Alkohol und Immunsystem beim Intensivpatienten

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Alkohol und Immunsystem beim Intensivpatienten
Claudia Spies, Verena Eggers, Hilke Otter, Wolfgang J. Kox
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin,
Universitätsklinikum Charité, Campus Mitte, Humboldt-Universität zu Berlin
Jeder fünfte Patient, der in ein Krankenhaus der Allgemeinversorgung aufgenommen wird, betreibt
Alkoholmissbrauch (1). Chronischer Alkoholmissbrauch ist bei internistischen und chirurgischen Patienten
zumindest der Prävalenz bei neurologischen und psychiatrischen Patienten vergleichbar (1).
Chronische Alkoholiker haben eine zwei- bis vierfach erhöhte Inzidenz von Infektionen, als weitere
Komplikationen treten häufiger kardiale und Blutungskomplikationen auf (2-4). Nikotinabusus und prolongierte
Beatmung wegen Sedierung aufgrund eines schweren Alkoholentzugssyndroms mögen mitverantwortlich sein
für die Inzidenz von postoperativen pulmonalen Infektionen (2). Aufgrund der erhöhten Morbidität ist sowohl
die intensivstationäre Behandlung als auch die gesamte Krankenhausbehandlung deutlich verlängert (2).
Bei alkoholkranken Patienten ohne Leberzirrhose wurde eine Immunsuppression gefunden (2). Ethanolkonsum
kann Immunfunktionen auf ähnliche Art verändern wie ein chirurgischer Eingriff (2). Operation und Trauma
addieren sich oder potenzieren die durch Ethanol induzierte Immunsuppression (2). Die T-Zell vermittelte
Immunantwort vom verzögerten Hauttyp (DTH), Interleukin-(IL) -2 Expression, Tumornekrosefaktor-(TNF)- α ,
Interferon-γ Produktion und zytolytische Aktivität waren durch Ethanol supprimiert (2). In experimentellen
Studien verschlechterte Alkohol die Th1-Lymphozyten regulierte, zellvermittelte Immunantwort (2). Die
Antikörperantwort, reguliert von Th2-Lymphozyten, ist entweder unvermindert oder erhöht (2). In einer Studie
von Tønnesen et al. (3) war die DTH bei allen Patienten mit kolorektalen Eingriffen vor der Operation bereits
reduziert. Die bevorzugte Induktion der Th2 gegenüber der Th1 Immunantwort wird bei chronischen
Alkoholikern vermutet und entspricht der reduzierten DTH-Antwort (2). Präoperative Disulfiram kontrollierte
Abstinenz für einen Monat konnte die DTH-Antwort bei alkoholkranken Patienten verbessern und reduzierte die
postoperative Morbidität von 74% auf 31% nach kolorektalen Eingriffen (6). Zwei Wochen Abstinenz sind
nötig, um die DTH-Antwort zu verbessern, eine Normalisierung tritt nach 2 Monaten ein (2). Unsere eigenen
Daten besagen allerdings, dass abstinente Alkoholiker, die mehr als 6 Monate keinen Alkohol konsumiert hatten
und sich einem operativen Eingriff des oberen Gastrointestinaltrakts unterzogen, keine reduzierte Morbidität
hatten (7). Möglicherweise lag dies an dem chronischen Nikotinabusus (2,7).
In unserer Studiengruppe fanden sich bei Patienten mit chronischem Alkoholmissbrauch signifikant erniedrigte
Level der proinflammatorischen Zytokine TNF- α , IL-1, IL-6 und IL-8 im frühen septischen Schock (8). Die IL6/IL-10 Ratio war bei Alkoholikern sofort nach einem chirurgischem Eingriff signifikant erniedrigt, bevor
infektiöse Komplikationen auftraten (9). Der prädiktive Wert der IL-6/IL-10 Ratio für infektiöse Komplikationen
war allen anderen Parametern am ersten postoperativem Tag überlegen (9). Infektionen entwickelten sich im
Median am dritten Tag bei chronischen Alkoholikern und am vierten Tag bei Nicht-Alkoholikern während der
intensivstationären Behandlung (9). Alkoholiker zeigten eine deutlich erhöhte Pneumonie-, Wundinfektionsund Sepsisrate (9). Die supprimierte IL-6/IL-10 Ratio bei Aufnahme auf die Intensivstation könnte ein
vorteilhafter Marker für eine schwere postoperative Immunsuppression bei detektierten chronischen
Alkoholikern ohne Leberzirrhose sein (9).
Die proinflammatorische Suppression könnte bei alkoholkranken Patienten von Vorteil sein, da bei Patienten mit
einer chronischen Hepatitis B und C Infektion eine proinflammatorische Immunlage und vermutlich eine Th1Zell vermittelte intrahepatische Immunantwort vorliegt (10-12). Bei Alkohol induzierter Leberzirrhose nach
Lebertransplantation ist die Rejektionsrate vermindert (13) und die Infektionsrate erhöht (14). Eine Begründung
für die verminderte Rejektionsrate bei alkoholinduzierter Leberzirrhose könnte eine Imbalanz zugunsten der
Th1-Zellen, für die erhöhte Infektionsrate zugunsten der Th2-Zellen sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zur Abschätzung des Risikos alkoholkranker Patienten eine gezielte
Alkoholanamnese essentiell ist (15). Abstinenz könnte im Rahmen der diagnose-orientierten Fallpauschalen
(DRG) eine Strategie sein, das Risiko zu senken. Eine weitere Option ist die Prophylaxe eines
Alkoholentzugssyndroms, die die stressinduzierte Immunsuppression und die Infektionsinzidenz reduzieren
kann
(2,3,15).
Aufgrund
Krankenhausverweildauer
bei
der
prolongierten
alkoholkranken
intensivstationären
Patienten
müssen
Behandlungsdauer
interventionelle,
sowie
multidisziplinäre
Strategien entwickelt werden, um interkurrente Komplikationen alkoholkranker Patienten zu vermeiden.
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