458 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin Claudia Spies, Henning Krampe, Anton Goldmann, Edith Weiß-Gerlach und Tim Neumann 5.5.1 Einleitung 5.5.2 Alkoholkonsum Tabak- und Alkoholkonsumbezogene Störungen finden sich häufig bei Patienten, die sich in anästhesiologischer bzw. intensivmedizinischer Behandlung befinden. Bei etwa jedem 5. Krankenhauspatienten besteht eine alkoholkonsumbezogene Störung, zirka jeder 3. Patient raucht. Hier sind Patienten gemeint, die täglich rauchen, bzw. Patienten mit riskantem bzw. schädlichem Alkoholkonsum oder einer Alkoholabhängigkeit. In den meisten Untersuchungen sind Patienten mit tabak- und alkoholkonsumbezogenen Störungen in chirurgischen bzw. Notfallkollektiven im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung überrepräsentiert. Ferner sind Tabakkonsum und alkoholkonsumbezogene Störungen miteinander assoziiert, und oft besteht ein Mischkonsum weiterer Substanzen. Bei diesen Patienten ist die perioperative Morbidität erhöht. Im Rahmen von Operationen oder intensivstationärer Behandlung werden Komplikationen häufiger beobachtet (z. B. infektiöse, kardiopulmonale oder Wundkomplikationen). Da der Verdacht auf eine zugrunde liegende Suchterkrankung oft entweder erst anhand von Komplikationen im Verlauf gestellt werden kann oder die Intoxikation bzw. das Entzugssyndrom eine weitere schwerwiegende Erkrankung verschleiert (z. B. Schädel-Hirn-Trauma und Alkoholintoxikationen, Delir und Thiaminmangel) ist in Anästhesie und Intensivmedizin oft ein gezieltes diagnostisches Vorgehen erforderlich. Es besteht bei Suchterkrankungen kein Grund für therapeutischen Nihilismus, da es sich in der Regel um behandelbare Erkrankungen handelt. Die komplexen pathophysiologischen Veränderungen und Organdysfunktionen sind nach Abstinenz stadienabhängig grundsätzlich zumindest partiell reversibel. Wenn beim suchtkranken Patienten erhöhte Risiken frühzeitig erfasst werden, können durch eine Reihe effektiver therapeutischer Optionen Komplikationen vermieden bzw. in ihrer Schwere gemildert werden. So können diese Patienten trotz eines erhöhten perioperativen Risikos ausreichend sicher im Rahmen eines interdisziplinären Konzepts behandelt werden. Weitere Hinweise zur Evidenz von Diagnostik und Therapie bei Suchterkrankungen finden sich in den AWMF-Leitlinien zur Praxis der Suchttherapie (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/076-008.htm). ■■ Bedeutung der Alkoholkrankheit In einigen Patientenkollektiven ist die Rate deutlich höher: Zwischen 17 % und 70 % der Patienten, die nach einem Trauma in ein Krankenhaus eingeliefert werden, haben eine alkoholbezogene Störung, bei Schwerverletzen beträgt der Anteil >50 %. Es gibt kausale Verbindungen mit Alkoholintoxikation oder -missbrauch für fast alle Unfallarten und Gewalttaten, einschließlich Suizid. Patienten mit schädlichem Gebrauch haben ein 16fach erhöhtes Risiko zu stürzen und ein 10fach höheres Risiko, eine Verbrennung zu erleiden (Neumann et al. 2003). Einige Krebsarten sind mit Alkoholkonsum assoziiert: So wird ein erhöhter Alkoholkonsum bei 50–90 % der Patienten mit Tumorerkrankungen des oberen Aerodigestivtrakts gefunden. Erhöhter Alkoholkonsum ist mit einer erhöhten perioperativen Morbidität verbunden: Schwere Komplikationen werden nicht nur bei dem typischen Alkoholentzugssyndrom bei abhängigen Patienten gefunden. Eine erhöhte (postoperative) Infektionsrate (bis hin zur Sepsis), kardiale Komplikationen, Nachblutungen sowie andere chirurgische Komplikationen werden auch häufiger bei Patienten ohne Abhängigkeit gefunden. Es scheint eine Dosis-WirkungsBeziehung vorzuliegen. Die Komplikationsrate war in einigen Studien bei 3–4 Getränken pro Tag (entspricht etwa 36–48 g Ethanol) im Verhältnis zu 0–2 Getränken pro Tag (weniger als 24 g Ethanol) um 50 % erhöht, allerdings nicht bei allen Untersuchungen (Tønnesen et al. 2009). Ein klinisch relevanter Alkoholmissbrauch im perioperativen Kontext ist definiert als tägliche Trinkmenge von 60 g reinem Alkohol pro Tag (z. B. 5 Getränke oder zirka 1,5 l Bier) und ist mit einer Erhöhung der Komplikationsrate von 200–400 % verbunden. Ferner wird eine verlängerte Intensivbehandlungszeit und Gesamt-Krankenhausaufenthaltsdauer beobachtet, Wiederaufnahmen auf Intensivstationen sind häufiger. Reoperationen sind öfter notwendig. Der Pflegebedarf (Spies et al. 2001, Tønnesen et al. 2009) und die Letalität sind erhöht. Beispielsweise betrug sie in einer Studie von Jensen et al. (Jensen et al. 1988) bei alkoholkranken Patienten 50 % wäh- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Bei zirka jedem 5. Krankenhauspatienten besteht eine alkoholbezogene Störung (riskanter bzw. schädlicher Alkoholkonsum oder eine Alkoholabhängigkeit). 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin ■■ Alkoholkrankheit und assoziierte ­Komorbidität Patienten sind schon ab einer täglichen Trinkmenge von 60 g Ethanol einem 2- bis 5fach erhöhten Risiko ausgesetzt, im postoperativen Verlauf eine relevante Komplikation zu erleiden. Dies können ein Alkoholentzugssyndrom oder eine Infektion (z. B. Pneumonie, Sepsis), Blutung oder kardiale Komplikation sein (Spies et al. 2001). Bei klinischem Verdacht sollte die diagnostische Strategie auf mögliche Leberschäden, Gerinnungsstörungen, Pankreaserkrankungen, Lungenfunktionseinschränkungen bzw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Hinweis auf eine alkoholische Kardiomyopathie, zum Beispiel bei Vorliegen von Herzrhythmusstörungen) oder neurologische Störungen erweitert werden: Ein gezieltes diagnostisches Vorgehen ist erforderlich. Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen. Chronisch erhöhter Alkoholkonsum ist eine häufige Ursache für schwere Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen (Vagts et al. 2003). Blutungen. Alkoholkonsum verlängert die Blutungszeit schon bei geringeren konsumierten Mengen durch eine Be- einflussung der Thrombozytenaggregation. Die durch Agonisten (Thromboxan, ADP, Adrenalin, Kollagen) getriggerte Plättchenaggregation ist dosisabhängig herabgesetzt. Chronischer Alkoholmissbrauch reduziert die Ausschüttung von Thromboxan A2 bzw. B2. Die Thrombozytenzahl kann ferner toxisch reduziert sein. Weiterhin kann die Fibrinolyse erhöht sein. Dies erklärt teilweise die erhöhte Inzidenz von chirurgischen Nachblutungen bei alkoholkranken Patienten. Eine Abnahme der Gerinnungsfaktorensynthese hingegen tritt erst bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen auf. Die genaue klinische Bedeutung für die Komplikationsrate bleibt wegen der komplexen Interaktionen in der postoperativen Phase (unter anderem Stressantwort, Agitation, möglicher Nutzen von antithrombozytärer Wirkung, prokoagulatorische Wirkung während postoperativer Abstinenz) unklar. Kardiale Erkrankungen. Ausschließlich für einen geringen Alkoholkonsum (unter 20 g pro Tag für Männer wie Frauen, d. h. 1 Glas Wein oder eine Flasche Bier) wird ein protektiver Effekt in Bezug auf eine koronare Herzkrankheit diskutiert (Spies et al. 2001). Mit zunehmendem chronischen Alkoholkonsum oder auch nach Rauschtrinken („Binge Drinking“) steigt das Risiko für einen plötzlichen Herztod („Holiday Heart Syndrome“), Vorhofflimmern und gehäufte ventrikuläre Extrasystolen. Die linksventrikuläre Ejektionsfraktion kann verringert sein. Kardiale Arrhythmien können mit einer alkoholinduzierten Kardiomyopathie im Zusammenhang stehen (Spies et al. 2001). Auch eine subklinische kardiale Insuffizienz und eine Neigung zu Herzrhythmusstörungen prädisponieren für perioperative Komplikationen. Eine präoperative Alkoholabstinenz reduzierte die Inzidenz von Arrhythmien signifikant (Spies et al. 2001). Infektiöse Komplikationen. Pneumonien, Wund- und Harnwegsinfektionen bis hin zur Sepsis sind perioperativ bei alkoholkranken Patienten 3- bis 4-mal häufiger zu beobachten. Wichtige Immunfunktionen sind bereits präoperativ bei diesen Patienten supprimiert. Vielfältige und komplexe durch Alkoholkonsum induzierte Veränderungen sind dokumentiert, wie eine Verminderung von Lymphozytenmigration und -adhäsion, verringerte Th1/Th2- und Tc1/Tc2-Ratio, Abschwächung von Typ-IV-Immunreaktionen (Spättyp, „Delayed Type Hypersensitivity [DTH]“) und ein Ungleichgewicht pro- und antiinflammatorischer Zytokine (Sander et al. 2006). So sind beispielsweise die Spiegel von Interferon γ (IFN-γ) bei chronisch erhöhtem Alkoholkonsum reduziert, während Th2 Zytokine, wie Interleukin-4 und Interleukin-10, erhöht sind (Lau et al. 2009). ARDS. Schädlicher Alkoholkonsum ist mit dem Auftreten eines ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) assoziiert. Dieses ist durch eine abnormale alveolär-kapilliäre Permeabilität charakterisiert. Schwere bakterielle Pneumonien werden häufiger bei Patienten mit erhöhtem Alkoholkonsum beobachtet. Lungenkrebschirurgie bei alkoholkranken Patienten ist mit einer erhöhten Rate von infektiösen Komplikationen und respiratorischem Versagen, Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. rend der intensivstationären Behandlung, während die Letalität bei anderen kritisch kranken Patienten nur bei 26 % lag. Nach elektiver Tumorchirurgie betrug die Letalität bei chronischen Alkoholikern während der postoperativen intensivstationären Behandlung 7 %, wohingegen kein Patient in der Gruppe der Nichtalkoholiker bzw. Gesellschaftstrinker („social drinking“) verstarb (Spies et al. 1996). Der Zusammenhang zwischen Trauma, Alkoholstatus und Mortalität ist komplex. Es wird angenommen, dass nicht der akute Effekt, sondern der chronisch erhöhte Konsum Outcome-relevant ist (Jurkovich et al. 1993). So ist in den meisten Untersuchungen die Traumasterblichkeit nach posttraumatischer Intensivbehandlung bei Alkoholkrankheit ungefähr um den Faktor 2 erhöht. Neben den vielfältigen klinisch relevanten Organdysfunktionen, die durch Alkoholkonsum induziert werden, haben Tabakkonsum und weitere lebensstilassoziierte Risikofaktoren einen Einfluss auf das Outcome nach Operationen, Trauma oder kritischen Erkrankungen. Die Risikofaktoren können additiv, überadditiv oder potenzierend wirken (Spies et al. 2001, 2003, Tønnesen et al. 2009). Patienten mit einem zu erwartenden erhöhten perioperativen oder posttraumatischen Stress in Kombination mit Substanzmissbrauch sind besonders gefährdet, im Verlauf Komplikationen zu erleiden (beispielsweise bei längerer zu erwartender Immobilisierung, Analgosedierung, Infekt). Naturgemäß ist das Risiko von Komplikationen in verschiedenen Settings unterschiedlich, allerdings ist das zusätzliche relative Risiko für unterschiedliche chirurgische Eingriffe vergleichbar (Spies et al. 2001, Tønnesen et al. 2009). 459 ­ irkung von Alkohol und Tabak in ­bestimmten Lebensphasen und als ­besondere Risikofaktoren 460 5 Besonderheiten der W Endokrine Stressantwort. Auf Ebene der HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse) ist die endokrine Stressantwort auf das chirurgische Trauma bei diesen Patienten signifikant erhöht sowohl während als auch nach der Operation. So sind die Plasmakonzentrationen von Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol erhöht. Trauma oder Operationen verstärken die ethanolinduzierte Immunsuppression weiter. Zum Beispiel war die Immunreaktion bei alkoholkranken Patienten, die sich einem gastrointestinalen Eingriff unterzogen hatten, bereits präoperativ herabgesetzt und postoperativ zusätzlich abgeschwächt (Sander et al. 2006, Spies et al. 2004, 2006, Lau et al. 2009). Lebererkrankungen oder Splenomegalie können aggravierend hinzukommen. Ferner können Interventionen, zum Beispiel Medikamente, die die Stressachse modulieren, oder eine 4-wöchige Abstinenz die Stressantwort deutlich verbessern (Tønnesen et al. 1999, 2009). Zelluläre Abwehr. Chronisch erhöhter Alkoholkonsum beeinträchtigt deutlich die zelluläre Abwehr, wie es sich an einer deutlichen Supprimierung der zellulären „Delayed Type Hypersensitivity“ (DTH) zeigt. Die DTH ist schon durch Trauma bzw. Operation per se herabgesetzt. Dies hat einen relevanten Effekt auf die Immunabwehr (Lau et al. 2009). Nach Abstinenz kommt es bereits nach 2 Wochen zu einer signifikanten Verbesserung der DTH, die sich dann nach 8 Wochen normalisiert. Auch die Stressantwort normalisiert sich nach 4-wöchiger Abstinenz. Dies steht im Einklang mit einer Untersuchung, die eine Reduktion der postoperativen Morbidität nach elektiven Eingriffen durch eine disulfiramgestützte präoperative Abstinenz von 4 Wochen zeigte (Tønnesen et al. 1999, 2009). Wundinfektionen. Das Auftreten von chirurgischen Wundinfektionen ist mit einer Alkoholkrankheit signifikant stärker assoziiert als beispielsweise mit einer Wundkontamination. Dem erhöhten Risiko von Wundinfektionen liegt wahrscheinlich eine Kombination aus Immunsuppression, Gerinnungsstörung und beeinträchtigter Wundheilung zugrunde (Tønnesen et al. 2009). thesie, Magenentleerungsstörung und Sicherung der Atemwege). Eine neurologische Untersuchung und Dokumentation ist hier zielführend (Neumann et al. 2003). Alkoholentzugssyndrom. Bis zu 50 % der Patienten mit erhöhtem Alkoholkonsum (>60 g pro Tag) sind durch die Entwicklung eines Alkoholentzugssyndroms gefährdet. Die Differenzialdiagnose des Delirs bzw. des Alkoholentzugssyndroms ist bei intensivmedizinischen Patienten nicht trivial. Die Diagnose eines Alkoholentzugssyndroms sollte erst dann gestellt werden, wenn weitere vital bedrohliche Differenzialdiagnosen bzw. Komplikationen, wie Blutungen, metabolische Entgleisungen, Infektionen, Intoxikation, Hypoxie, Schmerzen oder fokale neurologische Symptome, ausgeschlossen oder behandelt sind und anamnestisch oder laborchemisch ein Hinweis auf eine Alkoholkrankheit vorliegt. Metabolische Störungen (z. B. Glukose, Elektrolyte) sollten adäquat diagnostiziert und therapiert werden (Sander et al. 2006, Spies et al. 2001). Weitere Komplikationen. Akut lebensbedrohlich sowohl bei schädlichem Gebrauch als auch bei der Alkoholintoxikation (gegebenenfalls aggraviert durch Erbrechen und Diarrhö oder Hypoxie) können Elektrolytstörungen (Kalium, Natrium, Kalzium, Magnesium, Phosphat und Chlorid), Hypoglykämien (durch Hemmung der Glukoneogenese), Störungen der Temperaturregulation und kardiovaskuläre Symptome (Tachykardie und Hypotonie) sein. Bei intoxikierten Patienten können durch eine alkoholbedingte Hemmung des antidiuretischen Hormons mit gesteigerter Diurese eine generalisierte Vasodilatation und durch eine Hypovolämie eine Hypotension auftreten. Vasodilatation in Verbindung mit der Vigilanzbeeinträchtigung können in unseren Breiten zu einer Hypothermie führen. Hypoxien. Sie werden bei 18 % der chronisch alkoholkranken Patienten während einer stationären Behandlung beTabelle 5.2 Geschätzte Erholungszeit1) für alkohol-/tabakassoziierte Organdysfunktionen nach Abstinenz von Tabak- bzw. Alkoholkonsum (Quelle: Tønnesen et al. 2009). Organdysfunktion Erholungszeit Immunkompetenz 2–8 Wochen Komplikationen bei kombiniertem Substanzmissbrauch. Der Missbrauch von mehr als einer Substanz ist häufig. Eine toxikologische Untersuchung ist diagnostisch oft weiterführend. Alkohol- und Nikotinmissbrauch sind häufig vergesellschaftet, eine weiter erhöhte kardiovaskuläre bzw. pulmonale Morbidität, Wundheilungsstörungen etc. sind zusätzlich zu beachten (Spies et al. 2003). Wundheilung 2 Monate endokrine Stressantwort 2–12 Wochen Knochenheilung 6 Monate Hämostase 1–4 Wochen Neurologische Komorbiditäten. Sie sind häufig multifaktoriell bedingt und betreffen das zentrale und/oder das periphere (einschließlich das autonome) Nervensystem. Sie sollten präoperativ dokumentiert sein und in die Planung der Narkose eingehen (z. B. demenzielle Syndrome und präoperative Aufklärung, Polyneuropathie und Regionalanäs- •• asymptomatisch 1 Monat •• symptomatisch 1–6 Monate kardiale Funktion: 1) Datenlage zur Frage des Effekts einer Abstinenz auf Komplikationsrate in Bezug auf notwendige Dauer der Abstinenz und Effekt der Schwere der Organdysfunktion noch ungenügend Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. definiert als Beatmungspflichtigkeit für mehr als 48 Stunden, verbunden (Moss u. Burnham 2009). 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin Abb. 5.3 Charité-Algorithmus (CDT: kohlenhydratdefizientes Transferrin, EtG: Ethylglucuronid, GGT: γ-Glutamyltransferase, MCV: mittleres korpuskuläres Volumen). NOLQLVFKH5RXWLQH'HWHNWLRQVUDWH² &$*('HWHNWLRQVUDWH² SRVLWLY! 461 QHJDWLYRGHU QLFKWDXVZHUWEDU SRVLWLY SRVLWLY SRVLWLY SUlYHQWLYH%HKDQGOXQJ 5HHYDOXDWLRQ SUlYHQWLYH%HKDQGOXQJ QLFKWHUIRUGHUOLFK 'HWHNWLRQVUDWH² richtet und können ebenfalls zu Arrhythmien führen bzw. zu weiteren kardialen Komplikationen beitragen (Neumann et al. 2003). ■■ Screening Screening mit substanzspezifischen Fragebögen (CAGE [(Cut down, Annoyance, Guilty, Eyeopener], AUDIT [Alcohol Use Disorders Identification Test]) bzw. Laborwerten in Hochrisikogruppen hat sich bewährt (Neumann u. Spies 2003, Neumann et al. 2003, Sander et al. 2006). Screening ist auch bei anderen Patientengruppen sinnvoll, allerdings ist hier mit einer höheren Zahl von Patienten zu rechnen, die einen allenfalls riskanten Alkoholkonsum betreiben. Auch diese Patienten können aber von individuellen Beratungsangeboten profitieren. Die frühzeitige Diagnose eines zumindest schädlichen Alkoholkonsums ist wichtig, um weitere präventive Maßnahmen zu induzieren und bei Patienten mit Abhängigkeit zum Beispiel ein Alkoholentzugssyndrom vermeiden zu können. Bei diesen Patienten kann ein „sequenzielles“ Screening (also aufeinander aufbauend: Eigen- und Fremdanamnese + körperlicher Untersuchung + alkoholspezifischer Fragebogen + Laborwerte) deutlich mehr Patienten mit einem Risiko detektieren. Wenn sich ein positiver Befund ergibt, sollten nach einer klinischen Evaluierung weitere präventive Maßnahmen mit dem Patienten besprochen bzw. durchgeführt werden. Die Diagnose beruht auf der Synopsis (Neumann u. Spies 2003, Sander et al. 2006) folgender Maßnahmen (Abb. 5.3): Eigen- und Fremdanamnese (inklusive gezielter Evaluation von Substanzgebrauch), körperliche Untersuchung und Abklärung von traumatologischen, internistischen oder neurologischen Befunden (z. B. alte Rippenfraktur), alkoholspezifische Fragebögen (neben dem AUDIT-Fragebogen zur Screeningdiagnostik von alkoholbezogenen Störungen ist der CAGE-Test zur Primärevaluation einer Alkoholabhängigkeit besonders geeignet), •• •• •• ••Laborwerte (Neumann u. Spies 2003). Die Bestimmung von Markern des erhöhten chronischen Alkoholkonsums (einem erhöhten perioperativen Risiko entsprechen mehr als 60 g Ethanol pro Tag über Wochen bzw. Monate), wie γ-Glutamyltransferase (GGT), kohlenhydratdefizientes Transferrin (CDT), mittlerem korpuskulärem Volumen (MCV) und/oder Phosphatidylethanol (PEth), sollte möglichst früh nach der Krankenhausaufnahme erfolgen. Im Akutfall sind eine zusätzliche Blutalkoholbestimmung und eine toxikologische Untersuchung weiterführend. Die Domäne der Marker des chronischen Konsums sind Patienten, die keine oder keine verwertbaren bzw. glaubhaften Angaben zum Konsum machen können. CDT zeigte eine Assoziation zu einer erhöhten posttraumatischen Morbidität in einer älteren Untersuchung. Die Bestimmung von Ethylglucuronid (EtG) im Urin (oder Haar) ist sinnvoll, wenn eine Abstinenz validiert bzw. evaluiert werden soll, zum Beispiel vor Lebertransplantation (auch mehrfach einsetzbar). EtG im Urin kann bis zu 80 Stunden nach dem letzten Konsum von Alkohol detektiert werden. ■■ Therapie und Prophylaxe Die Alkoholkrankheit ist eine behandelbare Erkrankung. Eine Reihe von effektiven therapeutischen Optionen steht zur Verfügung und sollte dem Patienten angeboten werden. So können Intensivbehandlungen vermieden oder verkürzt werden, wenn ausreichende Screeningverfahren und motivierende Kurzinterventionen, eine präoperative Abstinenztherapie, bedarfsangepasste Anästhesieverfahren, eine Entzugsprophylaxe bzw. -therapie, die Therapie von Begleiterkrankungen und/oder vor bzw. nach einer Operation ein qualifizierter Entzug (Mann et. al. 2006) angeboten wird. Therapie des Alkoholentzugssyndroms. Entwickelt ein Patient ein Alkoholentzugssyndrom, sollte er frühzeitig therapiert werden. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. &'7**70&9FKURQLVFK(W*VXEDNXW 'HWHNWLRQVUDWH² ­ irkung von Alkohol und Tabak in ­bestimmten Lebensphasen und als ­besondere Risikofaktoren 462 5 Besonderheiten der W Zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms werden Benzodiazepine (i.v. oder p.o., z. B. Lorazepam, Diazepam, Chlordiazepoxid) als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Symptomorientiert können als adjuvante Therapie bei vegetativen Symptomen Clonidin, bei Halluzinationen Haloperidol verabreicht werden. Alternativ zu Benzodiazepinen wird Clomethiazol p. o. (cave: erhöhte Bronchorrhö) verabreicht. Bei milder Ausprägung ist ein 6-tägiges Regime mit Carbamazepin möglich. Diese Medikamente ergänzen sich kausal im Hinblick auf die beim Alkoholentzugssyndrom auftretenden Transmitterimbalancen des GABAergen (Benzodiazepine, Clomethiazol), dopaminergen (Haloperidol, Risperidon) und noradrenergen Systems (Clonidin) (Spies u. Rommelspacher 1999, Sander et al. 2006). Ein symptomorientiertes, scoregestütztes Vorgehen kann im Gegensatz zu einem fixen Behandlungsschema die Behandlungszeit, den Medikamentenverbrauch und die Komplikationsrate reduzieren (Spies et al. 1999, Spies et al. 2003). Die Gabe von Alkohol als Therapeutikum zur Delirbehandlung ist obsolet. Ein operationalisiertes Screening auf Delir bzw. eine operationalisierte Schweregradeinteilung haben sich bewährt. Der Delirium Detection Score (DDS; Tab. 5.3, Otter et al. 2005) ist für den intensivstationären Einsatz validiert und ist eine Weiterentwicklung der Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale (Sullivan et al. 1987). Außerdem kann die Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS) verwendet werden: Sie ermöglicht eine differenzierte Einstufung zwischen +4 Punkten (Patient ist gefährlich agitiert, aggressiv) und –5 Punkten (Patient auch mit stärksten Stimuli nicht erweckbar) (Sander et al. 2006, Spies et al. 2006). Prophylaxe des Alkoholentzugssyndroms. Der Übergang zwischen Prophylaxe und Therapie kann als fließend angesehen werden. Das Alkoholentzugssyndrom kann durch eine prophylaktische Behandlung des Patienten entweder verhindert oder zumindest in seinem Schweregrad reduziert werden. Auch hier werden GABAerg wirksame Medikamente in Kombination mit α2-Agonisten oder Neuroleptika verwendet. Als Mittel der ersten Wahl werden Benzodiazepine (i.v. oder p.o., z. B. Lorazepam, Diazepam, Chlordiazepoxid) eingesetzt. Als adjuvante Therapie können bei vegetativen Symptomen α2-Agonisten (Clonidin), bei Halluzinationen Neuroleptika (z. B. Haloperidol) symptomorientiert verabreicht werden. Bei älteren Patienten sollte an kurzwirksame Benzodiazepine bzw. Neuroleptika gedacht werden. Bei stationären, nicht bettlägerigen Patienten wird in europäischen Ländern oft Clomethiazol p.o. verwendet. Bei der Therapie mit Neuroleptika sollte die QTc-Zeit überwacht werden. Zur Prophylaxe des Alkoholentzugsyndroms wird den Patienten häufig auch Alkohol angeboten. Dies sollte nur nach ausreichender Evaluation des Abstinenzwunsches erfolgen. Bei der Verabreichung höherer Dosen sind die bekannten relevanten negativen Nebenwirkungen zu bedenken (Sander 2006, Spies u. Rommelspacher 1999, Spies et al. 2006). Thiaminsubstitution. Eine adäquate parenterale Thiaminsubstitution sollte zur Prophylaxe der Wernicke-Enzephalopathie (Augenmotilitätsstörungen, z. B. horizontaler Blickrichtungsnystagmus, Reflexstörungen, Bewusstseinstörungen, Desorientiertheit, Apathie und Somnolenz, zerebelläre Rumpf-, Stand- und Gangataxie, Störungen der Feinmotorik mit Dysdiadochokinese, bulbäre Sprechstörung [Dysarthrie], Dysphagie, Schlafstörung und vegetative Störungen wie Hypotonie Hypothermie und Hyperhidrose, organische Psychose) schon auf Verdacht erfolgen (Thompson et al. 2002). Die alkoholkonsuminduzierten pathophysiologischen Veränderungen sind potenziell oder zumindest partiell reversibel. Veränderungen bei Abstinenz. In einem Zeitraum von 2 Wochen bis 2 Monaten nach Beginn der Abstinenz normalisiert sich die Hypersensitivität vom verzögerten Typ (DTH), wobei Veränderungen der HPA-Achse, wie die veränderte Kortisolantwort auf Stress, für mehr als 6 Monate alteriert sein können. Ferner normalisieren sich die alkoholinduzierten kardialen Dysfunktionen in einem Zeitraum von einem Monat, auch die alkoholische Kardiomyopathie bessert sich in der Hälfte der Fälle nach 3–6 Monaten Abstinenz. Im Entzug kommt es zu einer Zunahme der Plättchenzahl und der Thromboxanbildung, die verlängerte Blutungszeit normalisiert sich im Rhythmus der Plättchenlebenszeit. Eine 8-wöchige Abstinenz soll die Wundheilung bei diesen Patienten verbessern. Auch der Schlaf bessert sich, Hypoxien werden im Zeitraum von 3–6 Wochen Abstinenz seltener (Spies et al 2001, 2004, Tønessen et al. 1999, 2009). Hier besteht noch Forschungsbedarf, zum Beispiel ist die optimale Dauer der erforderlichen Abstinenz unklar. In einer kleinen randomisierten Untersuchung von 1999 an nicht abhängigen Patienten, die 60–420 g Alkohol pro Tag konsumierten, konnte eine disulfiramgestützte präoperative Abstinenz mit einer begleitenden medizinisch-psychosozialen Betreuung von 4 Wochen die postoperative Morbidität nach kolorektalen Eingriffen verringern. In der Interventionsgruppe betrug die Abstinenzrate 90 %, die Komplikationsrate sank signifikant von 74 auf 31 % (Tønnesen et al. 1999, 2009). Weitere Interventionen. Eine Intervention mit dem Ziel eines nicht riskanten Konsums (für nicht abhängige Männer <40 g pro Tag bzw. Frauen <20 g pro Tag bzw. spezieller Ent- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Ein inadäquater oder verspäteter Therapiebeginn kann die Entzugssymptomatik verschlimmern. 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin Schmerzbehandlung. Eine adäquate Schmerzbehandlung ist nicht nur bei alkoholkranken Patienten essenziell (Hampel et al. 2006). Kurzinterventionen. Es besteht eine hinreichende Evidenz, dass sich eine Reduktion des Alkoholkonsums (Häufigkeit, Menge, „Binge Drinking“) sowie schadensmindernde Effekte (Ausmaß der negativen Konsequenzen eines fortgesetzten exzessiven Gebrauchs, zum Beispiel Anzahl der Tage in stationärer Behandlung oder der Notfallaufnahmen) bis zu 48 Monate nach der Durchführung einer Kurzintervention nachweisen lassen. Kurzinterventionen sind kurze (5–60 Minuten Länge) Beratungsgespräche (z. B. „Motivational Interviewing“) mit einem nicht konfrontativen, Ambivalenz akzeptierenden, aber direktiven Gesprächsstil. Nicht nur diese sind effektiv, sogar eine individuelle computergestützte Beratung und ein Feedback führte zu einer deutlichen Reduzierung des Alkoholkonsums nach 6 Monaten (Neumann et al. 2006). Ferner können ein Feedback über mögliche Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum und der erhobenen Befunde zur Diagnosestellung beitragen. Hier ist auf eine sachliche, bestimmte und empathische (bzw. nicht konfrontative), aber direktive Gesprächsführung (z. B. nach den FRAMES-Kriterien, Tab. 5.4) zu achten, um mit dem Patienten ein Arbeitsbündnis schließen zu können. Das kurze Gespräch sollte vor allem auf das Ziel ausgerichtet sein (Change Talk), eine genauere Aufarbeitung der „Versäumnisse“ oder „Verfehlungen“ ist weniger hilfreich. Dies gilt analog für anderes riskantes Verhalten (Mundle et al. 2004, Rist et al. 2003). Kurzinterventionsprogramme sind in verschiedenen Settings evaluiert worden: In den meisten Studien zum Beispiel im Allgemeinarztbereich fand sich eine konsistente Reduktion des Alkoholkonsums, überwiegend bei männlichen Patienten (Kaner 2009). Der Erfolg einer Intervention kann auch an der Rate der Patienten mit einem erhöhten Alkoholkonsum gemessen werden, die 1 Jahr nach der Kurzintervention weniger als die empfohlene Menge an Alkohol tranken: In einer Metaanalyse von Beich et al. (2003) wurde allerdings eine Effekt­rate von nur 2–3 % gefunden. Hier wurden 8 Studien eingeschlossen, die Gesundheitsfragebögen für Screening einsetzten und eine Kurzintervention verwendeten mit Feedback, Information und Vermittlung von Rat. •• •• Bei diesen Studien konnte eine Verzerrung (Bias) bis hin zu einer Überbewertung identifiziert werden: In empirischen Studien wird externe Validität angenommen, wenn sich die Resultate allgemeingültig auf die Population oder sogar über das konkrete Setting der Studie hinaus verallgemeinern lassen. Externe Validität wurde beispielsweise als eingeschränkt diskutiert, weil 3 von 4 riskant trinkenden Patienten bei einer ausgiebigeren Evaluierung sich nicht für die geplante Intervention qualifizierten. Als Beispiel: Es wurden bei 1000 Patienten, die die Screeningprozedur durchliefen, 90 positive identifiziert. Davon qualifizierten sich letztendlich 25 für eine Kurzintervention, von denen dann nach einem Jahr 2,6 (95 %-Konfidenzintervall: 1,7–3,4) berichteten, dass sie den Rat befolgten und jetzt weniger als die empfohlene Menge Alkohol tranken (Beich et al. 2003). Hinsichtlich der Möglichkeiten der Kurzintervention herrscht noch Forschungsbedarf, vor allem in Bezug auf Krankenhauspatienten und die Möglichkeiten einer präoperativen Kurzintervention in einem multimodalen Konzept. Medikamenteninteraktionen. Sie sollten beachtet werden. Im Einzelfall ist die Fachinformation zu konsultieren. Es ist zwischen akuten Wirkungen von Alkohol und induzierten Veränderungen durch chronisch erhöhten Alkoholkonsum zu unterscheiden: Der größte Teil des Ethanols wird durch die Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd oxidiert (und weiter via Acetaldehyddehydrogenase [ALDH] zu Acetat), während der Rest überwiegend durch die Katalase oder das Cytochrom P450 2E1 (CYP2E1) umgesetzt wird. Ethanol stellt nicht nur ein Substrat für CYP2E1 dar, sondern induziert dieses Enzym. Ethanol beeinflusst damit die Metabolisierung von Pharmaka und chemischen Verbindungen des Phase-I-Metabolismus (CYP2E1-assoziierte Reaktionen). Andere wichtige CYP2E1-Induktoren sind Isoniazid, Imidazol, Ketonkörper, Übergewicht und Diabetes mellitus. Akuter Alkoholkonsum führt zu einer Hemmung von CYP2E1 durch direkte Kompetition. Der Metabolismus über CYP2E1 wird hierdurch eingeschränkt. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. zug und Abstinenz für Alkoholabhängige) wenige Tage präoperativ zeigte keinen positiven Effekt. Die kurze präoperative Abstinenz wurde als mögliche Erklärung für diesen negativen Befund angeführt. Weiterhin reduzierten einige methodische Probleme die Aussagekraft dieser Untersuchung. Interessanterweise bestanden ausgeprägte Rekrutierungsprobleme (3788 Patienten gescreent in 2 Jahren und 10 Monaten, 136 Patienten konnten eingeschlossen werden; Shourie et al. 2006). In einer Interventionsstudie wurde gezeigt, dass durch eine pharmakologische Intervention mit Morphin, niedrig dosiertem Ethanol und Ketoconazol im Vergleich zu Plazebo die bei alkoholkranken Patienten prolongierte Kortisolantwort auf den operativen Stress verhindert und damit die Infektionsinzidenz reduziert werden kann. Alkohol kann in Absprache mit dem Patienten und seinen (evaluierten) Wünschen bezüglich einer weiteren Abstinenz in einer Dosierung von 0,5 g/kg/Tag i. v. oder p. o gegeben werden. Diese Gabe dient aber nur der Stressprävention, bei abhängigen Patienten sollten additiv obige Medikamente zusätzlich verabreicht werden, da die alleinige Alkoholgabe in der angegebenen Dosierung bei prädisponierten Patienten ein Delir meist nicht verhindern kann (Spies et al. 2006). 463 ­ irkung von Alkohol und Tabak in ­bestimmten Lebensphasen und als ­besondere Risikofaktoren 464 5 Besonderheiten der W einem N-Methylthiotetrazol-Rin]g), Metronidazol, Mepacrin, Procarbazin, Furazolidin, Quinacrin, Chloramphenicol oder Griseofulvin) ein Antabus-Syndrom (Acetaldehydintoxikation durch Hemmung der ALDH) mit Hypotension, Tachykardie, Flush, Schwitzen, Kopfschmerz und Erbrechen nach akuter Alkoholaufnahme auslösen. Trichloressigsäure als aktiver Metabolit des Chloralhydrats ist ein kompetitiver Hemmstoff der ALDH und selbst Substrat dieses Enzyms. Weiterhin hemmt Ethanol die Glukuronidierung der Trichloressigsäure. Unter chronisch erhöhtem Alkoholkonsum sind ferner weitere Interaktionen beschrieben, zum Beispiel mit Tolbutamid (Spiegel erniedrigt), Phenytoin (Spiegel erniedrigt) und Warfarin (Halbwertszeit reduziert). Dagegen wird beispielsweise durch die akute Aufnahme von Alkohol unter Tabelle 5.3 Delirium Detection Score (DDS). Validierte Weiterentwicklung des CIWAr für intensivmedizinische Zwecke; alternativ können auch der NuDesc und die CAM-ICU verwendet werden. CIWAr: The revised Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale, NuDesc: Nursing Delirium Screening Scale, CAM-ICU: Confusion Assessment Method in the Intensive Care Unit. Punkte 0 1 4 7 Orientiertheit orientiert zu Zeit, Ort und Person, kann sich konzentrieren kann sich nicht konzentrieren, unsicher zu Zeit und/ oder Ort nicht orientiert zu Zeit und/oder Ort nicht orientiert zu Zeit, Ort und Person Halluzinationen keine zeitweise leicht ständig leicht bis mittel ständig schwer Agitation normale Aktivität etwas gesteigerte Aktivität moderate Unruhe oder Ruhelosigkeit schwere Unruhe Angst keine Angst in Ruhe geringe Angst zeitweise moderate Angst akute Panikzustände Myoklonien/ Krampfanfälle keine Myoklonien paroxysmales ­Schwitzen keine Hyperhidrosis kaum fassbar, meist nur Handinnenflächen Schweißtropfen auf der Stirn alternierter SchlafWach-Rhythmus keiner mild, Patient klagt über Schlafstörung Patient schläft nur mit Patient schläft trotz hoher Medikation Medikation nachts nicht, Tagesmüdigkeit Tremor (Arme ausgestreckt Finger ­gespreizt) keiner nicht sichtbar, aber spürbar moderater Tremor (Fingerspitzen) (ausgestreckte Arme) Krampfanfälle Punkte werden addiert, Delir: 8 Punkte und mehr Tabelle 5.4 FRAMES: patientenorientierte Gesprächsführung sollte sich an diesen Regeln orientieren. Feedback: Aufklärung über das Risiko Responsibility: Einbeziehung des Patienten in therapeutische und risikovermindernde Maßnahmen Aims: mit klar formulierten Zielen Menue of behavioural changes: Maßnahmen Empathie in einer direktiven, aber empathischen und wertschätzenden Gesprächsführung Selbstwirksamkeit: mit Betonung der Selbsteffizienz des Patienten schwere Hyperhidrosis, nass geschwitzt schwerer Tremor (auch bei nicht ausgestreckten Armen) Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Bei chronisch erhöhtem Alkoholkonsum kann es bei abfallendem Alkoholspiegel bereits bei sonst nicht toxischen Paracetamoldosen zu einer vermehrten Bildung des hepatotoxischen Metaboliten N-Acetyl-p-Benzochinonimin (NAPQI) kommen. Eine Aggravation durch Fasten und Mangelernährung wird vermutet. Ein vorübergehender Anstieg des Serumfluorids nach Sevoflurannarkosen ohne relevante klinische Effekte ist beschrieben. Es ist anzunehmen, dass dies durch CYP2E1-Induktion verstärkt wird. Auch das heute noch gebräuchliche Narkosegas Isofluran und das neuere Desfluran werden deutlich weniger durch CYP2E1 verstoffwechselt. Im Fall der akuten Alkoholzufuhr können zum Beispiel einige Medikamente (Disulfiram, Kalziumkarbimid, Sulfonylharnstoffe [der ersten Generation], Cephalosporine [mit 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin Besonderheiten bei der Narkose. Bei der Narkoseeinleitung sollten eine mögliche Hypovolämie, Hypothermie und eine erhöhte Aspirationsgefahr bedacht werden. Bei alkoholkranken Patienten sollten vor allem psychoaktive Medikamente wie Narkotika immer nach Wirkung titriert werden (Neumann et al. 2003). Low- oder Minimal-Flow-Anästhesie verzögert bei alkoholisierten Patienten die Abatmung von Alkohol. Psychiatrisches Konsil. Bei bestehender Alkoholabhängigkeit ist ein psychiatrisches Konsil zu veranlassen. Die Motivationslage sollte erhoben und gegebenenfalls die Indikation zur Entwöhnungsbehandlung gestellt werden. Die Durchführung einer qualifizierten Entzugsbehandlung kann ambulant oder stationär erfolgen. Bei diesen Patienten sollte geprüft werden, ob sie von der Gabe von Anticraving-Substanzen (Naltrexon, Acamprosat) bzw. Aversiva (Disulfiram) profitieren könnten. Auch Patienten mit riskantem Alkoholkonsum sollten effektive Maßnahmen nicht vorenthalten werden. Gegebenenfalls sind weitere medizinische und psychosoziale Maßnahmen über den Hausarzt einzuleiten. Tabelle 5.5 Fortsetzung. •• ZNS (CNS) •• Hypoxie •• Mangelerscheinungen •• Endokrinopathien •• akut vaskulär •• Toxine/Drogen •• Schwermetalle Suizidalität erwägen Talk down möglich Benzodiazepine (cave Neuroleptika: Hyperthermie, senken Krampfschwelle) spezielle Therapie bei Verdacht auf Mischkonsum (z. B. Stimulanzienmissbrauch); Antihypertensiva (cave: Vasospasmen, Blockieren der Rezeptoren: Alpha vor Beta!) körperliche Untersuchung: Hinweise auf Trauma (z. B. SHT, Vergewaltigung? ) Kristalloide i.v. bei Volumenmangel, Hypotonie, Rhabdomyolyse Sauerstoffgabe instabiler Kreislauf? Arrhythmien? EKG? QT-Verlängerung? Gegebenenfalls Kardioversion nötig? Elektrolyte? Furosemid bei Lungenödem Natriumbicarbonat i.v, z. B. Rhabdomyolyse: Urin-pH 7,45– 7,55 Nierenversagen und Leberfunktionsstörungen: symptomatische Therapie, Dialyseverfahren, Lebertransplantation Tab. 5.5 zeigt eine Checkliste bei Verdacht auf Alkoholnotfall bzw. unklare Intoxikation. chronische Infektionen (z. B. HIV, Hepatitis-B-, -C-VirusInfektion)? Tabelle 5.5 Therapieoptionen, Checkliste bei Verdacht auf Alkoholnotfall bzw. unklare Intoxikation (Auswahl). Temperaturregulation: Kühlen bei Hyperthermie: physikalisch, Benzos, Dantrolen (?), Antipyretika? Wärmen bei Unterkühlung im Notfall schnelle Diagnostik und Therapie Elektrolyte, Glukose: gegebenenfalls substituieren Selbstschutz epileptische Anfälle? Universalalgorithmus: Reanimation BLS, ACLS DIC ungeschützte Atemwege: frühe Intubation Rhabdomyolyse Mischkonsum? Giftnotruf: Tel. 19 240 (in Deutschland) Dekontamination meist sinnlos Verhinderung von Komplikationen, zielorientierte Therapie Delir: Symptomatik wechselt! Differenzialdiagnose Delir: „I watch Death“ Motivation zur Behandlung? Ressourcen des Patienten? •• Infektionen •• Entzug •• akut metabolisch •• Trauma ACLS: Advanced Cardiac Life Support, BLS: Basic Life Support, DIC: Disseminierte Intravasale Gerinnung, SHT: Schädel-Hirn-Trauma Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Warfarinmedikation die antikoagulatorische Wirkung verstärkt. Verapamil soll den Ethanolabbau verzögern, den Ethanolplasmaspiegel erhöhen und die Alkoholwirkung verstärken (Neumann et al. 2003, Riordan u. Williams 2004, Vagts et al. 2003; s. auch Fachinformationen „Rote Liste“). 465 ­ irkung von Alkohol und Tabak in ­bestimmten Lebensphasen und als ­besondere Risikofaktoren 466 5 Besonderheiten der W Die erhöhte Morbidität, die mit chronisch erhöhtem Alkoholkonsum assoziiert ist, ist gut behandelbar: Auf der Grundlage einer adäquaten Diagnostik und einer rechtzeitig gestellten Diagnose sollten effektive, präventive Strategien eingesetzt bzw. Folgeerkrankungen evidenzgerecht und symptomorientiert behandelt werden. Gerade hier ist eine professionelle und empathische Kommunikation hilfreich – mit einem Augenmerk auf eine mögliche Stigmatisierung. Der Patient sollte möglichst über die Behandlung informiert sein bzw. eingebunden werden. Hierbei ist auf eine sachliche, bestimmte und empathische (bzw. nicht konfrontative), aber direktive Gesprächsführung zu achten, um mit dem Patienten ein Arbeitsbündnis schließen zu können. le mehr spielen sollten. Dies kann bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung die Inzidenz von Myokard­ischämien deutlich steigern. Erhöhtes CO-Hb im Blut prädisponiert zu ST-SegmentSenkungen unter Belastung. Darüber hinaus kann eine Nikotinkarenz von 12–48 Stunden beim kardialen Risikopatienten die perioperative kardiale Morbidität reduzieren. Auch bei Patienten ohne koronarer Herzerkrankung werden intraoperativ häufiger ST-Segment-Senkungen beobachtet, wenn unmittelbar präoperativ geraucht wurde und eine erhöhte exspiratorische CO-Konzentration (>35 ppm) bestand. Aufgrund auch dieser Überlegungen wird ein perioperativer Rauchstopp von 12–48 Stunden gefordert (Zwissler u. Reither 2005). Im Hinblick auf das Aspirationsrisiko erhöht akutes Rauchen weder das Volumen noch die Azidität des Magensafts. 5.5.3 Tabakkonsum Etwa jeder 3. Patient raucht. Dies beinhaltet einen täglichen Konsum von mindestens einer Zigarette oder einem vergleichbaren nikotinenthaltenden Produkt. Die Morbidität ist deutlich erhöht, überdurchschnittlich viele Raucher finden sich unter Patienten mit Neoplasien, Gefäßerkrankungen bzw. kardialen und pulmonalen Erkrankungen. Dementsprechend ist die Häufigkeit für perioperative pulmonale Komplikationen sowie kardiovaskuläre Komplikationen und Wundinfektionen deutlich erhöht. Die häufigsten Komplikationen sind beeinträchtigte Wundund Gewebeheilung, Wundinfektionen sowie kardiopulmonale Komplikationen. ■■ Folgen akuten Rauchens Kohlenmonoxid-Hämoglobin (CO-Hb) wird routinemäßig an anästhesiologischen Arbeitsplätzen bestimmt. CO-Hb ist ein exzellenter Marker, um akutes Rauchen bei Traumapatienten aufzuzeigen. Die Toleranzgrenze des CO-Hb sollte heruntergesetzt werden: bei Frauen auf 1,6 % und bei Männern auf 1,8 % (Neumann et al. 2008). Tabakmissbrauch wird meist spontan berichtet. Kohlenmonoxid (CO) ist im Blut erhöht, bindet am Hämoglobin und reduziert die Sauerstoffbindungskapazität des Hämoglobins signifikant (bis 15 %; Neumann et al. 2008, Tonnesen et al. 2009). Zusätzlich stehen erhöhte pNicotin-Spiegel mit einem erhöhten Sympathikustonus in Verbindung: Es kommt zu einer erhöhten Herzfrequenz, einem erhöhten Blutdruck und einem erniedrigten peripheren Blutfluss durch eine Vasokonstriktion. Ein erhöhter Sauerstoffverbrauch trifft hier auf ein erniedrigtes Sauerstoffangebot. Netto kann dies in relevanten Stromgebieten zu einer relativen Hypoxie führen. Klinisch relevant sind kardiale Ischämien und Wundheilungsstörungen. Die Halbwertszeit von CO-Hb und Nicotin beträgt etwa 12 Stunden, sodass diese Effekte nach kurzer Abstinenz keine Rol- Zigarettenrauchen senkt den Druck im unteren Ösophagussphinkter, allerdings ist dieser Effekt bereits nach 5 Minuten voll reversibel (Zwissler u. Reither 2005). Das Rauchen von Zigaretten verzögert die Entleerung von festen, nicht jedoch von flüssigen Nahrungsbestandteilen aus dem Magen. Raucher leiden seltener an postoperativer Übelkeit und Erbrechen, eine Komplikation mit einer hohen Relevanz für die postoperative Morbidität. Dadurch kann die Rekonvaleszenz nachteilig verlangsamt sein (Zwissler u. Reither 2005). Die pulmonale Morbidität ist bei Patienten, die bis zum Operationstermin rauchen, gegenüber absoluten Nichtrauchern um das 2- bis 6fache erhöht (Zwissler u. Reither 2005). Bei Rauchern sind die Lungenkapazität und die Ziliarfunktion reduziert bzw. die Verschlusskapazität ist erhöht. Die Mukusproduktion ist erhöht, aber die Clearance der pulmonalen Sekretion ist vermindert (Moller et al. 2003, Zwissler u. Reither 2005). Dies kann auch sonst asymptomatische jüngere Raucher betreffen. Dies ist mit erhöhter postoperativer pulmonaler Morbidität verbunden. Unter elektiver Chirurgie traten pulmonale Komplikationen bei 22 % der Raucher und bei 4,9 % der Nichtraucher auf (Pappert u. Thomaschewski 2008). Bei Oberbaucheingriffen kann die Rate noch höher sein. Die Wundheilung ist durch Tabakkonsum beeinträchtigt: Unter anderem ist die Kollagenproduktion beeinträchtigt. Rauchen beeinträchtigt die Immunfunktion. Dies führt zu einem erhöhten Risiko für Infektionen. Das Immunsystem erholt sich nach 2–6 Wochen der Rauchabstinenz, die Wundheilung nach 3–4 Wochen und die Lungenfunktion nach 6–8 Wochen. ■■ Präoperative Raucherentwöhnung Zur präoperativen Raucherentwöhnung existieren sechs randomisierte Studien, mit Abstinenzraten zwischen 40– 89 % (Tønnesen et al. 2009), die eine positive Wirkung auf Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Zusammenfassung 5.5 Alkohol und Tabak als Risikofaktor in Anästhesie und Intensivmedizin die Rauchgewohnheiten zeigen. Drei Studien evaluierten die Wirkungen auf die postoperative Morbidität: Ein 6- bis 8-wöchiger Rauchstopp zeigte eine positive Wirkung auf die Rate behandlungspflichtiger Komplikationen (52 versus 18 %), speziell auf die Wundkomplikationsrate (31versus 5 %). Hier wurden in zwei Gruppen je 60 Patienten mit Hüft- oder Kniegelenkersatzoperationen untersucht. Auch nach 3-4 Wochen Rauchstopp zeigte sich eine positive Wirkung, ein Rauchstopp-Programm reduzierte die postoperative Komplikationsrate von 41 auf 21 % bei allgemeinchirurgischen Patienten. Kein positiver, aber auch kein negativer Effekt (41 versus 43 %) zeigte sich nach einer Rauchabstinenz von 1–3 Wochen. Hier wurden kolonchirurgische Patienten untersucht. Das genaue Ausmaß einer effektiven präoperativen Raucherintervention ist noch unklar, aber ohne eine gewisse Intensität ist der Effekt nicht ausreichend. Mindestens wöchentliche Visiten werden empfohlen, 3- bis 4- bzw. 6- bis 8-wöchige Programme zeigten eine Wirkung. Adaptiert an den Grad der Nikotinabhängigkeit (Fagerström-Test) wird eine Nikotinsubstitution empfohlen, die möglichst unentgeltlich erfolgen sollte. Die CO-Messung in der Ausatemluft eignet sich als Monitoring. Die notwendige Beratung umfasst Hinweise zur Durchführung des Rauchstopps mit zu erwartenden Vor- und Nachteilen, wie Nebenwirkungen, die Beratung über den Umgang mit Entzugssymptomen sowie eine Ernährungs- und Bewegungsberatung wegen der zu erwartenden Gewichtszunahme (Tønnesen et al. 2009). Ein möglicher negativer Effekt eines präoperativen Rauchstopps wurde aufgrund älterer retrospektiver Untersuchung postuliert (Bluman et al. 1998, Tønnesen et al. 2009, Warner 1984). Diese Untersuchungen wurden aber wegen methodischer Schwächen kritisiert. Unter anderem wird ein Selektionsbias vermutet (kränkere Patienten sind eher geneigt, präoperativ das Rauchen einzustellen), und es waren überwiegend leichtere Komplikationen (z. B. Notwendigkeit, eine Aerosolbehandlung bei Atelektasen einzusetzen) betroffen. In den oben genannten Studien traten schwerwiegende pulmonale Komplikationen (z. B. Pneumonie, Reintubation, unvorhergesehener Einsatz intravenöser Steroide oder Aminophylline) selten auf und es zeigten sich keine Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens zwischen den Gruppen (präoperativer Rauchstopp vs. kein Rauchstopp). Die Bedeutung des Rauchens bzw. die Möglichkeiten des Rauchstopps bei chirurgischen Patienten unterstreicht eine Untersuchung, die die Wundinfektionsrate von sakralen Inzisionen an 78 Freiwilligen (48 Raucher ohne und mit Nikotinersatztherapie bzw. 30 Nichtraucher) untersuchte: 228 Wunden wurden untersucht, die Infektionsrate war bei Rauchern signifikant höher: 12 % (11 von 93 Wunden) versus 2 % (1 von 48 Wunden) bei Niemalsrauchern (p <0,05). Die Wundinfektionsrate war niedriger nach 4, 8, und 12 Wochen nach Randomisierung, verglichen mit Rauchern ohne Rauchstopp, nicht aber nach einer Woche. Kein Unterschied wurde zwischen Plazebo und Pflastertherapie beobachtet (Sorensen et al. 2003). Zusammenfassend ist auszuführen, dass der Evidenzgrad für ein präoperatives Raucherentwöhnungsprogramm von 3–4 bzw. 6–8 Wochen „1b“ beträgt und es sich so um eine „A“-Empfehlung handelt. Sowohl Tabak- als auch erhöhter Alkoholkonsum sind relevante Risikofaktoren für eine erhöhte Morbidität in der perioperativen Phase bzw. bei einer kritischen Erkrankung. Ein multimodales evidenzbasiertes Vorgehen kann diese erhöhte Morbidität reduzieren und sollte den Gegebenheiten angepasst sein (z. B. elektiv, dringlich, Notfall; Tab. 5.6). •• •• Bezogen auf die perioperative Morbidität sind kürzere Abstinenzphasen nicht nachteilig. In den oben erwähnten drei Untersuchungen wurden die Interventionen von den klinischen Experten durchgeführt (Tønnesen et al. 2009). Zusammenfassung Tabelle 5.6 Allgemeine Strategien bei Tabak- und erhöhtem Alkoholkonsum. Screening (Anamnese, körperliche Untersuchung, Fragebögen, Marker), Diagnostik: alle Patienten sollten befragt werden Abstinenz erwägen, abstinenzorientierte Interventionsprogramme, die 3–8 Wochen präoperativ beginnen, sind viel versprechend in Bezug auf relevante postoperative Komplikationen (kardiopulmonal, Wundkomplikationen) medikamentöse Prophylaxe des Entzugssyndroms Substitutionstherapie (Nikotin/Alkohol/Drogen) Detoxifikation, qualifizierter Entzug, Selbsthilfe, Therapie stressreduzierende Maßnahmen bei Verdacht auf eine veränderte Stressantwort intensivmedizinisches Management: Evaluierung und Verbesserung beeinträchtigter Organdysfunktionen (z. B. präoperativer Beginn mit Physiotherapie und Atemtherapie, medikamentöse Optimierung) Vitamin B1 i. v. bei Verdacht auf Alkoholabhängigkeit und Malnutrition motivierende Gesprächsführung: Kommunikation (FRAMES: Feedback, Verantwortung benennen, klarer Rat, Änderungsoptionen aufzeigen, Empathie, Ambivalenz akzeptieren, Selbsteffizienz betonen) im Notfall mit möglicher vitaler Bedrohung: Sicherung der Vitalfunktionen und zielorientierte Therapie Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. •• 467 Literatur Beich A, Thorsen T, Rollnick S. Screening in brief intervention trials targeting excessive drinkers in general practice: systematic review and meta-analysis. Br Med J 2003; 327: 536–542 Geyer D, Batra A, Beutel M et al. Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen. Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und der Dt. Ges. f. 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