sexualität in der altenpflege - pflege

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SEXUALITÄT IN DER
ALTENPFLEGE
B. Braun Stiftung
35. Fortbildung für Pflegende
20. September 2013, Kassel
Zwischen
Fürsorge und
Kontrolle
„Es kommt nicht
darauf an, wie alt
man wird,
sondern wie man
alt wird. “
( U r s ul a L e h r )
SEXUALITÄT = GESCHLECHTSVERKEHR?
 Viele Autoren setzen auf das „intuitive Verstehen“ des Begrif fs
Sexualität und ersparen sich eine Definition ( L a u t m a n n , 2 0 0 2 : 2 0 ) .
 Operationalisierung des Begriffs in empirischen Studien
zumeist implizit oder explizit über die Begriffe „sexuelle
Aktivität“ und „Geschlechtsverkehr“ ( G o t t , 2 0 0 5 :1 2 ) .
 Heutige wissenschaftliche Definitionen sind weiter gefasst
und reduzieren „Sexualität nicht auf Genitalien und
Orgasmus“ und Sexualität wird „als prinzipiell lebenslanges
Bedürfnis nach körperlicher, auch non -genitaler Berührung
definiert [...] [und] beinhaltet auch sexuelle Träume,
Vorstellungen und Fantasien “ ( B a m l e r, 2 0 0 8 : 1 8 5 ) .
 ...
SEXUALITÄT = EIN MEHRDIMENSIONALES
KONSTRUKT
Soziokultureller Rahmen
Sinnlichkeit
Sexualisierung
Intimität
Identität
Reproduktion
Abb. 1 „Circles of sexuality“ n. Dailey, 1981:326ff.
WAS WISSEN WIR ÜBER SEXUALITÄT IM
ALTER?
 Sie tun es!
 Es herrscht jedoch immer noch die Annahme, dass das Alter von
asexueller Natur ist ( Z e t t l - W i e d n e r , 2 0 1 1 ) .
 Sexualität hört mit dem Alter nicht plötzlich auf.
 Die Sexualität wird anders: Geringerer Leistungsdruck, Zärtlichkeit,
Berührungen, das Verlangen nach Geborgenheit nehmen zu. Der Akt an
sich rückt in den Hintergrund (von Sydow, 1994) .
ABER
 Es existiert noch immer die Vorstellung, dass Menschen, die in
Pflegeheimen leben, keine sexuellen Bedürfnisse haben ( G r o n d ,
2011).
 Ageism (Altersdiskriminierung) und Altersstereotype ( K a t z , 2 0 0 5 )
 Bild ewiger Jugend und Streben danach auch medial sehr präsent.
 Sexualität im Alter ist noch weitgehend ein Tabuthema
Wiedner, 2011; Schultz-Zehden, 2013).
(Zettl-
WAS WISSEN WIR ÜBER SEXUALITÄT IM
ALTER? DER KÖRPER
 Die Körper von Männern und Frauen verändern sich mit
zunehmendem Alter.
 Die Hormonspiegel beider Geschlechter verändern sich.
 Bei Männern langsam und kontinuierlich
 Bei Frauen eher abrupt zwischen dem 45. und 52.
Lebensjahr (Menopause) (von Sydow, 1994)
 Veränderungen des sexuellen Reaktionszyklus
 Erregungsphase – Plateauphase – Orgasmusphase –
Rückbildungsphase (Maste r s & Johnson, 1970)
 Die sexuelle Reaktion des Mannes wird stärker vom
Älterwerden beeinflusst als die der Frau ( v o n S y d o w , 1 9 9 4 ) .
•Hormonelle Veränderung
•Veränderungen der Sexualorgane
(Atrophie)
•Appetenz* und Erregung
verlangsamt und weniger intensiv
•Längere Dauer bis zur Erektion
•Erektion nicht immer vollständig
•Verringerte Steife des Penis
•Längere Dauer bis zur nächsten
Erektion (Refraktärzeit)
•Orgasmus von geringerer Intensität
(Grond, 2011)
physiologische
Veränderungen
physiologische
Veränderungen
KÖRPERLICHE VERÄNDERUNGEN
•Hormonelle Veränderung
•Wände von Vagina und Vulva
werden dünner
•Verringerte Lubrikation der Vagina
•Osteoporose
•Appetenz* und Erregung sind
verlangsamt und weniger intensiv
•Orgasmusfähigkeit bleibt bis in
hohe Alter erhalten
•Orgasmus von geringerer Intensität
(Grond, 2011)
*Trachten nach Begehrlichkeit
WAS WISSEN WIR ÜBER SEXUALITÄT IM
ALTER? GESUNDHEIT & KRANKHEIT
 Gesundheit und Krankheit haben einen Einfluss auf die
Sexualität im Alter.
 Beim Mann besteht ein enger Zusammenhang zwischen der
Sexualität und dem Gesundheitszustand.
 Bei Frauen ist dieser Befund nicht eindeutig und scheint eher
vom Gesundheitszustand des Partners abzuhängen ( v o n S y d o w , 1 9 9 4 ) .
 Akute vs. chronische Erkrankungen
 Akute: Schnelle Rückkehr der Sexualität nach Abklingen der
Erkrankung
 Chronische: Langsame, gestörte oder ausbleibende Rückkehr der
Sexualität ( H i l l m a n , 2 0 0 8 )
WAS WISSEN WIR ÜBER SEXUALITÄT IM
ALTER? GESUNDHEIT & KRANKHEIT
Erkrankungen:
• Kardiovaskuläre Krankheiten
• Diabetes mellitus
• Bösartige Neubildungen und
deren Therapie
• Inkontinenz
• Psychische Erkrankungen
• Neurologische Erkrankungen
• Krankheiten des
Bewegungsapparates
(von Sydow, 1994; McNicoll, 2008)
Medikamente:
• Antidepressiva (Fluoxetin, Sertralin)
• Anxiolytika (Lorazepam, Temazepam)
• Antipsychotika (Haloperidol)
• Antihypertensiva (Digoxin, HCT)
• Antiparkinsonika (Levodopa)
• Chemotherapeutika
• „Over-the-counter“
Medikamente (Antihistamine)
(Hillmann, 2008)
WAS BEEINFLUSST DIE SEXUALITÄT IM
PFLEGEHEIM? PFLEGENDE
 Einstellungen und Handlungen des Personals.
 Pflegende bewerten das Sexualverhalten auf der Grundlage
ihrer eigenen Vorstellungen darüber,
 wie Sexualität sein (normal) sollte,
 wie Sexualität im Alter sein sollte (Roach, 2004 ),
 wie Sexualität im Pflegeheim sein sollte.
 Pflegende können das Sexualverhalten als problematisch
bewerten. Mit der Konsequenz, dass versucht wird, das
Verhalten zu verhindern oder zu verändern .




Räumliche Trennung
Verordnung von Medikation anstreben
Verhalten öffentlich machen
Ungewollt Angehörige einbeziehen (Roach, 2004; Gr ond, 2011)
WAS BEEINFLUSST DIE SEXUALITÄT IM
PFLEGEHEIM? PFLEGENDE
 Verhalten, das fürsorglich ist -> wird akzeptiert.
 Verhalten, das romantisch ist -> wird belächelt.
 Verhalten, das erotisch ist -> verursacht Verärgerung
(Ehrenfeld et al., 1999).
WAS BEEINFLUSST DIE SEXUALITÄT IM
PFLEGEHEIM? EINRICHTUNG
 „Ethos“ der Einrichtung ( R o a c h , 2 0 0 4 )
 Fehlende Privat-/ Intimsphäre in Pflegeheimen
(Bullard-Poe et al,
1994)
 Intimsphäre hat einen Einfluss auf die Lebensqualität der
in Bewohner ( e b d . ; B e h r e t a l , 2 0 1 3 )
 In Doppelzimmern lebende Personen werden unter
Umständen durch Pflegehandlungen bei Mitwohnenden
eingeschränkt ( G r o n d , 2 0 1 1 ) .
 Fehlende Rückzugsmöglichkeiten
 Das Leben findet „öffentlich“ statt
GUARDING DISCOMFORT PARADIGM
Umgang mit
Sexualität
(Sexuality ease)
„Ethos“ der Organisation (Organizational ethos)
Restriktiv (Restrictive)
Reagierend (Responsive)
Sexualität Unbehagen Wachend
Reaktives „Behüten“
(Sexuality discomfort)
(Standing guard)
(Reactive protection)
Sexualität Behagen
Die Wachenden
bewachen
Proaktives „Behüten“
(Sexuality comfort)
(Proactive protection)
(Guarding the guards)
Tab. 1 „Guarding Discomfort Paradigm“ eig. Übersetz. n. Roach, 2004:375ff.
GUARDING DISCOMFORT PARADIGM
Umgang mit
Sexualität
„Ethos“ der Organisation (Organizational ethos)
• Personal ist daraufRestriktiv
bedacht,(Restrictive)
sich wohl zuReagierend
fühlen
(Responsive)
• Ageism und Stereotype
Sexualität
Unbehagen
Wachend
Reaktives „Behüten“
•(Sexuality
Handeln
nach eigenen
Vorstellungen
discomfort)
(Standing guard)
(Reactive protection)
• Restriktive und kontrollierende Einrichtung
• Errichten von Barrieren
Sexualität
Behagen
Wachenden
Proaktives „Behüten“
•(Sexuality
Negativer
Effekt aufDie
Bewohner
comfort)
(Proactive protection)
(Sexuality ease)
bewachen
(Guarding the guards)
Tab. 1 „Guarding Discomfort Paradigm“ eig. Übersetz. n. Roach, 2004:375ff.
GUARDING DISCOMFORT PARADIGM
Umgang mit
„Ethos“ der Organisation (Organizational ethos)
•Sexualität
Personal ist darauf bedacht, sich wohl zu fühlen
(Sexuality
• ease)Jedoch kein Support
durch
die Einrichtung
Restriktiv
(Restrictive)
Reagierend (Responsive)
• Dadurch weniger Kontrolle über die Situation
Sexualität
Unbehagen
Wachend
Reaktives „Behüten“
•(Sexuality
Weniger
Möglichkeiten,
Barrieren zu errichten
discomfort)
(Standing guard)
(Reactive protection)
• Einstellen von offenem Personal
• Personal setzt sich gegen errichtete Barrieren ein
Sexualität
Behagen Personal
Die Wachenden
„Behüten“
•(Sexuality
Verbleibendes
handelt defensivProaktives
comfort)
(Proactive protection)
bewachen
• „Zermürbend“ für Bewohner
(Guarding the guards)
Tab. 1 „Guarding Discomfort Paradigm“ eig. Übersetz. n. Roach, 2004:375ff.
GUARDING DISCOMFORT PARADIGM
Umgang mit
„Ethos“ der Organisation (Organizational ethos)
•Sexualität
Restriktive Einrichtung
(Sexuality
ease)
• Offenes
Personal Restriktiv (Restrictive)
Reagierend (Responsive)
• Kein Support durch die Einrichtung
Sexualität
Unbehagen
Wachend
Reaktives
„Behüten“
•(Sexuality
Offen
für
die Anliegen
und Bedürfnisse der
Bewohner
discomfort)
(Standing guard)
(Reactive protection)
• Personal unterstützt die Bewohner, fühlt sich erfolgreich
• Personal versucht zu verhindern, dass die „Guards“ Erfolg
Sexualität
Die Wachenden
Proaktives
„Behüten“
habenBehagen
und berät anderes
Personal, Angehörige,
Leitung
(Sexuality comfort)
(Proactive protection)
• Positiver Effekt aufbewachen
Bewohner
(Guarding
the guards)
Tab. 1 „Guarding Discomfort Paradigm“ eig. Übersetz. n. Roach, 2004:375ff.
GUARDING DISCOMFORT PARADIGM
• Offene
Umgang
mitEinrichtung„Ethos“ der Organisation (Organizational ethos)
Sexualität
• Support durch die Einrichtung für Bewohner, Personal,
(Sexuality ease)
Restriktiv (Restrictive)
Reagierend (Responsive)
Angehörige
•Sexualität
Schulung
und Beratung
Unbehagen
Wachend
Reaktives „Behüten“
(Sexuality
discomfort)
(Standing
guard)
(Reactive protection)
• Erhalt von Würde, Förderung von Privatsphäre
• Entwickeln von „Richtlinien“
•Sexualität
Bewohner
und Personal
fühlen sich wohlProaktives „Behüten“
Behagen
Die Wachenden
(Sexuality
comfort) Verhältnis von Bewohnern und Personal
(Proactive protection)
• Enges
und positiver
bewachen
(Guarding the guards)
Effekt
Tab. 1 „Guarding Discomfort Paradigm“ eig. Übersetz. n. Roach, 2004:375ff.
LÖSUNGSSTRATEGIEN
Pflegende
•Eigene Ansichten reflektieren
•Gründe für „unangemessenes
Verhalten“ ermitteln
•Reflexion im Team
•Einbezug der Biografie in
Planungsprozesse
•Privat- / und Intimsphäre achten
•Würde bewahren
•Probleme thematisieren
•Wenn gewünscht, Angehörige
einbeziehen
Einrichtung
•„Ethos“ / Leitbild reflektieren
•Sexuelle Freiheit ermöglichen
•Zugang zu anderen Personen
ermöglichen
•Professionelle „Hilfen“ anbieten
•Schulung und Beratung
•Bewohner bei Planungsprozessen
berücksichtigen
•Rückzugsmöglichkeiten schaffen
•Privatsphäre ermöglichen
•Atmosphäre
(Roach, 2004; Grond, 2011; Katz, 2005, 2013)
„Wir Älteren haben ein Recht,
auch bei sexuellen Interessen als
Menschen bis zuletzt geachtet
und respektiert zu werden“.
(Grond, 2013:45)
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