4 Thema aktuell Foto: 123RF (stylephotographs) Gestolpert, gestrauchelt — und schon ist der Knochen gebrochen. Wenn im höheren Lebensalter bereits eine ungünstige Bewegung genügt, um sich eine Knochenfraktur zuzuziehen, ist meist eine ­Osteoporose verantwortlich – eine der zehn häufigsten Krankheiten der Welt. In Deutschland leben etwa sechs Millionen Betroffene, 85 Prozent davon sind Frauen. Das beste Mittel, um schwache Knochen zu stärken, ist: B ­ ewegung — und zwar regelmäßige. Von Dr. Nicole Schaenzler Volkskrankheit Knochenschwund Aktiv gegen Osteoporose O steoporose (»Knochenschwund«) verringert die Knochenmasse, lässt die Knochen porös werden und verändert die Knochenstruktur. Dieser schleichende Prozess vollzieht sich meist über Jahre hinweg ohne Beschwerden. Doch irgendwann halten die Knochen einer Belastungen nicht mehr stand. Häufig lenkt erst ein Knochenbruch ohne nennenswerte äußere Einwirkung den Blick auf eine bestehende Osteoporose. Meist sind Oberschenkelhals, Becken (siehe Interview, Seite 5), Unterarm- und Handgelenkknochen betroffen, aber auch Brüche an den Wirbelkörpern der Wirbelsäule oder den Rippen(bögen) sind keine Seltenheit. Ist der Knochenschwund weit fortgeschritten, reichen mitunter ein Hustenanfall, ein Bücken, Heben oder Stolpern aus, um eine sogenannte Spon­tan­ fraktur zu provozieren. Eine ebenfalls häufige Folgeerscheinung sind kleine Einrisse in Knochen, die oft für schwer lokalisierbare Schmerzen im Rumpf verantwortlich sind. Entgegen der landläufigen Meinung sind Knochen keine statischen, unveränderlichen Gebilde – Knochen altern. Sie sind hochaktive Teile des Körpers mit einem eigenen Stoffwechsel, der dafür sorgt, dass in ihnen laufend Knochensubstanz auf- und abgebaut wird. Dadurch sind die Knochen in der Lage, sich durch stetigen Umbau den sich laufend verändernden statischen Bedingungen des Skeletts anzupassen, z. B. während des Körperwachstums, des Heilungsprozesses nach Knochenbrüchen oder bei einer stärkeren Beanspruchung, etwa durch Sport oder Übergewicht. Zwischen dem 30. bis 40. Lebensjahr besitzt das menschliche Skelett die größte Knochenmasse. Topfit 1 / 2017 Kontinuierlicher Verlust an Knochensubstanz Rückenschmerzen können erste Anzeichen sein Mit Beginn des fünften Lebensjahrzehnts beginnt der Abbau die Neubildung von Knochensubstanz zu überwiegen: Die Knochenmasse nimmt um etwa 0,5 bis ein Prozent pro Jahr ab. Liegt eine Osteoporose vor, ist der jährliche Verlust an Knochensubstanz deutlich höher: Mindestens zwei, oft sogar mehr als drei Prozent verlieren die Knochen dann an Dichte und Masse. Zudem wird das Bindegewebsgerüst des Knochens poröser, und bei der Mineralisation wird weniger Kalzium eingebaut. Dies hat zur Folge, dass die Stabilität der Knochen stetig abnimmt und mechanische Belastungen immer weniger kompensieren können. Sie werden anfällig für Brüche. Osteoporose bleibt lange Zeit eine stille Krankheit. Aber irgendwann meldet sie sich. Meist ist es die Wirbelsäule, an der sich der Verlust an Knochensubstanz zuerst schmerzhaft bemerkbar macht: Osteoporotisch veränderte Wirbelkörper beginnen sich zu verformen und damit ihre Formbeziehung zueinander zu verändern; die umliegenden Bänder lockern sich, die Abstände zwischen den einzelnen Wirbelkörpern verringern sich. Mit der Zeit wirken sich die statischen Veränderungen auf den gesamten Wirbelsäulenapparat aus: Die Höhe der Wirbelsäule nimmt ab, ebenso verliert sie immer mehr an Stabilität. Der Organismus versucht, die Instabilität mithilfe von Muskeln und Bändern zu kompensieren. Hierdurch wird vor allem die Rückenmuskulatur übermäßig belastet, sodass es über kurz oder lang zu schmerzhaften Muskelverspannungen und -verhärtungen kommt. Anhaltende, dumpfe und oft nur schwer lokalisierbare Rückenschmerzen können aber auch durch kleine (unbemerkte) Einrisse in den Wirbelkörpern, etwa im Brust- oder Lendenwirbelsäulenbereich, verursacht werden. Quälende Schmerzen treten auf, wenn es durch die Defekte in den Wirbelkörpern zu Einblutungen kommt, die dann die hochschmerzempfindliche Knochenhaut dehnen. Hinzu kommt: Eine unbehandelte Osteoporose geht oft mit einer Deformierung der Wirbelsäule sowie mit einer Abnahme der Körpergröße einher; bis zu vier und mehr Zentimeter kann der Größenverlust betragen. Ein Rundrücken oder eine Verringe- Osteoporose als Folge von ­Medikamenten und Erkrankungen Gelegentlich ist Osteoporose eine medikamentös bedingte Folgeerscheinung, verursacht etwa durch eine Langzeittherapie mit Kortison. Zudem kann Osteoporose Folge einer Erkrankung sein. Hormone wie Kortison oder Schilddrüsenhormone haben einen direkten Einfluss auf den Knochenstoffwechsel. Funktionsstörungen von hormonproduzierenden Organen, wie sie z. B. bei einer Überfunktion der Schilddrüse oder dem Cushing-Syndrom auftreten, wirken sich deshalb ungünstig auf die Knochenzellaktivität aus. Aber auch ein Typ-1-Diabetes oder rheumatische Erkrankungen leisten der Entstehung einer Osteoporose Vorschub. Thema aktuell 5 Foto: Krankenhaus Barmherzige Brüder München (Claudia Rehm) Das Interview zum Thema Im Gespräch mit TOPFIT erläutert Dr. Markus Stumpf vom Krankenhaus Barmherzige Brüder München u. a., weshalb ein osteoporotisch bedingter Knochenbruch meist operativ stabilisiert werden muss — und warum »Blaulicht« und Kunststoff neue Möglichkeiten in der Frakturbehandlung eröffnet haben. Herr Dr. Stumpf, ein osteoporotisch bedingter Knochenbruch muss häufig operiert werden. Was sind die Gründe? Dr. Stumpf: Knochenbrüche bei einer bestehenden Osteoporose zu versorgen stellt eine besondere Herausforderung für den Unfall­chirurgen dar. Durch eine unzureichende Knochenfestigkeit kann einerseits ein Knochen ohne adäquates Trauma brechen, andererseits führt die Osteoporose auch zu einer zeitlich verlängerten Heilung des Knochenbruchs. Im Allgemeinen benötigt ein Knochenbruch etwa sechs Wochen, bis er verheilt ist; bei einem geschwächten Knochen kann die Heilung allerdings doppelt so lange dauern. Die Ruhigstellung in einem Gipsverband ist in der Regel keine adäquate Behandlungsoption, da während dieser Zeit die Knochenmasse weiter abnimmt. Hinzu kommt: Durch die altersbedingte Zunahme der Osteoporose sind es vor allem ältere Menschen, die von einem osteoporotisch bedingten Knochenbruch betroffen sind. Umso wichtiger ist eine rasche Mobilisierung, um z. B. einer längeren Bettlägerigkeit, Lungenentzündungen, Thrombosen oder der Entwicklung von Druckgeschwüren vorzubeugen. Ohne eine operative Stabilisierung des Knochenbruchs lässt sich eine möglichst schnelle Mobilisierung jedoch meist nicht erreichen. Dies bedeutet: Der Knochen muss mit Platten und Schrauben, Drähten oder Nägeln stabilisiert werden. Worauf muss bei der Stabilisierung eines geschwächten Knochens besonders geachtet werden? Dr. Stumpf: Die operative Stabilisierung des geschwächten Knochens gehört zu den besonders anspruchsvollen unfallchirurgischen Verfahren. Zunächst muss der Unfallchirurg die richtige Strategie wählen, um die umgebenden Weichteile nicht übermäßig durch den Eingriff zu schädigen. Deshalb werden soweit wie möglich weichteilschonende Operationsverfahren angewendet. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die richtige Implantatwahl. Es hat sich gezeigt, dass herkömmliche Platten und Schrauben, wie sie bis zum Ende der 1990er Jahre Verwendung fanden, in dem geschwächten Knochen keinen ausreichenden Halt finden. Seit knapp 20 Jahren gibt es deshalb winkelstabile Implantate, die die Versorgung deutlich verbessert haben. Dennoch muss eine ausreichende Knochenqualität vorhanden sein, um einen festen Schraubenhalt zu gewährleisten. Ist dies nicht der Fall, besteht seit Kurzem die Möglichkeit, den Knochen mit einem Kunststoff zu verstärken. Das Verfahren wird photodynamische intramedulläre Knochenstabilisierung genannt. Wie gehen Sie vor? Dr. Stumpf: In diesen besonders schwer zu behandelnden Fällen verstärken wir den Knochen mit einem Knochenzement. Der Begriff »Zement« ist eigentlich irreführend, denn faktisch handelt es sich um einen Kunststoff (PMMA). Dieser Werkstoff wird seit 50 Jahren zur Verankerung von künstlichen Gelenken in Knochen eingesetzt, und auch die Zahnärzte verwenden ihn seit vielen Jahren. Mithilfe Zur Person Dr. med. Markus Stumpf ist Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, spezielle Unfallchirurgie und Notfallmedizin sowie D-Arzt. Als Leiter der Sektion Unfallchirurgie des Krankenhauses Barmherzige Brüder München hat Dr. Stumpf auf dem Gebiet der operativen Versorgung von osteoporotisch bedingten Knochenbrüchen viel beachtete Pionierarbeit geleistet: Er war weltweit der erste Unfallchirurg, der mit blauem Licht gehärtete Kunststoff-Implantate einsetzte, um gebrochenen porösen Beckenknochen neuen Halt zu geben. Inzwischen ist die photodynamische intramedulläre Knochenstabilisierung ein anerkanntes Verfahren in der Behandlung von Frakturen bei stark reduzierter Knochenqualität. Nähere Infos: www.barmherzige-muenchen.de der minimal-invasiven Technik, bei der nur ein kleiner Hautschnitt notwendig ist, führen wir einen Kunststoffballon in den Markraum des Knochens ein, den wir dann mit dem Kunststoff befüllen. In der Mitte des Ballons liegt ein Lichtleiter. Wie beim Zahnarzt wird der Kunststoff nun mit blauem Licht ausgehärtet. Bereits mit diesem »Arbeitsgang« erreichen wir, dass der Knochen stabilisiert wird. Über weitere kleine Hautschnitte kann dann zusätzlich eine Platte an den Knochen geschoben werden, die mit Schrauben befestigt wird. Die Schrauben halten nicht nur im Knochen, sondern auch in dem Kunststoffnagel. Dieser wirkt wie eine innere Unterlegscheibe und verhindert, dass die Schrauben aus dem Knochen herausbrechen. Was ist das Besondere an dieser Vorgehensweise? Dr. Stumpf: Der Kunststoffnagel kann über kleine Hautschnitte eingeführt werden, da er sich ja letztlich erst im Körper ausdehnt und ausgehärtet wird. Dadurch ist dieses Verfahren weichteilschonender als das Einbringen fester Implantate. Außerdem passt sich der Kunststoffnagel an die innere Kontur des Knochens an. Vor allem hat uns die Methode die Möglichkeit eröffnet, nun auch Risikopatienten helfen zu können, bei denen wir mit herkömmlichen Verfahren nicht den gewünschten therapeutischen Effekt hätten erzielen können. Bei welchen Knochenbrüchen setzen Sie die Methode ein? Dr. Stumpf: Zuerst haben wir das Verfahren bei Brüchen des vorderen Beckenknochens mit Erfolg angewendet, übrigens weltweit das erste Mal. Inzwischen haben Krankenhäuser in ganz Deutschland die photodynamische intramedulläre Knochenstabilisierung in ihr Behandlungsspektrum aufgenommen. Bei Brüchen des Außenknöchels kann dieses Verfahren ohne zusätzliche Maßnahmen angewendet werden. Bei osteoporotischen Ober- oder Unterschenkelbrüchen setzen wir das Verfahren gemeinsam mit einer Plattenstabi­lisierung ein. Wie belastend ist das Verfahren? Dr. Stumpf: Die alleinige Versorgung von Knochenbrüchen mit dem Kunststoffnagel ist weniger belastend als die herkömmliche Verplattung, weil der operative Zugang zum Knochen kleiner gehalten werden kann. Bei der zusätzlichen Stabilisierung mit Platten ist das Verfahren nicht belastender als die alleinige Plattenversorgung. Ein weiterer Vorteil: Oftmals können wir unsere Patienten direkt nach der Operation voll belasten lassen. Topfit 1 / 2017 6 Thema aktuell rung des natürlichen Rippen-Beckenabstands sind ebenso typisch wie das »Tannenbaumphänomen« mit charakteristischen Hautfalten am Rücken, die sich durch den Verlust der Körpergröße und die Höhenminderung der Wirbelsäule gebildet haben. Festgestellt wird eine Osteoporose durch eine Messung der Knochendichte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die DualRöntgen-Absorptiometrie (DEXA), mit der der Mineralgehalt von Knochen mittels Röntgenstrahlen ermittelt wird. Regelmäßige Bewegung für starke Knochen Medikamentöse Behandlung Medikamente werden in der Regel erst verordnet, wenn eine manifeste Osteoporose diagnostiziert wurde. Bislang setzen Mediziner zur Basistherapie auf eine Kalzium- und Vitamin-DSubstitution in Tablettenform: Für Kalzium gilt eine Richtdosis 1000 Milligramm täglich (Frauen nach den Wechseljahren und Männer ab dem 61. Lebensjahr), für Vitamin D eine Dosisempfehlung von 800 bis 1000 Einheiten pro Tag. Was die verstärkte Zufuhr von Kalzium betrifft, so empfehlen viele Ärzte inzwischen, erst dann Foto: 123RF (tamsindove) Ergibt der Befund Grenzwerte oder gar eine beginnende Osteoporose, ist es oft noch möglich, gegenzusteuern. Neben einer knochengesunden Ernährung bildet körperliche Aktivität die zweite Säule der Osteoporose-Prävention. Regelmäßige Bewegung ist sogar dann noch empfehlenswert, wenn eine Osteoporose bereits manifest geworden ist: Studien belegen, dass der Knochenaufbau mit gezielten Bewegungsprogrammen noch in fortgeschrittenem Alter angeregt werden kann. Hierbei werden nicht nur Koordination, Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit verbessert, sondern auch Durchblutung und Stoffwechselaktivität werden gesteigert – Effekte, von denen im Übrigen nicht nur die Knochen, sondern der gesamte Organismus profitiert. Viele Osteoporosepatienten, die bereits einen Knochenbruch erlitten haben, schrecken jedoch vor der Ausübung einer Sportart zurück, weil sie Angst haben, durch die körperliche Beanspruchung könnten weitere Knochen brechen. Die- se Sorge ist in den meisten Fällen unbegründet: Es gibt inzwischen zahlreiche Bewegungstherapien, die speziell für Osteoporosekranke entwickelt wurden und unter Anleitung eines Physiotherapeuten erlernt werden können. Selbst wenn die Beweglichkeit bereits beeinträchtigt ist, kann durch die Übertragung der während des Übungsprogramms erzeugten Kraft von Muskeln, Sehnen und Bändern gezielt Reize auf die Knochen ausgeübt werden, um so die Neubildung von Knochensubstanz anzuregen. Wer schon einen Knochenbruch erlitten hat oder zu einer Risikogruppe zählt, sollte vor Aufnahme des Trainings Rücksprache mit dem Arzt halten. Folgende Sportarten sind sinnvoll: ▸▸ Übungen, die eine höhere Muskelkraft erfordern, z. B. moderates Krafttraining oder kraftbetonte Gymnastik. Auch ein gezieltes Training zur Sturzprophylaxe unterstützt Betroffene. ▸▸ Schwimmen, Radfahren, Tanzen, Bergwandern oder (Nordic) Walking, mit denen sowohl die Kraft von bestimmten Muskelgruppen als auch die Ausdauer trainiert werden kann. Knochengesunde Ernährung Kalzium ist der Stoff für den Knochenaufbau. Es findet sich in Milch und Milchprodukten, grünen Gemüsen, Sojabohnen oder Nüssen. Unterstützt wird die Kalziumaufnahme in die Knochen von Vitamin D, das hauptsächlich mithilfe von Sonnenlicht im Körper gebildet wird. Gestört wird der Knochenaufbau von Phosphaten aus Wurst, Fleisch und Colagetränken. Topfit 1 / 2017 Risikofaktor Ös trogenmangel Die konkreten Ursachen der Entstehung einer Osteoporose sind nach wie vor nicht genau bekannt. Fest steht jedoch, dass neben dem Lebensalter Östrogenmangel zu den wichtigsten osteoporosefördernden Faktoren gehört. Frauen in bzw. nach den Wechseljahren sind deshalb mit Abstand am häufigsten betroffen. Besteht eine familiäre Vorbelastung, ist die Osteoporosegefahr besonders groß. Darüber hinaus können sich Zyklusstörungen mit ausbleibender Regel, aber auch die Entfernung von Eierstöcken und Gebärmutter oder Kinderlosigkeit ungünstig auf die Knochengesundheit von Frauen in späteren Jahren auswirken. Risikofaktor Lebens weise Während das Alter, das Geschlecht oder eine erbliche Veranlagung zu den nicht beeinflussbaren Risikofaktoren gehören, kann auch die Lebensweise eine Osteoporose fördern. Beeinflussbare Risikofaktoren sind: ▶ Bewegungsmangel ▶ kalziumarme Ernährung ▶ Vitamin-D-Mangel ▶ Untergewicht ▶ langjähriges Rauchen ▶ regelmäßiger Alkoholkonsum Kalziumpräparate einzunehmen, wenn anhand einer Blutuntersuchung tatsächlich ein Mangel des Mineralstoffs nachgewiesen wurde. Einige Studien weisen nämlich darauf hin, dass sich zumindest für Menschen, die sich ohnehin kalziumbewusst ernähren und nicht an einem nachgewiesenen Kalziumdefizit leiden, das Risiko für ein Herzleiden erhöhen könnte, wenn sie jeden Tag zusätzlich zur Kalziumtablette greifen. Hinzu kommen Wirkstoffe, die entweder einen weiteren Knochenabbau verhindern (z. B. Strontiumranelat) oder den Knochenaufbau (z. B. Parathormon 1-84) unterstützen. Welches Medikament geeignet ist, richtet sich nicht zuletzt danach, wie hoch das Risiko für eine Fraktur ist. Die mit Abstand am meisten verordnete Wirkstoffgruppe in der Osteoporosetherapie sind Bisphosphonate: Sie hemmen die Aktivität der knochenabbauenden Zellen und erhalten so die Architektur der Knochen. Sie werden meist als Wochen- bzw. Monatstablette verordnet. Ihre Wirksamkeit gegen fortschreitenden Knochenschwund ist zwar unbestritten, doch leider vertragen nicht alle Bisphosphonate gleichermaßen gut. In diesem Fall kann eine Injektions- bzw. Infusionstherapie eine Alternative sein, die alle drei bzw. alle zwölf Monate durchgeführt wird. Thema aktuell Knochenschwund und Muskelschwund Eine unheilvolle Kombination Nicht nur die Knochen, sondern auch die Muskeln büßen im Alter an Substanz ein. Ist der Verlust an Muskelmasse und -kraft stark ausgeprägt, sprechen die Ärzte von »Sarkopenie« — ein Krankheitsbild, das oft gemeinsam mit Osteoporose auftritt. »Umso wichtiger ist es, bei Patienten mit einem erhöhten Frakturrisiko neben den Knochen immer auch die Muskeln in die Diagnostik und Therapie mit einzubeziehen«, sagt Prof. Dr. med. Ralf Schmidmaier, der Leiter des Osteologischen Schwerpunktzentrum (OSZ) an der LMU — Bayerisches Osteoporosezentrum. Von Dr. Nicole Schaenzler Herr Prof. Schmidmaier, warum ist Muskelschwund für alte Menschen so problematisch? Prof. Schmidmaier: Sarkopenie ist gekennzeichnet durch einen ausgeprägten Verlust an Muskelmasse, Muskelkraft und Muskelfunktion. Dadurch nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit ab, die Betroffenen sind weniger belastbar, schneller erschöpft und haben Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen. Mit einer Sarkopenie ist also nicht nur eine Einschränkung der Lebensqualität verbunden, sondern sie gefährdet auch die Mobilität und Selbstständigkeit des Betroffenen. Denn zum Wesen einer Sarkopenie gehört leider auch, dass sie das Sturzrisiko erhöht. Gerade für ältere Menschen kann ein Sturz dramatische Folgen haben … Prof. Schmidmaier: … das ist richtig, insbesondere, wenn gleichzeitig eine Osteoporose besteht. Die Kombination Sarkopenie und Osteoporose — von Ärzten auch Osteosarkopenie genannt — kommt sehr viel häufiger vor, als lange Zeit gedacht. Für unsere Therapieansätze zur Verringerung des individuellen Sturz- bzw. Frakturrisikos bedeutet dies, dass nicht nur die Osteoporose, sondern auch die Sarkopenie im Fokus steht: Nur mit einer kombinierten Förderung der Knochen- und Muskelgesundheit lassen sich sturzbedingte Knochenbrüche vermeiden oder das Risiko dafür zumindest deutlich minimieren. Welche körperlichen Einschränkungen sind typisch für eine Sarkopenie? Prof. Schmidmaier: Da praktisch alle motorischen Funktionen ein gewisses Maß an Muskelmasse, Muskelkraft und -funktion voraussetzen, ist eine Vielzahl von körperlichen Einschränkungen möglich. Oft haben Sarkopenie-Patienten nicht mehr genug Kraft in den Armen, um den Einkaufskorb zu tragen oder eine Flasche zu öffnen. Oder sie haben Schwierigkeiten, aus dem Bett aufzustehen oder sich ohne Abstützhilfe aus dem Sessel zu erheben. Zudem führt der Kräfteverlust in den Beinen zu einem deutlich reduzierten Gehtempo. Die Ermittlung der Ganggeschwindigkeit ist denn auch — neben der Ermittlung der Muskelmasse, einer dynamometrischen Handkraftmessung und anderen standardisierten Bewegungstests — eines der diagnostischen Kriterien: Bei einem Sarkopenie-Patienten liegt sie unter einem Meter pro Sekunde. Möglicherweise stehen aber auch andere Beeinträchtigungen wie Appetitlosigkeit oder Müdigkeit (Fatique) mit einer Sarkopenie in Zusammenhang; hierbei sind Ursache und Folge jedoch schwer auseinanderzuhalten. Da nicht alle alten Menschen an einer Sarkopenie erkranken, scheint es spezielle Krankheitsursachen zu geben. Welche sind das? Prof. Schmidmaier: Wie die Osteoporose, so ist auch die Sarkopenie ein multifaktorieller Vorgang, wobei die Erkrankungen auffällige pathogenetische Ähnlichkeiten aufweisen. Noch sind allerdings nicht alle Ursachen des übermäßigen Muskelabbaus geklärt. Fest steht jedoch, dass neben genetischen Faktoren sowie bestimmten neuromuskulären und hormonellen Veränderungen u. a. auch Lebensstil-Faktoren eine Rolle spielen. Dabei leisten vor allem Bewegungsmangel und eine Fehl- bzw. Mangelernährung einem Muskelabbau Vorschub. Ebenso geht Muskelschwund mit einigen chronischen Erkrankungen einher. Wie wird eine Sarkopenie behandelt? Prof. Schmidmaier: Weltweit wird intensiv an Medikamenten geforscht, die den Muskelwiederaufbau fördern können. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren solche Medikamente im klinischen Alltag einsetzen können. Bislang ist eine medikamentöse Behandlung jedoch noch nicht möglich. Deshalb steht eine Optimierung der Ernährung sowie ein kombiniertes Bewegungsprogramm aus Kraft- und Gleichgewichtstraining im Vordergrund der Therapie. Studien belegen, dass mit einem moderaten, individuell abgestimmten Trainingsprogramm nicht nur Muskelkraft und Muskelfunktion verbessert werden, sondern auch die Muskelmasse gesteigert wird. Unterstützt wird der Therapieeffekt durch 7 eine proteinreiche Ernährung, die wichtig für die Muskelproteinsynthese und damit für den Muskelaufbau ist. Wir empfehlen unseren Patienten, pro Mahlzeit mindestens 25 bis 30 Gramm Protein aufzunehmen. Besonders wertvoll ist Leucin, eine essenzielle Aminosäure, die vorwiegend in Milchprodukten, insbesondere in Molke, enthalten ist. Wichtig ist zudem eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung. Es wird angestrebt, den Vitamin-DSpiegel über 30 Nannogramm pro Milliliter (ng/ml) zu halten; dies ist bei geriatrischen Patienten in der Regel jedoch nur über eine Substitution in Tablettenform möglich. Von diesen Maßnahmen profitieren im Übrigen auch Osteoporose-Patienten. Was sind die Schwerpunkte der ­Spezial­sprechstunde für Sarkopenie und ­Osteosarkopenie? Prof. Schmidmaier: Als Universitätsklinik widmen wir uns vornehmlich den komplizierten Fällen. Es geht also vor allem um den Ausschluss von zugrunde liegenden Erkrankungen, z. B. eines Cushing-Syndroms oder eines Mangels an Geschlechtshormonen. Was die Sarkopenie betrifft, so können wir derzeit »nur« beraten. Doch möchten wir auch gezielt Patienten identifizieren, die für eine medikamentöse Therapie in Frage kommen, sobald es zugelassene Präparate gibt. Die meisten Patienten kommen wegen häufiger Stürze mit mehrfachen Frakturen zu uns. Wir versuchen, den Betroffenen ganzheitlich zu begegnen, nicht als »Sarkopenologen«. Das bedeutet: Wir wollen die Begleiterkrankungen, die Begleitmedikamente und die Lebensumstände sowie die individuellen Lebensziele berücksichtigen, um so die individuell beste Therapie für ihre Knochen und Muskel zu ermitteln. Langfristig streben wir an, nicht erst zum Zeitpunkt der geringen Gehgeschwindigkeit und der manifesten Osteoporose einzugreifen, sondern präventiv das gesunde und erfolgreiche Altern zu begleiten. Kontakt Medizinische Klinik und Poliklinik IV Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. med. Ralf Schmidmaier Stellvertretender Direktor der ­Medizinischen Klinik IV und Leiter des Osteologischen Schwerpunktzentrums (OSZ) an der LMU — Bayerisches Osteoporosezentrum Spezialsprechstunde für ­Sarkopenie und Osteosarkopenie Anmeldung: Tel. 089 / 4400–52330 Privatsprechstunde: Tel. 089 / 4400–52354 Topfit 1 / 2017