Große Kardinalzahlen Kap XII Kap. XII Große Kardinalzahlen Literatur: Drake, F.R.: Set Theory. An Introduction to large Cardinals, NHPC Amsterdam 1974 Jech, Th.: Set Theory, Academic Press New York 1978 Kanamori-Magidor: The evolution of large cardinal axioms in set theory, in: Higher Set Theory, Oberwolfach 1977, Springer LNM 669, 99-276 Kanamori, A. : The Higher Infinite, Springer 1995 Solovay-Reinhardt-Kanamori: Strong axioms of infinity and elementary embeddings, AnnMathLogic 13(1978), 73-116 §1 Vorbemerkungen Wann ist eine Kardinalzahl κ "groß"? Ist dann nicht κ+1 noch "größer"? Am größten wäre On - wenn es eine Ordinalzahl wäre. Neuer Ansatz: α "groß" ↔ α hat ähnliche Eigenschaften wie On: Übertragung auf eine Ordinalzahl α Eigenschaften von On (i) On unbeschränkt α unbeschränkt in α ∀ξ ∃η ( ξ < η ) ∀ξ<α ∃η<α ( ξ < η ) ( i i ) ∀ξ ∀f ( f: ξ → On → W(f) ⊂ On) ∀ξ<α ∀ f ( f: ξ → α → W(f) insbesondere: ¬∃ f ∃ξ ( f : ξ ↔ On) (iii) ⊂α ) ¬ ∃ f ∃ξ<α ( f : ξ ↔ α) : Card( α ) α On regulär ∀ξ ∀f ( f: ξ → On → : Lim( α ) ∪ W(f) ⊂ On) regulär ∀ξ<α ∀f ( f: ξ → α → ( i v ) ω ∈ On ∧ {ξ | Card(ξ )} unbeschränkt ∪ W(f) ⊂ α ) ω ∈ α ∧ {ξ<α | Card(ξ )} unb. in α , ( v ) ∀ξ ℵξ∈ On α Limeskardinalz.: α =ℵ λ für ein Lim(λ ) ∀ξ<α ℵξ ∈ α: α =ℵ α ( v i ) ∀ξ 2ℵξ∈ On ∀ξ<α 2ℵ ξ ∈ α: α starke Limeskz. ( v i i ) On regulär ∧ ∀ξ 2ℵξ∈ On α stark unerreichbar. Achtung: Bei der Übertragung von Eigenschaften von On auf eine Ordinalzahl α haben wir nur die Quantoren Qξ relativiert, d.h. durch Qξ<α ersetzt, nicht jedoch die weiteren Quantoren wie Qf - das kann i.a. zu Widersprüchen hinsichtlich der Existenz von Ordinalzahlen α mit der entsprechenden Eigenschaft führen! Mit Hilfe des (partiellen) Reflexionsprinzips erhalten wir für Sätze ϕ der ZF-Sprache: 1 Große Kardinalzahlen Kap XII ϕ On → ∃ u ( trans(u) ∧ β ∈ u ∧ (ϕOn)u ) , d.h. wegen On ∩ u ∈ On: (*) ϕOn → ∃ α ( β ∈ α ∧ ϕα ) bzw. stärker (s. Hierarchiesatz): Für jede Normalfunktion F gilt: ϕOn → ∃ α (F(α) = α ∧ ϕα ) d.h. ϕOn → " {α| ϕα } stationär in On " bzw. ϕ → " {α| ϕVα } stationär in On ". Die Eigenschaft A stationär : ↔ ∀ F ( Nft(F) → ∃ξ ( ξ ∈ A ∧ F(ξ ) = ξ )) ist jedoch eine Eigenschaft 2. Stufe, also in ZF nicht als Formel, sondern höchstens als Schema ausdrückbar! Das Prinzip (*) ist jedoch gerade für Eigenschaften höherer Stufen besonders interessant; das MAHLOsche Prinzip kann man wie folgt ausdrücken: (M) A stationär → {α|α regulär ∧ A ∩ α stationär in α} stationär. Aus On stationär erhält man durch wiederholte Anwendung von (M) die Existenz (schwach) MAHLOscher Zahlen: Reg = {α|α regulär} stationär In = {α|α regulär ∧ Reg ∩ α stationär in α} stationär Ma(1) = {α|α regulär Ma(2) = {α|α regulär ∧ ∧ In ∩ α stationär in α} stationär Ma(1) ∩ α stationär in α} stationär etc. Ersetzt man regulär durch unerreichbar, so erhält man die Existenz MAHLOscher Zahlen (die schwach MAHLOscher Zahlen sind nur schwach unerreichbar). 2 Große Kardinalzahlen Kap XII §2 Ideale und Filter Wir unternehmen einen neuen Ansatz, eine Eigenschaft κ "groß" dadurch zu erklären, daß wir fordern es gibt sehr viele α < κ , d.h. { α | α < κ } ist "große" Teilmenge von κ . Der Begriff eines Ideals (bzw. Filters) enthält die wichtigsten Eigenschaften, um kleine bzw. große Teilmengen zu charakterisieren: 2.1. Definition a) Ein Ideal (auf der Menge X) ist eine Teilmenge I ⊆ P(X) mit folgenden Eigenschaften: (I1) Ø ∈ I (I2) A,B∈I → A∪B∈I , A⊆ B ∈ I → A ∈ I . (I3) (bzw. I ≠ Ø), Ein κ− vollständiges Ideal ist ein Ideal, welches unter Vereinigungen von weniger als κ vielen Mengen abgeschlossen ist: ∀α<γ (I2)κ b) Aα ∈ I → ∪ α<γ A α ∈ I für alle γ<κ . Ein Filter (auf der Menge X) ist eine Teilmenge F ⊆ P(X) mit folgenden Eigenschaften: (F1) X ∈F (F2) A,B∈F → A∩B∈F , A⊇B∈F → A∈F . (F3) (bzw. F ≠ Ø), Ein κ− vollständiger Filter ist ein Filter, welcher unter Durchschnitten von weniger als κ-vielen Mengen abgeschlossen ist: (F2)κ ∀α<γ Aα ∈ F → Somit ist jeder Filter ∩ α<γ A α ω -vollständig, ∈ F für alle γ<κ . σ -vollständig = ω 1 -vollständig. Um triviale Fälle auszuschließen, verlangt man häufig noch (F4) ∀ x∈ X {x} ∉ F F ist freier Filter (kein Hauptfilter) , Ein Filter F ist ein Ultrafilter gdw F ein echter Filter (d.h. F ≠ P(X)) ist und zusätzlich gilt: (F5) ∀ A⊆ X ( A ∈ F ∨ X − A ∈ F ). 3 Große Kardinalzahlen Kap XII Beispiele: Für unendliches X ist {x|x ⊆ X ∧ x endlich} ein Ideal auf X , FR(X): ={x|x ⊆ X ∧ x co-endlich(d.h. X − x endlich)} ist der FRECHET-Filter auf X . Verallgemeinerungen davon sind für unendliches X mit |X| = κ : {x|x ⊆ X ∧ |x| < κ } ein Ideal auf X , {x|x ⊆ X ∧ | X − x | < κ } der dazu duale Filter auf X . 2.2. Definition B ⊆ On abgeschlossen: ↔ ∀ x ⊆ B ( x ≠ Ø → B ⊆ On unbeschränkt: ↔ ∪ x ∈ B) ∪B=B B ⊆ On club: ↔ B abgeschlossen und unbeschränkt (closed-unbounded) ↔ B = W(F) für eine Normalfunktion F . Es sei Ω eine Ordinalzahl oder Ω = On . Mit den analogen Definitionen ist {x ⊆ Ω |∃ Y ( Y club in Ω ∧ Y ⊆ x ) } ein Ω -vollständiger Filter auf Ω (falls cf(Ω ) > ω ) ; das dazu duale Ideal der nicht-stationären Mengen {x ⊆ Ω |∃ Y ( Y club in Ω ∧ Y ∩ X = Ø ) } ein Ω -vollständiges Ideal auf A ⊆ On stationär: ↔ ∀ F (Nft(F) → W(F) ∩ A ≠ Ø ) ↔ ∀ F (Nft(F) → ∃ α ∈ A F(α ) = α ) Somit gilt: A club → A stationär (aber nicht umgekehrt!), A stationär ∧ B club → A ∩ B stationär, aber der Durchschnitt stationärer Klassen kann leer sein: { α | cf(α ) = ω } und {α | cf(α ) > ω } sind beide stationär! 4 Ω (falls cf(Ω ) > ω ); Große Kardinalzahlen Kap XII §3 Kombinatorische Prinzipien 3.1 Schubfach-Prinzip Ist eine unendliche Menge A zerlegt in endlich-viele Teilmengen, so muß mindestens eine dieser Teilmengen unendlich sein: A = A0 ∪ . . . ∪ Ak unendlich → ∃ i ≤ k Ai unendlich. Zur Verallgemeinerung setzen wir [A]n := {x ⊆ A | |x| = n } die Menge der n-elementige Teilmengen von A . 3.2 Satz von RAMSEY (1930) A unendlich ∧ [A]n = A0 ∪ . . . ∪ Ak → ∃ X ⊆ A ∃ i ≤ k (X unendlich ∧ [X]n ⊆ Ai ) [A]n = A0 ∪ . . . ∪ Ak kann man auch als eine Abbildung f: [X]n → {0, . . , k} auffassen. Daher definieren wir zur weiteren Verallgemeinerung: Eine Zerlegung 3.3 Definition β → (α)λ n : ↔ ∀ f ( f : [β ]n → λ → ∃ X ⊆ β ∃δ < λ (X hat o.t. α ∧ f" [X]n = {δ } )) . (Im Falle λ = 2 läßt man diese Angabe weg.) Dabei besagt ∃δ < λ ( f" [X]n = {δ }) : f(x) = f(y) für alle x,y ∈ [X]n : X ist homogen für f . Der Satz von RAMSEY besagt damit: β → (ω)m n für alle unendlichen β , m , n ∈ ω , insbesondere: ω → (ω)m n für alle m , n ∈ ω . Es sei definiert: ℑ 0 ( α ) = α , ℑ β +1 ( α ) = 2ℑ β ( α ) , ℑ λ ( α ) = ∪ β<λ ℑ β (α ) . 3.4 Ergebnisse:(ERDÖS, HAJNAL, RADO) (i) ℵ 1 → (ω+1)m n für alle m , n ∈ ω . ℑ n ( α ) → (α+ ) α n+1 für alle n ∈ ω , α unendliche Kardinalzahl . ( i i i ) ℑ ω ( α ) → (α+ ) α n+1 für alle n ∈ ω , α unendliche Kardinalzahl . (ii) 3.5 Von besonderem Interesse sind die Zahlen κ mit κ→ (κ)2 , sie sind stark unerreichbar und besitzen (zumindest für unerreichbares κ>ω ) weitere interessante Charkterisierungen 1 z.B. als schwach-kompakte, Π 1 -unbeschreibbare und als Zahlen mit der Baum-Eigenschaft (s. DRAKE Ch.10, §2, pp.292ff). 5 Große Kardinalzahlen Kap XII β → (α)λ n auf β → (α)λ ω ist nicht möglich - falls man das Auswahlaxiom beibehalten will (s. jedoch: KLEINBERG, E.M.: Infinitary combinatorics and Eine Verallgemeinerung der Relation the axiom of determinateness, Springer LNM 612 (1977)). Dagegen: 3.6 Definition [X] < ω = ∪ n ∈ω [X] n Menge der endlichen Teilmengen von X Ist f: [X]< ω → λ , so heißt Y ⊆ X homogen für f : ↔ ∀ n ∀ x,y ∈ [Y]n f(x) = f(y) . κ → (α)λ < ω : ↔ ∀ f ( f : [κ ]< ω → λ → ∃ Y ⊆ κ (Y hat o.t. α≥ω ∧ Y homogen für f )) . (Im Falle λ = 2 läßt man diese Angabe weg.) Es gilt nicht: ω → (ω)2 < ω ; ist κ(α) das kleinste κ mit κ → (α)2 < ω ; so ist diese Zahl (wenn sie überhaupt existiert) sehr groß, sie ist unerreichbar und erheblich größer als (etwa) die erste Zahl κ>ω mit κ → (κ)2 . 6 Große Kardinalzahlen Kap XII §4 Meßbare Zahlen 4.1 Definition κ meßbar : ↔ κ > ω ∧ ∃ U ( U κ -vollständiger freier Ultrafilter auf κ ) Erweitert man den FRECHET-Filter {x ⊆ ω |x co-endlich } mittels des Auswahlaxioms zu einem Ultrafilter U auf ω , so ist dieses ein freier ω -vollständiger Ultrafilter auf ω . Somit könnte man auch ω als meßbar bezeichnen. Die Existenz meßbarer Zahlen > ω ist jedoch in ZFC nicht beweisbar und verletzt das Axiom V = L: 4.2 Satz (SCOTT 1961) ZFC |− κ meßbar → V ≠ L Beweis: Es sei κ meßbar mit U als κ -vollständigen freien Ultrafilter auf κ . Man kann dann das Ultraprodukt Vκ / U bilden, indem man die Äquivalenzrelation f ~U g : ↔ {α<κ |f( α ) = g(α )} ∈ U einführt und die zugehörigen Äquivalenzklassen mittels des Rang-Begriffes auf Mengen reduziert (s. Kap. III, §13 p.50). Die Relation f EU g : ↔ {α<κ |f( α ) ∈ g(α )} ∈ U ist wegen κ > ω fundiert, also ist die Struktur (Vκ / U ,E U ) isomorph zu einer Struktur (M,∈ ) mit transitivem M . Die gewöhnliche Einbettung V → V κ /U liefert dann eine Einbettung j : V → M , wobei nach einem modelltheoretischen Satz (LOS) (*) ϕ (x, . . . ) ↔ ϕM (j(x), . . . ) j ist elementare Einbettung. Insbesondere ist (M,∈ ) ein transitives ZF-Modell! Ferner gilt: ( 1 ) j( α ) = α für alle α < κ , aber j(κ ) > κ , ( 2 ) P(κ) ⊆ M , ( 3 ) U ∉ M , falls κ die kleinste meßbare Kardinalzahl ist. (Denn: falls κ die kleinste meßbare Kardinalzahl (in V) ist, so ist wegen (*) j(κ ) die kleinste meßbare Kardinalzahl (in M!); dann kann aber nicht U ∈ M sein, da sonst wegen (1) κ eine kleinere meßbare Kardinalzahl in M als j(κ ) wäre.) ( 4 ) V ≠ L , falls κ die kleinste meßbare Kardinalzahl ist. (Denn aus V = L würde folgen: M = L = V im Widerspruch zu (3).) # Dagegen ist die Allgemeine Kontinuumshypothese GCH verträglich mit der Existenz einer meßbaren Kardinalzahl. Eine meßbare Kardinalzahlen κ ist stark unerreichbar , besitzt die RAMSEY-Eigenschaft κ → (κ)2 < ω und ist noch wesentlich größer als die kleinste derartige Partitionszahl. 7 Große Kardinalzahlen Kap XII §5 Die Geschichte von O# Es gelte κ → (α)2 < ω . Falls α abzählbar ist, so gilt diese Eigenschaft auch noch in L, falls jedoch α > ω1 ist (z.B. wenn κ meßbar ist), so ist V sehr viel größer als L: O # existiert: d.h. es gibt eine Klasse X ⊆ On mit folgenden Eigenschaften (tatsächlich ist O# 1 eine Menge natürlicher Zahlen, welche (1) -(5) kodiert, ∆ 3 und ∉ L ist): ( 1 ) X ist club in On , ( 2 ) ℵ α ∈ X für alle α>0 ( 3 ) X erzeugt L : : X enthält alle überabzählbaren Kardinalzahlen (bezogen auf V!), jedes x ∈ L ist in L definierbar unter Benutzung von Elementen aus X als Parametern, ( 4 ) X ist eine Klasse von nicht-unterscheidbaren Elementen von L: x1 < . . . < xn , y1 < . . . < yn aufsteigende endliche Folgen aus X, und ist ϕ eine ZFFormel, so gilt: ϕ L (x 1 , . . . , xn ) ↔ ϕ L (y 1 , . . . , yn ) , sind ( 5 ) es gibt eine definierbare Wahrheitsdefinition, d.h. (L, ∈ ) |= ϕ[x 1 , . . . ,xn ] ist für x1 , . . . , xn ∈ X in der ZF-Sprache als Prädikat von ϕ und (x1 , . . . , xn ) ausdrückbar. ( 6 ) Jede in L ohne Parameter definierbare Menge ist abzählbar. Insbesondere sind abzählbar (nicht in L, aber in V!) P L ( ω ) , R L , ℵ 1 L , die kleinst in L unerreichbare Kardinalzahl, . . , alle (wirklichen) ℵ α sind in L unerreichbare Kardinalzahlen. Übersicht: κ meßbar V ≠ L, aber möglich: V = HOD κ → (ω1 )< ω ---------------------------------------------------------κ → (ω)<ω V = L möglich κ → (κ)2 κ unerreichbar 8