9783938807750_Leseprobe

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Vorwort
Ohne Neugier keine Wahrheit
Es gibt sicher zahllose Wege zur Wahrheit, aber es ist ebenso sicher,
zwei davon besonders zu empfehlen. Der eine ist die allenthalben und
allerorten zu stellende Frage: Warum sind die Dinge so, wie sie sind?
Dieser Weg geht davon aus, dass Wahrheit gesucht werden muss. Der
andere ist die Offenheit für das, was auf einen zukommt. Dieser Weg
geht davon aus, dass Wahrheit mich findet, wenn ich nicht suche. Die
Münsterschwarzacher Benediktiner verweisen die Wanderer da gerne
auf Rabindranath Tagore: „Die Nacht öffnet heimlich die Blüten und
lässt den Tag den Dank davontragen.“ Beide Wege erfordern jedoch ein
und dieselbe Arbeit – die Arbeit der ständigen Übung. Das griechische
Wort für Übung heißt Askese. Wege zur Wahrheit sind eine asketische
Übung. Welche Wanderer wären also geeigneter dafür als Menschen der
Askese, also Nonnen und Mönche?
Vor siebzehn Jahren begann Hans-Bernd Zöllner, damals neugieriger
Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Bangkok, öffentlich Vorträge zu halten über seine Begegnung mit der ältesten asketischen Kultur, die ununterbrochen bis heute lebendig ist – dem Buddhismus. Zur Vollendung seines fünfundsechzigsten Lebensjahres werden
hier siebzehn Reden für Hörer ohne jede Vorkenntnisse vorgestellt, die
aus dieser buddhistisch-christlichen Begegnung entstanden sind.
Der deutsche christliche Theologe erfährt auf seiner Lebensreise in das
fremde hinterindische Land, dass es der schweren Arbeit des Denkens
bedarf, Antworten auf die Frage zu erhalten, warum die Dinge so sind,
wie sie sind. Hans-Bernd Zöllner geht auf dem fremden asiatischen Territorium nun innerlich auf Reisen, um die Antwort herauszufinden. Er
tritt heraus aus seinem bekannten Gelände, der abrahamischen Religion
der Juden, Christen und Muslime, die unrettbar immer von Gott sprechen
muß – und setzt den Fuß auf fremdes religiöses Land. Es ist ein Land,
in dem es seit Jahrtausenden nicht üblich ist, von Gott zu sprechen. Dort
lernt er das Staunen über Jesus, den er mitgebracht hat und zu kennen
glaubt. Das Kernland des südlichen Buddhismus, des Therawada, fordert ihm nämlich die permanente Übung des Perspektivenwechsels, des
Positionswechsels ab. Dadurch gewinnt er einen neuen Blick auf sein
Heimatland, die christliche Theologie. Er wird auf diese Weise zu einem
der ganz wenigen evangelischen Theologen in Deutschland, die den Weg
in den Therawadbuddhimus gemacht haben – und wieder zurückgekommen sind mit frischem Blick auf Christentum und Buddhismus.
Der Redner wird zum Reiseführer für andere in diesem unbekannten
Land des Buddhismus. Er nimmt sie mit auf ihrer Begegnung mit der
fremden Tradition und auf ihrer Wiederbegegnung mit ihrer christlichen
Herkunft. Jedoch passiert ein Zwischenfall. Er wird von der Wahrheit
gefunden. Das geschah bei körperlicher Arbeit im „Garten der Befreiung“ in Südthailand, genannt Suan Mokkh. So heißt dort das Kloster
des großen Reformators im modernen Buddhismus, Buddhadasa. Und
die körperliche Arbeit ist – Meditation. Dabei lernt er die Sprache der
Christen, die von Erlösung sprechen, mit der Sprache der Buddhisten,
die von Befreiung sprechen, in Beziehung zu setzen. Auf seinem Weg
in den Garten der Befreiung nimmt er dann auch eine Reisegruppe der
Evangelischen Akademie Hamburg mit. Der Weg muss gegangen, nicht
nur gedacht werden. Weil ich damals christlich-theologischer Mitarbeiter von Buddhisten in Thailand war, stoße ich dazu.
Längst zurück als Pfarrer im Betongebirge des Osdorfer Borns, einer
Stadtrandsiedlung Hamburgs, entstehen nun weitere Versuche der Annäherung an die Wirklichkeit, in kunstvollem Perspektivwechsel. So entsteht eine Lesart der Wirklichkeit nach der menschlichen Temperatur,
etwa warmer Jesus, kühler Buddha? Oder nach der Dichte: Leere der
Vollkommenheit oder Vollkommenheit der Leere? Oder nach dem Sichselbst-finden durch Sich-selbst-verlieren im Hin-und-weg-Sein? Schließlich entstehen auch neue Lesarten der Bibel, wenn sie aus buddhistischem
Blickwinkel gelesen wird. Und es entstehen neue Lesarten des Buddhismus, wenn er nicht nur mit den Augen des Therawada, sondern auch des
Mahayana, also des nördlichen Buddhismus gelesen wird.
Bei allem religiösen Perspektivwechsel gibt es für Hans-Bernd Zöllner
aber einen weiteren Zwischenfall: Er entdeckt einen Fixpunkt, der stets
mitwandert – den Mond. Nun helfen ihm andere Reiseleiter auf unbekanntem himmlischen Territorium, etwa Pink Floyd mit „The dark side
of the moon“ (1973) oder der berühmteste Wandsbeker, der das nach
Goethes Meinung schönste deutsche Abendlied gedichtet hat, Matthias
Claudius, mit „Der Mond ist aufgegangen“ (1779). Zöllner macht eine
große Entdeckung: Könnte unser Zugang zur Wirklichkeit, zur Wahrheit
der Wirklichkeit so sein wie unsere Beziehung zum Mond? Unermüdlich
kehrt der Mond uns die eine Seite zu, aber hat er nicht auch eine Rückseite, die immer mitwandert, ohne dass wir sie sehen? Und obwohl er
oft nur halb zu sehen ist – „ist er doch rund und schön“? Könnten Buddha und Jesus, Christen und Buddhisten nicht den einen Mond bereisen
– weil die Wahrheit immer größer ist als das Suchen?
Als die Hamburger Kunsthalle im Jahre 2005 den Wandel der romantischen gemalten Seestücke von Caspar David Friedrich bis Emil Nolde
ausstellte, heftete sie ein Motto Nietzsches über den Eingang: „Es gibt
noch eine andere Welt zu entdecken – und mehr als eine! Auf die Schiffe,
ihr Philosophen!“ Auf eine solche Reise ins Unbekannte nehmen die vorliegenden siebzehn Reden den Leser mit. Gute Reise!
Gerhard Köberlin
Hamburg, im Herbst 2007
Vorbemerkung zur Edition der Texte
Alle folgenden Texte geben die ursprünglichen Manuskripte der Vorträge wieder. Eine Ausnahm bildet die erste Vortragsreihe, die in Bangkok
gehalten wurde. Diese Vorträge wurden auf Tonband aufgenommen, abgeschrieben und dann überarbeitet.
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I
Buddhismus
und
Christentum
Vier Vorträge im Thai-Deutschen Kulturzentrum Bangkok
gehalten am 7. , 14., 21. und 28. Februar 1990
(Überarbeitete Nachschrift)
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1
: Einführung
Siddharta Gautama, Jesus von Nazareth und wir
Ich möchte Ihnen zuerst einmal sagen, was Sie heute und an den nächsten Abenden erwartet.
Für heute habe ich mir eine Einführung in zwei Teilen vorgenommen.
Im ersten Teil werde ich versuchen etwas auszuführen, warum mich
dieses Thema interessiert; im zweiten möchte ich ein wenig dazu sagen,
was wir über die beiden Personen wissen können, die hinter den beiden
Religionen stehen – über Gautama Siddharta und über Jesus von Nazareth.
An den folgenden drei Abenden soll dann etwas systematischer vorgegangen werden. Ich werde jeweils ein Stichwort aus den ‘Glaubensbekenntnissen‘ der beiden Religionen miteinander vergleichen: Buddha
und Christus; Dhamma und Gott; Sangha und Kirche.
Ich hoffe, dass Sie am Ende des jeweiligen Vortrags nicht so erschlagen sind, dass Sie nicht noch Fragen oder andere Gesprächsbeiträge beisteuern können. Das wäre für mich sehr wichtig, denn ich würde mich
unwohl fühlen, wenn ich hier nur einen reinen Monolog halten würde.
Ich beginne mit einer einfachen Frage: Was interessiert uns eigentlich
an diesem Thema “Buddhismus .und Christentum“? – Ich möchte nun
nicht bei Ihnen abfragen, was Ihnen dazu einfällt, sondern Sie nur bitten,
sich darauf eine oder mehrere Antworten zu überlegen, und sie mit dem
zu vergleichen, was mir eingefallen ist.
Auf diese Weise können Sie Ihre Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen an diese Vortragsreihe vielleicht ein wenig klären; zum anderen
finde es wichtig, dass Sie ein wenig darüber erfahren, wie ich an dies
Thema herangekommen bin. Was ich hier zu sagen habe, ist ja nicht etwas objektiv Wahres, sondern meine persönliche Sicht der Dinge.
Ich habe mich zum ersten Mal mit dem Buddhismus beschäftigt, als
ich am Ende meines Theologie-Studiums stand und ein Examen ablegen mußte. Eins der Prüfungsfächer hieß ‘Religionsgeschichte‘, und wir
durften uns da eine Religion aussuchen, über die wir abgefragt werden
sollten. Ich habe da den Buddhismus genannt, ich weiß heute nicht mehr
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genau, warum. Vielleicht hielt ich die Sache für besonders reizvoll, was
sich ja mittlerweile für mich bestätigt hat; vielleicht fand ich diese Religion auf Grund ihres Rufs als einer klar durchdachten Sache besonders
einfach und schreckte zurück, die Namen der vielen Hindu-Götter zu lernen.. Jedenfalls habe ich mir ein Lehrbuch genommen, gebüffelt, meine
Prüfung bestanden, eine Note bekommen – und fast alles ganz schnell
wieder vergessen.
Moral: Es nützt sehr wenig, nur irgendwelche Fakten zu lernen, wenn
die nicht zu anderen Sachverhalten, die wir kennen und die uns wichtig
sind, in Beziehung gesetzt werden.
Erwarten Sie deshalb nicht allzu viel von den reinen Sachinformationen, die ich Ihnen versuchen werde mitzuteilen. Es scheint mir wesentlicher zu sein, sie ein wenig einzuordnen in das, was ich hier in Thailand
bisher erfahren habe; also etwa zu versuchen, die Unterschiede, die zwischen unserer Art zu leben und der, die wir hier antreffen bestehen, durch
den Vergleich der beiden ‘herrschenden Religionen‘ in Mitteleuropa und
Thailand aufzuhellen.
Buddhismus kam dann bei mir wieder auf die Tagesordnung, als ich
hörte, dass ich hier als Pfarrer gewählt worden war. Ich habe mir einige
Bücher gekauft und fleißig darin gelesen, um darauf vorbereitet zu sein,
was mich hier erwarten würde.
Als ich dann angekommen war und die ersten Eindrücke von Bangkok
und seinen Tempeln aufgenommen hatte, stellte ich fest, dass mir meine Bücher nicht viel nützten. Der Buddhismus, den ich hier sah (oder
zu sehen glaubte) war ganz. anders als der, der da beschrieben worden
war. In den Büchern hatte nichts über Räucherstäbchen und wenig über
Lotosblüten gestanden, es war nicht erklärt worden, was ein Geisterhäuschen ist und was von den Orakeln zu halten ist, die viele Leute aus den
Bechern in den Tempeln herausschütteln usw.
Diese Widersprüche haben mich interessiert, und ich habe mir gedacht,
dass der Buddhismus wahrscheinlich ein genauso vielfältiges Ding ist
wie das Christentum auch – und das es wohl eine Menge Zeit brauchen
würde, um mit dieser anderen Welt ein bißchen vertraut zu werden.
Mein erstes Interesse war und ist es also, etwas über dieses Land und
seine Leute zu verstehen. Und den Buddhismus habe ich nur deshalb
dazu herangezogen, weil mir das als Theologe besonders nahe lag; weil
ich da etwas hatte – meine Kenntnisse des Christentums -‚ mit Hilfe dessen ich Vergleiche anstellen konnte.
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Dieses grundlegende Interesse, etwas zu verstehen, hat für mich – und
vielleicht auch für Sie – vor allem zwei Gründe. Einmal das Bedürfnis,
sich in diesem Gastland so gut zu Hause zu fühlen, wie das eben nur geht,
weil es ja scheußlich ist, wenn einem alles nur ‘fremd‘ vorkommt. Und
zum zweiten, anderen Leuten im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit
etwas erklären zu können – etwa darauf vorbereitet zu sein, wenn Leute
mich nach dem Verhältnis von Buddhismus und Christentum fragen.
Dies Interesse zu verstehen, hat also eine persönliche, eine sozusagen
private Seite und eine ‚praktische‘ – und die von Ihnen, die im Museum
Führungen machen, wissen ja, dass die beiden Dinge zusammen hängen:
Man kann anderen nur das erklären, was man selbst verstanden hat. Und
das Erklären-Können ist der Testfall für das eigene Verstehen.
Eine zweite Motivation ergab sich für mich dadurch, dass ich hier im
Laufe der Zeit einige interessante Leute kennen gelernt habe. Der erste
war Sulak Sivaraksa. Auf ihn wurde ich vor 6 Jahren aufmerksam, weil er
damals wegen Majestätsbeleidigung verhaftet wurde. Daraufhin erhielt
ich aus Deutschland Post. Ich möge mich um den ‘Fall‘ kümmern. Sulak
war (und ist) nämlich einer der führenden buddhistischen Intellektuellen
des Landes, am buddhistisch-christlichen Dialog interessiert, und er hat
somit im Ausland Freunde. (Für die, die ihn nicht kennen: Wenn man ihn
auf einer Party trifft, fällt er einem sofort auf, weil er traditionelle siamesische Kleidung trägt und sich weigert, das Wort ‘Thailand‘ in den Mund
zu nehmen, das 1939 vom damaligen Diktator Phibulsongkram eingeführt wurde. Sulak sagt weiter ‘Siam‘, um deutlich zu machen, dass seiner Meinung nach die Identität des Landes durch Verwestlichung mehr
als bedroht ist – und damit auch der siamesische Buddhismus. Daraufhin
habe ich einige seiner kritischen Bücher gelesen, in denen ich dann auf
seinen ‘Lehrer‘ Acharn Buddhadasa stieß, den jetzt 84jährigen Mönch.
der das Kloster Suan Mokkh (Garten der Befreiung) in der Nähe von
Chaiya im Süden Thailands gegründet hat.
Dies Kloster habe ich dann zum ersten Mal auf einer Konfirmandenreise vor einigen Jahren besucht, und danach habe ich ziemlich viel von
dem gelesen, was von Buddhadasa (zu deutsch: „Knecht Buddhas“) in
englischer Sprache erschienen ist. Im vergangenen Jahr habe ich es dann
auch geschafft, an einer Meditationstagung in Suan Mokkh teilzunehmen.
Zum zweiten: Bei meiner Einführung in die deutschsprachige Gemeinde spielte Dr. Seri Phongphit die Orgel, den ich erst nur als einen
thailändischen Katholiken, der in Deutschland Theologie studiert hatte,
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kennen lernte. (Nachträglich erfuhr ich, dass er seine Dissertation über
einen Vergleich zwischen Buddhadasa und einem englischen Theologen
geschrieben hatte.) Später erfuhr ich, dass er in Bangkok ein alternatives
Reisebüro gegründet hat und dass er ebenfalls ein Verehrer Buddhadasas
ist. Dr. Phongphit, der jetzt ein Büro leitet, das die ländliche Entwicklung
Thailands fördern will, hat einige Bücher geschrieben, in dem die Rolle
des Buddhismus für eine alternative Entwicklung Thailands beschrieben
wird.
Es ist also kein Wunder, dass ich mich im Wesentlichen an den Schriften
Buddhadasas orientiere, wenn ich im theoretischen Sinne von „Buddhismus“ rede. Und es ist wohl auch klar, dass das auch mit einigen Zufällen
zu tun hat.
Schließlich ist da noch eine thailändische Ärztin zu erwähnen, die
mich eines Tages mit einem besonders interessanten (und seltenen) Problem aufsuchte: Sie wollte vielleicht einen Deutschen heiraten. Einziges
Problem: Er wollte gerne, dass sie Christin wird, sie aber war überzeugte
Buddhistin. Was tun? (Wir sind darüber immer noch im Gespräch.)
Eines Tages nahm sie mich zu ‘ihrem Mönch’ mit, dessen ‚Leibärztin’
sie war, zu Phra Rachavaramuni. Es stellte sich heraus, dass er der neben
Buddhadasa zweite große ‚intellektuelle’ Mönch des heutigen Thailands
ist, der sich u.a. kritisch mit der Rolle des Erziehungssystems des Landes
auseinandergesetzt hat.
Und schließlich gab es die Begegnung mit Tham Krabok, dem ‚Drogen­
kloster’ bei Saraburi und einigen ausländischen Mönchen, die da leben,
Gespräche mit einem deutschen Novizen aus Suan Mokkh und anderes.
Das Interesse, das sich aus diesen Begegnungen entwickelt hat, ist das
nach einem Dialog mit Buddhisten des Landes über die Grundlagen der
gemeineinsamen Existenz von Buddhisten und Christen in Thailand und
anderswo. Das ist aus verschiedenen Gründen eine schwierige Sache, wie
Sie wohl auch schon gemerkt haben, und außer einzelnen Gesprächen ist
bei mir auch noch nicht viel dabei herausgekommen. Wichtig scheint
mir dieser Dialog trotzdem, und diese Vorträge sind für mich ein kleiner
Versuch, für mich selbst und vielleicht mit Ihnen zusammen, dazu eigene
Vorarbeiten zu leisten.
Schließlich noch ein drittes Interesse. – Der Buddhismus war und ist
für mich – wie sicherlich auch für Sie – sehr eng mit dem Stichwort ‘Meditation‘ verbunden, einem sehr reizvollen Stichwort, aber auch einem,
das irgendwie gefährlich klingen kann. Wenn ich mich gründlich frage,
woran dieser besondere Reiz liegt, dann erhalte ich als Antwort, dass
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mir meine Art, das Christentum zu leben und zu praktizieren, irgendwie
‚mangelhaft‘ vorkommt und dass ich über die Meditation diesem Mangel abhelfen konnte (Und vielen anderen geht das so oder anders wohl
ähnlich).
In der Beschäftigung mit unserem Thema gibt es also auch noch ein
existentielles Interesse, das die tieferen Schichten unserer Person betrifft,
die Schichten, in denen das angesiedelt ist, was wir ‘Religion‘ nennen.
Mir ist das auch noch auf einer anderen, eher theoretischen Ebene aufgefallen. Bei früheren Veranstaltungen zu diesem Thema habe ich gemerkt, dass die Beschäftigung mit einer anderen Religion einen selbst
im Wortsinne ‘in Frage‘ stellt. Wir lernen ja in der Regel durchs Vergleichen. Und wenn wir da etwas über den Buddhismus lernen, stellt sich die
Frage, wie ist das eigentlich- ‘bei uns‘ (bei uns Christen oder wie immer
wir uns sonst bezeichnen mögen). Eine andere Religion ist so etwas wie
ein Spiegel, in dem wir uns selber – als einzelne oder Gruppe – selbst
neu sehen lernen. – Mir ist bei der Vorbereitung zu diesen Vorträgen
z.B. aufgefallen, dass ich in manchen Punkten leichter etwas über ‘den‘
Buddhismus sagen kann als über ‚das‘ Christentum. Da gibt es offenbar
einige blinde Flecken.
Die Erfahrung ist für mich in einem doppelten Sinne hilfreich. Einmal
lässt sie mich sehr viel Verständnis dafür haben, wenn Thais auf die Frage, was denn dies und das in ihren Tempeln zu bedeuten habe, nur mit
den Achseln zucken und sagen „Das ist Tradition“. – Und zum anderen:
Wir können einer anderen Religion (als einer Ausprägung einer ‘anderen‘
Art von Leben) nur gerecht werden, wenn wir uns über unseren eigenen
Standpunkt mehr Klarheit verschaffen als normalerweise vorhanden ist.
Ich hoffe‚ dass Sie sich, jeder auf die Art, die ihm genehm ist, auf diesen
Versuch, sich selbst den Spiegel vorzuhalten, einlassen werden.
Eine kurze Zwischenbilanz: Was ich Ihnen heute und an den folgenden
Abenden anbieten kann, ist eine sehr persönliche Sicht der Dinge. Ich
erhebe durchaus nicht den Anspruch, Ihnen objektive Wahrheiten zu
vermitteln, und ich denke, dass das auch keiner von mir erwartet. Und
auch deswegen finde ich es besonders wichtig, dass wir uns nach den
Vorträgen ein wenig Zeit nehmen, das eine oder andere miteinander zu
so locker und offen wie möglich. Je mehr Beiträge kommen, desto mehr
verdichtet sich das Gesamtbild.
Methodisch werde ich so vorgehen, dass ich soweit wie möglich vergleichen werde. Ich hoffe, dass dabei herauskommt, dass Sie über das
Viele hinaus, das Sie schon wissen, noch etwas Neues dazulernen und
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einiges – dies finde ich noch wichtiger – in einem anderen Lichte sehen
können, und zwar was die beiden Religionen und ihr Verhältnis zueinander angeht als auch die Lebenswelten, zu denen sie gehören.
Wenn man vergleicht, gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann mit den
Unterschieden anfangen oder mit den Gemeinsamkeiten. Und es ist
ziemlich entscheidend, wie man anfängt, weil sich je nach dem Ausgangspunkt der Fragestellung das Gesamtbild ganz verschieden darstellen kann. Ich werde in der Regel mit den Gemeinsamkeiten beginnen;
nicht weil es von ihnen mehr gibt als von den Unterschieden (es ist ja
wohl auch schwierig, da eine Statistik zu führen), sondern weil ich es für
wichtig halte, das Gemeinsame zu betonen und danach zu suchen. Ein
Grund dafür, der hoffentlich einleuchtend ist, liegt darin, dass wir heute,
da die Welt so nahe zusammengerückt ist und wir als Menschen wirklich
alle ‘in einem Boot sitzen‘, ein Fundament an Gemeinsamkeiten besonders nötig haben.
Und möglicherweise ist es notwendig, Gemeinsamkeiten neu zu entdecken, die bisher noch gar nicht offen zutage liegen.
Das heißt letztlich, dass unser Thema – Buddhismus und Christentum
– durchaus nichts Festes und Statisches ist, sondern eine lebendige Sache, die sich im Fluß befindet, wie sie sich immer in Bewegung befunden
hat. Und wie es damit weiter geht – das mag jetzt etwas arg anspruchsvoll
klingen – hängt mit von uns selbst ab. Denn wir sind nicht nur Zuschauer
des Lebens, sondern auch Mitspieler.
Was ich mir selbst von diesen Abenden erhoffe ist, dass ich dadurch,
dass ich meine bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Buddhismus und Christentum versuche zusammenzufassen, selbst etwas lerne,
dass ich eine Zwischenbilanz meiner fast sieben Jahre in Thailand ziehen
kann – und dass Sie auch ein wenig davon haben.
Nun zu dem Versuch eines Vergleichs zwischen Siddharta Gautama und
Jesus von Nazareth oder genauer: zwischen dem, was wir über die beiden
Personen wissen. Die genannten Namen sind die ‚bürgerlichen Namen’
der beiden ‚Religionsstifter‘. Das Wort ‚Stifter’ oder auch ‚Gründer’ ist
in Häkchen gesetzt, um anzudeuten, dass beide sich zwar wohl bewußt
waren, dass sie etwas ‘Neues‘ brachten, aber nicht daran gedacht haben,
eine neue Religion in die Welt zu. setzen. Sie verstanden sich – in unserer
heutigen Sprache – als Reformatoren. Verehrt wurden sie später nicht als
(nur) historische Personen, sondern mit ihren Ehrentiteln: ‚Buddha’ und
‘Christus’, nach denen ihre Anhänger dann benannt wurden.
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Ein Unterschied: Der Buddha als eine Person, die auf Erden wandelte,
ist für den Glauben der Buddhisten theoretisch ganz unwesentlich, während sich in der Bezeichnung ‚Jesus Christus’ der Glaube ausdrückt, dass
Christus ‘wahrer Mensch’ und ‚wahrer Gott’ ist.
Dass nun ein solcher Vergleich zweier ‚Gründer’ einer Religion, die
später – in unterschiedlicher Form – zum Gegenstand der Verehrung wurden, überhaupt angestellt werden kann, ist etwas Besonderes. Ein solcher
Vergleich ist mit und zwischen anderen Religionen so kaum möglich.
Moslems sind keine ‘Mohammedaner‘, wie oft fälschlich – und für
muslimische Ohren beleidigend – gesagt wird. Denn Mohammed war
nur ein Profet, geglaubt wird an Allah. – Und die Juden sind keine
‘Anhänger des mosaischen Glaubens’, wie früher gesagt wurde, denn
Mose ist ebenfalls nur ein besonderer ‘Mann Gottes‘. – Im Hinduismus
spielt eine historisch faßbare Person überhaupt keine nennenswerte Rolle und bei den chinesischen Religionen, die mit den Namen Konfuzius
und Laotse verbunden sind, ist sehr die Frage, ob man sie nicht eher als
(ethische) Philosophien betrachten muß (eine Frage allerdings, die auch
an den Buddhismus gerichtet wurde und wird).
Im Hinblick auf den Vergleich, um den es hier geht, sind also Buddhismus und Christentum die engsten Verwandten in der Familie der Religionen. In ihnen spielt das ‘Menschliche‘ eine ganz besondere Rolle, Gott
und die Götter kommen gewissermaßen erst danach.
Um diesem besonderen menschlichen Ursprung der beiden Religionen
auf die Schliche zu kommen, ist es notwendig, zwischen den ‘Titelträgern‘ und den irdischen Personen einen Unterschied zu machen – und
das ist gar nicht so einfach.
Wenn wir die Namen ‘Buddha‘ und ‘Christus‘ hören, verbinden wir
damit wahrscheinlich ganz spontan und unreflektiert bestimmte Bilder,
bestimmte Vorstellungen. Wir haben Geschichten über den Buddha gehört und über Jesus auch, wir haben Buddha- und Christus-Bilder gesehen, vielleicht sogar einen Film.
Aber ob alles, was sich da bei uns im Zusammenhang mit dem Buddha
bei uns festgesetzt hat, auch wirklich auf den Siddharta Gautama zutrifft,
und ob die Jesus-Geschichten nicht vielleicht überwiegend Christus-Ge­
schichten sind, müßte erst noch geklärt werden. Die beiden Ehrentitel
sind ihren Trägern aller Wahrscheinlichkeit nach erst nach ihrem Tode
beigelegt worden; sie haben sie selbst nicht benutzt.
Siddharta (sein Vorname) Gautama (sein Familienname) nannte sich
selbst häufig ‘Tathagata‘ (der ‘Angekommene‘, der ‘die Wahrheit gefun-
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den hat‘), nicht. der ‘Erleuchtete‘. Und Jesus hat von sich vielleicht als
dem ‘Sohn des Menschen‘ gesprochen, der Gott zum Vater hat (wie alle
anderen Men­schen auch), aber sich nicht als ‘Messias‘ (griechisch: Christos; lateinisch: Christus) be­zeichnet, womit er in die Rolle des damals
von seinen Landsleuten erwar­teten Erlösers hineingeschlüpft wäre.
Was wissen wir also über die beiden Menschen?
Wenn man die Frage mit größter wissenschaftlicher Genauigkeit – genauer: nach den Maßstäben westlicher wissenschaftlicher historischer
Wahrheit – beantworten will, muß man antworten: “Sehr wenig – so gut
wie nichts Genaues.“
Diese Feststellung ist einigermaßen banal, denn die Art von wissenschaft­
licher Wahrheit, die in sich reichlich kompliziert ist, existiert ja erst seit
einigen Jahrhunderten. Trotzdem sei darauf hingewiesen, dass es in uns
selbst und um uns herum verschiedene Ebenen von Wahrheiten gibt, die
sich untereinander nicht unbedingt ausschließen. Vielmehr ist es wohl
so, dass es eine besondere Kunst des Lebens ist, diesen Ebenen so gerecht zu werden, wie es gerade angemessen ist.
Was wir wissen, stammt im wesentlichen aus den jeweiligen Heiligen
Büchern; aus dem Tipitaka (dem ‘Dreikorb‘) für das Leben Gautamas und
dort vor allem aus dem sutra-pitaka, der zweiten der drei Sammlungen,
das Predigttexte enthält; die anderen ‘Körbe‘: der vinaya-pitaka enthält
Mönchsregeln; der abhidhamma-pitaka Dhamma-Erklärungen, also Fort­
entwicklungen der Lehre, die später oft in den Mittelpunkt gerückt wurden; was das Leben Jesu betrifft, ist unsere Quelle fast ausschließlich das
Neue Testament und dort sind es vor allem die vier Evangelien.
Vereinfacht gesagt, handelt es sich bei allen Quellen um Predigten,
also tendenziöse Texte, die die Überzeugung, dass der Buddha bzw. der
Christus die Wahrheit verkörpern, verbreiten und verteidigen wollen, aus
denen aber, wenn man sie gewissermaßen gegen den Strich des Glaubens
bürstet, auch einige historische Fakten im modernen Sinne herausfallen.
Vom Standpunkt eines Glaubenden her betrachtet wären das die wertlosen Abfallprodukte der ganzen Wahrheit.
Man könnte auch sagen – literaturwissenschaftlich sehr oberflächlich
– dass wir über das Leben der beiden ‘Stifter‘ Legenden zur Verfügung
haben.
Zwei Beispiele: Letzten Sonntag war bei uns in der Kirche eine Geschichte von Jesus an der Reihe, die Erzählung von seiner ‘Verklärung‘.
Viel­leicht hat sie der eine oder andere von Ihnen schon einmal gehört
(Matthäusevangelium Kap. 17, Verse 1-13). Da steigt Jesus mit drei sei-
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ner Jünger auf einen Berg, weit weg vom Bangkoker Verkehr sozusagen,
wo es laut ist und stinkt, und erlebt da, seine Jünger sehen das so, dass
er ganz in strahlendes Licht gehüllt wird, dass seine Kleider ganz weiß
werden und er mit Mose und dem Profeten Elia redet.
Man könnte die Geschichte auch die von der ‘Erleuchtung‘ Jesu nennen, denn es ist eine Parallelgeschichte zu dem, was von Gautama/Buddha unter dem Bodhi-Baum erzählt wird. Wenn man sich in den Wats
(den thailändischen buddhistischen Klöstern) alte und vor allem neue
Darstellungen jener Szene anschaut, mit dem Lichterkranz um Buddhas
Kopf herum zur Verdeutlichung dessen, was da passiert ist, könnte man
umgekehrt sagen, dass Siddharta da zum Buddha ‘verklärt‘ worden ist.
Beide Begriffe drücken aus, dass jemand plötzlich ‘weg‘ ist von dem,
was wir normal nennen, dass er den Himmel gesehen und gespürt hat
oder wie immer wir das ausdrücken wollen.
Ob das aber ‘wirklich‘ so passiert ist – damals auf dem Berg oder unter dem Baum, noch dazu mitsamt den ganzen Ausschmückungen, die
sich beson­ders bei der Buddha-Geschichte so entzückend erzählen lassen – mit den ganzen Versuchungen durch Mara und der Geschichte von
der Erdgöttin, die so händeringend das Wasser aus ihrem Haar tropfen
läßt, dass alle feindli­chen Mächte davon geschwemmt werden und so
fort – das kommt uns doch sehr unwahrscheinlich vor.
Was damals wirklich gewesen ist, wissen wir nicht, aber trotzdem können beide Geschichten wahr sein. Wünschen wir uns nicht auch manchmal eine Erleuchtung?
Ein zweites Beispiel: Auch die Geschichten von der Geburt Siddhartas
und Jesu weisen eine Menge Parallelen auf. Zum Beispiel sind die Geburten und was sie zu bedeuten haben vorher durch Träume angekündigt
worden. Wahrscheinlich hat man die Träume später ‘erfunden’, um deutlich zu machen, dass Buddha und Christus von Anfang an und damit bis
in alle Ewigkeit dazu bestimmt gewesen sind, die Menschen zu retten
und weil die Gefahren, denen sie in ihrem Leben ausgesetzt waren, spannender wirken, wenn man eine Profezeiung im Ohr hat (wird der Held
es nun schaffen oder nicht?)‚ ‘historisch wahr‘ sind diese Traum-Erzählungen sicher nicht. Sie werden von zu vielen großen Männern berichtet
mit zu vielen offenkundigen Parallelen.
Eines der Schockerlebnisse meines Theologiestudiums kam, als uns
einer der Professoren mitteilte, Jesus sei wahrscheinlich in Nazareth
geboren – und nicht in Bethlehem. Lukas habe die ganze Weihnachts-
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geschichte nach vorgefundenen Motiven ‘nur‘ erzählt, damit mit der
Geburt Jesu nur eine weitere Weissagung aus dem Alten Testament in
Erfüllung gehe (im Buch des Profeten Micha steht Entsprechendes und
König David stammte aus Bethlehem). Schließlich laute der bürgerliche
Name ja „Jesus von Nazareth“.
Aber auch, wenn das so ist, tut es der Weihnachtsgeschichte keinen
Schaden an. Es schärft höchstens den Blick dafür, was sie uns denn wirklich zu sagen hat.
Auf der anderen Seite mag es historisch ‘richtig‘ sein, dass Siddharta
im Park von Lumpini während einer Reise seiner Mutter in die Hauptstadt Kapilavastu, wo ihr Mann ein kleiner Regent war, geboren wurde
(nebenbei: noch eine Parallele – beide Geburten passierten auf Reisen,
was mag das bedeuten?). Bangkoks Park diesen Namens wäre auch
schön, wenn er einen anderen Namen trüge – Aber was trägt diese wahrscheinliche Richtigkeit dafür aus, ob die Lehre des Buddha nun wahr ist
oder falsch?
Kurz: Die meisten Geschichten, die wir über das Leben Siddhartas
und Jesu kennen, sind historisch zumindest zweifelhaft (im Hinblick auf
die überlieferten Worte sieht es etwas anders aus). Diese Geschichten
be­leuchten weniger das Leben als die Lehre der beiden, und zwar jene
Lehre, wie sie nach ihrem Tode weitergegeben wurde.
Mit einem Bild kann man das so formulieren: Siddharta Gautama und
Jesus von Nazareth haben mit ihrem Leben und ihrer Lehre jeweils eine
Lawine losgetreten – von denen sie dann als individuelle Personen fast
ganz verschüttet wurden. Wir können nur noch die Skelette zweier Lebensläufe erkennen.
Was wir aber recht genau erkennen können, sind die Wege, die die beiden Lawinen genommen haben. Und sie rollen immer noch weiter, die
christlich-abendländische und die buddhistisch-asiatische.
Wenn wir über Siddharta Gautama, den späteren Buddha, und über
Jesus von Nazareth, den Christus, reden, reden wir über Heiligen-Bilder,
nicht über Fotografien. Wir reden von dem, was die beiden in Gang gebracht ha­ben.
Es gibt dafür einen Begriff, den ich gerne mag, den Begriff ‚Wirkungsge­
schichte’. Das meint: Das Sicherste, was wir über eine Person oder eine
Idee wissen können, ist die Wirkung, die sie gehabt hat. Und ob diese
Wirkung groß oder klein ist, können wir an uns selbst ausprobieren, in
dem wir etwa fragen Wie wirkt Jesus Christus, wie der Buddha auf uns?
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Was ich Ihnen bisher dargestellt oder zugemutet habe, ist eine typisch
‘christliche‘ Sicht der Dinge – christlich in dem Sinne, dass es einen
we­sent­lichen Unterschied gibt zwischen ‘Glauben‘ und ‘Wissen‘, dass
sich beides ergänzen muß. (Diese Unterscheidung hängt wohl mit der
grundle­genden Aussage zusammen, dass Jesus wahrer Mensch (wissen)
und wahrer Gott (glauben) war.)
Aus der buddhistischen Sichtweise gibt es diese Unterscheidung so
nicht. Um das deutlich zu machen, zitiere ich einige Sätze aus dem Buch
„Der Buddhismus“ von Edward Conze (S. 33/34):
„(Wir) müssen den Buddha in seinem verklärten Leibe betrachten. Solange
er als menschliches Wesen umherwandelte, sah (er) natürlich aus wie jeder
andere Mensch. Aber dieser gewöhnliche menschliche Körper des Buddha
war nur eine Art äuße­rer Schicht, die seine wahre Persönlichkeit einhüllte
und verbarg, und ist als solche rein zufällig und nicht der Beachtung wert. …
Hinter dieser äußeren Schicht war eine andere Gestalt verborgen, die sich in
vieler Beziehung von dem Leib gewöhnlicher Sterblicher unterschied und nur
mit den Augen des Glaubens wahrgenommen werden konnte. … Die Besonderheiten dieses verklärten Körpers werden in einer Liste von 32 Kennzeichen
des Übermenschen beschrieben, ... Die Liste der 32 Kennzeichen findet sich
in allen Schulen und muß alt sein. … Die 32 Kennzeichen des Übermenschen
stammen aus einem präbuddhistischen Handbuch der Astrologie. Der verklärte Körper Buddhas litt nicht unter den Beschränkungen eines gewöhnlichen
Körpers. Er konnte sich in einem Raum bewegen3 der nicht größer war als ein
Senfkorn, während er andrerseits einmal in drei Schritten den außerordentlich
weit entfernten Himmel Indras erstieg. … Der verklärte Körper des Buddha war
6 Meter hoch, und viele Buddhastatuen haben tatsächlich diese Höhe. Seine
Farbe war golden. Zwischen den Augenbrauen des Meisters wuchs eine wollige
Locke (Urna), weich wie Baumwolle und ähnlich einer Jasminblüte, …“ usw.
Diejenigen von Ihnen, die im Museum führen, kennen das und erklären es.
Wir können uns vielleicht vorstellen, dass irgendwann einmal eine Vorschrift erlassen wurde, in der festgelegt wurde, dass Buddha-Bilder mit diesen 32 Merkmalen (und den 80 Nebenkennzeichen) ausgestattet sein müß­
ten, damit die Pietät gewahrt bleibt oder so. Aber dass der Buddha ‘wirklich‘
so ausgesehen haben soll, ist für uns doch schwierig nachzuvollziehen.
Die Trennung von Glauben und Wissen hat in dem Kontext, in dem wir
leben und der von der indischen Weltsicht geprägt ist, keine Wurzeln.
22
Und die ‚einheitliche‘ Sicht der Dinge, in der das Wunderbare und das
Alltägliche sich im Vergleich zu unserer Betrachtungsweise gewissermaßen genau um­gekehrt verhalten, ist auch dort als Grund noch vorhanden,
wo an der Oberfläche auch westliches Denken Einzug gehalten hat.
Und dies erklärt eine ganze Menge von dem, was unsereiner hier als
fremdartig und zum Kopfschütteln Anlaß gebend empfinden kann, bis in
die Kleinigkeiten des Alltags hinein.
Nun zurück zu meiner Ausgangsfrage: Was wissen wir über Gautama und
Jesus, was wissen wir von der Art, die “nicht der Beachtung wert ist“?
Am sichersten wissen wir, dass die beiden gelebt haben, und das ist
schon eine ganze Menge. Buddhismus und Christentum sind keine ‚Erfindungen‘, sie können sich mit Recht auf zwei Personen zurückführen
lassen, die vor 2 1/2 und 2 Jahrtausenden auf den Straßen dieser Erde
umher gewandelt sind. Wenn es damals schon Fragebögen gegeben hätte, hätten beide nach Ihrer ‘Berufung‘ durch die Erleuchtung bzw. Verklärung als Berufsbezeichnung ‘Wanderprediger‘ angeben können.
Dass die beiden gelebt haben, wissen wir nun deshalb, weil die zuverläs­
sigsten Nachrichten den Tod des Siddharta und des Jesus betreffen. Und
wer zweifelsfrei gestorben ist, muß auch gelebt haben.
In diesen Zusammenhang paßt eine schöne Legende, die davon ausgeht, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist. (Diese Zweifel werden
schon in der Bibel selbst erwähnt und ziehen sich wie ein roter Faden
durch die Ge­schichte.)
Jesus war nur scheintot, so wird erzählt, und seine Jünger haben ihn
in Wirklichkeit weggetragen und dann weit weg geführt, dorthin, wo sie
ihre Heimat hatten – nach Kaschmir. Diese Jünger Jesu waren nämlich
Anhänger des Buddha. Jesus lebte dort in aller Abgeschiedenheit glücklich und zufrieden in einem versteckten Tal, wo er auch gestorben und
begraben ist.
Ich habe vor einigen Jahren in einer Zeitschrift ein Foto der angeblichen Grabstelle Jesu gesehen. Und auch, wenn ich an diese ‘Wahrheit‘
der Legende nicht glaube, so scheint mir eine andere Wahrheit einleuchtend, dass es nämlich zwischen der Botschaft Jesu und der Lehre des
Gautama eine Menge Ähnlichkeiten bestehen.
Zurück zur Wissenschaft: Auch die kritischsten Historiker würden heute sagen, dass die Geschichte der Verurteilung und des Todes Jesu ungefähr so geschehen ist, wie sie die Evangelien berichten. Diese Erzählung
stellt gewissermaßen den harten historischen Kern der Evangelien dar.
23
Und ähnlich ist es im Falle Siddhartas. Seine ‘Todes-Legende’ enthält mit das Sicherste, was wir über sein Leben und seine Lehre wissen.
Da dieser Text nicht so bekannt ist wie die Geschichte vom Tode Jesu,
möchte ich ihn in der Übersetzung von Ulrich Schneider vorlesen. Es
handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Mahaparinirvana-Sutra, dem
‘Großen Lehrtext vom vollständigen Verlöschen‘
Auf seiner letzten Reise wahrscheinlich auf dem Weg in seine Heimat­
stadt – wird Siddharta krank. Das Schweinefleisch, das ihm der Schmied
Cunda gereicht hat, ist ihm nicht bekommen. (Dass der schon Erleuchtete
Fleisch gegessen hat, ist eine erstaunliche Nachricht, wenn man bedenkt,
dass seine entschiedensten Anhänger Vegetarier sind; das spricht für den
historischen Kern dieser Geschichte). Er legt sich also zum Sterben nieder und sagt:
Ich bin jetzt gebrechlich, alt, betagt, am Ende meines Lebensweges, ein Greis,
80 ist die Zahl meiner Jahre. Wie ein altersschwacher Karren nur noch mit
Hilfe von Stricken ... zusammengehalten wird, so wird auch der Körper des
Tathagata gewissermaßen mit Stricken (künstlich) zusammengehalten.
So sucht denn ... hienieden Insel und Zuflucht in euch selbst, nirgends sonst,
und sucht in der Lehre Insel und Zuflucht, nirgends sonst ! Und wie verfährt
der Mönch, wenn er Insel und Zuflucht in sich selbst und in der Lehre suchen
will und nirgends sonst? So, dass er, soweit der Körper in Betracht kommt,
dem Körper nachsinnt, ernst strebend, bewußt und achtsam, nachdem er in
der Welt das Begehren und die Kümmernis abgetan hat; soweit die Gefühle
in Betracht kommt ...‚ soweit das Denken in Betracht kommt ...‚ soweit die
Gegebenheiten (Dharma) in Betracht kommen ...‚ abgetan hat. So verfährt ein
solcher Mönch.. Und welche Mönche immer, sei es jetzt, sei es, wenn ich nicht
mehr bin, Insel und Zuflucht in sich selbst und in der Lehre suchen werden und
nirgends sonst, solch eifrig strebende Mönche werden die höchsten heißen.
Das ist gewissermaßen das Vermächtnis des Siddharta und gleichzeitig
der Kern der Lehre, historisch zuverlässiger als alles andere, was uns
überliefert ist wie etwa die Predigt von Benares und anderes. Es ist ganz
klar, dass Siddharta seinen Jüngern nicht hinterlassen hat, eine Organisation zu gründen. Mit den Worten “Sucht Zuflucht in euch selbst und
in der Lehre, nirgends sonst“ wird jeder ‘Personenkult‘ abgewehrt. Der
Buddha, der Erleuchtete, tritt in seiner Todesstunde gewissermaßen hinter das zurück, was er gelehrt hat.
24
Ähnlich ist es bei Jesus. Seine Predigten konzentrieren sich darauf, seinen Jüngern das rechte Vertrauen zu Gott nahe zu bringen, nicht an ihn,
an Jesus zu ‘glauben‘. “Jesus erwartete das Reich Gottes“, so hat es ein
Theologe etwas spitz formuliert, “gekommen ist die Kirche.“
Wenn wir Jesu Lehre in einem Satz zusammenfassen wollen, dann
vielleicht am besten mit dem Satz: „Kehrt um, denn das Reich Gottes
ist nahe.“ Wo dies Reich Gottes ist, da ist Freiheit und Erlösung; ‘Reich
Gottes‘ und ‘Nibbana’ sind gewissermaßen parallele Begriffe, die den
Endzustand des Erlöst-Seins umschreiben,. Und im irdischen Vorfeld
der Erlösung vertreten beide – Siddharta wie Jesus – sehr entschiedene
ethische Anliegen, Gewaltlosigkeit etwa und den liebevollen Umgang
miteinander.
Beiden ging es um Erlösung von dem, was den Menschen leidvoll ist.
Beide hatten ein Ziel dieser Erlösung vor Augen, in dem alle Widersprüche des Lebens aufgehoben sind. Siddharta predigte die ‚Einkehr‘ in
dieses Ziel, Jesus die ‚Umkehr‘ zu ihm.
Soviel an Gemeinsamkeiten. Nun noch ein wenig zu den Unterschieden.
Ich mache dazu einen kleinen Umweg, indem ich mit einigen Strichen
versuche, das Umfeld zu skizzieren, in das unsere beiden ‘Religionsstifter’ hineingeboren wurden; die religiöse, kulturelle und politische Situation ihrer Zeit, deren Kinder sie auch waren, und ich fange dabei einmal
mit Jesus an.
Jesus war Jude, kein Christ. Er wurde geboren in einem ziemlich abgelegenen Winkel der damaligen Welt, in Galiläa. Regiert wurde das kleine
Reich von einem jüdischen Fürsten, der von den Römern abhängig war.
Sein Land war praktisch besetzt.
Siddharta wuchs in einem kleinen Fürstentum auf, allerdings als Sohn
des Regenten, wie berichtet wird. Aber dessen Land war wohl ebenfalls
abhängig von einem anderen Staat, aus dem später der König Asoka das
erste indische Großreich und das erste buddhistische Königtum erschaffen würde. Die Herrscher haben sich in beiden Fällen später der neuen
Religionen ihrer Beherrschten bedient.
Wenn man sich vorstellen will, was zur Zeit Jesu das Tagesgespräch
war, das, was heute in den Zeitungen zu lesen ist, dann kann das etwa so
gesehen haben: Man hat sich darüber Gedanken gemacht, wann und wie
das Land nun endlich wieder frei sein würde; man hat sich Sorgen über die
schlechte wirtschaftliche Lage im Norden Israels gemacht, auf die ‚Zöllner‘ geschimpft (die Steuereintreiber), die im Auftrag der heidnischen
25
Römer handelten so wie heute in den ländlichen Gebieten Thailands die
Verschuldung der Bauern beklagt wird, die von den chinesischen Mittelsmännern und Zinsleihern ausgenommen werden. Es wurde berichtet,
‚Gott sei dank‘, sagten die einen und ‘Wie unsinnig‘ die anderen, dass
es ein paar Aufständische gab, die die Freiheit mit Gewalt erkämpfen
wollten. Es war die Rede von der großen Hoffnung auf einen von Gott
gesandten Retter, den Messias. Kurz: Die Situation, in die Jesus hineingeboren wurde, war die einer Not (weltgeschichtlich klein, subjektiv
sicher als groß empfunden) und der Erwartung auf eine neue Wendung
der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Die ganze jüdische Geschichte
ist bis heute hin von Erwartung, Hoffnung und Zukunft geprägt.
Wenn Jesus brav in die Synagoge gegangen ist, dann hat er dort als
erstes und wichtigstes nicht die Geschichte von der Schöpfung gelernt,
sondern die vom Auszug aus Ägypten. Damals hatte Gott die Israeliten
gerettet; das begründete die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch.
Es gibt ein Ziel, ein Ende der Geschichte: Die Ankunft der Herrschaft
Gottes auf der ganzen Welt, in der dann Gerechtigkeit, Friede und Freiheit herrschen wird. Und es gibt auch einen Anfang. Und beides, die
Schöpfung am Beginn aller Zeit und die Erlösung an ihrem Ende, ist in
Gottes Hand – und auch alles dazwischen.
Und was im Großen für die ganze Welt gilt, das gilt auch im Kleinen
für jeden einzelnen Menschen: Er ist eingespannt zwischen dem Anfang
der Geburt und dem Ende des Todes. Die Zeit dazwischen ist kostbar und
muß richtig genutzt werden.
In gewisser Weise sind wir nun in diese Vorstellungswelt auch hineingeboren worden, ob uns das nun bewußt ist oder nicht. Wir können das
feststellen, wenn wir etwa das ins Auge fassen, was uns an einem Land
wie Thailand so auffällt. Da mögen wir manchmal die Thais um ihre
Geduld beneiden oder sie auch als Untätigkeit zur Hölle wünschen. Wir
sind – statistisch gesehen, nicht unbedingt im Einzelfall – deshalb ungeduldiger als die Kinder dieses Landes, weil wir ein bestimmtes Zeitgefühl gewissermaßen mit der Muttermilch eingesogen haben. Wir wissen:
Wir haben nur dieses eine Leben, und aus dem wollen wir, so gut es geht,
das beste machen. Also können und wollen wir es uns nicht leisten, die
kostbare Zeit zu vertrödeln. – Und weil das Ziel des Lebens, der Tod,
als etwas Endgültiges bekannt ist, ist für unsereinen Planung so wichtig; die Not-Wendigkeit dafür setzt das Bewußtsein eines Anfangs und
eines Endes voraus und dass man die Zeit, die dazwischen liegt, auch
richtig einteilt. Das ist erst einmal eine Sache des ganz unreflektierten
26
Lebensgefühls, alles andere – warum es auch praktisch ist und das Leben erleichtern könnte – ist erst eine nachträgliche Rationalisierung, ein
Stück Kopfarbeit.
Nun hat unser Zeitgefühl in der Regel direkt nicht mehr viel mit dem
Gott zu tun, der die Zeit geschaffen und in Händen hat. Aber es hat einen
seiner Ursprünge in einem theozentrischen Denken, in dem Gott derjenige ist, der die Enden der Zeit und der Welt zusammenhält und der
einem die Hoffnung auf einen Aufbruch in eine bessere Zukunft gibt.
Der Unterschied zur Bibel ist wohl ‘nur’, dass wir heute in der Regel
statt ‘Gott‘ andere Worte benutzen wie ‘Vernunft’ und ‘Fortschritt‘, Aber
das Denkschema hat sich durchgehalten. Das ‘jüdisch-christliche Abendland‘ hat uns geprägt und es prägt nach meiner Erfahrung auch noch die
Menschen, die versuchen, ihm den Rücken zu kehren, indem sie etwa
buddhistische Mönche oder Nonnen werden.
Im Unterschied zu diesem ‘unserem‘ Denken läßt sich nun das Zeitund Weltbild der indischen Kultur von der Zeit vor dem Buddha bis heute in Thailand und anderswo als egozentrisch beschreiben, wobei ich betonen möchte, dass ich das nicht als eine Abwertung meine, sondern als
eine Beschreibung eines Tatbestands. Und es ist gleichzeitig zyklisch, es
denkt in Kreisläufen.
Obwohl es auch in der indischen Religion eine Menge von Schöpfungsgeschichten gibt und Brahma als den Schöpfergott – der ist aber
eben nur einer unter vielen Göttern -‚ gibt es keine Geschichte von einem
absoluten Anfang und keine Erwartung eines absoluten Endes. Es wird
davon ausgegangen, dass die Welt ewig ist und dass sich in ihr alles in
Kreisläufen bewegt. Eine der vielen Ausprägungen dieses Denkens ist
die berühmte Sache mit der Wiedergeburt. Dadurch gibt es einen ständigen Austausch zwischen dem Einzelnen und der übrigen Welt, zwischen
Innen und Außen, zwischen dem kleinen Kosmos des Menschen und den
Großen der ganzen Welt, und in beiden herrschen dieselben Gesetze.
Aufgabe des Einzelnen ist es nun, sich entsprechend dieser Gesetze
zu verhalten, damit er selbst und die Welt im Gleichgewicht bleiben.
Ein Beispiel dafür, wie das aussieht, ist hier in Thailand das tham-bun,
das merit-making. Es dient als Ausgleich für das Schlechte, das man
– notwendigerweise und/oder unabsichtlich – getan hat. Und es hilft im
Idealfalle anderen (etwa weil die Mönche die ihnen gegebenen Spenden an solche weitergeben, die es nötig haben). Im Hinduismus gilt die
Auf­merksamkeit verschiedenen Göttern, die verschiedene Bereiche der
27
Wirk­lichkeit verkörpern. Diese Art der Lebenssicht erfordert also durchaus eine hohe Kunstfertigkeit.
Für Kunstfertigkeiten braucht es Fachleute, und das waren zu Siddhartas Zeiten etwa die Brahmanen (gewissermaßen die Pharisäer des Buddhismus; beide Gruppen sind oft allzu stark karikiert worden). Sie gaben
Ratschläge wie man mit den Regeln der Kreisläufe der Wiedergeburten
am besten klarkommen konnte, und somit gewannen sie auch Macht.
Nun gab es schon vor der Zeit des Buddha Versuche, mit dem Problem,
sich im Kosmos zu behaupten, auf eine andere Art zurechtzufinden, und
mit dem Ziel, aus dem Kreislauf überhaupt auszusteigen.
Die Lehre des Buddha ist eine sehr radikale und sehr rationale Losung
für diesen Versuch: “Nimm Zuflucht zu dir selbst und zur Lehre, dann
erreichst du das Nibbana, bist dem Kreislauf entkommen.“ Jesus fand
eine ebenso radikale und emotionale Losung für das Problem des Umgangs mit der Zukunft “Kehrt zurück zum kindlichen Vertrauen an euren
himmlischen Vater, dann seid ihr schon im Reich Gottes – und alles andere, was ihr noch braucht, bekommt ihr umsonst dazu.“
Wir können sehen, dass in diesen ‘reformerischen‘ Botschaften etwas
Neues auftaucht, aber auch das Alte, das verändert werden sollte – der
Ansatz beim Ego auf der einen, die Hinwendung zu Gott auf der anderen
Seite. Beide Botschaften überwinden die Knechtschaft unter dem Gesetz des Ego bzw. unter dem Gesetz Gottes. Aber beide können dies nur
in einer Sprache ausdrücken, die die Erinnerung an diese Knechtschaft
immer weiter mitschleppt. Siddharta und Jesus haben ihre Erlösung, die
Lösung ihrer Probleme gefunden, wir haben sie immer – auch ! – noch
vor uns.
28
2
: Buddha und Christus
Die folgenden Überlegungen zum Thema ‚Buddha und Christus‘ knüpfen an das an, was ich in der vorigen Woche über das Verhältnis der beiden hi­storischen Personen ausgeführt habe, die sich hinter diesen Titeln
verbergen – Siddharta Gautama und Jesus von Nazareth
„(Der) Buddha“ und „(der) Christus“ sind beides keine Eigennamen,
sondern Ehrentitel, die ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach ihrem Tod beigelegt worden sind. Gautama und Jesus haben sich selbst
also wohl nicht so genannt. Die Titel sind Ausdruck der Überzeugung
oder des Glaubens ihrer Anhänger.
‚Buddha’ bedeutet, wie wir wissen, ‘der Erleuchtete‘ oder ‘der (aus
den Illusionen) Erwachte‘. Das Wort ‘Christus‘ ist die lateinische Form
der griechischen Übersetzung des hebräischen Wortes ‘Messias‘ – ‘der
(von Gott zum König) Gesalbte. Der Titel meint den vom Volk der Juden
erwartete und erhoffte Retter.
Die beiden Titel bieten sich also für einen Vergleich an, sie scheinen
für beide Religionen gleichermaßen ‘typisch‘ zu sein Bei näherem Zusehen stimmt diese direkte Parallelisierung aber schon nicht mehr: die
beiden Titel haben einen unterschiedlichen Stellenwert.
Betrachtet man die Kurzfassung der ‘Glaubensbekenntnisse‘ beider
Religionen, dann stehen die beiden Titel an verschiedenen Stellen. Ein
Bud­dhist in Thailand drückt seinen ‚Glauben‘ ja so aus: ‘Ich nehme meine Zuflucht zum Buddha, zum Dhamma, zum Sangha’. Dagegen das
christliche Glaubensbekenntnis in Kurzfassung: “Ich glaube an Gott den
Vater, Christus, den Sohn und an den Heiligen Geist“. Der Buddha wird
als erstes genannt, Christus steht in der Mitte der beiden dreigliedrigen
Formeln. Nun kann man davon ausgehen, dass in beiden Bekenntnissen
das Zentrale in der Mitte steht. Christen wurden und werden nicht zufällig so genannt, sie heißen nicht ‚Heilige Geistler‘ oder – was es, zumindest in Deutschland, auch schon gegeben hat – ‘Gottgläubige‘. Christus
ist der Mittelpunkt des christlichen Glaubens, Gott und Geist sind gleich
wichtig, aber gewissermaßen nur als Stützen. – Und im Buddhismus ist,
wie wir noch sehen werden, nicht der Buddha das Zentrum, sondern das,
was er gelehrt hat – der Dhamma.
29
Ich möchte diesen Vergleich noch etwas weiter führen, nun wieder
in Richtung auf eine Parallele hin. In beiden Religionen hat sich nach
meinem Eindruck eine Tendenz ausgebreitet, von dem sehr anspruchsvollen Zentrum der Religion gewissermaßen auszuweichen zu einer der
‘Stützen‘, an denen es leichter und bequemer ist, sich zu orientieren.
Im Buddhismus ist diese Tendenz weg vom Dhamma, der nicht leicht
zu begreifenden und zu praktizierenden Lehre, hin zur ‘Buddha-Zuflucht‘. Das drückt sich ganz sichtbar so aus, dass es hier in Thailand
die Millionen Buddha-Bildnisse gibt, aber der Dhamma kaum gelehrt
wird – nicht einmal in Klöstern in einer Sprache, die die normalen Leute
verstehen können.
Und im Christentum gibt es die Tendenz, der anspruchsvollen Nachfolge Jesu Christi durch einen mehr oder weniger starken Glauben an Gott
auszuweichen. Nach meinen Erfahrungen sieht das ‘normale‘ Glaubensbekenntnis eines Christen so aus, dass er sagt “Ich glaube schon, dass es
so etwas wie einen Gott gibt oder irgendein höheres Wesen“.
Diese Art von ‘Gottesglaube‘, der nicht ausschließt, dass Jesus ein
‘vorbildlicher Mensch‘ war und die ‘Buddha-Zuflucht‘ erlauben dem
einzelnen Freiraum und ermöglichen eine gewisse Unverbindlichkeit.
Ich sehe in dieser Verschiebung weg vom Zentrums ein weiteres ‘religionsgeschichtliches Grundgesetz‘, und deswegen waren diese Bemerkungen auch nicht als Kritik an der Mehrheit von Christen oder Buddhisten gemeint.
Halten wir also fest, dass sich das Verständnis dessen, was sich mit den
Titeln ‘Buddha‘ und ‘Christus‘ verbindet, im Laufe der Zeit verschoben,
verändert hat. Ich möchte das an Hand des Bildes von der Lawine, das ich
schon beim letzten Mal gebraucht hatte, noch etwas weiter ausmalen:
Wenn wir uns vorstellen, dass von den Bergen des Himalaya oder der
Alpen zwei Lawinen losgetreten wurden durch Siddharta und Jesus, dann
hängt der Weg dieser Lawinen auch von der Gestalt des jeweiligen Bergs
ab, den sie hinabrast, und von der Art von Landschaft, die sich am Fuße
der Berge findet. Man kann sich mit diesem Bild klarmachen, warum
sich die Religionen in verschiedenen ‘Landschaften‘ der Welt und unter
unterschiedlichen Menschengruppen so unterschiedlich darstellen.
Der Buddhismus, der sich vom Himalaya herab nach Süden ausgebreitet hat, also nach Ceylon, Birma, Thailand, Laos und Kambodscha, sieht
anders aus als der, der in nord-östliche Richtung ‘gerollt‘ ist, nach Tibet
und über China nach Korea und Japan. – Den Erstgenannten nennt man
Therawada (oder Hinayana) Buddhismus; er ist in mancherlei Hinsicht
30
eine ‘konservative‘ Form; die ‘Landschaften‘ dieser Länder haben ihn
relativ unge­brochen weiterlaufen lassen. – Die nordöstliche Ausprägung
nennt sich Mahayana (Großes Fahrzeug – eine Selbstbezeichnung, die
dem ‘kleinen‘ (hina) Fahrzeug den zweiten Platz zuweist, weswegen
dieser Begriff Hinyana in Thailand auch nicht eingebürgert ist); hier ist
der Buddhismus stark ‚durchgeschüttelt’ worden. – Daraus kann man
allerdings nicht schließen, dass der thailändische Buddhismus den ‘Kern
der Sache‘ besser bewahrt hätte als etwa der japanische Zen-Buddhismus – es könnte ja sein, dass gerade starke Veränderungen wieder zum
Ursprung zurückführen. Das ist ja die Behauptung aller Reformatoren
gegen die konservativen ‘Bewahrer des Alten‘.
Wir finden im Christentum eine ähnliche Wechselwirkung zwischen
dem ‚Kern‘ einer Religion und der kulturellen, sozialen, auch politischen
Landschaft, in die sie hineinfällt.
Von unserem Standort aus müßten wir also versuchen, den Weg der
Lawine zurückzuverfolgen zu ihrem jeweiligen Ursprung, um festzustellen, was auf den Etappen ihres Weges im Einzelnen passiert ist. Wir
würden damit unsere eigene Geschichte zurückverfolgen – ein höchst
spannendes Unternehmen, das ich in diesen Vorträgen nur in Ansätzen
durchführen kann.
Historischer Exkurs:
Ich benutze das Bild noch ein weiteres Mal, um unseren Standpunkt hier in
Bangkok genauer zu bestimmen. Ganz interessant wird es, wenn sich die
Wege zweier Lawinen (zweier unter­schiedlicher religiöser Traditionen, um
es etwas wissenschaftlicher auszu­drücken) begegnen. Denn dann kann noch
etwas Neues passieren.
Auf den Zetteln die beim letzten Mal abgegeben wurden, war die Frage: „Wie
sieht es aus mit Buddhisten und Christen in der Geschichte?“ Dazu möchte
ich kurz etwas sagen:
In den ersten 5 Jahrhunderten der buddhistischen Zeitrechnung konnte da
nichts passieren, denn es gab noch kein Christentum. Es gibt allerdings – wie
im ersten Vortrag erwähnt – Legenden, die von einem Einfluß von BuddhaSchülern auf Jesus erzählen. – In den nächsten 19 Jahrhunderten gab es wohl
eine Fülle von Begegnungen, aber die waren, so weit wir wissen, in der Regel
sehr einseitig: Es waren Erfahrungen von Buddhisten, die sich ungefragt Begegnung mit christlichen Missionaren unterschiedlicher Prägung ausge­setzt
sahen. Berichte darüber gibt es fast ausschließlich aus christlichen Quellen,
eine weitere Einseitigkeit.
31
Beides hängt mit den unterschiedlichen ‘Landschaften‘ zusammen, in die
Siddharta und Jesus schon hineingeboren wurden. Das Volk Israel war gesättigt mit dem, was wir heute Geschichte, Erwartung und Fortschritt nennen,
während die Welt des Siddharta eher von einem zyklischen Denken in Kreisläufen geprägt war. Diese schon vorgefundene Tradition ist einer der Gründe
dafür, warum das Christentum eine so aktive Tendenz hat, sich über die ganze
Welt auszudehnen; es versteht sich als Anwalt von Gottes Geschichte, der ja
die ganze Welt geschaffen hat.
Es gibt so schon aus dem 3. christlichen Jahrhundert eine erste Erwähnung
des Buddha in den Schriften eines Kirchenvaters, es gibt legendenhafte Berichte von Besuchen christlicher Gruppen im fernen Orient (sogar in Thailand) im ersten Jahrtausend aber erst in der Epoche der Entdeckungen und
Eroberung­en im 16. Jahrhundert ging es so richtig los.
Man kann grob zwei Richtungen unterscheiden, mit der christliche Mission
praktiziert wurde. Die eine (vorherrschende) versuchte, den Christus ‘in Rein­
kultur‘ zu predigen (und war dabei bis heute ziemlich erfolglos); die zweite
versuchte, Elemente des Buddha-Glaubens aufzunehmen, um den Menschen
eine Brücke für ihren Weg zu Christus zu bauen (Vertreter dieser Richtung
wurden von ihrer jeweiligen Zentrale meist zurückgepfiffen).
Man kann daher erst seit dem 19. Jahrhundert davon sprechen, dass eine
Begegnung im Sinne eines ‘Austauschs‘ zwischen West und Ost, zwischen
Buddhismus und Christentum stattgefunden hat, und auch der hatte und hat
seine Einseitigkeit – die religiösen Ursprünge sind ungemein prägend.
Es begann damit, dass europäische Denker damit anfingen, sich wissenschaftlich mit Indien zu beschäftigen und das Fach der ‘lndologie‘ kreierten.
In Deutschland hat es den ersten Lehrstuhl dafür in Bonn gegeben. Sein Inhaber war August Wilhelm von Schlegel, der berühmte Shakespeare-Übersetzer.
Da­nach verbreitete sich das Studium indischer Religion wirklich lawinenartig.
1881 wurde in London die ‘Pali-Text-Society‘ gegründet, um eine fundierte
Grundlage für das Studium der buddhistischen Schriften zu haben. – Auch die
wissen­schaftliche Beschäftigung mit dem Buddhismus ist also ein Produkt
des ‘christ­lichen Abendlandes’.
Der ‚christlich-buddhistische Dialog‘ ist bis heute überwiegend ein Dialog
des nicht-mehr nur-christlichen Abendlandes mit sich selbst.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Buddhismus hatte nun einen
interessanten Nebeneffekt: Eine Anzahl von Wissenschaftlern wurde vom
Gegenstand ihres Interesses so eingenommen, dass sie selbst Buddhisten wur-
32
den. Einer der bekanntesten ist der Londoner Professor Edward Conze, der
eines der populär-wissenschaftlichen Standard-Werke über den Buddhismus
geschrieben hat.
In Deutschland sind so die ersten ‘buddhistischen Gesellschaften‘ von Professoren ausgegangen, die sich wissenschaftlich und dann auch praktisch mit
ih­rem Thema befaßt haben.
Nun noch einige weitere Antworten auf die Fragen, die beim letzten Mal
gestellt wurden:
Es gibt eine ‚buddhistische Mission’ und es hat sie immer gegeben; sie war
und ist nur anders als die christliche. Ohne diese Mission gäbe es heute keinen Buddhismus mehr, denn in seinem Ursprungsland, Indien, ist er praktisch
kaum noch existent. mit Ausnahme der quasi Neugründung unter Ambedkar,
dem Vater der indischen Verfassung.
Bezogen auf westliche Länder: Es gibt eine Reihe von Klöstern, etwa in
England und Australien, die alle von ‚westlich-buddhistischen Missionaren’
begründet wurden. Acharn Sumedho, ein englischer Mönch, spielt dabei eine
besondere Rolle; von ihm geht auch die Idee aus, in der Schweiz ein Kloster
zu gründen, was – mit Schwierigkeiten – gerade geschehen ist.
In Deutschland gibt es einige ‚buddhistische Zentren’, die auf die schon
erwähnten Intellektuellen zurückgehen: In München, Hamburg und Berlin
etwa. Bei der deutschen Botschaft in Bangkok ist ein Heft mit dem Titel ‚Buddhism and Buddhist Studies in Germany’ zu erhalten, in dem die wichtigsten
Adressen stehen.
Schließlich noch einige Anmerkungen zum heutigen Dialog zwischen den
Anhängern des Christus und des Buddha:
Auf katholischer Seite brachte das 2. Vatikanische Konzil eine Art von
Durchbruch. Auf ihm wurden eine Reihe von Dokumenten zum Verhältnis
von Christentum und den großen Weltreligionen herausgebracht, in denen
eine vorsichtige Offenheit und Dialogbereitschaft ausgesprochen wird. – Auf
buddhistischer Seite sind diese Dokumente aber auch so verstan­den worden,
dass in ihnen die buddhistische Religion ‘katholiziert‘ werden soll, indem der
Buddha als eine Art Vorläufer des Christus dargestellt wird. (Vor fünf Jahren
erschien hier ein Pamphlet unter dem Titel ‚A plot to undermine Buddhism‘,
das sich gegen diese Tendenz wandte und anzeigte, dass es auch auf buddhistischer Seite ‘Grenzen der Toleranz’ gib. Generell läßt sich sagen, dass es in
Thailand durchaus Vorbehalte gegen die christliche Mission im Lande gibt,
auch wenn davon in der Öffentlichkeit wenig zu merken ist. Die historische
‘Phaulkon-Affäre’ von vor 300 Jahren, in der versucht wurde, den König Na-
33
rai und damit das ganze Land zum katholi­schen Christentum zu bekehren, ist
dabei immer noch lebendig.)
Auf evangelischer Seite ist der Dialog im wesentlichen beim Ökumenischen
Rat der Kirchen in Genf angesiedelt. Im Zusammenhang mit den großen Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung wird versucht,
diese umfassenden Fragen so zu diskutieren, dass alle Religionen mit ein­
bezogen sind.
Auf buddhistischer Seite gibt es wenig Initiativen. In Thailand ist das
Zentrum von Suan Mokkh das einzige, das den Dialog auf dem Programm
hat; geschehen ist aber bisher – außer dass westliche Ausländer zu den Meditationskursen eingeladen werden – noch wenig. Ende April diesen Jahres
soll es einen ersten direkten Dialog-Versuch geben, bei dem Buddhisten und
Christen gemeinsam nach unterschiedlichen Methoden medi­tieren. Ansonsten gibt es in buddhistischen Reformgruppen eine starke Tendenz, westliche
Einflüsse – und damit auch eine bestimmte Auswirkung christlich-abendländischer Praxis – zu kritisieren.
Und zum Abschluß dieses Exkurses noch dies: Es ist nach allem, was ich
bisher gesagt habe, typisch, wenn ich diesen Versuch, einen Dialog zwischen
Buddhismus und Christentum zustande zu bringen, im Monolog halte. Ich em­
pfinde das selbst als unbefriedigend, aber es entspricht der Situation und hat
seine Gründe in der Herkunft und der Entwicklung der beiden Religio­nen.
Zurück zum Thema Buddha und Christus:
Wenn wir uns vorzustellen versuchen, was es mit dem Buddha auf sich
hat, dann werden wir wahrscheinlich automatisch an eines der vielen
Buddha-Bildnisse denken, die wir schon gesehen haben und uns fragen,
was sie wohl bedeuten. Wir ahnen oder wissen wahrscheinlich, dass sie
ein Abbild des Siddharta Gautama sind, sondern ein Symbol, ein Zeichen, ebenso wie das Kreuz ja ein Zeichen ist für das christliche Verständnis von Erlösung.
Wir können sehen, dass sich Menschen vor den Buddha-Bildern niederwerfen, dass sie manchmal irgendwelche Handlungen tun, die oft
nach einer Art Glücksspiel aussehen. Wir sehen Leute, die Buddha-Bilder um den Hals tragen wie ein Amulett, wir sehen vieles andere mehr,
das schwierig einzuordnen ist.
Der Buddha bedeutet vielen Menschen Verschiedenes – das ist beim
Chri­stus nicht anders. Wir sollten das, denke ich, auf dem Hintergrund
des eingangs Gesagten, für ganz normal halten.
34
Ich möchte im Folgenden zwei Bedeutungen des Buddha erläutern,
zwei von sehr vielen.
Als erstes möchte ich zitieren, was der schon erwähnte englische
Mönch Sumedho geschrieben hat:
Zuflucht zu Buddha zu nehmen bedeutet nicht Zuflucht zu einer histori­schen
Persönlichkeit nehmen, sondern zu dem, was weise ist im Kosmos, was weise ist in uns selbst, was mehr Realität besitzt als alle intellektuellen Vorstellungen oder Sinneswahrnehmungen. Ohne Buddha- Weisheit wäre jegliches
Leben im Universum vollkommen unmöglich. Es ist die Buddha-Weis­heit, die
beschützt.
‘Weisheit‘ ist hier eine der Übersetzungen für ‘Dhamma‘, den zentra­len
Begriff des Buddhismus. – Und etwas weiter heißt es:
Wenn wir uns vor einer Buddha-Figur verbeugen, stellen wir uns nicht vor, sie
wäre etwas anderes als das, was sie ist: eine Figur aus Bronze. Sie ist aber ein
Symbol zur Reflektion, das uns hilft, des Buddha ein bißchen mehr gewahr zu
werden, ein Symbol, das uns die Zuflucht zu Buddha, Dhamma und Sangha in
Erinnerung rufen soll.
Die Buddha­figur sitzt friedlich und würdevoll, nicht in einem Trance-Zustand, sondern voll bewußt, mit einem Ausdruck von Güte und Wachsamkeit,
unberührbar von den sich ändernden Bedingungen um sie herum. Und obwohl es eine solche Figur aus Metall ist, während wir es mit unseren Körpern
aus Fleisch und Blut viel schwerer haben, stellt sie immer noch eine Erinnerungshilfe dar.
Manche Leute fangen an, allerlei rituelles Getue mit Buddha-Statuen zu
treiben, aber hier im Westen fand ich, dass sie in Bezug auf das Ver­ständnis
der Lehre keinerlei Probleme verursachen. Die Götzen nämlich, die wir verehren, denen wir Glauben schenken, die uns aber unentwegt täuschen und
in die Irre führen, sind in Wirklichkeit unsere Gedanken, Ansichten und Meinungen Vorlieben und Abneigungen, unsere Einbildung und unser Stolz.
Das ist eine aufgeklärte Interpretation, ein Glaubensbekenntnis zum
Buddha in einer uns verständlichen Sprache: Die Buddha-Figur als Erinnerungshilfe an die Weisheit, die überall vorborgen ist, und die durch das
Zuflucht-Nehmen zum Buddha vielleicht in einem wachsen, aus einem
herausgelockt werden kann. Der Erleuchtete ver­hilft zum Durchblick auf
den Dhamma, die Wahrheit.
35
Wahrscheinlich denken die meisten Buddhisten, die wir hier in Thailand beobachten können anders, aber vielleicht steckt auch in ihrer Andacht ein wenig von dem, was hier ausgedrückt wurde und nicht nur
– wie auch ich vermute – oft nur der reine Aberglaube
Ich möchte mich nun als zweites einer zweiten Bedeutung des Buddha
zuwenden, von der ich meine, dass sie für das Verständnis Thailands
besonders wichtig ist. Ich habe sie auch deshalb unter vielen anderen
Deutungen ausgewählt, weil sie für den einen oder anderen von uns von
einem praktischen Nähr- und Erkenntniswert sein kann.
In jeder Provinz dieses Landes, habe ich mir sagen lassen, gibt es eine
besondere Buddha-Figur, die dort steht, wo der jeweilige Gouverneur
seinen Sitz hat. Dieser Buddha ist dort geweiht in Gegenwart des Königs
und eines anderen Mitglieds der königlichen Familie. Dieser Buddha,
so wird weiter gesagt, ist vom König selbst entworfen. Er repräsentiert
also den König und damit die Zugehörigkeit dieser Provinz zum Ganzen
Thailands.
Weiter: Wir alle haben mindestens einmal einen Blick auf den Eme­
rald-Buddha im Wat Phra Kaeo im Königspalast Bangkoks geworfen,
diesen ‚wertvollsten’ Buddha des Landes. Sein Wert liegt nicht in dem
kostbaren Material, aus dem er gemacht ist (der Materialwert des Buddha
im Wat Trimitr ist sicher höher), sondern weil dieser Buddha auf Grund
seiner Geschichte sowohl der Königs- als auch der National-Buddha
dieses Landes ist, der besondere Beschützer Thailands. Vor diesem Buddha finden wichtige Zeremonien statt, die nur der König ausüben kann,
wie etwa das ‚Kleiderwechseln’ zum Beginn der drei thailändischen
Jahreszeiten. Dieser Buddha garantiert den Bestand der jetzigen ChakriDynastie und da­mit der Bangkok-Periode der thailändischen Geschichte
(„Ratanakonosin Ära“, begonnen mit und so genannt von Rama I, heißt
„Ära des Emerald Buddha“).
Schließlich: Bei großen buddhistischen Festtagen, wie kürzlich zu
Makha Bucha, wird es mindestens eine große Zeremonie geben, bei der
viel Volk und ein Mitglied der königlichen Familie dabei ist. An den
letzten Malen, an denen ich in die Zeitung geschaut habe, war das in Buddhamonton (auf dem Weg nach Nakhon Pathom, wo es einen großen Buddha-Park gibt) und dabei war die Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn.
Moral: Der Buddha ist für Thailand ein in höchstem Maße staatstragendes Symbol. Er hat eine sehr enge Beziehung zum König und seiner
Familie und gleichzeitig zur Nation als Ganzer. Und König, Nation, Buddhismus sind ja die drei Säulen, auf denen die Legiti­mation des Staates
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Thailand ruhen, und gleichzeitig die drei Tabus, die nicht kritisch hinterfragt werden dürfen.
Die Gründe, warum diese drei ‘Säulen‘ so wichtig sind, wird von uns
Farangs (vom Wort „Franken“ abgeleitete thailändische Bezeichnung für
westliche Ausländer) kaum richtig verstanden, weil wir es weitgehend
verlernt haben, in Symbolen zu denken und meinen, die wichtigsten Dinge des Lebens ließen sich rational erfassen. Ich möchte daher versuchen,
diesen Zusammenhang, der zwischen den drei essentials Thailands besteht, noch etwas näher erläutern.
Ich fange mit dem Begriff aus dieser thailändischen ‘Dreieinigkeit‘ an,
der uns wahrscheinlich am ehesten einleuchtet: Die Einheit der Nation
ist unverletzlich; wer sie gefährdet, gefährdet den Staat. Dieser Einheitsgedanke ist nicht selbstverständlich: Im Süden leben Malaien, die zudem
noch Mos­lems sind; der Isarn hat größtenteils ein laotisches Selbstverständnis, in den nördlichen Provinzen leben auch ohne die Bergstämme
viele Leute, die keine ethnischen Thais sind. – Es ist daher nötig, dass die
Einheit der Nation legitimiert, gerechtfertigt wird. Diese Aufgabe hat der
König, genauer, das Königshaus der Chakri-Dynastie (im Kino und bei
anderen öffentlichen Anlässen wird die Königs-, nicht die Nationalhymne ge­spielt). Die Königsfamilie ‘garantiert‘, dass es gut ist, zur thailändischen Nation zu gehören. Dafür ist es aber wieder notwenig, dass der
König ‘gut‘ ist und das vermittelt seine Beziehung zum Buddhismus, die
im Buddha-Bild anschaulich wird.
Ich möchte dazu noch einmal zitieren:
Gemäß der buddhistischen Über­zeugung kann ein Königreich oder ein Land.
nicht ohne einen König oder einen Herrscher überleben, weil es sonst nackt
wäre. Warum? Wegen der Begierden der Menschen (pali: tanha) und der Wurzeln schlechter Handlungen (akusamlamula).
Die Quelle dieses Zitats, das Buch ‘Buddhism in Thai Life‘ ist sicher
kein wissenschaftliches Werk, aber es gibt m.E. die Grundlage des buddhistischen Gesellschaftsmodells genau wieder. Selbst der aufgeklärte
‘Reformmönch’ Buddhadasa kann sich als ideale Regierungsform seines
Lan­des eine Art ‚Dhamma-Diktatur‘ vorstellen, d.h. die Regierung durch
eine Person (König oder Führer), der dem Dhamma verpflichtet ist und
daher ‚gut’ regiert.
Die Logik ist: Weil der normale Mensch die volle Wahrheit nicht erkennt und somit nach dem Falschen strebt (das wird das nächste Mal
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noch näher ausgeführt), braucht er einen guten, weisen und auch starken
Führer für sich selbst und die anderen.
Der König bzw. der/die Herrscher sind also Vertreter des Dhamma, das
sich in der Gestalt des Buddha verbildlicht. Sie sind dem Dhamma aber
unterworfen – ein König/Herrscher muß die ‘10 königlichen Tugenden‘
erfüllen. Tut er‘s nicht, kann er gestürzt werden.
Mit Hilfe dieses hierarchischen buddhistischen Gesellschaftsmodells
läßt sich nun einiges, wenn auch nicht voll erklären, so doch besser verstehen: Die Stabilität dieses Landes trotz vieler Krisen und Konflikte
wird begreifbar, aber auch eine mögliche tief greifende Krise der Zukunft. Sollte nach dem Ende der Regierungszeit des jetzigen Königs,
dessen Verehrung vor allem darin begründet ist, dass er sich als ein ‚tugendhafter‘ König erwiesen hat, der Kronprinz vom Kronrat gewählt
werden, ist eine heftige Legitimationskrise des Landes wahrscheinlich.
Jeder weiß, und keiner darf darüber laut sprechen, dass der Prinz eben
nicht so tugendhaft ist.
Weiter ist das skizzierte Modell auch hilfreich für das Verständnis von
Vorgängen in den anderen Ländern des Therawada-Buddhismus (nur
in diesen ist es anwendbar): Die buddhistische Mönchs-Gemeinde Sri
Lankas ist auch deswegen teilweise so militant-nationalistisch, weil aus
ihrer Sicht die Eigenständigkeit der (hinduistischen) Tamilen der Insel
die singhalesisch-budd­histische Seele rauben würde. – Und Birma leidet
darunter, dass es so schwer ist, einen wirklich ‘guten‘ Führer zu finden.
– Schließlich: Es wird einleuchtend, warum Thailand und andere Länder
der Region mit der Demokratie in unserem Sinne so viele Schwierigkeiten haben. Für ein egalitäres Denken fehlen in der Tradition die Voraussetzungen.
Wenn wir nun versuchen, von unserem thailändischen Standort aus die
Lawine des Buddhismus, der wir hier begegnen, zurück zu verfolgen,
stellen wir fest, dass der Buddhismus in den Therawada-Ländern immer so etwas wie die Staatsreligion gewesen ist. Der Erleuchtete hat das
Licht seiner Weisheit also immer ‘von oben her’ scheinen lassen oder
er leuchtete gar nicht, wie in Indien nach dem Sieg der hinduistischen
Restauration.
Einen Ursprung für diese merkwürdige Nähe von Buddha und König
findet sich in der Gestalt des großen indischen Königs Asoka, der im 3.
vorchristlichen Jahrhundert lebte, und nach dem die Soi 21 der Sukhumvit Road in Bangkok benannt ist. Dieser König, der dankenswerterweise
eine Menge von in Stein gehauenen Inschriften hinterlassen hat, so dass
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man über ihn gut Bescheid weiß, hat Buddha zum ‚Schutzpatron‘ seines
Großreiches und den Buddhismus so zum ersten Mal zur Staatsreligion
erhoben.
Die Legende berichtet, dass sich Asoka zum Buddhismus bekehrt habe,
nachdem die Grausamkeiten, mit denen er sein Reich zusammengeprügelt hatte, satt hatte, und diese Legende rührt von einer seiner Felseninschriften her. Moderne Forscher sehen das – auch, beide Deutungen sind
kein Widerspruch – umgekehrt, nämlich dass Asoka den Buddhismus
bekehrt hat, indem er ihn benutzte, um seinen Staat auf eine neue und
geeignete Legitimationsgrundlage zu stellen. Dafür eignete sich die auf
Gewaltlosigkeit zielende (also ‚unpolitische‘) und ethisch-sittlich anspruchsvolle Lehre des Bud­dha, um den Reichsfrieden zu erhalten.
Ähnlich ist es dem Christus ergangen, den Kaiser Konstantin (der
Große) als ebenfalls neuen geistlichen Herrn seines römischen Reiches
einführte. Auch dieser Christus mit seiner un- bzw. überpolitischen Lehre eig­nete sich als neues Symbol eines neuen Staatswesens.
Damit legt sich eine arg ketzerische Teil-Antwort auf eine Frage vom
letzten Mal nahe: warum denn ausgerechnet Siddharta und Jesus zu ‚Religionsstiftern‘ geworden sind und nicht etwa Johannes der Täufer oder
der Begründer des Jainismus: die Lehren von diesen beiden waren attraktiv neu und reformerisch und paßten als religiöser Kitt in eine bestimmte
welthistorische Landschaft. Aber noch einmal: Das ist natürlich nur eine
etwas provokante Teil-Antwort.
In der Zeit des Königs Asoka wurde aber auch der Keim gelegt zu der
Aufspaltung der Lehre des Buddha in die beiden großen Schulen – und
auch Konstantins Einheitsbestrebungen brachten Spaltung hervor. In beiden Fällen spielte – aus unterschiedlichen Motiven – der Protest gegen
eine Bevormundung mit. Die ‘Bekehrung‘ des Buddha und des Christus
zu Legitimationst­rägern eines Staatswesens war gleichzeitig die Stunde
der Reformatoren – bis heute hin.
Versuchen wir nun noch weiter zurück zu gehen hinter die Zeit des
Asoka bzw. weiter hinaufzusteigen ins ‘Gebirge der Weisheit‘, dorthin,
wo sich der Buddha und der historische Siddharta treffen, dann läßt sich
vielleicht dies sagen:
Von Anfang, und zurückreichend in das Leben des ‘historischen Buddha‘ findet sich der beim letzten Mal schon erwähnte elitäre Grundzug
des Buddhismus, der sich u.a. in der Trennung zwischen Mönchen und
Laien ausdrückt. Die Mönchsgemeinde als die ‘eigentliche‘ Gemeinde
hat Hilfe nötig, oder zugespitzt gesagt: Der Buddha, zu dem man seine
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Zuflucht nimmt, um aus der Welt erlöst zu werden, braucht selbst eine
Zuflucht, damit seine Botschaft in dieser Welt weiter getragen werden
kann. – Und genau gegen dies elitäre und zugleich stützungsbedürftige
Dreigestirn von Buddha/Dhamma/Sangha wendete sich der Protest, der
dann zur Etablierung des ‘Großen Fahrzeugs‘ führte. Er ist im Kern eine
Gegenbewegung, in der sich der elitäre Grundzug so individualisiert erhalten hat, wie es dem ‘Testament‘ des Siddharta entspricht: Nimm deine
Zuflucht nur zu dir selbst und zur Lehre (dem Dhamma). – Am Zen-Buddhismus ist dies heu­te am besten zu sehen.
Nun noch einige – vergleichsweise kurze – Anmerkungen zu der Frage, wie ‚der Christus’ von den Christen verstanden wird. Auch auf diese
Frage gibt es natürlich ganz unterschiedliche Antworten.
In der katholischen Tradition ist die Sache im Prinzip einfach gelöst:
Der Glaubende erhält Anteil am Erlösungswerk Christi durch die Teilnahme an der Heiligen Kommunion. Die richtige und gültige Verwaltung
dieses Geheimnisses wird durch den ‚katholischen Sangha‘ garantiert,
an deren Spitze der Papst steht, der wiederum über Petrus seine Autorität
von Jesus selbst herleitet. (Näheres dazu im 4. Vortrag)
Unter diesem Gesichtspunkt könnte man den Katholizismus als die
‘Therawada-Form’ des Christentums bezeichnen und die verschiedenen
protestantischen Formen als Spielarten eines ‚Mahayana-Christentums‘
in dem die Laien einen direkten Zugang zur Erlösung haben (Stichwort:
Priestertum aller Gläubigen).
Am deutlichsten sichtbar ist diese zweite Form in jenen Gruppen, die
eine ‘persönliche Begegnung’ mit Christus in Gestalt einer BekehrungsErfahrung propagieren. Diese Richtung hat ihr gegenwärtiges Zentrum
in den Vereinigten Staaten, von wo aus massiv u.a. auch in Richtung
Asien missioniert wird.
Durch alle die verschiedenen Ausprägungen der Aneignung des Christus zieht sich ein soziales Motiv: Die Erlösung muß mit anderen geteilt
werden, vom ‘Reich Gottes’, das Christus gelebt hat, ist auf Erden etwas
sichtbar zu machen. Der Begriff ‚Nächstenliebe‘ ist zu einer Art Markenzeichen des Christentums geworden.
Als karitative Unterstützung der ‘Armen‘ ist dies Grundmotiv in den
Breiten, aus denen wir kommen, so etwas wie die ‚herrschende Form’ des
Christentums geworden. Man spendet, gibt ab, adoptiert arme Kinder,
übernimmt Patenschaften, leistet Entwicklungshilfe usw. – Daneben und
oft dagegen gibt es die ‚sozial-revolutionäre’ Variante, wie sie etwa in
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der ‚Theologie der Befreiung‘ (in Südamerika und in einem katholischen
Kontext entstanden) vertreten wird: Christus wird dort erfahren, wo die
Erlösung auch die Befreiung von Ungerechtigkeit, politischer Unterdrückung und der Verletzung der Menschenrechte mit einschließt.
Hinter diesen beiden Varianten steht das Bild einer ‘idealen Gemeinschaft’ hier auf Erden. Beschrieben ist sie etwa vom Evangelisten Lukas
am Anfang seiner Apostelgeschichte:
Die ganze Gemeinde blieb ständig zusammen; die Christen ließen sich von
den Aposteln unterweisen und teilten alles miteinander, feierten das Mahl des
Herrn und beteten gemeinsam. Durch die Apostel geschahen viele wunderbare
Taten, und jedermann in Jerusalem spürte, dass hier wirklich Gott am Werk
war. Alle, die zum Glauben gekommen waren, taten ihren ganzen Besitz zusammen. Wenn sie etwas brauchten, verkauften sie Grundstücke und Wertgegenstände und verteilten den Erlös unter den Bedürftigen der Gemeinde. Tag
für Tag versammelten sie sich im Tempel, und in ihren Häusern feierten sie in
jubelnder Freude und mit reinem Herzen das gemeinsame Mahl. Sie priesen
Gott und wurden vom ganzen Volk geachtet. Der Herr führte ihnen jeden Tag
weitere Menschen zu, die er retten wollte. (Apostelgeschichte 2,42-47)
Diese Darstellung ist zweifellos idealisiert. Aber sie spiegelt einen zentralen Punkt der Lehre des ‚historischen Jesus‘ wieder, der sich etwa in
dem Satz „Selig sind die Armen“ ausdrückt. Das ‘arm‘ ist dabei umfassend gemeint, materiell wie geistlich.
Der Christus ist dazu da, auf diese – verlorene – Einheit aufmerksam
zu machen so wie es der Buddha auch tut. Beide stehen auf verschiedene
Art und Weise dafür, dass Erlösung etwas Umfassendes ist, das die Welt
mit einschließt und damit ihre als leidvoll erfahrene Seite überwindet.
Die Gemeinsamkeit und die Verschiedenheit von Buddha und Christus
läßt sich wohl am besten an den zwei Bildern verdeutlichen, die den. Tod
der beiden ‘Religionsstifter‘ darstellen.
Da ist einmal der ‘liegende Buddha‘, wie er hier in Bangkok etwa im Wat
Po zu sehen ist. Er ist gerade dabei, ins endgültige Nibbana überzu­gehen,
ein im Tode vollkommen entspannter, erlöster und gelöster Mensch, der
alles Irdische hinter sich gelassen hat und Ruhe und Frieden aus­strahlt.
Er verlockt dazu, es ihm gleich zu tun, selbst erlöst zu werden.
Auch in seinen anderen ‘Posen‘ ist der Buddha zuerst der Erlöste, der
den richtigen Weg gefunden hat. Die Erinnerung an ihn macht Mut, diesen Weg selbst zu gehen. Der Buddha ist also gewissermaßen so etwas
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wie ein Katalysator, der etwas verändert, ohne sich ‘selbst‘ zu verändern.
Ver­änderung wird bewirkt, wenn sich jemand an die Lehre hält, die un­
veränderlich wahr ist und die einer nur für sich finden muß.
Das andere Todesbild ist das des Jesus am Kreuz, der dadurch zum
Christus wird, dass er den Tod durchleidet. Auch hier geht es um Erlösung, aber eben anders. Der Jesus am Kreuz führt das ganze irdischgrausame Leid der Welt vor Augen und ruft damit zur Aktivität auf, um
in seinen Fußspuren das Leiden zu bekämpfen. ‘Christus lebt‘, sagen
Christen und meinen damit, dass sie den Beistand ihres Erlösers ständig
nötig haben. Und: Christus begegnet uns in jedem Leidenden persönlich
(Matthäus 25,31ff).
Beide Bilder sind allerdings im Hinblick auf ihren ‚Glaubensgegenstand’ unvollständig: Der Buddha hatte einen langen, schweren und leidvollen Weg bis zur Erlösung (die Buddha-Legende berichtet davon zur
‘Erbauung‘ der Gläubigen ausführlich); und der Christus war ein glücklicher ‘er­löster‘ Mensch, bevor er in den Tod ging.
Insofern können sich die beiden Bilder ergänzen: Sie zeigen das Ziel
der Erlösung (der Buddha) und ihren Anfang (das Leiden am Kreuz).
Anfang und Ziel bedingen einander: Nur einer, der von der Befreiung
schon angerührt worden ist, kann dem Leiden wirksam entgegentreten;
und seine Erlösung kann nur erreichen, wer dabei nicht nur sich selbst im
Blick hat, sondern das Leid um sich herum mit berücksichtigt.
An diesem Punkt der Überlegungen ist die Schwelle zum Predigen,
Meditieren oder Beten erreicht. Dafür ist hier und heute weder die nötige
Zeit noch der passende Ort.
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3
: Dhamma und Gott
Mit diesem Thema befinden wir uns, wie an den beiden vorigen Abenden
schon angedeutet, im Zentrum der buddhistischen Lehre. Die Gegenüberstellung von ‘Dhamma‘ und ‘Gott‘ mag auf den ersten Blick arg willkürlich erscheinen, denn unter ‘Gott’ stellen wir uns ja eine Person vor
und ‘Dhamma‘ ist eine Sache. Und in der Tat ist dieser Vergleich durchaus auch schief, und das nicht nur wegen der unterschiedlichen Stellung
der beiden ‚Glaubensgegenstände’ in dem jeweiligen Glaubensbekenntnis. Ich hoffe, dass im Laufe dieses Abends trotzdem die Berechtigung
dieser Parallel-Setzung ein wenig klarer wird. Als eine erste Rechtfertigung möchte ich Buddhadasa zitieren, den Mönchs-Gelehrten aus Suan
Mokkh, von dem in den beiden ersten Vorträgen schon kurz die Rede war
und dessen Interpretation des Dhamma heute noch ausführlicher zu Wort
kommen wird. Buddhadasa sagt im Blick auf uns Farangs („Westler“ in
Thailand), dass Dhamma so etwas wie der ‘Gott der Buddhisten‘ sei. Das
ist als eine Verstehenshilfe gemeint, nicht als eine absolute Gleichsetzung, und so hoffe ich, dass uns die Gegenüberstellung hilft, durch den
Vergleich beide Begriffe besser zu verstehen.
Ich werde dann heute weiter versuchen, einiges aus der Diskussion
vom letzten Mal mit einzubeziehen und die Stichworte ‘Leiden‘, ‘Erlösung‘ und ‘Sünde‘ in das Oberthema einzuordnen.
Das alles wird nicht so ganz einfach werden, wie immer, wenn es um
den ‚Kern einer Sache‘ geht. Und deshalb möchte ich in zwei Schritten
vorgehen, um zu diesem Kern durch die verschiedenen Schalen von Vorverständnissen, Vorurteilen und anderen natürlichen Hindernissen vorzu­
dringen.
Im ersten Anlauf möchte ich ein Problem besprechen, das mit der Sprache zu tun hat, die wir verwenden, wenn wir über unser Thema sprechen. Mir ist es beim letzten Mal aufgefallen, dass es für mich manchmal
etwas schwierig war, auf alles so sachgerecht einzugehen wie ich das
gerne getan hätte‚ weil da auf so vielen verschiedenen Sprachebenen
gespro­chen wurde, die ich nicht auf einmal auseinandersortieren könnte.
Ich werde da zur Klärung einen Vorschlag zur ‘Sprachregelung‘ (nicht
Sprachreglementierung!) unterbreiten, der uns allen da vielleicht ein we-
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