Zumutung des Unzumutbaren

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Freie Universität Berlin
Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften
Institut für Philosophie
Magisterarbeit
Zumutung des Unzumutbaren.
Sondierungen zu einem auf Transzendenz bezogenen Begriff von
Subjektivität bei Levinas und Bataille.
vorgelegt von: Ambrosi Sarah
Selchowerstr. 11
12049 Berlin
Tel.: 030/62725262, E-Mail: [email protected]
Fächerkombination: Philosophie/Neuere deutsche Literatur
Matrikelnummer: 3911752
Erstgutachter: PD Dr. Sebastian Lalla
Zweitgutachter: Prof. Dr. Jean Clam
Abgabetermin: 02. 05. 2011
Inhalt
Einleitung..................................................................................................................................... 4
Sein und Wissen.......................................................................................................................... 15
Das Wissen und der Andere................................................................................................ 26
Distanzierung und Inbesitznahme........................................................................................ 30
Neutralität und Entsinnlichung........................................................................... 37
Identität und funktionale Differenz................................................................... 41
Identifizierung und Allgemeinheit...................................................................... 46
Aktivität und Zwecksetzung................................................................................ 54
Egologie............................................................................................................................... 60
Ausweg aus dem Sein................................................................................................................ 68
Strategien der Zersetzung...................................................................................................... 69
Dramatisierung und Bestreitung.........................................................................72
Hyperbel und Widerruf........................................................................................81
vulnerable. Statt eines Nachwortes........................................................................................88
Literaturverzeichnis................................................................................................................... 96
Siglen.................................................................................................................................101
2
Die Erfahrung
erreicht schließlich die Verschmelzung von Objekt und Subjekt,
indem sie als Subjekt Nichtwissen ist, als Objekt das Unbekannte.
Wenn dies als ein Extrem des Möglichen erreicht ist, versteht sich von selbst,
daß die eigentliche Philosophie aufgezehrt wird, daß sie sich auflöst,
nachdem sie bereits von der schlichten Untersuchung des Zusammenhangs der Erkenntnisse,
die die Philosophie der Wissenschaften ist, abgetrennt ist.
Und indem sie sich in diese neue Form des Denkens auflöst,
erweist sie sich nur noch als Erbin einer fabelhaften mystischen Theologie,
die um einen Gott gebracht ist und Tabula rasa macht. 1
Georges Bataille
Georges Bataille: Die innere Erfahrung nebst Methode der Meditation und Postskriptum 1953. (Atheologische Summe
I). Hg. und übers. v. G. Bergfleth. München 1999. S. 21. Fortan zit. als EI.
1
3
Einleitung
In der Katastrophe der Shoah kulminiert das Defizit einer über Jahrhunderte hinweg
ungedachten oder ausgesparten Transzendenz, das die – so ließe sich mit Levinas
vielleicht sagen – in der griechischen Tradition der Ontologie stehende Philosophie
kennzeichnet, zu einem grauenvollen Exemplum. Auschwitz wäre ‚lesbar’ 2 als die finale
Konsequenz dieser in ihren subtilen und vergeistigten Formen noch gewaltsamen
Verdrängung oder als der krude Versuch, dem beunruhigenden, verletzenden und nicht
abschließbaren Prozess der Auseinandersetzung mit dem Anderen ein paradigmatisches
Ende zu setzen. Dieses anarchische Andere nämlich nimmt sich heraus, den Frieden des
Selben immer wieder zu stören, die „Tautologie der Selbstheit“ 3 hartnäckig zu
unterbrechen. Jeder Friede indessen, den das Andere nicht erschüttert, bleibt ein
fadenscheiniger, bleibt Egoismus – auch das zeigt sich deutlich an diesem in der Praxis
faschistischen und abscheulichen, theoretisch aber folgerichtigen, d. h. der Tradition
getreuen Verfahren, das Transzendieren endgültig abzuwürgen, das Andere restlos zu
beseitigen. Dass es politisch faktisch gescheitert ist, ist gewiss ein Glück, und dass mit
diesem Ereignis des Scheiterns eines auf konsequente Vollstreckung setzenden
Unternehmens der Grausamkeit jeglicher ungebrochen selbstgewissen Totalisierung ein
gorgisches Mahnmal gesetzt wurde, ist (demütig geflüstert) die Möglichkeit einer Chance.
Vielleicht aber erklärt sich Levinas’ Hinwendung zur Metaphysik, sein Bemühen um ein
Denken des Anderen, der Transzendenz, aus der beklemmenden Diagnose des
Fortbestands oder gar der Verfestigung jener Haltungen, die zu dieser unmenschlichen
Ausschreitung führten. Vielleicht sind die Verbindlichkeit der okzidentalen Ontologie
und das mit ihr zusammenhängende Vertrauen auf Wissen, die Überzeugung von der
Der „Auschwitz-Diskurs“, der sich nicht zuletzt um die Unlesbarkeit und Undarstellbarkeit dieses
Ereignisses dreht, und um die Problematik der Depotenzierung des Schreckens im Versuch der Erklärung,
kann als – mehr oder weniger implizite – Auseinandersetzung mit Transzendenz aufgefasst werden. Außer
Levinas ist mir jedoch niemand bekannt, der das Fehlen von Transzendenz auf Auschwitz beziehbar
machen würde.
3 Emmanuel Levinas: „Die Spur des Anderen“, in ders.: Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur
Phänomenologie und Sozialphilosophie. Übers. und hg. v. N. Krewani. Freiburg/München 1992. S. 209-235, hier
S. 209. Fortan zit. als SpA4.
2
4
Notwendigkeit der Absicherung gegen Störungen und von der Möglichkeit rationaler
Problemlösungen, derart mit unseren Verhaltensmustern verflochten, dass wir mit jedem
Versuch, den Knoten zu lockern uns nur noch inniger in ihre Driften verstricken. 4
Möglicherweise bedarf es des Imports von Ideen, die eine zersetzende Wirkung haben,
die eine Konversion des Logos von innen heraus anzetteln. Womöglich gelingt es
Levinas und Bataille, diesen beiden Heterologen, 5 ein Element in den Logos
einzuschmuggeln, das sublim genug ist, um seinen Argusaugen zu entgehen – sublim
genug: das hieße entweder ähnlich oder ätherisch, unauffällig oder raffiniert genug.
Gelänge die Einfuhr, so könnte das Virus sich ausbreiten und den Logos infizieren bis
hin zu seiner Mutation. ‚Mutation’ und ‚Konversion’ – d. h. es geht nicht darum, den
Logos restlos zu suspendieren, sondern ihn – und mit ihm die Haltungen, die eine
primäre Orientierung an seinen Prinzipien konstituiert – an seine Grenzen zu führen, zu
ernüchtern. Das Ziel liegt also nicht in einem absoluten Nichtwissen, sondern im
Erwachen aus dem „Schlaf der Vernunft“. Die Aufgabe der Philosophie bliebe ein
„denkenderes Denken“, 6 bliebe ein „unaufhörliches Erwachen, Wiedererwachen inmitten
des Erwachens, das ansonsten zum ‚seelischen Zustand’ würde, zum Wachheitszustand,
zur Wachheit als Zustand.“ 7
Der Schlaf der Vernunft ist vielleicht gar nicht die entschlafene Vernunft, sondern der Schlaf in
Gestalt der Vernunft, die Wachsamkeit des Hegelschen Logos. Die Vernunft wacht über einen
tiefen Schlaf, der sie angeht. Wenn aber „eine im Schlaf der Vernunft gewonnene Evidenz des
Kriteriums des Erwachens beraubt wird“ [Bataille, Le Coupable], muß man, um das Auge öffnen
zu können [...], die Nacht mit der Vernunft verbracht, mit ihr gewacht und geschlafen haben: die
ganze Nacht bis zum Morgen, bis zu jener anderen Dämmerung, die, gleich wie der Beginn des
Die für die griechische Tradition typische Verknüpfung von Ontologie und Erkenntnis werde ich im
folgenden Ontoepistemologie nennen. – Levinas’ Kritik an der Ontologie macht sich vor allem am
Seinsbegriff fest, der wiederum eng mit Wahrheit verknüpft ist. Hierin liegt eine mögliche Rechtfertigung
für die Einführung eines derart umständlichen Begriffs; andererseits würde für die Beschreibung der
Levinasschen Antiontologie wohl der herkömmliche Begriff der Ontologie ausreichen, wäre da nicht noch
Bataille, dessen Kritik sich nicht gegen die Ontologie, sondern vielmehr gegen den Diskurs und das Wissen
richtet. Der Begriff der Ontoepistemologie zieht beide Positionen zusammen. Im ersten Kapitel werde ich
versuchen, die befremdliche Vehemenz, mit der Bataille und Levinas sich gegen das Wissen richten, anhand
einer Problematisierung der Werte und Ideale, die die Orientierung an der Ontoepistemologie entwirft, zu
erhellen.
5 Hans-Dieter Gondek: „Azephalische Subjektivität. Gabe, Gesetz und Überschreitung bei Bataille und
Lacan“, in: Georges Bataille: Vorreden zur Überschreitung. Hg. v. A. Hetzel und P. Wiechens. Würzburg 1999. S.
157-184, hier S. 159.
6 Emmanuel Levinas: „Fragen und Antworten.“ In ders.: Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die
Betroffenheit von Transzendenz. Übers. v. T. Wiemer. Freiburg/München 1988. S. 96-131, hier S. 106. Fortan
zit. als: DQVI2.
7 Emmanuel Levinas: „Das Seinsdenken und die Frage nach dem Anderen”, in ders.: Wenn Gott ins Denken
einfällt. A.a.O. S. 150-171, hier S. 170f. Fortan zit. als DQVI3.
4
5
Tages dem Hereinbrechen der Nacht bis zur Täuschung ähnlich sieht, jener Stunde gleicht, in der
das philosophische Tier endlich ebenfalls die Augen aufschlagen kann. 8
Der Begriff der Transzendenz wird in der vorliegenden Arbeit vor allem die
Gedankenfigur der insistierenden Subversion geschlossener Systeme (Theorien, Subjekte,
logische Verkettungen) bezeichnen, die nicht zu beseitigende Störung und Unterbrechung
verschiedener Totalisierungsbewegungen. Transzendenz steht nicht einfach für eine
Öffnung auf das Andere hin, für eine Bereitschaft oder Bereitwilligkeit zum Empfang des
Anderen, sondern sie ist das Destabilisierende selbst – dasjenige, was die Tautologie und
Ausgewogenheit der Identität überbordet oder fragmentiert. Diese Figur zielt nicht auf
eine dialektische Harmonisierung, die durch Integration und Aufhebung des Negativen
das System irgendwann zu einer ausbalancierten Ruhe kommen ließe, sondern sie
bezeichnet gerade das Gegenteil: eine wiederkehrende „Zerrüttung“,9 eine notwendige
und nicht auszuräumende Beunruhigung. Transzendenz wird nicht als Fortsetzung der
oder als Gegenentwurf zur Ontoepistemologie gedacht, sondern als deren viszerale
Erschütterung. – Von der Ontoepistemologie aus gesehen ist eine konsequente Idee von
Transzendenz also eine Irritation der Episteme, vom Ethischen her betrachtet ist sie die
Möglichkeit und die Bewegung des „Desinteressement“, 10 das beunruhigende Begehren
der Subjektivität, welches diese gerade in ihrer Endlichkeit auf das Unendliche bezieht. 11
Die Unermeßlichkeit entzieht sich der Erkenntnis, und sie entzieht sich unendlich einem Wesen,
das sich um sie bemüht, indem es sich der eigenen Unwahrscheinlichkeit entzieht, und das sich
um nichts zu bemühen weiß als dazu, es der Notwendigkeit seiner Herrschaft zu unterwerfen. (In
Jacques Derrida: „Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus“,
in ders.: Die Schrift und die Differenz. Übers. v. R. Gasché. Frankfurt am Main 1976. S. 380-421, hier S. 381.
Fortan zit. als Derrida: Hegelianismus.
9 EI, S. 60: „Es handelt sich weniger um Kontemplation als um Zerrüttung.“
10 Dieser Begriff wird im Folgenden synonym mit ‚Sich-vom-Sein-Lösen’ verwandt. Thomas Wiemer merkt
dazu folgendes an: „Lévinas verwendet das französische Wort ‚désintéressement’ in einer über den
geläufigen Sprachgebrauch hinausgehenden Bedeutung, die an seine Komposition erinnert:
désintéressement, Abkehr vom inter-esse, davon, im Sein zu sein und am Sein festzuhalten. Die Abkehr
deutet sich hier nun zugleich an als eine – nicht dialektische – ‚Umkehrung’ des Seins und der
Seinsverhaftetheit – in die Richtung des Ethischen. Denn die heute im Französischen geläufige Bedeutung
des Wortes ‚désintéressement’ ist: Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit. Der Vorzug des Ausdrucks liegt also
darin, und in diesem Sinne wird er zu einem der programmatischen Termini des Buches, daß er den
Abschied von der Seinsverhaftetheit, vom Beharren im Sein (‚conatus essendi’), und die Haltung der
Uneigennützigkeit in einem Wort präsent macht: den Abschied von der Seinsverhaftetheit als ethischen
Modus.“ – Anmerkung a, S. 23f. in: Emmanuel Levinas: Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Übers. v.
T. Wiemer. Freiburg/ München 1992. Fortan zit. als AQ.
11 Vgl. Levinas’ Begriff des Unendlichen: „Die Andersheit wird nicht annulliert, sie schmilzt nicht dahin in
dem Gedanken, der sie denkt. Indem es das Unendliche denkt, denkt das Ich von vornherein mehr, als es
denkt. Das Unendliche geht nicht ein in die Idee des Unendlichen, wird nicht begriffen; diese Idee ist kein
Begriff. Das Unendliche ist das radikal, das absolut Andere. Die Transzendenz des Unendlichen mir
gegenüber, der ich davon getrennt bin und es denke, stellt das erste Zeichen seiner Unendlichkeit dar.“ –
Emmanuel Levinas: „Die Philosophie und die Idee des Unendlichen“, in ders.: Die Spur des Anderen. A.a.O.
S. 185-208, hier S. 197. Fortan zit. als SpA3.
8
6
der Herrschaft des Wissens, mittels dessen der Mensch versucht, sich selbst als das Ganze des
Universums anzusetzen, ist Notwendigkeit, erlittenes Elend, es ist das lächerliche,
unvermeidliche Los, das uns zufällt, aber diese Notwendigkeit schreiben wir dem Universum zu,
mit dem wir unser Wissen verwechseln.) 12
Natürlich lässt sich Bataille nicht ohne weiteres als Denker der Transzendenz ausgeben,
setzt er selbst dieser Idee doch ausdrücklich jene der Immanenz entgegen, die darin
besteht, „daß der Mensch sich bewußt aneignet, was er in den Himmel projiziert hat“. 13
Andererseits findet diese rhetorische Verkehrung ihren Grund nicht allein in einem nach
Parallelen suchenden Vergleich mit Levinas, sondern kann damit gerechtfertigt werden,
dass seine Beschreibungen der mystischen Erfahrung ausdrücklich darauf verzichten,
diesen „Ruin“, 14 dieses „Flehen ohne Antwort“ 15 in eine Ordnung des Sinns einzuholen,
die dem Subjekt die Verfügungsgewalt zurückerstatten würde: „das Sein ist uns am Ende
als Unmögliches gegeben!“, 16 es selbst ist die Zumutung des Unzumutbaren. – Batailles
Denken bezieht das Subjekt der „inneren Erfahrung“ konsequent auf den Tod 17 Gottes –
daher sein Begriff der Immanenz, der die Figur der Transzendenz nicht ausschließt,
sondern im Gegenteil das Heilige auf diesem Weg der Unnennbarkeit und
Unbegreiflichkeit zurückgibt. Auch Levinas besteht auf der Transzendenz des Heiligen
(oder der Heiligkeit der Transzendenz), das in seiner Unermesslichkeit und Maßlosigkeit
unter keinen Begriff gebracht werden kann; die Konsequenz dieser Idee macht Levinas,
der in gewisser Weise orthodoxer scheint als Bataille, zu einem diesem ebenbürtigen
Atheologen: 18 – er zeigt die „Herrlichkeit“ 19 auf, die gerade (und allein) in dieser
Maßlosigkeit und Abwesenheit liegt, die Güte eines „Guten jenseits des Seins“. 20
Bataille und Levinas, das will die vorliegende Arbeit unter anderem zeigen, treffen sich
nicht nur in dieser Idee einer dem logisch konsistenten Denken exterioren Dimension,
eines von der Totalität der Theorie – sei es nun die Hegels oder die der griechischen
Tradition überhaupt – Ausgeschlossenen, eines Anderen, welches die Dialektik nicht als
Negatives supplementiert, sondern gegen sie persistiert. Obwohl Bataille sich nicht von
der Begrifflichkeit der Ontologie löst und die Koordinaten seiner Philosophie im
EI, S. 121f.
Gerd Bergfleth: „Batailles atheologische Mystik”, in: Georges Bataille: Nietzsche und der Wille zur Chance.
(Atheologische Summe III). Hg. und übers. von G. Bergfleth. Berlin 2005. S. 337-389, hier S. 356.
14 Georges Bataille: Nietzsche und der Wille zur Chance. A.a.O. S. 15. Fortan zit. als N.
15 Vgl. EI, S. 26.
16 EI, S. 236.
17 Vgl. EI, S. 76.
18 Vgl. dazu AQ, S. 258 Anmerkung 19.
19 AQ, S. 211.
20 AQ, S. 213. Vgl. auch S. 136.
12
13
7
weitesten Sinn ontologisch bleiben – man denke nur an das Wort Verschmelzung und an
die Ablehnung, die Levinas derartigen Ideen der Kommunion entgegenbringt –, obwohl
Bataille also vielleicht als Gegenspieler von Levinas zu gelten hätte und obwohl eine
eklatante Diskrepanz zwischen den beiden Projekten unleugbar besteht, wird hier von
einer Ähnlichkeit der Denkbewegungen ausgegangen. – Davon also, dass auch Bataille nach
einer Alternative zur theoretischen Einstellung der Ontoepistemologie sucht und dass
sein Abheben auf „unproduktive Verausgabung“, 21 auf den „Übergang von der
Diskontinuität zur Kontinuität“ 22 eine ähnliche Drift beschreibt wie jene, die Levinas als
„Prozess des Herausgehens aus dem Sein“, 23 als „Sich-vom-Sein-Lösen“ 24 oder
„Desinteressement“ bezeichnet und als Angelpunkt des Ethischen ansetzt. – Mit Bataille
lässt sich an Levinas’ Gedankenfiguren der Passivität und des „Ausgesetztseins“ 25 das
ekstatische Moment genau beschreiben: das Herausgehen aus sich ist nur möglich durch
die Irritation und Beunruhigung gegenüber dem Anderen – durch eben die Angst und
den Schrecken wird das Ich aus sich herausgetrieben und kann sich vom Sein lösen, von
der „Hetzjagd des Ipse“ 26 ablassen. Bataille, der „Philosoph des Bösen“, 27 macht das
Skandalon der Philosophie der unendlichen Verantwortung gegenüber dem Anderen
augenfällig, das nicht etwa in ihrer Vision eines unmenschlichen Altruismus’ besteht,
sondern in ihrem Angriff gegen die Naturalisierung des Egoismus, die im Seinsbegriff
ihren konsequentesten Niederschlag findet. Umgekehrt macht die Gegenüberstellung mit
Levinas an Batailles Theorie der Verschwendung das ethische Potential sichtbar, die
„Weisheit der Liebe“, 28 wenn man so will. – „Levinas ist ... Bataille ebenso nahe wie
fern.“ 29
Derartig weitreichende Umwertungs- und Umwälzungsvorhaben, wie die von Levinas
und Bataille unternommenen, provozieren unweigerlich Widerstand, zumal dann, wenn
sie die Notwendigkeit eines ontologisierten bzw. biologisierten Egoismus in Frage stellen,
Vgl. Georges Bataille: Die Erotik. Übers. und hg. v. G. Bergfleth. München 1994. Fortan zit. als E. Vgl.
auch Georges Bataille: „Der Begriff der Verausgabung“, in ders.: Die Aufhebung der Ökonomie. Das theoretische
Werk Band 1. Hg. v. G. Bergfleth. München 1975. S. 7-31.
22 E, S. 19.
23 Levinas, Emmanuel: De l’ evasion. Ausweg aus dem Sein. Übers. u. hg. v. A. Chucholowski. Hamburg 2005.
S. 35. Fortan zit. als Ev.
24 AQ, S. 122.
25 Vgl. AQ, S. 50 sowie „Das Sagen und die Ausgesetztheit gegenüber dem Anderen“ – ebd. S. 116-123.
26 EI, S. 78.
27 Bataille sagt das über Nietzsche; – N, S. 16.
28 AQ, S. 351.
29 Jacques Derrida: „Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas’“, in ders.: Die
Schrift und die Differenz. A.a.O. S. 121-235, hier S. 156. Fortan zit. als Derrida: Gewalt.
21
8
diesen verkehren, oder eben von einer gewissermaßen „chaosmischen“ 30 Exuberanz
ausgehen, der die Wesen in ihrem abgründigen Begehren entsprechen und die diese
unwillkürlich mit sich reißt. Natürlich regen sich bei der vagen oder noch spekulativen
Vorstellung einer Ethik, die auf Selbstverschwendung baut, die also auf dem Rücken des
Subjekts ausgetragen wird, sofort heftige Zweifel: Selbst wenn es eine Disposition oder
eine Bereitschaft des Subjekts zu einem derartigen Altruismus gäbe: wären sie nicht
ebenso unheilvoll, ebenso pathologisch wie der Autismus der Autonomie 31 im Falle einer
absoluten Lesart? Würde mit einer derart selbstverleugnenden bis devoten Haltung nicht
einem Missbrauch Vorschub geleistet, ohne weder mit Ressentiment zu rechnen noch die
Notwendigkeit von Demarkationen zuzugestehen?
Die vorliegende Arbeit versucht der These nachzugehen, dass diese beiden Philosophien
der rückhaltlosen Selbstverschwendung, die es sich versagen, das Subjekt in irgendeiner
Weise in Schutz zu nehmen oder zu entlasten, nichtsdestotrotz seiner Schwäche und
Desorientierung, dem Verzweifeln am eigenen Ungrund gerecht werden – eher jedenfalls
als die Phantasien von einem autonomen Ich. Maßlosigkeit und Selbstverschwendung –
zentrale Figuren bei beiden Denkern und zugleich atopischer Knotenpunkt ihrer
Begegnung oder Gegenüberstellung – werden eine wichtige Rolle spielen bei dem
Versuch, mit Bataille aus Levinas’ Philosophie des Anderen ein Verständnis von
Subjektivität zu extrahieren, das Letztere in die Lage versetzt, das Andere am Selben, die
Störungen der Identität, ihre Exuberanz und ihre Unzulänglichkeit, zu affirmieren. –
Levinas’ Gedankenfigur des Desinteressement wird also mithilfe Batailles in seiner
exegetischen Drift hin zu einer utopischen Ethik – oder einem „extremen
Humanismus“ 32 – unterlaufen und (um)interpretiert als oder transponiert in eine
Phänomenologie der „inneren Erfahrung“. 33 Es geht hier aber weniger darum, die
Lesbarkeit dieser Philosophie als Ethik zu bestreiten, als viel eher um die Akzentuierung
der Tatsache, dass das Ethische bei Levinas einen anderen Sinn hat, als man ihn der Ethik
gewöhnlich zuschreibt, dass dieses implizit eben ein Konzept von Subjektivität austrägt,
welches
eine
vom
Egoismus
der
Autonomie
und
von
Vorstellungen
der
30 Dieser Begriff ist, glaube ich, Deleuze geschuldet; in welchem seiner Texte er zu finden wäre, weiß ich
leider nicht.
31 Vgl. SpA3, S. 185-195.
32 Bernhard H.F. Taureck: Emmanuel Lévinas zur Einführung. Hamburg 2002.
33 Vgl.: „Ich schreibe sogar dem leblosen Teilchen, noch unter dem winzigsten Lebewesen, diese Existenz
für sich zu, die ich lieber Erfahrung des Inneren nenne, innere Erfahrung, und für die die Begriffe, die sie
bezeichnen, nie wirklich befriedigend sind. Doch kann ich wissen, daß die innere Erfahrung, die ich weder
haben noch mir hypothetisch vorstellen kann, zwangsläufig und grundsätzlich ein Selbstgefühl einschließt.
Dieses elementare Gefühl ist nicht das Selbstbewußtsein.“ – E, S. 97. Vgl. auch S. 31-41 und 95-102.
9
Selbstbeherrschung deutlich zu unterscheidende „Sorge um sich“ 34 denkbar macht,
indem sie das Subjekt mit seiner Passivität konfrontiert und diese als Bezug zur
Transzendenz positiv bewertet. – „Wissen Sie, man spricht oft von Ethik, wenn man
beschreiben will, was ich mache, doch was mich letzten Endes interessiert, ist nicht
Ethik, nicht Ethik allein, es ist das Heilige, die Heiligkeit des Heiligen.“ 35
– Die positive Konnotation der Selbstverschwendung, die hier mit Bataille an Levinas’
Denken pointiert oder noch verstärkt werden soll, löst eine Konversion der Werte aus,
die sich entscheidend auf das Subjektkonzept bzw. das Selbstverhältnis auswirkt: Levinas’
Philosophie des Anderen ist nicht nur eine Philosophie für den Anderen – das gerade
zeigt die Gegenüberstellung mit Bataille in aller Deutlichkeit – sondern vollzieht eine
kopernikanische Wende im Umgang mit der Gebrochenheit, der Zerrissenheit, der
Schwäche, der Fragilität und der Endlichkeit der Subjektivität. Passivität und
Verletzlichkeit werden demnach nicht mehr als Defizit oder Problematisches gelten,
sondern als Gabe, als Begabung zur Sensibilität und als Ermöglichung des „Herausgehens
aus sich“, 36 als Chance zur Souveränität 37 aufgefasst werden können; es wird möglich
sein,
statt an der Endlichkeit des Subjekts, das zur Relativität einer auf immer unvollendeten
Wissenschaft verurteilt wäre, Anstoß zu nehmen, von Beginn an in dieser Endlichkeit selbst,
insofern sie dem der-Eine-für-den-Anderen der Nähe entstammt, die Vorzüglichkeit –
Erhabenheit und Bedeutung – der Verantwortung zu erahnen, das heißt der Sozialität –
Ordnung, der die endliche Wahrheit – Sein und Bewußtsein – untersteht. 38
Levinas und Bataille scheinen das Fundament der Ethik auf den Kopf – oder besser: vom
Kopf auf die Füße zu stellen: gerade dasjenige, was traditionell als Gefährdung von
Freiheit und als Verhinderung von Verantwortlichkeit behandelt und problematisiert
wurde und wird, verliert hier seine negative Konnotation und wird zur Bedingung der
Möglichkeit von beidem. Das lässt sich vielleicht als Paradox formulieren: es geht um
eine Form der Freiheit oder der Stärke, die gerade aus dem Gewahrsein der eigenen
Der Ausdruck stammt von Michel Foucault: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3. Übers. v. U.
Raulff und W. Seitter. Frankfurt am Main 1989.
35 Jacques Derrida: „Adieu“, in ders.: Adieu. Nachruf auf Emmanuel Lévinas. Übers. v. R. Werner. München
und Wien 1999. S. 8-30, hier S. 12.
36 Emmanuel Levinas: „Ideologie und Idealismus“, in ders.: Wenn Gott ins Denken einfällt. A.a.O. S. 22-43,
hier S. 43. Fortan zit. als DQVI1. Vgl. auch: „Wenn wir nicht zu dramatisieren wüßten, könnten wir nicht
aus uns herausgehen. Wir würden isoliert und eingepfercht leben.“ – EI, S.23.
37 Batailles Begriff der Souveränität zielt auf die Fähigkeit, sich selbst aufs Spiel zu setzen und ist insofern
von Herrschaft verschieden. Vgl. unten, Anmerkung 40 sowie Georges Bataille: „Die Souveränität“, in
ders.: Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. Übers. v. R. Bischof, E. Lenk, X. Rajewsky.
Hg. v. E. Lenk. München 1978. S. 45-86.
38 AQ, S. 71.
34
10
Ohnmacht und Schwäche erwächst – nein, das ist noch missverständlich ausgedrückt, es
legt die Möglichkeit einer „Rückkehr zu sich“ 39 nahe, eine Technik zur Stärkung des Ego,
eine Synonymie von Herrschaft und Souveränität. 40 – Was da für den Bruchteil einer
Sekunde aufleuchtet, ist vielmehr ein „Unmögliches“: 41 Freiheit, die im Erdulden der
Heteronomie liegt oder Güte, die die Zumutung des Unzumutbaren auch bedeutet. Das
Andere nämlich ist nicht bloß eine uneinholbare Transzendenz oder gar Göttlichkeit, es
ist auch nicht nur der unendlich andere Mensch, dessen Andersheit derart absolut ist,
dass sie nicht mit seinem Körper getötet werden kann, weil der Andere mir in „dem
Augenblick, in dem mein Töten-können sich realisiert“, 42 entkommt. – Das Andere ist
die Irritation und Irritierbarkeit der epistemischen Totalität, ist das Mal der eigenen
„Sensibilität“ 43 selbst, die unvordenkliche „Anarchie“ 44 meiner „Geiselschaft“ 45
gegenüber dem Anderen; es ist diese als „Passivität“ 46 erfahrene Öffnung – ein
wiederholtes Geöffnetwerden – auf den Anderen, das Andere hin, der unhintergehbare
Impuls der Verantwortung, einer „Stellvertretung“ 47 „wider Willen“. 48 – „Das Problem
der Transzendenz, das Gottesproblem und das Problem einer auf das sein – auf die
seinshafte Immanenz – irreduziblen Subjektivität gehören zusammen.“ 49
Die vorliegende Arbeit wird – vielleicht zwar eher implizit und indirekt – die
gegenüberstellende Beschreibung zweier Subjektkonzepte oder, umfassender, zweier
Haltungen 50 versucht haben: Auf der einen Seite steht da ein als aktiv vorgestelltes und
Vgl. SpA4, S. 213-218.
Vgl.: Derrida: Hegelianismus, S. 386. Derrida unterscheidet ‚Herrschaft’ (Hegel) und ‚Souveränität’
(Bataille) anhand des Sinns bzw. Nicht-Sinns, den sie dem „Daransetzen des Lebens“ beimessen.
41 Vgl. EI, S. 20 und S. 49.
42 Emmanuel Levinas: „Ist die Ontologie fundamental?“, in ders.: Die Spur des Anderen. A.a.O. S. 103-119,
hier S. 116. Fortan zit. als SpA1.
43 „Dieses Zerbrechen der Identität – diese Verwandlung des Seins in Bedeutung, das heißt in
Stellvertretung – ist die Subjektivität des Subjekts oder seine Unter-werfung unter alles – seine
Empfänglichkeit, seine Verwundbarkeit, das heißt seine Sensibilität.“ – AQ, S. 49.
44 Anarchie meint sowohl Vorursprünglichkeit bzw. Nicht-Ursprünglichkeit (AQ, S. 32), wie auch die
Unwillkürlichkeit oder Passivität der Verantwortung, die einer Störung der Totalität gleichkommt bzw.
einer Unterbrechung der Rückkehr zur Ordnung des Selben (Vgl. AQ, S. 224 u. die dortige Anmerkung 3).
45 „Das Subjekt ist Geisel.“ – AQ, S. 248.
46 Vgl. AQ, S. 48ff.
47 Vgl. AQ, S 47f. und 258f. Stellvertretung meint die Bedeutung, die dem Subjekt vom Anderen her
zukommt, es meint die Verantwortung für alles, vor allem für das nicht vom Subjekt zu Verantwortende,
eine Verantwortung, die nicht übernehmbar ist und doch übernommen werden muss.
48 „Die Verantwortlichkeit für den Anderen kann sich nicht aus einem freien Engagement … ergeben.“ –
AQ, S. 124. Vgl. überhaupt den „Wider den eigenen Willen“ betitelten Abschnitt AQ, S. 123-128.
49 AQ, S. 54.
50 Mit Haltung bezeichne ich den Knotenpunkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Selbstverständnis
und Selbstverhältnis, Weltbezug und Einstellung zur Alterität. Dieser Begriff beschreibt Subjektivität auf
eine Weise ganzheitlich, die die Akzentuierung des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, welche die
39
40
11
um Stabilität bemühtes Ego, das um der Aufrechterhaltung seiner Identität und Integrität
willen dem Anderen und Verstörenden nur negativ begegnen kann und das damit
zugleich auch das Andere an sich selbst, seine Gebrochenheit oder Zerrissenheit,
ablehnen muss bzw. auszuräumen sucht. Es ist auf Wissen bzw. Erkennbarkeit gegründet
und mit Begriffsakzentuierungen 51 wie Autonomie, Intentionalität, Aktivität, Idealismus,
Immanenz usw. beschrieben. Dem gegenüber steht eine in einer gewissen Weise
passivere Subjektivität, die sich nicht auf sich selbst zurückzieht, sondern in ihrer
Identität gerade „keine Bleibe“ 52 findet, weil sie konstitutiv auf das bezogen ist, was sie
transzendiert, ohne es in Erklärung oder Erkenntnis auflösen bzw. auf das Selbe
zurückführen zu können. – Im Kern geht es wahrscheinlich weniger um Haltungen im
strengen Sinn, als vielmehr um den Unterschied im Verhältnis zu dem, was diese
Haltungen destabilisiert, um einen Wechsel (der Strategie) im Umgang mit dem
Problematischen, dem Überschüssigen, dem Unkontrollierbaren, dem Verletzenden und
der Verletzlichkeit. Zumindest die gesuchte Haltung kann nur eine Art Quasi-Haltung
sein, der eben das Geronnene, das Massive, das Strapazierfähige an Haltungen abzugehen
scheint. Dass nämlich die (schmerzhafte) Irritation letztlich nicht behoben werden kann
und ihre Wiederkehr auch nicht verhindert werden soll – das wenigstens müsste eine
Wirkung sein, die ein konsequenter Begriff des Anderen, eine Billigung des
Problematischen nach sich zieht. Was von der Haltung übrigbleibt bzw. ihr zentrales
Element sein dürfte, lässt sich vielleicht wiederum als Paradoxie beschreiben: weder die
pure Negation noch die rigorose Affirmation von Positionierung respektive ihrer
Unterbrechung, sondern so etwas wie „Kontestation“ 53 gegenüber dem Wechsel von
philosophischen Subjektkonzepte bis heute prägt, hinter sich zu lassen versucht. Zugleich ist es das Projekt
der vorliegenden Arbeit, zu zeigen, was an einem rein theoretisch angelegten Subjektbegriff problematisch
erscheint, weil es sich trotz der vermeintlichen Exklave der Theorie, für die es entworfen wird, in die
Praxis, d.h. auf Haltungen, überträgt. In Konsequenz aus der ‚Theorielastigkeit’ des traditionellen
Subjektbegriffs müsste eher von „Person“ denn von „Subjekt“ gesprochen werden (Kurbacher), wenn ich
dennoch den Subjektbegriff beibehalte, so deshalb, weil Levinas und Bataille ihn weiterhin gebrauchen –
wohl gerade um ihn zu dekonstruieren. Die vorliegende Arbeit kreist zwar um den Begriff der Haltung und
verwendet ihn häufig, dennoch ist sie nicht der Ort, an dem er erschöpfend beschrieben werden könnte.
Vgl. die verschiedenen Aufsätze und Vorarbeiten zur Habilitation von Frauke A. Kurbacher.
51 ‚Begriffsakzentuierungen’ soll ausdrücken, dass natürlich auch ontoepistemologische Konzepte das
Subjekt mit seinen Stärken und Schwächen zu erfassen suchen – wenigstens sobald sie auf das Gebiet der
Ethik überwechseln; der Unterschied liegt vielleicht allein in der Gewichtung und Bewertung oder besser:
in den Wertsetzungen, die die Paradigmen des Denkens und somit seine Bewegungsrichtung bedingen.
52 AQ, S. 118.
53 Vgl. Michel Foucault: „Vorrede zur Überschreitung“, in ders.: Von der Subversion des Wissens. Übers. und
hg. v. W. Seitter. Frankfurt am Main 1987. S. 28-45, hier S. 33. Foucault entlehnt den Begriff von Blanchot,
er bedeutet „nicht positive Affirmation“. Vgl. auch Anmerkung 364.
12
Öffnung und Schließung, von Stabilität und Destabilisierung, so etwas wie Gleichmut –
aber Gleichmut jenseits von Indifferenz.
Die vorliegende Arbeit wird also zu zeigen haben, wird zu zeigen suchen, 54 inwiefern das
Primat der Erkenntnis, welches die hellenistische Tradition kennzeichnet, einer
bestimmten, tendenziell negierenden Haltung gegenüber der Welt und dem Anderen
Vorschub leistet. Sie wird zu zeigen haben, dass dieses Primat nahezu zwingend eine
Orientierung an universalistischen Sollensvorstellungen mit sich bringt, die im Grunde
totalitär sind: in ihrem Verlangen nach Wissen, distanzierter Neutralität, Sicherheit,
Kontrolle und Ermächtigung entspringen sie den heimtückischen Suggestionen der
Angst 55 und bringen insofern ein egoistisches, am Fortbestand der „individuellen
Diskontinuität“ 56 orientiertes Selbstverständnis mit sich, das paradoxerweise weder mit
einem ‚gesunden’ Selbstverhältnis noch mit einer tragfähigen Ethik kompatibel zu sein
scheint. – Wenn man so will, folgt die vorliegende Arbeit der These, dass Egoismus und
das Festhalten an der eigenen Identität und Integrität ein Problem auch für das Subjekt
selbst darstellen, dass – mit Bataille (oder Hegel) gesagt – Herrschaft selbst eine Form der
Knechtschaft ist, solange das Subjekt nicht zur Selbstverschwendung übergeht, sondern
mit aller Macht an seiner Macht festzuhalten sucht. Entsprechend dieses Bedürfnisses
nach Beständigkeit und Stabilität geht es in einer an Sein und Erkennen orientierten
Ethik stets um die Manifestation, 57 die „Eroberung“ 58 und den Erhalt des Guten als Gut;
sie hat keinen sinnvollen Begriff von unproduktiver Verausgabung und weiß demzufolge
nichts von der Bedeutung und der Möglichkeit des Desinteressement. Die Ontologie
54 „Suchen“ soll hier betonen, dass es nicht darum geht, die Wahrheit dieser Aussagen zu beweisen,
sondern um den Versuch der Beschreibung dieses Komplexes in seiner Wirkung auf die Haltung des
Subjekts, auf die innere Erfahrung, das Selbstverständnis und das Selbstverhältnis.
55 Vgl. die zentrale Rolle, die Bataille der Angst (in E und auch EI) zuschreibt: sie bringt das Verbot und die
Arbeit hervor, das aktive Verschieben der unmittelbaren Bedürfnisse auf später, ist aber auch notwendige
Bedingung für den Genuss der Verschwendung bzw. den Willen zur Überschreitung, die einer Rückkehr
zur Gewaltsamkeit der Unmittelbarkeit vergleichbar sind. Als ‚heimtückisch’ bezeichne ich die Angst
deshalb, weil ihr virulenter Impuls zur Absicherung und Kontrolle, wenn man ihm nachgibt, sie nahezu
zwingend anwachsen lässt und einen immer enger werdenden Zirkel in Gang setzt, der nur durch eine
Überschreitung aufgebrochen werden kann.
56 E, S. 21. Batailles Begriffspaar Diskontinuität/Kontinuität bezieht sich auf die innere Erfahrung von
Individuation – also Trennung – und Verschmelzung oder Selbstauflösung im Übergang zur Kontinuität
des Seins, den die Erotik (der Körper, der Herzen und die heilige Erotik – E, S. 18.) und der Tod
ermöglichen. Diskontinuität im Batailleschen Sinn meint also Individuierung oder Isolation und damit
etwas ganz anderes als bei Levinas, dessen Begriff dem gängigen Gebrauch als ‚unterbrochener Ablauf’
oder ‚heterogener Zusammenhang’ viel näher steht.
57 Bei Levinas darf das Gute nicht manifestierbar sein, weil es sonst ein ontologisch beschreibbares und
letztlich ideologisierbares wäre, das als Begründung für eine Integration des Anderen und somit als
Legitimation für das Recht des Stärkeren dienstbar gemacht werden könnte. Bataille streitet aus ganz
ähnlichen und doch auch anderen Gründen für eine „Philosophie des Bösen“.
58 N, S. 21.
13
entspricht der Logik einer partikularen Ökonomie, 59 die den Sinn des Seins in seinem
Fortbestand sieht. Ihre Begleiterscheinungen sind eine Überbetonung des optimierenden
und zweckgerichteten Handelns, eine Ethik der Machbarkeit, eine Moral der Nivellierung
und Homogenisierung und ein hybrider Begriff von Verantwortung, der der
Gebrochenheit der Subjektivität so wenig angemessen ist, dass er in eine Überforderung 60
mündet – eine Überforderung, die von der unausweichlichen und insistierenden
Zumutung des Unzumutbaren, der das Subjekt bei beiden hier zur Sprache kommenden
Denkern ausgesetzt ist, wenigstens qualitativ und in ihren Wirkungen zu unterscheiden
sein müsste. Die vorliegende Arbeit wird mit Bataille und Levinas die Relevanz einer
affirmierenden Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, Angst und Passivität
herauszustellen haben, sie wird zu zeigen suchen, dass eine Integration der NichtIntegrierbarkeit allererst zu einem menschlichen Selbstverständnis führt und dass eine
Beschreibung der Subjektivität als derart auf Transzendenz bezogen unentbehrlich ist für
eine Ethik – obwohl genau dies vielleicht jede Ethik im herkömmlichen Sinn sprengt. 61
– Es ist die Situation der Passivität und der Betroffenheit, der Beunruhigung der
Subjektivität durch die Transzendenz des Anderen und ihr Umschlagen in eine
Beunruhigung, eine Verantwortung für den Andern, die die Dimension des Ethischen bei
Levinas kennzeichnet. – Dieses Ethische ist nicht zu verwechseln mit einer Ethik, weil
letztere im Grunde stets eine normative Prägung haben wird, wie gemäßigt und
demokratisch sich diese auch äußern mag. Das Ethische hingegen hat mit moralischen
Grundsätzen (noch) nichts (oder in einem anderen Sinn) zu tun; mit ihm ist eher eine
Quasi-Haltung in den Blick genommen, die eine bestimmte Weise des Umgangs mit dem
Anderen – der Unterbrechung, der Nicht-Integrierbarkeit und Nicht-Totalisierbarkeit,
mit der Unzulänglichkeit und Fragilität von Haltungen überhaupt – kennzeichnet und die
insofern relevant ist auch für ein angemessenes Verständnis von Subjektivität und für das
damit zusammenhängende Selbstverhältnis. Das Ethische ist nicht als Normatives zu
beschreiben, sondern vielleicht gerade als eine gewisse Art und Weise, von Normativität
abzusehen und – der insistierenden Beunruhigung durch das Transzendierende an der
Vgl. Georges Bataille: „Der verfemte Teil“, in ders.: Die Aufhebung der Ökonomie. A.a.O. S. 33-234, hier S.
46f. Fortan zit. als PM.
60 Vgl. Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Übers. v. M. Lenzen
und M. Klaus. Frankfurt am Main 2008.
61 „’Ethik’, das Wort ‚Ethik’ ist bloß ein annäherndes Äquivalent, ein griechischer Notbehelf für den
hebräischen Diskurs über die Heiligkeit des Getrennten (kadosch).“ – Jacques Derrida: „Das Wort zum
Empfang“, in ders.: Adieu. Nachruf auf Emmanuel Lévinas. A.a.O. S. 31-170, hier S. 84. Fortan zit. als Derrida:
Empfang.
59
14
Differenz und das unendlich Differierende an der Transzendenz Aufmerksamkeit zu
schenken.
15
Sein und Wissen
Der gesunde Menschenverstand ist vollständig Verbrennung und Verdauung.
Der gesunde Menschenverstand ist landwirtschaftlich, nicht zu trennen vom Problem des Agrarischen und
dem Anlegen von Einfriedungen und Zäunen, nicht zu trennen von einem Vorgehen der Mittelschichten,
deren Mitglieder sich im Gleichgewicht halten, sich der Regel unterwerfen müssen.62
Gilles Deleuze
Was also geschähe, wenn die Idee der Transzendenz in die sich um Sein und Wahrheit
sorgende Philosophie hellenistischer Provenienz eingeführt würde? Was geschähe, wenn
jemand ernsthaft versuchte, der Ontoepistemologie einen konsequenten – das heißt
unabgeschlossenen und unabschließbaren – ‚Begriff’ des Anderen, der Exteriorität, des
Unverständlichen zu injizieren? – Es ginge dabei um eine Idee von Nicht-Verstehbarkeit,
die sich nicht einfach als Äquivalent eines Noch-nicht-Verstandenen abtun ließe, sondern
ein prinzipienloses „Anarchisches“, 63 ein Sich-der-Erklärung-Widersetzendes, Sich-derVergegenwärtigung-Entziehendes 64 meinte – ein „absolut Andere[s],“ das „sich nicht im
Bewußtsein“ spiegelt, sondern diesem so sehr widersteht, „daß nicht einmal sein
Widerstand sich in Bewusstseinsinhalt verwandelt“. 65 Anders gefragt: Was geschähe,
wenn etwas wie ein „Überschuß“ 66 in die maßvolle Ordnung, in die Ordnung des Maßes
und der Messbarkeit, der Kontinuität, der Identität und der Identifizierbarkeit
eingeschleust würde, sie anbohrte, in ihr aus- oder aus ihr hervorbräche? – Das gäbe eine
gewaltige Konversion. Konfusion auch, ja, aber vor allem Konversion: Das Sein und das
sein, das Seiende und sein Werden verlören an Gewicht und Überzeugungskraft – das
Moment des Überschusses, der Transzendenz, zerstreute die Entität sowohl wie ihre
Entwicklung, ihre Manifestation in einer kontinuierlichen Zeit. Der Wind bliese von allen
Seiten und in alle Richtungen gleichzeitig, sodass das Denken seine Bastion der Kohärenz
Gilles Deleuze: Logik des Sinns. Übers. v. B. Dieckmann, hg. v. K. H. Bohrer. Frankfurt am Main 1993. S.
103. Fortan zit. als Deleuze.
63 Vgl. AQ, S. 125.
64 Diese umständlichen Kettenbegriffe unterstreichen die Bizarrerie, die es bedeutet, dieses Sich-Sträuben in
der Logik des Seins beschreiben zu müssen, zugleich aber verweisen sie auf die Unfähigkeit der Sprache,
der Immanenz der Ontologie etwas entgegenzusetzen.
65 SpA4, S. 223.
66 Vgl. PM, S. 45-47 und den Begriff der Exuberanz in E.
62
16
preisgeben müsste und – mit seinen Fragen nicht mehr auf eindeutige Antworten bedacht
– zu einem „denkenderen Denken“ 67 würde. Und plötzlich begännen Begriffe sich zu
öffnen und würden „mehr enthalten, als sie enthalten“; 68 plötzlich begännen Böden
wolkig zu werden; idiomatische Platten würden sich verschieben und das zuunterst
liegende „Dia-chrone“ 69 freigeben, es flottierend an die Oberfläche steigen und
verdunsten lassen; plötzlich sähe man sich in der Lage, das „Bekannte auf das
Unbekannte zu beziehen“ 70 und – eine ganz andere Haltung einzunehmen.
Beide hier zur Sprache kommenden Philosophien unternehmen auf ihre je eigene Weise
den Versuch, Transzendenz zu denken und das Subjekt als konstitutiv auf diese bezogen
aufzufassen. Sowohl bei Bataille wie auch bei Levinas ist infolgedessen eine Art
Widerstand gegen das Wissen 71 (und das Sein 72 ) zu beobachten, der mit der von ihnen
gesuchten bzw. angebotenen alternativen Haltung zu tun zu haben scheint. Der
Zusammenhang zwischen der Idee der Transzendenz, einem konsequenten Begriff des
Anderen, und dem Umgang mit dem Problematischen oder Destabilisierenden – kurz:
zwischen Transzendenz und der Dimension des Ethischen – wurde oben schon
angedeutet. 73 Von diesem Ethischen her und vom Ausweis des Problematischen an
derjenigen Ethik, welche die ontoepistemologische Ausrichtung auf Allgemeinheit und
Neutralität nach sich zieht, wird die kritische Position Batailles und Levinas’ gegenüber
dem Wissen und der Haltung, die eine prinzipielle Orientierung an der Theorie zeitigt,
plausibel und verständlich werden. Der Haltungswechsel, der nicht zuletzt durch diese
ihre Kritik vollzogen werden soll und wird, ist damit zugleich schon vorausgesetzt: eine
DQVI2, S. 106.
Vgl. SpA3, S. 200ff.
69 AQ, S. 34.
70 EI, S. 256. Vgl. auch EI, S. 150-155.
71 Ich verwende die Begriffe ‚Wissen’, ‚Theorie’, ‚Ontologie’ und ‚Ontoepistemologie’ undefiniert und
synonym, weil es mir nicht darum geht, zu beschreiben, wie diese als Methoden funktionieren, als vielmehr
um die Werte und Ideale, an denen sie sich – und das Subjekt in seiner Haltung – ausrichten und die sie
konstituieren. Wenn man so will, folge ich der unhaltbar-generalisierenden These, dass die Vektoren dieser
jahrhundertelang kultivierten und ausdifferenzierten Techniken stets dieselben geblieben sind.
72 Bataille würde das wohl nicht so formulieren, weil er ohne größere Bedenken mit ontologischen
Begriffen hantiert. Gleichwohl lässt sich diese Gedankenfigur von Levinas in Batailles Denken übersetzen –
im Begriff der Ekstase findet sich das Pendant dazu. – Ich werde später noch intensiver darauf eingehen,
wenn ich darauf zu sprechen komme, dass der Widerstand gegen das Sein bei Levinas sich nicht nur in
einer Art Fundamentalkritik an der Ontologie und am mit Wahrheit und Wissen verknüpften – auf sie hin
an- und von ihnen her ausgelegten – Seinsbegriff bezieht, sondern in die ethische Figur des
Desinteressement umschlägt. Vgl. Anmerkung 10.
73 Dieser Zusammenhang wird im Folgenden immer wieder eine Rolle spielen und also nach und nach
deutlicher werden; außerdem wird davon im Kapitel „Ausweg aus dem Sein“ viel die Rede sein, weswegen
ich hier nicht weiter darauf eingehe.
67
68
17
andere als die theoretische Einstellung – das Paradigma der Maßlosigkeit des Anderen
und der Möglichkeit zur Selbstverschwendung – dient der Auseinandersetzung mit
letzterer als maßgebliche Folie, wird zugleich aber durch diese Konfrontation erst
entwickelt. 74 Diese Zirkularität bedingt auch die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit:
ich bin gewissermaßen dazu gezwungen, jene Perspektive vorauszusetzen, auf welche die
in diesem ersten Teil auszuführende Kritik der Ontoepistemologie erst zuläuft. Das hat
damit zu tun, dass der Widerstand gegen das Wissen auch für das Desinteressement von
Belang ist. Der Begriff ‚Desinteressement’ bezeichnet allerdings eine Bewegung, die
beides zugleich beinhaltet: der Widerstand gegen die Theorie ist der Weg aus ihr und
damit auch aus dem Sein, der Seinsverhaftetheit heraus. 75 Die Irritation der Episteme, die
durch die Einführung der Transzendenz geleistet wird, ist, wenn nicht Bedingung für das
Herausgehen-aus-sich, so – als Methode der Dramatisierung und Beunruhigung 76 – doch
ein konstitutives Moment. Vom nämlichen Standpunkt aus, auf den die Zersetzung der
Ontoepistemologie hin zielt, zeigt diese sich in aller Deutlichkeit (und Einseitigkeit) als
Totalisierungs- und Beruhigungsverfahren und somit als gegenläufig zur Möglichkeit des
Desinteressement.
Der Widerstand gegen die Ontoepistemologie äußert sich bei Bataille und Levinas
einerseits also in einer Art generellen Kritik an ihrer Logik bzw. als Versuch, ihr
Transzendenz zu injizieren und dadurch ihre Denkbewegungen buchstäblich
umzukehren; andererseits scheint es aber vor allem und gerade um die Erschließung eines
Zugangs zu einer von ihr verschwiegenen und nicht zu erfassenden Sphäre zu gehen, um
eine Drift in Richtung dieser von ihr ausgeschlossenen Dimension, um einem Ausgang
aus der Theorie. Beider Denken bleibt zwar auf die Theorie bezogen, aber eben nicht als
dialektisch an ihre Wertsetzungen gebundene und diese kritisch-optimierende Negativität,
sondern in einem mit ihrer wiederholten Rekonstitution rechnenden Insistieren auf
Destruktion 77
–
„unaufhörliches
Erwachen,
Wiedererwachen
inmitten
des
Erwachens…“. Der mitunter vehemente, ziemlich konsequente – und bei Levinas
74 Diese Zirkularität erscheint vielleicht als problematisch und zweifelhaft, vielleicht tut sie der
Argumentation auch einen Abbruch an Plausibilität. Letztlich verfährt allerdings auch die
Ontoepistemologie zirkulär: sie stellt Fragen in der Grammatik des Seins und erhält dementsprechende
Antworten. – Vgl. AQ, S. 66: „Die Antwort wird von vornherein in Begriffen des Seins verlangt, ob man
darunter nun Seiendes oder Sein des Seienden, Seiendes oder sein des Seins versteht.“
75 Vgl. oben Anmerkung 10 und 72.
76 Vgl. dazu den Abschnitt „Strategien der Zersetzung“.
77 Auf diese eigenwillige Persistenz des Widerstands gegen die ontoepistemologischen Verfahren der
Totalisierung werde ich im Abschnitt zu den „Strategien der Zersetzung“ weiter eingehen.
18
eindrucksvoll-theoretische – Widerstand gegen die Ontoepistemologie erklärt sich also
aus der Diagnose eines Mangels an Transzendenz, der mit der umgekehrten Tendenz zur
Totalisierung gleichzusetzen ist, welcher sie Vorschub leistet. Diese Aussparung von
Transzendenz kann als ein ihre Wertsetzungen bedingendes und die Stromlinien ihres
Denkens
ausrichtendes
Paradigma
angesehen
werden:
die
Vektoren
ihrer
Denkbewegungen legen ihrer konstitutiven Unabgeschlossenheit keinen Wert bei,
sondern zielen im Gegenteil auf Vollkommenheit – kann doch allein die Totalität der
Wahrheit genügen. 78 – Die Ontoepistemologie ist am Wissen und infolgedessen am Sein
orientiert und interessiert, sie arbeitet an Prozeduren der Erklärung und Definition und
bevorzugt Figuren der Identität – Figuren also, die auf Geschlossenheit bzw. Stabilität
hin angelegt sind oder diese wenigstens voraussetzen. Sie muss, da sie sich als
Wissenschaft versteht, von Bestimmung 79 und Bestimmbarkeit ausgehen – ist doch
Wissen nicht anders möglich, als über einen identifizierten Gegenstand oder Sachverhalt.
Eben deshalb ist es aus ihrer Perspektive auch selbstverständlich und plausibel, dasjenige
außen vor zu lassen, was sich nicht bestimmen lässt, die Transzendenz zu ignorieren, die
mit dem Anderen ins Spiel kommt. Was soll sie auch sagen zu einer Sache, die sich
außerhalb der Reichweite von Erkenntnis abspielt und zu der sie also nichts zu sagen hat?
– Was ihr allerdings vorzuwerfen bleibt, ist die Behauptung des eigenen Primats: was ist
von dem Anspruch einer kohärenten Bestimmung des Seins und der Seienden zu halten,
wenn diesem nur um den Preis des Ausschlusses seiner Genese aus dem Ethischen – der
Dimension der Beunruhigung der Subjektivität durch die Transzendenz des Anderen –
nachgekommen werden kann?
„Schließen sich das Ethische und das Verstehen aus?“ „Sie sind nicht auf gleicher Ebene. Ich
setze an die Stelle des Verstehens nicht andere Beziehungen, die solche des Nicht-Verstehens
wären, sondern das, wodurch das Verstehen des Anderen erst anfängt, für ein Ich zu zählen: das
ist nicht die Erkenntnis seines Charakters, seiner sozialen Position oder seiner Bedürfnisse,
sondern das ist seine Nacktheit als Bedürftiger, die seinem Antlitz eingeschriebene Entblößung,
sein Antlitz als Entblößung, welches mich als Verantwortlichen vorlädt und durch welches seine
Bedürfnisse für mich erst zählen können. 80
Vgl. AQ, S. 76. Ich werde später darauf zurückkommen.
„‚Αρχή’ ist zugleich ‚Ursprung’ und ‚Herrschaft’, Ursprung, aus dem alles entspringt und der darum alles
beherrscht. [...] Der Anfang konnte nicht irgendein Gegenstand der Bestimmung, sondern mußte die
Bestimmung selbst sein. Levinas setzt bei der αρχή als λόγος, darüber hinaus aber bei der griechischen
Grundentscheidung für die αρχή überhaupt an und stellt ihr das ‚An-archische’ der Transzendenz entgegen,
die den dominierenden Logos unterbricht.“ – Werner Stegmaier: Levinas. Freiburg im Breisgau 2002. S. 123.
Fortan zit. als Stegmaier.
80 DQVI2, S. 130.
78
79
19
Das von der Ontoepistemologie ignorierte und diese transzendierende Andere ist
einerseits natürlich der singuläre Andere, „den ich nicht kenne, ja der sich durch keine
Identität legitimieren kann und sich, als Anderer, eben mit nichts identifizieren lässt“. 81
Dieser Andere setzt der Bestimmung, über welche Verstehen – und sei dieses sich auch
seiner Vorurteile bewusst und in der Lage, sie im hermeneutischen Zirkel fahren zu
lassen – verläuft, einen „ethischen Widerstand“ 82 entgegen. Er lässt sich nur unter
sublimem Unbehagen charakterisieren und macht die unvermeidliche Inadäquanz und
Ungerechtigkeit 83 einer derartigen, selbst bloß sprachlichen, Inbesitznahme augenfällig
und spürbar. Andererseits ist das von der Ontoepistemologie ausgeschlossene Andere
aber auch ebendieses „Betroffenwerden“ 84 durch den anarchischen Anderen, die mehr als
affektive „Beunruhigung“ 85 der Subjektivität und die „[j]enseits des sein[s] bedeute[nde]
Bedeutung“, 86 die der Andere bewirkt bzw. innehat. 87 Das Betroffenwerden irritiert auf
zwei verschiedenen Ebenen, theoretisch als Sich-gegen-die-Bestimmung-Sträuben oder
Transzendieren und ethisch als Infragestellung der Freiheit und Priorität des Subjekts; es
ist aber stets schon Kennzeichen für letztere Dimension. Es ist, zusammengefasst, die
erschütternde Situation der Nähe – bei Levinas etwas ganz anderes als die Vertrautheit
etwa von Freunden oder Liebenden – oder der inneren Erfahrung, 88 die für die
Ontoepistemologie bloß sekundäre Relevanz hat und von der aus sich ihre
Problematisierung erhellt wie plausibilisiert. 89
AQ, S. 70.
SpA3, S. 199. Dieser ethische Widerstand besteht gerade in seiner Nacktheit und Ausgesetztheit; er ist
also nicht zu vergleichen mit etwa jenem „wirklichen“ Hemmnis, das die Dinge meinen Bedürfnissen
setzen.
83 SpA3, S. 203.
84 AQ, S. 70.
85 AQ, S. 69.
86 AQ, S. 77.
87 Die Beunruhigung des Subjekts ist ein zentraler Anschlusspunkt, der Batailles Denken mit Levinas’
Ontologiekritik zu verbinden erlaubt. Bei Bataille ist sind es weniger die ontologischen Figuren des Seins
und des Seienden, als vielmehr die Orientierung am Wissen, die bestritten werden, weil sie der
Unvoreingenommenheit der inneren Erfahrung entgegenstehen. Levinas’ Kritik setzt also gewissermaßen
tiefer an, weil sie entdeckt, dass das Wissen bzw. die Wissenschaft mit der Ontologie zusammenhängen und
versucht, die Wurzel des Problems zu greifen. Allerdings entkommt Batailles antiökonomische ‚Ontologie’
gerade dem Egoismus des Selbsterhalts, den Levinas im Seinsbegriff manifestiert sieht.
88 Levinas spricht sich (in Signature, zitiert bei Stegmaier, S. 121.) gegen den Begriff der ‚Erfahrung’ aus, weil
mit ihm „ein Subjekt immer das thematisiert, was ihm gleichkommt“ und setzt an dessen Stelle den Begriff
der „Transzendenz, wo es auf das antwortet, was seine Intentionen nicht ermessen haben.“ Bataille
bezeichnet mit seinem Begriff der inneren Erfahrung genau diese Bezugnahme, weswegen er mir geeignet
scheint, im hier zu beschreibenden Zusammenhang Verwendung zu finden. Dies scheint mir umso eher
gerechtfertigt, als im selben Text von Levinas der Satz auftaucht: „Die Zeit, die Sprache und die
Subjektivität lassen einen Pluralismus hervortreten und folglich, im stärksten Sinn des Begriffs, eine
Erfahrung: den Empfang durch ein Seiendes von absolut anderem Sein.“ (Stegmaier, S. 85.)
89 In gewisser Weise verfolgt der Existentialismus ein ähnliches Projekt: die Akzentuierung der subjektivexistentiellen Erfahrung vor der objektiven Essenz; das Sein wird dem Subjekt auch hier zum Problem,
81
82
20
Von hier aus erweisen sich die von der Theorie initiierten Haltungen als spezifische,
weder unhintergehbare noch alternativlos dastehende; Von hier aus gewinnen die
folgenden Fragen an Bedeutung und Denkwürdigkeit: Ist Wissen die einzige Möglichkeit
des guten oder ‚erfolgreichen’ Umgangs mit Welt, dem Anderen und uns selbst? Ist der
verbindliche Boden der Allgemeinheit, den das Verstehen zu konstituieren versucht, die
wichtigste Voraussetzung für ethisches Verhalten oder gerade eine Weise, die
unzumutbare Verantwortung, vor die die Endlichkeit das Subjekt stellt, von sich zu
weisen und dem Begehren, „alles zu sein“ 90 zu entsprechen? – Wie weit reichen die
Betrachtungs- und Verhaltensmuster der Ontoepistemologie und welches sind die
Wirkungen, die sie im Angesicht des Anderen entfalten? Wie wirkt sich eine Übertragung
der „Idiom[e] der Erkenntnis“ 91 und ihrer logischen Verkettungsmuster auf die
Dimension des Ethischen bzw. auf den Umgang mit Unterbrechung und Überschuss
aus? Oder, anders gefragt: „Das Verstehen als List, das kämpfende und gewalttätige
Verstehen, das für die Dinge gemacht ist – ist es in der Lage, eine menschliche Ordnung
zu erstellen?“ 92 – Das vorliegende Kapitel folgt der These, dass das Selbstverständnis und
die Haltungen des okzidentalen Subjekts zutiefst ontoepistemologisch geprägt sind,
wogegen mit Levinas dafürgehalten werden muss, dass Subjektivität sich nicht „gänzlich
von der Ontologie her verstehen“ 93 lässt und dass das Ethische an der Verantwortung
gerade darin besteht, maßlos zu sein – weder übernommen, abgegeben noch verringert
werden zu können. 94
Was genau ist es also, das mit Levinas und Bataille an der Ontologie und an einer
wesentlich am Wissen orientierten Haltung zu beanstanden ist? Offensichtlich trifft die
Ablehnung nicht so sehr die Möglichkeit von Erkenntnis, den Erfolg von Wissen oder
die Wirklichkeit von Sein und Seiendem. – Das wäre eine Argumentation, die, gerade als
negative, wesentlich an die Ontoepistemologie gebunden bliebe. Und wenngleich es
immer wieder so scheint (und scheinen wird), als läge der Einsatzpunkt der Kritik genau
hier, so ist dies doch nicht der Fall. Dieses – die diffizilen hier zu beschreibenden
aber das Ego hält daran fest, die Bewegung bleibt zentripetal, kippt nicht um in das Desinteressement,
sondern beschäftigt sich mit der Bewältigung des Projekts. Vgl. den Abschnitt zu „Aktivität und
Zwecksetzung“.
90 EI, S. 39. Vgl. auch die Wendung „sich als alles wollen“ – EI, S. 10.
91 Jean-François Lyotard: Der Widerstreit. Übers. v. J. Vogl. München 1987. S. 183-200, hier S. 199. Fortan
zit. als Lyotard.
92 SpA1, S. 114.
93 AQ, S. 80.
94 Ich werde später darauf zurückkommen. Vgl. außerdem: Stegmaier, S. 161-171.
21
Unterschiede verwischende – ‚Trugbild’ entsteht vielleicht aus der der Ontoepistemologie
eigenen Tendenz, sich stets zu rekonstituieren, alles Fragen in den Bereich der
Erkenntnis zu integrieren, in Fragen des Wissens zu übersetzen. Es ist der Sog des auf
Wahrheit ausgerichteten Diskurses, der das Denken immer wieder in dieselbe Richtung
verführt, die Sprache abdriften und abrutschen lässt in den Morast des „Gesagten“ 95 und
der Fokussierung auf Antworten.
Sie fragen mich: gibt es nicht eine erste Grundentscheidung? Ich würde eher sagen: es gibt eine
erste Frage. Ich sage Ihnen auch, warum ich diesen Begriff ‚erste Frage’ vorziehe: weil die Frage
über das hinaus gestellt werden kann, was einer Antwort sicher ist. Die Frage ist schon eine
Beziehung dort, wo es keinen Platz für eine Antwort gibt, dort wo eine Antwort nicht genügt: sie
würde das verkürzen, was in Frage ist. Unsere theoretischen Fragen sind bereits die
abgeschwächte Form dessen, was die Frage ist, was die Suche oder das Begehren ist. Und ich
stimme mit Ihnen darin überein, daß das einen großen Unterschied offenbart. Die
abendländische Philosophie ist eine Philosophie der Antwort – was zählt, ist die Antwort, ist das
Ergebnis, wie Hegel sagt –, während demgegenüber doch die Frage das … ich wage nicht zu
sagen: Erste ist, weil die Idee der Priorität eine griechische Idee ist – die Idee des Prinzips –, und
ich weiß nicht, ob man von Priorität sprechen muß, wenn man von der Frage sprechen will als
von einem denkenderen Denken im Vergleich zur doxischen Aussage der Antwort – von der
Frage, die Suche ist und Begehren –, von der Suche in dem Sinn, wie die Bibel von der Suche
Gottes spricht, wo vom „gefundenen Gott“ die Rede ist als von dem, der immer noch gesucht wird. 96
– Es ist die Ausrichtung und Konzentration auf Sein und Wissen – oder der Glaube an die
Möglichkeit der Orientierung an etwas Neutralem, Allgemeinen, Objektiven, der Glaube
daran, dass Gewissheit Sicherheit bietet – die als problematisch erscheinen, weil sie in der
Übertragung und Ausweitung auf die ethischen Bereiche eine Haltung initiieren, die nicht
wesentlich auf Transzendenz (auf Irritierbarkeit der Episteme, Verletzlichkeit und
Passivität der Subjektivität) bezogen ist und mutmaßlich gar nicht auf diese bezogen
werden kann, sondern gerade einen ausweichenden oder nivellieren Umgang mit dem
Überschuss, den Störungen und Unterbrechungen zeitigt. Es ist das Primat des
Verstehens, welches für Levinas (und Bataille) zum Problem wird, weil es eine
Perspektive eröffnet, für die oder innerhalb derer die Endlichkeit und Fragilität des
Subjekts als Nachteil erscheint und das Andere als Störenfried auftritt, der dessen
Unzulänglichkeit vorführt und das Selbe beschämt.
Die Heideggersche Philosophie bezeichnet den Höhepunkt eines Denkens, das das Endliche
nicht auf das Unendliche bezieht (in der Verlängerung gewisser Tendenzen der Philosophie
Kants: Trennung von Verstand und Vernunft, verschiedene Themen der transzendentalen
Dialektik), den Höhepunkt eines Denkens, für das jede Defizienz nur Schwäche ist und ganz
Fehler, den man gegen sich selbst begeht; sie ist Zielpunkt einer langen Tradition von
Heldenstolz, Herrschaft und Grausamkeit. 97
Vgl. AQ, S. 90.
DQVI2, S. 106.
97 SpA3, S. 193.
95
96
22
– Der Ausschluss des Anderen 98 ist dabei bloß ein erster – und reaktiver? – Schritt, der
die Möglichkeit eröffnet, das Verstehen als Primat zu setzen und der dieser Setzung
rückwirkend Plausibilität verleiht. Sind das Bewusstsein und die Bestimmung erst einmal
als Ausgangspunkt gesetzt, hinter den – vermeintlich – nicht zurückgegangen werden
kann, so wird das Andere nicht einfach mehr ignoriert, sondern erscheint ab sofort im
Paradigma der Erkenntnis: es muss erschlossen bzw. integriert werden.
Die abendländische Philosophie fällt mit der Enthüllung des Anderen zusammen; dabei verliert
das Andere, das sich als Sein manifestiert, seine Andersheit. Von ihrem Beginn an ist die
Philosophie vom Entsetzen vor dem Anderen, das Anderes bleibt, ergriffen, von einer
unüberwindbaren Allergie. Aus diesem Grunde ist sie wesentlich Philosophie des Seins, ist
Seinsverständnis ihr letztes Wort und die fundamentale Struktur des Menschen. Aus diesem
Grunde auch wird sie Philosophie der Immanenz und der Autonomie oder Atheismus. 99
Verstehen erscheint von hier aus also wesentlich als Totalisierungsbewegung, die zwar nie
zu einem endgültigen Abschluss kommt, die aber am Ideal der Vollendung orientiert ist:
Sein und Identität, als Medien der Wahrheit und der Erkenntnis, sind, wie gesagt, selbst
schon auf Geschlossenheit hin angelegte Figuren. Die auf Wissen ausgerichtete und an
diesem orientierte Ontoepistemologie nimmt diese Figuren notgedrungen an und steht
fortan in ihrer Bringschuld, ist gefangen im Zirkel von Integration und Exploration, sie
verlangt und konstituiert ein aktives Subjekt, das in der Lage ist, „das Unbekannte auf das
Bekannte zu beziehen“ und so stets zu sich zurückzukehren. Die Totalisierungsbewegung
des Verstehens, die auf Identität angewiesen ist und diese zugleich sanktioniert, lässt sich
in ethischen Begriffen als Wille zum Erhalt des Seins ausdrücken:
Sie [die Identität] ist vielmehr Ausdruck dafür, daß man sich mit dem endgültigen und absoluten
Charakter des Seins überhaupt, den niemand zu bezweifeln scheint, abgefunden hat. Und
tatsächlich ist die westliche Philosophie darüber nie hinausgegangen. In ihrem Kampf gegen den
Ontologismus, wenn sie ihn denn bekämpfte, stritt sie für ein besseres Sein, für eine Harmonie
zwischen uns und der Welt oder für die Vervollkommnung unseres eigenen Wesens. Ihr Ideal
des Friedens und des Gleichgewichts setzte die Genügsamkeit des Seins voraus. Die
Unzulänglichkeit der conditio humana wurde nie anders begriffen als eine Begrenzung des Seins,
ohne daß die Bedeutung des „Endlichseins“ jemals für sich in Betracht gezogen wurde. Ihre
einzige Sorge galt der Überschreitung dieser Grenzen, der Vereinigung mit dem unendlichen Sein
… 100
Diese Exklusionsbewegung beschreiben die hier anschließenden Abschnitte „Das Wissen und der
Andere“ und „Neutralität und Entsinnlichung“ genauer, während sich die auf diese folgenden Kapitel
„Identität und funktionale Differenz“, „Identifizierung und Allgemeines“ und „Aktivität und
Zwecksetzung“ um eine präzisere Darlegung der gleichwohl und in spezifischer Weise auf den Ausschluss
bezogenen Totalisierungsbewegung bemühen.
99 SpA4, S. 211.
100 Ev, S. 7.
98
23
Im Grunde liegt der Fehler der Ontoepistemologie also in ihrer Disposition des Subjekts
zu einer Haltung, die der Dimension des „Desinteressement“ 101 diametral entgegensteht,
und mit ihrer durch das Primat des Verstehens rückwirkend legitimierten Tilgung des
Vorrangs des Anderen vor dem Selben zu tun hat – in ihrer Reserviertheit also gegenüber
der inneren Erfahrung der Beunruhigung, ihrer Missinterpretation des Begehrens 102 als
Willen zur erfüllenden 103 Sättigung, in ihrer Verständnislosigkeit gegenüber der
Möglichkeit des Herausgehens-aus-Sich. 104 Letzteres ist der Begriff zugleich für das Ziel
und den Weg, den Bataille und Levinas einschlagen, der Knoten- und Berührungspunkt
beider Philosophien: „Sich-vom-Sein-Lösen“, „Sichselbersterben“ 105 sind Namen für die
gesuchte alternative Quasi-Haltung und zugleich die Bewegung der Abstandnahme zur
Ontoepistemologie: ein „Ausweg aus dem Sein“. 106
Levinas und Bataille akzentuieren in zuweilen bestürzender Weise die Beunruhigung und
Passivität der Subjektivität. Eine auf diese ihre Konstitution hin ausgerichtete oder sie
zumindest wahr- und hinnehmende Subjektivität – oder eben ein Denken, das die Idee
der Transzendenz ernstnimmt – ist bei beiden ein zentrales Element der gesuchten bzw.
als Alternative zur theoretischen Einstellung angebotenen Haltung. Bei Levinas hat dies
damit zu tun, dass in der Verletzlichkeit (oder der Destabilisierbarkeit) gerade die Gabe
und Begabung zum Ethischen liegt, denn „von sich her [wäre das Bewußtsein] für sich
geblieben“. 107 Bei Bataille ist die Beunruhigung, sind der Schrecken und die Angst die
Bedingung für die Ekstase. 108 Bei beiden hat also die Akzentuierung der Beunruhigung
mit der Gedankenfigur oder der Bewegung eines Herausgehens aus sich, einer Bewegung
hin zur Alterität zu tun. Aus dieser Perspektive der Selbstverschwendung erscheint die
Ontoepistemologie – die Ideen oder Idealen folgt, welche Stabilisierung und Nivellierung
positiv konnotieren – geradezu als gegenteilige Bewegung, als Strategie der Beruhigung,
Vgl. AQ, S. 122f.
Vgl. den Abschnitt „Die Idee des Unendlichen als Begehren“ – SpA3, S. 200ff.
103 Vgl. AQ, S. 118.
104 Es hört sich so an, als würde Levinas dem traditionellen Lebenswillen einen Todesmut entgegensetzen;
das brächte ihn Batailles „Dur-Tongeschlecht“ (Mirjam Schaub) vielleicht ein Stück näher. Jedoch betont er
– wie im übrigen auch Bataille – die Widerwilligkeit des Desinteressement. – Vgl. AQ, S. 122ff. Im zweiten
Kapitel wird auf diese Thematik zurückzukommen sein.
105 E, S. 225-229.
106 Schon in diesem, einem seiner frühesten Texte, zielt Levinas auf die Gedankenfigur des
Desinteressement ab; auch hier bedeutet sie zugleich eine Absage an die Ontologie, wie auch, mit Bataille
gelesen, ein heimliches Begehren des Subjekts.
107 AQ, S. 118.
108 Vgl.: „Der Geist bewegt sich in einer sonderbaren Welt, in der Angst und Ekstase zusammengehen.“ –
EI, S. 11.
101
102
24
die den Rückzug in sich oder die Rückkehr zum Selben bevorzugt und fördert.
Transzendenz irritiert also die Episteme und lässt die ontoepistemologische
Beruhigungsstrategie ins Leere laufen. Zugleich drückt der Begriff der Transzendenz aber
auch die Asymmetrie aus, in der das Subjekt im Verhältnis zum Anderen steht, das vor
ihm kommt, über es hinausgeht und unfassbar bleibt: sie ist ein Name für die existentielle
Desorientierung und das Destabilisierende schlechthin – für die Beunruhigung, die nicht
auszuräumen ist und die nur ertragen werden kann, für die Zumutung des Unzumutbaren
und die Heteronomie der Freiheit.
Levinas’ Technik der Hyperbolisierung, 109 sein Umschlagenlassen ontologischer Begriffe
in ethische, wird auch weiterhin als Umkehrverfahren genutzt, um zur Beschreibung einer
bestimmten Perspektive auf die Ontoepistemologie zu gelangen: es wird als Methode der
Kontrastierung der beiden zu untersuchenden Haltungen verwandt. Die Kritik an der
Ontoepistemologie ist bei beiden Denkern nicht ‚systematisch’ ausgearbeitet, sondern
von vornherein eingebunden in die Suche nach einem Ausweg aus der Theorie und das
Unternehmen einer grundlegenden Bezugnahme auf Transzendenz. Erstere geschieht en
passant oder indirekt und implizit, was den hier unternommenen Versuch insofern
zweifelhaft macht, als ich zu Pointierung und Explizierung und damit zu einer
Vereindeutigung der Vielfalt der ontoepistemologischen Ansätze gezwungen bin – also
eben zur Ungerechtigkeit gegenüber ihrer jeweiligen Singularität und Andersheit.
Zugleich – und deshalb scheint diese Vorgehensweise zumindest teilweise gerechtfertigt –
geht es hier, wie m. E. auch bei Levinas und Bataille, vor allem um eine Inblicknahme der
Wertsetzungen und Vektoren, an denen sich das ontoepistemologische Denken
ausrichtet, um die Paradigmen und Ideale, die es organisieren, und nicht um dessen
Wahrheit oder Effektivität. Über die Umkehr der Levinasschen 110 Akzentsetzungen
versuche ich, signifikante Paradigmen der ontoepistemologischen Denkbewegungen
herauszuarbeiten – dasjenige also, was vom Anderen der Theorie her an dieser
problematisch scheint. In Kontrast zu den Begriffen der Nähe, der Passivität, der
Transzendenz, des Sagens und des Desinteressement wird die Theorie beschrieben als ein
Unternehmen der Distanzierung und Beruhigung, des Verfolgs von Interessen, der
Vgl. dazu den Abschnitt zu „Strategien der Zersetzung“.
Levinas treibt die Ontologiekritik um einiges weiter als Bataille, er schreibt die Theorie buchstäblich um;
deshalb werden in diesem ersten Teil seine Gedanken im Vordergrund stehen; Batailles Perspektive wird
dabei zwar zuweilen ‚unsichtbar’ bleiben, aber dennoch stets eine Rolle spielen, wenigstens in einer
impliziten Parallelreflexion.
109
110
25
Betonung der Aktivität, der Thematisierung und des Gesagten. Es geht hier keineswegs
um eine generelle Diskreditierung der Ontoepistemologie, sondern um eine
Untersuchung der Konsequenzen ihrer Wertsetzungen und des von ihr behaupteten
Primats des Verstehens, um die Beschreibung jener Haltung, die eine vorrangige
Orientierung am und eine Ausrichtung auf Wissen ins Werk setzt. Im Grunde verfolgt
die hier versuchte Kritik an der Ontologie also das Experiment ihrer Perspektivierung
von ihren ‚psychologischen’ 111 Effekten her; sie hebt weniger auf einen objektiven
Anspruch ab, als vielmehr auf den Ausdruck innerer Erfahrung, auf den Niederschlag der
theoretischen Einstellung auf die ethische Praxis. Dementsprechend gebrauche ich den
Begriff der Theorie als über die Theorie hinausgehenden, er bezeichnet nicht primär das
ernstzunehmende, ehrwürdige und erfolgreiche Unternehmen der Wissenschaft, sondern
die an Allgemeinheit und Neutralität orientierte Haltung, die wie ein „feste[r] Entschluß,
das Leben von außen zu betrachten“ 112 anmutet und entsprechende Auswirkungen auf
das
Subjektkonzept
und
somit
auf
das
mit
dem
Umgang
mit
Alterität
zusammenhängende Selbstverhältnis hat. – Allerdings zeichnet sich schon jetzt die
Schwierigkeit ab, die Charakteristiken der Ontoepistemologie in einen linear-sukzessiven
Zusammenhang zu bringen oder gar einen Ursprung bzw. eine Ursache auszumachen.
Dies
liegt
daran,
dass
die
ontoepistemologische
Haltung
einen
Komplex
unterschiedlicher miteinander verwobener Einstellungen oder Wertsetzungen darstellt; sie
ist selbst ein Verhaltensmuster, das bestimmte Interpretationen von Welt nahe legt und
bestimmte Umgangsweisen sanktioniert, sich aber nicht in Reinform – als willentliche
Grundentscheidung etwa –
greifen, sondern lediglich über die Beschreibung seiner
Wirkungen andeuten lässt.
‚Psychologisch’ ist zum Teil ein Verlegenheitsbegriff, der das subjektive Moment herausstreichen, aber
nicht etwa bedeuten soll, dass es hier um Probleme der Psychologie ginge. Levinas sagt (in Signature, zitiert
bei Stegmaier, S. 121.) über sein Buch Totalität und Unendlichkeit, dass es ontologisch ist, weil es nicht nur
psychologisch sein will und wäre wohl auch wegen dieser Missverständlichkeit mit Batailles Begriff der
„inneren Erfahrung“ nicht einverstanden, da die Verschiebung der Probleme der Subjektivität in den
Bereich der Psychologie ihrer Marginalisierung und Pathologisierung gleichkommt. Batailles Begriff der
inneren Erfahrung setzt jedoch den Akzent auf die Erfahrung der Existenz (von ‚innen’ und nicht von
‚außen’ wie in der Theorie), ist ein existentialistischer (wenn auch nicht im herkömmlichen Sinn) und
scheint mir deswegen geeignet (und unpsychologisch) genug, um ihn hier mit der Subjektposition im
Verhältnis zum Anderen in Verbindung zu bringen. Vgl. Anmerkung 139.
112 EI, S. 97.
111
26
Das Wissen und der Andere
Gibt es ein Bedeuten von Bedeutung, das nicht auf die Verwandlung des Anderen in das Selbe hinausläuft?
Kann es etwas so Befremdliches geben wie die Erfahrung eines absolut Äußeren, etwas in den Termini so
widersprüchliches wie eine heteronome Erfahrung? 113
Emmanuel Levinas
Die Ontologie geht, mit Levinas gesprochen, aus einer Konstellation hervor, in der das
Subjekt dem Anderen gegenübersteht, von ihm infragegestellt oder angeklagt 114 ist und
auf seine Fragen je schon antwortet. Der Versuchung, dieses ‚Der-eine-gegenüber-demAnderen’ als ‚Ursituation’ – oder als anthropologisch gefasste Disposition des Subjekts
zum Ethischen – zu bezeichnen, opponiert zwar Levinas’ Rede von der „Diachronie“ 115
und Unvordenklichkeit dieser Konstellation. Dass er sie aber als irgendwie ‚vorwirklich’,
als diesseits des Seins und des In-Erscheinung-Tretens des Anderen beschreibt, hat vor
allem damit zu tun, dass es um eine Situation außerhalb der Ontologie geht, um eine
Situation, in der das intentional-verstehende Bewußtsein nicht die erste Rolle spielt. Er
behauptet mit seiner Betonung einer Dimension jenseits oder diesseits des Seins also
nicht etwa die Irrealität dieser Situation, sondern schreibt ihr eine Art von Wirklichkeit
zu, die im System der Ontologie nicht erfasst wird, weil sie weder primär das
Erkenntnisvermögen anspricht, noch auch ein Problem des Seins darstellt.
Der zu Subjektivität verknüpfte Knoten, - der, sobald die Subjektivität zum Bewußtsein des Seins
geworden ist, in ihr sich noch im Fragen bekundet – bedeutet eine Verpflichtung des Selben auf
den Anderen, die in Beschlag nimmt vor jedem In-Erscheinung-Treten des Anderen, vorgängig
zu jedem Bewußtsein; er bedeutet ein Betroffenwerden durch den Anderen, den ich nicht kenne,
ja der sich durch keine Identität legitimieren kann und sich, als Anderer, eben mit nichts
identifizieren lässt. 116
Im Augenblick, bei der Beschreibung des Einsatzes gegen die Ontologie, spielen die
„Diachronie“ dieser Vorgängigkeit und die „Anarchie der Verantwortung“ nur eine
sekundäre Rolle, eben als Markierung und Charakteristik eines Geschehens jenseits des
Seins; später erst wird es nötig werden, intensiver darauf einzugehen.
SpA4, S. 214.
Vgl. AQ, S. 129.
115 AQ, S. 136f. Neben der Funktion als Antonym zur Synchronisierung des Werdens in eine
kontinuierliche Entwicklung bezeichnet der Begriff der Diachronie sowohl die Passivität des Alterns, die
Brüche in der Identität, als auch die uneinholbare Vergangenheit (oder Zeitlosigkeit?) der Erwählung, der
Verantwortung gegenüber dem Anderen.
116 AQ, S. 70.
113
114
27
Wichtig für den vorliegenden Abschnitt ist, dass die Ontologie sich angesichts dieser
Situation einer nicht-ontologischen Infragestellung und Responsivität des Subjekts für die
Akzentuierung des „Gesagten“ entscheidet – dessen also, was an der Antwort definierter
‚Inhalt’ ist, was am „Sagen“ zur Proposition gerinnen kann und auf eine
„Zurschaustellung des Seins“, 117 auf Wahrheit hinausläuft. Sie entscheidet sich dafür, den
Akt und die Bedeutung des Sagens gegenüber dem Anderen außer Acht zu lassen 118 und stellt
damit das Subjekt in eine exklusive theoretisch-hermeneutische Beziehung zur Welt der
Gegenstände. Während die Ontologie also danach fragt, was dieses Was? ist, das zur
Schau gestellt wird, verweist die Dringlichkeit, die diese Was-Frage gewinnt, die
„Verstehbarkeit, die zur Frage wird“, 119 auf „einen an den Anderen gerichteten Ruf um
Beistand.“ 120 Jene aber übersieht die „Bitte …, die im Fragen mitschwingt“, 121 indem sie
die Nähe zum Anderen ausklammert wie sie überhaupt die Sphäre der Sozialität übergeht,
in der das Fragen und das fragende Subjekt doch schon immer stehen. – Ja, es wird sich
zeigen, dass das ontoepistemologische Denken darum bemüht ist, ein theoretisierendes
und theoretisches Subjekt zu konstituieren, das eben jener Versuchsanordnung adäquat
ist, die dazu geeignet scheint, ein möglichst objektives Verständnis vom Gegenstand des
Wissens zu erlangen. Letztlich reduziert die Ontologie das Subjekt also auf seine – dem
Objekt strikt korrelierte122 – Erkenntnisfunktion: „Die Seele lebte allein für die Enthüllung
des Seins, durch das sie entsteht oder hervorgerufen wird, sie wäre ein Moment im Leben
des Geistes, das heißt der Seinstotalität, die nichts außerhalb ihrer läßt, Selbes, das sich zu
Selbem gesellt.“ 123 Die Ontoepistemologie verwischt den Unterschied zwischen
personalem Subjekt und Dingobjekt: die Differenz zwischen der Frage nach dem Was?,
welche „schon ganz eingewickelt [ist] in Sein“, 124 und der Frage nach dem Wer? ist
Vgl. AQ, S. 65: „Die Wahrheit besteht, bevor sie eine Aussage oder ein Urteil kennzeichnet, darin, das
Sein zur Schau zu stellen.“
118 Es gibt natürlich auch noch die Möglichkeit der Integration des Anderen in den Erkenntnisakt, etwa in
Überlegungen zur „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Allerdings wäre von hier aus
auch die nicht auf die Erkenntnisfunktion zu reduzierende Relevanz und Virulenz des Anderen zu
bemerken; dadurch erhielte Levinas’ Behauptung eines Hervorgehens der Ontoepistemologie aus der
Situation der Nähe mehr Selbstverständlichkeit.
119 AQ, S. 66.
120 AQ, S. 67.
121 AQ, S. 71.
122 Vgl.: „Das Subjekt des Schauens ist allemal ein denkendes Seiendes, in einer strikten Korrelation zu
seinem Objekt, der Einheit Subjekt-Objekt zugehörig.“ – AQ, S. 73.
123 AQ, S. 75. Vgl. auch EI, S. 154: „Die Erkenntnis ist in nichts von mir selbst verschieden: ich bin sie, es
ist die Existenz, die ich bin. Aber diese Existenz ist nicht auf sie zu reduzieren: diese Reduktion würde
verlangen, daß das Erkannte der Endzweck der Existenz wäre, nicht die Existenz der Endzweck des
Erkannten.“
124 AQ, S. 66.
117
28
innerhalb dieser Logik lediglich eine „eidetische oder seinshafte, motiviert durch die Natur
oder die Seinsart des Seienden, das zum Problem wird.“ 125
Wenn die Ontologie sich also um den Logos des Seins und des Seienden kümmert, um
das, was am Sagen sich zur Aussage erhärtet, dann setzt sie die beschriebene Situation der
„Nähe“ in ein gewisses Licht, setzt sie einen Akzent auf die Frage nach Erkenntnis und
Wahrheit, indem sie den Kontext der Frage ausblendet, von dem aus gesehen es klar
ersichtlich ist, dass das „Gesagte und das Ungesagte … das ganze Sagen“ nicht
ausschöpfen und dass „das Sagen … diesseits des Gesagten [bleibt] – oder … über es
hinaus[geht].“ 126 – Diese ontologische Akzentsetzung verschiebt das Verhältnis zum
Anderen, den Umstand des Sagens selbst, auf später: in eine Ethik, die von der Theorie
her und nach dieser kommt. Eine solche kann die Bedeutung des Sagens, die Nähe zum
Anderen und die dort virulente „Anarchie der Verantwortung“ nicht mehr einholen, weil
sie den Anderen schon von der Ontologie her begreift – als ein mir ähnliches Seiendes, 127
mit dem ich über Drittes (im zweifachen Sinn: nämlich über Gegenstände und vermittelt
durch unsere Gemeinsamkeiten, durch die miteinander geteilte Sprache zum Beispiel)
kommuniziere; weil sie davon ausgeht, dass die Beziehung zum Anderen dialogisch ist
und reziprok; weil sie das menschliche Seiende in Analogie zum Erkenntnisobjekt
versteht: „In gewisser Weise naturalisiert sich dieses Fremde, sobald es sich auf die
Erkenntnis einläßt. An sich – und infolgedessen woanders als im Denken, als etwas anderes
denn das Denken – hat es nicht die rohe Wildheit der Andersheit. Es hat einen Sinn.“ 128
Der Ausschluss des Sagens und der Nähe, in der die Transzendenz des Anderen als
Beunruhigung des Subjekts aufscheint, lässt sich als eine Art Strategie der
Beschwichtigung lesen, als Übergehen der Empfindung der „Ausgesetztheit“ 129
gegenüber diesem Anderen, als Ausweichen auf die Ebene des Seins und des Wissens,
der Identifizierung, der Wahrheit und der Aktivität – kurz: der Theorie. Diese fungiert
auf zweierlei Weise als Beruhigung: einerseits eben durch die Distanzierung der Passivität
des Subjekts, andererseits als Einholen des Anderen in die Immanenz des Selben, als
AQ, S. 73.
AQ, S. 66.
127 Vgl.: „Wenn das Alter ego nicht mehr als die Spiegelung des Ich im Anderen ist und sein kann, ist der
Andere darin gerade um seine Andersheit verkürzt. Damit ist Intersubjektivität als Übereinstimmung von
Urteilen nur unterstellt.“ – Stegmaier, S. 56.
128 SpA4, S. 209f.
129 „Verwundbarkeit, Ausgesetztsein der Beleidigung, der Verletzung – Passivität, die passiver ist als jede
Geduld, Passivität des Akkusativs, des Anklagefalls, Trauma einer Anklage, unter der eine Geisel bis hin zur
Verfolgung zu leiden hat, Infragestellung der Identität [in] der Geisel, die an die Stelle der Anderen gesetzt
wird: Sich – Niederlegung oder Niederlage der Identität des Ich. Genau das ist, radikal gedacht, die
Sensibilität. In diesem Sinne Sensibilität als die Subjektivität des Subjekts.“ – AQ, S. 50.
125
126
29
seine Ent-Fremdung. Mit diesem Abdriften auf die Ebene des Gesagten ist also zugleich
auch die Dimension der Beunruhigung des Subjekts verstellt, das Ereignis der
Unterbrechung des Selben 130 rutscht in den Hintergrund. Dieses Primat des Gesagten
oder der Wahrheit hat Konsequenzen für das Verständnis von Subjektivität wie für das
damit zusammenhängende Selbstverhältnis (die die zentrale Problematik der vorliegenden
Arbeit ausmachen): dem Ich, das die eigene Beunruhigung durch den Wechsel auf die
Ebene der Theorie unterdrückt oder verdrängt, bleibt keine Möglichkeit mehr, sich
anders denn „als Sonderfall des Ich im allgemeinen“ zu verstehen, keine Chance, „aus
seinem Begriff [auszubrechen]“, 131 „aus sich herauszugehen“ 132 und so in die Situation
der Beteiligung und Verantwortung zu kommen bzw. in ein integrales – d.h. seine
Betroffenheit und Beunruhigung hinnehmendes – Verhältnis zu sich selbst zu treten. –
Dem Subjekt bleibt kein anderer als der theoretische Zugang zur Welt, zum Anderen und
letztlich auch zu sich selbst; theoretischer Zugang – d. h. Entsinnlichung, Distanznahme,
Neutralisierung, Identifizierung, Verallgemeinerung.
Diese grobe Skizze der Situation der Nähe markiert oder verortet bis jetzt erst die dem
Bewusstsein oder dem Wissen gegenüber andere Dimension, sie erfasst diese noch nicht
in ihrer intensiven Bedeutung des Ausgesetztseins und der Verantwortung gegenüber
dem Anderen, 133 sondern erst noch generell als die Ebene der Betroffenheit überhaupt,
welche den Vektor eben jener gesuchten Haltung anzeigt, die nicht am Verstehen
orientiert bzw. auf dieses ausgerichtet ist. 134
Das Selbe wird durch die ontologische Betonung von Sein und Wissen im Gesagten nicht nur geschützt;
der Begriff des Selben steht zugleich schon für diese Akzentuierung und diese Strategie. Deswegen müsste
hier eigentlich auch von einer Unterbrechung des Seins und des Wissens die Rede sein – eben von der
Figur des Desinteressement.
131 Vgl. DQVI2, S. 104.
132 Vgl. EI, S. 23.
133 Eigentlich lässt sich die Passivität des Subjekts, auf die ich bei dem Versuch, die radikale Ontologiekritik
von Levinas zu beschreiben und zu plausibilisieren, immer wieder zurückkommen muss, in ihrer Virulenz
nur verstehen, wenn sie von der Nähe des Anderen her gedacht wird. Es wird noch einige Male zum
(unausgesprochenen) Problem werden, diese Betroffenheit auch bei einem Subjekt festzustellen, das
Objekten des Wissens gegenübersteht. Trotzdem will ich die Nähe erst nach der ‚Zersetzung’ der
Ontoepistemologie intensiver beschreiben, weil ich zeigen möchte, dass die Logik der letzteren
systematisch und konsequent von der subjektiven Beunruhigung absieht.
134 Die ontoepistemologische Haltung scheint so weit sedimentiert zu sein, dass diese andere Sphäre – oder
zumindest ihre Bedeutung – nicht mehr auf Anhieb zugänglich ist; darauf weist zumindest die Tatsache hin,
dass Levinas und Bataille so viel Mühe darauf verwenden, diese Einstellung abzubauen. – Ein Teil des
Problems ist allerdings auch sprachlich bedingt. Vgl. „Strategien der Zersetzung“.
130
30
Distanzierung und Inbesitznahme
[D]er Mensch ist nicht Kontemplation (er findet Frieden nur, indem er ausweicht),
er ist Flehen, Krieg, Angst, Wahnsinn. 135
Georges Bataille
Wenn das Sagen ein „Sich-Aussetzen“ 136 ist und die Nähe des Anderen die Irritation par
excellence, so lässt sich die Fokussierung auf das Gesagte, die Ausrichtung auf das
Wissen und das Wissbare, welche die Ontologie favorisiert, im Kontrast dazu als eine
Bewegung der Abstandnahme beschreiben – einer Abstandnahme, die Beruhigung durch
Bestimmung und Berechnung ist, die also das Andere in gewisser Weise unter Kontrolle
bringt oder zu bringen versucht. Die Ontologie, die sich am Wissen orientiert und
deshalb für das Seiende und das Sein im allgemeinen interessiert, scheint – von ihrem
Anderen, von der Dimension des Sagens und der Nähe her – ein Unternehmen der
Distanzierung durch Inbesitznahme zu sein, eine Art Abdriften von der Erfahrung der
Passivität, der Betroffenheit und der Beunruhigung, eine Akzentverschiebung hin zu
einem aktiven und selbstbeherrschten Subjekt.
Was aber ist an der Nähe derart irritierend? Wieso ist der Andere die Infragestellung des
Selben? – Der Andere wird von Levinas als ganz Anderer gedacht, das heißt als absolut
vom Selben unterschieden und getrennt. Diese unbedingte Differenz ist ausschlaggebend
für den Begriff der „Nähe“ wie für das Irritationspotential, das mit diesem verknüpft ist:
Nähe ist hier konträr zum gängigen Wortgebrauch gedacht, der eine tendenziell exklusive
Beziehung meint, die von Geborgenheit und Vertrautheit gekennzeichnet ist. Für Levinas
ist Nähe umgekehrt die Begegnung mit einem x-Beliebigen, ganz anderen und insofern
fremden – sie ist ein Transzendenzgeschehen, das gerade nur über die absolute Trennung
von Selbem und Anderem hinweg möglich ist. Irritierend ist dieses Ereignis einerseits
aufgrund der Exteriorität des Anderen, der independent und damit unberechenbar bleibt,
andererseits hat die Infragestellung des Subjekts schon ethischen Charakter – es ist nicht
das Vermögen des Anderen, mich zu verletzen, als vielmehr seine Nacktheit oder
Verletzlichkeit, die das Ich in seiner Freiheit anklagt. Zudem hat die Begegnung selbst
transzendenten Charakter: weil der Andere ganz anders ist, ist es unmöglich (oder schon
eine Diskriminierung seiner Andersheit und Singularität), die Begegnung über die
135
136
EI, S. 54.
Vgl. AQ, S. 116-123.
31
Annahme eines verbindlichen Allgemeinen oder eines gemeinsamen Bodens zu regeln.
Aus ebendiesen Gründen vermag der Andere eine Veränderung des Selben auszulösen,
kann das Ereignis der Nähe einen Bruch bedeuten, der ein Anknüpfen an die
Vergangenheit unterläuft. Es bedeutet ein Sich-Aussetzen, das den Selben infrage stellt
und aus sich herausholt derart, dass er nicht zur Geschlossenheit seiner Identität
zurückzukehren vermag.
In der Verantwortung wird das Subjekt im Innersten seiner Identität sich fremd – in einer
Entfremdung, die nicht aus dem Selben seine Identität auslaufen lässt, sondern die ihn durch eine
unabweisbare Vorladung zu seiner Identität zwingt – es wird zu seiner Identität gezwungen als
Person, worin niemand es ersetzen kann. Einzigkeit, außerbegrifflich, Psychismus als Keim des
Wahnsinns, Psychismus schon als Psychose, nicht ein Ich, sondern ich, der Vorgeladene.
Vorladung zur Identität wegen der Antwort der Verantwortung, in der man sich nicht ersetzen
lassen kann, ohne schuldig zu werden. Auf dieses unnachgiebig zwingende Gebot ist die einzige
Antwort: „hier sieh mich“, bei der das Pronomen „ich“ im Akkusativ steht, gebeugt schon vor
jeder Beugung, besessen durch den Anderen, krank, identisch. Hier, sieh mich – Sagen der
Inspiration, die nicht die Gabe schöner Worte oder Gesänge ist. Zwang zum Geben, mit vollen
Händen, und folglich zur Leiblichkeit. 137
*
„Jenseits des sein bedeutet die Bedeutung, das ausgeschlossene Dritte zwischen Sein und
Nichtsein.“ 138 – Diese Bedeutung, die die subjektiv-affektive Bedeutung des Einen für
den Anderen ist, ist eine nicht-ontologische, also eine, die in mehrfachem Sinn nicht auf
das Wissen bezogen ist: sie ist für das Wissen irrelevant, weil sie keine objektiven
Informationen über den Gegenstand liefert oder enthält; sie ist ‚existentiell’ 139 und
anarchisch, also Argumenten gewissermaßen unzugänglich; sie unterbricht die
Totalisierungsbewegung des Wissens und des Selben, da der Andere kein
Erkenntnisobjekt ist, sondern der Identifizierung einen ethischen Widerstand
entgegensetzt. Die Betroffenheit durch die Nähe des Anderen holt das Subjekt innerlich
in seine Endlichkeit und Fragilität zurück, involviert es in ein Geschehen ganz anderer
Art als die Erkenntnis und hintertreibt die von dieser eröffnete Möglichkeit einer
Rückkehr zu sich – ein Geschehen, in dem es verpflichtet und angeklagt wird, in dem ihm
eine Bedeutung vom Anderen her zukommt. Nicht um Verständnis und nicht um
Verständigung geht es also gegenüber dem Anderen; er geht mich in einem anderen Sinn
an als etwa das bloß Unverständliche, er stellt die Subjektivität heraus als eine von der
Transzendenz verstörte – als eine in dieser Verstörung auf das Unendliche bezogene.
AQ, S.. 310f.
AQ, S. 77.
139 ‚Existentiell’ meint hier etwas anderes, tieferes, als das Überleben oder das Sein Betreffendes, es meint
die Beunruhigung des Subjekts und seine „Unersetzbarkeit“. Vgl. Anmerkung 174.
137
138
32
Verletzlichkeit, Destabilisierung, viszerale Verunsicherung scheinen in der Nähe des
Anderen auf und man könnte meinen, dass die Ontoepistemologie, die davon absieht
bzw. diese Dimension übergeht, geradezu eine Strategie der Prävention gegen die Risiken
dieser inneren Erfahrung, der Annäherung und Berührung – die zugleich Verletzlichkeit
bedeuten – darstellt. Das Unternehmen einer systematischen Integration des Anderen
nämlich in eine Immanenz, in das Verstehen oder das Bewusstsein, verringert oder
verändert das spezifische Irritationspotential, das in seiner Differenz zum Selben liegt,
macht seine absolute Exteriorität zu einer relativen und ermöglicht so eine Art
Beruhigung: der Riss in der Totalität (der Theorie wie des Subjekts) wäre jedenfalls ein
heilbarer; es gäbe eine – und eine richtige – Lösung, eine angemessene Verhaltensweise;
die Möglichkeit zur Unterbrechung wäre demnach lediglich der nicht zu beseitigenden
Unvollkommenheit des Stabilisierungsverfahrens geschuldet, eine Defizienz des Systems,
die nach Kräften ausgeräumt werden muss. Ist es die verzweifelte Hoffnung, der
unzumutbaren Zumutung, deren Mal und Einfallstor der Andere, das Andere ist, zu
entkommen, deren Trugbild die ontoepistemologische Haltung aufsitzt? – Je
umfassender und geschlossener, je allgemeiner und objektiver ein ontologisches System,
desto besser wäre es demnach dazu in der Lage, heterogene Phänomene in sein
Erklärungsmuster zu integrieren und desto einfacher wäre das „Unbekannte auf das
Bekannte“ 140 zu beziehen. – Wobei: je geschlossener ein System, desto fragiler ist es auch
und desto empfindlicher wirkt sich eine Störung aus; die logische Konsequenz eines auf
Geschlossenheit und Vollkommenheit ausgerichteten Systems wäre es, umso rigider zu
verfahren und sein Bestreben dahingehend zu lenken, selbst „...das Negative ernstzunehmen
und seiner Arbeit Sinn zuzumessen.“ 141
Der Bourgeois gesteht sich keine innere Zerrissenheit ein und würde sich eines solchen Mangels
an Selbstvertrauen schämen. Seine Sorge gilt der Wirklichkeit und der Zukunft, da sie drohen,
das unangefochtene Gleichgewicht seiner Gegenwart, die er sich durch Besitz gesichert hat,
aufzuheben. Er ist wesentlich konservativ, aber es handelt sich um einen beunruhigten
Konservatismus. Er sorgt sich um Geschäfte und Wissenschaft als Schutz vor den Dingen und
dem Unvorhersehbaren, das sie bergen. Sein Besitzinstinkt ist ein Instinkt der Vereinnahmung,
und sein Imperialismus ist eine Suche nach Sicherheit. Über den Antagonismus, der ihn der Welt
entgegensetzt, will er den Mantel seines „inneren Friedens“ breiten. Sein Mangel an Skrupeln ist
der beschämende Ausdruck seines ruhigen Gewissens. Doch als mittelmäßiger Materialist zieht
er dem Genuß die gesicherte Zukunft vor. Die Zukunft bedroht seine Gegenwart, in der er lebt
und in der alle Probleme gelöst sind, mit Unbekanntem. Aus diesem Grunde verlangt er von der
Gegenwart Garantien gegen die Zukunft. Sein Besitz wird zu einem zinstragenden Kapital, das
140
141
EI, S. 256. Vgl. auch EI, S. 150-155.
Derrida: Hegelianismus, S. 392.
33
ihn gegen Risiken absichert, und die derart bezwungene Zukunft fügt sich von nun an in seine
Vergangenheit ein. 142
*
Was aber ist genau gemeint mit der Behauptung, dass das Unternehmen der
Ontoepistemologie eine Abstandnahme darstellt? Ist nicht eben Transzendenz, die das
Geschehen der Nähe bedeuten soll, eine Beziehung zu etwas Entferntem, Uneinholbaren
und Idealen und kann Wissen nicht genauso gut umgekehrt als jene Fähigkeit
beschrieben werden, die Gegenstände dem Verständnis näher zu bringen? Würde das
Bild der Distanznahme das Subjekt nicht in eine abwegige Position des Überblicks
bringen, sodass es „nicht ‚in die Sache verwickelt’“ wäre, sondern sich ausnehmen würde
„von dem, was sich zeigt, sich verbergen in einem ‚Diesseits’“? 143 – Das Subjekt wäre
demgemäß ausgeschlossen aus der Totalität des Seins und der Ort der Entstehung des
Wissens wäre zugleich dessen blinder Fleck, ja letztlich hätte das Wissen keine Funktion
und fände keine Anwendung, denn ein derart aus dem Sein herausgetretenes Subjekt
wäre außerstande zu agieren.
Sicher wäre das „Diesseits“ nicht ein Bereich, in dem der durch die Zurschaustellung
hervorgerufene „Wer“ verlorenginge, doch bliebe es eine Seinsmodalität, eine Weise, sich zu
entziehen, sich auszunehmen, sich zurückzuziehen, ohne zu verschwinden; Sich zurückzuziehen
in die Nacht eines sich. [...] [W]äre die Verinnerlichung eine absolute Ausnahme, so wäre das in
der Wahrheit enthüllte Sein verstümmelt, von seiner Innerlichkeit abgeschnitten, wäre es, in
seiner Wahrheit, teilweise verschleiert, scheinbar und un-wahr. Es muß also, damit die Wahrheit
entsteht, die Aus-nahme der Innerlichkeit auf die eine oder andere Weise wiedereingeholt werden
– es muß die Aus-nahme zur Regel zurückkehren – es muß im dargestellten Sein das Subjekt des
Wissens sich wiederfinden und es müssen der Pulsschlag und das Atmen der „Seele“ zum
Ganzen des Seins gehören oder zurückkehren 144
–
Die
Reintegration
des
Subjekts
in
die
Immanenz
des
Seins
geschieht
bezeichnenderweise durch die Einholung der Welt in das Denken: vom Bewusstsein aus
gesehen ist das Verstehen stets sein eigenes Medium, hinter welches nicht
zurückgegangen werden kann; von der Frage nach Wahrheit her muss gesagt werden,
dass das Sein des Seienden sich nur im Erkennen zeigt, dass das Seiende also nur ist als
Erkanntes. Das erkennende Subjekt „bleibt korrelativ zum Sein“, 145 weil Sein umgekehrt
das Korrelat der Erkenntnis, weil es „bestimmend für die Wahrheit“ 146 ist. Das Subjekt
als denkendes ist also in sich eingeschlossen, es kann sich der Welt nicht unmittelbar
Ev, S. 5f.
AQ, S. 74.
144 AQ, S. 74f.
145 AQ, S. 75.
146 AQ, S. 65.
142
143
34
nähern durch etwa eine komplette Entblößung 147 (ihrer oder seiner selbst), aber es holt
durch die Vermittlung des Verstehens die Welt ins Bewusstsein und es weiß zugleich
sogar, dass es diese ‚hat’ allein durch jenes, es ist Selbstbewusstsein. 148 – Diese
idealistische Totalisierung, die nahezu notwendig aus dem ontoepistemologischen Primat
der Erkenntnis hervorgeht, verwischt den Unterschied zwischen Subjekt und Welt;
Seiendes wird im Medium des Bewusstseins nicht als Anderes erfahren, nicht als getrennt
von demselben und nicht als different zu seiner Vorstellung von ihm: „Die Idee des
Seins, mit der die Philosophen die irreduzible Fremdheit des Nicht-Ich deuten, ist …
nach dem Maße des Selben. Die Idee des Seins ist die von selbst adäquate Idee.“ 149 Diese
„Verselbigung“ 150 führt, wenn sie als Primat und unhintergehbarer Ausgangspunkt
gesetzt wird, nicht zuletzt in eine normative Ethik, die von ihrer Infragestellung her
keineswegs als neutral und dementsprechend gerecht erscheint, sondern geradezu als
Strategie, die Andersheit des Anderen zur Assimilation zu bringen, um die Interessen des
‚Ich’ zu wahren und ihnen nachzukommen – den Interessen des Selben, die legitimiert
scheinen gerade dadurch, dass sie anhand universeller Prinzipien, dass sie als allgemeine
behauptet werden.
Bevor allerdings diese Kritik an der ontoepistemologischen Ethik ausgeführt werden
kann, muss zunächst beschrieben werden, wie die Verfahren der Distanzierung und
Inbesitznahme genau funktionieren. Eben wurde – im Versuch, der Behauptung einer
Verbindung zwischen Wissen und Distanzierung skeptisch zu widersprechen – ex
negativo und gewissermaßen performativ beschrieben, wie diese Bewegung verläuft: die
Distanzierung, die durch das Verstehen bzw. den Wechsel in den theoretischen Modus
geschieht, ist eine innere: Das Subjekt sieht, um zu objektivem Wissen zu gelangen, von
der affektiven (oder ‚privaten’) Bedeutung des Seienden und von der eigenen Passivität
und Beunruhigung (durch dieses) ab, es nimmt sich also zwar nicht völlig aus dem
Seinsgeschehen aus, aber es versucht, seine innere Beteiligung durch die Frage nach
Wahrheit und den Anspruch auf Objektivität auszublenden. Im dialektischen
Umschwung dieser Distanzierungsbewegung muss es sich selbst als Teil des Ganzen
Es wird sich zeigen, dass sich das Geschehen der Nähe (bei Levinas) bzw. der Kommunikation (bei
Bataille) zentral um die Figur der Entblößung dreht. Eine tiefgehendere Untersuchung der Entblößung als
Gegenbegriff und Alternative zur Aufklärung wäre äußerst interessant und aufschlussreich.
148 Vgl.: „Die Wahrheit kann nur in der Darstellung des Seins für es selbst bestehen, im Selbstbewußtsein.“
– AQ, S. 75.
149 SpA3, S. 201.
150 SpA3, S. 187.
147
35
ansehen und – da Wahrheit doch vollständige Wahrheit sein muss – wieder in die
Totalität integrieren. Es spielt die Rolle eines Repräsentanten, eines „Spiegelbilds“ 151 des
Ganzen und kehrt so zur Totalität zurück. Doch es kehrt zu ihr zurück schon nur als
Bewusstsein – und indem es das andere Seiende in der gleichen Drift auf dieses
Bewusstsein von ihm reduziert. Die Distanzierung, die das theoretische Verständnis 152
sanktioniert, beruht gerade in dieser Reduktion auf Bewusstsein, die das Subjekt zugleich
in eine Art Verfügungsposition gegenüber dem Seienden versetzt.
Die Beruhigung, die die Ontoepistemologie ermöglicht, basiert also auf zwei miteinander
verschränkten und in bestimmter Weise gegenläufigen Bewegungen: sie ist eine
Inbesitznahme
durch
Distanzierung
und
zugleich
eine
Distanzierung
durch
Inbesitznahme: dass das Subjekt von seiner Betroffenheit absieht, bringt es in eine
Position der Aktivität, der Verfügung; diese Verfügbarkeit oder Erschlossenheit des
Seienden macht zugleich umgekehrt einen elementaren Aspekt der Distanzierung aus: die
Möglichkeit, sich innerlich nicht involviert zu fühlen, sondern die Situation – und damit
sich selbst – als neutraler Beobachter „von außen zu betrachten“. Die theoretische
Einstellung kann also beschrieben werden als eine Art Rückzug in das Bewusstsein (oder
auf die Ebene des Bewusstseins), das eine sichere Warte bietet, von der aus das
Seinsgeschehen, in welches das Subjekt nunmehr als abstrakte oder theoretische Variable
verwickelt ist, betrachtet werden kann: das Seinsgeschehen spielt sich als Heimspiel, auf
dem Territorium des Bewusstseins ab.
Der richtig verstandene Begriff der Intentionalität bedeutet zugleich, daß das Sein die Weisen des
Zugangs zum Sein beherrscht und daß das Sein gemäß der Intention des Bewußtseins ist: er
bedeutet eine Exteriorität in der Immanenz und die Immanenz aller Exteriorität. 153
– Diese Integrationsbewegung – die auch einfach als Metapher gelesen werden kann: das
Erkennen holt ja die Gegenstände nicht wirklich ins Bewusstsein, aber es erschließt
diesem doch die Welt – lässt sich beschreiben als Bewegung der Rückkehr zum Selben,
Vgl.: „Sollte aber in der zeitlichen Phasenverschiebung der Totalität des Seins – der Totalität, die allein
der Wahrheit genügen könnte – die Totalität, indem sie sich von sich selbst entfernt, ‚über die Totalität
hinausgehen’? Und doch dürfte die Totalität nichts außerhalb lassen. Infolgedessen ereignet sich die
Transzendenz der in der Wahrheit zum Thema gewordenen Totalität als eine Aufgliederung der Totalität in
Teile. Wie können aber die Teile gleichbedeutend sein mit dem Ganzen, das ja das Sich-Darbieten als
Wahrheit impliziert? Indem sie das Ganze spiegeln. Das sich in einem Teil spiegelnde Ganze ist Bild. Die
Wahrheit würde sich also in Bildern des Seins ereignen.“ – AQ, S. 76f.
152 Ich spreche hier von theoretischem Verständnis, weil es möglicherweise auch andere Weisen des
Verstehens gibt und weil auch Levinas ein Bedürfnis dazu einräumen würde, das sich nicht auf ein
theoretisches Interesse reduzieren lässt, sondern aus der Dimension des Ethischen hervorgeht.
153 Emmanuel Levinas: „Bemerkungen über den Sinn“, in ders.: Wenn Gott ins Denken einfällt. A.a.O. S. 195228, hier S. 206f. Fortan zit. als DQVI4.
151
36
als „Identifizierung“, die das „Unbekannte auf das Bekannte bezieht“, oder auch
umgekehrt, als ausgreifende Explorationsbewegung, die alles Begegnende in die
Immanenz des Erklärungssystems einholt und – mit Bataille gesprochen – dem Bedürfnis
gleich- und nachkommt, „alles sein zu wollen“. 154 – „Die Eroberung des Seins durch den
Menschen im Laufe der Geschichte – das ist die Formel, in der sich die Freiheit, die
Autonomie, die Reduktion des Anderen auf das Selbe zusammenfassen lassen.“ 155
Die Beruhigung, die die Ontoepistemologie bietet, vollzieht sich in einer doppelten
Bewegung, einem Entfernen, das zugleich ein Zurückholen, einer Distanzierung, die
zugleich eine Inbesitznahme ist. Und diese Beruhigung, welche die ontoepistemologische
Haltung verspricht, disponiert das Subjekt zu der oben als problematisch herausgestellten
Ausrichtung oder Konzentration auf das Verstehen, zur Setzung des Letzteren als
unhintergehbares Primat. Diese Ausrichtung auf das Erkennen oder das Erkennbare, so
wird sich zeigen, kippt um in eine Orientierung am Wissen, in ein Sich-an-das-und-amWissen-Halten, in eine Art Blindheit und Unwillen gegenüber dem, was nicht verstanden
werden kann und sich also nicht dem Willen, der Aktivität des Subjekts unterwirft. Mit
Bataille lässt sich diese Ermächtigung des Subjekts durch das Wissen – die nur möglich
ist aufgrund der Distanzierung der eigenen Beunruhigung und Passivität – zugleich als
dessen paradoxe Unterwerfung unter das Prinzip der Aktivität lesen, die zu einem rigiden
Selbstverhältnis führt, innerhalb dessen Autonomie und Knechtschaft zusammenfallen:
Die Erfahrung ist in Fieber und Angst die Infragestellung (Erprobung) dessen, was ein Mensch
vom Seinsgeschehen weiß. Wenn er in diesem Fieber irgendeine Wahrnehmung macht, kann er
nicht sagen: „ich habe dies gesehen, was ich gesehen habe, ist so und so“; er kann nicht sagen:
„ich habe Gott, das Absolute oder den Weltengrund gesehen“, sondern nur: „was ich gesehen
habe, entgeht dem Verständnis“, und Gott, das Absolute, der Weltengrund sind nichts, wenn sie
keine Kategorien des Verständnisses sind.
Wenn ich bestimmt sage: „ich habe Gott gesehen“, würde das, was ich sehe, sich verändern. An
die Stelle des unfaßbaren Unbekannten – das vor mir auf ungezähmte Weise frei ist und mich
vor ihm ungezähmt und frei sein läßt – träte ein totes Objekt und die Sache des Theologen – der
das Unbekannte unterworfen wäre, denn im Falle Gottes wird das dunkle Unbekannte, das die
Ekstase enthüllt, unterworfen, um mich zu unterwerfen (die Tatsache, daß ein Theologe hinterher den
gesetzten Rahmen sprengt, bedeutet einfach, daß der Rahmen überflüssig ist; für die Erfahrung
ist das nur eine Vorannahme, die zu verwerfen ist). 156
Der Zusammenhang, der im folgenden noch detaillierter beschrieben wird, ist die
Verflechtung von innerer Distanzierung und Manifestation bzw. Identifizierung des
Seienden. Die Distanzierung scheint hauptsächlich drei Aspekte zu haben, die mit
Neutralität, Verallgemeinerung und Intentionalität (als zweckgerichtete Aktivität) zu
EI, S. 39.
SpA3, S. 186.
156 EI, S. 14.
154
155
37
assoziieren sind: Entsinnlichung als ein Absehen von der subjektiv-affektiven Bedeutung,
die Seiendes für Seiendes hat; Vermittlung des Begegnenden durch das „Schon-Gesagte“,
welches eine Art Vorherwissen ermöglicht, eine Zuordnung, die der eventuellen Irritation
(immer schon) zuvorkommt; dieses Vorherwissen, das die Gegenstände berechenbar
macht, ist die Bedingung für Intentionalität und gleichzeitig deren Effekt; es gestattet den
Entwurf und den Erfolg von „Projekten“, 157 die die Zeit sowohl wie Subjekt und Objekt
einem
bestimmten
zukünftigen
Zweck
unterstellen
und
damit
in
einen
Sinnzusammenhang bringen.
Neutralität und Entsinnlichung
Das Individuelle als Erkanntes ist bereits ent-sinnlicht und in der Anschauung auf das Universale bezogen.
Die eigentliche Bedeutung des sinnlich Wahrnehmbaren ist dagegen in Begriffen des Genießens und
Verletzens zu beschreiben – die, wie wir sehen werden, die Termini der Nähe sind. 158
Emmanuel Levinas
Die Ontologie sucht in ihrer Ausrichtung auf Wissen nach elementaren Strukturen und
universalen Gesetzen, die die Gegenstände wie auch die Ereignisse, das Sein des Seienden
und sein sein, konstituieren und organisieren. Sie sucht nach Bestimmungen des Seienden,
die diesem objektiv zukommen, d.h. nach Bestimmungen, die unabhängig sind von der
spezifischen Beziehung, in der das Subjekt zum Objekt stehen mag. Das
ontoepistemologisch orientierte Subjekt sieht also explizit von der Dimension der
Betroffenheit und der nicht-ontologischen Bedeutung ab, die Seiendes für Seiendes stets
auch hat. – In der hier veranschlagten Perspektive scheint es sogar eines der wichtigsten
Motive der Erkenntnistheorie zu sein, die Nach- oder Nebenwirkungen dieser subjektivaffektiven Bedeutung weiter zu reduzieren und ein möglichst neutrales Subjekt zu
konstituieren, das seine Sympathien und Passionen vernachlässigt, um sich mit ebenso
generellen wie abstrakten Gegenständen zu beschäftigen, bei denen noch nicht einmal die
konkrete Realität 159 von größerer Relevanz ist. Der Begriff der Konstitution ist hier ganz
ernst gemeint: es geht zwar in der Theorie lediglich darum, eine Art Subjekt-Variable für
Vgl. Batailles Begriff vom Projekt in EI, vor allem S.68-71.
AQ, S. 145.
159 Vgl. das Kapitel zu Husserl in Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie. Von den Anfängen bis ins 20.
Jahrhundert. Zweiter Band, 17. bis 20. Jahrhundert. München 2000. S. 424-434, hier S. 426.
157
158
38
den Bereich, die Aufgaben und im Rahmen der Theorie zu setzen, also dem „Subjekt …
den
Status
einer
substantiellen
anthropologischen
Universalie“ 160
zuzuweisen.
Gleichzeitig – das zumindest ist eine hier vertretene These, die der Vehemenz der
Wissens- und Ontologiekritik bei Levinas und Bataille zu entsprechen scheint – hat dieses
Verfahren eine theoretische Haltung zur Folge, die sich auf die Praxis überträgt und im
Verhältnis zum Anderen und zum Anderen am Selben niederschlägt. 161
Die Unmittelbarkeit als Überempfindlichkeit – ihre Verwundbarkeit – wird im Prozess des
Wissens gleichsam betäubt. Doch wahrscheinlich ebenso verdrängt oder unterbrochen. Im
Verhältnis zu dieser Verwundbarkeit (die den Genuß in anderer Weise als ihre Antithese
voraussetzt) bezeichnet das Wissen – die Entdeckung des Seins für es selbst – einen Bruch mit
dem Unmittelbaren und in gewissem Sinne eine Abstraktion. 162
Wissen ist – auch wenn seine Reinheit und Vollständigkeit natürlich ideal, d. h.
unerreichbar und immer verheißene 163 bleiben – erst dann objektiv und allgemein, wenn
es von anderen nachvollzogen werden kann, wenn es also vom privaten Empfinden, 164
von Genuss und Schmerz, von der ‚existentiellen’ Bedeutung absieht, die eine Situation
oder ein Seiendes haben, wenn es dem Gegenstand keine Eigenschaften zuschreibt, die
ihm nicht ‚an sich’ zukommen. Dem entspricht die Verengung, die der Begriff der
Empfindung erfährt, wenn er (allein) vom Wissen her gedacht wird: – als Rezeptivität des
Subjekts, die ihm vor allem Informationen darüber liefert, wie das Erkenntnisobjekt
beschaffen ist; als Wahrnehmung, die durch Reflexion weiter geprüft und auf ihren
sachlichen Gehalt reduziert werden muss, und die zugleich schon – vom Verstehen her –
gedacht wird als von transzendentalen Kategorien durchsetzte bzw. organisierte:
Die Anschauung, die in einen Gegensatz zum Begriff gebracht wird, ist bereits Sinnliches in
begrifflicher Gestalt. Das Sehen imitiert oder präfiguriert aufgrund seiner Distanz und seines
totalisierenden Erfassens die „Unparteilichkeit“ des Intellektes und seine Weigerung, bei etwas
Leider kann ich das Zitat nicht mehr lokalisieren, meine aber, es irgendwo in der Sekundärliteratur zu
Levinas gefunden zu haben.
161 Es wäre ziemlich interessant – auch für eine eingehendere Beschreibung des Haltungsbegriffs – die
Mechanismen der Übertragung und Rückkopplung von Idiomen der Erkenntnis (Lyotard) auf die Praxis
und umgekehrt zu untersuchen. Spannend wäre auch eine Betrachtung der Geschichte von Haltungen, die
manchmal als Atavismen überdauern, obwohl sich die Gründe für ihre Konstitution längst verflüchtigt
haben. Vgl. Anmerkung 238.
162 AQ, S. 148.
163 Vgl. AQ, S. 77. Levinas spricht von der Verheißung der Wahrheit, weil das Sein in seiner Totalität sich
nur in der Zeit zeigen kann (da die Totalität sich nur zeigen kann, indem sie sich von sich entfernt oder
teilt) und Manifestation wie Erkenntnis somit immer „partiell“ (AQ, S. 67) bleibt. Zugleich kann in dieser
Verheißung der Impuls zur Aktivität gesehen werden, den Bataille mit der „Hetzjagd des Ipse“ (EI, S. 78.)
beschreibt. Hierauf werde ich im Abschnitt zu „Aktivität und Zwecksetzung“ weiter eingehen.
164 Es geht hier natürlich nicht darum, dem theoretischen Universalismus etwa einen Perspektivismus
entgegenzustellen; das wäre immer noch zu theoretisch bzw. an Erkenntnisfragen orientiert; es geht im
Gegenteil darum, der inneren Erfahrung, der Erfahrung der Ausgesetztheit an das Andere Aufmerksamkeit
zu widmen.
160
39
stehenzubleiben und es dabei bewenden zu lassen – wozu die Unmittelbarkeit des sinnlich
Wahrnehmbaren disponieren würde oder die durch diese Unmittelbarkeit konstituiert wird. Der
eigentliche Sinn dessen, wozu die Unmittelbarkeit des sinnlich Wahrnehmbaren disponiert, liegt
anderswo, und er erschöpft sich keineswegs darin, die Bewegung und die Dynamik des
Erkennens anzuhalten. 165
Entsinnlichung bedeutet also nicht unbedingt ein Vernachlässigen der Wahrnehmung,
sondern eine Unterscheidung, eine Separation von Sinnlichkeit und Sensibilität, eine
Reduktion der Wahrnehmung auf Rezeptivität, auf diejenigen Aspekte, die für das
Erkennen relevant sind – Empirismus.
Natürlich ist es einleuchtend, die Dimension der unmittelbaren Betroffenheit
auszusparen, wenn es darum geht, Allgemeingültiges und Verbindliches über den
Gegenstand in Erfahrung zu bringen und also wahrheitsfähige Aussagen zu machen. –
„Das Unmittelbare ist nicht Gegenstand des Verstehens“, 166 es eignet sich nicht als
Information und es widersteht dem Wissen, weil es eine Dimension eröffnet, die ganz
andere Bindungen knüpft und andere Kräfte ins Spiel bringt als die Erkenntnis, weil es
eine Erfahrung sinnlicher Überflutung 167 ist, welche der spezifischen für die Theorie
benötigten Nüchternheit – sowie dem Abstand zwischen Subjekt und Objekt –
zuwiderläuft: „Bevor es Objekte denkt oder wahrnimmt, badet das Subjekt im
Sinnlichen.“ 168 – Von der Frage nach dem Verstehen her muss umgekehrt sogar gesagt
werden, dass es Unmittelbarkeit nicht gibt, weil die Wahrnehmung des Gegenstands
schon immer mit seinem Verständnis verknüpft ist. Genau diese Unhintergehbarkeit des
Verstehens wird hier angezweifelt und mit ihr das Primat der Ontoepistemologie, deren
Konzeptionen von Subjektivität diese unter der Hand auf das Vermögen des Intellekts,
des Bewusstseins reduzieren.
Selbst der Existentialismus eines Sartre oder Heidegger löst sich nicht von der
Vorstellung der Subjektivität als Bewusstsein oder Seinsverstehen. 169 Und auch der
Phänomenologie geht es in den meisten Fällen nicht darum, eine innere Erfahrung zu
beschreiben; im Gegenteil: die Erscheinungsweisen der Gegenstände sollen auf eine Art
reduziert werden, die intersubjektive Gültigkeit beanspruchen kann. 170
AQ, S. 146.
SpA1, S. 117.
167 Derjenige Bedeutungsaspekt des Wortes „Überflutung“, welcher hier von Interesse ist, ist nicht so sehr
die „Überfülle“, sondern die Intensität, der man sozusagen wehrlos ausgesetzt ist, weil sie Genuss und
Schmerz und zuweilen auch deren Ununterschiedenheit bedeutet.
168 Emmanuel Levinas: „Intentionalität und Metaphysik“, in ders.: Die Spur des Anderen. A.a.O. S. 140-153,
hier S. 144. Fortan zit. als SpA2.
169 Vgl. AQ, S. 69 und 70.
170 Vgl. Stegmaier, S. 48f.
165
166
40
Schon seit einiger Zeit tendierte die einzige Philosophie, die lebendig ist, die der deutschen
Schule, dazu, die innere Erfahrung auf die höchste Erkenntnis auszudehnen. Aber diese
Phänomenologie verleiht der Erkenntnis den Wert eines Ziels, zu dem man durch die Erfahrung
gelangt. Das ist eine hinkende Verbindung: der Anteil, der der Erfahrung zuerkannt wird, ist
darin zugleich zu groß und nicht groß genug. Jene, die ihr diese Stellung einräumen, müssen
spüren, daß sie durch ein immenses Mögliches über die Anwendung hinausgeht, auf die sie sich
beschränken. Was die Philosophie scheinbar rettet, ist die geringe Schärfe der Erfahrungen, von
denen die Phänomenologen ausgehen. Dieses fehlende Gleichgewicht überlebt nicht das
Insspielbringen einer Erfahrung, die bis ans Ende des Möglichen geht. Während bis ans Ende
gehen zumindest dies bedeutet: daß die Grenze, die die Erkenntnis als Ziel darstellt,
überschritten wird. 171
Im Grunde wird mit der vom Anspruch auf Allgemeingültigkeit geforderten neutralen
Haltung des Subjekts Indifferenz ausgebildet – Indifferenz, die auf einer inneren
Distanznahme beruht und es gerade dadurch erleichtert, dem Interesse des Ego konsequent
zu folgen und sich in der Rolle des Akteurs zu wiegen. Das Absehen von der eigenen
affektiv-existentiellen Betroffenheit und Beunruhigung nimmt der Unmittelbarkeit den
Beigeschmack der Passivität und macht das Objekt verfügbar, bringt es gewissermaßen
unter die Kontrolle oder in den Besitz des Subjekts. Auf der Ebene der überbordenden
Sinnlichkeit oder der Nähe ist das Gegenteil der Fall: das Subjekt besitzt das Andere, den
Anderen nicht, sondern ist von ihm besessen, ist ihm in seinen inneren Regungen
ausgeliefert – in einer Passivität, die über Rezeptivität 172 hinausgeht und die – was seine
Verantwortung gegenüber dem Anderen betrifft – „passiver ist als alles lediglich zu Akten
korrelative Erleiden“. 173
Die Fähigkeit, von subjektiven Neigungen abzusehen, hat in der griechischen Tradition
gemeinhin eine positive Konnotation auch deshalb, weil sie mit der Möglichkeit zu
altruistischem Verhalten zusammengedacht werden kann. Es ist jedoch erforderlich, auf
die Konstitution des Kontextes zu achten, in der dieses Verhalten als Wert auftaucht, um
die Qualität seines Gehalts präzise zu erfassen. Dass dieses Ideal aus der Theorie
hervorgeht und ein theoretisches ist, dass es also mit dem Glauben an die Möglichkeit
eines mehr oder weniger richtigen Verhaltens zusammenhängt, welches vom Wissen
getragen wird und so dem Subjekt einen Teil der Verantwortung abnimmt bzw. sie
ummünzt, in eine Art Verpflichtung zur Aufklärung, ist wesentlich (auch wenn Unwissen
nicht vor Strafe schützt). – Durch die Objektivation gewinnt das Geschehen den
Anschein, als könnte nicht anders gehandelt werden, als wäre dieser Weg vom Logos
vorgezeichnet und als bestünde Verantwortung nicht eben in dem Umstand der
EI, S. 19f.
Vgl. DQVI2, S. 113. – Passivität wird im Kapitel „Ausweg aus dem Sein“ eine zentrale Rolle spielen.
173 Emmanuel Levinas: „Vom sorg-losen Versagen zum neuen Sinn”, in ders.: Wenn Gott ins Denken einfällt.
A.a.O. S. 79-95, hier S. 85.
171
172
41
‚Unersetzlichkeit’ 174 des Subjekts, dem Fehlen einer kompetenteren Entscheidungsinstanz
bzw. einer objektiven Autorität des Urteils – und der trotzdem bestehenden
Notwendigkeit, sich zu verhalten. Für Levinas resultiert aus der Entsinnlichung eine
bestimmte Form der Indifferenz, eine Bevorzugung der Neutralität vor der konkreteren
Positionierung und letztlich also ein Ausweichen vor der Verantwortung – geradezu das
Gegenteil der ethischen Haltung. Ethische Indifferenz ist auch die Nebenwirkung der
Vermittlung des Besonderen mit einem universellen oder generellen Allgemeinen, die
seine Identifizierung ermöglicht dadurch, dass sie von seiner Singularität abstrahiert.
Identität und funktionale Differenz
[Das Sein ist „unfassbar“, es wird immer nur irrtümlich „erfaßt“;
und der Irrtum ist in diesem Fall nicht nur leicht, sondern die Voraussetzung des Denkens.] 175
Georges Bataille
Die Ontologie hebt auf das Sein der Seienden ab, weil es die Möglichkeit der
Identifizierung mit sich bringt. Identifizierung bedeutet in diesem Zusammenhang eine
Bestimmung – zu sagen dass, was und wie etwas ist – die zugleich die Identität des
Bestimmten unterstellt und sanktioniert. Nicht zuletzt liegt der Nutzen dieses Verfahrens
in der beruhigenden und orientierenden Distanz, welche die Fähigkeit mit sich bringt,
etwas beim Namen nennen, ein Seiendes einordnen und die Beziehung zu ihm
objektivieren zu können – eine Distanz, die sich auf eine Art Vorherwissen bezieht, das
davon abhängt, dass das Seiende dort gegriffen wird, wo es ‚substantiell’ und identisch ist,
dort, wo es sich selbst und anderen Seienden seiner Art gleicht. Zugleich rekurriert dieses
Vorherwissen also auch auf ein Schon-Gesagtes, 176 das das konkrete Seiende mit dem
Allgemeinen vermittelt und so allererst greifbar macht. 177
Vgl. AQ, S. 135f.: „Einzigkeit bedeutet hier Unmöglichkeit, sich zu entziehen und sich ersetzen zu
lassen, Unmöglichkeit, in der gerade die Rekurrenz des ich sich ausbildet. Einzigkeit des Erwählten oder des
Verpflichteten, nicht des Wählenden, Passivität, die sich nicht umwandeln läßt in Spontaneität. Untragbare,
nicht sub-sumierbare, traumatische Einzigkeit; Erwählung in der Verfolgung.“
175 EI, S. 117.
176 Vom Schon-Gesagten wird im folgenden Abschnitt die Rede sein.
177 Vgl.: „Ist die Vernunft Herrschaft? Besteht ihre Herrschaft darin, den Widerstand des Seienden als
solchen nicht durch einen Appell an dieses Widerständige selbst zu überwinden, sondern gleichsam durch
die List des Jägers, der sich der Schwächen des Seienden bedient, um das Starke, Eigene an ihm zu fangen,
der es da packt, wo es auf sein Besonderes verzichtet, nämlich an seiner Stelle im Horizont des universalen
Seins?“ – SpA1, S. 114.
174
42
Die Annahme der Identität des Seienden ist eine Voraussetzung dafür, dass etwas über es
gewusst werden kann – Identität, das heißt: sein Sein. Die Verknüpfung von Identität mit
Wissen deutet schon darauf hin, dass erstere nicht als statische gedacht wird: etwas über
Etwas wissen zu können impliziert, dass dieses sich auch in Zukunft mehr oder weniger
gleich sein bzw. verhalten wird. Identität ist Identität gerade über die Zeit hinweg,
substantielle Beständigkeit trotz Veränderung. Ontologisch gedacht müssen die Seienden
in „der Identität differieren, sich modifizieren, ohne sich zu wandeln...“, 178 denn
andernfalls könnte nichts über sie gesagt werden. – Aussagen wären nicht verifizierbar,
wenn sie sich auf ein in diskontinuierlicher oder akzidenteller Veränderung Befindliches
bezögen oder wenn gar davon ausgegangen werden müsste, dass Beobachtung eine
Einflussnahme bedeutete. – Die Identität der Seienden erhält sich also in der Zeit oder
manifestiert sich in einer kontinuierlichen Entwicklung, als Rückkehr des Selben zu sich.
Levinas zieht als Bild für die alternative Gedankenfigur, 179 die er in seiner Kritik am
identifizierenden Denken der griechischen Ontologie im Blick hat, den Vergleich
zwischen Abraham und Odysseus heran:
Dem Mythos von Odysseus, der nach Ithaka zurückkehrt, möchten wir die Geschichte
Abrahams entgegensetzen, der für immer sein Vaterland verläßt, um nach einem noch
unbekannten Land aufzubrechen, und der seinem Knecht gebietet, selbst seinen Sohn nicht zu
diesem Ausgangspunkt zurückzuführen. 180
Die Ontoepistemologie freilich bringt ihre Vorstellung von substantieller Identität auch
für das Subjekt in Anschlag und für die Begriffe, mit denen dieses hantiert: ein Seiendes,
das durch Interaktion erweitert oder modifiziert, ein determinierter Terminus, 181 der
durch die Bewegung der Dialektik seinem Gegenstand immer weiter angepasst wird und
dennoch mit sich identisch bleibt, ungebrochen und immanent – ohne Gefahr laufen zu
können, sich selbst völlig zu verlieren.
AQ, S. 83.
Diese Figur dürfte sowohl einen Aspekt von Levinas’ Identitätsvorstellung bezeichnen, wie auch für die
Bewegung des denkenderen Denkens und für diejenige alternative Haltung stehen, die das Subjekt zum
Transzendenzgeschehen der Nähe einnimmt. Vgl. das Zitat S. 31.
180 SpA4, S. 215f. Levinas hyperbolisiert die abrahamitische Bewegung sogar noch, wenn er von der Geduld
sagt: „die bis ans Ende durchgehaltene Geduld bedeutet für den Handelnden: darauf zu verzichten, die
Ankunft am Ziel zu erleben, zu handeln, ohne das gelobte Land zu betreten.“ – SpA4, S. 216.
181 Vgl. AQ, S. 66. – Levinas’ Begriffe sind im Gegensatz dazu nicht zuletzt deshalb so schwierig und
ungreifbar, weil sie hyperbolisch angelegt sind. Sie gehorchen der Drift der Transzendenz, erfassen etwas,
das sie nicht erfassen können, weil es sich nicht manifestiert, weil es nicht definiert und nicht
vergegenwärtigt werden kann. – Mehr dazu im Abschnitt „Strategien der Zersetzung“.
178
179
43
Gleichwohl ist die Modifikation der Identität, die „Phasenverschiebung, die nichts
anderes ist als die Zeit, jener erstaunliche Abstand des Identischen zu sich selbst“,182 die
Voraussetzung für die „Zurschaustellung des Seins“, für Wahrheit. Andernfalls würde die
Totalität des Seins völlig mit sich koinzidieren und „das ‚Selbe’ unter sich selbst wie unter
einem Löschhütchen“ 183 ersticken; die Totalität des Seins – „die allein der Wahrheit
genügen könnte“ 184 – gäbe nichts und wäre für niemanden zu erkennen; Wahrheit kann
sich nicht anders denn zeitlich manifestieren.
Es bedarf der Zeit, des Nachlassens der unbeweglichen Ewigkeit, der Immanenz des Ganzen im
Ganzen, damit die neue – einzigartige – Spannung sich aufbaut, durch die im Sein die
Intentionalität oder das Denken erwacht. Die Wahrheit ist Wiederfinden, Zurückrufen, Erinnern,
Versammeln unter die Einheit der Apperzeption. Nachlassen der Zeit und Spannung des
erneuten Erfassens, Entspannung und Spannung, bruchlos, kontinuierlich. Nicht bloßes SichEntfernen der Gegenwart, sondern gerade Ver-gegenwärtigung, das heißt Entfernung, in der die
Gegenwart der Wahrheit schon ist oder noch ist; Ver-gegenwärtigung, das heißt erneutes Einsetzen
der Gegenwart, die in ihrem „ersten Mal“ zum zweiten Mal ist – Retention und Protention,
zwischen dem Vergessen und dem Erwarten, zwischen dem Erinnern und dem Entwerfen. Zeit,
die Erinnerung ist, und Erinnerung, die Zeit ist – Einheit von Bewußtsein und sein. 185
– Die Zeit ist nach Levinas’ Interpretation für die ontologische Tradition die
„ursprüngliche Zerstreuung der Undurchsichtigkeit“: 186 der Sinn des Seienden zeigt sich
nicht unmittelbar im Augenblick, sondern erst im Zusammenhang seiner Entwicklung,
„weil in der Zeitlichkeit das Sein sein sein entfaltet.“ 187 Die Bedeutung und die Zeitigung
der Zeit werden hier jedoch schon vom Erkennen, vom Bewusstsein her interpretiert, das
durch Intentionalität, durch Retention und Protention, in der Lage ist, Kontinuität
wahrzunehmen oder zu erzeugen, die Diastase des Seienden, das „Intervall …, das das
Selbe vom Anderen trennt“ 188 zu versammeln in eine Anwesenheit, eine Gegenwart mit
einer erinnerbaren Vergangenheit und einer wahrscheinlichen Zukunft. 189 Nun erschließt
sich auch der weiter oben zitierte Satz besser: „Die Seele lebte allein für die Enthüllung
des Seins, durch das sie entsteht oder hervorgerufen wird, sie wäre ein Moment im Leben
des Geistes, das heißt der Seinstotalität, die nichts außerhalb ihrer läßt, Selbes, das sich zu
AQ, S. 75.
AQ, S. 83.
184 AQ, S. 76.
185 AQ, S. 75f.
186 AQ, S. 79.
187 AQ, S. 79.
188 AQ, S. 68.
189 In der Entgegensetzung von synchronisierter Zeit und Diachronie liegt vielleicht eine Parallele zu
„Chronos“ und „Äon“, den beiden Zeitbegriffen in Deleuzes „Logik des Sinns“. Überhaupt wäre eine
vergleichende Untersuchung der beiden Philosophen ziemlich interessant.
182
183
44
Selbem gesellt.“ 190 – Nach Levinas ist diese synchronisierbare Zeit der Ontologie, wie eben
anklang, mit dem Bewusstsein gleichzusetzen:
Die besagte Modifikation ohne Veränderung und ohne Verschiebung – sein des Seins oder Zeit –
wartet nicht auf ein zusätzliches Licht, das eine Bewußtwerdung allererst erlaubte. Diese
Modifikation ist gerade die Sichtbarkeit des Selben für das Selbe, die bisweilen auch
Erschlossenheit genannt wird. 191
Die Diastase ist in der Logik der auf Erkenntnis fixierten Ontoepistemologie nicht lesbar
als eine jenseits des seins liegende Konstitution der Subjektivität oder als Andeutung der
Möglichkeit eines Herausgehens aus sich. In ihrer Perspektive zeigt sich darin weder eine
dem Sein widersprechende und die Identifizierung unterlaufende Diskontinuität des
Werdens noch eine Veränderung ohne Rückkehr, wie sie die Diachronie des Alterns
wäre; das Intervall, das in sich eine Unendlichkeit bergen könnte, wird überbrückt, der
Zwischenraum aufgefüllt, das Fehlende ergänzt. Die zentrifugierenden Momente werden
wiedereingeholt vom Strom des Bewusstseins und in den Sinnzusammenhang des
Seinsverstehens. 192
Ist die Identifikation einmal zugelassen, so kehrt der Idealismus siegreich zurück. Denn die
Erscheinung eines Gegenstandes, die Vorstellung, ist immer nach dem Maß des Bewußtseins. Sie
ist die adaequatio zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich, zwischen dem Selben und dem
Anderen. Als vorgestelltes kommt das Andere dem Selben gleich, obgleich es sich von ihm
abzuheben scheint. 193
Die Identifizierung des Seienden leistet für das verstehende Bewusstsein also
verschiedenes: sie sanktioniert sowohl die Identität des Seienden wie seine Manifestation
oder Präsenz, indem sie seine Unmittelbarkeit, seine changierende, diachrone,
beunruhigende und anarchische ‚Phänomenalität’ zu einer sinnvollen Einheit in Zeit und
Raum versammelt und das Seiende greifbar macht als manifestes, identisches,
bestimmtes. Die Gegenwart, in die das Seiende durch identifizierende Präsentation
eingeholt wird, liegt mithin im Wirkungsbereich des Bewusstseins und ist von vornherein
abgesichert durch die Identität von Subjekt wie Objekt, durch die Aussicht auf die
AQ, S. 75.
AQ, S. 78.
192 Was Veränderung ohne Rückkehr bedeuten würde, ist leicht vorstellbar: man denke nur an die mitunter
extreme Irritation und Verwirrung, die ausgelöst werden kann, wenn ein näher bekannter Mensch sich
plötzlich ganz anders verhält als gewöhnlich, sich (vielleicht auch nur äußerlich) außerordentlich stark
verändert hat. Wie wirksam Identifizierung ist, wird daran aber ebenso deutlich: der Impuls, auf das zu
rekurrieren, was man von ihm zu wissen glaubt, der Versuch, sein Verhalten wie gewohnt zu interpretieren,
stellt sich unweigerlich ein. Die Irritation ist in der Folge nur umso heftiger. Von der anderen Seite her, als
derjenige, den die Identifizierung betrifft, erfährt man auch das Problematische und mitunter Gewaltsame
der Identifizierung – es ist eine Art Gefangensein in der Erinnerung des Anderen (die seine Bezugnahme
organisiert), die Konfrontation mit einer Art Doppel- oder Wiedergänger der eigenen Person.
193 SpA2, S. 149.
190
191
45
Rückkehr zum Selben und die Einordnung in einen Sinnzusammenhang. Die
Identifizierungsleistung des Bewusstseins ist ein derart basaler und selbstverständlicher
Vorgang, dass Identität als Gegebenheit und die angedeutete Diskontinuität des
diastatischen Moments als etwas weit hergeholt erscheinen.
Diese Identifizierungsleistung des Bewusstseins sanktioniert das Objekt des Wissens und
Handelns also als identisch genug, um erfassbar zu sein und gleichwohl als so different,
dass es trotz dieser Operation mit sich identisch bleibt sowie – und vor allem – die
Identität des mit ihm hantierenden Subjekts unversehrt lässt. Hier exemplifiziert sich der
Zusammenhang von Distanzierung und Inbesitznahme: das Wissensobjekt ist genau so
konstituiert, dass es dem Subjekt nicht zu nahe kommt, aber doch völlig zu seiner
Verfügung steht. Im ontoepistemologischen Zusammenhang ist die Differenz der
Seienden lediglich eine funktionale: sie alle folgen demselben Logos des Seins (oder
Bewusstseins) so wie sie seiner Totalität angehören, sind aber dennoch derart
voneinander unterschieden und autark gedacht, dass sie ihre substantielle Identität
keinesfalls verlieren können. 194 – In dieser identifizierenden Bestimmung der Seienden liegt
die „[s]tändige Versuchung zu einer materialistischen Metaphysik“, 195 zu einer
Metaphysik also, die sich vom physikalistischen Denken nie gelöst hat insofern, als sie
vom Paradigma und vom Maß des Seins ausgeht und mithin stabile Entitäten,
kontinuierliche, kausale und sinnvolle Abläufe veranschlagt.
Die heterogenen Elemente besitzen eine andere Realität als die homogenen Elemente. Die
homogene Realität stellt sich unter dem abstrakten und neutralen Aspekt von Objekten dar, die
exakt definierbar und identifizierbar sind (sie haben die eigentliche Realität von geronnenen
Objekten). Die heterogene Realität ist die der Kraft oder des Schocks. 196
Wenn die Beruhigung, die die Ontoepistemologie sucht und bietet, in Distanzierung und
Inbesitznahme besteht, so lässt sich die Identifizierung in ihrer Bedeutung für das
Bewusstsein eben von daher verstehen: – als Ablenkung von der Passivität des Subjekts,
als Versammeln der unmittelbaren Überflutung, der maßlosen Empfindung zu einem
manifesten und berechenbaren Seienden durch objektivierende Projektion, die den
Gegenstand zugleich ‚herstellt’, ihn vergegenwärtigt und dennoch in sicherer Entfernung
Vgl. dazu Leibniz’ Monadologie: Die Monade ist im Zuge ihrer Fensterlosigkeit absolut autark, zugleich
aber schlägt ihr Puls im Takt des Ganzen und sie stimmt mit diesem qua prästabilierter Harmonie
unweigerlich überein.
195 Emmanuel Levinas: „Dialog über das Denken an den Anderen“, in ders.: Zwischen uns. Versuche über das
Denken an den Anderen. Übers. v. F. Miething, München und Wien 1995. S. 257-264, hier S. 258.
196 Georges Bataille: „Die psychologische Struktur des Faschismus“, in ders.: Die psychologische Struktur des
Faschismus. Die Souveränität. A.a.O. S. 7-43, hier S. 17. Fortan zit. als F.
194
46
hält; als berechnende Absicherung durch eine Art Vorherwissen, das sich auf die
Annahme der Identität und der Möglichkeit der Rückkehr zu sich beruft.
Identifizierung und Allgemeinheit
Das Eigentum, die Zugehörigkeit der Substanz besteht in Wahrheit nur in der Sprache. 197
Georges Bataille
Ins Sein und in die Wahrheit eintreten heißt, ins Gesagte eintreten;
das Sein ist untrennbar von seinem Sinn! Es wird gesprochen. Es steckt im Logos. 198
Emmanuel Levinas
Die Identifizierung ist das grundlegende Verfahren des Bewusstseins, ja letztlich sein
Idealismus – oder anders gesagt: „das Werk der Intentionalität ist Identifikation“. 199
Identifizierung bedeutet Verschiedenes: Bestimmung, Vergegenwärtigung, Wiederfinden,
Vorherwissen. Sie verläuft über die Sprache, über ein „Schon-Gesagtes“, ohne welches
das sinnlich Wahrnehmbare für die Benennung gar nicht greifbar wäre, 200 da es singulär –
d.h. zugleich maßlos und unmittelbar, irgendwie überschüssig und nicht klar vom
subjektiven Empfinden zu trennen ist; 201 Aufgrund der identifizierenden Benennung ist
das Seiende also überhaupt erst als Substanz oder Entität wahrnehmbar: die Benennung
ist zum einen eine Art Markierung, die es ermöglicht, den Gegenstand wiederzuerkennen,
Kontinuität an ihm wahrzunehmen oder zu erzeugen – zum anderen ist es aber eben das
Bewusstsein selbst, welches diese sich gleichbleibende Stelle im oder am Seienden
einrichtet, die es erst ermöglicht, das sinnlich Wahrnehmbare als Seiendes zu fassen. Die
oben beschriebene funktionale Differenz, die das Subjekt und das Objekt räumlich
trennt, besteht, wie gesagt, auch auf der zeitlichen Ebene: der Gegenstand wird nicht in
seiner Diskontinuität wahrgenommen, sondern eben als identischer, identifizierbarer; die
Diskontinuität wird überbrückt durch eben die Markierung, die das Schon-Gesagte an
ihm ‚hinterlassen’ hat.
EI, S. 125f.
AQ, S. 109.
199 DQVI3, S. 156.
200 Vgl. AQ, S. 90. – Weiter unten (Seite 49f.) zitiere ich diese Passage vollständig.
201 Hier kündigt sich schon das Kuriosum des Vorherwissens an, der spezifischen Vorgängigkeit der
Identifizierung vor dem konkreten Objekt, auf die ich weiter unten eingehen werde.
197
198
47
Dieses fortgesetzte Wiederfinden ist Identifizierung: dieses als dieses oder als jenes.
Identifizierung, die Sinnstiftung ist. Die Seienden zeigen sich als identische Seiende in ihrem
Sinn. Sie sind nicht zuerst gegeben oder thematisiert, um erst anschließend einen Sinn zu
erhalten, sie sind gegeben durch den Sinn, den sie haben. Doch geschieht das fortgesetzte
Wiederfinden durch die Identifizierung in einem Schon-Gesagten. Das Gesagte – das Wort – ist
nicht lediglich Zeichen für einen Sinn, und es ist nicht einmal nur Ausdruck eines Sinns (...) –
zugleich verkündet und sanktioniert das Wort eine Identifizierung von diesem zu jenem im SchonGesagten. 202
Die Identifizierung sanktioniert eine manifestierende Präsentation, eine Synchronisierung
und Ontologisierung des Seienden – ja die Versuchung liegt nahe, in diesem Verfahren
den Keim der nivellierenden Synthese von Widersprüchlichem, wie sie in Hegels
Dialektik unternommen wird, zu entdecken. Mit der Identifizierung über das SchonGesagte ordnet sich das Seiende in einen Kontext ein, es wird verkündet als dieses oder
als jenes und erlangt so einen Sinn. Wieder weist das Verfahren der Identifizierung die
Kennzeichen der Verschränkung von Distanzierung und Inbesitznahme auf: einerseits
wird das Seiende erst dadurch zum vom Subjekt unterschiedenen Objekt, andererseits ist
dieses Objekt was es ist allein durch das intentionale Vermögen des Bewusstseins, ihm
einen bestimmten Sinn zuzuschreiben. – In dieser Sinnstiftung liegt die Beruhigung: sie
ist ein Sich-Abstoßen von der subjektiven Affektion oder ein Sich-Aufschwingen zur
kohärenten Argumentation, denn sie leistet eine Depotenzierung der Andersheit des
Seienden durch seine Integration in eine zweckmäßige Ordnung: „Das Bewußtsein bleibt
immer Quelle von Sinn; denn durch den Sinn, der den Gegenstand bestimmt, nimmt die
Fremdheit oder die Heterogenität des Seins das Maß des Bewußtseins an.“ 203 Sinn ist hier
gleichzusetzen mit Logos, ist ein Begriff, der Kohärenz und Konsistenz bedeutet. Die
Bedeutung von Bedeutung lässt sich mit Levinas dagegen unterscheiden in einerseits eine
semantische, die dem Logos zuarbeitet und somit an der Sinnstiftung beteiligt ist;
andererseits weist Bedeutung als subjektiv-affektive auf die Dimension der inneren
Erfahrung und hat also noch ein ganz anderes Gewicht, einen anderen Sinn, als den der
‚Zurschaustellung des Seins’. „Erschöpft die Tatsache des Sich-Zeigens den Sinn dessen,
was sich zwar zeigt, was aber als Nicht-Theoretisches nicht als Zeigen ‚funktioniert’, nicht
als Zeigen bedeutet? … Ist es sicher, daß die Manifestation all das gründet, was sich
manifestiert?“ 204 – Die andere Bedeutung von Bedeutung hebt auf das Zwischen ab, auf
das, was sich jenseits des Seins und des seins ereignet, was die Identität der Seienden
AQ, S. 93.
SpA2, S. 150.
204 AQ, S. 153f.
202
203
48
überbordet und fragmentiert, sie als Endliche mehr enthalten lässt, als sie enthalten, 205
was sie also auf das Unendliche bezieht und insofern ihre Grenzen in einem bestimmten
Sinn verschwimmen lässt: Die innere Erfahrung 206 ist keine Erfahrung reiner
Innerlichkeit, sondern bezeichnet gerade die ethische Dimension, die affektiv-subjektive
Beziehung, in welcher der Selbe und der Andere, das Subjekt und das Objekt stehen; der
Terminus drückt die Univozität oder die Diastase 207 der Empfindung und des
Empfundenen aus, die sich nicht in Ursache und Wirkung erschöpft und nicht in ihre
substantiellen Komponenten auseinander zu legen ist. – Hier gewinnt die oben
angedachte Figur der funktionalen Differenz einen eindringlicheren Sinn: die vom
Verstehen und seinen transzendentalen Bedingungen ausgehende Theorie führt an
diesem Punkt geradewegs in den Idealismus, weil ihre Logik das Bewusstsein dazu nötigt,
sich stets auf sich selbst zurückzuverweisen und seine letztlich impassable Grenze im
Selbstbewusstsein zu finden, weil sie das Denken in das „Denken seiner selbst“,208 in den
Zirkel der Selbstreflexion verwickelt. Zugleich wird damit die Tatsache verstellt, dass das
Andere faktisch exterior 209 und also fremd, unfasslich, anders, absolut different und in
dieser Differenz mitunter monströs ist und dass es gerade als dieses Andere die
Konstitution der subjektiven Affektion mitbedingt. Für den verstehenden Bezug ist die
Exteriorität der Seienden sekundär, die Differenz zwischen ihnen ist nur und gerade so
groß, dass das Objekt dem Subjekt zur freien Verfügung steht. Die von der klassischen
Theorie markierte – und nicht zuletzt von der Phänomenologie monierte – Trennung
zwischen Subjekt und Objekt ist tatsächlich keine absolute, sondern eine funktionale: sie
sieht, wie oben beschrieben, ab von der affektiven Beziehung zwischen den Seienden und
macht gerade dadurch das Objekt zum ‚Produkt’ des Bewusstseins (oder seiner
Spontaneität); sie initiiert eine innere Distanz zur Passivität und bringt damit das Subjekt
Vgl. SpA3, vor allem S. 196-202.
Vgl. oben, Anmerkungen 87, 88 und 111.
207 Vgl. das Kapitel „Zeitliche Diastase“ in Bernhard Waldenfels: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden.
Frankfurt am Main 2006. S. 48-52. Diastase hat hier eine andere Bedeutung als oben, der Begriff drückt
hier nicht mehr das zeitliche Intervall der Verschiebung des Selben aus, wie oben Seite 43.
208 SpA4, S. 215.
209 ‚Exteriorität’ meint hier ein vollständig außerhalb des Subjekts und des Wirkungsbereich des
Bewusstseins liegendes; das exteriore Seiende hat insofern mehr Wirklichkeit, als wenn es vom Verstehen
oder von seiner Repräsentation im Bewusstsein her gedacht wird, es ist gewissermaßen weniger ideell oder
geistig verfasst; zugleich und umgekehrt ist es aber auch weniger materiell als etwa im Sinn von ‚Sein’.
Exteriorität setzt bei der leiblichen Erfahrung (auf der Ebene des Leibes und der lebendigen Affektion) an
und weist somit auf etwas, auf das das Subjekt sich zubewegt indem es aus sich herausgeht und sich als
passives ausgesetzt findet durch, mit, in seine(r) Sensibilität. Vgl. auch Stegmaier, S. 37.: „Seiendes ist …
extérieur, so getrennt voneinander, so äußerlich, auswärtig, fremd füreinander, es teilt so wenig gemeinsames
Sein, daß das Eine dem Anderen unentwegt neu begegnet.“
205
206
49
in die aktive Position. Hier exemplifiziert sich also das Verfahren von Distanzierung und
Inbesitznahme erneut und wird konkreter: die Distanzierung betrifft die affektivsubjektive oder ethische Dimension, die zugunsten einer theoretisch-funktionalen
Ermächtigung suspendiert, zugleich von dieser aber auch mitverursacht und -getragen
wird. Die Theorie bringt die Seienden in einen technisch-instrumentellen 210
Zusammenhang: die von ihr veranschlagte Differenz zwischen ihnen rührt gerade nicht
von der Ebene des Ethischen her, sondern betrifft die Sphäre des zweckgerichteten
Verfahrens, der Sinnstiftung durch Intentionalität. Mit Levinas und Bataille dagegen
müsste das Verhältnis der konstitutiven Komponenten dieser Konstellation umgekehrt
werden: – Gerade weil die Seienden absolut voneinander unterschieden und getrennt
sind, können sie füreinander bedeuten und bedeuten sie Genuss und Schmerz im
weitesten Sinn. 211 Eben aus diesem Grund sind Subjekt und Objekt aber auf der Ebene
der affektiven Erfahrung nicht strikt voneinander zu unterscheiden, sind die Seienden keine
autistischen Monaden: „Aufhebung des Subjekts und des Objekts: das einzige Mittel,
nicht beim Besitz des Objekts durch das Subjekt zu enden, d.h. die absurde Hetzjagd des
Ipse zu vermeiden, das das Ganze werden möchte.“ 212 Das Ich wäre in dieser Perspektive
folglich kein autonom verfügender Akteur, sondern es stünde in einem passivaktivischen 213 Verhältnis zur Welt, es wäre ein ich oder mehr noch ein Sich. 214
*
„Dieses als jenes“ – das wird nicht erlebt, es wird gesagt. Die Identifizierung wird vernehmbar und
verstehbar auf der Basis eines geheimnisvollen Schemas, eines Schon-Gesagten, einer vorgängigen
Doxa, die die Voraussetzung jeder Beziehung zwischen dem Universalen und dem Individuellen
ist, denn diese Beziehung kann selbstverständlich nicht auf einer Ähnlichkeit beruhen. Die
Identifizierung ist eine kerygmatische. Das Gesagte ist nicht lediglich Zeichen oder Ausdruck des
Sinns: es verkündet oder sanktioniert dieses als jenes. An den Überschuß dieser „Spontaneität“
Diese Entdeckung macht wohl schon Kant in der Kritik der praktischen Vernunft, wenn er die technischen
Imperative dem kategorischen gegenüberstellt. Überhaupt wäre es eine eigene Untersuchung wert, die
Parallelen und Unterschiede zwischen Kant und Levinas herauszustellen. Lyotard versucht dies wohl
ansatzweise im Widerstreit.
211 Vgl.: „Die – so beschriebene – Ausrichtung zur Höhe des Anderen hin ist wie eine Neigung im Sein
selbst. Das Oberhalb zeigt keine Tilgung, sondern ein ‚Mehr-als-Sein’ an, Besseres als das Glück der
sozialen Beziehung. Seine Herstellung wäre unmöglich ohne die Trennung, die sich ihrerseits nicht auf ein
dialektisches Pendant zur Beziehung zum Anderen zurückführen läßt. Denn die Dialektik von Trennung
und Vereinigung vollzieht sich immer nur in einer Totalität. Das Prinzip der Trennung kommt nicht vom
Unglück der Einsamkeit her, sondern vom Glück des Genusses. Nur dann wird es möglich, einen
Pluralismus aufrechtzuerhalten, der sich nicht auf eine Totalität zurückführen läßt.“ – Signature, zitiert bei
Stegmaier, S. 111.
212 EI, S. 78.
213 Als Adjektiv lässt sich die Figur der passiven Aktivität nicht adäquat verstehen, weil die Hierarchie der
Termini nicht sichtbar ist. Die Haltung der passiven Aktivität wird bei der Beschreibung des
Desinteressement noch eine wichtige Rolle spielen.
214 Vgl.: AQ, S. 128-134 und 243-251 sowie Anmerkung 129 und 252 hier im Text. Ich werde später darauf
zurückkommen.
210
50
über das Abbild oder den Reflex, den das Denken in seinem Reflektieren umfaßt, läßt nur
entfernt der Begriff des Aktes denken, den man gewöhnlich dem reinen Empfangen des sinnlich
Wahrnehmbaren gegenüberstellt. Dieser zwischen Aktivität und Passivität gelegene Überschuß
findet sich in der Sprache, die eintritt in ein Hörensagen, in ein Schon-Gesagtes, in eine Doxa, ohne
die die identifizierende, nennende Sprache das sinnlich Wahrnehmbare nicht hätte erreichen
können; Doxa, Schon-Gesagtes, Fabel, Epos, in denen das Gegebene in seinem Thema steht. 215
Da die Identifizierung über ein Schon-Gesagtes verläuft, ist sie dem konkret
Begegnenden gegenüber sozusagen vorgängig und von daher lässt sich an ihr auch die
Kippbewegung beschreiben, die weiter oben angedeutet wurde: die ontoepistemologische
Ausrichtung auf Wissen schlägt um in eine Orientierung am Wissen. Die Identifizierung
in einem Schon-Gesagten ist gewissermaßen eine Form der Subsumtion: das SchonGesagte – die Sprache, die das Kind zu sprechen lernt – fungiert als vages und
allgemeines Schema, anhand dessen ein konkretes Seiendes sozusagen – und immer nur –
wiedererkannt wird: „Erkennen will sagen: aufs Erkannte beziehen, begreifen, daß eine
unerkannte Sache dieselbe wie eine andere erkannte ist.“ 216 Identifizierung als
Vermittlung des Besonderen über das Allgemeine ermöglicht eine Art Vorherwissen.
Dieses Vorherwissen ist ein weiterer Aspekt innerer Distanzierung und Inbesitznahme:
der unbekannte Gegenstand begegnet dem Erkenntnissubjekt als einer, den es insofern
versteht, als es ihn zu bestimmen, als es von seiner Besonderheit zu abstrahieren weiß:
„Das besondere Sein wird verstanden, indem man bereits einen Platz jenseits des
Besonderen einnimmt; Verstehen, das ist: sich auf das Besondere beziehen vermittelst der
Erkenntnis, die immer Erkenntnis des Allgemeinen ist.“ 217 – Auch hier lässt sich also eine
Abstandnahme von der subjektiven Betroffenheit und Passivität ausmachen: Das
Vorherwissen, das durch Identifizierung möglich ist, hält den Gegenstand in sicherer
Entfernung; so kommt es erst gar nicht zu einer subjektiv-affektiven Ergriffenheit durch
seine sinnliche Intensität. Nicht nur betäubt die Ausrichtung auf, der Wille zum Wissen
die Verwundbarkeit und Passivität des Subjekts, die Orientierung am Wissen, in die die
Identifizierung umschlägt, überträgt sich auf die Praxis als theoretisch-neutrale
Einstellung, 218 die mit Unbekanntem, dem stets neuen Augenblick, umzugehen weiß, als
wäre es längst erschlossen, als hätte er schon stattgefunden. Das konkret Begegnende hat
dabei, wie auch das Subjekt, den merkwürdigen Status einer Variablen; mit seiner
Bestimmung von einem Allgemeinen her weiß das Subjekt mehr über den Gegenstand,
als es in wirklicher Beschäftigung mit ihm erfahren hat, aber sein Wissen betrifft nicht
AQ, S. 89ff.
EI, S. 150.
217 SpA1, S. 109.
218 Vgl. Anmerkung 161 und 238.
215
216
51
dieses singuläre Seiende, sondern bloß dasjenige an ihm, was es mit anderen seiner Art
gemein hat. Die Orientierung am Verstehen – das von der Ontoepistemologie
beanspruchte Primat – hat also die Konsequenz, dass der Unterschied, der und den das je
Besondere ausmacht, nicht nur bei der Produktion von Wissen vernachlässigt wird,
sondern im operierenden Umgang mit Seiendem tatsächlich gar nicht mehr auftauchen
muss. In der Akzentuierung des Allgemeinen, die das Wissen vornimmt, liegt also eine
weitere Form der Indifferenz gegenüber dem Singulären. Diese wächst sich sogar aus zu
einer gewissen Normativität – einer Normativität noch jenseits einer ethischen
Sollensvorstellung, der das Wirkliche angepasst wird: die Identifizierung im SchonGesagten bringt die Einordnung in das grammatisch und semantisch vorgegebene und
organisierte Bedeutungsfeld mit sich und bedingt damit zugleich auch die Vorstellungen
davon, wie sich das variabel Gegebene verhalten und welchem Sinn es entsprechen wird.
Die Beziehung zum Objekt kennzeichnet sich durch einen gewissen Ausgleich zwischen der
Intention des Denkens und der Anschauung dessen, was dem Denken begegnen soll. In seiner
Analyse der Beziehung mit dem selbstgegebenen Objekt hat Husserl sehr wohl gezeigt, wie die
Begegnung mit dem Objekt eine Leerintention, die ihr vorausgeht, bestätigt oder enttäuscht. Die
Analyse, die den Unterschied zwischen dem leeren und dem anschauenden Denken zeigen soll,
zeigt auch, daß der Gedanke, der sein Objekt berührt, sich notwendig mit einem Gedanken
deckt, der es anzielt; sie zeigt, daß die Erfahrung eines Gegenstandes immer einen Gedanken
erfüllt und daß auf diese Weise die Wirklichkeit das Denken nie unvorbereitet trifft. So bewahrt
der Denkende eine Art Unbeweglichkeit in dieser objektivierenden Intentionalität, so als
reflektiere er in sich wie eine in sich verschlossene Monade das ganze Universum. 219
Die eben angesprochene subtile Normativität hat mit dem kerygmatischen Charakter der
Thematisierung zu tun, die sich wie ein stigmatisierender Überzug um das Seiende legt:
die verkündende Identifizierung ist ein „illokutionärer Akt“, 220 der nicht nur den
Gegenstand der Erkenntnis betrifft, sondern genauso auf das Subjekt zurückwirkt: dieses
orientiert sich, indem es sich am Schon-Gesagten orientiert, an den symbolischen
Wertzuschreibungen und Bedeutungen, die dem jeweiligen Gegenstand vom Allgemeinen
her beigelegt werden und nicht daran, was für eine Bedeutung das singuläre und absolut
andere Seiende in seiner Unmittelbarkeit hat; die Identifizierung legt dem Seienden (in
gewisser Weise und bis zu einem gewissen Grad) die Qualität und das Gewicht bei, die es
für das Subjekt hat oder zu haben hat. Die Affektion wird so gleichsam ausgespart bzw.
ebenso vorgängig bestimmt über den Komplex der im Schon-Gesagten geknüpften
kontextuellen Verbindungen und Valenzen. Das Frappierende ist, dass dieses Verfahren
SpA2, S. 144.
Vgl. John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). Dt. Bearbeitung von E. v.
Savigny. Stuttgart 2002.
219
220
52
erfolgreich, dass es also möglich ist, die Affektion zu überspringen – ja es erleichtert
einen selbstbeherrschten und vernünftigen (theoretischen) Umgang mit Welt, wenn das
Subjekt die Situation und sich in ihr gewissermaßen von außen wahrnimmt. Allerdings
kann an genau diesem Punkt die Erleichterung und Beruhigung, die die Orientierung am
Wissen verspricht, umschlagen, wie zum Beispiel Dostojewskijs Erzählung Der
Doppelgänger 221 anschaulich zeigt: ihr Protagonist sieht sich selbst durchweg von außen
und treibt dies so weit, dass er sich in Form eines (eingebildeten?) Zwillings endlich
wirklich gegenübersteht. Goljadkin ist, stets vor allem auf soziale Anerkennung erpicht,
geflissentlich darum bemüht, sein Verhalten an ‚allgemeinen’ Maßgaben auszurichten und
anhand ihrer zu beurteilen; gerade deshalb aber verliert er völlig den Halt. 222 – Die vom
Wissen oder vom Allgemeinen gebotene Orientierung greift nicht auf der Ebene des
Ethischen, sondern nur auf der des technisch-theoretischen Verfahrens. Am Doppelgänger
zeigt sich überdies, dass die Normativität – die vom Wissen ausgeht und, wie zu Beginn
angesprochen, an dessen grundlegendem Ideal der Vollkommenheit ausgerichtet ist – in
der Übertragung auf die Dimension des Ethischen, der Beziehung zur Alterität und des
Selbstverhältnisses, gravierende Probleme mit sich bringt: Goljadkin erfährt sich selbst
entweder als absolut unzulänglich und fragmentiert, ja als ‚Unperson’ (exemplifiziert an
seinem Status als kleiner Beamter, und seinem kriecherischen Verhalten gegenüber der
Autorität), oder als ungebührlich überschüssig (manifestiert in seinem Doppelgänger und
in seinem paranoiden und waghalsigen Aktionen gegenüber seinen vermeintlichen
Widersachern); er sucht nach seiner Identität und gerät in Schwierigkeiten, weil er, im
Vergleich zu den Anderen (die der Leser jedoch nur aus Goljadkins Perspektive – und
also von außen – geschildert bekommt) eine solche gar nicht zu haben scheint. Sein
Festhalten an vermeintlich objektiven Maßstäben verhindert, dass er gegenüber den
Anderen Verantwortung für sich übernimmt, Verantwortung für seine Passivität, für das,
was er nicht entschieden und gewählt hat, was ihm also von außen widerfahren ist und
trotzdem irgendwie zu seiner Person gehört.
Die Verblendung oder transzendentale Illusion beruht auf dem Anspruch, das Gute oder
Gerechte auf das Wahre oder das Sollen auf das Sein zu gründen. Mit „gründen“ meine ich ganz
Fjodor M. Dostojewskij: Der Doppelgänger. Ein Petersburger Poem. Übers. v. A. Luther. München 2004.
Im diesem hier aufscheinenden Abstand zwischen dem Schon-Gesagten und dem ‚Realen’ zeigt sich
aber auch das Illusionäre an der Orientierung am Wissen: es greift ins Leere oder legt eine Art Sinnschicht
über das Begegnende, die von diesem gewissermaßen abperlt, weil die Unmittelbarkeit des Seienden auf
einer anderen – nämlich ethischen – Ebene liegt und gewissermaßen wirklicher ist – mich anders betrifft,
denn als thematisierbare – wenn auch nicht materiell im Sinn von Sein. – Vgl. dazu die „9. Serie der
Paradoxa: Vom Problematischen“ in: Deleuze, S. 76-82.
221
222
53
einfach die Suche und Formulierung von Implikationen, die den Schluß von kognitiven Sätzen
auf einen präskriptiven Satz ermöglichen. 223
– Wie Goljadkin sucht das theoretische Subjekt andauernd nach seiner Identität. Es
findet sie nicht, weil es einerseits immer nur Teil der Bewegung des Erkennens ist, weil es
Bewusstsein nur ist als ‚Bewusstsein von …’ und somit partikulär, nichts über seine
Inhalte hinaus. Zugleich ist es aber auch alles, weil es als Selbstbewusstsein zu sich
zurückkehrt und alles Gedachte auf sein Denken reduzieren kann. Das Subjekt ist also
stets Fragment und Überschuss zur gleichen Zeit, weil es sich als theoretisierendes aber
an geschlossenen Figuren orientiert, die die Grundlage des Wissens bilden, hat es damit
zugleich ein Problem: seine Identität ist nicht feststellbar, sie ist entweder abhängig und
heteronom oder autonom und sozusagen universell, entweder ein Teil nur des
Geschehens oder aber selbst die Totalität – also stets nicht hinreichend unterschieden
von der Welt.
Diese beiden Prinzipien – eine Komposition, die die Komponenten transzendiert, und die
relative Autonomie der Komponenten – regeln die Existenz jedes Seienden.
Aus diesen beiden Prinzipien ergibt sich ein drittes, das das Menschsein beherrscht. Der
ungewisse Gegensatz zwischen Autonomie und Transzendenz versetzt das Wesen in eine
gleitende Position: zur gleichen Zeit, da es sich in die Autonomie einschließt, und eben darum,
will jedes Wesen ipse das Ganze der Transzendenz werden; in erster Linie das ganze der
Komposition, von der es ein Teil ist, und dann, eines Tages, schrankenlos das Ganze des
Universums. Sein Wille zur Autonomie stellt es zuerst der Gesamtheit entgegen, doch es
verkümmert – löst sich in nichts auf – in dem Maße, in dem es sich weigert, in sie einzugehen. Es
verzichtet dann auf die Autonomie für die Gesamtheit, aber nur provisorisch: der Wille zur
Autonomie läßt nur eine Zeitlang nach, und bald, in einer einzigen Bewegung, in der der
Ausgleich sich herstellt, widmet sich das Wesen zugleich der Gesamtheit und widmet sie um für
sich selbst. 224
– Die auf das Erkennen und somit auf das Allgemeine ausgerichtete und an diesem
orientierte Ontoepistemologie denkt die Idee als ewig und vollkommen; das je Konkrete
erscheint dementsprechend als vergänglich und unzulänglich, als unvollkommen und
partiell und zugleich als beängstigend überschüssig, als in seiner Singularität und
sinnlichen Vielfalt über die vom Schon-Gesagten vorgegebene Vorstellung hinausgehend.
Umgekehrt kann die Idee aber als Schema 225 zur Identifizierung von Seiendem nur
fungieren, wenn sie vage bleibt und leer. – Ist es also, von den ethischen Effekten her
gesehen, nicht überzeugend, das Primat des Verstehens zu subvertieren und somit das
Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem umzukehren, wie Levinas das tut, um die
Seienden gerade in ihrer Endlichkeit auf das Unendliche zu beziehen und in ihrem
Lyotard, S. 185.
EI, S. 120f.
225 Vgl. dazu das Schematismuskapitel in: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Hg. v. I. Heidemann,
Stuttgart 2003. S. 213-222, v.a. 219ff. Fortan zit. als KrV.
223
224
54
unerschöpflichen Begehren das Moment zu erblicken, welches sie mehr enthalten lässt,
als sie je enthalten könnten?
Aktivität und Zwecksetzung
Indem das sein des Seins durch ebendieses sein die Wahrheit ermöglicht,
ist das Subjekt – wie immer man es nennen mag – schon untrennbar vom Wissen,
vom Erscheinen und von der Intentionalität. 226
Emmanuel Levinas
Der Mensch, das Wesen, das sich aufrichtet und den Nahbereich seiner Wahrnehmung verläßt,
den Horizont seiner Sinne überschreitet, ist das Wesen der actio per distans.
Er handelt an Gegenständen, die er nicht wahrnimmt. 227
Hans Blumenberg
Die auf Wissen ausgerichtete Ontoepistemologie spart Transzendenz aus, indem sie das
Verstehen als Primat und als einziges Medium zum Kontakt mit dem Anderen einsetzt.
Das ontoepistemologische Subjekt umgeht, indem es sich als Bewusstsein verhält, die
absolute Exteriorität und Differenz der Seienden und die Beunruhigung, die es deswegen
verspürt – es geht also auf eine bestimmte, tendenziell negierende oder mindestens
ausweichende Weise mit der eigenen Passivität und Angst um, es distanziert sich davon
und versucht umgekehrt das Beunruhigende zu ergründen und zu erschließen: Die
Bewegung des Wissens ist auf Integration und Exploration ausgerichtet und tendiert
dazu, sich zu totalisieren. – Hier taucht das Problem des nicht auszumachenden
Ursprungs wieder auf, das weiter oben schon einmal angesprochen wurde: spart die
Ontoepistemologie Transzendenz aus, um sich zu totalisieren, oder zielt sie auf Totalität
ab, um Transzendenz auszusparen? Der erste Beweggrund ihrer Drift lässt sich nicht
finden, hat diese aber einmal eingesetzt, dann gehorcht sie der ihr eigenen auf
Geschlossenheit
und
Vollständigkeit 228
angelegten
Mechanik:
sie
kann
keine
Unterbrechung dulden, weil in jeder Unterbrechung das Irritierende der Passivität und
die Unzulänglichkeit der Beruhigung durch das Wissen aufscheint. Tritt dennoch eine
Störung auf, so wird das Bewusstsein so bald als möglich zu seiner Bewegung, zur
Bemeisterung der Situation durch Erklärung zurückkehren und in der Folge wenigstens
AQ, S. 153.
Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit. Hg. v. A. Haverkamp. Frankfurt am Main 2007. S. 10.
228 Vgl.: „Das Gefühl des Unbekannten in der Erfahrung, ... steht jedoch der Idee der Vollkommenheit
argwöhnisch und feindselig gegenüber (als der Knechtschaft selbst, dem ‚Seinsollen’).“ – EI, S. 14f.
226
227
55
diese bestimmte Form der Irritation zu vermeiden wissen. – Natürlich ist auch das
theoretische Subjekt betroffen, aber – wie bei der Entsinnlichung gibt es hier eine
Reduktion auf eine bestimmte Bedeutung – die Betroffenheit erscheint vor allem als
Signal, etwas gegen ihre Ursache zu tun;
Eine andere Zweideutigkeit rührt von dem Kompromiß zwischen der positiven Autorität Gottes
und der negativen der Beseitigung des Schmerzes her. Durch den Willen, den Schmerz zu
beseitigen, werden wir zum Handeln veranlasst, statt uns mit dem Dramatisieren zu begnügen.
Das Handeln, das den Schmerz beseitigen will, läuft letztlich der Möglichkeit, in seinem Namen
zu dramatisieren, entgegen: wir streben nicht mehr nach dem Extrem des Möglichen, wir helfen
(ohne sonderlichen Erfolg) dem Übelstand ab; das Mögliche hat inzwischen keinen Sinn mehr,
wir leben vom Projekt und machen (unter dem Deckmantel unversöhnlicher Feindschaft) so
ziemlich eine einige Welt mit dem Lüstling, dem Krämer und dem egoistischen Frömmler aus. 229
Das oben beschriebene identifizierende Versammeln und Wiederfinden der sinnlichen
Diskontinuität und Unmittelbarkeit zu sein und Seiendem ist die grundlegende Aktivität
des Bewusstseins. Aus der im vorliegenden Abschnitt angelegten Perspektive erscheint
diese Aktivität einmal mehr als die anhaltende Anstrengung, den Faden nicht zu verlieren,
nicht unterbrochen zu werden beim Geschäft der Identifizierung. Ontoepistemologie ist
nicht nur die Einsetzung eines aktiven Subjekts durch Ablenkung von der Beunruhigung
durch Transzendenz, sie ist zugleich dessen Verstrickung in eine Art Abhängigkeit von
dieser Aktivität: die Weigerung des Intellekts, „bei etwas stehen zu bleiben und es dabei
bewenden zu lassen“ 230 ist vergleichbar mit einer Sucht. – Ein Entzug oder eine
Unterbrechung ließen umgekehrt die Ontoepistemologie als Griff ins Leere aufscheinen,
ließen zu Bewusstsein kommen, dass die Beunruhigung auf einer anderen Ebene liegt –
nämlich auf jener der Transzendenz dessen, was sich durch Identifizierung nicht greifen
lässt und im Zwischenraum der Diastase verloren geht – und durch die Ambition einer
durchgängigen Sinnstiftung weder vollständig einzuholen noch endgültig auszuräumen
ist. Vielleicht ist der Drang nach Totalisierung, ist der Automatismus der Aktivität auch
ebendeshalb so wirkmächtig und folgt er scheinbaren Notwendigkeiten, weil – wie in der
Sucht – das Bedürfnis, das er zu befriedigen vermag eben der Abkömmling eines
intimeren Begehrens, einer intimeren Angst ist, von denen das Subjekt sich auf diese
Weise nur ablenken kann: 231 Die Ontoepistemologie mag den Erhalt des Seins zuwege
bringen und die Bewältigung der Existenz erleichtern, indem sie relativ erfolgreiches
EI, S. 24.
AQ, S. 146. Vgl. dazu auch die der Idee von Totalität geschuldete Figur der ‚verheißenen Wahrheit’, die
einen Impuls zu dieser ‚Hetzjagd des Ipse’ zu geben scheint: Anmerkung 163.
231 Vielleicht bleibt der Hunger aber andererseits auch so unersättlich, weil er unter anderem das Subjekt
auf die Unendlichkeit bezieht – oder ist dies ein anderer Hunger?
229
230
56
Planen und risikofreies Handeln gestattet. Doch die Zumutung, der das Subjekt
ausgesetzt ist, liegt nicht im potentiellen Seinsverlust, sondern in dem Unzumutbaren,
welches das Dasein selbst bedeutet. 232
Die kleine Versicherung von Descartes ist die subtilste unter den Ausflüchten. (Die Devise von
Descartes: „Larvatus prodeo“; was derart maskiert voranschreitet: ich bin in Angst und ich denke,
das Denken suspendiert die Angst in mir, ich bin das Wesen, das mit der Fähigkeit begabt ist, das
Sein selber in ihm zu suspendieren.) 233
Die Ontoepistemologie initiiert also, indem sie Beruhigung und Befriedung durch Wissen
verspricht, eine Totalisierungsbewegung, die das Subjekt in das Getriebe der Aktivität
verstrickt: Durch das – vom Allgemeinheitsanspruch des Wissens geforderte – Absehen
von der Passivität, der absoluten Differenz der Seienden und der Dimension der
Betroffenheit durch ihre Exteriorität, wird das Subjekt in die Position des Akteurs
gebracht und letztlich dazu genötigt, in dieser aktiven Rolle zu bleiben. Die Beruhigung,
die von der Distanzierung ausgeht, hängt nämlich eng mit der im gleichen Zug
vollzogenen Inbesitznahme zusammen: ohne die Erschließung (Integration und
Exploration) des Anderen und Fremden bleibt dieses weiterhin bedrohlich und
beunruhigend anders. Umgekehrt ist, wie gesagt, ohne den inneren Abstand des
Bewusstseins keine Verfügung über das Seiende denkbar.
– „Solange das Ipse an seinem Willen zum Wissen und zum Ipsesein festhält, währt auch
die Angst, doch wenn das Ipse sich aufgibt und mit ihm selbst das Wissen, wenn es sich in
dieser Selbstaufgabe dem Nichtwissen hingibt, beginnt das Entzücken.“ 234 – Mit Bataille
lässt sich die Totalisierungsbewegung der Ontoepistemologie als „Hetzjagd des Ipse“
beschreiben, die das ‚Alles-Sein’ des Subjekts zum Ziel hat: das Subjekt ‚will sich als alles’,
damit nichts exterior bleibt, weil gerade dieses Exteriore das Potential hat, zu verstören –
es ist die Figur der Herrschaft, die hier auf den Plan tritt. Bataille – von Derrida nicht
umsonst als ‚rückhaltloser Hegelianer’ bezeichnet – betont vor allem die knechtische
Seite dieser Herrschaftsfigur: da Beruhigung durch Besitz und Kontrolle ihr Fundament
bildet, muss das Herr-Subjekt den Mechanismus der Aktivität, der Exploration und
Integration ununterbrochen aufrechterhalten, weil sonst die Angst zurückkehrt, die ihr
Ausgangspunkt zu sein scheint: je größer der Besitz, je stabiler die Absicherung, desto
fragiler ist diese Ordnung auch und desto größer das Bedürfnis, sich weiter gegen
Vgl. Ev.
EI, S. 68f.
234 EI, S. 79.
232
233
57
Irritation zu schützen: je erfolgreicher Transzendenz also ausgespart ist, desto mehr wird
sie zum Problem.
Ich gelange zu dieser Einstellung: Die innere Erfahrung ist das Gegenteil des Handelns. Nichts
sonst. Das Handeln ist ganz und gar abhängig vom Projekt. Und, was schwerwiegend ist, das
diskursive Denken ist selber an die Existenzform des Projekts gebunden. Das diskursive Denken
ist die Sache eines Wesens, das ans Handeln gebunden ist, es findet statt auf der Grundlage
seiner Projekte, auf der Ebene der Reflexion der Projekte. Das Projekt ist nicht nur die
Existenzform, die im Handeln enthalten und fürs Handeln nötig ist, sondern es ist eine paradoxe
Weise, in der Zeit zu sein: es ist die Verschiebung der Existenz auf später. 235
– Die Verschiebung der Existenz auf später lässt sich auf die Aussparung der
Transzendenz zurückführen: Weil im Unmittelbaren der Nähe die Passivität sich Raum
bricht
und
Genuss
und
Schmerz
untrennbar
verknüpft
sind,
weicht
das
ontoepistemologische Subjekt auf die Ebene des Gesagten, der Theorie und des
Aktivismus hin aus. – Es weicht ihr aus auch in der Hoffnung, Genuss und Schmerz zu
separieren, den Genuss abzusichern gegen den eventuellen und schmerzhaften Verlust.
Weil es sich aber seiner Passivität nicht stellt, kann es weder den Genuss genießen, noch
erlebt es seine Existenz als erfüllt; es ist darauf angewiesen, immer weiter auszuweichen.
Also sprechen, denken, es sei denn scherzend oder …, heißt, die Existenz zum Verschwinden zu
bringen: es heißt nicht, zu sterben, sondern tot zu sein. Es heißt, sich in der erloschenen,
beruhigten Welt zu bewegen, in der wir uns gewöhnlich hinschleppen: da ist alles stillgestellt, das
Leben ist Verschiebung auf später, von Verschiebung zu Verschiebung … 236
– Im Grunde ist die Ontoepistemologie eine Art Flucht nach vorn, ein Versuch der
Defensive durch Offensive. Dabei ist diese Offensive der Aktivität 237 selbst eine
Ablenkung von Passivität, ist ihr Verfahren ähnlich antizipierend wie die Vermeidung
von Irritation durch Identifizierung im Schon-Gesagten, die eine seiner Grundlagen
bildet. Die in der theoretischen Haltung eingenommene innere Distanz und das von der
Identifizierung sanktionierte Vorherwissen ermöglichen Zwecksetzungen, ermöglichen
die Gestaltung der Situation nach den Vorstellungen und Intentionen des Subjekts.
Zugleich sind das damit auf den Weg gebrachte Projekt und die Projektion in die
Zukunft, die mit ihm einhergeht, selbst auch an der Sinnstiftung beteiligt, die von der
EI, S. 68.
EI, S. 68.
237 Natürlich ist nicht alle Aktivität so verfasst, wie sie hier beschrieben wird, ist nicht alle Aktivität eine
Verschiebung der Existenz auf später und eine Negation der Irritation im praktischen Sinn. Im Grunde
geht es lediglich um eine Akzentsetzung, um ein Kontrastierung gegenüber einem positiv bewerteten
Begriff von Passivität, der das Subjekt in anderer (nämlich tendenziell affirmierender oder besser:
kontestativer) Weise auf Transzendenz bezieht. Der hier beschriebene Modus der Aktivität ist
demgegenüber als Moment der Totalisierungsbewegung gefasst und als Versuch gedeutet, die von der
Transzendenz ausgelöste Beunruhigung auszuräumen, die Situation, in die das Subjekt als endliches und
fragiles involviert ist, zu gestalten, ihrer (durch Selbstermächtigung und Autonomie) Herr zu werden.
235
236
58
Identifizierung gewährleistet wird: sie bringen das Handeln des Ich, die Gegenwart und
das konkret begegnende Seiende auf den Vektor eines bestimmten Zwecks. Letzterer ist
damit zugleich der paradigmatische Interpretant des Objektverständnisses; die
Doppeldeutigkeit der Intentionalität 238 ist ernstzunehmen: der Begriff bezeichnet nicht
nur die Struktur des Bewusstseins als ‚Bewusstsein von …’, sondern zugleich auch schon
das Verstehen als ‚Verstehen als …’. Die Absicht oder Hinsicht, in der das Seiende
betrachtet wird, ist ausschlaggebend sowohl für seinen Sinn wie auch für den der
intentionalen Bezugnahme, die aus dieser Perspektive betrachtet beide hauptsächlich vom
Subjekt und von dem von ihm projektierten Zweck abhängen. – „Es ist vielleicht die
eigentliche Definition der Philosophie, ein Tun zu sein, das sich schon im voraus
eingeholt hat in dem Licht, das es leiten sollte.“ 239
– Hier findet sich also die Normativität wieder, die oben in Bezug auf das Vorherwissen
aufschien. Sie erweist die Neutralität des ontoepistemologischen Subjekts als spezifische
Form der ethischen Indifferenz gegenüber der Singularität und des Selbstzwecks der
Seienden, die keineswegs synonym ist mit etwa einer interesselosen Neugier. 240 Das
intentionale Bewusstsein zeigt sich als grundlegend interessiert am Fortbestand des
Selben und der Aufrechterhaltung eines asymmetrisch-zentripetalen 241 Verhältnisses der
Erschlossenheit und Verfügung zwischen ihm und seiner Umgebung. Aktivität ist das
Verfahren der Stabilisierung dieser Situation und zugleich die Negation von Irritation im
ganz praktischen Sinn. Nichtsdestotrotz gestattet eben das Absehen von der Dimension
der Nähe und der mit ihr zusammenhängenden Passivität, das auch als ein Verschieben
Levinas kritisiert an Husserl, dass er eine „strikte Parallelität zwischen den doxischen, axiologischen und
praktischen Setzungen durchgehend behauptet“ (AQ, S. 84f.), dass er also das Schema des intentionalen
Bewusstseins auf die Praxis überträgt. Es stimmt, letztere Dimension erschöpft sich für das Subjekt nicht in
Intentionen; dennoch gehe ich hier davon aus, dass sich die theoretische Einstellung auf die Praxis
überträgt und sich im Verhalten einspielt. Ich stimme Levinas’ Satz zu, dass praktische Setzungen nicht
allein von der Intentionalität – und die Subjektivität nicht allein vom Seinsverstehen – her zu verstehen
sind, würde aber dagegen halten, dass es ein (zweckgerichtet-technisches) Handeln gibt, das sich selbst so
versteht und dementsprechend verfasst ist. Im Übrigen nimmt wohl auch Levinas eine ähnliche
Übertragung an, sonst wäre sein Widerstand gegen das Primat der Ontologie unverständlich. –
Ursprünglich wollte ich diese wichtige Thematik der Übertragung und Rückkopplung von Theorie auf
Praxis etwas ausführlicher besprechen, aus Zeit- und Platzmangel verzichte ich darauf.
239 SpA4, S. 212f.
240 Die ontoepistemologische Ethik kennt zwar die Figur des Selbstzwecks; der Selbstzweck besteht jedoch
gerade im Sein und nicht etwa im Überschwang der Verschwendung oder des Herausgehens aus sich.
241 Vgl. AQ, S. 118: „Das Sagen nähert sich dem Anderen, indem es das Noema der Intentionalität
durchbricht und das Bewußtsein ‚wie eine Weste’ umdreht, das Bewußtsein, das von sich her für sich
geblieben wäre, selbst in seinen intentionalen Absichten. Die Intentionalität bleibt Streben nach Erfüllung
und als Erfüllung zentripetale Bewegung eines Bewußtseins, das mit sich selbst übereinstimmt und sich
ganz abdeckt, das wieder zu sich findet, ohne zu altern, in seiner Selbstsicherheit ruht, sich bestätigt, sich
verdoppelt, sich verfestigt und zu Substanz verdickt. Im Sagen kommt das Subjekt dem Nächsten nahe,
indem es sich aus-drückt im buchstäblichen Sinne des Wortes, hinausgetrieben wird aus jeglichem Ort,
keine Bleibe mehr hat, keinen Boden betritt.“
238
59
der unmittelbaren Bedürfnisse beschrieben werden kann, 242 längerfristig zu agieren und
Projekte zu entwerfen.
Die Arbeit erfordert ein Verhalten, in dem die errechnete Mühe, die auf die produktive Leistung
verwandt wird, konstant bleibt. Sie erfordert ein vernünftiges Verhalten, in dem Impulse der
Erregung, wie sie beim Fest und generell beim Spiel freigesetzt werden, nicht angebracht sind.
Wenn wir diese Impulse nicht zügeln könnten, wären wir zur Arbeit unfähig; die Arbeit liefert
eben den Grund, sie zu zügeln. Diese Impulse gewähren denen, die ihnen nachgeben, eine
unmittelbare Befriedigung: im Gegensatz dazu verspricht die Arbeit denen, die sie beherrschen,
einen späteren Nutzen, dessen Wert nicht bestritten werden kann, außer vom Gesichtspunkt des
gegenwärtigen Augenblicks. 243
Die erwähnte Normativität und der „Vorrang der Zukunft“ 244 vor der unmittelbaren
Gegenwart sind außerdem zugleich eine weitere Form der Abstandnahme: die innere
Distanz, die die Zwecksetzung ermöglicht, wird ergänzt oder erweitert durch das in die
Zukunft gerichtete Handeln, durch das Agieren in zeitlicher Entfernung. – Nicht zuletzt
ist es das Verfahren der Identifizierung, welches ein derartiges Handeln auf Distanz
erlaubt, weil dieses das Objekt nicht nur synchronisiert, sondern es in einem weiteren
Sinn vergegenwärtigt, indem es seinen zukünftigen Zustand durch Protention
vorzustellen erlaubt und es so der präskriptiven Imagination und der berechnenden
Operation zugänglich macht. Zwecksetzung bedeutet also zugleich selbst eine
Distanznahme und ein Vorherwissen, weil sie Begegnendes intentional wahrnimmt, als
von den Zwecken des Subjekts bestimmt und ihnen entsprechend. Das Unmittelbare, die
Gebrochenheit und das Überschüssige werden in den Hintergrund gedrängt oder
ignoriert. Im Zuge dieser Distanzierung ist das Subjekt in der Lage, sich der Dinge zu
bemächtigen und sich der Situation Herr zu fühlen, in die es doch letztlich als endliches
und fragiles involviert ist.
Vgl. E, S. 32, 40
E, S. 42.
244 SpA4, S. 210. Vgl. auch das Zitat aus Ev auf Seite 32f.
242
243
60
Egologie
Jeder hat am Ende das Recht zur Abwesenheit, zur Selbstsicherheit erobert,
jede Straße ist das bornierte Gesicht dieser Eroberung. 245
Georges Bataille
Aus der Perspektive der Ontoepistemologie scheint die Akzentuierung der Aktivität keine
selbstlaufende Mechanik nach sich zu ziehen, sondern wird gerade umgekehrt als
Befreiungsbewegung ausgelegt: das Subjekt ist imstande, sich als Bewusstsein über die
Situation zu erheben und diese nach seinen Zwecken zu gestalten. Hier rückt ein weiterer
Bedeutungsaspekt am Begriff der Aktivität in den Vordergrund: diese ist bezogen auf
eine bestimmte Vorstellung von subjektiver Autonomie oder Freiheit, also auf das
Vermögen des Subjekts, „eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen“,
246
selbst Ursache von Kausalreihen zu sein. Allerdings ist die Drift, der das aktive Subjekt
und dieser Freiheitsbegriff folgen, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde, auf
Integration und Exploration hin angelegt und also am Vektor der Ge- und
Erschlossenheit ausgerichtet, weshalb die Idee der Autonomie von Levinas und Bataille
her gesehen eben dieselbe Tendenz wie die Ontoepistemologie aufweist: sich zu
totalisieren oder auch zu verabsolutieren – Freiheit ist in diesem Zusammenhang vor
allem aktiver Wille, dem Subjekt obliegende Kontrolle, von ihm ausgehende Despotie.
Entsprechend ist für das selbstgesetzgebende Subjekt dasjenige inakzeptabel, was es nicht
aktiv gewählt oder wenigstens befürwortet hat, weil es durch derartige Elemente – selbst
wenn sie zu seiner eigenen Person gehören 247 – erneut in die Passivität verwiesen wird,
die aus diesem Blickwinkel bloß Ohnmacht oder Re-Aktion und Heteronomie bedeuten
kann.
Aus der Verbindung von Aktivität und Autonomie resultiert ein hybrider
Verantwortungsbegriff, der zugleich zu stark ist und nicht stark genug – und beides aus
demselben Grund: die Vorstellung einer mit Freiheit, Wollen und Aktivität verquickten
Verantwortung führt zu einer bestimmten Art der Überforderung des Subjekts, die es
ihm zugleich aber auch umgekehrt erlaubt, Verantwortung zu delegieren bzw. zu
EI, S. 56.
KrV, S. 591.
247 Und sind letztlich nicht nahezu alle Persönlichkeitsanteile heteronom, also nicht aktiv vom Subjekt,
sondern von woanders her bestimmt? – Vgl. den Begriff der Rekurrenz und Anmerkung 252.
245
246
61
dezimieren. Einerseits ist das Subjekt, das sich zum Herrn der Situation aufzuschwingen
und diese zu gestalten vermag, für diese Situation in einer Weise verantwortlich, die seine
Endlichkeit und Abhängigkeit, seine Fragilität und Passivität mehr oder minder außer
Acht lässt, indem es ihm den Willen und die Fähigkeit zur freien Verfügung über die
Umstände auferlegt; andererseits ist das Subjekt aber auch ausschließlich für das
verantwortlich, was es gewollt und getan hat, was ihm als Absicht, als Akt oder als
Konsequenz derselben zugerechnet werden kann. 248 Der aus der Akzentuierung der
Aktivität resultierende Verantwortungsbegriff ist zu stark, weil er wesentlich mit
Autonomie und Engagement verknüpft ist – es scheint so, als wäre das Subjekt, um als
verantwortlich zu gelten, dazu genötigt, dasjenige auch zu wollen, was es verantworten
muss, als wäre es andererseits aber auch in der Position, sich für nichts anderes
verantwortlich zu fühlen, als für dasjenige, was aus seinen Intentionen und seinem
Verhalten hervorgeht, für nichts außerhalb der es selbst betreffenden Belange. In dieser
Form wendet sich die Verantwortung überdies gegen jede Form der Passivität: das
Subjekt darf sich weder als von seiner Herkunft oder den Umständen determiniert
erachten noch je außerstande sein, etwas an seiner Lage und Disposition zu verändern –
die Idee der Autonomie ist also analog zur Figur der Identität zentripetal gedacht: auch
wenn niemand die totale Transparenz und Selbstkongruenz faktischer Subjekte und die
Kohärenz und Integrität ihres Willens behaupten würde, so bilden diese doch den
orientierenden Wert. Nicht nur als Bewusstsein kehrt das Subjekt idealiter zu sich zurück,
sondern eben auch als Wollendes: für seine Wertsetzungen und Empfindungen zeichnet
es genauso verantwortlich, wie für seine Taten und deren Konsequenzen – es ist
sozusagen zu einem eigenen Willen und einem eigentlichen Wollen verpflichtet; selbst die
Passivität wird auf diesem Weg letztlich zu einer Sache der (rückwirkenden) Wahl und
der aktiven Entscheidung.
Von Aristoteles bis Leibniz ist der Gott der Philosophen ein der Vernunft entsprechender Gott,
ein verstandener Gott, der die Autonomie des Bewußtseins nicht zu trüben vermöchte; durch
alle Abenteuer hindurch findet sich das Bewußtsein als es selbst wieder, es kehrt zu sich zurück
wie Odysseus, der bei allen seinen Fahrten nur auf seine Geburtsinsel zugeht. Die Philosophie,
die uns übermittelt ist, reduziert nicht nur das theoretische Denken, sondern jede spontane
Bewegung des Bewußtseins auf diese Rückkehr zu sich. Nicht nur die von der Vernunft
begriffene Welt hört auf, anders zu sein, da das Bewußtsein sich in ihr wiederfindet; vielmehr ist
alles, was Einstellung des Bewußtseins ist, also Bewertung, Gefühl, Tätigkeit, Arbeit sowie
248 Auch deswegen unterwirft es sich wohl der oben beschriebenen Identifizierungsbewegung – das
autonome Subjekt wird sich stets fragen müssen, welches sein Wille ist und woher dieser kommt; im
Grunde führt die Frage nach dem freien Willen – wenigstens von hier aus gesehen – in einen unendlichen
Regress, denn letztlich ist die wirklich autonome Instanz im Subjekt nicht auszumachen; sie bleibt eine
Selbstsetzung.
62
Engagement in einem weiteren Sinne am Ende Selbstbewußtsein, d. h. Identität und
Autonomie. 249
In der Absolutheit des Imperativs ähnelt die Überforderung der von der Theorie mit der
Autonomie instituierten Idee der Verantwortung jener von Levinas (scheinbar 250 ) so
bedingungslos vertretenen: „Jeder von uns ist vor jedem in allem schuldig; und ich am
meisten.“ 251 Der maßgebliche Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt jedoch
darin, dass Levinas Verantwortung gerade nicht als Engagement und Übernahme denkt,
weil so das Subjekt zu sich zurückkehren und sich dasjenige aneignen, rückwirkend dem
eigenen Willen und der eigenen Aktivität zuschreiben würde, was es weder gewollt noch
geschaffen hat. – Genau hierin besteht die Hybris der Autonomie und zugleich die
bestimmte Qualität der Überforderung, die ein von der Aktivität des Subjekts abhängiger
Verantwortungsbegriff bedeutet. Levinas’ Auffassung grenzt sich in ihrer Hervorhebung
der subjektiven Passivität deutlich von jener der Ontoepistemologie ab, führt gleichwohl
aber – und trotz des darin auszumachenden nachdrücklichen Widerspruchs zu der
gemeinhin angenommenen notwendigen Verknüpfung von Verantwortung mit Freiheit –
nicht zu einer Entlastung des Subjekts. Im Gegenteil: aufgrund der „Rekurrenz“, 252 die
allein schon die Identität als ein Widerfahrnis beschreibt, kann das Subjekt sich der
Verantwortung in keiner Weise entheben; ja es muss sogar noch die Rechtfertigung seiner
Urteile und Handlungen ganz auf sich nehmen, ohne sie auf eine maßgebliche
Urteilsinstanz – etwa den Logos oder die Allgemeinheit – abschieben zu können. Zudem
ist das Subjekt gerade in seiner Passivität verantwortlich bzw. sogar erst durch diese:
SpA4, S. 211f.
‚Scheinbar’ soll hier darauf hinweisen, dass Levinas’ Verantwortungsbegriff kein unvermittelt normativer
ist sondern eine Art Hybridbildung aus phänomenologischer Beschreibung und ethischer Hyperbolisierung,
dass also eine präskriptive Lesart nicht eindeutig behauptet werden kann. – Auf die Methode der
Hyperbolisierung werde ich im Abschnitt zu den „Strategien der Zersetzung“ intensiver eingehen.
251 Fjodor M. Dostojewskij: Die Brüder Karamasow. Übers. v. W. Creutziger. Berlin/ Weimar 2008. S. 443.
„Levinas zitiert diesen Satz mehrfach und zustimmend“ (Stegmaier, S. 161.), unter anderem findet er sich in
leicht variierter Übersetzung in AQ, S. 320: „Ein jeder von uns ist vor allen und an allem schuldig, ich aber
bin es mehr als alle anderen.“
252 Vgl. AQ, S. 227-251 sowie die Anmerkung a von Thomas Wiemer, S. 227f.: „Rekurrenz – ist die
Entsprechung zum französischen ‚récurrence’, das in dem speziellen Sinn, in dem das Wort in der
vorliegenden Untersuchung verwendet wird, kein Äquivalent in der Umgangssprache hat. Der Terminus
hat hier die Funktion eines Leitwortes für die von Lévinas versuchte Beschreibung einer Transzendenz der
Leiblichkeit. Im Gegensatz zur Reflexivität des Bewußtseins bzw. dieser Reflexivität zuvor bezeichnet die
‚récurrence’ das Vor-den-eigenen-Anfang-Zurückgehen des Subjekts, seine Herkunft aus dem, was ihm in
absoluter Weise entgeht, aus uneinholbarer Vergangenheit und aus einer Passivität, der keine Rezeptivität
mehr entspricht. Die Herkunft setzt die Leiblichkeit des Subjekts voraus, ist Herkunft aus der schon
erläuterten Ausgesetztheit an Genuß und Schmerz, an Trauma und Verfolgung, aus einer Leiblichkeit, die
Lévinas im Folgenden auch als Geschöpflichkeit deutet: als Gerufensein vor dem Sein. Beim Rückgang auf
diese Herkunft trifft Lévinas auf das, was er ‚Sich’ nennt: Ich-im-Akkusativ, jemand, der, noch bevor er er
selbst ist, bevor er sich selbst hat, schon sich ‚vorgeladen’ findet, zitiert zu dem, was ihm unübernehmbar
bleibt.“
249
250
63
Durch ‚Verletzlichkeit’ versuche ich, das Subjekt als Passivität zu beschreiben. Wenn es keine
Verletzlichkeit gibt, wenn das Subjekt in seinem Sich-Gedulden sich nicht immer schon am Rand
eines bereits absurden Schmerzes befindet, dann wird es für sich selbst gesetzt; und in dem Fall
ist der Augenblick nicht fern, in dem es Substanz ist, in dem es stolz ist, in dem es imperialistisch
ist und in dem es den Anderen als Objekt hat. Der Versuch war der, die Beziehung mit dem
Anderen nicht als ein Attribut meiner Substantialität vorzustellen, als Attribut meiner Festigkeit
als Person, sondern, im Gegenteil, als die Tatsache meiner Entlassung, meiner Absetzung (in
dem Sinn, wie man von der Absetzung eines Herrschers spricht). Von da an erst kann ein
wirklicher Verzicht, eine Stellvertretung für den Anderen in mir selbst Sinn annehmen. Sie sagen:
im Leiden kann man nichts mehr tun. Aber sind Sie sicher, daß das Leiden bei sich selbst
stehenbleibt? Wenn man durch jemanden leidet, dann bedeutet die Verletzlichkeit auch, für
jemanden zu leiden. Genau um diese Umformung des ‚durch’ ins ‚für’, um diese Stellvertretung
des ‚für’ anstelle des ‚durch’ geht es. 253
Es ist bemerkenswert, dass und wie Levinas Passivität und die dieser im Zusammenhang
mit Verantwortung gemeinhin unterstellte Opferhaltung konsequent auseinander hält –
das Subjekt trägt Verantwortung gerade in und mit seiner „Unterwerfung“, 254 letztere
macht es aber keineswegs zu einem ohnmächtigen Spielball, sondern erhebt es gerade in
seine „Einzigkeit“. 255
Stellvertretung – Bedeutung. Nicht Verweis des einen Ausdrucks auf den anderen, so wie es im
Gesagten thematisiert erscheint, sondern Stellvertretung als die eigentliche Subjektivität des
Subjekts, Unterbrechung der unumkehrbaren Identität, die dem sein zugehört, Unterbrechung
dieser Identität in der Übernahme der Verantwortung, die mir aufgebürdet wird, unausweichlich,
und in der die Einzigkeit des Ich erst Sinn annimmt: in der nicht mehr von dem Ich die Rede ist,
sondern von mir. Das Subjekt, das nicht mehr ein Ich ist – sondern das ich bin –, ist nicht
generalisierbar, ist nicht ein Subjekt im allgemeinen; was so viel heißt wie: überzugehen vom Ich
zu mir, der ich ich bin und nicht ein Anderer. Die Identität des Subjekts hat hier in der Tat ihren
Grund in der Unmöglichkeit, sich der Verantwortung, der Sorge und des Einstehens für den
Anderen zu entziehen. 256
– Dennoch übernimmt das Subjekt die Verantwortung nicht im aktiven Sinn, sondern es
trägt an ihr auch dann, wenn es sich nicht dazu entscheidet und es trägt sie nicht zuletzt
für das, was es nicht gewollt hat – es ist, ob es will oder nicht, grundlegend (affektiv und
leiblich) in die Situation involviert und antwortet auf diese. Gerade in dieser seiner
Verletzlichkeit und Betroffenheit ist – und wird – es auf den Anderen und über den
Anderen auf Transzendenz hin geöffnet. Verantwortung verknüpft sich hier also
essentiell mit der Passivität der auf Transzendenz bezogenen Subjektivität – d. h. mit
demjenigen, was das Subjekt gerade nicht in der Hand hat, mit dem, wovon es vor jeder
Entscheidung schon eingeholt wird: hier deutet sich schon die Figur bzw. die Haltung der
DQVI2, S. 102f.
Levinas verbindet ‚Subjektivität’ mit dem Begriff der ‚Substitution’, die zugleich eine Ersetzung der
zentralen Stellung des Ego meint und die Verantwortung, die in der Stellvertretung besteht. – Vgl. dazu
Thomas Wiemers Anmerkung l in DQVI2, S. 119f.: Der für „Lévinas’ Denken zentrale Begriff der
substitution (Stellvertretung) [impliziert] seiner Herkunft nach den Gedanken der Unter-ordnung und Unterwerfung, was in der deutschen Übersetzung nicht mit zum Ausdruck kommt.“
255 Vgl. Anmerkung 174.
256 AQ, S. 47f.
253
254
64
passiven Aktivität an. – Der Transzendenzbezug entlastet das Subjekt gerade an der
Stelle, wo die Autonomie ihm zu viel aufbürdet. Transzendenz ist im doppelten Sinn die
andere Seite der subjektiven Endlichkeit und Fragilität: einerseits ist sie deren ‚Ursache’,
das Irritierende und Destabilisierende schlechthin, andererseits verleiht sie der
Verletzlichkeit in gewisser Weise auch einen ‚Sinn’, indem sie das Subjekt auf das Andere
bezieht, es aus seiner Abgeschlossenheit befreit. Transzendenz ist der Grund zugleich für
die Über- wie für die Entlastung des Subjekts mit und von Verantwortung.
Die Verantwortung gewinnt gerade aus der konstitutiven Passivität heraus erst ihre volle
Bedeutung: das Subjekt steht in einer Situation, die jedenfalls zu groß für es ist und die es
weder autonom beschlossen und aus sich selbst heraus geschaffen hat noch in ihrem
Fortschritt zu bestimmen oder zu lenken vermag. Es kann dieser Situation nur adäquat
begegnen, indem es sich (selbst) dem Geschehen hingibt, ohne es mit allen Mitteln
kontrollieren zu wollen, indem es seinen Willen und seine präskriptiven Imaginationen
suspendiert, die Illusion und Versuchung einer Verfügung (Stabilisierung und
Optimierung) über das Unverfügbare verabschiedet. „Die Verletzlichkeit ist das
Vermögen, von dieser Welt Abschied zu nehmen. Man nimmt von ihr Abschied, indem
man altert. Die Zeit dauert als dieses Abschiednehmen und als dieses Zu-Gott.“ 257 –
Diese Interpretation von Verantwortung folgt im Gegensatz zum mit Autonomie
verknüpften Begriff gerade nicht der Vorstellung einer Beherrschbarkeit der Umstände,
sie mutet dem Subjekt nicht zu, sich die Fähigkeit, die Kraft oder den Willen anzumaßen,
die Welt zu tragen, die unerschöpfliche Verantwortung übernehmen zu können; gleichwohl
ist es unausweichlich für alles verantwortlich. Verantwortung stellt bei Levinas geradezu die
Grund- oder Ursituation des Subjekts dar – ihr kommt die Virulenz einer Art
unwillkürlichen, unverhältnismäßigen und untragbaren Begehrens zu und sie bildet
zugleich das Paradigma der gesuchten alternativen Quasi-Haltung, die dem viszeralen
Bezug der Subjektivität auf die Dimension der Transzendenz und des Ethischen
entspricht.
DQVI2, S. 103. Der Übersetzer Thomas Wiemer merkt dazu an: „Im Französischen gleiches Wort für
das Abschiednehmen (adieu) und das Zu-Gott (à-Dieu); d. h. Lévinas stellt eine Verbindung her zwischen
der Zeit, insofern sie Abschiednehmen von Positivität und Welt der Priorität des Ich bedeutet, und der
Bewegung auf Gott hin, die nicht-intentionale Bewegung ist.“ (Anmerkung e, S. 103.) „Wichtig ist dabei,
daß diese Bewegung zu Gott nichts zu tun hat mit einer zielgerichteten, intentionalen Bewegung, sondern
eher … mit der eines Erwecktwerdens-zu oder auch der einer Hingabe, wobei wiederum nicht die Hingabe
gemeint ist, die ich von mir aus vollbringe, vielmehr die meinem Sein und Können vorausliegende Hingabe
des Geweihtseins, der Hingegebenheit – an – den Anderen und den Unendlichen.“ (Anmerkung j, S. 92.)
257
65
Die Rückläufigkeit des Sich sprengt die Grenzen der Identität, das Prinzip des Seins in mir, das
unerträgliche Ruhen in sich, das der Definition zukommt. Die Rückläufigkeit ist Verantwortung
des Ich für das, was es nicht gewollt hatte, d. h. für die Anderen. Diese Anarchie des Rücklaufs
zu sich; Passivität, die in der Nähe erlitten wird; Anarchie, da jenseits des normalen Spiels von
Aktivität und Passivität, in dem sich die Identität des Seins hält, jenseits der Grenzen der
Identität; Passivität des Rücklaufs zu sich, die indes nicht die Entfremdung ist – was kann sie
anders [sic] sein als die Substitution, das Einstehen für die Anderen? In ihrer Passivität ohne die
arché der Identität ist die Selbstheit Geisel. Das Wort „Ich“ würde einstehen für alles und alle. 258
*
Für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit sind an dieser Stelle vor allem die mit
den jeweiligen Verantwortungskonzepten einhergehenden Haltungen sowie die Weisen
des Selbstverständnisses und des damit zusammenhängenden Selbstverhältnisses von
Interesse. – Im Falle der Autonomie bestimmt der totalisierende Imperativ der
identifizierenden Integration und Exploration nicht nur das Verhältnis zur Alterität,
sondern er invertiert und setzt dieses Verfahren gegen das Andere am Selben, gegen das
Subjekt selbst gewandt fort. Autonomie ist von der hier veranschlagten Perspektive aus
gesehen also nicht nur als Unabhängigkeit gegenüber äußeren Zwängen anzusehen,
sondern sie drückt sich auch in einem bestimmten Selbstverhältnis aus, das in seiner
Qualität der Ermächtigung über das Andere gleichkommt. Das theoretische Subjekt ist,
was es selbst betrifft, nicht nur in heuristische Fragen der persönlichen Identität
verstrickt und daraufhin orientiert, sich über sich selbst aufzuklären, sondern es hat
überdies das Problem des freien Willens bzw. der Autonomie. In der spezifischen
Qualität der angesprochenen Überforderung findet sich auch das paradigmatische
Charakteristikum des autonomen Selbstverhältnisses: von Wert ist vor allem, was das
Subjekt ist und erreicht – beides hängt durchweg von ihm selbst ab. Um diesem seinem
Anspruch nachzukommen, nimmt es auch zu sich selbst – wie zu anderem Seienden –
eine gewisse theoretische Distanz ein; es ist für sich selbst ein Objekt: ein Gegenstand des
Erkennens, der Manipulation und der Beherrschung. Und auch wenn sich die Instanz, die
diese Haltung instituiert, nicht ohne weiteres greifen lässt, auch wenn das Subjekt sich
nicht ganz mit dieser zu identifizieren vermag, so zeitigt sie doch eine bestimmte Qualität
des Selbstverhältnisses: dieses ist geprägt von einer gewissen Rigidität, die dem Ehrgeiz
entspringt, den von den selbstgesetzten Zwecken vorgegebenen Anweisungen
konsequent Folge zu leisten. Das autonome Subjekt funktionalisiert sich auf diesem
Wege selbst, es hat, entsprechend der von der Theorie ins Werk gesetzten
Emmanuel Levinas: „Die Substitution“, in ders.: Die Spur des Anderen. A.a.O. S. 295-330, hier S. 316f. –
Rückläufigkeit meint die oben angesprochene Rekurrenz.
258
66
Identitätsambition, den Willen, jemand zu sein; 259 damit ist es sich selbst Zweck, aber
zugleich auch Mittel. 260 – Letzteres wäre relativ belanglos und unproblematisch, wäre
diese Haltung nicht eingelassen in das Paradigma der Distanzierung und Inbesitznahme.
Der Umgang mit der eigenen Passivität und Verletzlichkeit ist von daher tendenziell
unsensibel, ungeduldig, verständnislos und manipulativ. Es ist das beschriebene
Ausweichen in die Theorie oder das Projekt, ein Abdriften in die Aktivität oder eine Art
Ablenkungsmanöver, das in der unvermittelten Suche nach Lösungswegen besteht, die
einsetzt noch bevor der ‚Sinn’ der Irritation Raum gewinnen kann. Wieder scheint also
diese spezifische Normativität auf, die mit der Identifizierung und der Zwecksetzung ins
Spiel kam. Und sie bleibt auch in dieser Form nicht einfach auf das Selbstverhältnis des
Subjekts beschränkt, sondern spiegelt sich in einer (wenigstens latent aggressiven)
Diskriminierung des Anderen, des Verletzlichen und Schwachen.
Und unvermittelt fragte er mich, ob es wahr sei, daß die Deutschen so schrecklich grausam seien.
„Ihre Grausamkeit ist aus Angst erwachsen“, erwiderte ich, „sie sind krank vor Angst. Sie sind
ein krankes Volk.“ „Ja, ein krankes Volk“, sagte Munthe und stieß die Spitze seines Stockes auf
den Boden; und nach langem Schweigen fragte er mich, ob es wahr sei, daß die Deutschen so
blutdürstig und zerstörungswütig seien. „Sie haben Angst“, wiederholte ich, „sie haben Angst vor
allem und jedem, sie töten und zerstören aus Angst. Nicht etwa, daß sie den Tod fürchten – kein
Deutscher, ob Mann oder Frau, ob Greis, ob Kind, fürchtet den Tod. Und sie haben auch keine
Furcht vor Leiden. In einem gewissen Sinne kann man sagen, daß sie den Schmerz lieben. Aber
sie haben Angst vor allem, was lebendig ist, vor allem, was lebendig ist außerhalb von ihnen, und
vor allem, was anders ist als sie. Das Übel, an dem sie leiden, ist geheimnisvoll. Sie haben Angst
besonders vor schwachen Wesen, vor den Wehrlosen, den Kranken, den Frauen, den Kindern;
sie haben Angst vor alten Leuten. Ihre Angst hat stets ein tiefes Mitleid in mir erweckt. Wenn
Europa Mitleid mit ihnen hätte, dann würden die Deutschen vielleicht von ihrem schrecklichen
Übel genesen.“ 261
Dem theoretisch-autonomen Subjekt ist es aus verschiedenen Gründen nicht möglich,
sich vom Sein zu lösen, sich selbst aufs Spiel zu setzen und sich der Möglichkeit des
Desinteressement zu öffnen: seine Wertsetzungen sind der Bezogenheit auf
Transzendenz diametral entgegengesetzt und initiieren eine Totalisierungsbewegung; das
Subjekt hält infolgedessen an seiner Identität fest und stabilisiert sich, indem es durch
Exploration und Integration permanent zu sich zurückkehrt; das Sein wächst sich im
Vgl. dagegen Levinas’ Interpretation des Satzes ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst’: „Liebe deinen
Nächsten; dies alles bist du selbst; dieses Werk bist du selbst; diese Liebe bist du selbst.“ – DQVI2, S. 116.
260 Dass das Subjekt sich selbst als Objekt betrachtet und also gewissermaßen funktionalisiert, mutet etwas
paradox an, müsste die Anklage seitens Levinas doch lauten, dass die griechische Tradition mit ihrem
Einsatz bei der Ontologie den Egoismus naturalisiere, das Selbe als Maßstab setze und die Verselbigung des
Anderen durch die vermeintlich unhintergehbare Vermittlung über das Allgemeine rechtfertige. Schon in
der Einleitung hat sich allerdings eine leitende These der vorliegenden Arbeit abgezeichnet: dass der von
der Ontoepistemologie konstituierte Egoismus auch dem Subjekt selbst nicht gerecht zu werden vermag,
weil es ihm notgedrungen an Sensibilität im Umgang mit der Passivität, dem Anderen am Selben mangelt.
261 Curzio Malaparte: Kaputt. Roman. Übers. v. H. Ludwig. Frankfurt am Main 2007. S. 13f.
259
67
Ethischen zu einer Art Imperativ der Identität, Kohärenz und Stabilität aus, es setzt eine
zentripetale Bewegung in Gang, die auf Geschlossenheit und Vollständigkeit zielt und
gerade deshalb eine Homogenisierung 262 und Nivellierung mit sich bringt. Von der für
die Effektivität des Wissens fundamentalen Idee des Seins aus gesehen erscheint die im
Begehren nach dem uneinholbaren Anderen aufscheinende subjektive Bezogenheit auf
Transzendenz, der sublime Wunsch nach „Exzendenz“, 263 nach einem Herausgehen-aussich als tendenziell pathologisch: wie kann das Subjekt etwas wollen, das seinem
Egoismus widerspricht, seine Identität auflöst und es destabilisiert, es gar
„entpersönlicht“? 264 Die ontoepistemologische Haltung marginalisiert dieses untragbare
Begehren, denn es widerspricht dem Wert der Identität, des Seins und läuft nicht zuletzt
auch der als Autonomie ausgegebenen Selbstfunktionalisierung zuwider. Von der
umgekehrten Figur des Desinteressement aus lässt sich das ontologische Axiom
grundlegend infrage stellen 265 und es scheint, als wäre die Ontoepistemologie, die das
Sein behaupten und zugleich verteidigen muss, weil es die Voraussetzung für Wissen,
Aktivität und Zwecksetzung ist, eine radikale Perfidie auch gegen das von ihr ins
Zentrum gesetzte Subjekt: indem es ist, ist es erreichbar, ist es bestimmbar und
beherrschbar 266 – indem es ist hat es sein anders als sein aufgegeben.
– Das Erstaunliche an dem von Bataille und Levinas angedachten untergründigen Willen
zur Selbstverschwendung ist die hier zum Vorschein kommende elementare
Selbstannahme: das Begehren, sich von sich selbst zu lösen, muss von hier aus weder
marginalisiert noch als eine Art Fremdkörper innerhalb eines selbstbestimmten und
tautologischen Ichs interpretiert werden, sondern wird zum integralen Bestandteil des
Selbst, ja zum Kriterium eines – maßlosen – Wohlwollens sich selbst gegenüber. Von
Batailles und Levinas’ Denken aus erscheint das Festhalten am Sein, die Deutung der
Bedeutung des Seins für das Seiende als conatus oder Selbsterhaltung, die – egoistisch
verstandene – „Sorge um sich“, in einem ganz anderen Licht: – als eine verschleierte
Selbstversklavung.
Vgl. die Unterscheidung zwischen Homogenität und Heterogenität in F.
Ev, S. 15.
264 Vgl. dazu E, S. 301 und 302 sowie S. 360 und 361 von Gerd Bergfleth: „Leidenschaft und Weltinnigkeit.
Zu Batailles Erotik der Entgrenzung“, in: E, S. 313-396.
265 „Welche Struktur hat dieses reine Sein? Besitzt es die Universalität, die Aristoteles ihm verleiht? Bildet es
den Grund und die Grenze unserer Sorgen, wie gewisse moderne Philosophen behaupten? Handelt es sich
nicht vielmehr um das Kennzeichen einer bestimmten Zivilisation, die das Sein als gegebene Tatsache
hingenommen, sich darin eingerichtet hat und nunmehr unfähig ist, es zu verlassen?“ – Ev, S. 18f.
266 Vgl. Dazu die im Zusammenhang mit biopolitischen Organisationsformen erwähnte Formel „tötbar
aber nicht opferbar” bei Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Übers. v. H.
Thüring. Frankfurt am Main 2002.
262
263
68
Ausweg aus dem Sein
Die innere Erfahrung ist die Aufkündigung der Ruhe, sie ist das Sein ohne Aufschub. 267
Georges Bataille
Während der erste Teil der vorliegenden Arbeit den Versuch darstellt, die
Ontoepistemologie als Konstitution einer bestimmten, auf Distanzierung und
Inbesitznahme angelegten Haltung zu beschreiben und anhand einer Kontrastierung mit
Levinas’ Begriffen des Sagens, der Nähe, der Passivität, der Beunruhigung und des
Desinteressement zu kritisieren, wird der hier anschließende zweite Teil Levinas’ und
Batailles Denken als Drift hin zu einer auf Transzendenz bezogenen Subjektivität
nachzuzeichnen suchen. Was an der ontoepistemologischen Haltung als problematisch
erschien, wird sich von der Beschreibung des Desinteressement und der Ekstase her
noch um einiges verdeutlichen. Die reversive Kritik der Ontoepistemologie hat nicht
zuletzt deshalb viel Raum eingenommen, weil sie selbst teilhat an der von beiden
Denkern vollzogenen Konversion und der Suche nach einer alternativen Haltung; die
insistierende Destruktion der Theorie bzw. der Ausgang aus ihr gehören schon zur
Bewegung des Desinteressement, zur Suche nach einem Ausweg aus dem Sein. Die durch
diese Konversion eingesetzte Beziehung der Subjektivität auf Transzendenz lässt sich in
eins lesen mit der Bewegung der Annäherung an das Andere und den Anderen, die
zugleich ein Zugehen auf oder ein Zulassen von Ausgesetztheit und Verletzlichkeit
bedeutet. Die gesuchte Haltung besteht also in einem anderen Verhältnis zu Stabilität und
Instabilität, sie ist gekennzeichnet von einem Gewahrsein und einer Bejahung der
Passivität und Dispersion des Subjekts, seiner Fragilität und Endlichkeit. Sie ist jedoch
nicht eigentlich eine Haltung im strengen Sinn, sondern, präziser beschrieben, ein
wiederholter Prozess des stets erneuten Haltungswechsels – ein Sich-von-der-Identität
lösen, das eine Reise ohne Rückkehr bedeutet – ohne Rückkehr und ohne Ankunft.
267
EI, S. 69.
69
Die heteronome Erfahrung, die wir suchen, wäre eine Haltung, die sich nicht in kategoriale
Bestimmungen konvertieren kann und deren Bewegung zum Anderen hin sich nicht in der
Identifikation wiedergewinnt, eine Bewegung, die nicht zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. 268
Beiden Philosophen geht es also darum, dem Verlangen nach Gewissheit und Kontrolle
etwas entgegenzusetzen oder besser: es zu unterminieren und gegen sich selbst zu
wenden und bei beiden finden sich – in ihrer Drift erstaunlich ähnliche – Strategien zur
Irritation und Zersetzung der Episteme, die zugleich die gesuchte Haltung entwickeln,
sie, im doppelten Wortsinn, einsetzen und eben auch vertiefen. Dass diese erstrebte
Haltung bloß eine Art Quasi-Haltung ist, der Festigkeit und Stabilisierungsambition mit
Notwendigkeit und Konsequenz abgehen, ist schon an den Stromlinien der
Irritationsmaßnahmen abzulesen, die selbst nicht unempfindlich sind gegen die von
ihnen in der Sprache ins Werk gesetzte Unterbrechung. Dabei ist die Störung in diesem
Fall aber keine dialektische oder antithetische, die zu einem harmonischen Kompromiss
oder einer Optimierung des Systems führen würde oder sollte, sondern besteht in einer
emphatischen Steigerung, einer Wiederholung und Potenzierung der Unterbrechung
selbst.
Strategien der Zersetzung
Wenn wir nicht zu dramatisieren wüßten, könnten wir nicht aus uns herausgehen.
Wir würden isoliert und eingepfercht leben. 269
Georges Bataille
Die oben an- und ausgeführte Beobachtung, dass es sowohl bei Levinas wie auch bei
Bataille einen Widerstand gegen die Ontoepistemologie gibt, soll im Folgenden ergänzt
werden durch die Beschreibung von Strategien der Zersetzung des Wissens und der
theoretischen
Einstellung.
Dabei
geht
es,
wie
gesagt,
nicht
darum,
einen
erkenntnistheoretischen Skeptizismus ins Werk zu setzen, der die Theorie kritisch
supplementiert, sondern darum, sich von der durch das Erkenntnisprimat initiierten
ontoepistemologischen Einstellung abzukehren und dem Denken die der Totalisierung
268
269
SpA4, S. 215.
EI, S. 23.
70
entgegengesetzte Drift zu geben, sich über die Akzentuierung von Fragilität und
Endlichkeit – ja letztlich durch eine Affirmation der Irritation – der Transzendenz
auszusetzen. Anscheinend ist für beide Philosophen auch das Schreiben nicht zuletzt eine
Praxis, um (allererst oder immer wieder) zu dieser anderen Haltung zu gelangen; die
Techniken der Bestreitung und der Dramatisierung bzw. des Widerrufs und der Emphase
dienen eben dazu, sich auf die unvoreingenommene Konfrontation mit der Störung und
der Verletzlichkeit hin zu bewegen, sich dem anzunähern, was zugleich schon die
Voraussetzung ist. Die im Folgenden eingehender beschriebenen Zersetzungsstrategien
sind also stets simultan als negativ und positiv zu verstehen: einerseits sind sie wider das
Wissen und die aus der Orientierung an Wissen und dem Bedürfnis nach Kontrolle
resultierende beschwichtigende Haltung gewandt, die in den Unterbrechungen und
Störungen der logischen Mechanik stets nur eine Dysfunktion erblicken und sich um
deren Behebung bemühen kann. Sie bauen Gewissheit ab, demontieren die mit ihr
zusammenhängende Haltung und versuchen im Gegenzug eine grundlegende
Affirmation bzw. Billigung der Dysfunktion einzusetzen, die diese nicht mehr als solche
interpretiert, sondern als Chance, als möglichen Ausweg aus der Ontoepistemologie und
als Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation, von lebendiger Begegnung
bewertet. Die Zersetzungsstrategien sind also zudem Exerzitien der Selbstpreisgabe und
eine Affirmation der Exuberanz, eine Art Einübung in den Prozess des Sich-vom-SeinLösen, der keineswegs ein einfach gangbarer und jedenfalls kein abschließbarer ist,
sondern einer, der nur wiederholt werden kann – wiederholt in seiner jeweiligen
Erstmaligkeit. Sie sind Weisen des aus sich Herausgehens und entsprechen somit dem
Desinteressement, das
mit der
Unterbrechung der Totalisierungsbestrebungen
einhergeht. Als Verfahren der Bezugnahme auf Transzendenz initiieren und befördern sie
ein Denken, das mehr denkt, als es denken kann: ein Denken, das die irreduzible
Differenz zwischen dem Selben und dem Anderen nicht einebnet und in die Immanenz
seiner Dialektik zurückholt, sondern ihr nachgeht in einem atemlosen Sagen.
– Beide, Bataille wie auch Levinas, kennen also sowohl Strategien der Zersetzung von
Wissen und Sicherheit, wie auch Techniken der Dramatisierung oder der Emphase.
Bestreitung und Widerruf sind dabei zugleich negative Strategien der Destruktion von
ontoepistemologischen Einstellungen und positiv Formen der Dramatisierung: das
Verstörende wird nicht depotenziert, sondern über die Betonung des Nichtwissens
gelangt das Subjekt zur Affirmation von Verletzlichkeit und Passivität. Es ist dieser
71
Verzicht auf Beruhigung, bzw. die Akzentuierung und Intensivierung der Beunruhigung,
die Hyperbel und Widerruf, Dramatisierung und Bestreitung ausmachen und ausrichten;
die Akzentuierung und Affirmation der Destabilisierung markiert sowohl die Strategien
der besprochenen Texte wie die von diesen veranschlagten Praktiken der Begegnung mit
sich selbst und dem Anderen. Die Techniken des Widerrufs und der Dramatisierung sind
der Versuch, auf der Verstörung zu bestehen so lange, bis sie umkippt und zur Ekstase,
zum Desinteressement wird. „[E]ine Art Umbruch – in der Angst – läßt uns den Tränen
nahe sein: da verlieren wir uns, wir vergessen uns selbst und kommunizieren mit einem
ungreifbaren Jenseits.“ 270 Jeder Ansatz der Wiedereingliederung der Erfahrung des
Unbegreiflichen bzw. der Rückkehr zum Selben wird durch Widerruf bzw. Bestreitung
unterbrochen. Die Zersetzungsstrategien schaffen so eine Art Bereitschaft zum Empfang
des Anderen, aber eine Bereitschaft, die nicht intentional funktioniert und also nicht dem
Willen des Subjekts obliegt, sondern in einer passiven Aktivität besteht, die gerade die
Unterbrechung des Selben immer wieder zuzulassen imstande ist. – „Sein
traumatisierendes Hereinbrechen muß dem vorausgegangen sein, was man unbesorgt als
Gastlichkeit bezeichnet – und selbst den Gesetzen der Gastlichkeit, wie störend und
umkehrbar diese auch schon immer erscheinen mögen.“ 271
Die Figur der Transzendenz zeigt sich hier erneut in ihrer Polyvalenz und
Multifunktionalität: sie ist für die Dramatisierung notwendig, weil sie das Subjekt auf
seine Endlichkeit und Passivität verweist, zugleich ist sie aber auch dasjenige, worauf das
Subjekt durch die Dramatisierung ausgerichtet wird: „In dem Augenblick, in dem das
Drama uns erreicht, in dem es zumindest empfunden wird als etwas, das den Menschen
in uns umfassend berührt, treffen wir so auf die Autorität, auf das, was zum Drama
führt.“ 272 – Transzendenz ist demnach zugleich eine Bedingung für das Herausgehen aus
sich, das der Irritation folgt bzw. durch diese, in dieser geschieht, und auch das ‚Ziel’ –
dasjenige, womit das Subjekt in der Ekstase kommuniziert. – Bei Bataille wie bei Levinas
geht es letztlich darum, in Kontakt mit der exterioren und transzendenten Alterität zu
kommen und die Kommunikation mit dieser in gewissem Sinne zu erdulden, sie – und
sich in ihr – sich selbst oder eben ‚Gott’ zu überlassen. Dieser ‚Gott’ ist dabei aber nichts
weniger als ein „gefundener Gott“, 273 sondern die Erfahrung „einer Anwesenheit, die
EI, S. 23.
Derrida: Empfang, S. 87.
272 EI, S. 23.
273 DQVI2, S. 106. Vollständig zitiert oben, Seite 21.
270
271
72
sich in nichts mehr von einer Abwesenheit unterscheidet“; 274 Das ‚Heilige’ ist also nichts
Bestimmtes oder Bestimmbares, sondern es ist jenseits des Seins und kommt ins Spiel
gerade durch den Verzicht auf jegliche Absicherung, durch die Insistenz des Iriitiert-, des
Verletzt-, des Geöffnetwerdens.
Dramatisierung und Bestreitung 275
Ich denke, wie ein Mädchen sein Kleid auszieht.
Am Extrempunkt seiner Bewegung ist das Denken Schamlosigkeit, Obszönität selber. 276
Georges Bataille
Bataille sucht nach innerer Erfahrung – darunter versteht er „das, was man gewöhnlich
mystische Erfahrung nennt: die Zustände der Ekstase, der Verzückung oder wenigstens
einer meditativen Gemütsbewegung“. 277 Dabei geht es ihm aber nicht eigentlich um ein
asketisch-vergeistigtes Leben, das in der Kontemplation etwa Frieden und Weisheit zu
finden erwartete, sondern im Gegenteil um eine Intensivierung der Existenz auf allen
Ebenen, um Erfahrungen von Zerrüttung auf der „Reise ans Ende des dem Menschen
Möglichen.“ 278 – Bataille sucht nach einem Weg zurück zur Fülle des Sinnlichen, nach
einer Möglichkeit der nicht-theoretischen Begegnung mit einer transzendenten Alterität
und einer Weise der Kommunikation, die nicht auf Verständigung beruht und etwa im
sprachlichen Austausch aufgeht: „Alles, was die Erotik ins Werk setzt, hat zum Ziel, das
Wesen im Allerintimsten zu treffen, dort, wo das Herz versagt.“ 279 Die Bestreitung – der
Widerstand gegen die theoretische Einstellung im allgemeinen und die von ihr
eingeflüsterten Chimären der Herrschaft im besonderen – zielt auf einen „Zustand der
Entblößung, des Flehens ohne Antwort, in dem ich dennoch dies gewahre: daß er aus der
Vermeidung der Ausflüchte hervorgeht.“ 280 Die Entblößung ist für das Geschehen der
Kommunikation elementar, weil sie das Subjekt allererst berührbar macht und auch
innerlich involviert, indem sie seine Haut der Liebkosung und der Verletzung preisgibt.
EI, S. 16.
Vgl. vor allem EI, S. 22-31 und 66-81.
276 EI, S. 237.
277 EI, S. 13.
278 EI, S. 18.
279 E, S. 19.
280 EI, S. 26.
274
275
73
DAS NICHTWISSEN ENTBLÖSST. 281
DAS NICHTWISSEN KOMMUNIZIERT DIE EKSTASE. Das Nichtwissen ist zuallererst
ANGST. In der Angst erscheint die Nacktheit, die in Ekstase versetzt. Doch die Ekstase selbst
(die Nacktheit, die Kommunikation) entzieht sich, wenn die Angst sich entzieht. So bleibt die
Ekstase nur möglich in der Angst vor der Ekstase, in dem Befund, daß sie keine Befriedigung
sein kann, kein ergriffenes Wissen. 282
Bestreitung meint zum einen also das Bemühen, den Diskurs zu unterlaufen, der in die
konkrete Begegnung einen Abstand einbaut, indem er Sinn stiftet und damit eine
entsinnlichte und distanzierte Voreingenommenheit instituiert, welche das Subjekt sich
verhalten lässt, als hätte es die je neue Situation schon erlebt. Darüber hinaus unterbricht
die Bestreitung aber auch die Intentionalität des Subjekts – jene Haltung also, die die
Situation gleichsam als Antwort auf seine Fragen und als seinem Willen
entgegenkommend erscheinen lässt. Die mit der Bestreitung einhergehende Entblößung
bedeutet also ein Sich-Aussetzen im doppelten Sinn: das Aussetzen der zentripetalen
Totalisierungsbewegung, die die Identität und Stabilität des Subjekts konstituiert und
aufrechterhält, sowie ein Abschiednehmen vom eigenen Wollen, eine rückhaltlose
Hingabe an die Exteriorität: Passivität, Desidentifizierung.
Umgekehrt sind Wissen und Handeln für Bataille – mehr noch als vielleicht für Levinas –
Strategien der Beruhigung angesichts der Unbegreiflichkeit und Unerträglichkeit der
Existenz, ein Abdriften in die Besorgung des Projekts; letzteres ist aus seiner Sicht eine
Weise, sich aus dem Sein zu stehlen: tot zu sein anstatt wiederholt zu sterben. 283 Die
insistierende Bestreitung des Wissens und der sich stets rekonstituierenden Stabilität des
Ego ist eine Umkehr der ontoepistemologischen Haltung: ein Unterbrechen der vom
Selbsterhaltungswillen gesteuerten Aktivität. Die Bestreitung richtet sich also gerade
wider die Totalisierungsambitionen des Subjekts und hebt darauf ab, es mit seiner seine
Fragilität und Endlichkeit anzeigenden Angst zu konfrontieren; sie bestreitet die
Möglichkeit sowohl als die Notwendigkeit von Absicherung gegen die Irritation durch die
Alterität. Diese Konfrontation mit der eigenen Verletzlichkeit ist es gerade, die das
Subjekt aus sich herausgehen lässt und es in die Lage versetzt zu kommunizieren, sich der
Transzendenz hinzugeben. – Das Sich-Aussetzen muss allerdings stets erneuert werden,
ist „immer noch weiter auszusetzen“, 284 weil sonst der Diskurs – und mit ihm die
Seinsverhaftetheit – zurückkehrt:
EI, S. 76.
EI, S. 77.
283 Vgl. EI, S. 68. Vollständig zit. auf Seite 57.
284 AQ, S. 121. Vgl. auch die Anmerkung 314 auf Seite 81 des vorliegenden Textes.
281
282
74
Sich fassend in später Einfalt, macht der Strauß bizarrerweise zuletzt ein Auge auf, das sich aus
dem Sand erhebt … Aber wenn man mich zufällig liest, und besäße man den besten Willen, die
größte Aufmerksamkeit und käme man selbst zum höchsten Grad der Überzeugung, so wird
man darum doch nicht entblößt sein. Denn Entblößung, Untergehen, Flehen, das sind zunächst
Begriffe, die zu anderen hinzukommen. Obgleich sie an die Vermeidung der Ausflüchte
gebunden sind, werden sie dadurch, daß sie den Bereich der Erkenntnisse erweitern, selbst in den
Status der Ausflüchte versetzt. Das bewirkt die Arbeit des Diskurses in uns. Und diese
Schwierigkeit läßt sich so bezeichnen: das Wort „Schweigen“ ist noch ein Geräusch, sprechen ist in sich
selber zu erkennen meinen, und um nicht mehr zu erkennen, müsste man nicht mehr sprechen.
Selbst wenn der Sand meine Augen sich öffnen ließ – ich habe gesprochen: die Worte, die nur zum
Fliehen dienen, bringen mich, wenn ich nicht mehr fliehe, zur Flucht zurück. 285
Im Grunde bedeutet die innere Erfahrung also einen rigorosen Verzicht auf Stabilität; der
in letzterer zu finden vermeinte Frieden ist das, was insistierend bestritten, dessen
Herstellung und Aufrechterhaltung stets von neuem unterbrochen wird. „[D]as Projekt
ist in diesem Fall nicht mehr das positive des Heils, sondern das negative, die Macht der
Worte, des Projekts also, abzuschaffen.“ 286 Hier kommt auch die Dramatisierung ins Spiel,
die die Unterbrechung potenziert und damit die Bestreitung ergänzt, sie sozusagen
beschleunigt. Die Dramatisierung ist das Beharren auf der subjektiven Verletzlichkeit und
Passivität und zugleich ihre Vertiefung; sie steht der Nüchternheit der Theorie diametral
entgegen, indem sie nicht nur auf die von dieser gebotene Beruhigung verzichtet, sondern
den Schrecken noch vermehrt, ihn so lange ausweitet, bis er umkippt, bis das Subjekt sich
rückhaltlos preisgibt und im Überschwang seine Selbstentgrenzung genießt.
Ich lehre die Kunst, die Angst in Freude zu verwandeln, verherrlichen: der ganze Sinn dieses Buchs. Die
Schärfe in mir, das „Unglück“, ist nur die Voraussetzung dafür. Doch die Angst, die sich in
Freude verwandelt, ist noch Angst: nicht die Freude, nicht die Hoffnung, sondern die Angst, die
weh tut und vielleicht zersetzt. Wer nicht daran „stirbt“, nur ein Mensch zu sein, wird immer nur
ein Mensch sein. 287
Im Kontrast zur ontoepistemologischen Beruhigung durch Inbesitznahme heben
Bestreitung und Dramatisierung also auf die Intensivierung des Sinnlichen und die
Realisierung der Passivität ab. Sie konfrontieren das Subjekt mit seiner Angst, treiben es
in diese hinein – und bringen eben dadurch den Prozess des Herausgehens aus sich in
Gang. „Und für mich die ausweglose Angst, das Gefühl des Einverständnisses,
heimgesucht und verfolgt zu sein.“ 288 – Bataille beobachtet zwar eine Art sublimes
Begehren zur Selbstverschwendung am Subjekt, macht aber gleichwohl klar, dass das
diskontinuierliche Wesen nicht von ungefähr Angst davor hat, aus sich herauszugehen,
denn die ekstatische Kommunikation kommt seiner Auflösung gleich. – Der Unterschied
EI, S. 26.
EI, S. 40.
287 EI, S. 51f.
288 EI, S. 72.
285
286
75
zwischen den beiden hier gegenübergestellten Haltungen liegt, wie gesagt, vor allem in
einer Akzentverschiebung, einer Umgewichtung der Werte bzw. einer dadurch
ausgelösten Konversion der charakteristischen Drift: nicht die Akkumulation von Besitz
und der Ausbau des Verfügungsbereiches durch innere Distanzierung sind das
anzustrebende Ziel, sondern die rückhaltlose Selbstverschwendung und die Chance zur
Souveränität, 289 die in dieser liegt. „Das souveräne Begehren der Wesen hat das Jenseits
des Seins zum Ziel. Die Angst ist das Gefühl einer Gefahr, die mit dieser unversiegbaren
Erwartung verbunden ist.“ 290 Das Begehren ist demgemäß gekennzeichnet von einem
Antagonismus: einerseits ist das diskontinuierliche Wesen grundlegend um seinen
Selbsterhalt besorgt, andererseits antwortet es in seinen intimsten Regungen der
chaosmischen Exuberanz. Der Zustand der Individuation und Isoliertheit gibt sich bei
Bataille zugleich also als schützenswerter und als Einkerkerung – in ihrer Doppelung
ähnelt diese Beschreibung der Levinasschen Beobachtung zur Scham: „Die Scham hängt
nicht, wie man meinen könnte, von der Begrenztheit unseres Seins ab, insofern es für die
Sünde empfänglich ist, sondern vom Sein unseres Wesens selbst, von seiner Unfähigkeit,
mit sich selbst zu brechen.“ 291 – Mit dieser frühen Schilderung der Rekurrenz und ihrem
Pendant, der Lust, zeigt sich das vom späteren Levinas als wider-williges Geschehen
gefasste Sich-Aussetzen noch als sublimes Begehren des Subjekts, sich vom Sein zu
lösen. Damit steht er Batailles emphatischer Beschreibung des Antagonismus’ des
Begehrens noch um einiges näher. – Um der von der Seinsverhaftetheit des
diskontinuierlichen Wesens bedingten Monotonie der Isolation zu entkommen, muss das
Subjekt sich selbst aufs Spiel setzen und kommunizieren. Die Kommunikation selbst ist
es also, die es destabilisiert und aus sich herausholt, indem sie es in ein Geschehen
involviert, das nicht seiner Intentionalität gehorcht, sondern diese unterbricht oder
umkehrt. Die innere Erfahrung ist ein Sich-Aussetzen, das sich als initiativer Akt dem
autonomen Willen entzieht, weil es eben die Intentionalität konvertiert, umstülpt. Als
Ereignis bedeutet dies eine Hingabe an die Passivität, die ihrerseits jenseits dessen liegt,
was das Subjekt als Projekt betreiben könnte.
„Betrachtet man nun die Souveränität unabhängig von einer partikularen Realität in ihrer tendenziellen
Form, …, so ist sie, menschlich gesehen von der vornehmsten Beschaffenheit – sublim bis zur Majestät –
rein inmitten der Orgie, so daß die menschlichen Unzulänglichkeiten sie nicht berühren können. Sie stellt
den Bereich dar, der entschieden allen Intrigen des Interesses enthoben ist, und das unterdrückte Subjekt
bezieht sich auf sie als auf eine leere, aber reine Befriedigung (…).“ – F, S. 25f. Vgl. auch Derrida:
Hegelianismus.
290 N, S. 55.
291 Ev, S. 39.
289
76
Ich kommuniziere nur außerhalb von mir, indem ich mich loslasse oder mich nach außen werfe.
Aber außerhalb von mir bin ich nicht mehr. Ich habe diese Gewissheit: mein eigenes Sein
aufgeben, es draußen suchen heißt Gefahr laufen, das zu verderben – oder zu vernichten –, ohne
was das Vorhandensein des Draußen mir nicht einmal erschienen wäre, dieses Ich, ohne das
nichts von dem wäre, „was für mich ist“. In der Versuchung findet das Wesen sich, wenn ich so
sagen darf, zerrieben von der zweischneidigen Zange des Nichts. Wenn es nicht kommuniziert,
vergeht es – in der Leere, die das sich isolierende Leben ist. Wenn es kommunizieren will, läuft es
gleichermaßen Gefahr, sich zu verlieren. […] So schwach die Kommunikation auch sein mag, sie
verlangt ein Aufsspielsetzen. Sie findet nur in dem Maße statt, wie Wesen, die sich aus sich selbst
herauslehnen, sich verspielen, unter der Drohung der Erniedrigung. 292
Was Angst macht, ist wohl vor allem das Aufgeben der Intentionalität, die
Selbstpreisgabe an die Passivität. – Obwohl das Herausgehen aus sich also einerseits
größte Erfüllung, tiefste Lebendigkeit bedeutet, erfordert das Ablassen von der Aktivität,
welches mit der Erhebung des „Nichtwissen[s] zum Prinzip“ 293 einhergeht und „keinen
anderen Ausgang als die Ekstase selber hat“, 294 einen souveränen Einsatz des Subjekts
gegen sich selbst, ein Aufbegehren gegen die von der Angst suggerierten Impulse der
Beruhigung durch Ermächtigung. „Das Paradox in der Autorität der Erfahrung:
begründet in der Infragestellung, ist sie Infragestellung der Autorität; positive
Infragestellung, indem die Autorität des Menschen sich definiert als die Infragestellung
seiner selbst.“ 295 – Diese Infragestellung oder diese Destabilisierung ist es, die das
Herausgehen aus sich bedingt; der Schrecken und die Angst leiten die ekstatische
Kommunikation ein, weil letztere vor allem darin besteht, den Willen und die Aktivität
aufzugeben um sich der Situation zu überlassen, sich der Alterität mit Haut und Haaren
auszusetzen – es ist die nicht-intentionale Haltung der Kontestation oder der passiven
Aktivität, die hier wieder ins Spiel kommt.
Als Unterbrechung der Intentionalität bedeutet die Bestreitung zugleich eine
Bescheidung: sie setzt sich dem Willen ‚alles zu sein’ entgegen und konfrontiert das
Subjekt mit der – schmerzlichen und zugleich befreienden – Tatsache, nur ein Mensch zu
sein; sie ist eine Realisierung der subjektiven Fragilität, zugleich aber auch die ergreifende
Möglichkeit, sich in dieser Endlichkeit auf die Unendlichkeit bezogen zu finden.
Der Zweifel ängstigt mich unablässig: Was bedeutet die Erleuchtung? welcher Art sie auch sei?
selbst wenn der Glanz der Sonne mich innerlich blenden und verbrennen würde? Etwas mehr,
etwas weniger Licht verändert nichts; auf alle Fälle, sonnenhaft oder nicht, ist der Mensch nur
der Mensch: nichts als ein Mensch sein, daraus nicht heraustreten, das ist das Ersticken, die
bedrückende Unwissenheit, das Unerträgliche. 296
N, S. 57.
EI, S. 14.
294 EI, S. 26.
295 EI, S. 18.
296 EI, S. 51.
292
293
77
Das Sonderbarste: sich nicht mehr als alles wollen, ist das höchste Bestreben des Menschen, ist,
Mensch sein wollen (oder, wenn man will, den Menschen überwinden – das sein, was er frei von
dem Bedürfnis wäre, nach dem Vollkommenen zu schielen, indem er das Gegenteil täte). 297
Eben aufgrund der Bezogenheit gerade des endlichen Subjekts auf die Unendlichkeit
genügt es, einfach zu sein, 298 um die Dramatisierung vollständig zur Wirkung zu bringen.
Es reicht hin, die Hoffnung auf die Beseitigung 299 des Schmerzes durch die Totalisierung
der Herrschaft aufzugeben, oder eben seine Vermeidbarkeit zu bestreiten, um zur
Souveränität der Selbstpreisgabe zu gelangen. Die asymmetrische Beziehung des
endlichen Subjekts auf die ‚heilige’ und unfassliche Transzendenz ermöglicht die Ekstase
und ist zugleich deren Ziel. Hier erweist sich die Drastik, mit der die Praxis und das
Geschehen des Herausgehens aus sich beschrieben werden, als Methode: sie ist selbst ein
Teil der auf die Intensivierung der Existenz zielenden Verfahrensweisen der inneren
Erfahrung. Es ist also nicht einfach so, dass Bataille der Destabilisierung einen positiven
Sinn abgewinnt; diese ist – als solche – konstitutiv für die unbedingte Begegnung mit der
Alterität, weil letztere nur möglich ist in der Kapitulation des aktiv-intentionalen Willens.
Das Subjekt kommuniziert und überschreitet seine Grenzen also nur im Durchgang
durch die Angst. – Mit der ontoepistemologischen Explorationsbewegung 300 jedoch hat
diese Figur der Überschreitung nicht mehr als den Namen gemein: während bei ersterer
nämlich das Subjekt aktiv und zielstrebig über sich hinausgeht, um die Grenzen der
eigenen Verfügungsgewalt zugleich auszudehnen und abzusichern – d. h. um das Andere
in Besitz zu nehmen –, ist die Überschreitung 301 Batailles die Preisgabe dieser Grenzen,
ein passives Sich-Aussetzen an der und bis zur Grenze; es ist ein Sich-hinter-sich-Lassen,
EI, S. 43.
Vgl. EI, S. 25: „Das Dramatische besteht nicht darin, in diesen oder jenen Umständen zu sein, die
positive Umstände sind (wie halb verloren zu sein, gerettet werden zu können). Es besteht einfach darin, zu
sein. Es wahrnehmen heißt nichts anderes, als mit genügender Folgerichtigkeit die Ausflüchte bestreiten,
mit denen wir uns gewöhnlich entziehen. Nichts mehr von der Heilsfrage: das ist die widerwärtigste aller
Ausflüchte. Die Schwierigkeit – daß die Bestreitung sich im Namen einer Autorität vollziehen muß – wird
so gelöst: ich bestreite im Namen der Bestreitung, die die Erfahrung selbst ist (der Wille, bis ans Ende des
Möglichen zu gehen) Die Erfahrung, ihre Autorität, ihre Methode unterscheiden sich nicht von der
Bestreitung.“
299 „Durch den Willen, den Schmerz zu beseitigen, werden wir zum Handeln veranlasst, statt uns mit dem
Dramatisieren zu begnügen. Das Handeln, das den Schmerz beseitigen will, läuft letztlich der Möglichkeit,
in seinem Namen zu dramatisieren, entgegen: wir streben nicht mehr nach dem Extrem des Möglichen, wir
helfen (ohne sonderlichen Erfolg) dem Übelstand ab;“ – EI, S. 24, vollständig zit. oben, Seite 55.
300 Vgl. Ev, S. 7. Zitiert auf Seite 22.
301 Vgl. E. Die von Bataille ausgemachten ‚ursprünglichen’ Verbote, die von der Überschreitung betroffen
sind und von ihr ergänzt oder vervollständigt werden, betreffen vor allem die Bereiche der Exuberanz und
des Exzesses. Bataille denkt den Menschen als aufgrund dieser Verbote vom Tier unterschieden. Weil die
Überschreitung elementar mit der Antiökonomie der Ekstase zusammenhängt, kann Bataille auch davon
sprechen, dass „Kommunikation“ einem „Verbrechen“ entspricht.
297
298
78
eine Entblößung. Diese Entblößung oder der Verzicht auf die Rekonstitution der
Intentionalität
sind
zugleich
die
Voraussetzung
und
schon
Teil
des
Kommunikationsgeschehens.
Die von der Angst ausgelöste Ekstase 302 bezieht das Subjekt auf Transzendenz in einer
Weise, die nicht derjenigen des Verstehens entspricht – im Gegenteil: die Bestreitung
unterbricht jeden Versuch der Sinnstiftung; das Andere, das Unbekannte, das
Unendliche, wird nicht in die Identität des Ichs eingeholt, sondern letzteres überbordet,
indem es sich auf das Transzendente hin öffnet, ohne dieses integrieren zu können – es
ist eine Hingabe ohne Hoffnung auf Rettung oder Ankunft; das Wagnis der inneren
Erfahrung ist keine Suche nach Antwort, die die Herrschaft des Ego ausbauen würde,
indem sie das Wissen vergrößert, im Gegenteil: die Bestreitung des Wissens ist die
Bedingung einer – nutz- und sinnlosen – Erfahrung um der Erfahrung willen. „Ich habe
gewollt, daß die Erfahrung dahin steuerte, wohin sie führte, ich habe sie nicht zu einem
im voraus gegebenen Ziel führen wollen. Und ich sage sogleich, daß sie zu keinem Hafen
führt (sondern zu einem Ort der Verwirrung, des Nichtsinns).“ 303
Das seltsamste ist, daß das Nichtwissen eine Bestätigung findet. Wie wenn uns von draußen
gesagt würde: „Da bist du endlich.“ Das Nichtwissen als Weg ist der leerste Nichtsinn. Ich
könnte sagen: „Alles ist erfüllt.“ Nein. Denn wenn ich es sage, bemerke ich sofort denselben
geschlossenen Horizont wie im Augenblick davor. Je mehr ich im Wissen voranschreite, und sei
es auf dem Weg des Nichtwissens, desto unerträglicher und beängstigender wird das letzte
Nichtwissen. In der Tat ergebe ich mich dem Nichtwissen, das ist die Kommunikation, und da es
eine Kommunikation mit der verdunkelten, durch das Nichtwissen abgründig gewordenen Welt
gibt, wage ich ‚Gott’ zu sagen: und so ergibt sich von neuem ein (mystisches) Wissen, doch ich
kann nicht anhalten (ich kann es nicht – aber ich muß den Atem haben): ‚Gott, wenn er wüsste.’
Und weiter, immer weiter. Gott wie der Widder, der Isaak untergeschoben wurde. Das ist kein
Opfer mehr. Weiter geht das nackte Opfer, ohne Widder, ohne Isaak. Das Opfer ist der
Wahnsinn, der Verzicht auf alles Wissen, der Sturz ins Leere, und nichts wird offenbart, weder
im Sturz noch in der Leere, denn die Offenbarung der Leere ist nur ein Mittel, tiefer in die
Abwesenheit zu fallen. 304
Dass die innere Erfahrung bei Bataille gerade keiner anderen Autorität untersteht,
sondern selbst die Infragestellung der Autorität und des Subjekts ist, ist der Grund dafür,
dass Levinas’ Vorbehalt gegen den Erfahrungsbegriff 305 hier nicht trifft. Für Levinas ist
die Erfahrung der Erkenntnis analog: sie führt zu Identifizierung und zu einer
selbstgewissen Haltung, zu einem Wissen-wie, das das intentionale Subjekt festigt und
seinen Absichten Erfolg verspricht. Das Andere ist im Kontrast dazu eben dasjenige, was
Vgl. den Begriff des Opfers in E sowie die Beschreibung der chinesischen Marter in Georges Bataille: –
Die Tränen des Eros. Übers. und hg. v. G. Bergfleth. München 1981.
303 EI, S. 13.
304 EI, S. 76.
305 Vgl. Anmerkung 88.
302
79
sich der Erfahrung entzieht. Die Andersheit erscheint nicht als Phänomen, sondern als
diachrone Spur ihrer Transzendenz. Die Alterität begegnet also als Irritation der
Erfahrung, und diese Unterbrechung des Selben durch den absolut Anderen
verunmöglicht den Rekurs auf Schon-Erfahrenes. Bataille reflektiert zwar nicht explizit
auf diese Anarchie, dennoch besteht die Praxis der inneren Erfahrung in dem
ausdrücklichen Versuch, das Bekannte auf das Unbekannte zu beziehen und so einer
Unterbrechung des Selben Raum zu geben – ja sie ist die Erfahrung dieser
Unterbrechung.
–
Hier
zeigt
sich
die
von
Bataille
fokussierte
Haltung
gleichsam
als
Unvoreingenommenheit, die nicht nur das Aufschieben von identifizierenden Urteilen
meint, sondern ein wiederholtes Erodieren des sich unweigerlich rekonstituierenden
(Herrschafts-)Diskurses: das Insistieren auf der Destruktion des Wissens konkretisiert
und erweitert sich zu einem Zweifel, der sich von den Paradigmen der Theorie löst – zu
einer epoché, die über ihre Funktion als Erkenntnismethode hinausgeht und zu einer Praxis
wird. Diese Unvoreingenommenheit hat also wenig mit einer auf Wissen ausgerichteten
Objektivität zu tun. Sie geht vielmehr so weit, mit der Erwartung der Antwort – des
schon Bekannten – das aktive Wollen auszusetzen bzw. dieses zur Bejahung seiner
Suspension zu erheben, in der das Subjekt dem, was ihm widerfährt mit einer dürstenden
– und gleichsam fröhlich-verzweifelten 306 – Neugier begegnet, die nichts anderes will, als
die pure Erfahrung der Alterität: eine „heteronome Erfahrung“. 307 „Das souveräne Tun,
der Punkt der Vorbehaltlosigkeit ist weder positiv noch negativ“, 308 die Einnahme einer
theoretisch-stabilisierten Haltung sowie die Beseitigung ihrer Irritation werden bestritten
zugunsten einer Lebendigkeit, die über die eigenen Kräfte geht. Letztere ist jedoch nicht
verknüpft mit etwa einem Heilsversprechen, sondern sie bedeutet gerade und kommt
zustande allein durch die Affirmation der Verletzlichkeit und Passivität, durch das SichAussetzen vor der Alterität.
Die Situation der Menschen ist entwaffnend. Sie müssen „kommunizieren“ (ebensosehr mit der
unbestimmten Existenz wie untereinander): das Ausbleiben der „Kommunikation“ ist
offensichtlich das Verwerflichste. Doch die „Kommunikation“, die sich nicht einstellen kann,
„Ganz im Gegenteil ruft die Fröhlichkeit, dem Werk des Todes verbunden, Angst in mir hervor, sie
wird durch meine Angst verstärkt und steigert diese noch: die fröhliche Angst, die angstvolle Fröhlichkeit
rufen schließlich in einem heiß-kalten Zustand die ‚absolute Zerrüttung’ hervor in dem meine Fröhlichkeit
meine Zerrüttung vollendet, in dem aber Ermattung meiner Freude folgen würde, wäre ich nicht bis ins
letzte maßlos zerrüttet.“ – Bataille, zit. nach Derrida: Hegelianismus, S. 392.
307 „Kann es etwas so Befremdliches geben wie die Erfahrung eines absolut Äußeren, etwas in den Termini
so widersprüchliches wie eine heteronome Erfahrung?“ – SpA4, S. 214.
308 Derrida: Hegelianismus, S. 392.
306
80
ohne die Wesen zu verwunden oder zu besudeln, ist selber schuldbeladen. Das Gute, wie man es
auch ansehen mag, ist das Gute der Wesen, aber wenn wir es erreichen wollen, müssen wir – in
der Nacht, durch das Böse – eben die Wesen in Frage stellen, um derentwillen wir es wollen. 309
Im Kern geht es Bataille also um Kommunikation, wenn auch keineswegs um eine
gepflegte Konversation zwischen zwei Gesprächspartnern, die mit Schon-Gesagtem
hantieren und sich gegenseitig Sinn zuspielen, sondern um eine unmittelbar-affektive
Begegnung, die durch die Bestreitung des Wissens und der Intentionalität zustande
kommt, welche das Ich allererst aus sich herausgehen lässt. Die kommunikative Ekstase
erfordert eine unvoreingenommene Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Affektion,
ein Dramatisieren der subjektiven Präsenz in der gegenwärtigen Situation, eine Emphase
bis zum Umschlag, bis zum Übergang. Bataille beschreibt die Kommunikation als eine
Kommunion, als ein Übergehen von der Diskontinuität zur Kontinuität. Es geht aber auch
bei ihm vor allem um den Prozess 310 des Sich-vom-Sein-lösens und weniger um den
Zustand der Kontinuität – zumal dieser letztlich nicht zu erfahren ist, weil darin das
Subjekt völlig entgrenzt und überhaupt nicht mehr bei sich ist. Die Verschmelzung in der
Kommunikation ist also eine Paradoxie (oder Simulation 311 ), denn sie ist nur über die
Trennung hinweg zu erreichen: – die Ekstase muss gewissermaßen von außen kommen,
indem ein Anderes das Subjekt dazu nötigt, sich der Passivität zu überlassen. Das Andere
muss Anderes bleiben, die Passivität kann nicht der Intentionalität des Subjekts obliegen
– denn das würde die Ekstase unmöglich und die Kommunikation zur Farce machen.
N, S. 52.
„Die Lust stellt sich mit ihrer Entwicklung ein. Weder tritt sie sofort, noch in Gänze ein, was sie
übrigens nie sein wird. Die fortschreitende Bewegung bildet eines der charakteristischen Merkmale dieses
Phänomens, das alles andere als ein simpler Zustand ist. Diese Bewegung strebt nicht auf ein Ziel hin, weil
sie kein Ziel, kein Ende hat. Sie geht gänzlich in einer Erweiterung ihrer Amplitude auf, die wie die
Verflüchtigung, das Vergehen unseres Seins ist. Auf dem Grunde der beginnenden Lust öffnen sich
gleichsam immer tieferreichende Abgründe, in die sich unser Sein, das keinen Halt mehr hat, besinnungslos
hinabstürzt. Im Werden der Lust ist etwas Schwindelerregendes. Leichtigkeit oder Feigheit. Wie in
Trunkenheit hat das Sein das Gefühl, sich seiner Substanz zu entleeren, sich zu erleichtern und zu
zerstreuen.“ – Ev, S. 31ff.
311 Vgl. Derrida: Hegelianismus, S. 388-391.
309
310
81
Hyperbel und Widerruf 312
Das Sagen entblößt über die Nacktheit hinaus das,
was es noch an Verbergung hinter der Ausgesetztheit einer entblößten Haut geben kann.
Es ist, vor aller Intention, die bloße Atmung dieser Haut. 313
Emmanuel Levinas
– Auch bei Levinas findet sich also der Begriff der Entblößung und auch bei ihm hängt
er mit dem Widerruf zusammen, mit der Erosion des Logos im Gesagten und dem „Sagen
als Ausgesetztheit gegenüber dem Anderen“. 314 Diese Gedankenfigur operiert auf zwei
Ebenen: zum einen ist der Widerruf ein Aspekt der der Ontoepistemologie
entgegengesetzten Haltung, ein ethischer Einsatz: – es bedeutet Verantwortung und
Nicht-Indifferenz, 315 sich am Puls des Sagens zu halten, 316 das dem Altern der Gedanken
entspricht und die der Sprache eigene Totalisierungstendenz stets von neuem unterbricht,
sodass das Subjekt sich im Sagen auf Transzendenz richtet, ohne diese in eine Antwort
einzuholen, ohne sie zu ontologischen Termini gerinnen zu lassen, sodass es sich im
Sagen an den Anderen wendet und sich durch ihn in seinem selbstsicheren Frieden
stören lässt. 317 „Denn indem das Sagen sich sagt, bricht es jeden Augenblick die
Definition dessen, was es sagt, entzwei, und sprengt die Totalität, die es umfaßt.“ 318
Hier zeigt sich der Widerruf als eine Strategie auch der Levinasschen Texte, die diese
selbst zu einer Inszenierung der durch diesen eingenommenen Haltung macht. Der
Widerruf unterläuft die ontologisierende Tendenz der Sprache und trägt so dazu bei,
Levinas’ Philosophie an keiner Stelle im Gesagten aufgehen zu lassen, sondern als die
Vgl. vor allem DQVI2, S. 105-114 und DQVI3, S. 158-171.
AQ, S. 118.
314 AQ, S. 116. Ich lese den Begriff des Sagens hier und im Folgenden mit Bataille als über das Sprechen
hinausgehende Kommunikation – Sagen bezeichnet genau den Aspekt des Sich-Aussetzens in der Nähe, den
Umschlag vom Ausdruck zum Sich-Ausdrücken. „Das Subjekt des Sagens gibt nicht Zeichen, es macht sich
zum Zeichen...“ – AQ, S. 118f. Vgl. auch AQ, S. 121: „Ausgesetztheit, die immer noch weiter auszusetzen
ist, Ausgesetztheit, die auszudrücken ist und die insofern zu sagen und insofern zu geben ist.“
315 „In der Nicht-Indifferenz gegenüber dem Nächsten, bei der die Nähe niemals nah genug ist, verblasst
weder die Differenz zwischen mir und dem Anderen noch die Unabweisbarkeit des Subjekts, so wie sie
dort verblassen, wo die Beziehung des Einen mit dem Anderen als reziproke Beziehung verstanden wird.
Die Nicht-Indifferenz, in der ich zum Anderen stehe, insofern der Andere anderer Mensch ist und
Nächster, geht über alles Engagement im Sinne der Freiwilligkeit hinaus, erstreckt sie sich doch in meiner
Haltung als Seiender bis hin zur Stellvertretung; und zugleich bleibt sie diesseits des Engagements, legt sie
doch in dieser äußersten Passivität ein unabweisbares und einziges Subjekt gerade frei; die Verantwortung,
als Bedeutung der Nicht-Indifferenz, geht nur in eine Richtung, von mir zum Anderen.“ – AQ, S. 304.
316 Hier kehrt die Bewegung auch wieder zu Bataille zurück: an diesem Puls zu bleiben ist das, was die
„innere Erfahrung“ bedeutet und worauf sie abhebt. Die Bestreitung und der Widerruf unterscheiden sich
allerdings insofern, als der Widerruf die Sprache unterbricht, sie aber nicht zum Schweigen bringen will,
weil sie dann nicht mehr ver-antwortlich wäre.
317 Vgl. Levinas’ Begriff des Akkusativs (Sich): AQ, S. 243-251 sowie die Anm. 360 in vorliegendem Text.
318 Emmanuel Levinas: „Sprache und Nähe“, in ders.: Die Spur des Anderen. A.a.O. S. 261-294, hier S. 294.
312
313
82
Spur eines Sagens zu organisieren, die das „Nicht-thematisierbare“ 319 thematisiert. Durch
den Widerruf entzieht sich dieses denkendere Denken seiner Paraphrasierung, es bleibt
gewissermaßen unübersetzbar und kann, wenn die Interpretation nicht ihrerseits das
Gesagte zu widerrufen bereit ist, letztlich nur falsch verstanden werden: „... in derselben
Sprache, in der Sprache des Selben kann man dies anders Gesagte immer nur schlecht
empfangen“. 320 Der Widerruf entspricht der Nicht-Indifferenz der Verantwortung, weil
er das Gesagte immer wieder aussetzt in dem oben beschriebenen doppelten Sinn. Dabei
wird der Akt des Aussetzens erneut ausgesetzt und also widerrufen: daher die
„Atemlosigkeit“ 321 des Sagens. Der Widerruf überlässt auf diese Weise das Kerygma des
Gesagten nicht sich selbst, sondern hält das Subjekt im Involviertsein, in der
Verantwortung, indem er die Verselbständigung des Gesagten, sein Gerinnen zu
ontologischer Wahrheit, insistierend unterbricht und das Subjekt in seinem sublimintimen Sagen preisgibt – bis es selbst zum Zeichen wird. 322
Indem das Gesagte Einspruch erhebt gegen die Abdankung des Sagens, die gleichwohl durch
dieses Gesagte selbst bewirkt wird, erhält es die Diachronie aufrecht, in welcher mit
angehaltenem Atem der Geist das Echo des anders vernimmt. Das Diesseits, das Vorzeitige,
durch das vor-ursprüngliche Sagen beseelt, widersteht insbesondere der Gegenwart und der
Manifestation oder überläßt sich ihnen nur als zeitliche Störung. Das unaussagbare Sagen
überläßt sich dem Gesagten, der dienstbaren Indiskretion einer schon verfälschenden Sprache,
die das Unsagbare überall bekannt macht und entheiligt; die sich aber ihrerseits reduzieren läßt,
ohne dabei das Unsagbare in der Mehrdeutigkeit oder im Rätsel des Transzendenten zu tilgen,
von dem der atemlose Geist ein Echo behält, das sich entfernt. 323
Obschon es mit der Akzentuierung des Sagens also um einen Bereich geht, der der
Theorie vorausliegt und zu dem sich nur gelangen lässt, indem die von ihr ins Werk
gesetzte Vorrangstellung des Seins abgebaut wird, begnügt sich Levinas nicht etwa damit,
eine Alternative zur ontoepistemologischen Philosophie vorzuschlagen: Es ist, als würde
er die von der Theorie und ihren Werten durchzogenen Begriffe und Verkettungsweisen
abklopfen auf ihre ethischen Reflexe, um damit den weitreichenden Versuch zu
unternehmen, die theoretisch angelegte griechische Philosophie und mit ihr die aus ihr
hervorgehenden Haltungen umzuschreiben, umzucodieren; er trägt die Beunruhigung
und die Unterbrechung der Totalität in diese hinein. Der Widerruf irritiert und erodiert
die ontologistische und ontologisierende Sprache der Episteme, er erzeugt Inkohärenzen,
Jacques Derrida: „Eben in diesem Moment in diesem Werk findest du mich“, in: Parabel. Lévinas. Gießen
1990. S. 42-83, hier S. 50. Fortan zit. als Derrida: Eben in diesem Moment.
320 Derrida: Eben in diesem Moment, S. 44.
321 AQ, S. 19.
322 Vgl. Anmerkung 314.
323 AQ, S. 108.
319
83
nicht explizierbare Implikationen, Ellipsen, Widersprüche und Paradoxien. Levinas treibt
sein denkenderes Denken so weit, dass es selbst zu etwas Nicht-Integrierbarem wird, das
die Totalität des Wissens von innen durchlöchert, indem es die dialektischen Schleifen
des Logos unterbricht. Levinas erreicht dadurch nicht nur einen positiv-ethischen Ansatz,
sondern er zwingt die Theorie, sich mit der „Dispersion“ des Subjekts, 324 dem Anderen,
dem Anarchischen, der Transzendenz auseinander zu setzen.
„Die verschiedenen
Begriffe, die der Versuch hervorbringt, Transzendenz zu nennen, geben einander
Echo.“ 325 Das heißt auch, dass Definition und Kohärenz, die philosophische Begriffe
idealiter kennzeichnen, durch die Injektion des Transzendenzbegriffes infiziert und
gesprengt werden. Infolgedessen schlägt sich die Ungreifbarkeit der Transzendenz auch
in der Sprache selbst nieder, diese bedeutet über das Thematisierbare und Explizierbare
hinaus: als Sagen. Trotz seiner vehementen und rigorosen Kritik bleibt Levinas aber – im
Kontrast zu Bataille zeigt sich das deutlich – der Theorie verschrieben. 326 Allerdings
macht er die Theorie zu einer verantwortlichen – was gleichviel bedeutet, wie keine
Theorie im engeren – von der Passivität und Verletzlichkeit der Subjektivität absehenden
– Sinn mehr zu betreiben. Auch hier findet sich also ein bestimmter Typ von Zweifel, der
die Theorie in die Praxis überführt oder sie wenigstens grundlegend mit dieser verstrickt.
Levinas’ Philosophie ist ein Hybrid aus Theorie und Praxis, aus Religion, Ethik und
Phänomenologie.
‚Skeptisch’ meint lediglich die Tatsache, die Dinge zu untersuchen, die Tatsache, Fragen zu
stellen. Ich bin keineswegs der Meinung, daß eine Frage – oder zumindest das ursprüngliche
Fragen – lediglich ein Ungenügen an Antwort ist. Die funktionalen und sogar die
wissenschaftlichen Fragen – und viele philosophische Fragen – erwarten nur Antworten. Das
Fragen als ursprüngliche Haltung ist eine ‚Beziehung’ zu dem, was keine Antwort enthalten kann,
zu dem, was nicht Inhalt werden kann; es wird zur Verantwortung. Jede Antwort bringt ein ‚Ander-Frage-Vorbeigehen’ mit sich und ruft nach einem Wider-ruf. 327
*
– Schon bei Bataille hatte die Bestreitung die Funktion, das Subjekt immer weiter dem
Unbekannten auszusetzen, und auch bei Levinas geht es mit dem Widerruf darum, die
ontoepistemologische Haltung zu unterlaufen, um nicht bei der Identifizierung und damit
beim Idealismus anzulangen. Der Widerruf entspricht auf der Ebene des Textes der
Lyotard, S. 187.
AQ, S. 59.
326 Deswegen trifft meine Synonymisierung von Ontologie, Ontoepistemologie und Theorie nicht zu; sie ist
indifferent und pauschal. Ursprünglich sollte ein eigener Abschnitt sowohl Levinas’ wie auch Batailles
Verhältnis zu Theorie und Praxis wie auch zu der Beziehung zwischen den beiden Dimensionen
thematisieren. Dazu fehlen mir Zeit und Raum.
327 DQVI2, S. 108.
324
325
84
Ethik des Sich-Aussetzens und der Unterbrechung des Selben. Dabei geht es hier aber
„keineswegs um eine Situation, wo wir die Frage stellen; die Frage ist es, die uns ergreift:
es geht um unsere Infragestellung.“ 328 Während die Infragestellung bei Bataille aus der
Bestreitung hervor- bzw. mit dieser einhergeht, kommt sie bei Levinas von woanders,
vom Anderen 329 (der „Illeität“ 330 ) her, der seiner Integration in die Totalität des Wissens
den ethischen Widerstand seiner Nacktheit entgegensetzt: der Widerruf ist keine
spontane und freiwillige Aktivität des Subjekts, sondern schon eine Antwort auf seine
Infragestellung, auf seine Anklage.
Im Bewußtsein macht sich dieses „ich weiß nicht woher“ durch eine anachronistische Störung
bemerkbar, durch die Vorzeitigkeit der Verantwortung und des Gehorsams in bezug auf den
erhaltenen Befehl oder den Vertrag. Als könnte die erste Bewegung der Verantwortung nicht
darin bestehen, auf den Befehl zu warten und nicht einmal, ihn zu empfangen (was noch einer
Quasi-Aktivität gleichkäme), sondern darin, diesem Befehl zu gehorchen, schon bevor er zum
Ausdruck kommt. Oder als käme er schon vor jeder möglichen Gegenwart zum Ausdruck, in
einer Vergangenheit, die sich in der Gegenwart des Gehorsams anzeigt, ohne in ihr erinnerbar zu
sein, ohne in sie vom Gedächtnis her zu gelangen; indem er zum Ausdruck kommt durch
denjenigen, der in ebendiesem Gehorsam gehorcht. 331
Wenn es aber stimmt, dass der Widerruf eine Antwort ist, wenn es stimmt, dass das
Subjekt unterbrochen wird, bevor es überhaupt ist, dann zeigt sich hier ein zentrales
Problem für den Verantwortungsbegriff: der Verdacht liegt nahe, dass Levinas’ Subjekt –
wie im Übrigen seine sich der Kritik durch die Technik des Widerrufs entziehende
Philosophie, seine sich auf die Phänomenologie (innerer Erfahrung) zurückziehende
Ethik – keine Position ergreift, sondern jede Setzung eines Standpunktes von vornherein
widerruft, obwohl doch eine Positionierung es allererst angreifbar machen würde, obwohl
doch eine Unterbrechung nur vom Streben nach Totalität her virulent wird. 332 – Wie ist
Verantwortung zu verstehen, wenn das Subjekt von vornherein darauf verzichtet, seine
Grenzen zu markieren und zu verteidigen? Ist dieser Verzicht auf Demarkation, ist dieses
insistierende Verschieben der Frustrationstoleranz nicht selbst eine Weise der
Indifferenzierung, der Anbiederung mit dem Verfolger, der Aufforderung zu Missbrauch
DQVI2, S. 106
Vgl. Lyotard, S. 188: „Der andere [sic] kann dem Ich also nur geschehen: als Offenbarung, als
Einbruch.“
330 „Das ‚Du’ wie die gegenständliche Thematisierung ausschließend, indiziert der nach den Pronomina il
oder ille gebildete Neologismus Illeität eine Weise, mich anzugehen, ohne eine Verbindung mit mir
einzugehen. […] Die Illeität des Jenseits-des-Seins aber meint: daß ihr Auf-mich-Zukommen ein Abschied
ist, der mich eine Bewegung zum Nächsten ausführen läßt. Die Positivität dieses Abschieds, das wodurch
dieser Abschied, diese Diachronie nicht lediglich ein Ausdruck negativer Theologie ist, liegt in meiner
Verantwortung für die Anderen. Oder, wenn man so will, darin, daß sie sich in ihrem Gesicht zeigen.“ –
AQ, S. 46.
331 AQ, S. 46f.
332 Vgl. Lyotard, S. 188.
328
329
85
und Verrat? Diese leise Paradoxie lässt sich einerseits wieder mit der Behauptung
kontern, dass es hier vor allem um Akzentsetzungen geht und nicht um antagonistische
Alternativen: da die Infragestellung von außen kommt, geht es vom Subjekt her um die
Kontestation gegenüber dem Verlust bzw. der Irritation der Position, aber nicht um das
Verharren in etwa einer Positionslosigkeit. – Letztere wäre die Negation der Position,
aber eben nicht ihre Unterbrechung. Das ist wichtig, denn hier liegt der Unterschied zur
intentional ausgerichteten Haltung. Das sich hier andeutende Verantwortungsproblem
stellt sich allererst vom ontologischen Standpunkt her, der als Komplement der Aktivität
nur Reaktivität kennt, während Levinas auf etwas Drittes abzuheben scheint:
„Verantwortung … als Umkehrung [d]er Intentionalität“. 333 – Im Kern geht es wohl um
das Verhältnis zum Wechsel der Haltung, um ein affirmierendes Verhältnis zu ihrer Störung
und Destabilisierung. Darin besteht über die Rastlosigkeit der Bestreitung hinaus die
Zumutung des Unzumutbaren: es reicht nicht etwa aus, die Verletzung (Irritation,
Destabilisierung) durch den Anderen zuvorkommend zu vermeiden oder zu vergeben: sie
selbst ist es, die – in ihrer Wiederholung – affirmiert wird bzw. gerade nicht ausgeräumt
werden soll: „das Opfer steht auf der Seite des Bösen, es ist etwas Böses, das für das
Gute notwendig ist.“ 334
Hiermit kommt die andere Figur in den Blick, die die Levinasschen Texte kennzeichnet:
die Hyperbel oder die Emphase. Die Hyperbel ist dasjenige, was die ontologische Sprache in
die ethische umschlagen lässt und damit ist sie zugleich auch ein Name für den ethischen
Einsatz selbst: dass die Unterbrechung der Subjektivität durch den Anderen zur
Unterbrechung für den Anderen wird, kennzeichnet den Superlativ des Ethischen, der
zugleich dessen strukturelles Herzstück ausmacht:
Sie sehen, ich bewerte die Emphase als ein Vorgehen. Ich meine in ihr die via eminentiae zu finden.
Jedenfalls ist sie die Weise, in der ich von der Verantwortung zur Stellvertretung übergehe. Die
Emphase, das bedeutet zugleich auch eine rhetorische Figur, ein Übertreiben im Ausdruck, eine
Weise des Sich-Übersteigerns und eine Weise des Sich-Zeigens. Das Wort ist sehr gut, genau wie
das Wort ‚Hyperbel’: es gibt Hyperbeln, in denen Begriffe sich verwandeln. Eine solche
Verwandlung beschreiben, auch das heißt Phänomenologie treiben. Die Steigerung bis ins
Äußerste als philosophische Methode! 335
AQ, S. 114. Vgl. dazu auch die Anmerkung o von Thomas Wiemer: „Die Wendung an den Anderen
(das ‚dem Anderen gegenüber’) ist zugleich ein Gewendetwerden, eine Umkehr der thematisierenden
Intentionalität – oder des Bewußtseins zum Gewissen, wie Lévinas, auf dem Doppelsinn des französischen
‚conscience’ (Bewußtsein, Gewissen) insistierend, an anderer Stelle formuliert.“ – AQ, S. 118.
334 N, S. 53. Vgl. auch N, S. 51: „So wird die ‚Kommunikation’, ohne die nichts für uns wäre, sichergestellt
durch das Verbrechen. Die ‚Kommunikation’ ist die Liebe und die Liebe besudelt die, die sie vereint.“
335 DQVI2, S. 113.
333
86
Die Emphase steht überdies für die Situation der Annäherung, des Abbaus der inneren
Distanzierung, des Aufgebens der autonomen Aktivität, wie sie die Theorie am Subjekt
konstituiert. Sie ist das Vibrieren der Passivität, in die das Subjekt angesichts des Anderen
verfällt, der Kulminationspunkt von Genuss und Schmerz, 336 Berührung, die nur über die
schmerzliche Trennung hinweg möglich ist, Begehren, das aufgrund dieser absoluten
Differenz besteht, das das Subjekt zum Desinteressement erhebt und die Trennung in
einer unfassbaren und heiligen Beziehung jenseits des Seins ‚überbrückt’. Die Emphase
bedeutet eben jene andere, nicht-intentionale Haltung: passive Aktivität, Altern, á-Dieu.
Wie die Dramatisierung bei Bataille hat die Hyperbel die Funktion, die (paradoxe)
Problematik und das ‚existentielle’ Gewicht des Ethischen deutlich zu machen; sie ist die
zu den Beruhigungsstrategien der Ontoepistemologie gegenläufige Bewegung: letztere
sucht nach Erklärung und Begründung und stiftet Sinn indem sie diese durch
Intentionalität und Aktivität ergänzt.
Die transzendentale Methode besteht immer darin, die Begründung zu suchen. – ‚Begründung’
ist im übrigen ein Ausdruck aus der Architektur, ein Ausdruck, der für eine Welt geschaffen ist,
die man bewohnt, für eine Welt, die vor allem ist, was sie dann trägt und erträgt, eine
astronomische Welt der Wahrnehmung, unbewegliche Welt, die Ruhe par excellence, das Selbe
par excellence. Ein Gedanke ist folglich dann berechtigt, wenn er seine Begründung gefunden
hat, wenn man die Bedingungen seiner Möglichkeit gezeigt hat. – Im Gegensatz dazu gibt es in
meiner Vorgehensweise, die vom Menschlichen und von der Annäherung an das Menschliche
ausgeht, vom Menschlichen, das nicht lediglich das ist, was die Welt bewohnt, sondern das, was in
der Welt altert, was sich aus ihr in einer anderen Weise als der des Gegensatzes zurückzieht – was
sich aus ihr durch die Passivität des Alterns zurückzieht (Rückzug, der vielleicht dem Tod selbst
seinen Sinn verleiht, anstatt ihn von der Negation her denken zu lassen, die ein Urteil ist) – im
Gegensatz zur Methode der Begründung also gibt es in meinem Vorgehen eine andere Weise der
Rechtfertigung eines Gedankens durch einen anderen: die des Übergehens von einem Gedanken
zu seinem Superlativ bis hin zu seiner Emphase. Mit einem Mal ergibt sich oder geht aus dem
Sich-Überbieten ein neuer Gedanke hervor – der in keiner Weise im ersten impliziert war. Der
neue Gedanke findet seine Rechtfertigung nicht auf der Grundlage des ersten, sondern durch seine
Erhebung. Ein ganz konkretes Beispiel: In einem gewissen Sinn ist die wirkliche Welt die Welt
einer Setzung, ihre Seinsweise ist die Thesis. Aber Setzung in einer wahrhaft superlativischen
Weise, bedeutet das nicht – ich betreibe keine Wortspielerei – bedeutet das nicht ein SichAussetzen, eine Setzung bis hin zum Erscheinen, ein Sich-Verfestigen und Sich-Behaupten bis hin
zum Sprachewerden? 337
Gegenüber der Akzentuierung der Aktivität durch die Ontoepistemologie, die das Andere
in die Immanenz des Sinns integriert – seine Alterität zunichte macht bzw. die absolute
auf die funktionale Differenz reduziert – um sein Irritationspotential zu verringern,
betont die Hyperbel die Passivität des Subjekts angesichts der Transzendenz des Sinns,
Vgl.: „Die Unmittelbarkeit des sinnlich Wahrnehmbaren, das sich nicht auf die gnoseologische Funktion
der Empfindung beschränkt, bedeutet, der Verletzung und dem Genuß ausgesetzt zu sein – der Verletzung
im Genuß ausgesetzt zu sein – was der Verletzung ermöglicht, an die Subjektivität des selbstgefälligen
Subjekts heranzukommen.“ – AQ, S. 148.
337 DQVI2, S. 111f.
336
87
sein Betroffensein und vor allem seine Beunruhigung. Sie führt so von der Ontologie in
die Metaphysik und bezieht das Bekannte auf das Unbekannte oder eben das Sagen auf
dasjenige, was uneinholbar diachron und anarchisch bleibt. Als sprachliche Figur weist
die Hyperbel also dieselbe Öffnung auf, wie das Subjekt: sie ist auf Transzendenz
bezogen, ohne diese sich im Gesagten manifestieren zu lassen. Die von der Hyperbel ins
Werk gesetzte Beziehung ist eine desintegrative. Sie geht nicht im Schema der Relation
auf, sondern beschleunigt diese in einer entropischen Bewegung: die Bezogenheit des
Endlichen auf das Unendliche, der sie – wie die Frage – entspricht, ist ganz und gar
unontologisch gedacht: weder als Seiendes noch als sein.
Die Frage wäre nicht eine Modifikation noch eine Modalität noch eine Modalisierung der
Apophansis, wie der Zweifel oder das Bewußtsein des Wahrscheinlichen oder des Möglichen. Sie
ist ursprünglich. Sie ist genau die Gestalt, die die Disproportion der Beziehung des Endlichen
zum Unendlichen annimmt – die ohne diese Gestalt unmöglich wäre – der Knoten, in dem sich
diese Disproportion schürzt; sie ist das ‚im’ in ‚das Unendliche im Endlichen’, zugleich das
Draußen, das weiter außen ist als jedes Außen oder die Transzendenz oder die unendliche Dauer,
die weder ankommt, noch zu Ende geht. 338
*
Auch die Drastik der Levinasschen Begriffe hat also Methode: die Betonung der
Passivität und Beunruhigung ermöglicht erst den Übergang zu derjenigen Dimension, in
der Verantwortung Sinn hat. Gerade weil die Störung nicht auszuräumen ist, kommt
Verantwortung ins Spiel. – Die Beunruhigung bezieht das Subjekt auf Transzendenz und
somit in mehr als ontologischer 339 Weise auf den Anderen: „Das Begehrte erfüllt das
Begehren nicht, es vertieft es.“ 340 Die Irritation gehört nicht nur – als Bedingung – zum
Herausgehen aus sich; sie ist zugleich dasjenige, was dieses Herausgehen aus sich
begleitet: indem das Subjekt sich auf eine Reise ohne Rückkehr begibt, keine Bleibe
findet, ist es fragil, fluide, nicht-identisch; indem es aber keine Bleibe findet, ist es allererst
in der Lage, in dem Sinn zu kommunizieren, den Levinas und Bataille im Blick haben:
Nähe ist das Ergebnis und der Prozess des Sich-vom-Sein-lösen, sie ist ein Sich-(als
Jemand)-Geben, 341 Intrige oder intime Kollision zweier getrennter Wesen, die diese an ihre
Grenze und über sie hinaus treibt, die sie letztlich also als völlig veränderte zurücklässt.
Kommunikation ist eine „heteronome Erfahrung“ im doppelten Sinn: eine Begegnung
DQVI3, S. 167f.
Vgl.: „… daß für mich das Ethische keineswegs eine Schicht darstellt, die sich unvermittelt über die
Ontologie legt, sondern das, was in gewisser Weise ontologischer ist als die Ontologie, eine Emphase der
Ontologie.“ – DQVI2, S. 114.
340 Signature, zit. bei Stegmaier, S. 101.
341 Vgl. Derrida: Eben in diesem Moment, S. 47: „Dieses ‚geben’ darf weder ein Ding noch ein Akt sein...“
338
339
88
mit der exterioren Alterität, der Transzendenz, die selber transzendiert. Von der Theorie
aus gesehen ist die Transzendenz des Anderen die viszerale Irritation der Episteme, von
der Dimension der Nähe aus gesehen sind diese Verletzlichkeit und diese Passivität der
Subjektivität aber die eminente Chance zum Desinteressement; in diesem Sinn zeigt die
Asymmetrie zwischen dem Selben und dem Anderen „ein ‚Mehr-als-Sein’ an, Besseres als
das Glück der sozialen Beziehung.“
Zunächst: der Ausdruck ‚moralische Erfahrung’, ich versuche ihn zu vermeiden; moralische
Erfahrung, das setzt ein Subjekt voraus, das da ist, das vor allem ist und das dann irgendwann
eine moralische Erfahrung macht, während doch dieses Ethische gerade in der Weise besteht, in
der das Subjekt da ist, in der es lebt; oder genauer: das Des-inter-esse macht sein esse zunichte.
Das Ethische bedeutet genau dies. 342
vulnerable. Statt eines Nachwortes
Jede „Kommunikation“ hat Teil am Selbstmord und am Verbrechen. 343
Georges Bataille
„Wenn das Geben die Nähe selbst ist, so erreicht es seinen vollen Sinn erst da,
wo es mir das nimmt, was mir mehr zueigen ist als der Besitz.“ 344
Emmanuel Levinas
Die Strategien der Zersetzung – Bestreitung und Widerruf – sind sowohl bei Levinas wie
auch bei Bataille Techniken zur Konversion der ontoepistemologischen Einstellung; sie
kehren den Vektor der Totalisierungsbewegung um, indem sie das Subjekt auf andere
Werte – auf seine sensible Öffnung zum exterioren Anderen – hin orientieren. Darüber
hinaus findet sich bei beiden noch eine zweite wichtige Umschlagbewegung, die
hauptsächlich durch Dramatisierung bzw. Hyperbolisierung zustandekommt. Bestreitung
und Widerruf richten sich wider die von der Theorie gebotene Beruhigung, indem sie den
von dieser gestifteten und das Subjekt stabilisierenden Sinn erodieren, während
Dramatisierung und Hyperbolisierung diese Bewegung ergänzen und die daraus
resultierende Beunruhigung derart potenzieren, dass sie umschlägt in Ekstase oder
Desinteressement. Mit Batailles Arbeiten lässt sich vor allem die innere Erfahrung dieses
DQVI2, S. 115.
N, S. 59.
344 AQ, S. 134.
342
343
89
Übergangs von der Diskontinuität in die Kontinuität oder von der Isolation in die
Entgrenzung präzise fassen. Bei Levinas hat die hyperbolische Umkehrfigur vor allem
ethischen Charakter; der Widerwillen und die Verletzung, die mit dem Herausgehen-aussich verbunden sind, werden zu einer Gabe im doppelten Sinn: die Destabilisierung der
Totalität (der Theorie und des Subjekts) geschieht zwar auch durch und für den Anderen,
gerade in dieser seiner Fähigkeit zur Stellvertretung wird das Subjekt aber erst zu einem
„unersetzbaren“
und
„erwählten“: 345
das
Sich-vom-Sein-lösen
bedeutet
keine
„Tilgung“ 346 des Seins, sondern seine „Erhebung“. 347
[D]as Herausgehen aus sich selbst ist die Annäherung an den Nächsten; die Transzendenz ist
Nähe, die Nähe ist Verantwortung für den Anderen, Stellvertretung für den Anderen, Sühne für
den Anderen, Bedingung - oder Un-Bedingung - der Geiselschaft; die Verantwortung als
Antwort auf das vorgängige Sagen; die Transzendenz ist Kommunikation, die über den bloßen
Austausch von Zeichen hinaus die 'Gabe' beinhaltet, das 'offene Haus' - das sind einige ethische
Formulierungen, durch die hindurch die Transzendenz als Menschlichkeit bedeutet oder die
Ekstase als Des-inter-esse. 348
Wenn aber die Ekstase und das Desinteressement bei beiden Denkern positiv konnotiert
sind, dann stellt sich umso dringlicher die Frage, wieso sie dieses Geschehen mit derart
drastischen Ausdrücken beschreiben: Wieso sind Verletzlichkeit und Schmerz so zentral
für Bataille und Levinas, dass sie nahezu zu einem Wert avancieren? – Oben hat sich
bereits gezeigt, dass ohne die innere Erfahrung der Irritation und Destabilisierung kein
Herausgehen aus sich denkbar ist, weil zum einen der Übergang von der Diskontinuität
zur Kontinuität eine Entgrenzung darstellt, die die Intentionalität umstülpt und zugleich
der vollständigen Selbstauflösung nahe kommt. Zum anderen ist bei Levinas die
Unterbrechung des Selben die Auswirkung schon allein des ethischen Widerstands, des
Akkusativs, den der Andere in seiner Nacktheit bedeutet. Ohne die Annahme der
Möglichkeit des Sich-vom-Sein-lösen wäre umgekehrt jede mögliche Ethik eine bloß
aufgesetzte: sie bliebe darauf angewiesen, über Normierung und Normativität – und sei
es auch nur durch Argumentation – ein ethisches Verhalten des Subjekts zu ‚erzwingen’.
Ohne die Disposition des Subjekts zum Desinteressement stünde also die Durchsetzung
jeder Ethik zugleich im Widerspruch zu sich selbst, würde sie unethische Mittel einsetzen
„Die Erwählung durchkreuzt den Begriff des Ich, um mich vorzuladen durch die Maßlosigkeit der
Anderen und mich dem Begriff zu entwinden, in den ich mich unablässig flüchte, weil ich in ihm das Maß
einer Verpflichtung finde, welche in der Erwählung gerade nicht definiert wird. Die Verpflichtung
appelliert an eine einzigartige, im universalen nicht verzeichnete Antwort, an die unvorhersehbare Antwort
des Erwählten.“ – AQ, S. 318.
346 Vgl. Signature, zit. bei Stegmaier, S. 111.
347 Vgl. die in AQ, S. 391 aufscheinende Synonymie von „Emphase“, „Erhebung“, „Exzellenz“ und
„Superlativ“.
348 DQVI1, S. 42.
345
90
müssen, um ethische Zwecke zu erreichen. Die un-wissende Beziehung der Subjektivität
auf die sie irritierende und destabilisierende Transzendenz ist also zentral für eine nichtindifferente Ethik, die den Anspruch hat, dem Anderen in seiner Exteriorität und
Singularität den Vorrang vor dem Selben einzuräumen. – „Die Erleidbarkeit ist
gleichwohl keine Bedingung der Möglichkeit von Ethik, keine αρχή (arche) der
Verpflichtung. … Sie ist bereits die gesamte Ethik, in ihr sind deren beiden [sic] Seiten,
die Freiheit und die Verfolgung, vereint.“ 349
Das in der ontoepistemologischen Drift durch Neutralität und Entsinnlichung erreichte
Von-sich-Absehen führt dagegen zu einer der Singularität des Anderen, des Subjekts und
der Situation gegenüber unsensiblen Normativität, die das Aussetzten des autonomen
Handelns und überhaupt jede Unzulänglichkeit des fragilen und endlichen Subjekts –
gleich welche Ursachen es haben mag – als Dysfunktion betrachtet. Die von Levinas und
Bataille vorgenommene Akzentuierung der Affektivität vermag indessen das Subjekt für
die Problematik des Ethischen zu sensibilisieren, dessen quasi-paradoxer Charakter nicht
zuletzt auch mit der unlösbaren Verquickung von Genuss und Schmerz zusammenhängt:
Ohne den Egoismus, der sich in sich selbst gefällt, hätte das Leiden keinen Sinn, so wie es die
Passivität der Geduld verlöre, wenn es nicht in jedem Moment ein Überrolltwerden des Sinns
durch die Sinnlosigkeit wäre. Das Genießen und die Vereinzelung der Sensibilität zu einem Ich
nehmen der äußersten Passivität der Sensibilität – ihrer Verwundbarkeit – ihrer Ausgesetztheit
gegenüber dem Anderen – die Anonymität der unbedeutsamen Passivität der Trägheit, die im
Leiden liegende Möglichkeit „vergeblichen Leidens“ verhindert, daß sich in ihm die Passivität
zum Akt umkehrt. Auf diese Weise stört das Für-den-Anderen das Subjekt und affiziert es
zugleich in seiner Innerlichkeit; durch den Schmerz. Das Genießen in seiner Möglichkeit, sich,
befreit von dialektischen Spannungen, in sich selbst zu gefallen, ist die Bedingung des Für-denAnderen der Sensibilität und ihrer Verwundbarkeit als Ausgesetztheit gegenüber dem
Anderen. 350
Die vom Anspruch auf Identität und Autonomie ins Werk gesetzte Normativität hängt
im Kontrast dazu eng mit dem Unternehmen der Separierung von Genuss und Schmerz
zusammen. Dieses Streben nach Verhinderung von Schmerz ergänzt die innere
Distanzierung auf eine Weise, die das Geschehen der Nähe bzw. der Kommunikation
unterläuft. Diese sind bei Levinas wie bei Bataille nicht an der Prävention von Störungen
interessiert, sondern lehnen gerade jene am Wissen orientierten Sollensvorstellungen und
mithin jede Berechnung ab, weil sie radikal auf der Suspension der intentionalen Aktivität
bestehen – auf einer Haltung also, die das stets sich rekonstituierende Urteil über die
Situation bestreitet und zugleich das Ereignis des Desinteressement kontestiert, ohne
Lyotard, S. 191.
AQ, S. 167f. Vgl. auch: „Selbst beim Lachen leidet das Herz und in der Trauer erfüllt sich die Freude.“ –
Die Bibel: Sprüche 14, 13. – Zitiert in DQVI1, S. 40.
349
350
91
jedoch in Indifferenz oder Fühllosigkeit zu fallen. Auch gegenüber dem Anderen
ermöglicht die Kontestation somit eine unvoreingenommene und ihn nicht
vereinnahmende Haltung, die seine stets differierende diachrone und anarchische
Andersheit passieren lässt, ohne sie zu identifizieren. Das Á-Dieu verhindert zwar nicht
den Schmerz der absoluten Trennung, aber es ist elementar für die Begegnung mit der
sich entziehenden, sich zurückziehenden Alterität.
Die Verstrickung von Nähe und Kommunikation ist keine Modalität der Erkenntnis. Die
Entschlüsselung der Kommunikation – irreduzibel auf die Zirkulation von Informationen, die
auf dieser Entschlüsselung schon aufbaut – vollzieht sich im Sagen. Sie hängt nicht an den
Inhalten, die dem Gesagten eingeschrieben sind und zur Interpretation und Entzifferung durch
den Anderen übermittelt werden. Sie besteht in der riskanten Entblößung seiner selbst, in der
Aufrichtigkeit, im Zerbrechen der Innerlichkeit und in der Preisgabe jeglichen Schutzes, in der
Ausgesetztheit an die Verletzung, in der Verwundbarkeit. 351
Demgegenüber bleibt die Nähe ontoepistemologischen Ursprungs angewiesen auf
Verträge, die sich auf Identifizierung berufen und diese sanktionieren: 352 das SchonGesagte hat hier stets die Priorität des idealiter Beständigen vor dem stets anderen,
anarchischen Sagen; Als Repräsentant bzw. Medium des Schon-Gesagten ist das Subjekt
austauschbar: es ist nur indirekt involviert, nämlich nicht als Sich-sagendes und deshalb in
seiner – allerdings stets nur vorübergegangenen – Präsenz unersetzliches; Die
unbefangene und unabgesicherte Begegnung erscheint von vornherein als problematisch;
Die innere Erfahrung kommt in dieser Konstellation dem von Bataille beschriebenen
Gefühl der Abwesenheit 353 gleich, das nicht nur der Verschiebung der Existenz auf später
entspricht, sondern der weitgehenden Suspension der affektiv-leiblichen Erfahrung
überhaupt. Damit würde sich das Subjekt in eine Position begeben, die es außerstande
setzte, innerlich mit der vergehenden Zeit, 354 mit seinem Altern ‚gleichauf’ 355 zu sein und
also dem ‚natürlichen’ Desinteressement zu gehorchen. – Durch die von Levinas und
Bataille unternommene Sensibilisierung für seine Verletzlichkeit gewinnt das Subjekt eine
AQ, S. 117f.
Vgl. Anmerkung 192.
353 Vgl. das Motto auf Seite 60.
354 Vgl. Michael Theunissen: „Können wir in der Zeit glücklich sein?“, in ders.: Negative Theologie der Zeit.
Frankfurt am Main 1991. S. 37-86. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des intra
festum, den der japanische Psychiater Kimura Bin mit der epileptischen Weise in der Zeit zu sein,
zusammenbringt, weil hier die elementare „Un-ruhe“ (AQ, S. 130) aufscheint, die Bataille und Levinas im
Visier haben. Kimura Bin wird zit. in Giorgio Agamben: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge
(Homo sacer III). Übers. v. S. Monhardt. Frankfurt am Main 2003. S. 109-122.
355 Natürlich ist dies ein überschießender Fehlschluss: das Subjekt stimmt ja in der Philosophie Levinas’
gerade nicht mit sich überein, es ist, wie der Andere, nicht präsent, sondern zieht sich in der Passivität des
Alterns permanent zurück. Was ich an dieser Stelle ausdrücken will, ist noch einmal nur die Haltung der
geduldigen Zustimmung zur Zumutung des Unzumutbaren, der eben ein Minimum an Bejahung anhaftet,
auch wenn sie wider Willen geschieht und keineswegs aktiv übernommen werden kann.
351
352
92
andere Haltung zu seiner Unterbrechung und Destabilisierung, es ‚vermag’ sich zu
desidentifizieren und erlangt damit sowohl die Fähigkeit zur Kommunikation wie auch erst
eine wirkliche Zukunft. Es gibt die Vorstellung aktiver Kontrolle über die Situation preis
und kann sich so vom Sein lösen; es kann sozusagen in der Diachronie der Zeit
schwingen und sich in die Transzendenz der Nähe, in die Kommunikation mit dem
transzendierenden Anderen werfen: – es nimmt in jedem Augenblick Abschied und
stirbt, es geht Zu-Gott. 356 Der Ausweg aus dem Sein ist also nicht erreichbar im
ontologischen Sinn, er liegt jenseits des Seins 357 und besteht im Desinteressement, der
„Utopie des Menschlichen“. 358 „Wenn die Transzendenz einen Sinn hat, so kann sie für
das Ereignis des Seins – für das esse – für das sein (essence) – nur bedeuten: Übergehen zum
Anderen des Seins.“ 359 – Das Desinteressement ist dieses Übergehen selbst, das
wiederholte und stets erstmalige Passieren der Grenze auf der keine Bleibe möglich ist.
Die Subjektivität – Ort und Nicht-Ort dieses Zerbrechens – vollzieht sich als eine Passivität, die
passiver ist als jede Passivität. Der diachronen Vergangenheit, die durch das Vergegenwärtigen
der Erinnerung oder der Geschichte nicht einzuholen ist, das heißt ohne gemeinsames Maß
bleibt mit der Gegenwart, entspricht oder antwortet die unübernehmbare Passivität des Sich. „Se
passer“ – sich vollziehen – denkwürdiger Ausdruck, in dem das sich sich gleichsam abzeichnet in
der Vergangenheit, die vergeht und so sich vollzieht wie das Altwerden – ohne „aktive Synthesis“.
Die Antwort, die Verantwortung ist [sic] – für den Nächsten einzustehen – erklingt in dieser
Passivität, in diesem Sich-vom-Sein-Lösen der Subjektivität, in dieser Sensibilität oder
Empfindlichkeit der Sinne. 360
Aufgrund der positiven Konnotation der Selbstverschwendung, die die Überlegungen zur
Bewegung des Desinteressement kennzeichnet, ist Levinas’ Denken also nicht einfach
nur als eine Philosophie für den Anderen zu interpretieren, sondern kann als der
‚Lebenskunst’ 361 Batailles ziemlich nahestehend gelesen werden: Levinas’ Begriff des
Ethischen entwirft nicht nur ein zum theoretischen alternatives Subjektkonzept, sondern
Vgl. das Zitat Seite 64 und die dazugehörige Anmerkung 257.
„Sein oder Nichtsein, das ist also nicht die Frage der Transzendenz. Der Ausdruck das Andere des Seins
– das Anders-als-sein – behauptet eine Differenz jenseits derer, die das Sein vom Nichts trennt: nämlich
gerade die Differenz des Jenseits, die Differenz der Transzendenz.“ – AQ, S. 25.
358 AQ, S. 110. Levinas verwendet den Begriff der Utopie auch im wörtlichen Sinn.
359 AQ, S. 23.
360 AQ, S. 49f. Vgl. ebd. auf S. 50 die Anmerkung q von Thomas Wiemer: „Lévinas aktualisiert die
Mehrwertigkeit des französischen ‚se passer’: passieren, vergehen, verstreichen, vorübergehen, jeweils in der
hier besonders beanspruchten Rückbindung an das Pro-nomen des Subjekts, sich, mit dem impliziten
Verweis auf das Genus des Passivs (zu dessen Bildung es im Französischen mit verwendet wird). – Die
Übertragung ‚sich vollziehen’ hält zum einen an der hier wichtigen Reflexivität des Ausdrucks fest und
versucht zum anderen das ‚Passieren’ nicht als momentanes Geschehen (‚sich ereignen’), vielmehr im
Modus zeitlicher Erstreckung, im Modus der Dauer zu sagen. Die Übertragung kann jedoch im
Unterschied zum Original die Dimension der Vergangenheit nicht im selben Wort mit transparent
machen.“
361 Natürlich haben nicht alle Arbeiten Batailles diesen Charakter, doch die Atheologische Summe weist
insgesamt explizite Bezüge und deutliche Parallelen zu den Meditationen und Exerzitien der Mystiker auf.
356
357
93
trägt auch einiges zu einem sensiblen Selbstverhältnis aus. Bemerkenswerterweise ist die
damit ins Spiel kommende „Sorge um sich“ gleichwohl vom ‚unegoistischen’ Paradigma
der Selbstverschwendung und der Antiökonomie geprägt. Gerade mit der Betonung von
Verletzlichkeit und Passivität, von Fragilität und Endlichkeit schließt dieses Denken an
die inneren Erfahrungen des Subjekts an. Letzterem wird nicht die stets frustrierende
Ausrichtung am Ideal der Stabilität und der Übereinstimmung mit sich, der Autonomie
und der Integrität abverlangt, sondern eine das Andere am Selben einbeziehende Haltung
nahegebracht. Die Dispersion des Subjekts erscheint nunmehr weniger als zu
beseitigendes Problem, denn vielmehr als die Möglichkeit und Wirklichkeit seiner
Bezogenheit auf Transzendenz.
Trotz dieser sich hier andeutenden überschwänglichen Euphorie sind diese beiden
Philosophien der rückhaltlosen Selbstverschwendung mit keinerlei Heilsversprechen
verbunden – im Gegenteil: die drastische Ausdrucksweise und die Akzentuierung der
Verletzlichkeit stehen dafür ein, dass die Unterbrechung des Selben als Zumutung sichtbar
bleibt. Das Schmerzhafte an der Destabilisierung ist durch die ‚Exerzitien’ des
Desinteressement nicht abzuschaffen, ja seine Beseitigung ist noch nicht einmal ein Wert.
Diese die Sensibilität und Affektivität akzentuierende Philosophie nimmt also gleichwohl
keine Rücksicht auf die Empfindlichkeiten des Subjekts: sie mutet ihm rigoros das
Unzumutbare zu, indem sie seine Verletzlichkeit – und das macht wohl einen guten Teil
des Unbehaglichen an diesem Denken aus – nicht nur aufrechterhält, sondern noch
vertieft, um seiner Desensibilisierung durch die Traumatisierung vorzubeugen bzw. sie zu
revidieren; 362 auch dazu dienen die Strategien der Zersetzung.
Die positive Konnotation der Störung folgt zudem selbst einer hyperbolischen
Bewegung: durch die (auch nur hypothetische) Bestreitung der Möglichkeit und
Notwendigkeit der Beseitigung von Schmerz steigert sie sich zur Ekstase. Durch das
Ausschlagen des Ausweichens vor der Irritation und des Abdriftens in die unverfängliche
Sphäre des Gesagten setzt sie den Vektor der Transzendenz ein: das Gute ist für Levinas
weder bestimmbar noch besteht es eben in der Vermeidung von Verletzung; es passiert
im Gegenteil im durch die Sensibilität möglichen Geöffnetwerden auf den exterioren
Anderen hin. Gleichwohl darf dieses Bedenken des Ethischen nicht missverstanden
werden im Sinne einer Ethik. Die Affirmation der Verletzlichkeit ist eben deshalb kein
positives Befürworten der Verletzung, kein ins Pathologische driftender Masochismus,
362
Vgl. dazu die „22. Serie der Paradoxa: Porzellan und Vulkan“, in: Deleuze, S. 193-202.
94
weil ihm jede Normativität abgeht – die Erfahrung der Verletzlichkeit bleibt eine
Erfahrung der Unterbrechung durch den Anderen; das Ethische besteht lediglich darin,
die Perspektive auf dieses Geschehen umzukehren: in ein Für-den-Anderen. An dieser
Stelle entwindet sich Levinas’ Philosophie einmal mehr der Kritik, indem sie sich als
Phänomenologie gibt, die in der Möglichkeit der Ausbeutung und des Missbrauchs der
Subjektivität zugleich die Chance zum Ethischen ausmacht:
Weil meine Passivität als Subjekt, meine Ausgesetztheit gegenüber dem Anderen, der physische
Schmerz selbst ist, deshalb kann ich ausgebeutet werden; und nicht: weil ich ausgebeutet werde,
ist meine Ausgesetztheit gegenüber dem Anderen absolut passiv, das heißt, schließt sie jegliches
Übernehmen aus, ist sie wider meinen Willen. 363
Diese wohl das Problematischste an Levinas’ und Batailles Denken ausmachende
Affirmation der Verletzlichkeit ist also ein Grund mehr für die Insistenz der Bestreitung
und des Widerrufs, wie auch für die oben beschriebene Kippfigur der Hyperbel bei
Levinas: das Subjekt ‚übernimmt’ die Verantwortung für seine Geiselschaft gegenüber
dem Anderen, weil es sich gerade nicht zum Opfer macht. Gleichzeitig übernimmt es
diese Verantwortung nicht im aktiv-autonomen Sinn, sondern durch die lediglich passive
Aktivität der Kontestation bzw. der Stellvertretung.
Vielleicht hat die zeitgenössische Philosophie mit der Entdeckung der Möglichkeit einer nichtpositiven Bejahung eine Kluft eingeführt, deren einziges Äquivalent in der von Kant
unternommenen Unterscheidung zwischen dem nihil negativum und dem nihil privativum zu finden
wäre – eine Unterscheidung, die bekanntlich dem kritischen Denken seinen Weg eröffnet hat.
Diese Philosophie der nicht-positiven Bejahung, das heißt der Erprobung der Grenze, hat,
glaube ich, Blanchot durch den Grundsatz der Bestreitung bestimmt. Es handelt sich dabei nicht
um eine verallgemeinerte Verneinung, sondern um eine Bejahung, die nichts bejaht: in vollem
Bruch mit der Transitivität. Die Bestreitung ist nicht die Anstrengung des Denkens, Existenzen
oder Werte zu verneinen, es ist die Geste, die beides an ihre Grenze und damit an die Grenze
zurückführt, an der sich die ontologische Entscheidung erfüllt: Bestreiten heißt vorzudringen bis
in das leere Innere, in dem das Sein seine Grenze erreicht und die Grenze das Sein bestimmt.
Dort, an der überschrittenen Grenze hallt das Ja der Bestreitung wider, die das I-A des
Nietzscheanischen Esels ohne Echo lässt. 364
AQ, S. 133.
Michel Foucault: „Vorrede zur Überschreitung“, (übers. v. H-D. Gondek) in ders.: Ästhetik der Existenz.
Schriften zur Lebenskunst. Hg. v. D. Defert und F. Ewald. Frankfurt am Main 2007. S. 7-28, hier S. 13f. Vgl.
auch die oben (Anm. 53) kurz zitierte abweichende Übersetzung von Walter Seitter, wo der Begriff der
„Kontestation“ bezeichnenderweise jenen der „Bestreitung“ ersetzt: „Vielleicht hat die zeitgenössische
Philosophie mit der Entdeckung der Möglichkeit einer nicht positiven Affirmation eine Verschiebung
eingeleitet, die bisher nur in der Kantischen Unterscheidung zwischen dem nihil negativum und dem nihil
privativum ein Äquivalent hatte – welche Unterscheidung bekanntlich das kritische Denken in Gang
gebracht hat. Diese Philosophie der nicht-positiven Affirmation, der Erprobung der Grenze, ist, glaube ich,
von Blanchot durch das Prinzip der Kontestation definiert worden. Es handelt sich dabei nicht um eine
verallgemeinerte Verneinung, sondern um eine Bejahung, die nichts bejaht, um eine Affirmation ohne jede
Transitivität. Die Kontestation ist nicht die Anstrengung des Denkens, Existenzen oder Werte zu
verneinen; sie führt sie alle an ihre Grenze und damit an die eine Grenze, an der die ontologische
Entscheidung fällt: die Kontestation geht bis zum leeren Inneren, wo das Sein seine Grenze erreicht und
363
364
95
– Auch die Figur der Kontestation stellt also vor allem eine Umgewichtung dar: Sie
entspricht nicht einer definitiven Auflösung der Grenzen und damit einer
Desensibilisierung und Indifferenzierung, sondern es ist möglich, sie mit der für Levinas
zentralen Nicht-Indifferenz zusammenzudenken, weil sie zwischen aktivem Willen und
einer bloß konstatierenden, bezeugenden Sensibilität deutlich unterscheidet. Das
kontestierende Subjekt widerruft nicht primär seine Empfindung oder Haltung, sondern
vor allem die Absicht, von der diese generiert bzw. organisiert werden; es unterbricht
insistierend die Rückkehr zum Selben. Die passive Aktivität ist also nicht etwa völlige
Untätigkeit und Ohnmacht, sondern sie bestreitet eben jenen Aspekt der Aktivität, der
von der Intention, der Ausrichtung auf einen bestimmten Zweck – dem Willen ‚alles zu
sein’ – bestimmt ist. Sie unterbricht die Anmaßung der Kontrolle, setzt diese immer
wieder aus und bezieht das Subjekt dadurch auf Transzendenz: „Die Subjektivität
diesseits oder jenseits von frei und unfrei – die dem Nächsten gegenüber verpflichtete
Subjektivität – ist die Bruchstelle, an der das sein durch das Unendliche überschritten
wird.“ 365
„Du kannst dich zurückhalten von den Leiden der Welt,
das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur, aber vielleicht ist gerade dieses Zurückhalten
das einzige Leid, das du vermeiden könntest.“ 366
Franz Kafka
die Grenze das Sein definiert. Dort, in der überschrittenen Grenze hallt das JA der Kontestation wider,
welches das I-A von Nietzsches Esel ohne Echo lässt.“ – A.a.O., S. 33.
365 AQ, S. 45.
366 Franz Kafka: Aphorismen-Zettelkonvolut, in: Nachgelassenen Schriften und Fragmente II. Hg. v. J.
Schillemeit. Frankfurt am Main 2002. S. 113-140, hier S. 137 (Aphorismus 103).
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101
Siglen
6B
Zitate nach der Paginierung der deutschen Ausgaben!
Ev
Ausweg aus dem Sein
AQ
Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht
DQVI
Wenn Gott ins Denken einfällt
– DQVI1
Ideologie und Idealismus
– DQVI2
Fragen und Antworten
– DQVI3
Das Seinsdenken und die Frage nach dem Anderen
– DQVI4
Bemerkungen über den Sinn
SpA
Die Spur des Anderen
– SpA1
Ist die Ontologie fundamental?
– SpA2
Intentionalität und Metaphysik
– SpA3
Die Philosophie und die Idee des Unendlichen
– SpA4
Die Spur des Anderen
E
Die Erotik
EI
Die Innere Erfahrung
N
Nietzsche und der Wille zur Chance
PM
Der verfemte Teil
S
Die Souveränität
F
Die psychologische Struktur des Faschismus
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