Kasuistik: Akute Nierenschädigung bei einer 47

Werbung
#
April 2015
Medizin
BDI aktuell
Kasuistik: Akute Nierenschädigung
bei einer 47-jährigen Patientin
Eine 47-Jährige wird wegen
akuter Nierenschädigung
zur weiteren Diagnostik und
Therapie in eine nephrologische Abteilung verlegt. Initial hatte sie über Fieber,
Kopf- und Gliederschmerzen berichtet. In der MRT
zeigte sich eine Einblutung
in die Adenohypophyse.
seninsuffizienz ist selten und kann verschiedene Ursachen haben (Endocrinol Metab Clin North Am 1992;
21(4):903, Dtsch Arztebl 2004;
101(11):A712–A717):
Erkrankung der Hypophyse (zum
Beispiel Hypophysitis),
Tumoren (Adenome, Zysten, etc.),
Operationen an der Hypophyse,
Bestrahlung,
Infiltrationen (zum Beispiel Hämochromatose)
Infarkt (Sheehan-Syndrom),
Apoplex,
Schädel-Hirn-Trauma
Von H.Friesicke, R. Gellner et al.
Wir bestimmten in Ergänzung die
übrigen Hormonachsen der Adenohypophyse: Kortisol (44,1 nmol/l, entspricht 16 ng/ml, Norm morgens:
43–225 ng/ml) und adrenokortikotropes Hormon (ACTH, 0,93 pmol/l,
entspricht 4,2 pg/ml, Norm 4,7–48,8
pg/ml) waren vermindert, und auch
luteinisierendes Hormon (LH), follikelstimulierendes Hormon (FSH),
hGH („human growth hormone“)
und IGF-1 („insulin-like growth factor“) waren allesamt erniedrigt. Die
Einblutung hatte somit eine komplette
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
bewirkt. Die Funktion des Hinterlappens war nicht beeinträchtigt: Zu keinem Zeitpunkt bestand ein Diabetes
insipidus. Es wurde eine Perimetrie
zum Ausschluss eine Chiasmabeteiligung ergänzt, die aber unauffällig war.
Wir berichten über eine 47-jährige Patientin, die aus einem externen Krankenhaus mit anurischer akuter Nierenschädigung (ANS) zur weiteren Diagnostik und Therapie in unsere nephrologische Abteilung verlegt wurde. Die
Patientin berichtete initial über Fieber
bis 40 Grad Celsius, Kopfschmerzen
und Gliederschmerzen. Nachfolgend
kamen abdominelle Schmerzen und
Sehstörungen hinzu. Die Patientin lebt
auf einem Bauernhof und arbeitet in
einer Zucht für Diskusfische, wo sie
auch für die Reinigung der Becken zuständig ist.
Laborchemisch zeigte sich eine akute Nierenschädigung mit einem Serumkreatinin von 730 mmol/l (entspricht 8,26 mg/dl), einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 6
ml/min und einem Serumharnstoff
von 33 mmol/l (entspricht 201 mg/dl).
Zudem fiel eine Entzündungskonstellation mit einem C-reaktivem Protein
(CRP) von 252,1 mg/l (Norm 0–5
mg/l) und einem Procalcitonin (PCT)
von 22,04 mg/ml (Norm # 0,05 mg/l)
auf, allerdings ohne eine Neutrophilie
im Differenzialblutbild oder Leukozytose. Die Thrombozyten waren mit
123 000/nl vermindert und die Lactatdehydrogenase (LDH) mit 294 U/l
(Norm , 247 U/l) erhöht.
Im Spontanurin zeigten sich ein Eiweiß von 20 633 mg/g Kreatinin, ein
Albumin-Kreatinin-Quotient
von
14 221 mg/g Kreatinin und eine Erythrozyturie von 250/µl. Folgende immunologischen Marker waren unauffällig:
antinukleäre Antikörper (ANA),
antineutrophile
zytoplasmatische
Antikörper (ANCA),
antiglomeruläre Basalmembranantikörper (anti-GBM),
Antikörper gegen dsDNS.
Hantaviren unter dem Elektronenmikroskop. ©
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Fazit für die Praxis
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Die Hantavirusinfektion ist eine
in manchen Gebieten Deutschlands endemische Erkrankung,
an die man bei Patienten mit
Fieber, Bauch- und Kopfschmerzen, Sehstörungen und akuter
Nierenschädigung denken sollte,
wobei auch oligosymptomatische
Verläufe beschrieben sind.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Sonographisch konnte eine postrenale Ursache der ANS ausgeschlossen
werden.
Aufgrund der ANS mit Anurie
wurde zunächst eine Nierenersatztherapie mittels Hämodialyse eingeleitet
und wegen des Infektgeschehens mit
noch deutlich erhöhtem PCT die Antibiotikatherapie, die bereits im externen Krankenhaus begonnen wurde,
fortgesetzt. Im Verlauf entwickelte die
Patientin Diarrhöen (eine Stuhluntersuchung auf Clostridium difficile war
unauffällig) und milde Hypoglykämien
bis 3 mmol/l (entspricht 55 mg/dl,
Norm 70–115 mg/dl).
Die Elektrolyte und der Blutdruck
waren im Normbereich. Auffällig waren das thyreoideastimulierende Hormon (TSH) mit 0,01 µIE/ml (Norm
0,4–4,00 µIE/ml) und das freie Trijodthyronin (fT3) mit 0,74 pg/ml (Norm
2,00–4,00 pg/ml) deutlich vermindert
– das freie Tetrajodthyronin (fT4) war
im Normbereich.
In der Magnetresonanztomographie
(MRT) zeigte sich eine Einblutung in
die Adenohypophyse.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Laborchemisch finden sich
häufig eine erhöhte LDH, eine
erniedrigte Thrombozytenzahl,
eine Kreatininerhöhung mit
verminderter GFR sowie eine
Proteinurie bzw. Mikrohämaturie
im Sinne einer tubulointerstitiellen Nephritis.
In seltenen Fällen kann es auch
zu einer hämorrhagischen
Infarzierung der Hypophyse mit
akuter Hypophyseninsuffizienz
kommen, die bei klinischem
Verdacht durch entsprechende
Hormonbestimmungen aufgedeckt und substituiert werden
muss.
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
BRIAN W.J. MAHY, LUANNE H. ELLIOTT / CDC
Differenzialdiagnosen
Serologisch konnte eine frische
Puumala-Hanta-Infektion (IgM-positiv) nachgewiesen werden, sodass wir
auf eine Nierenbiopsie verzichteten.
Die Hantavirusinfektion kommt als
einziges hämorrhagisches Fieber weltweit vor (Nephrol Dial Transplant
2010; 25:1740–1746). Von den bisher
22 verschiedenen Hantavirusspezies ist
jede mit einem bestimmten Träger
verbunden (Nephrol Dial Transplant
2010; 25:1740–1746). So wird der
Puumalavirus von der Wühlmaus
übertragen, bei der bis zu 20 Prozent
der Tiere als infektiös gelten und ein
hämorrhagisches Fieber mit renaler
Beteiligung auslösen können. Der
Kontakt zu Mäusen ist ein wichtiger
Faktor für die Verbreitung. Man geht
davon aus, dass das Virus mit Urin,
Speichel und Kot der Mäuse über
Areosole vom Menschen aufgenommen wird. Die Symptome des klassischen hämorrhagischen Fiebers mit
renaler Beteiligung (HFRS) sind Fieber, Blutung, Hypotension und Nierenversagen (Kidney Int 1992; Suppl
40 (Suppl 35):80–83)
Der klinische Verlauf ist aber individuell sehr variabel und hängt vom
Stamm ab, mit dem man sich infiziert.
Manche Patienten sind auch komplett
asymptomatisch. Es wird geschätzt,
dass nur 13 Prozent der Hantavirusinfektionen als solche diagnostiziert
werden (Nephrol Dial Transplant
2010; 25:1740–1746). Das Puumalavirus, der in Europa und Deutschland
am häufigsten anzutreffende Stamm,
verursacht im Regelfall – verglichen
mit den anderen Hantavirusspezies –
eine relativ milde Erkrankung (Nephrol
Dial
Transplant
2010;
25:1740–1746); sie kann sich mit abdominellen Schmerzen, Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen
sowie typischerweise Sehstörungen
präsentieren (Lancet Infect Dis 2003;
3(10):653–661).
Epidemiewellen treten typischerweise auf, wenn es viele Bucheckern
im Herbst und einen milden Winter
gibt, sodass die Wühlmaus Nahrung
im Überfluss findet und sich unter
diesen Bedingungen hervorragend vermehren kann (Nephrol Dial Transplant 2010; 25:1740–1746). Abnorme
Laborwerte
wie
Leukozytose,
Thrombopenie und LDH-Erhöhung
sind typisch. Auch erhöhte Kreatininwerte mit verminderter GFR, eine glomeruläre oder auch tubulointerstitielle
Proteinurie und mikroskopische Hämaturie sind sehr häufig anzutreffen.
Bei manchen Patienten kommt eine
oligurische ANS hinzu (Nephrol Dial
Transplant 2002; 17:245–246).
Das bei Aufnahme hohe CRP mit
PCT werteten wir im Verlauf als durch
die Hantavirusinfektion verursacht, da
eine bakterielle Infektion nicht nachgewiesen werden konnte (Blutkulturen
waren negativ); dies wird in der Literatur beschrieben (Scand J Clin Lab Invest 2011; 71:287–291). Eine Leptospirose konnte serologisch ausgeschlossen werden, und auch ein Hinweis für ein atypisches hämolytisches
(aHUS) oder ein hämolytisches Syndrom (HUS) ergaben sich bei mehrfach negativem Nachweis von Fragmentozyten und negativem ShigaToxin nicht.
Die erniedrigten TSH-Werte beziehungsweise das freie T3 und T4 kontrollierten wir, da initial von einem
Low-T3-Syndrom bei Sepsis ausgegangen wurde. Allerdings zeigte sich
auch im Verlauf das fT4 deutlich vermindert [,0,4 ng/dl (Norm 0,7–1,7
ng/dl)]. Alle diese Werte waren noch
vor einigen Wochen völlig normal, sodass von einem akuten Geschehen
ausgegangen werden musste. Daher
führten wir eine MRT durch, welche
als Befund in erster Linie eine Hypophyseneinblutung in Position der Adenohypophyse ergab. Dies wurde bereits zuvor in einzelnen Fällen bei
Hantavirusinfektionen
beschrieben,
die eine hämorrhagisches Fieber auslösen (AJNR Am J Neuroradiol 1995;
16:175–178). Die zentrale Hypophy-
Diagnose
Hämorrhagisches Fieber mit renalem
Syndrom bei Hantavirusinfektion mit
akuter Hypophysenvorderlappeninsuffizienz.
Es ergeben sich zwei wichtige Unterschiede des zentralen Mangels zur
primären Nebennierenrindeninsuffizienz (NNR) mit erhöhtem ACTH:
Es zeigt sich keine Hyperpigmentation.
Der Mangel an ACTH verursacht
keinen Salzverlust und keine Hypovolämie oder Hypokaliämie, da die
Renin-Aldosteron-Angiotensin-Achse
noch funktioniert; somit ist auch der
Blutdruck normal.
Eine Hypoglykämie kann aber – wie
auch bei unserer Patientin – auftreten.
Therapeutisch ist darauf zu achten,
dass bevor die Hypothyreose substituiert wird, ein Kortisolmangel ausgeschlossen beziehungsweise ausgeglichen wird, da ansonsten durch einen
thyroxininduzierten Kortisolabbau eine iatrogene Addison-Krise erzeugt
werden
kann
(Internist
2004;
45:795–814). Wir begannen bei erniedrigtem Kortisol eine Substitutionstherapie mit Hydrokortison (unter
Normalbedingungen 10–12 mg/m2)
und ersetzten auch das L-Thyroxin
mit 1,6 µg/kg KG (Lancet 2014;
383:2152–2167). Die gonadotropen
und somatotropen Achsen werden gegebenenfalls im Verlauf substituiert.
Im Verlauf ging es der Patientin zunehmend besser. Die Diurese setzte
wieder ein, und wir konnten die Dialyse beenden. Ein Notfallpass zum Umgang mit der Hypophyseninsuffizienz
wurde der Patienten ausgestellt. In der
Folge fiel das Serumkreatinin deutlich
ab, sodass die Patientin letztendlich in
gutem Allgemeinzustand entlassen
werden konnte.
Quelle: Friesicke H, Gellner R et al. (2014)
Akute Nierenschädigung bei einer 47jährigen Patientin - Nur eine virale Infektion? Nephrologe 10:315-317. Der Abdruck
erfolgte mit freundlicher Genehmigung der
Autoren.
Herunterladen