Literatur kommentiert Strahlenther Onkol 2013 · 189:980–981 DOI 10.1007/s00066-013-0455-6 Online publiziert: 25 November 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Originalbeitrag Amant F, Minckwitz G von, Han S et al (2013) Prognosis of women with primary breast cancer diagnosed during pregnancy: results from an international collaborative study. J Clin Oncol 31:2532–2539 Fragestellung. Die Studie untersucht, ob Frauen, bei denen in der Schwangerschaft ein Brustkrebs diagnostiziert wird (BCP), eine schlechtere Prognose haben. Patienten und Methoden. In dieser Kohortenstudie mit den Daten aus der Datenbank bzw. Datenregistrierung (Cancer in pregnancy, Leuven, Belgium; GBG 29/BIG 02–03) erfolgte ein Vergleich der Prognose von BCP-Patientinnen, die jünger als 45 Jahre waren, mit nichtschwangeren Patientinnen. Sie waren zwischen 2003 und 2011 behandelt worden. Die Endpunkte waren das krankheitsfreie (DFS) und das Gesamtüberleben (OS). Die Analyse erfolgte mit einer Cox-Proportional-Hazards-Regression, adjustiert nach Alter, Stadium, Grading, Hormonrezeptorstatus, Her2neu-Status, Histologie, Art der Chemotherapie inkl. Trastuzumab, Radiotherapie und endokriner Therapie. Ergebnisse. Herangezogen wurden 447 Frauen mit einem in der Schwangerschaft diagnostizierten Mammakarzinom, größtenteils aus Deutschland und Belgien, von denen 311 (69,6%) für eine Auswertung geeignet waren. Die Gruppe mit nichtschwangeren Patientinnen beinhaltete 865 Frauen. Das mediane Alter war 33 Jahre bei den Schwangeren und 41 Jahre bei den Nichtschwangeren. Die media- 980 | Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 W. Harms Radioonkologie, St. Claraspital, Basel Prognose für schwangere Frauen mit einem primären Mammakarzinom ne Nachbeobachtungszeit betrug 61 Monate. Die Hazard Ratio (HR) verbunden mit einer Schwangerschaft war 1,34 (95%KI 0,93–1,91; p=0,14) für das DFS und 1,19 (95%-KI 0,73–1,93; p=0,51) für das OS. Mit Hilfe der Cox-Regression wurde geschätzt, dass das 5-Jahres-DFS mit 65% für Schwangere im Vergleich mit 71% bei den Nichtschwangeren betragen hätte. Entsprechend wäre das 5-Jahres-OS mit 78% gegenüber 81% schlechter gewesen. Schlussfolgerung der Autoren. Das Gesamtüberleben von schwangeren Patientinnen mit Brustkrebs ist vergleichbar mit dem nichtschwangerer Patientinnen mit einem primären Mammakarzinom. Diese Kenntnis ist wichtig für die Beratung von schwangeren Patientinnen und rechtfertigt es, sowohl die Schwangerschaft fortzuführen, als auch die Behandlung des Karzinoms einzuleiten Kommentar Die Studie von Amant et al. [1] ist ein wichtiger Beitrag zur Prognose von Schwangeren mit einem neu aufgetretenen Mammakarzinom und zur Frage, ob die Schwangerschaft dennoch weitergeführt und trotzdem schon die Behandlung eingeleitet werden darf. Es handelt sich um eine retrospektive Analyse, für die Daten aus verschiedenen Krankenhäusern und Ländern zusammengeführt wurden. Das Vergleichskollektiv stammte dahingegen aus einem einzigen Krankenhaus. Prinzipiell gelten daher die von retrospektiven Studien bekannten Limitationen bezüglich ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft. Der größte Unterschied zwischen den beiden Kollektiven war das Alter. Hierfür und für weitere Einflussfaktoren erfolgte eine statistische Adjustierung. Zusätzlich waren auch die Therapieergebnisse im Ländervergleich ganz inhomogen: Während sich nämlich das OS in den beiden Kollektiven aus Deutschland und Belgien identisch darstellte, waren die diesbezüglichen Daten in den anderen Ländern für die Schwangeren deutlich schlechter. Immerhin handelt es sich aber um die bisher größte publizierte Studie zu diesem Thema, und es lassen sich folgende Konsequenzen für die praktische klinische Tätigkeit ableiten: 1.Während der Schwangerschaft zeigen sich zwar für Östrogene, Progesteron und den ILGF („insulin ­like growth factor“) signifikant erhöhte Konzentrationen, Hormone also, die einen großen Einfluss auf die Entwicklung und Progression von Mammakarzinomen ausüben. Dennoch zeigte sich in der hier kommentierten Studie kein signifikanter Effekt eines BCP auf das DFS und OS. Entgegen der landläufigen Meinung haben somit Frauen mit einem primären Mammakarzinom, das während der Schwangerschaft entdeckt wird, keine schlechtere Prognose als nichtschwangere Mammakarzinompatientinnen. Die hängt auch hier zunächst vom Tumortyp, vom Grading, Stadium und weiteren prognostischen Faktoren ab. Dieser Punkt ist wichtig für die Beratung der Frauen und ihre individuelleTherapieplanung. 2.Aktuell sollte das onkologische Behandlungskonzept aus der chirurgischen Therapie und, falls indiziert, aus einer Chemotherapie bestehen. Eine Chemotherapie kann im 2. und 3. Schwangerschaftsdrittel mit einem vertretbaren Risiko für den Fötus appliziert werden [2, 3, 4]. Trotz einer möglicherweise veränderten Pharmakokinetik mit geringeren Wirkstoffkonzentrationen im Brustdrüsengewebe sollte die Chemotherapie bis zum Vorliegen weiterer Erkenntnisse klassisch auf die Körperoberfläche dosiert werden. Eine Modifikation der Standarddosierungen wird nicht empfohlen. Eine endokrine Therapie und Trastuzumab sind aber während der Schwangerschaft kontraindiziert [5]. 3.Entgegen landläufiger Meinung besteht für eine Radiotherapie keine prinzipielle Kontraindikation. Ihr Einsatz hängt ebenso vom Alter des Föten ab, wie die Indikation zur Chemotherapie, aber auch und vor allem von der Wahl des Zielvolumens. Hierzu gibt es viele Fallbeispiele, konklusive Daten aus kontrollierten Studien fehlen bisher aber naturgemäß. Wolfgang Harms, Basel Korrespondenzadresse Prof. Dr. W. Harms Radioonkologie, St. Claraspital Kleinriehenstr. 30, 4016 Basel Schweiz [email protected] Conflict of interest. W. Harms states that there is no conflict of interest. Literatur 1. Amant F, Minckwitz G von, Han S et al (2013) Prognosis of women with primary breast cancer diagnosed during pregnancy: results from an international collaborative study. J Clin Oncol 31:2532– 2539 2. Cardonick E, Iacobucci A (2004) Use of chemo­ therapy during human pregnancy. Lancet Oncol 5:283–291 3. Amant F, Loibl S, Neven P et al (2012) Breast cancer in pregnancy. Lancet 379:570–579 4. Amant F, Van Calsteren K, Halaska MJ et al (2012) Long-term cognitive and cardiac outcomes after prenatal exposure to chemotherapy in children aged 18 months or older: an observational study. Lancet Oncol 13:256–264 5. Sautter-Bihl ML, Budach W, Dunst J et al (2007) DEGRO practical guidelines for radiotherapy of breast cancer I: breast-conserving therapy. Strahlenther Onkol 183:661–666 Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 | 981 Literatur kommentiert Strahlenther Onkol 2013 · 189:982–983 DOI 10.1007/s00066-013-0448-5 Online publiziert: 3. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Originalbeitrag Glynne-Jones R, Meadows HM et al (2013) Mitomycin or cisplatin chemoradiation with or without maintenance chemotherapy for treatment of squamous-cell carcinoma of the anus (ACT II): a randomised, phase 3, open-label, 2×2 factorial trial. Lancet Oncol 14:516–524 Hintergrund. Seit Publikation der UKCCCR- und der EORTC-Studien [2, 3] Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die beide die definitive Radiotherapie (RT) mit der Mitomycin/FU-basierten Radiochemotherapie (RCT) verglichen, stellt Letztere die Standardbehandlung des Analkarzinoms dar. Die hier zu diskutierende Studie [6] stellt gleich zwei Fragen, nämlich die nach dem Stellenwert von Cisplatin/FU-basierter RCT und die nach dem Wert einer Erhaltungschemotherapie mit Cisplatin/FU. Patienten und Methoden. Patienten mit einem nichtfernmetastasierten Analkarzinom wurden aus insgesamt 59 britischen Zentren in eine der 4 Behandlungsarme zur Radiochemotherapie (RCT) mit und ohne Erhaltungschemotherapie randomisiert. Arm 1: RCT mit Mitomycin (12 mg/ m2 Tag 1), FU (1 g/m2/g an den Tagen 1–4 und 29–32), Radiotherapie bis 50,4 Gy; Arm 2: RCT mit Cisplatin (60 mg/m2, Tag 1 und 29), FU (1 g/m2/g an den Tagen 1–4 und 29–32), Radiotherapie bis 50,4 Gy; Arm 3: RCT wie Arm 1, jedoch zusätzlich 2 Zyklen Erhaltungschemothe- 982 | Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 G.G. Grabenbauer Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Klinikum Coburg RCT mit 5-FU und Mitomycin C mit 28 Fraktionen á 1,8 Gy einer externen Strahlentherapie bleibt Behandlungsstandard beim Analkarzinom rapie (Cisplatin/FU, Woche 11 und 14); Arm 4: RCT wie Arm 2, jedoch zusätzlich 2 Zyklen Erhaltungschemotherapie (Cisplatin/FU, Woche 11 und 14). Die primären Endpunkte der Studie waren die komplette Remission nach 26 Wochen und die akute Toxizität (für die zwei Arme der simultanen RCT) sowie das progressionsfreie Überleben (für die Frage der Erhaltungschemotherapie). Schlussfolgerung der Autoren. Die RCT mit 5-FU und Mitomycin C zusammen mit 28 Fraktionen zu 1,8 Gy (Gesamtdosis 50,4 Gy) sollte der Behandlungsstandard des Analkarzinoms bleiben. Ergebnisse. Insgesamt wurden 940 Patienten eingeschlossen, nämlich 472 Patienten für die RCT mit ­Mitomycin ­C/ FU; davon erhielten 246 eine Erhaltungschemotherapie mit Cisplatin/FU, 222 dagegen keine Erhaltungschemotherapie. Der simultanen RCT mit Cisplatin/FU wurden 468 Patienten zugeordnet, davon wiederum 222 für die zusätzliche Erhaltungschemotherapie randomisiert, 246 dagegen nicht. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren betrug die komplette Remissionsrate nach 26 Wochen 90,5 % in der Mitomycin-CRCT-Gruppe und 89,6 % in der Cisplatin-RCT-Gruppe (p = 0,64). Die progressionsfreie Überlebensrate nach 3 Jahren war 74 % vs. 73 % für die Patientengruppen mit und ohne Erhaltungschemotherapie (p = 0,70). Die Rate an akuter, therapiebedingter Toxizität (Grad 3–4) war im Vergleich zwischen mitomycin- und cis­ platinbasierter RCT ähnlich: Hauttoxizität (48 % vs. 47 %), Schmerzen (26 % vs. 29 %), hämatologische Toxizität (26 % vs. 16 %) und gastrointestinale Toxizität (16 % vs. 18 %). Die erste Studie (RTOG 89–11), welche die Frage nach einer etwaigen Verbesserung der krankheitsfreien Überlebensrate durch eine RCT mit Cisplatin/FU stellte [1], war noch mit dem „Makel“ behaftet, eine unangemessen lange Behandlungszeit zu haben, nicht zuletzt infolge einer obligaten Induktionschemotherapie. So waren seinerzeit die Ergebnisse nach RCT mit Cisplatin/FU im Vergleich zur Standard-RCT tatsächlich noch schlechter: Das krankheitsfreie Überleben und das Gesamtüberleben blieben mit 58% vs. 68% (p=0,006) bzw. 71% vs. 78% (p=0,026) deutlich hinter den Resultaten nach Standard-RCT zurück [5]. Die hier zu diskutierende ACT-II-Studie scheint, obgleich nicht als Äquivalenzstudie ausgelegt, am ehesten die Gleichwertigkeit beider Regime für den Endpunkt „komplette Remission nach 6 Monaten“ zu zeigen. Für eine Verbesserung der krankheitsfreien Überlebensrate durch eine Erhaltungschemotherapie mit Cisplatin/FU gibt es indes keine Anhaltspunkte. Die ACT-IIStudie ist bislang die erste und einzige Studie, die diese Frage untersuchte, noch da- Kommentar Warum immer nur „negative“ Studien zu Cisplatin/FU? zu im statistisch ungeliebten „2×2 factorial design“. Die Resultate dieser Studie gelten nämlich nur dann als valide, wenn es keinerlei Interaktion zwischen den Vergleichsgruppen der Radiochemotherapie und der Erhaltungschemotherapie gibt, für mich, als mit der Statistik nicht so versierter Mediziner, unverständlich. Überraschend gut sind die absoluten progressionsfreien Überlebensraten nach 3 Jahren in dieser Studie mit knapp 75%, zumal die Autoren angeben, dass überwiegend nichtspezialisierte Institutionen zur Patientenrekrutierung beitrugen und daher mithin von einem unselektionierten Patientengut auszugehen sei. Die französische ACCORD-03-Studie, welche ausschließlich ein Cisplatin/FU-basiertes RCT-Regime mit und ohne Induktionschemotherapie untersuchte, kann im intensivierten Arm mit 45 Gy plus 20–25 Gy Boost (allerdings nach 3 Wochen Pause) nicht mit einem besseren Resultat aufwarten [7]. Fazit Gibt es dennoch Problempatienten, die von einer Intensivierung der Behandlung profitieren könnten? Conflict of interest. G.G. Grabenbauer states that there is no conflict of interest. Die Autoren geben an, dass Patienten mit T3- und T4-Tumoren und solche mit nodalem Befall in dieser Studie mit 63% eine deutlich schlechtere 3-Jahres-Überlebensrate aufwiesen; dies werfe wiederum (nach Auffassung der britischen Gruppe) die Fragen der Induktionschemotherapie mit Taxanen, einer Intensivierung der Radiotherapie oder auch der Integration „bio­logischer“ Medikamente, gemeint sind EGFR-Antikörper, auf. Nach unseren eigenen Erfahrungen [4] sind insbesondere Patienten mit größeren perianalen Hautkarzinomen im Vergleich zum häufig kleineren Analkanalkarzinom Risikopatienten: hier war die krankheitsfreie Überlebensrate nach der Standard-RCT mit 54% vs. 73% sehr viel schlechter (p=0,01). Die Atzelsberg-Studiengruppe, die sich mit der klinisch-wissenschaftlichen Definition der regionalen Tiefenhyperthermie beschäftigt, wird demnächst eine Studie zur Intensivierung der RCT des Analkarzinoms durch komplementären Einsatz der Tiefenhyperthermie öffnen. Literatur FStandardbehandlung des Analkarzinoms bleibt die Mitomycin/FU-basierte Radiochemotherapie. FDie Strahlenbehandlung soll hierbei bis 50,4 Gy à 1,8 Gy erfolgen, und zwar ohne Unterbrechung. FBei Kontraindikationen für Mitomycin C kann im Einzelfall eine Cisplatin/ FU-basierte RCT erwogen werden. FDie derzeitige Evidenzlage spricht klar gegen jedwede Induktions- und Erhaltungschemotherapie. 6. James RD, Glynne-Jones R, Meadows HM et al (2013) Mitomycin or cisplatin chemoradiation with or without maintenance chemotherapy for treat­ ment of squamous-cell carcinoma of the anus (ACT II): a randomised, phase 3, open-label, 2×2 factorial trial. Lancet Oncol 14:516–524 7. Peiffert D, Tournier-Rangeard L, Gérard JP et al (2012) Induction chemotherapy and dose intensification of the radiation boost in locally ad­vanced anal canal carcinoma: final analysis of the randomized UNICANCER ACCORD 03 trial. J Clin Oncol 30:1941–1948 Gerhard Grabenbauer, Coburg Korrespondenzadresse Prof. Dr. G.G. Grabenbauer Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Klinikum Coburg Ketschendorfer Str. 33, 96450 Coburg [email protected] 1. Ajani JA, Winter KA, Gunderson LL et al (2008) Fluorouracil, mitomycin, and radiotherapy vs fluorouracil, cisplatin, and radiotherapy for carcinoma of the anal canal: a randomized controlled trial. JAMA 299:1914–1921 2. o A (1996) Epidermoid anal cancer: results from the UKCCCR randomised trial of ­radiotherapy ­alone versus radiotherapy, 5-fluorouracil, and mito­mycin. UKCCCR Anal Cancer Trial Working Party. UK Co-ordinating Committee on Cancer Research. Lancet 348:1049–1054 (No authors listed) 3. Flam M, John M, Pajak TF et al (1996) Role of mito­ mycin in combination with fluorouracil and radiotherapy, and of salvage chemoradiation in the definitive nonsurgical treatment of epidermoid carcinoma of the anal canal: results of a phase III randomized intergroup study. J Clin Oncol 14:2527– 2539 4. Grabenbauer GG, Kessler H, Matzel KE et al (2005) Tumor site predicts outcome after radiochemo­ therapy in squamous-cell carcinoma of the anal region: long-term results of 101 patients. Dis Colon Rectum 48:1742–1751 5. Gunderson LL, Winter KA, Ajani JA et al (2012) Long-term update of US GI intergroup RTOG 98-11 phase III trial for anal carcinoma: survival, re­lapse, and colostomy failure with concurrent chemoradiation involving fluorouracil/mitomycin versus fluorouracil/cisplatin. J Clin Oncol 30:4344–4351 Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 | 983 Literatur kommentiert Strahlenther Onkol 2013 · 189:984–986 DOI 10.1007/s00066-013-0446-7 Online publiziert: 10. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 C. Weiss Klinik für Strahlentherapie und Onkologie, Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt/Main Vorhersage lokoregionärer Rezidive nach radikaler Blasenentfernung von Urothelkarzinomen Eine neue Risikostratifikation Originalbeitrag Baumann BC, Guzzo TJ, He J et al (2013) A nov­el risk stratification to predict local-regional failures in urothelial carcinoma of the bladder after radical cystectomy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 85:81–88 Hintergrund. Für das Urothelkarzinom der Harnblase existieren nur wenig be­ lastbare Daten hinsichtlich der lokore­ gionären Rezidivrate nach radikaler Zyst­ ektomie einschließlich pelviner Lymph­ adenektomie, unabhängig von einer zu­ sätzlichen neoadjuvanten oder adju­ vanten Chemotherapie. Dies führt da­ zu, dass die Häufigkeit von Lokalrezidi­ ven und die daraus resultierende Proble­ matik eher unterschätzt werden. Eine zu­ sätzliche (neo-)adjuvante Strahlenthera­ pie kann u. U. die lokale Kontrolle verbes­ sern. Daher untersuchten die Autoren der hier zu kommentierenden Arbeit [1] an­ hand von an der Universität von Pennsyl­ vania zystektomierten Patienten verschie­ dene Faktoren, die ein erhöhtes Risiko für Lokalrezidive vorhersagen könnten. Ziel war es, auf diese Weise Patienten zu iden­ tifizieren, die für eine Studie zur adjuvan­ ten Strahlentherapie nach oder vor Zyst­ ektomie geeignet wären. Patienten und Methode. Von 1990 bis 2008 wurden 442 Patienten mit Urothel­ karzinomen der Harnblase zystektomiert und die regionalen Lymphknoten ent­ fernt. Zusätzlich erhielten 130 Patienten (29 %) eine Chemotherapie. Die Nachsor­ ge erfolgte prospektiv, u. a. mit 2-mal jähr­ 984 | Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 licher Computer- oder Magnetresonanz­ tomographie (CT/MRT) des Beckens. Als Lokalrezidiv wurde jeder lokoregio­ näre Rezidivnachweis vor oder binnen 3 Monaten nach Diagnose einer Fernme­ tastasierung definiert. Durch eine Analy­ se unter Einschluss konkurrierender Risi­ ken wurden Faktoren identifiziert, die das lokoregionäre Rezidivrisiko beeinflussen und präzisieren könnten. Ergebnisse. In der univariaten Analy­ se erwiesen sich das pathologische Tu­ morstadium ≥T3, < 10 entfernte Lymph­ knoten, positive Resektionsränder, befal­ lene Lymphknoten, ein Nierenstau, eine Lymphgefäßinvasion und eine gemisch­ te Histologie als signifikant für die Vor­ hersage eines lokoregionären Rezidivs. In der multivariaten Analyse blieben nur das Tumorstadium ≥T3 und < 10 entfern­ te Lymphknoten signifikant (p ≤ 0,01). Die Patienten konnten dann in 3 Gruppen mit deutlich unterschiedlichem Lokalrezidiv­ risiko aufgeteilt werden: niedriges Risi­ ko (≤T2), mittleres Risiko (≥T3 und ≥ 10 entfernte Lymphknoten) und hohes Risi­ ko (≥T3 und < 10 entfernte Lymphkno­ ten) Die entsprechenden Rezidivraten nach 5 Jahren betrugen lokal 8, 23 bzw. 42 % (p < 0,01). Schlussfolgerung der Autoren. Mit einer regelmäßigen bildgebenden Nach­ sorge können lokoregionäre Rezidive er­ fasst werden. Die Rezidivhäufigkeit von Patienten mit fortgeschrittener Erkran­ kung wurde bisher unterschätzt. Es kön­ nen Risikogruppen, basierend auf patho­ logischem Tumorstadium und der Anzahl entfernter Lymphknoten, gebildet wer­ den, die eine einfache Patientenauswahl für eine adjuvante Radiotherapie z. B. in künftige Studien ermöglichen. Kommentar In Deutschland gilt die radikale Zystekto­ mie mit pelviner Lymphadenektomie wei­ terhin als Standardtherapie des muskelin­ vasiven Harnblasenkarzinoms. Anderer­ seits bestätigen mehrere retrospektive als auch prospektive Untersuchungen einzel­ ner Zentren und auch randomisierte Stu­ dien die Effektivität einer Radiochemo­ therapie in dieser Situation. Ziel hierbei ist es, bei adäquater onkologischer Kon­ trolle eine funktionelle Harnblase zu er­ halten. In der Gegenüberstellung bei­ der Therapieansätze ergeben sich ähnli­ che Ergebnisse für die radikale Chirur­ gie und die multimodalen Therapiestra­ tegien [6, 8]. Betrachtet man jedoch nur die lokoregionär fortgeschrittenen Uro­ thelkarzinome der Harnblase, sind die Behandlungsergebnisse nach wie vor un­ befriedigend, und zwar unabhängig von der primären Behandlung. Dabei fällt auf, dass insbesondere in den operativen Se­ rien das Problem der lokoregionären Re­ zidive unterschätzt wurde, da i. d. R. Pa­ tienten mit makroskopischem und auch mikroskopischem Resttumor von der Analyse großer Zystektomieserien aus­ geschlossen wurden oder lokoregionä­ re Rezidive gar nicht erst systematisch erfasst wurden. Eine Subgruppenanaly­ se der randomisierten Southwest-Onco­ logy-Group-8710- und Intergroup-0080Studie zur neoadjuvanten Chemotherapie bei muskelinvasiven Harnblasenkarzino­ men ergab hinsichtlich der chirurgischen Einflussfaktoren, dass immerhin 33% der Patienten mit Tumoren pT3–4 noch posi­ tive Resektionsränder nach Zystektomie aufwiesen. Für diese Patienten lag das Lo­ kalrezidivrisiko bei 68% und damit mehr als 11-mal so hoch wie nach einer patho­ logisch bestätigten Komplettresektion [5]. Eine große deutsche Serie aus Ulm mit 1270 engmaschig, auch bildgebend nach­ verfolgten Patienten nach Zystektomie be­ richtet eine Gesamtrezidivrate von 38,3% nach 5 Jahren und über 44% nach 10 Jah­ ren, aber verteilt über alle Tumorstadien. Das Risiko für ein lokoregionäres Rezi­ div lag bei 20,3% nach 20 Jahren [7]. Lei­ der wurden auch hier nur die Lokalrezi­ dive erfasst, wenn sie der Ort des ersten Tumorrezidivs waren. Auch erfolgte kei­ ne differenzierte Analyse nach Tumorsta­ dium und Resektionsstatus, so dass eine abschließende Beurteilung des Lokalrezi­ divrisikos nicht möglich ist. Die hier vorgestellte Studie der Univer­ sität von Pennsylvania zeichnet nun durch ihr prospektives bildgebendes Nachsorge­ programm ein verlässlicheres Bild des tat­ sächlichen lokoregionären Rezidivrisikos [1]. In der gesamten Studienpopulation von 442 Patienten wurden 80 lokoregio­ näre Rezidive diagnostiziert (18%). Nach dieser Diagnose lebte nur ein Patient län­ ger als 5 Jahre. Histopathologisch hatten immerhin 42,5% (210/442) der Patienten einen Tumor ≥pT3 und damit ein Lokal­ rezidivrisiko von 28%. Nach univariater und multivariater Analyse verschiedens­ ter Patienten und tumorbezogener Para­ meter erwies sich schlussendlich eine Zu­ ordnung in drei Risikogruppen als sinn­ voll: eine Gruppe (alle Patienten ≤pT2) mit einem niedrigen Lokalrezidivrisiko von 8% nach 5 Jahren, eine Gruppe (al­ le Patienten ≥pT3 und ≥10 Lymphkno­ ten entfernt) mit einem mittleren Lokal­ rezidivrisiko von 23% und eine Hoch­ risikogruppe (alle Patienten ≥pT3 und <10 Lymphknoten entfernt) mit einem Lokalrezidivrisiko von 42%. Da zwei gro­ ße randomisierte Studien keinen Einfluss auf die Lokalrezidivrate durch eine neoad­ juvante Chemotherapie zeigten [3, 4], stel­ len die Autoren die berechtigte Frage nach einer Intensivierung der lokalen Therapie, z. B. durch eine adjuvante Strahlenthera­ pie. Die hier vorgestellte Risikostratifizie­ rung kann dabei der besseren Patienten­ selektion dienen. Zusätzlich soll hier noch eine weite­ re Arbeit derselben Autorengruppe an­ gesprochen werden, die sich dem Vertei­ lungsmuster von Lokalrezidiven in der­ selben Studienpopulation widmet [2]. Aus dieser Analyse geht hervor, dass das höchste lokoregionäre Rezidivrisiko für Patienten mit Tumoren ≥pT3 und tu­ morfreien chirurgischen Resektionsrän­ dern in den iliakalen und obturatorischen Lymphknotengruppen liegt, während für Tumoren ≥pT3 und positiven chirurgi­ schen Resektionsrändern zusätzlich das ehemalige Blasenbett und die präsakralen Lymphknotengruppen ein erhöhtes Risi­ ko tragen. Diese Beobachtungen können dem Radioonkologen behilflich sein, die Bestrahlungsfelder genauer zu definieren und risikoadaptiert anzupassen. Fazit Die hier besprochene Analyse der Häufigkeit und Lokalisation von Lokalrezidiven nach Zystektomie zeigt ein bisher vernachlässigtes und häufig unterschätztes Problem auf. Große Zystektomieserien, die regelhaft als Referenz dienen, schließen nämlich i. d. R. Patienten mit positiven Resektionsrändern von der Analyse aus. Auch die Rezidivmuster wurden bisher nie so detailliert analysiert. Die Ergebnisse weisen konsequenterweise auf die Notwendigkeit einer adjuvanten bzw. postoperativen Radio(chemo)therapie hin, wie das bei anderen Tumorentitäten längst Standard ist. Darüber hinaus untermauern sie aber auch die Rationale für einen neoadjuvanten Therapieansatz, insbesondere für fortgeschrittene Urothelkarzinome der Harnblase (≥T3b, N0/N+). Eine entsprechende Phase-II-Studie, bestehend aus einer neoadjuvanten, simultanen Radiochemotherapie, dann Zystektomie und erst dann gefolgt von einer risikoadaptierten adjuvanten Chemotherapie wird von den Arbeitsgemeinschaften für Radioonkologie (ARO) und für Urologie (AUO) vorbereitet. Dafür geben uns die Ergebnisse von von der Arbeitsgruppe um Baumann aus der Universität von Pennsylvania [1, 2] Rückenwind. Christian Weiss, Frankfurt/Main Korrespondenzadresse PD Dr. C. Weiss Klinik für Strahlentherapie und Onkologie, Johann Wolfgang Goethe Universität Theodor-Stern-Kai 7 Frankfurt/Main [email protected] Conflict of interest. C. Weiss states that there is no conflict of interest. Literatur 1. Baumann BC, Guzzo TJ, He J et al (2013) A novel risk stratification to predict local-regional failures in urothelial carcinoma of the bladder after radical cystectomy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 85:81–88 2. Baumann BC, Guzzo TJ, He J et al (2013) Bladder cancer patterns of pelvic failure: implications for adjuvant radiation therapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 85:363–369 3. Griffiths G, Hall R, Sylvester R et al (2011) International phase III trial assessing neoadjuvant cisplatin, methotrexate, and vinblastine chemotherapy for muscle-invasive bladder cancer: long-term results of the BA06 30894 trial. J Clin Oncol 29:2171– 2177 4. Herr HW, Faulkner JR, Grossman HB et al (2004) Pathologic evaluation of radical cystectomy specimens: a cooperative group report. Cancer 100:2470–2475 5. Herr HW, Faulkner JR, Grossman HB et al (2004) Surgical factors influence bladder cancer outcomes: a cooperative group report. J Clin Oncol 22:2781–2789 6. Rodel C, Weiss C, Sauer R (2006) Trimodality treatment and selective organ preservation for bladder cancer. J Clin Oncol 24:5536–5544 7. Volkmer BG, Kuefer R, Bartsch GC Jr et al (2009) Oncological followup after radical cystectomy for bladder cancer-is there any benefit? J Urol 181:1587–1593 (discussion 93) 8. Weiss C, Sauer R, Rödel C (2012) Stellenwert der Radiochemotherapie beim Harnblasenkarzinom. Onkologe 18:1003–1011 Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 | 985 Buchbesprechungen Wannenmacher, Michael; Wenz, Frederik; Debus, Jürgen (Hrsg.) Strahlentherapie Berlin Heidelberg: Springer 2013, 2. überarbeitete Auflage, 984 S., 313 Abb., (ISBN 9783540883043), 249.00 EUR Die 2. Auflage dieses deutschsprachigen Werkes bildet die aktuelle Strahlentherapie wiederum umfassend und mit detaillierten Handlungsanweisungen ab. Verfasst von renommierten Autoren und Herausgebern sind von den kurz dargestellten physikalischen und strahlenbiologischen Grundlagen bis hin zu der organspezifischen Therapie alle Inhalte der Weiterbildungsordnung beschrieben. Die Dosierungsempfehlungen für alle wichtigen organspezifischen Therapien sind auf die radiologische Praxis ausgerichtet. Die Literaturlisten wurden in den Organkapiteln zugunsten von konkreten Behandlungsalgorithmen gekürzt. Selbst neueste Entwicklungen wie intensitätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT), Bildgestützte Radiotherapie (IGRT) und neue Kombinationspartner zur Radiotherapie insbesondere „Biologicals“ (Antikörper, Thyrosinkinaseinhibitoren u.v.m.) sind anwendungsbezogen erläutert. Das modifizierte graphische Layout führt zu einer leichteren Lesbarkeit. Dieses deutschsprachige Referenzwerk stellt mit der 2. Auflage den Standard und Neuentwicklungen der Strahlentherapie überzeugend dar. Stephan Roth, Düsseldorf 986 | Strahlentherapie und Onkologie 11 · 2013 M. Kusch, H. Labouvie, B. Hein-Nau Klinische Psychoonkologie Heidelberg: Springer-Verlag GmbH 2013, 269 S., 5 Abb., (ISBN 978-3-642-31747-7), 49.99 EUR Jährlich erkranken über 400.000 Menschen in Deutschland an Krebs, darunter circa 1800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Von ihnen werden 80% geheilt; sind sie aber auch gesund? Insbesondere der Bereich „Posttraumatische Belastungsstörung/somatoforme Störungen“ bedarf in Zukunft einer höheren Aufmerksamkeit: Die Diagnose Krebs mit der Folge einer äußerst invasiven onkologischen Behandlung, wird von den Betroffenen und deren Familien nicht nur als schwere Belastung mit der Folge von Verhaltens- und Anpassungsstörungen erfahren, sondern sehr häufig als existentielle Bedrohung erlebt und deshalb traumatisch verarbeitet. Wird der traumatische Hintergrund dieser Störungen nicht gesehen, werden nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen immer wieder angetriggert, retraumatisieren die Patienten, verstärken psychische Störungen und verhindern eine angemessene Krankheitsbewältigung und damit Integration der chronischen Erkrankung in das Selbstkonzept. Die Nichtbehandlung dieser PTBS behindert nicht nur gravierend eine adäquate Krankheitsbewältigung, sondern führt langfristig als „Spätfolge“ zu komorbiden Erkrankungen wie Angststörung, Depression, Somatoformen – Dissoziativen Störungen, Suchterkrankungen und Essstörungen. Viele Nebenwirkungen einer Krebstherapie sind erforscht und werden in der Nachsorge berücksichtigt. Dies trifft leider für den Bereich der Psychoonkologie noch nicht zu. Im stationären Bereich sind sowohl bei krebskranken Kindern als auch bei an Krebs erkrankten Erwachsenen Strukturen der Psychoonkologie aufgebaut worden. Im Bereich der Nachsorge noch nicht. Das Buch „Klinische Psychoonkologie“ von Kusch, Labouvie und Hein-Nau beschreibt vom stationären Bereich kommend präzise und praxisorientiert die Problematik. Diese sind u.a. körperliche Symptome, Fatigue, Übelkeit, Schmerzen, Fertilität, Kognition, Delir, Suizidalität, sowie seelisches Leid. Besprochen werden praxisrelevante Einflussfaktoren auf die Krankheitsverarbeitung und Krankheitsbewältigung und der Stellenwert der psychologischen Faktoren in der Patientenversorgung. Aufgrund der besonderen Wichtigkeit für die Nachsorge ist die Beschreibung der Lebenssituation von Krebspatienten mit den Behandlungsphasen und –situationen hervorzuheben. Hierbei sind die Anforderungen und (emotionalen) Belastungen, sowie das Auseinandersetzen mit der Erkrankung wertvolle Abschnitte. Als Herzstück ist das Management der psychoonkologischen Versorgung zu sehen. Sehr praxisnah und mit konkreten Darstellungen von Modellen und Vorstellungen von psychoonkologischen Screeninginstrumenten ist dies für den Nachsorgebereich nach einer Krebserkrankung dem Leser beschrieben. Gerade eine gestufte psychoonkologische Versorgung, z.B. im „Stepped Care“-Ansatz, ist wirkungsvoll in der Durchführung von psychoonkologisch-psychotherapeutischen Interventionen. Die Psychoonkologie ist ein obligater Bestandteil einer Krebsbehandlung, gleichzusetzen mit anderen Therapieelementen wie Chemo- oder Radiotherapien und Operationen. Besonders im stationären Bereich sind wesentliche Strukturen, auch im Rahmen von „Comprehensive Cancer Centers (CCC)“, geschaffen worden. Wir sollten diese Entwicklung nutzen und den Ausbau der psychoonkologischen Behandlung im ambulanten/ Nachsorge-Bereich auch mit Hilfe dieses Werkes in Angriff nehmen. T. Langer (Erlangen)