Fortbildungsreihe Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt FOLIENSATZ TEIL2 14.04.+15.04.+16.06.+17.06.2015 9.00 – 16.00 Uhr Referentin: Ines Hattermann Erwachsenenbildnerin M.A. - Dipl.Heilpäd. (FH) Fortbildungsfachkraft/Traumafachberaterin/Mediatorin Leiterin der Beratungsstelle Wildwasser Magdeburg e.V. (traumazentrierte Fach-)Beratung – Prävention – Öffentlichkeits- & Netzwerkarbeit FoBi-Plan – Themen 14.04.2015 Begrüßung, Organisatorisches Sensibilisierung zu Sexualisierter Gewalt – Zahlen, Daten, Hintergründe 15.04.2015 Folgen von Gewalt - Psychotraumatologie 16.06.2015 Intervention & Vorstellung des regionalen Hilfenetzes 17.06.2015 Prävention Verdacht oder Vermutung? Die Abklärung eines Verdachts ist einzig und allein die Aufgabe von Strafverfolgungsbehörden. (Zartbitter e.V. 2007) Bei einer Vermutung auf sexualisierte Gewalt, kann ich nur kompetent helfen, wenn ich... … mir meiner eigenen Gefühle bezüglich dieses Verdachtes bewusst bin. … im Kontakt mit Gesprächspersonen bin, die eine gemeinsame Strategie entwickeln können (Team/Hilfekonferenz). … meine eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt aufgearbeitet habe und damit umgehen kann. … bereit und in der Lage bin, einen Teil der Verantwortung für Entscheidungen und Maßnahmen zu übernehmen. Was bedeutet Aufdeckung? (Bange 2011) • unbestimmter Begriff - Bekanntwerden bei Behörden oder Erzählen einer Freundin? • „Aufdeckung“ bezeichnet eher ein punktuelles Geschehen, wobei das Aufdecken eines Missbrauchs immer ein Prozess ist. • Aufdeckung bezieht sich nicht nur auf Äußerungen des Kindes, sondern auch auf Verhaltensweisen. • Formen: absichtliche Offenlegung durch das Kind forcierte Aufdeckung durch Befragung des Kindes zufällige Aufdeckung durch Beobachtung Dritter Welche Faktoren beeinflussen die Aufdeckung? (Bange 2011) • Nähe zum Täter/ zur Täterin (innerfamilial seltener) • Angst vor Konsequenzen (Strafen, Schutzhaltung gegenüber der Mutter) • Erwartete Reaktion der Eltern (Glauben, Strafen, etc.) • Starke Verantwortungsübernahme - insb. bei älteren Kindern, ausgeprägte Scham- und Schuldgefühle • Andere Formen der KWG (bei Vorliegen von bspw. zusätzlich körperlicher Gewalt höhere Aufdeckungsrate) • Fragen durch Professionelle erhöht Aufdeckungsrate (z.B. durch KSFK oder Polizei) • Jungen sprechen seltener als Mädchen darüber und weniger detailliert • Kinder mit Behinderung decken seltener als nichtbehinderte Kinder auf • Kinder mit Migrationshintergrund seltener (Sprachbarriere, Isolation) Leitsatz der Intervention „Wenn man schnell helfen will, muss man es ertragen langsam zu gehen.“ (Tillmann Fürmiss) Handlungsorientierung Bleiben Sie ruhig! Machen Sie dem Kind keine Vorwürfe! Stellen Sie keine bohrenden Fragen! Glauben Sie dem Kind! Sagen Sie ihm, dass es keine Schuld hat! Schreiben Sie sich die Aussagen des Kindes wörtlich auf! Entscheiden Sie nichts ohne Einbezug des Kindes entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand! Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können! Holen Sie sich fachliche Beratung! Grundsätze unserer Arbeit • • • • • • • • • • Parteilichkeit anonyme, kostenlose Beratung Schweigepflicht Die Verantwortung für die Tat liegt beim Täter/der Täterin. Eigenverantwortlichkeit Enttabuisierung Stärkung der Mütter Schutz vor Sekundärschäden Ganzheitlichkeit Sexuelle Gewalt ist im Kontext gesellschaftlicher Strukturen und geschlechtsspezifischer Sozialisation zu betrachten. in Anlehnung an: Garbe. 2005 Was? Wer? Wann? Mädchen/Junge 1. Ebene Beratungsstelle Verdacht? offen gelegte sexuelle Gewalt? Aktuelle Gefährdung? Täter im System Täter außerhalb des Systems erst Krisenintervention, dann Eröffnung erst Eröffnung, dann Krisenintervention -alters- und belastungsgerechtes Einbeziehen des Kindes - keine Einbeziehung des Systems 2. Ebene 3. Ebene -alters- und belastungsgerechtes Einbeziehen des Kindes - Einbeziehung des Bezugssystems Teamkonferenz +/- Liste / Verobjektivierung / erhärteter Verdacht? / aktuelle Kindeswohlgefährdung? Jugendamt ASD Informationsbewertung / erhärteter Verdacht? / aktuelle Kindeswohlgefährdung HelferInnenkonferenz Und was heißt das jetzt für uns? Methoden der Intervention Instrumente des Kinderschutzes Methode: Kollegiale Fallberatung 1. 2. 3. 4. (Hartwig & Hensen 2003) Fallvorstellung Was sind die Fakten? Was sind erste Gefühle, Bilder, Assoziationen? Welche Handlungsvorschläge gibt es? Methode: Fallberatung nach § 8a SGB VIII Ziel: Kollegiale Fallberatung unter Hinzuziehen einer „insofern erfahrenen Fachkraft“ nach § 8a SGB VIII Methode: Konzeptionelle Handlungsanleitungen Ziel: Erstellung und Verwendung von standardisierten, institutionsbezogenen Handlungskonzepten als Qualitätskriterium. Instrumente des Kinderschutzes (Hartwig & Hensen 2003) Methode: Hilfekonferenz/Fachteam Ziel: Informationsaustausch in einem multiprofessionellen Team mit allen beteiligten Helfer_innen zur Erarbeitung von Handlungsschritten. Methode: Fachberatung Ziel: Fallgebundene, themenspezifische Fachberatung außerhalb der Institution durch Praktiker_innen. Mit Recht für den Schutz Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlagen Schutzalter 14 Jahre § 176,176a,176 b StGB Sexueller Missbrauch von Kindern Schutzalter 16 Jahre § 174 Abs. 1 StGB Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen Schutzalter 18 Jahre § 174 Abs 1 Nr. 2 StGB Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses Rechtsgrundlagen Muss ich sexuelle Gewalt anzeigen? Es besteht keine Pflicht zur Anzeige gemäß § 138 StGB. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach §§ 174-184 StGB sind Offizialdelikte, d.h. es besteht ein öffentliches Strafverfolgungsinteresse, so dass Ermittlungsbehörden in Form der Kripo und Staatsanwaltschaft verpflichtet sind ggf. auch gegen den Willen der Betroffenen zu ermitteln. Mache ich mich strafbar, wenn ich nicht anzeige? Ja und Nein. Sie müssen nicht anzeigen, unterliegen aber in Ihrer pädagogischen Funktion der Sorgfalts-, Betreuungs- und Aufsichtspflicht Ihrer Einrichtung. Sie sind dem Kindeswohl § 8a SGB VIII und Ihrem persönlichen Gewissen verpflichtet. Rechtsgrundlagen (BKE 1997, S.41) Schweigepflicht „Wenn und solange der Schutz im Rahmen der angebotenen Hilfe gegeben ist, ergibt sich für BeraterInnen keine Befugnis zur Offenbarung von Privatgeheimnissen“. § 203 Abs.1 Nr. 4 StGB „Wenn der Schutz des Kindes jedoch trotz der Hilfe nicht sichergestellt ist, ergibt sich rechtlich die Befugnis – und zugleich fachlich die Verpflichtung – zur Offenbarung“, zur Anzeige § 8a SGB VIII Mitwirkung bei Kindeswohlgefährdung. Rechtsgrundlagen Äußere rechtliche Sicherheit: • § 1666 BGB – Kindeswohlgefährdung und Möglichkeit zum Entzug der elterlichen Sorge • § 1361 BGB – „Go-Order“ • § 8a SGB VIII Schutzauftrag des JA & der Einrichtungen der KJH • §§ 27- 41 SGB VIII - Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, Hilfe für junge Volljährige • § 36 SGB VIII – HerlferInnenkonferenz • § 42 SGB VIII – Inobhutnahme • § 43 SGB VIII – Herausnahme des Kindes ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten Rechtsgrundlagen Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG frühe Hilfen und verlässliche Netzwerke mehr Handlungs- und Rechtssicherheit verbindliche Standards belastbare statistische Daten Artikelgesetz: Art. 1 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) Art. 2 Änderungen im SGB VIII Art. 3 Änderungen in anderen Gesetzen (SGB IX, Schwangerschaftskonfliktgesetz) Art. 4 Evaluation (bis 31.12.2015) Art. 5 Bekanntmachungserlaubnis Art. 6 Inkrafttreten zum 01.01.2012 (BMFSFJ. Bundeskinderschutzgesetz in Kürze. 06.03.2012. www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/Pdf-Anlagen/bundeskinderschutzgesetz-inkuerze,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true. letzter Zugriff 09.10.2012) • • • • • Unterstützung im Hilfesystem - das Strafverfahren dient der Strafverfolgung & dem Schutz der Bevölkerung keine klassische Form des Kinder-/Opferschutzes Betroffene = Zeug_innen/“Beweismaterial“ Ziel des Strafverfahrens: die zweifelsfreie Aufklärung & angemessene Bestrafung von Straftaten Unschuldsvermutung d.h. jede/r ist solange unschuldig bis seine/ihre Schuld bewiesen ist, nicht umgekehrt – Betroffene „müssen“ beweisen, dass Taten stattgefunden haben Unterstützung im Hilfesystem - Nebenklage & Zeug_innenbegleitung• Opfer/Betroffene von sexuellem Missbrauch (oder anderen Gewalttaten) sind im Strafverfahren nur Zeug_innen, keine Ankläger_innen • sie haben das Recht auf eine/n Anwalt/in = Nebenklage • Durch die Nebenklagevertretung haben sie mehr Rechte als nur als Zeug_in u.a. Akteneinsicht, Anträge stellen auf Ausschluss der Öffentlichkeit, Aussage ohne Beschuldigte/m etc. • Zeugenbegleiter_innen (u.a. durch den sozialen Dienst der Justiz) können auf das Verfahren vorbereiten, Informationen über Räume & Richter_in haben, Gerichtsbesuch im Vorfeld organisieren u.ä. • Keine Aussagenplanung oder gar -übung! • Begleitung direkt während der Aussage, auch wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird z.B. setzt sich Begleiter_in direkt ins Blickfeld zwischen Angeklagter/m & Zeug_in (modifziert nach Romer & Saha, 2004, S. 279) Unterstützung im Hilfesystem - Welche Institutionen können beteiligt werden? Institutionen der Jugendhilfe (ambulant & stationär) z.B. Jugendämter, Kinderheime, SPFH, Erziehungsberatung… Pädagogische und Bildungsinstitutionen z.B. Schulen, Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen Institutionen des Gesundheitswesens z.B. Kinderkrankenhäuser, kinder- und jugendpsychiatrische Krankenhäuser, Sozialstationen, Gynäkologie Juristische Institutionen z.B. Polizei, Gerichte ( Zeug_innenschutz) Ambulante Beratungsinstitutionen, Therpeut_innen z.B. Erziehungsberatungsstellen, Kinderschutzzentren Wer gehört u.a. zum Hilfenetz in Magdeburg? Quelle: LKA SA. 2001 Kinder- & Jugendnotdienst Zeug_innenbetreuung Amt für Versorgung & Miteinander gegen Soziales rechte Gewalt e.V. Sozialer Dienst der Justiz Kinderschutzbund Interventionsstelle Rechtsanwält_innen Frauenhaus Polizei und FK Weisser Ring LIKO Justiz Vera e.V. PRO Mann … KOBES e.V. Wildwasser Magdeburg e.V. Hilfreiche Strategien im Umgang Wie können Bezugspersonen sexuell missbrauchten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen helfen? (Zartbitter Köln 2004) Kinder und Jugendliche können sich ihren Bezugspersonen leichter anvertrauen, wenn diese … - ihnen glauben und zu ihnen halten - wissen, mit welchen Handlungen Täter(innen) Kinder missbrauchen - über Täterstrategien informiert sind und wissen, wie Täter(innen) ihre Opfer täuschen und ihnen Angst machen - ihr Misstrauen akzeptieren - nicht mit Verboten und Strafen reagieren - keine Angst vor den Täter(innen) haben - mit ihnen zusammen überlegen, wie man sie schützen kann ruhig und sachlich reagieren über sexuellen Missbrauch sprechen können sie nicht ausfragen sie nicht auf die Rolle des „armen, kranken Missbrauchsopfers“ reduzieren mit ihnen Spaß haben und gern schöne Dinge machen stark genug sind, um nicht alles zu erlauben und auch Grenzen zu setzen sie ernst nehmen und nicht immer meinen, besser zu wissen als sie selbst, was für sie das Beste ist Hilfreiche Strategien im Umgang Empfehlungen für die Arbeit mit traumatisierten Kindern (Huber 2005) Kinder verfügen über ein angeborenes „Bindungssystem“ (Erwachsene verfügen über ein korrespondierendes Bindungssystem) In seinen Beziehungen sucht das Kind/der Säugling - Nähe zum Bindungsobjekt (auch Kinder, die vernachlässigt/misshandelt werden) - Sicherheit (Kinder wenden sich auch bei Bedrohung an das Bindungsobjekt) - inneres Arbeitsmodell zwischen dem Selbst und Bezugspersonen (bestimmt Empathiefähigkeit und Beziehungsverhalten) Folgen früher Misshandlung: - Bindungs- und Verteidigungssystem werden gleichzeitig aktiviert (das Kind hat Angst vor der selben Person, mit der es sich binden muss unsichere bzw. desorganisierte Bindungen sind die Folgen) Unser Glück und Unglück hängt von unseren menschlichen Beziehungen ab. (Ricarda Huch) Hilfreiche Strategien im Umgang Empfehlungen für die Arbeit mit traumatisierten Kindern (Huber 2005) Was ist hilfreich? - korrigierende soziale Instanzen - sicheres Bindungsangebot: klares Setting, Grenzen setzen, freundliches Annehmen - äußere Sicherheit herstellen - emotionale Aufrichtigkeit und Verlässlichkeit - Feinfühligkeit und Rapport Schmerz hilft und Hilfe schmerzt! Überlebende aus Misshandlungsfamilien lernen, dass Schmerz hilft, während externe Hilfe ihnen „neue, unerwartete Schmerzen zufügt“. Positives ist unbekannt und macht gleichzeitig den bis jetzt vorherrschenden Mangel sicht- und spürbar. Außerdem löst Schönes so wiederum Schmerz aus Koppelung. (Gahleitner 2005) Wie kann Traumabewältigung gelingen ? - 3 Phasen-Modell • Stabilisierung und Ressourcenerschließung - Aufbau von Vertrauen und Selbstvertrauen - Entwicklung einer größeren Selbstakzeptanz - Erlernen von Techniken zur Selbstberuhigung und zum Dissoziationsstopp - Entdecken von Alternativen zu SVV - Zuwendung zu angenehmen Aktivitäten Methoden: u.a. Imaginationsübungen nach Reddemann & Sachsse (1997) • Traumadurcharbeitung/Exploration • Integration/Neuorientierung 3. Die Stabilisierung unterstützen Wie können Bezugspersonen sexuell missbrauchten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen helfen? Bevor sich traumatisierte Menschen mit ihren Gewalterfahrungen auseinandersetzen können, müssen sie dazu die Kraft und Voraussetzungen gewinnen Maßnahmen zur psychischen Stabilisierung Hierzu gehören (Reddemann, 2006): - Entwickeln von Strategien zur Flashbackkontrolle - Zuwendung zu angenehmen Aktivitäten - Schaffen von Sicherheiten: äußere Sicherheit Sicherheit in der Beziehung zu den Bezugspersonen innere Sicherheit Imaginative Übungen Prävention – Dimensionen Grundsätze der Prävention Aufarbeitung der erlebten sexualisierten Gewalt durch Beratung, Therapie, Selbsthilfegruppen (Schlathölter 2003: 150) Beendigung aktueller Gewaltsituationen als Form der Intervention: = bezeichnet das aktive Dazwischentreten, wenn sexualisierte Gewalt ausgeübt wird/wurde und beinhaltet alle Aktivitäten zur Beendigung, Unterbringung und Verarbeitung. (May 1999: 200) Verhinderung von zukünftiger sexualisierter Gewalt (Schlathölter 2003: 150) Prävention – bei sexueller Gewalt Präambel der Qualitätskriterien des Bundesvereins zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen e.V. (2003) „Wer sexualisierte Gewalt verhindern will, muss ein ausreichendes Grundverständnis von dieser Form der Gewalt haben. Überall, wo Prävention zu sexualisierter Gewalt angeboten wird, muss kompetente Intervention möglich sein. Dafür sind entsprechende Kenntnisse vonnöten. Professionelle Präventionsarbeit setzt Offenheit und Selbstkritik voraus.“ „Prävention von sexuellem Missbrauch umschließt jede Maßnahme, die geeignet ist, einen Missbrauch bereits im Vorfeld zu verhindern oder einen bereits stattfindenden Missbrauch so schnell wie möglich zu stoppen.“ (Härtl u. Unterstaller 2001, S.7) Prävention umfasst die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, mit MultiplikatorInnen, mit Eltern und Bezugspersonen, mit KollegInnen anderer Institutionen & Fachkräften im Hilfenetz. „Man hat nichts gegen starke Kinder, nur sollen sie nicht schwierig werden!“ (Braun 1999, S.139) Prävention kann sich nicht mit „Nein-Sagen“ begnügen. „Das NEIN als Abgrenzung gegenüber fremden Bedürfnissen ist unbestreitbar wichtig. Prävention entfaltet aber erst mit dem JA ihre Möglichkeit zur Gänze: Das JA zu den eigenen Bedürfnissen, dem eigenen Weg, dem Eigen-Sinn, zu Freude, Lust und Sinnlichkeit mit dem je eigenen Verständnis, wie dies alles auszusehen hat.“ (Braun 1999, S.139) Prävention – früher & heute (Freund & Riedel-Breidenstein 2004; Rudolf-Jilg 2010) Prävention – Bedeutung bei sexuellen Übergriffen • starke und selbstbewusste Mädchen und Jungen - Grenzen setzen/Erwachsene um Unterstützung bitten • Präventionsarbeit vermindert Schuldgefühle bei Betroffenen, wenn doch ein sexueller Übergriff stattgefunden hat • eine Verfestigung von Mustern: z.B. Sexuelle Gewalt ist kein Weg der Bedürfnisbefriedigung oder Konfliktbewältigung Täterprävention • Die fachliche Intervention bei sexuellen Übergriffen wirkt präventiv gegen sexuelle Gewalt durch Erwachsene! • Sexualpädagogik – emanzipatorische Sexualerziehung (Normen und Werte, Wissen um die Realität sexueller Übergriffe im Jugendalter, Reflexion gesellschaftlicher/medialer Rollenzuschreibungen, Unterstützung bei der sexuellen Orientierung, eindeutige Kommunikation, Kenntnis von Unterstützungsangeboten bei sexualisierten Gewalterfahrungen, Selbstbehauptungskurse, Unterstützung bei gleichberechtigter Beziehungsgestaltung) • zusätzlich „klassische“ Themen der Sexualpädagogik (z.Z. v.a. 12./14. Lj) (Freund & Riedel-Breidenstein 2004; Rudolf-Jilg 2010) Prävention – Gestaltung • alters- und zielgruppengerechte Prävention • geschlechtshomogene und geschlechtsheterogene Gruppenarbeit (vornehmlich geschlechtshomogen, heterogene Angebote bspw. sinnvoll zum Einüben eindeutiger Kommunikation) • Stärkung der Medienkompetenz (Normen, z.B. Intimsphäre) • Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse (Aufdeckungscharakter sollte unbedingt bedacht werden und in der Wahl der Kursleitung berücksichtigt werden) • Einbettung in den Alltag (Informationsvermittlung von außen mitunter sinnvoll, Prävention sollte jedoch immer eine „Haltung“ sein) • kompetente Fachkräfte (Handlungsrepertoire, Selbstreflexion) • engagierte Eltern (eigene Verantwortlichkeiten wahrnehmen) (Amyna e.V. 2006) Prävention – Grundsätze • • • • • • • • • Kein Kind kann sich alleine vor sexueller Gewalt schützen. Prävention braucht Interventionskompetenz! Gute Prävention bedeutet also immer auch gute Vernetzung mit anderen Einrichtungen vor Ort! Prävention ist keine Eintagsfliege! Prävention ist eine Erziehungshaltung, die auf Fachkompetenz bzw. Wissen aufbaut. Gute Prävention ist rollen- und gesellschaftskritisch. Prävention nimmt spezielle Risikogruppen ins Blickfeld und entwickelt zielgruppenspezifische Angebote. Gute Prävention ist daher immer auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, für bestimmte Zielgruppen sehr niedrigschwellig und wenn nötig auch aufsuchend. Prävention macht Spaß und ermutigt, statt Angst zu machen! Gute Prävention versteht die Kunst, komplexe Inhalte und umfangreiches Wissen so zu vermitteln, dass Lösungswege und Ansatzpunkte im eigenen Leben sichtbar werden. (Aliochin u.a. 2002, Kap. 6) Themen „Mein Körper gehört mir und ich darf bestimmen, wer mich anfasst und wer nicht.“ Mädchen und Jungen sollen ihren Körper kennen, die Körperteile benennen können und bestimmen, wo sie von wem berührt werden möchten. Wenn Kinder über Sexualität entsprechend ihrem Alter Bescheid wissen und auch reden dürfen z.B. mit den Eltern, Geschwistern, in der Schule, mit Freunden, werden sie nicht so leicht Opfer bzw. es fällt ihnen leichter über Grenzverletzungen zu reden und die Geschlechtsteile zu benennen. Meine Gefühle Maßstab für Mädchen und Jungen sind immer ihre eigenen Gefühle. „Ich spüre, wenn etwas komisch/blöd/nicht in Ordnung ist.“ Kinder sollen ihre eigenen Gefühle kennen lernen und darin unterstützt werden, diese wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen. Angenehme oder unangenehme Berührungen Kinder können schon sehr früh unterscheiden lernen, was „gute“, „schlechte/ komische“ Berührungen sind. Was jeder und jede einzelne mag oder nicht mag, ist sehr unterschiedlich, das fängt beim Essen an und hört natürlich bei Berührungen noch nicht auf. Aber jeder Mensch darf allein bestimmen, wo seine/ihre Grenzen z.B. Körpergrenzen liegen. Gute und schlechte Geheimnisse Es gibt „gute“ und „schlechte“ Geheimnisse und Kinder sollen lernen gute Geheimnisse, die im Bauch kribbeln und über die man lachen kann von schlechten, beängstigenden Geheimnissen, die Bauchschmerzen machen und einen traurig sein lassen, zu unterscheiden. Wenn Heimlichkeiten unheimlich werden, wenn sie Kopfschmerzen verursachen, ist es besser Freunden oder Erwachsenen davon zu erzählen. NEIN-Sagen Mädchen und Jungen dürfen und müssen in bestimmten Situationen „Nein“ zu den Anforderungen Erwachsener sagen und lernen Grenzen zu ziehen. Sie haben die Erlaubnis, nicht zu gehorchen und sich zu wehren. Die Art und Weise jedes Men-schen „Nein“ zu sagen, laut, mit tiefer Stimme, mit Körpereinsatz, energisch, mit einem bösen Blick etc. kann durch Körperarbeit, den Einsatz der Stimme und Rollenspiele ausprobiert werden. … und Hilfe holen Oft aber genügt ein „Nein“ nicht, Erwachsene gehen über kindliche Grenzen hinweg und hören nicht auf das „Nein“ des Kindes. In solchen Situationen sind Kinder auf die Hilfe von anderen Personen angewiesen, denen sie vertrauen. Es ist wichtig Kindern deutlich zu machen: „Wenn du Hilfe brauchst, komme zu mir, ich bin für dich da.“ Gender – Geschlecht - Rollen Mädchen sind lieb und brav, spielen mit Puppen und lieben die Farbe rosa. Jungen sind wild, klettern auf Bäume, lieben Autos und Technik und dürfen als „echte Jungs“ nicht weinen. Durch das Geschlecht festgelegte Rollen, Normen und Werte beschränken wir Kinder auf die Hälfte ihrer Möglichkeiten. Deswegen ist Präventionsarbeit immer auch geschlechtsbezogene Bildungsarbeit für Mädchen und Jungen und wird durch Teamerin & Teamer geführt.