Nachtrag: Anspruch und Wirklichkeit: Kann das Pariser

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Latif, Mojib
Article
Nachtrag: Anspruch und Wirklichkeit: Kann das
Pariser Klimaabkommen funktionieren?
ifo Schnelldienst
Provided in Cooperation with:
Ifo Institute – Leibniz Institute for Economic Research at the University of
Munich
Suggested Citation: Latif, Mojib (2016) : Nachtrag: Anspruch und Wirklichkeit: Kann das Pariser
Klimaabkommen funktionieren?, ifo Schnelldienst, ISSN 0018-974X, Vol. 69, Iss. 07, pp. 21-25
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http://hdl.handle.net/10419/165735
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Nachtrag: Anspruch und Wirklichkeit:
Kann das Pariser Klimaabkommen funktionieren?
Zur Diskussion gestellt
Ist das Klimaabkommen, das auf der Weltklimakonferenz in Paris im Dezember 2015 beschlossen
wurde, ein wichtiger Schritt für den weltweiten Klimaschutz, oder wird die Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtung der Staaten auf Klimaschutzbeiträge das Klimaziel verfehlen? Ergänzend
zu den Beiträgen im ifo Schnelldienst 3/2016 kommentiert Mojib Latif die Ergebnisse der Pariser
Wo stehen wir nach dem
Klimavertrag von Paris?
Auf der 21. UN-Klimakonferenz in Paris
(Conference of the Parties, COP 21) Ende
2015 haben sich die Staaten darauf verständigt, die Erderwärmung auf »deutlich
unter 2°C gegenüber der vorindustriellen
Zeit zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, die Erderwärmung auf 1,5°C
zu begrenzen«.1 Man hofft, dass sich
dann zum Beispiel irreversible, d.h. unumkehrbare Prozesse vermeiden lassen,
wie etwa das unwiderrufliche Abschmelzen des grönländischen Eisschilds mit einem global gemittelten Meeresspiegelanstieg von sieben Meter. Andere Beispiele
wären drastische Änderungen in den atmosphärischen und ozeanischen Strömungsmustern oder das Kippen von
Ökosystemen auf Land oder in den Meeren. Es gibt allerdings bezogen auf die
Lage der Schwellenwerte, bei deren
Überschreitung derartige Änderungen
einsetzen, eine große Unsicherheit in der
Forschung: Möglicherweise liegen die
Schwellenwerte höher, als es die Wissenschaft gegenwärtig annimmt, vielleicht
haben wir einige dieser Werte bereits
überschritten. Aus diesem Grund ist stets
die geringste noch mögliche Erwärmung
als politisches Ziel zu formulieren. Das hat
man mit dem Pariser Abkommen getan,
was zu begrüßen ist. Allerdings ist die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich
unter 2°C eine wahre Herkulesaufgabe,
was schnelles Handeln erfordert.
Bewertung des Klimavertrags
Man kann den Vertrag von Paris mit einem
lachenden und einem weinenden Auge
* Prof. Dr. Mojib Latif ist Meteorologe und Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
1
United Nations, Adoption to the Paris Agreement,
12. Dezember 2015, verfügbar unter: http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09.pdf.
betrachten. Das Zustandekommen des
Klimavertrags an sich ist erfreulich, weil
sich alle Staaten zum Klimaschutz bekennen und sich darin einig sind, dass man
die Anstrengungen diesbezüglich verstärken muss. Die Übereinkunft von Paris
kommt sehr spät. Wir haben kostbare Zeit
verstreichen lassen. Jahrzehntelang hat
es keinen internationalen Klimaschutz gegeben, obwohl die Klimaproblematik bekannt gewesen war. An vollmundigen Ankündigungen seitens der Weltpolitik hat
es nicht gemangelt, es hat einen »gefühlten« Klimaschutz gegeben. Jetzt muss
die Zeit des Handels beginnen. Lippenbekenntnisse haben keinen Platz mehr,
die schnelle Umsetzung der Ziele von Paris ist gefragt. Erinnern wir uns: Bereits
1992 hat sich die Staatengemeinschaft in
Rio de Janeiro in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen2 verpflichtet, eine »gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems« zu verhindern.
Übersetzt heißt dies, die Erderwärmung
auf deutlich unter 2°C zu begrenzen. Ein
Vierteljahrhundert später feiert man einen
Vertrag, der genau das festschreibt. Die
Treibhausgasemissionen sind seit der Klimarahmenkonvention von Rio förmlich
explodiert. Deswegen darf der Klimaschutz jetzt nicht mehr auf die lange Bank
geschoben werden, der globale Treibhausgasausstoß muss rasch sinken.
Mojib Latif*
© Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für
Ozeanforschung Kiel
Klimakonferenz.
Der Vertrag von Paris beruht auf Selbstverpflichtungen der einzelnen Länder,
nur deswegen haben ihm alle Staaten
zugestimmt. Die Selbstverpflichtungen
sind jedoch nicht ambitioniert genug,
»na­türlich nicht« ist man geneigt hinzu zu
fügen. Sie würden bei selbst optimistischer Extrapolation der nationalen Politiken bis zum Ende des Jahrhunderts
dazu führen, dass sich die Erde um
knapp 3°C erwärmt. Die Risiken in Folge
dieser für die Menschheit in Ausmaß und
United Nations, Framework Convention of Cli­
mate Change, 1992, verfügbar unter: https://unfccc.int/resource/docs/convkp/conveng.pdf.
2
ifo Schnelldienst 7/2016 – 69. Jahrgang – 13. April 2016
21
22
Zur Diskussion gestellt
Geschwindigkeit einmaligen Erderwärmung wären unkalkulierbar. Es bleibt also noch viel auf der weltpolitischen
Ebene zu tun. Der Vertrag von Paris kann nur der Anfang
eines politischen Prozesses sein. Nach der Konferenz ist
vor der Konferenz!
Die Ursache des Klimawandels
Die Hauptursache des Klimaproblems liegt im Ausstoß von
Treibhausgasen durch den Menschen, allen voran Kohlendioxid (CO2). Das CO2 entsteht in erster Linie durch die Verfeuerung der fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas zur
Energiegewinnung. Wirksamer Klimaschutz beginnt demnach mit dem Umbau der weltweiten Energiesysteme und
der Entwicklung alternativer Mobilitätskonzepte. Große
Mengen an Treibhausgasen entstehen außerdem in der
Landwirtschaft und durch Landnutzungsänderungen wie
etwa die Brandrodungen der tropischen Regenwälder oder
die Trockenlegung von Mooren. Das Verbrennen der tropischen Regenwälder zum Beispiel kann man einfach nur als
ökologischen Wahnsinn bezeichnen und könnte innerhalb
weniger Jahre gestoppt werden. Wiederaufforstung wie
auch die Renaturierung von Mooren wären Möglichkeiten,
der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Bei den Landnutzungsänderungen wären also signifikante CO 2-Einsparungen
schnell möglich. Allein der politische Wille fehlt.
Schauen wir uns das Schicksal des vom Menschen im Zeitraum 2005–2014 ausgestoßen CO2 etwas genauer an.3
Knapp die Hälfte (44%) verblieb in der Atmosphäre und ließ
den CO2-Gehalt der Luft weiter steigen. Und der ist heute
schon so hoch wie seit mindestens 800 000 Jahren nicht
mehr, was man aus Eisbohrungen in der Antarktis weiß (vgl.
Lüthi et al. 2008). Lag der vorindustrielle Wert noch bei
280 ppm (ppm: Teile pro einer Million), so hat die CO2-Konzentration inzwischen die Marke von 400 ppm überschritten
(vgl. Abb. 1). Das ist ein Zuwachs von ca. 40%. Das verdeutlicht, wie außergewöhnlich der derzeitige CO2-Anstieg
in der Atmosphäre ist.
Das Land nahm in der Dekade 2005–2014 30% des ausgestoßenen CO2 auf, 26% nahmen die Meere auf. Die
CO2-Aufnahme durch die Ozeane bedeutet neben der Meereserwärmung selbst eine weitere, in der Öffentlichkeit bisher
kaum bekannte Gefahr: Die Ozeane werden saurer, weil sich
CO2 im Meerwasser löst. Außerdem verringert sich das Angebot an Karbonat. Beide Effekte durch die marine CO2-Aufnahme bedrohen die Lebewelt in den Ozeanen. Wie zum
Beispiel kalkbildende Mikroorganismen, die oftmals am Beginn der Nahrungskette stehen. Damit ist auch eine unserer
zentralen Ernährungsgrundlagen gefährdet. Die Ozeanversauerung ist ein reines CO2-Problem, es wird so lange fortbestehen, wie die Menschen CO2 in großen Mengen in die
Luft blasen. Sie betrifft auch die tropischen Korallenriffe, die
zudem unter der Meereserwärmung leiden und schon in
einigen Jahrzehnten irreparable Schäden erleiden könnten.
Es steht außerdem zu befürchten, dass sowohl die terrestrische wie auch die marine CO2-Senke an Effizienz verlieren
werden, wodurch sich der in der Atmosphäre verbleibende
Anteil der CO2-Emissionen erhöhen würde, was die globale
Erwärmung beschleunigen würde.
Klimaänderungen seit Beginn der
Industrialisierung
Das Weltklima ändert sich rasant infolge der steigenden atmosphärischen Treibhausgasemissionen. Der Weltklimarat,
der IPCC4, sagt in seinem letzten, fünften Sachstandsbericht
der Arbeitsgruppe I5 kurz und knapp: »Der menschliche Einfluss auf das Klima ist klar«. So neu ist diese Erkenntnis nicht,
die Hunderte von Wissenschaftlern aus den verschiedensten
Ländern zu Papier gebracht haben. In allen bisherigen Berichten des IPCC – der erste erschien 1990 – findet man
3
klare Hinweise auf die Beeinflussung des Klimas durch den
Vgl. http://www.globalcarbonproject.org/carbonbudget/index.htm.
Menschen. Es ist überdies schon seit weit
Abb. 1
über 100 Jahren bekannt, dass »SpurengaCO2-Konzentration der Luft an der Station Mauna Loa (Hawaii) seit 1958
se« wie CO2 die Erd­oberfläche und die unppm
teren Luftschichten erwärmen. Der schwe410
dische Chemienobelpreisträger Svante Arr400
henius hat 1896 hat die ersten quantitativen
390
Berechnungen zum Einfluss des CO2 publi380
ziert und gezeigt, dass sich die Erde als Fol370
ge eines starken atmos­phärischen CO2-An360
stiegs erheblich erwärmen würde (Arrhenius
350
1896). Genau das ist geschehen. Die mittle340
re Erdoberflächentemperatur ist seit Beginn
330
des 20. Jahrhunderts allmählich gestiegen
320
310
1958
Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change,
http://www.ipcc.ch.
Verfügbar unter: http://www.climatechange2013.
org/images/report/WG1AR5_SPM_FINAL.pdf.
4
1962
1966
1970
1974
1979
1983
1987
1991
1995
ppm = Teile pro einer Million.
Quelle: http://www.esrl.noaa.gov/gmd/ccgg/trends/full.html.
ifo Schnelldienst 7/2016 – 69. Jahrgang – 13. April 2016
1999
2004
2008
2012
5
Zur Diskussion gestellt
Abb. 2
Jährliche Abweichung der globalen Durchschnittstemperatur
seit 1880 gegenüber dem Mittelwert über das gesamte 20. Jahrhundert
1.0
Grad Celsius
1.0
Wie realistisch ist es, die
Erderwärmung auf »deutlich unter
2°C« zu begrenzen?
0.0
-0.5
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
Quelle: NOAA.
(vgl. Abb. 2). Dabei hat der Mensch mindestens die Hälfte
der Erderwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu verantworten.
Seit Beginn der Industrialisierung ist die globale Durchschnittstemperatur der Erde um etwa 1°C angestiegen. Das
klingt nach wenig, ja geradezu nach lächerlich wenig. Wenn
man aber bedenkt, dass der globale Temperaturanstieg vom
Höhepunkt der letzten Eiszeit vor etwa 20 000 Jahren bis
zum Beginn der gegenwärtigen Warmzeit vor etwa
10 000 Jahren ca. 5°C betragen hat, erscheint das eine
Grad Erderwärmung schon in einem ganz anderen Licht.
Für Deutschland liegt der Temperaturanstieg etwas höher
bei etwa 1,3 Grad.6 Die Arktis ist die Region auf der Welt,
die sich am schnellsten erwärmt. 14 der 15 global wärmsten
Jahre seit Beginn der flächendeckenden instrumentellen
Messungen liegen in diesem Jahrhundert. 2015 war das
bislang wärmste Jahr. Selbstverständlich gibt es natürliche
Schwankungen, der langfristige Trend weist jedoch klar nach
oben.
Wir Menschen sind die Hauptverantwortlichen für die Erwärmung des Planeten – und der damit angestoßene Klimawandel birgt große, schwer abschätzbare Risiken. Weltweit erhöht sich die Zahl extremer Hitzetage, auch in
Deutschland. Betrachtet man alle Landregionen zusammen, ergeben sich weitere Trends. Es häufen sich Stark­
niederschläge, Hochwasser und Dürren. Die Eispanzer
Grönlands und der Westantarktis und fast alle Gebirgsgletscher schmelzen und lassen die Meeresspiegel immer
schneller steigen. Der Meeresspiegel stieg seit Beginn des
20. Jahrhunderts im weltweiten Durchschnitt um ca.
20 cm, wobei es jedoch große regionale Unterschiede gibt.
Die Rate liegt derzeit global gemittelt bei etwas über 3 mm/
Jahr, den schnellsten Anstieg während der letzten Jahre
mit etwa 1 cm/Jahr finden wir im westlichen tropischen
Vgl. http://www.dmg-ev.de/wp-content/uploads/2015/12/Stellungnahme.pdf.
6
Pazifik. Die Ozeane erwärmen sich bis in
große Tiefen, auch dadurch steigt der Meeresspiegel, weil sich das erwärmte Wasser
ausdehnt. Die Meere haben in den letzten
40 Jahren über 90% der Wärme aufgenommen, die durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre zurückgehalten
worden ist.
Wie weit ist der Klimawandel schon fortgeschritten? Auf welches Maß können wir die
Erderwärmung noch begrenzen? Und wie
sehen mögliche Zukunftsszenarien aus? Eines ist so gut
wie sicher: Eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C,
so wie es in dem Klimavertrag von Paris als Option steht,
ist schon so gut wie ausgeschlossen! Wenn zum Beispiel
der CO2-Gehalt der Luft nicht weiter steigen und auf dem
heutigen Stand »eingefroren« werden soll, müssten die weltweiten CO2-Emissionen sofort um ca. 60–70% sinken und
sich mit der Zeit noch weiter verringern. Selbst in diesem
Fall würde die Durchschnittstemperatur der Erde immer
noch um ein paar Zehntel Grade Celsius während der kommenden Jahrzehnte steigen. Nur wenn die weltweiten Treibhausemissionen sofort auf nahezu null sinken würden,
könnte man das Ziel erreichen, die Erderwärmung auf
höchstens 1,5°C zu begrenzen. Diese Betrachtungen verdeutlichen, dass selbst die Begrenzung der Erderwärmung
auf »deutlich unter 2°C« immer noch eine wahre Herkulesaufgabe darstellt.
2000
2010
Nach einer schnellen Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen sieht es derzeit überhaupt nicht aus. In der
Tat ist die bisherige Bilanz der internationalen Klimaschutzpolitik ernüchternd: Allein die weltweiten CO2-Emissionen
sind seit 1990 um rund 60% gestiegen.7 Anspruch und
Wirklichkeit könnten nicht weiter auseinander liegen als
beim Klimaschutz. Bei Zugrundelegung realistischer Szenarien für die zukünftige Entwicklung der globalen Treibhausemissionen kommt Skepsis auf, ob die Weltgemeinschaft das Ziel von Paris erreichen kann. Das optimistischste Szenario geht davon aus, dass sich die Emissionen in den kommenden Jahren stabilisieren werden, sich
danach deutlich verringern, aber erst während der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts auf null sinken und für den Rest
des Jahrhunderts negativ sind. Nur dann würde man mit
hoher Wahrscheinlichkeit die Erderwärmung auf unter 2°C
begrenzen können. Das scheint aus heutiger Sicht geradezu utopisch sein. Möglich wäre es allemal! Dazu müss Vgl. Global Carbon Project, http://www.globalcarbonproject.org/carbonbudget/index.htm.
7
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Zur Diskussion gestellt
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te es aber den Willen aller Länder geben, das Klimapro­
blem auf nachhaltige Weise zu lösen wie auch eine große
Solidarität zwischen den Ländern, insbesondere zwischen
den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Dennoch gibt es begründete Hoffnung, dass sich die Dinge in den kommenden Jahren zum Besseren wenden werden. Inzwischen haben sich die Bedingungen geändert,
unter denen die internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz stattfinden. Die Diskussion darüber ob es einen
anthropogenen Klimawandel gibt, gehört der Vergangenheit an. Die Schäden durch den Klimawandel manifestieren
sich immer deutlicher in vielen Regionen der Welt. Die
erneuer­baren Energien sind auf dem Vormarsch. So lag ihr
Anteil an der Stromversorgung 2015 weltweit schon bei
etwa 25% und in Deutschland sogar über 30%8, mit steigender Tendenz. Darüber hinaus sinkt die Energie- und
Kohlenstoffintensität der Weltwirtschaft. Zudem wurden
schon 2013 und 2014 weltweit mehr Kapazitäten im Erneuerbare-Energien-Bereich installiert als in den fossilen
und nuklearen Energiesektoren zusammen. Papst Franziskus hat 2015 in seiner Umweltenzyklika die Ergebnisse der
Klimawissenschaft aufgegriffen und politische Konsequenzen angemahnt. Und schließlich haben sich 2015 die Regierungschefs auf dem G-7-Gipfel im bayerischen Elmau
zur Dekarbonisierung bekannt, d.h. zu einer Weltwirtschaft
ohne fossile Brennstoffe.
Leider konnte man sich in Paris nicht darauf einigen, das
Wort Dekarbonisierung in den Vertragstext aufzunehmen.
Man spricht nur noch davon, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem anthropogenen Ausstoß von Treibhausgasen und den Senken.
Damit hat man sich eine Hintertür offen gehalten: Die Länder
müssen streng genommen gar nicht aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Technische Lösungen sind nach wie vor
möglich, zum Beispiel das Abscheiden von CO2 aus Kohlekraftwerken und seine Verbringung unter der Erde oder im
Meeresgrund, wenn man diese als CCS (Carbon Dioxide
Capture and Storage) bezeichnete Methode als Senke definiert. Zudem sind viele Formulierungen des Pariser Vertrages sehr schwammig. So möchte man den Höhepunkt der
globalen Treibhausgasemissionen »so schnell wie möglich«
erreichen, was immer das heißen mag.
Das Vorsorgeprinzip muss Vorrang haben
Wir stehen heute vor ganz neuen Herausforderungen. Beim
Klimawandel handelt es sich um ein sogenanntes systemisches Risiko. Wir leben in einer Zeit beschleunigter techno Vgl. https://www.ise.fraunhofer.de/de/daten-zu-erneuerbaren-energien/
daten-zu-erneuerbaren-energien#title-ee36c5dd3b30a9edf6f624407abf0fdb.
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ifo Schnelldienst 7/2016 – 69. Jahrgang – 13. April 2016
logischer und gesellschaftlicher Entwicklung sowie einer zunehmenden globalen Vernetzung in Wirtschaft, Kommunikation, Politik und Kultur. Einfache Ursache-Wirkung Prinzipien gelten nicht mehr. Ein als harmlos eingeschätztes Ereignis kann selbst über große Entfernungen oder nach einer
langen Zeit ungeahnte Folgen haben, die die Funktionsfähigkeit der Staatengemeinschaft gefährden. Die Schäden
infolge eines ungebremsten Klimawandels werden nicht nur
die Umwelt betreffen, sondern können auch ökonomischer
Natur sein oder die Sicherheitsarchitektur auf der Erde betreffen: Eine weltweite Rezession wäre wahrscheinlich9 und
weiter zunehmende Flüchtlingsströme eine mögliche weitere Folge.10
Weil anthropogenes CO2 sehr lange, d.h. über viele Jahrzehnte in der Atmosphäre verbleibt, ist es unerheblich, wo
genau das Gas dorthin gelangt. Es zählt nur der weltweite
Treibhausgasausstoß für die zu erwartende globale Klimaänderung, und die wird alle Länder betreffen. Alle Staaten sitzen deswegen im selben Boot. Noch haben wir es in der
Hand, die Erderwärmung auf »deutlich unter 2°C zu begrenzen«, wie im Pariser Abkommen vereinbart. Selbst dann
würde vermutlich eine Reihe von Inselstaaten untergehen,
und die meisten tropischen Korallen wären dem Tod geweiht. Couragiertes und schnelles Handeln ist nun geboten,
national und international. Der Vertrag von Paris ist ein wichtiges politisches Signal. Alle Delegationen haben ihn unterzeichnet. Damit hat man Einigkeit demonstriert. Alle Staaten
müssen jetzt aber über ihren eigenen Schatten springen und
noch erheblich mehr leisten als das, was sie in Paris versprochen haben, in den kommenden Jahrzehnten zu tun.
Die Hauptverursacher des Klimaproblems sind die Industrienationen, denn sie haben über viele Jahrzehnte große
Mengen Treibhausgase ausgestoßen. Das gilt insbesondere für die USA und Europa. Sie und auch Länder wie Kanada oder Australien müssen vorangehen, zeigen, dass Wohlstand und Umweltschutz zusammengehören. Die Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien werden nur dann
folgen.
Schauen wir aber optimistisch in die Zukunft. Vielleicht ist
der Peak der globalen Treibhausgasemissionen schon erreicht, auch ohne dass man sich in Paris auf ein konkretes
Datum für dessen Erreichen geeinigt hat. Die vorläufigen
Zahlen lassen in der Tat Hoffnung aufkommen. 2015 könnte der weltweite CO2-Ausstoß sogar leicht gesunken sein.
Zum heutigen Zeitpunkt ist es jedoch schwer zu beurteilen,
ob es tatsächlich eine Trendwende gibt, die nächsten Jahre
werden es erst zeigen. Die Zeit für Tricksereien und Wort­
ak­robatik jedenfalls ist abgelaufen. Es zählen jetzt nur noch
Taten, und die müssen schnell erfolgen. Sonst ist der Klimavertrag von Paris nichts wert.
Vgl. http://www.deutsches-klima-konsortium.de/fileadmin/user_upload/
2011_Downloads/061130_Stern-Report_-_Zusammenfassung.pdf.
Vgl. http://www.climate-service-center.de/012291/index_0012291.html.de.
9
10
Zur Diskussion gestellt
Literatur
Arrhenius, S. (1896), »On the Influence of Carbonic Acid in the Air upon the
Temperature of the Ground«, Philosophical Magazine and Journal of Science, Series 5, Vol. 41, April, 237–276.
Lüthi, D. et al. (2008), »High-resolution carbon dioxide concentration record
650,000–800,000 years before present«, Nature 453, 379–382.
ifo Schnelldienst 7/2016 – 69. Jahrgang – 13. April 2016
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