„Züglete ins Haus Gottes“ Predigt zu Johannes 14, 2 – 3 am 1. Advent 2011 Kanzellesung: Johannes 14, 2- 3 (Zürcher Bibel) Jesus Christus sagt: „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wäre es nicht so, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um euch eine Stätte zu bereiten? Und wenn ich gegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ Liebe Gemeinde Im Haus Gottes sind noch Plätze frei! – Plätze? Was sage ich! Wohnungen! Appartments! Helle Räume zum Einziehen! Gratis! Und: Viele sind es! Viele Wohnungen! – Anders als am Zürichsee, wo Wohnraum knapp und teuer ist. Aber nicht nur das: Jesus sagt, dass er schon einmal losgeht, um die Wohnung im Haus seines Vaters für uns zu renovieren und einzurichten. Und dann wird er kommen und uns abholen, dass wir da einziehen können. Also auf zur Züglete ins Haus Gottes! Ist es nicht merkwürdig, liebe Gemeinde, dass dieser Text von den vielen Wohnungen im Hause Gottes meistens an Beerdigungen und Trauerfeiern gelesen wird? Ja, dass wir bei der Stätte, die bereitet wird, zuerst an offene Gräber, Särge, Grabsteine oder Urnen denken? Und wenn schon nicht nur daran, so doch an irgendetwas im Jenseits, fern von unserer Welt? So hat sich mehr und mehr eine falsche Deutung verbreitet. Der Satz von Jesus: „Ich komme wieder und werde euch zu mir holen.“ wurde und wird noch heute manchmal so verstanden, als wäre das etwas, das jeweils beim Tod eines Menschen geschieht. So, wie nach alter Ansschauung die Seele der Ungläubigen und der Unerlösten in ihrer Todesstunde vom Teufel geholt wird, so holt nach dieser Auffassung Jesus die Seelen seiner Gläubigen in deren Todesstunde zu sich. Wer will, mag sich das ja so vorstellen, aber aus unserem Text kann man diese Vorstellung nicht herauslesen. Im Johannesevangelium redet Jesus mehrfach davon, dass er gehen und wiederkommen wird. Mit dem Gehen aber meint er seinen Gang in die 2 Einsamkeit des Leidens und in den Tod am Kreuz; und mit dem Kommen meint er seine neue Gegenwart in dieser Welt nach seiner Auferstehung in Gestalt des Heiligen Geistes. Mit dem Geschehen an Ostern und mit Beginn der Kirche wurde das schon Realität. Ganz eindrücklich ist davon nur einige Verse weiter die Rede. Da sagt Jesus zu seinen Jüngern, dass Gott an seiner Stelle den „Fürsprecher“ oder den „Geist der Wahheit“ senden wird, der bei ihnen bleiben und in ihnen sein wird. Und wörtlich sagt er weiter: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. Eine Weile noch, und die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber seht mich, weil ich lebe und ihr auch leben werdet.“ (14, 18f.) Jesus kommt also nicht erst in deren Todesstunde zu denen, die zu ihm gehören. Er ist mit seiner Auferstehung auf neue Weise gekommen, die sich wohl nicht besser ausdrücken lässt als mit dem Wort „Heiliger Geist“. Und er kommt immer wieder dort, wo Menschen sich für ihn, für seine geheimnisvolle Gegenwart öffnen. Deshalb ist dieses Wort von Jesus über die Wohnungen im Haus seines Vaters nicht zuerst ein Beerdigungstext, sondern ein Adventstext. Denn Advent heißt Ankunft. Und hier ist von Ankunft die Rede – davon, dass Jesus nicht erst am Ende, sondern mitten im Leben zu den Menschen kommt und dass sie mit ihm ins Haus Gottes zügeln können. Vorhin haben wir gesungen: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, / meins Herzens Tür dir offen ist.“ – und das haben wir ja auch nicht gesungen, weil wir meinen, dass unsere Stunde geschlagen hätte. Das Haus Gottes ist nicht etwas Jenseitiges. Es ist nichts anderes als das Reich Gottes, das schon mitten unter uns ist. Es ist nicht nur für die Verstorbenen offen, sondern schon für die Lebenden. Es ist der unsichtbare Tempel Gottes auf dieser Welt; der Tempel, von dem es – wie vorhin im Epheserbrief gelesen – heißt, er sei die „Wohnung Gottes im Geist“ und wir sind seine „Hausgenossen“. (vgl. Eph. 2, 19ff.) Ja, Jesus steht heute, am ersten Advent 2011, mit dem Zügelwagen vor der Tür unserer Herzen, um uns abzuholen. Wohnen im Haus Gottes – das bedeutet also eine Züglete auf der geistigen, der seelischen Dimension unseres Lebens, eine Veränderung unserer Gesinnung. Denn die große Frage ist, ob wir schon bereit dafür sind, im Haus Gottes zu wohnen. Mir ist in diesem Zusammenhang die Predigt vom letzten Sonntag in den Sinn gekommen. Pastor Dosithe Mangandu hat da erzählt, wie er bald nach seiner Ankunft in der Schweiz in einem überfüllten Zug gefahren ist. Neben ihm war noch ein Platz frei, aber die Leute © Stefan Weller, Predigt zu Johannes 14, 2f am 1. Advent 2011 in Wädenswil 3 standen lieber, als sich neben ihn, den Afrikaner zu setzen. Ein paar Sätze später sagte unser Gast: „Im Reich Gottes sind noch Plätze frei!“ Ja, habe ich gedacht, aber viele Menschen bleiben lieber stehen. Aus irgendeinem Grund möchten sie sich der Wohngemeinschaft im Haus Gottes nicht anschließen. Auch weil ihnen die anderen Bewohner nicht gut genug sind. Sie schließen sich selber aus. Jeder und jede von uns kann sich nun selbst fragen: Bin ich denn bereit für die Wohngemeinschaft im Haus Gottes? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich daraus, ob ich denn überhaupt ein guter Mitbewohner oder eine gute Mitbewohnerin bin. Wie sieht es in dem Haus aus, in dem ich heute real wohne? Wie gehe ich mit meinen Mitbewohnern um? Akzeptiere ich sie in ihrem Anderssein? Wem würde ich als Untermieter nicht aufnehmen? Lasse ich anderen ihre Räume? Versuche ich Konflikte sachlich zu klären, oder rede ich hintenherum schlecht über meine Mitbewohner? Behandle ich alle gerecht, oder schiebe ich die Schuld immer auf die Schwächsten ab – so wie in dem aktuellen Film „Der Verdingbub“, den man sich unbedingt ansehen sollte. Wie gesagt, das Haus Gottes, in das wir einziehen können, ist ein unsichtbares geistiges Gebilde. Aber es hat sehr praktische Auswirkungen auf unser Zusammenleben, ob wir dort schon zuhause sind oder nicht. Jesus hat dieses Haus gebaut anstelle des Tempels in Jerusalem. Der galt über die Jahrhunderte seines Bestehens hinweg als das heilige Haus Gottes. Durch seine Tore und uralten Pforten durfte ein Mensch nur eintreten, wenn er gemäß Psalm 24: „…reine Hände hat und ein lauteres Herz, wer nicht auf Nichtiges seinen Sinn richtet und nicht falsch schwört“. In dieses Haus zog nach alter Vorstellung immer wieder auch der Gott Israels, der König der Herrlichkeit, ein, um bei seinem Volk zu wohnen, um es zu schützen und zu segnen und um es von seiner Schuld zu erlösen. Wenige Jahrzehnte nach Jesus, im Jahr 70, wurde dieser alte Tempel endgültig zerstört. Die Christen aber verkündigten, dass Gott an dessen Stelle einen neuen Tempel errichtet habe – das ist die Gemeinschaft derer, die zu Jesus Christus gehören. Jesus hatte jene © Stefan Weller, Predigt zu Johannes 14, 2f am 1. Advent 2011 in Wädenswil 4 reinen Hände und jenes lautere Herz, das ihm den Zugang zum Haus Gottes ermöglichte. Trotzdem wurde er inmitten des Gottesvolkes verstoßen und getötet. Aber niemand konnte verhindern, dass er den neuen unsichtbaren geistigen Tempel errichtete, der nicht mehr aus Steinen, sondern aus Menschen seiner Gesinnung besteht. Das Neue und Besondere ist nun, dass diese Menschen des neuen Tempels innere Geborgenheit finden können, auch wenn ihnen die äußere Geborgenheit genommen wird. Sie klammern sich nicht an ihre irdische Wohnung, ihre Sicherheit und ihren Schutz. Sie finden sogar als Fremde, in der Gefangenschaft oder auf der Flucht ein Stück ihrer Heimat wieder, wenn sie ein Licht anzünden und den Advent ihres Erlösers Christus feiern, wo immer es auch sein mag. Gott kommt auch in der Fremde zu ihnen, um bei ihnen zu wohnen. Wir sind heute, am ersten Advent 2011 eingeladen, mit unserem Geist und unserem ganzen Herzen in dieses Haus einzuziehen. Wir können dies tun indem wir beten: „Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe. Amen © Stefan Weller, Predigt zu Johannes 14, 2f am 1. Advent 2011 in Wädenswil