Motivation und Krankheitsverständnis der Patienten, nur einzelne der aufgeführten Aspekte berücksichtigt werden können. Bei der vorgestellten Patientin konnten die dermatologische Symptomatik gebessert sowie entscheidende sozial-medizinische Fragen (z.B. Arbeitsfähigkeit, Rentenbegehren) bearbeitet werden. Andere Aspekte mussten auch aufgrund ihres primär somatischen Krankheitsverständnisses zurückgestellt werden. Auch somatopsychische Erkrankungen können zu behandlungsbedürftigen psychischen Symptomen (Schlafstörungen, Depression, sozialer Rückzug) führen und langfristige Arbeitsunfähigkeitszeiten nach sich ziehen. Therapie mit Immunmodulatoren Dr. Gabriele Nist (Hautklinik Stuttgart-Bad Cannstatt) berichtete über die Therapie mit Immunmodulatoren bei schwer hautkranken Patienten. Eine Vielzahl von systemischen und topischen Immunmodulatoren steht inzwischen zur Therapie von verschiedenen chronischen Hautkrankheiten zur Verfügung. Viele der Immunmodulatoren werden dabei in Studien zur Behandlung der Psoriasis eingesetzt, da sich die Psoriasis als sichtbare Erkrankung gut zur Untersuchung einer T-Zellvermittelten Autoimmunerkrankung eignet. Besonders die biotechnologisch hergestellten Biologics drängen auf den Markt. Für verschiedene Biologics (z.B. Etanercept, Infliximab, Efalizumab oder Alefacept) liegen Zulassungsanträge zur Behandlung der Psoriasis für den europäischen Bereich vor. Die Referentin hob hervor, dass durch die neuen Medikamente keine dauerhafte Heilung der Hauterkrankungen möglich sein werde, nicht alle Patienten auf die Therapie ansprechen und der Wirkungseintritt bei 2–12 Wochen liegt. Systemische Immunmodulatoren wie Etanercept und Infliximab sind bereits für die Behandlung der PsoriasisArthritis zugelassen. Alefacept wurde zum 31.03.2003 von der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Psoriasis zugelassen, für Europa steht eine entsprechende Zulassung noch aus. Es wird auch auf Sicherheitsaspekte in der Therapie mit Immunmodulatoren hingewiesen. Vor einer Therapie mit Infliximab sollte in jedem Fall eine aktive oder latente TBC ausgeschlossen werden. Neben der Möglichkeit des Off-Label-Use dieser Medikamente wurde auf gesundheitsökonomische Aspekte eingegangen, denn bei den derzeitigen Preisen der Biologics muss mit Therapiekosten von bis zu 25.000 Euro pro Patient und Jahr gerechnet werden. Schließlich wurde darauf eingegangen, dass die neuen Medikamente enorme Anforderungen an die Patienten stellen, die sich für komplexe Therapien entscheiden müssen, deren Langzeitnebenwirkungen noch nicht bekannt sind. Darüber hinaus würde der Aspekt der Finanzierbarkeit der Therapie mit Immunmodulatoren bisher wenig beachtet. Kon- Societies and Associations · Mitteilungen der Verbände Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/31/2017 12:31:50 AM te emotionale Entfernung der primären Bezugsperson, beispielsweise aus Ekel vor der Hauterkrankung, zu einem schweren chronischen Trauma führen. Schwere Traumata sind auch bei hautkranken Kindern bekannt, die in früheren Jahren aus «therapeutischen Gründen» nachts ans Bett gefesselt wurden, damit sie sich nicht kratzen. Im Jugendlichen- und Erwachsenenalter werden diese Patienten beim Dermatologen häufig wegen offenem oder verdecktem selbstverletzenden Verhalten vorstellig. Bei einer Neurodermitis kann autodestruktives Verhalten den Verlauf verkomplizieren. Psychotherapeutisch ist bei Patienten mit einer PTSB eine ausreichend lange Phase der Stabilisierung notwendig, bevor an eine Traumaexposition und die anschließende Integration des Traumas in das Leben des Patienten gedacht werden kann. Wichtig ist während aller Phasen die Förderung von protektiven Faktoren. Krank in der Haut Frau W., eine Patientin, berichtete von ihrer seit dem Säuglingsalter bestehenden Neurodermitis, die von ihrer Großmutter bereits im Sinne des Krankheitskonzeptes der Atopie zutreffend als «Hautasthma» bezeichnet wurde. Eindrücklich beschrieb sie ihre Therapieodyssee von der Schulmedizin über Kinesiologie, Homöopathie und andere komplementärmedizinische Verfahren bis hin zu Reizklimaaufenthalten. Erst in einer langjährigen Psychotherapie habe sie schließlich gelernt, ihre Erkrankung anzunehmen, nicht mehr «ihre Lebensenergie darauf zu verschwenden abzuwenden, was zu ihr gehöre». Frau W. nennt es «Frieden gefunden haben»; aus ärztlich- Societies and Associations · Mitteilungen der Verbände psychologischer Sicht kann es als gelungener Umgang mit der Erkrankung (positives Coping) angesehen werden. Fazit Durch das interdisziplinäre Konzept der Tagung ist es gelungen, Verständnis dafür zu wecken, dass bei chronischen Hauterkrankungen eine Vielzahl psychosozialer Aspekte zu berücksichtigen sind. Die nicht psychotherapeutisch arbeitenden Kollegen konnten Einblick in psychotherapeutische Möglichkeiten mit ihren häufig erforderlichen langjährigen Therapieabläufen gewinnen. Psychotherapeutisch arbeitende Kollegen gewannen Einblick in die inzwischen äußerst komplexe somatische dermatologische Therapie, die wiederum eine Vielzahl von Fragen (medizinische, gesundheitsökonomische, die Compliance oder Ethik betreffende) aufwirft. Die nächste Jahrestagung des APD findet zum Thema «Haut und Intimität» am 06./07.02.2004 in Gießen statt (Informationen unter www.derma.de). Dr. Volker Niemeier, Gießen Dermatol Psychosom 2003;4:227–229 229 Downloaded by: 88.99.70.242 - 10/31/2017 12:31:50 AM flikte in der Arzt-Patienten-Beziehung seien programmiert, wenn hohe Erwartungen der Patienten erst geweckt, aber dann enttäuscht werden müssen, weil die Therapie aufgrund gesundheitsökonomischer Restriktionen nicht verordnet werden kann.