KAPITEL 10 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Die vorliegende Studie fokussiert die Geschlechterkonstruktionen im ungarischen Transformationsprozeß. Die Leitfrage lautete: Wie werden Begriffe der Geschlechterdifferenz und –(un)gleichheit gedeutet, dies vor dem Hintergrund von 40 Jahre sozialistischer Gleichheitsrhetorik und parallel zu der Wiederbelebung von traditionellen Geschlechterideologien nach der Wende sowie aufgrund den widersprüchlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männer. Diese Fragestellung wurde empirisch am Beispiel des Journalismusberufes untersucht. Beruf wurde dabei weniger aus der Perspektive der Professions- oder der Organisationsforschung betrachtet, sondern als zentraler Teil der Subjektkonstitution konzipiert. Ausgangspunkt war die Überlegung, daß im Wechselverhältnis von normativen und strukturellen Rahmungen das berufliche Selbstkonzept als ein Teil der Subjektkonstitution entwickelt wird. Die komplexen Strukturen und Normen, auf die Subjekte im Berufsfeld treffen, sind zum Teil inkonsistent und widersprüchlich. Widersprüche lassen sich nicht nur in Normen, Routinen, Organisations- und Arbeitsstrukturen innerhalb eines Berufes identifizieren, sondern auch im Verhältnis der Erwerbstätigkeit zu anderen Lebensbereichen. Wie wird Geschlecht im Rahmen eines solchen journalistischen Berufskonzeptes gedeutet? Wie werden berufliche Vorstellungen und vergeschlechtlichte Lebensentwürfe Teile von Geschlechterkonstruktionen? Das sind die Fragen, um die die erkenntnisleitende Interesse kreist. 363 364 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung In diesem abschließenden Kapitel werden die empirischen Ergebnisse systematisiert. Die Verknüpfungspunkte zwischen Berufs- und Geschlechterkonstruktionen werden thematisch geordnet zusammengefaßt. Hier kommen zwei Perspektiven zum Tragen: Erstens, wie die JournalistInnen am gesellschaftlich relevanten Wertesystem anknüpfen, indem sie das journalistische Berufsfeld aus der Perspektive von Geschlechter(un)gleichheit und –differenz beschreiben. Zweitens, wie ihre individuellen Berufs- und Lebenskonzepte hinsichtlich der Geschlechterdimension dargestellt werden. Danach stehen die Mechanismen im Mittelpunkt, die zwischen diesen beiden Perspektiven vermitteln: Wie wird das subjektive Selbstverständnis im Spannungsfeld von Beruf und Geschlecht auf das gesellschaftliche und berufliche Wertesystem bezogen? Abschließend wird ausgeführt, welche Strategien die befragten Frauen und Männer entwickeln, um den widersprüchlichen Handlungsanforderungen gerecht zu werden und wie sie zur Rekonstruktion der asymmetrischen Geschlechterkultur beitragen. 1 Anknüpfung an gesellschaftlich relevante Wertesysteme Die befragten JournalistInnen bewegen sich in ihren Argumentationen in einem normativen Widerspruch, dessen Grundstruktur einerseits von der alltäglichen Differenzerfahrung als Realitätsannahme und andererseits der normativen Erwartung der Gleichheit bestimmt ist. Sie beziehen sich immer wieder auf den gesellschaftlichen Konsens der Geschlechtergleichheit und betonen dessen handlungsleitenden Charakter. Die Wahrnehmung der Geschlechterverhältnisse wird aber weiterhin von der Differenzannahme geleitet. Um diese Ambivalenz aufzulösen werden im Rahmen der Gleichheitsnorm legitime Bereiche der Differenzkonstruktionen festgelegt. Die Geschlechterkonstruktionen sind also nicht übergreifend und universell nach der Prämisse der Gleichheit oder der Differenz festgelegt, sondern zeigen eine kontextabhängige Variabilität auf (vgl. auch Heintz/ Nadai 1998). 1.1 Beruf als Ort der Geschlechtergleichheit Als Ort für die Akzeptanz der Gleichheitsnorm steht der ‚rein‘ berufliche Bereich. Das zeigt besonders prägnante Konsequenzen in zwei thematischen Kontexten: Wie wird Geschlechter(un)gleichheit im Beruf wahrgenommen? Welche Lösungsansätze für die Abschaffung von Ungleichheit werden präsentiert? Anknüpfung an gesellschaftlich relevante Wertesysteme 365 Wahrnehmung von (Un)Gleichheit im beruflichen Kontext Die GesprächspartnerInnen beiderlei Geschlechts betonen zuerst, daß im Ungarischen Hörfunk weibliche und männliche KollegInnen ‚gleich‘ sind. Wie sich während der Analyse herauskristallisiert hat, ist diese Aussage vor allem als Bekenntnis für die Gleichheitsnorm zu interpretieren. In der Einzelfallanalyse wurde herausgearbeitet, wie unterschiedlich die GesprächspartnerInnen sich auf diesen Konsens beziehen. Bei den Männern führt diese normative Vorannahme zur Ausblendung von Ungleichheit. In ihren Deutungen wird die Wahrnehmung von Geschlechterdifferenz im beruflichen Kontext mit dem Ausüben von ungleicher Behandlung bzw. mit der Diskriminierung von Frauen gleichgesetzt. So verstößt schon die bloße Benennung von Geschlechterungleichheit gegen die Gleichheitsnorm. Diese Art von Verbindung zwischen Wahrnehmung und Handlung führt paradoxer Weise zu einer Wahrnehmungsbarriere, wobei diskriminierendes Verhalten, zumindest manifest, durch die Norm der Geschlechtergleichheit untersagt ist. Normativ festgeschrieben ist nicht nur, daß Frauen und Männer im Beruf ‚gleich‘ behandelt werden müssen, sondern auch, daß dieser Zustand auch tatsächlich, ‚faktisch‘ verwirklicht ist. Das schließt nicht aus, daß einzelne männliche Gesprächspartner auf diese Wahrnehmungsbarriere punktuell reflektieren, wie es bei Ralf W. der Fall ist: Er erklärt, daß er vielleicht deshalb ‚keine Unterschiede sieht, weil er selber keine machen will‘. Diese Reflexion erfolgt aber thematisch nur sehr begrenzt und erfüllt die Funktion, der Gleichheitsnorm widersprechende Erfahrungen, die nicht ausgeblendet werden können, in die Gleichheitskonstruktion zu integrieren, ohne die Glaubwürdigkeit der Person hinterfragen zu müssen. Für den Standpunkt der befragten Männer ist eine Distanzierung von der Geschlechterproblematik charakteristisch, die auch in der Ablehnung von Wahrnehmung der Ungleichheiten artikuliert wird. Die sehr vereinfachte Struktur dieser zirkulären Argumentationsmuster läßt sich so beschreiben: ‚Ich orientiere mich an der Gleichheitsnorm, deshalb berücksichtige ich in meinen Handlungen keine Geschlechterdifferenzen. Da ich sie nicht berücksichtige, sind sie nicht relevant, d.h. können ausgeblendet werden. Wenn sie aber ausgeblendet werden, dann gibt es eigentlich auch keine Differenzen. Folglich sind die beiden Geschlechter im Journalismusberuf gleich‘. Die selektive Wahrnehmung der Geschlechterdimension im Beruf wird dadurch unterstrichen, daß die Geschlechterfrage als eine individuelle Angelegenheit verstanden wird. Das bedeutet, daß einerseits der Gleichheitsnorm widersprechende Erfahrungen nicht auf strukturelle Hindernisse sondern auf die 366 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung individuelle Unfähigkeit bzw. das Desinteresse von weiblichen Journalistinnen zurückgeführt werden und andererseits die Karriere einzelner Frauen als Beweise zitiert werden, um die Gültigkeit der Gleichheitsnorm zu belegen. Die interviewten Frauen weisen hingegen darauf hin, daß es trotz des Gleichheitsgrundsatzes Unterschiede gibt und daß Frauen in benachteiligten Positionen sind: Frauen müssen mehr Arbeit für eine Anerkennung leisten, hierarchische Positionen sind ungleich verteilt etc. Eine ähnliche Barriere wie bei den Männern ist hier nicht zu beobachten: Die Wahrnehmung von Ungleichheit wird anscheinend nicht als Verletzung der deklarierten Gleichheitsnorm angesehen. Sie wird aber auf unterschiedliche Art und Weise von der persönlichen Betroffenheit der einzelnen Frauen bestimmt. Das zeigt sich sehr deutlich in der Einzelfallanalyse: Ute G. benutzt in ihrer Argumentation ihre ‚Nicht-Betroffenheit‘, um sich von der Problematik einerseits und von der Genusgruppe Frauen andererseit abzugrenzen: Sie bezeichnet sich als untypische Frau, die von der Diskriminierung von Frauen qua Geschlecht nicht betroffen ist. Sie stellt aber damit nicht ihre Weiblichkeit im allgemeinen in Frage, sie negiert nur deren Relevanz in bezug auf die Ausübung des Journalismusberufes. Als Nicht-Betroffene, erscheint es für sie nicht legitim, über das Problem der Ungleichheit zu sprechen. An diesem Punkt steht ihr Argumentationsmuster dem der beiden Männer nahe: Nicht involviert zu sein bedeutet, darüber nicht sprechen zu müssen bzw. zu können. In der Problematisierung der Geschlechterungleichheit im Beruf spielt also das persönliche Erlebnis die Legitimationsrolle. Das verstärkt vor allem den individuellen Charakter der Ungleichheit. Elke R. bezeichnet sich auch als untypisch. Bei ihr geht es aber nicht um Nachteile, sondern gerade um Vorteile: Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, meint sie, benutzt sie die Vorteile, die die Weiblichkeit durch das Zurschaustellen des attraktiven weiblichen Körpers in der Berufsausübung bietet nicht. Sie distanziert sich aber damit genauso wenig von der eigenen Weiblichkeit im allgemeinen wie Frau G. Für sie geht es auch ausschließlich um die Abkoppelung des Frau-Seins von den beruflichen Aktivitäten. Aber im Gegensatz zu Ute G. ist die persönliche Betroffenheit von der Geschlechterdiskrimination für Elke R. zentral: Sie führt die mangelnde Anerkennung ihrer Leistung und ihrer Person auf ihre Geschlechtszugehörigkeit zurück. Obwohl Frau R. im Gegensatz zu Ute G. ihre persönliche Betroffenheit durchgehend thematisiert, und ihre Erfahrung über das mühsame Erwerben der Anerkennung im kollegialen Kontext als kollektives Erlebnis für die anderen Frauen im Hörfunk deutet, bleibt bei ihr die strukturelle Dimension genauso ausgeklammert. Letzten Endes bleibt Ungleichheit ein individuelles Problem der Frauen, gegen das sie weiterhin Anknüpfung an gesellschaftlich relevante Wertesysteme 367 individuell kämpfen müssen. Weder die von ihr genannten Ursachen, noch die vorgeschlagene Lösung weisen strukturelle Merkmale auf. Dem Geschlecht wird nur auf individueller Ebene Relevanz eingeräumt. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die InterviewpartnerInnen sich grundsätzlich stark von jenen eigenen Handlungen abgrenzen, die in ihrer Interpretation Geschlechterunterschiede hervorrufen können. Bei den Männern äußert sich das in erster Linie in der Betonung der gleichen Behandlung von Frauen und Männern und in der Distanzierung von der Wahrnehmung der Geschlechterungleichheit. Bei den Frauen spielt viel mehr die Abgrenzung von den anderen, den ‚typischen‘ Frauen im Beruf die wichtige Rolle. Wie der Fall von Ute G. zeigt, wird diese Abgrenzung ggf. auch als Schutz vor der Diskriminierung verstanden. Obwohl die Argumentationsstrategie der persönlichen Distanzierung anderes vermuten läßt, wird in bezug auf die Geschlechterungleichheit keine strukturelle Komponente in die Erklärungsmuster einbezogen. Auch wenn die GesprächspartnerInnen und vor allem die Frauen, die ungleiche Verteilung von Leitungspositionen oder von prestigeträchtigen Sendungen beschreiben, leiten sie ihre Argumentation nicht weiter und verkoppeln die wahrgenommenen Ungleichheiten nicht mit hierarchischen Strukturen zwischen den Geschlechtern, weder als Ursache noch als Endergebnis. Auch die weiteren Folgen dieser Differenzen bleiben unthematisiert. Die Ausblendung der Strukturebene läßt sich sehr eindeutig am Beispiel der unterschiedlichen Thematisierungen der Rekrutierungspraxis einer Redaktion zeigen. Sowohl Ralf W. als auch Elke R. berichten darüber, daß ‚früher‘ in dieser Redaktion kaum Frauen eingestellt wurden, weil man befürchtete, daß sie aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen den strengen Dienstzeiten nicht nachkommen können. Die beiden JournalistInnen blicken auf dieses Phänomen aus differenten Perspektiven: Ralf W. erzählt, wie er sich als neuer Redaktionsleiter von dieser Praxis verabschiedet hat. Elke R. war von der Diskriminierung selbst betroffen: Ihre Bewerbung wurde abgelehnt. KeineR von den Beiden bezeichnet die Vorfälle als Benachteiligung oder Diskriminierung. Herr W. sieht darin vor allem die ‚ungeschickte‘ Personalpolitik seiner Vorgänger, die er korrigiert hat. Frau R. betrachtet ihre Ablehnung als eine Falscheinschätzung ihrer Fähigkeiten. Beide beziehen sich vor allem darauf, daß es eine Diskrepanz gibt zwischen der Vorannahme, Frauen könnten ihre Familie bevorzugen, und den empirischen Einzelfällen, die die ‚tatäschliche‘ Bereitschaft von Frauen zeigen, dem Beruf den Vorrang zu geben. Diese Erfahrungen werden aber nicht auf der Strukturebene weiterverfolgt. 368 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Der Weg zur Geschlechtergleichheit Die GesprächspartnerInnen sprechen dem Thema Geschlechter(un)gleichheit unterschiedlich hohe Relevanz zu: Die Frauen weisen offener auf den Problemcharakter hin als die Männer. Gemeinsam ist aber bei VertreterInnen beider Geschlechter, daß sie ihre eigenen Lebens- und Berufspraxen als persönliche Beispiele für den erfolgreichen Umgang mit dem Geschlechterproblem zitieren. Auch in den Lösungsvorschlägen bleibt die strukturelle Ebene weitgehend ausgeblendet: Weder Interessenvertretung, noch Frauenförderpläne oder überhaupt irgendeine strukturelle Verankerung der Problembewältigung wird angesprochen. Es ist zu vermuten, daß die mit den strukturellen Lösungen einhergehende unvermeidliche Dramatisierung des Geschlechts und insbesondere des Frau-Seins keine Akzeptanz findet. Dies ist – wie später noch ausgeführt wird – auch nicht im Interesse der Frauen, sie versuchen nämlich in ihrer Berufspraxis gerade diese geschlechtliche Gebundenheit abzuspalten. Die Lösungen bleiben individuell und in der Darstellung spielt die persönliche Strategie die zentrale Rolle. Elke R. stellt das Selbstbewußtsein der Frauen in den Mittelpunkt und plädiert für ‚mehr Glauben an sich‘. Ute G. bezeichnet sich als untypische Frau, und erhofft damit, sich auch von der Wirkung der Diskrimination zu entziehen. Sie hebt ihre berufliche Kompetenz hervor und sieht die Möglichkeit, hierauf eine Karriere aufzubauen. Die Initiative kommt also in beiden Fällen von den Frauen. Es verbirgt sich hier eine Argumentationslogik, nach der Frauen ‚einfach nur‘ ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zeigen müssen, um erfolgreich Barrieren überwinden zu können. Das Geschlecht bleibt ausgeblendet: Es geht gerade darum, daß Frauen sich nicht auf ihr Geschlecht und auf die Geschlechtergleichheit berufen, sondern ‚geschlechtsneutrale‘ aber berufsrelevante Eigenschaften wie Kompetenz aufzeigen. Die Geschlechtergleichheit als Wert zu verteidigen bzw. sich darauf offen zu berufen bleibt ein Privileg von Männern. Manfred T. formuliert es so, daß sie (er und die ‚Jungs‘ im Hörfunk) es ‚nicht zulassen würden‘, daß weibliche KollegInnen benachteiligt werden. Diese Gefahr besteht seiner Meinung nach deshalb nicht, weil hierüber ‚normale‘ Männer entscheiden, d.h. für ihn solche, die die Geschlechtergleichheit im Beruf als Wert anerkennen und in ihren Entscheidungen vor Augen haben. So achten die männlichen Kollegen auf die Geschlechtergleichheit. Sie verzichten auf ihre Macht, Frauen zu benachteiligen, weil sie Gleichheit als Wert anerkennen. Ralf W. demonstriert seine eigene Umgangsstrategie am folgenden Beispiel vor: Er sieht die Menschen und nicht ihr Geschlecht, so sind alle in seinen Augen gleich (was das Geschlecht betrifft). Diese ‚Entgeschlechtlichung‘ betrifft wie es Anknüpfung an gesellschaftlich relevante Wertesysteme 369 in seiner Argumentation deutlich wird, letztlich doch eher die Frauen, Männer erscheinen für ihn gar nicht erst als ‚Geschlechtswesen‘. Während also Frauen die weiblichen Journalistinnen als Akteurinnen des Wandels betrachten, schreiben die Männer den Frauen eine eindeutig passive Rolle zu. Bei beiden zielen aber die Lösungen darauf, Geschlecht als Merkmal der Frauen in Form einer Ausblendung zu ‚entdramatisieren‘. 1.2 ‚Legitime‘ Bereiche der Geschlechterdifferenz Als Beispiele für den Differenzhorizont gelten Themen, die zwar ebenso mit dem Beruf zusammenhängen, die aber die JournalistInnen als ‚Privatpersonen‘ berühren: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Sexualität am Arbeitsplatz. Statt dem Gleichheitskonsens spielt hier die Differenz der beiden Geschlechter die zentrale Rolle, und gibt die Grundstruktur an, wie in diesen Themenkontexten argumentiert wird. Die Legitimität der geschlechtlichen Unterscheidung in diesen Bereichen wird von keiner Seite in Frage gestellt, weder von den Männern noch von den Frauen, und dementsprechend wird hier nicht als Widerspruch zum Gleichheitskonsens aufgefaßt. Vereinbarkeit von Beruf und Familie Ein zentrales Deutungsmuster in den Berufskonstruktionen ist die Darstellung des Journalismus als einer ‚Lebensaufgabe‘. Die zeitlichen Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind flüssig, die alltäglichen Aktivitäten werden vor allem vom Beruf bestimmt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben scheint in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zu haben. Es zeigen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Frage, wie die Vereinbarkeit problematisiert wird. Die Männer sprechen darüber, daß die Omnipräsenz des Berufes für das Familienleben und für die Ehe/Partnerbeziehung sehr belastend ist. Es wird in den meisten Fällen deutlich, daß der Beruf im Lebensentwurf der einzelnen Journalisten Vorrang hat. Die Frage der Vereinbarkeit wird entweder als Suche nach beruflichem Erfolg und wenn dies möglich ist, einem erfüllten Familienleben thematisiert, oder – seltener – als Interessenkonflikt zwischen dem Journalisten und seiner Familie. Diese Perspektiven wurden in den Einzelfallanalysen bei Ralf W. und bei Manfred T. detailliert herausgearbeitet. In ihrer Studie über männliche Führungskräfte identifizieren Cornelia Behnke und Renate Liebold (2001) vier zentrale Strategien, die Männer einsetzen, um ihr exzessives Arbeitsverhalten vor den ‚Ansprüchen‘ der Familie zu retten. Ähnliche Strategien sind z.T. auch bei den ungarischen Journalisten wiederzufinden: Die Manager konzipieren Arbeit als einen permanenten Kampf. Das Motiv der ‚schweren‘ Arbeit ist auch in diesem Material präsent. Die Journalisten beschreiben sich z.T. als ‚Sklaven‘ ihres Berufes. Wie 370 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Manager bauen auch sie einen negativen Gegenhorizont auf, indem sie ihren Beruf dem der ‚Bürokraten‘ mit festen Arbeitszeiten (‚von 8 bis 16.30 Jobs‘) gegenüberstellen. Die zwei weiteren von Behnke und Liebold gefundenen Strategien sind in diesem Interviewmaterial marginal: Es gibt kaum Textstellen, in denen die Hausarbeit z.B. als ‚Lebensmanagement‘ aufgewertet wird. Es fehlt ebenfalls eine Deutung von Karriere, als ‚gemeinsamen Erfolg‘ des Mannes und der Ehefrau, der Person, die den Alltag von dem Berufstätigen fernhält. Es gibt in einzelnen Gesprächen Hinweise darauf, daß die Männer die Strategie einer gezielten Krisenintervention einsetzen, um Konflikte in der Familie zu reduzieren, aber auch dies scheint wenig Bedeutung für den Alltag zu haben. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird zu einem ‚Frauenproblem‘, wenn die zusätzliche Arbeitsbelastung thematisiert wird. Die männlichen Interviewpartner erklären häufiger, daß die familiären Verpflichtungen für Frauen die Arbeit im Journalismus erschweren bzw. erschweren können. Die Familienorientierung von Männern, wie z.B. das von Ralf W. beobachtete Engagement von jungen Vätern in seiner Redaktion, wird nicht als potentielles Arbeitshindernis gesehen. Die Konsequenzen der Doppelbelastung von Frauen werden unterschiedlich beurteilt. Das illustrieren die Entscheidungspraxen der beiden Männer, wie sie in den Einzelfallanalyse deutlich werden. Ralf W. beruft sich auf seine empirischen Erfahrungen: Demnach sind die Frauen in der Lage, dieses Problem individuell zu lösen, ohne daß dies Nachwirkungen auf ihre Arbeitsqualität im Beruf hätte. Herr W. betrachtet also die Familienverhältnisse als irrelevant für seine Personalentscheidungen. Manfred T. stellt die Schwierigkeiten der Frauen in den Mittelpunkt, des Problems der Vereinbarung von Beruf und Familie. Da Frauen seiner Meinung nach weniger belastbar sind, ‚schont‘ er sie bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen. Er beruft sich dabei auf die Interessen der Frauen. Die Journalistinnen thematisieren das Verhältnis von Beruf und Familie mit einer anderen Schwerpunktsetzung. Nicht die ‚Omnipräsenz‘ oder die Belastung steht im Mittelpunkt, sondern die eigene individuelle Lebenspraxis als Beispiel für die erfolgreiche Lösung des Vereinbarkeitsproblems. In der Einzelfallanalyse von Elke R. und Ute G. zeigten sich zwei unterschiedliche Deutungsmuster. Frau R. stellt die Toleranz ihrer Familie in den Mittelpunkt. Sie nimmt in ihrer Argumentation die Position der ‚Gewinnerin‘ ein: Ihre Kinder akzeptieren ihr berufliches Engagement und sind bereit, das begrenzte Zeit- und Energiebudget von Frau R. in Kauf zu nehmen. Während Frau R. der Verwirklichung der eigenen Ziele einen hohen Stellenwert einräumt, wird im Gespräch mit Ute G. deutlich, daß ihre individuellen Bedürfnisse sich im Pendeln zwischen Beruf und Familie auflösen. Sie erscheint in Anknüpfung an gesellschaftlich relevante Wertesysteme 371 ihrer Selbstdarstellung weniger als Subjekt, sondern als ‚Funktionsträgerin‘, die für die Familienernährung, Haushalt und Kinderversorgung zuständig ist. Ihre Karriere ist diesen Funktionen instrumentell untergeordnet. Das scheinbare Primat des Berufslebens gegenüber der Familie im Alltagsleben steht die Fokussierung auf das Wohl der Familie in der mittel- bis langfristigen Lebensplanung gegenüber. Karriereentscheidungen werden weder nach dem Prinzip des ‚Ehrgeizes‘ noch nach dem der ‚Selbstverwirklichung‘ getroffen, sondern nach der Frage, wie die Familie am besten existentiell abgesichert ist. Frau G. thematisiert in diesem Kontext weder die mangelnde Individualität und Freiräume noch die doppelte Arbeitsbelastung. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muß von Frauen individuell gelöst werden – das kristallisiert sich als Konsens aus allen Interviews heraus. Strukturelle Ursachen, wie die ungleiche familiäre Arbeitsteilung und ein mögliches größeres Engagement von Männern wird nicht in Betracht gezogen. Obwohl das Problem vor allem für die Frauen als ‚Lebensrealität‘ erscheint, sind es eher die männlichen Gesprächspartner, die der Frage eine größere Relevanz beimessen. Keine der Frauen berichtet in personellen Entscheidungen, als Redakteurin oder Leiterin solche Faktoren zu berücksichtigen. Es sind die Männer, die aus ihrer Entscheidungsposition heraus immer wieder beurteilen, wie die weiblichen Mitarbeiterinnen mit ihrer ‚Vereinbarkeitsaufgabe‘ umgehen. Sie präsentieren sich z.T. gewissermaßen als ‚Vertreter der Organisationsinteressen‘ im Ungarischen Hörfunk, indem sie bemüht sind, die negativen Auswirkungen einer schlecht gelösten Vereinbarkeitspraxis zu begrenzen und die zusätzlichen Arbeitspotentiale von gut qualifizierten weiblichen Journalistinnen abzuschöpfen, die durch die ‚guten Lösungen‘ zur Verfügung stehen. Die Frauen im UH müssen also nicht nur Lösungswege für die Vereinbarkeitsfrage in ihrer Lebenspraxis finden, sondern sie müssen diese individuellen Lösungen ebenfalls für die – männlichen – Entscheidungsträger glaubwürdig nach außen präsentieren. Aufgrund der Besonderheiten in der projektorientierten Arbeitsorganisation werden die Lösungsstrategien immer wieder auf Prüfstand gestellt. Bei der Vergabe von einzelnen Arbeitsaufträgen – Nebenjobs, die sowohl finanziell, als auch für die Karriere von zentraler Bedeutung sind – darf kein Zweifel daran aufkommen, daß die Journalistin ihre familiären Verpflichtungen ohne Auswirkung auf ihre Arbeitsleistung erfüllen kann. Sexualität am Arbeitsplatz Der zweite Beispiel für die ‚legitimen‘ Differenzkonstruktionen ist die Thematisierung der Sexualität am Arbeitsplatz. Obwohl im Interviewleitfaden dieses Thema nicht explizit angesprochen war, nahmen sehr viele GesprächspartnerInnen in den 372 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Interviews hierauf bezug. In allen Fällen verstanden sie unter Sexualität ausschließlich Heterosexualität und verknüpften sie eng mit der Gender-Thematik. In diesem thematischen Kontext gibt es wieder deutliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen JournalistInnen. Männer erklären, daß sie bei der Arbeit die weibliche Attraktivität ihres Gegenübers nicht ausblenden ‚können‘. In ihren Augen erscheint das als ein ‚Virtus‘, ein Beweis ihrer ‚gesunden‘ Männlichkeit, die die latenten erotischen Impulse des Weiblichen registriert und darauf reagiert. Das professionelle Verhältnis wird mit einer privaten, emotionalen Konnotation versehen, ohne daß die Männer hierdurch ihre beruflichen Kompetenzen als gefährdet ansehen würden. Eine ‚eigenständige‘ weibliche Sexualität in ähnlicher Form wird weder von Männern noch von Frauen beschrieben. Beide Geschlechter sprechen zwar über eine ‚gegenseitige (hetero)sexuelle Anziehungskraft‘, die sich aber letztlich als eine Instrumentalisierung der weiblichen Attraktivität entpuppt. Der weibliche Körper kann für professionelle Zwecke ‚eingesetzt‘ werden. Er kann den Zugang zu Informationen oder zu männlichen Informanten erleichten. Das entspricht auch der Berufsethik des Journalismus: Persönliche Ressourcen für das gemeinschaftliche Ziel einsetzen. Werden allerdings individuelle Vorteile verfolgt, wie z.B. die Förderung der eigenen Karriere durch erotisch-sexuelle Kontakte zu männlichen Entscheidungsträgern, gilt dies als verwerflich und wird besonders von den Männern heftig abgelehnt. Auch, wenn einige ‚prinzipiell‘ die Möglichkeit für solche ‚weiblichen Vorteile‘ offen sehen, berichtet keine der Frauen darüber, daß sie ihre körperliche Attraktivität tatsächlich im Berufsalltag einsetzen würde, sei es für journalistische Zwecke oder für die Karriereförderung. Im Gegenteil, wie bei Elke R. und Ute G. deutlich wird, distanzieren sie sich von dieser Praxis. Alle berufen sich auf ihre ‚geschlechtsneutralen‘ fachlichen Kompetenzen und lehnen es ab, ihre weibliche Sexualität instrumentell einsetzen zu müssen. Im Gegensatz zu den Männern, die ihre Sexualität im Beruf positiv darstellen können und als natürliches Phänomen ihrer Männlichkeit unterstreichen, versuchen die Frauen sich im beruflichen Kontext als ‚entsexualisierte‘ Wesen darzustellen. Hinweise auf erotische Gefühle bzw. Gedanken bei der Zusammenarbeit mit männlichen Informanten oder Kollegen kommen von weiblichen Gesprächspartnerinnen nicht. Es ist anzunehmen, daß durch solche Emotionen in professionellen Situationen ihre journalistischen Kompetenzen in Frage gestellt werden. Die Geschlechterdimension in den Berufs- und Lebenskonzepten 373 Sexuelle Belästigung wird nur in einem Interview, demjenigen von Ralf W. angesprochen. Er erklärt, daß die ‚natürliche‘ kollegiale Atmosphäre gewisse Intimitäten erlaubt. Er sieht vor allem in der übertriebenen Problematisierung der Sexualität am Arbeitsplatz das ‚eigentliche‘ Problem. Er stellt die kollegialen Beziehungen in diesem Kontext als ‚natürlich‘ durchsexualisiert und gleichzeitig ‚entgeschlechtlicht‘ dar, wobei nach der genauen Analyse deutlich wird, daß Frauen einen begrenzten Spielraum haben, sich dem zu entziehen. Inwieweit sexuelle Belästigung zum Alltag gehört, kann man anhand dieser empirischen Materialien nicht feststellen. Diese Frage ist in Ungarn auch in der Wissenschaft weitestgehend tabuisiert, obwohl weitere Forschungen auch hier dringend notwendig wären. 2 Die Geschlechterdimension in den Berufs- und Lebenskonzepten Wie verorten sich die GesprächspartnerInnen als weibliche und männliche Individuen in ihren Berufskonstruktionen? Um dieser Frage nachzugehen, wird zuerst die geschlechtsspezifische Prägung von Berufskonzepten zusammengefaßt. Im zweiten Schritt werden die grundlegenden Strukturen dargestellt, die sich sowohl hinter der Berufs- als auch den Geschlechterkonstruktionen verbergen. Hier werde ich vor allem auf die Ergebnisse der Einzelfallanalysen zurückgreifen. Diese vier Fälle stellen keine Typologie dar. Sie dienen dazu, exemplarisch verschiedene Wege und Verbindungen zwischen Berufs- und Geschlechterbildern aufzuzeigen. 2.1 Berufskonzepte und Geschlecht Keine der befragten JournalistInnen definiert den Beruf als einen eindeutig männlichen oder weiblichen. Die grundsätzliche Eignung von Frauen oder von Männern qua Geschlecht wird von niemandem hinterfragt. Wie die Analyse der Interviews von Manfred T. und Elke R. zeigt, nehmen die GesprächspartnerInnen, ohne dies explizit so zu benennen, trotzdem eine geschlechtliche Kodierung des Berufes vor. Interessant sind die beiden Argumentationen vor allem deshalb, weil sie zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen kommen: Herr T. verbindet den Journalismus mit ‚Männlichkeit‘, während Frau R. ihn viel mehr mit weiblichen Eigenschaften konnotiert. Manfred T. deutet den Journalismusberuf als eine Möglichkeit, originelles zu leisten. Kreativität ist für ihn das zentrale Qualitätsmerkmal und die Leitlinie für die eigene berufliche Tätigkeit: Er möchte sein kreatives Potential darstellen und benutzt den Beruf als Medium hierfür. An anderen Stellen, in bezug auf die geschlechtsspezifischen Eigenschaften schreibt er Frauen Systematik, Sensibilität und Fleiß in der Arbeit zu. Diese sind zwar besonders wichtig für den Journalismusberuf, 374 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung repräsentieren aber für ihn nicht den ‚eigentlichen Sinn‘, nämlich das kreative Moment. Originalität und schnelle Arbeit sind männliche Eigenschaften. Damit konnotiert Herr T. letztlich den Journalismusberuf mit männlicher Kreativität und auch mit einem Teil der Arbeit, der ihm besonders nahe steht. Die Polarisierung zwischen originell, kreativ, künstlerisch einerseits und systematisch, berechenbar andererseits findet sich auch in der Biographie von Herrn T. wieder: Er träumt von einer Karriere als Jazzmusiker, entscheidet sich aber dennoch für ein Jurastudium. Improvisation vs. Gesetzesvorschrift – dieses Spannungsverhältnis bestimmt seinen Lebenslauf. Im Journalismus bietet sich für ihn ein Feld, in dem er seine kreative Kräfte einsetzen kann. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig Originalität für Manfred T. im Beruf ist und warum es eine wesentliche Bedeutung hat, wenn er diese männlich konnotiert. Im Gespräch mit Elke R. ist eine ähnliche Struktur zu beobachten. Im Mittelpunkt steht bei ihr das Konzept des ‚Dienens‘: Eigeninteresse zu überwinden und sich in dem Dienst des Gemeinwohls zu stellen. In den kollegialen Beziehungen bedeutet das für Frau R., in der Teamarbeit das beste zu geben und die eigene Individualität in den Hintergrund zu stellen. Im Verhältnis mit den ZuhörerInnen heißt es kundenorientiert zu denken, den ZuhörerInnen zu dienen, ihnen zu nutzen. Gegen dem Individualismus wird also die Gemeinschaft gestellt, deren Interessen mit allen Kräften gedient werden müssen. Frau R. beschreibt Anpassungsfähigkeit und bessere Vertretung von Gemeinschaftsinteressen als geschlechtsspezifische Merkmale von Frauen. Die Eigenschaften also, die für sie im Konzept des Journalismus die wesentliche Rolle spielen und dem Beruf einen ‚Sinn‘, eine ‚Berufung‘ geben, sind eindeutig weiblich konnotiert. Sowohl Elke R. als auch Manfred T. schreiben dem Beruf indirekt Geschlechterspezifika zu, die diesen als für die eigenen Geschlechtsgenossen geeignet darstellen – auch wenn sie auf das Kollektiv der Genusgruppe keinen bezug nehmen. Das ließe sich auch so interpretieren, daß sie ihre persönliche Eignung für den Beruf damit unterstreichen wollen und für diesen Zweck Geschlecht als einen wichtigen Teil der Selbstidentifikation einsetzen. Diese These läßt sich anhand des Materials nicht mit Sicherheit belegen. In den Interviews mit Ralf W. und Ute G. sind Zuschreibungen auf ähnlicher Ebene nicht zu finden. Herr W. stellt den Begriff der Unabhängigkeit in den Mittelpunkt seines Berufskonzeptes. Dies findet seine biographische Verankerung in seinem nie verwirklichten Berufstraum, Publizist zu werden, d.h. die Weltereignisse zu kommentieren, die eigene Meinung zu vermitteln, statt ‚nur‘ darüber zu berichten. Das Interesse, ‚etwas sagen zu wollen‘ überträgt er auf den Journalismus. Für ihn ist Die Geschlechterdimension in den Berufs- und Lebenskonzepten 375 das sein Kompromiß, der punktuell die Möglichkeit zu publizistisch-essayistischen Tätigkeiten bietet. In diesem Sinne bedeutet Journalismus für ihn eine Art unabhängiger Selbstverwirklichung, der er trotz der Grenzen, die er ansonsten in seinem Berufsalltag als Chefredakteur und als Vorgesetzter der Nachrichtenredaktion erlebt, unabhängig arbeiten kann. Im Berufskonzept von Ute G. bildet ‚die Veränderung‘ den Mittelpunkt. In ihrer Auffassung ist es die Aufgabe des Journalismus, durch Informationen gesellschaftliche Veränderungen zu voranzutreiben. In den Medien müssen brennende gesellschaftliche Themen, Anomalien, Probleme zum Thema gemacht werden, um die Menschen hierüber zu informieren. Durch den Druck der Öffentlichkeit werden Mechanismen in den Gang gesetzt, durch die eine Lösung erzielt werden kann. Das Konzept von Ute G. basiert auf der Vorstellung, daß Medien eine ‚watch dog‘-Funktion in der Gesellschaft erfüllen, d.h. die Machthaber der Politik und Wirtschaft kontrollieren. Damit bekommt Journalismus eine wichtige Rolle als Interessenvertreter oder Agent der Bevölkerung. Die Berufskonzepte weisen in einer anderen Hinsicht eine geschlechtsspezifische Besonderheit auf: Bei den beiden Männern steht die Möglichkeit der kreativen Selbstentfaltung im Mittelpunkt. Ihr Berufsbild weist einen starken ‚Ich‘ – Bezug auf. Für die weiblichen Interviewpartnerinnen ist Gemeinschaft die relevante Kategorie: Die Interessen von Anderen zu vertreten, Veränderungen im Interesse der Bevölkerung zu erzielen. Die Frauen äußern zwar auch ihre Zufriedenheit mit der Arbeit, sie berufen sich aber nicht auf den mit der Arbeit verbundenen Aspekt der ‚Lust‘ auf Selbstverwirklichung, durch die die Arbeit sich zur Passion entwickelt. Für die Männer ist diese Passion ständig im Leben präsent. Für die Frauen geht es mehr um die Mission des ‚Helfens‘. Die Konzepte von Passion und Mission referieren nicht auf einen gesellschaftlichen Konsens von Geschlechternormen in Form einer Gleichheits- oder Differenzargumentation, die InterviewpartnerInnen verorten diese nicht in einem geschlechterpolarisierten Kontext. Bei der Interpretation von Passion als typisch männliche und Mission als typisch weibliche Orientierung könnte die Analyse hier Gefahr laufen, in der Untersuchung selbst Geschlechterstereotypen mitzukonstruieren, bestimmte Orientierungen als frauen- oder männertypische festzuschreiben. Deshalb wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es hier nicht um allgemeine weibliche oder männliche Eigenschaften, Lebensmuster oder Berufsorientierungen geht. Im Gesamtmaterial zeigt sich zwar, daß es eher 376 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Frauen sind, die den Beruf als Mission auffassen und die Männer ihn mehr als Passion konstruieren, daraus lassen sich aber keine weiterführende Konsequenzen für die Gesamtgesellschaft oder für den Journalismusberuf im allgemeinen ableiten. Eine Erklärung für die unterschiedlichen Orientierungen im Berufskonzept wäre, daß die hierarchischen Geschlechterverhältnisse die Individuen in ihrer Selbstwahrnehmung beeinflussen. Eine weniger bewußte oder unreflektierte Form von dieser Positionierung findet ihren Ausdruck darin, welche Elemente des Berufes sich als wesentliche, sinngebende für die einzelnen Personen herauskristallisieren. Für die Frauen bedeutet diese Geschlechterordnung, ihr Frau-Sein im Berufsfeld ständig kaschieren zu müssen. Eine Spaltung der geschlechtlichen Identität, als Journalistin ‚geschlechtsneutral‘ oder besser ‚geschlechtslos‘ zu sein und ausschließlich im privaten Kontext, als Ehefrau und Mutter eine ‚Weiblichkeit‘ zu haben, ist bei fast allen weiblichen Gesprächspartnerinnen zu beobachten. In den Fällen von Elke R. und Ute G. wurde dies ausführlich beschrieben. Männer brauchen keine ähnliche Trennungslinie aufzuziehen. Für die Frauen bleibt also ein Teil der ansonsten für sie wichtigen Selbstidentifikation (sie betonen mehrmals, wie wichtig für sie ihre Weiblichkeit ist) im Beruf Tabu. So kann der Beruf für sie kein Terrain der vollständigen Selbstverwirklichung sein. Auf der Suche nach dem Sinn des Berufes können auch Aspekte der traditionellen geschlechtsspezifischen Sozialisation latent zum Tragen kommen, durch die den Mädchen eine Orientierung an der Gemeinschaft nahe gelegt wird und für das männliche Geschlecht der Beruf als Ort der Selbstverwirklichung und -darstellung vermittelt wird. 2.2 Gemeinsame Strukturmuster von Berufs- und Geschlechterkonstruktionen Was sind die ‚gemeinsamen Nenner‘ in den Strukturmustern von Berufs- und Geschlechterkonstruktionen? Diese lassen sich nur durch eine detaillierte Analyse entschlüsseln. Anhand der vier Einzelfälle wird hier exemplarisch gezeigt, wie die Konstruktionen ineinander verwoben werden. Elke R. versteht ihren beruflichen Werdegang als permanenten Kampf um die Anerkennung von KollegInnen. Ihr persönliches Bedürfnis ist es, durch den Beruf Akzeptanz und Zugang zu einem sozialen Milieu zu finden, das ihr von ihrer Herkunft her unzugänglich war und von dem sie sich heute noch ausgeschlossen fühlt. Sie sieht ihr Geschlecht als eine zusätzliche Komponente ihrer benachteiligter Position, eine zusätzliche Eigenschaft auf Grund derer ihr Anerkennung und Würdigung Die Geschlechterdimension in den Berufs- und Lebenskonzepten 377 verweigert wird. Es bedeutet für sie eine mehrfache Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft und Geschlecht. Damit hat sie in ihrer Karriere zu kämpfen. Sie bewertet diesen Kampf langfristig als erfolgreich und aussichtslos gleichzeitig. Ralf W. betrachtet den Journalismus als einen besonderen Bereich, in dem andere soziale Strukturen nicht greifen, einen, der seine eigene Regeln hat. Das betrifft auch die Geschlechterverhältnisse im Beruf: Er konfrontiert die gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen mit seinen empirischen Erfahrungen in der Arbeitspraxis und nimmt die Widersprüche wahr. Er bezieht sich auf letztere als Grundlage für seine Entscheidungen im Berufsalltag. Der Wahrheitsgehalt der Stereotypen wird im Bereich Journalismus in Frage gestellt, da diese mit empirischen Beobachtungen nicht übereinstimmen. Eine ähnliche Infragestellung der Stereotypen ist in anderen Bereichen des ‚Nicht-Journalismus‘ wie z.B. in der Familie nicht zu beobachten. Der Blick von Ute G. auf den Beruf und auf das Geschlecht wird gleicher Maßen von der Perspektive der persönlichen Betroffenheit geleitet. Sie findet einen kritischen Zugang zu beiden Themen nur durch die eigene Erlebnisebene. Das führt zu der Ausblendung von Strukturen in beiden Bereichen. Das bedeutet aber nicht unbedingt eine Individualisierung ihrer Position. Ihr Subjekt bleibt nämlich zwar als ‚erlebendes‘ präsent, wird aber nicht in den Ursachen und Konsequenzen verflochten. Das Selbstverständnis von Frau G., daß sie sowohl im beruflichen, als auch in den in ihren Augen ‚vergeschlechtlichten‘ Bereichen (in erster Linie in der Familie) qualitativ sehr gute Leistung bringt, lenkt die Perspektive auf ihr ‚output‘, auf die Leistung, die sie bringt. Das führt dazu, daß ihre Person auf die Funktionen in der Erwerbsarbeit und in der Familienarbeit reduziert dargestellt wird. Bei Manfred T. bildet in beiden Bereichen das Strukturmuster von Macht-Ohnmacht, durchwoben von der Frage von Kompetenz-Inkompetenz die Basis seiner Argumentationen. Im gesamten Interview vermittelt wird die eigene Überlegenheit in unterschiedlichen, mit dem Beruf verbundenen Situationen. Das unterstreicht er mit den Hinweisen auf seine Kompetenzen und mit der Distanzierung von den ‚Anderen‘. Diese Kompetenz äußert sich auch in seinem Umgang mit der Geschlechterproblematik: Für ihn steht fest, daß er für sein Leben und in seiner Umgebung das Problem ‚gelöst‘ hat. Auch hier präsentiert er sich in einer mächtigen Position gegenüber den Frauen aber auch gegenüber der eigenen Geschlechtsgenossen. 378 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Die vier grundlegenden Strukturmuster sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt und regeln auf unterschiedliche Weise das Verhältnis zwischen von Beruf und Geschlecht. Diese Beispiele bilden keine Typologie, illustrieren aber, wie Verknüpfungen funktionieren können. 3 Selbstverständnis und der Konsens der Gleichheit Wie wird das subjektive Selbstverständnis im Spannungsfeld von Beruf und Geschlecht auf das gesellschaftliche Wertesystem der Geschlechtergleichheit bezogen? Es gibt drei wesentliche Mechanismen, die diese Verknüpfung regeln: die geschlechtsspezifische Betroffenheit, die Individualisierung von Ungleichheit und die vergeschlechtlichte Verortung des Ichs im Berufskonzept. 3.1 Geschlechtsspezifische Betroffenheit In den beiden Bereichen der ‚legitimen‘ Geschlechterdifferenz, sowohl in bezug auf die Vereinbarkeitsproblematik als auch in der Thematisierung der Sexualität am Arbeitsplatz, sind primär Frauen im Mittelpunkt. Männern wird eine ‚natürliche‘, ‚neutrale‘, von der Thematik nicht betroffene Position zugeteilt. Die Familie beeinflußt ihre Einsatzbereitschaft in der Arbeit nicht, und ihre sexuellen Triebe, auch wenn sie ihren Ausdruck während der Ausübung des Berufes finden, werden keinesfalls mit persönlichen Karriereinteressen oder mit Unprofessionalität durch ‚Emotionalisierung‘ professioneller Verhältnisse in Verbindung gesetzt, wie es ggf. bei Frauen vorkommt. In den vier Einzelfällen werden zwei Perspektiven deutlich: Die befragten Frauen, als ‚Betroffene‘ versuchen in ihren Strategien, sich individuell von der Genusgruppe abzugrenzen, um damit auch von der direkten, persönlichen Betroffenheit zu distanzieren. Die beiden Männer brauchen diese Art von Distanzierung nicht anzustreben, da die Zuschreibung qua Geschlecht für sie keine negativen Konsequenzen hat. Wesentliche Elemente, die mit Männlichkeit konnotiert werden, wie männliche Sexualität und die Rolle als Vater und Ehemann in der Familie, sind generell vereinbar mit dem Beruf, im Gegensatz dazu wird weibliche Sexualität und Verantwortung für die Kinderversorgung im allgemeinen als problematisch für die Berufsausübung angesehen. Es bleibt die individuelle Verantwortung der einzelnen Frauen und es wird auch von Fall zu Fall neu bewertet, ob diese ‚weiblichen Züge‘ optimal abgespalten sind, und ob die weibliche Person in diesem Sinne eine ‚geschlechtsneutrale‘ Haltung angenommen hat. Selbstverständnis und der Konsens der Gleichheit 3.2 379 Individuelle Ungleichheit und der Gleichheitskonsens In den Kontexten, in denen die Geschlechtergleichheit als Wert im Beruf oder im Hörfunk explizit zum Tragen kommt, wird die Argumentation nie auf der strukturellen Ebene angesiedelt. Die GesprächspartnerInnen betrachten die Schaffung von gleichheitsfördernden wie auch diskriminierenden Strukturen außerhalb ihrer Handlungskompetenzen und lehnen jegliche Verantwortung ab. Trotzdem benennen sie keine strukturellen Ursachen, sondern führen die wahrgenommene Ungleichheit immer nur auf das falsche individuelle Handeln von ‚Anderen‘ zurück. Warum werden die Strukturen ausgeblendet? Eine mögliche Erklärung ist, daß mit der Zuschreibung von strukturellen Ursachen der Problemcharakter der Geschlechterungleichheit im Journalismusberuf eine wesentlich wichtigere Bedeutung bekommen würde. Dieses Bedeutungswachstum steht aber nicht im Interesse weder der Frauen noch der Männer. Vor der Folie der Anerkennung der Geschlechtergleichheit als gesellschaftlichem Wert – auf den sich gerade Männer häufig beziehen, was anscheinend eine wichtige Funktion im Selbstbild hat – wäre es kaum haltbar, Ungleichheit auf strukturelle Ursachen zurückzuführen und nicht gleichzeitig die Änderung dieser Strukturen zu fordern. Dies würde aber mit der Dramatisierung der Geschlechterfrage einhergehen, was von allen Beteiligten um jeden Preis vermieden werden will. Für die Frauen würde das nämlich bedeuten, daß die mühsam abgespaltete Weiblichkeit wieder in den Mittelpunkt rückt, daß das gut kaschierte Frau-Sein als identitätsstiftend offenbart werden muß. Damit müßten sich die Frauen in die Gefahr begeben, in den Augen der anderen Kompetenzverluste zu erleiden. Die Männer müssen anerkennen, Nutznießer von Hierarchiestrukturen zu sein, die der Gleichheitsnorm widersprechen und auf Ungleichheit aufgebaut sind. Das steht im krassen Gegensatz zum normativen Gebot der Geschlechtergleichheit. Dann wäre zwar die persönliche Verantwortung für das Bestehen der Unterschiede relativiert, es sind nämlich die Strukturen, die sich als Ursache entpuppen. Aber damit wäre es schwieriger, sich von der Verantwortung zu befreien, zur Aufrechterhaltung dieser Strukturen beigetragen zu haben. Es würde die moralische Integrität in Frage stellen, sich auf die Gleichheit der Geschlechter als wichtigem Wert in der Gesellschaft zu berufen und gleichzeitig die Vorteile der Ungleichheit der Frauen wenn auch strukturell bedingt auszunutzen und nichts für die Veränderung zu unternehmen. Mit der Ausblendung von Strukturen entgeht also allen, daß dem Geschlecht eine zentrale Bedeutung bekommt. Die Distanzierung des ‚Ichs‘ von den sich ‚typisch‘ verhaltenden Genusgruppen, löst die Frage der persönlichen Verantwortung. Der 380 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung geteilte soziale Konsens, der den Rahmen für diese Strategien stellt, ist, daß die Geschlechterfrage auf der gesellschaftliche Ebene problemlos gelöst wurde. Diese Annahme kann weiterhin unhinterfragt bleiben, da die individuellen Handlungen von einzelnen ‚Anderen‘ als Ursache von punktuell wahrgenommener Ungleichheitserfahrungen angesehen werden, ohne daß diese Handlungen in Gesellschaftstrukturen eingebettet werden. 3.3 Subjektkonstitution im Berufskonzept Die InterviewpartnerInnen entwerfen verschiedene Konzepte des Journalismus, die, wie oben gezeigt wurde, auf unterschiedlichen Ebenen mit Geschlechtskonzepten korrelieren. Elke R. und Manfred T. definieren bestimmte für den Beruf relevante Eigenschaften als weiblich bzw. männlich und versehen dadurch indirekt den Journalismus mit einer geschlechtlichen Kodierung. Auf einer anderen Ebene greifen die GesprächspartnerInnen in ihren Berufskonstruktionen auf vergeschlechtlichte Konzepte wie Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung wie auch Helfen und Dienen zurück. Diese Konzepte finden ihren Ausdruck auch in den gemeinsamen Strukturmustern von Berufs- und Geschlechterbildern. Diese Strukturmuster sind die Vermittler, durch die die Konzepte ihre biographisch eingebettete Ausprägung für die einzelnen Personen erhalten und das Ego mit dem Beruf Journalismus verbinden. Die Analyse der vier Einzelfälle zeigte bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen Manfred T. und Ralf W. wie auch zwischen Elke R. und Ute G. Für die beiden Männer ist Journalismus ein Bereich des Kreativen, Originellen, des Unabhängigen. Die eigene Kreativität, Kompetenz, Freiheit, Selbstentfaltung spielen eine zentrale Rolle, und geben den Ton nicht nur für die Ausübung des Berufes, sondern auch der Regelung der Geschlechterverhältnisse an. Die Männer beziehen sich in ihrer Darstellung vor allem auf sich selbst, auf ihre eigenen Ansprüche und Erwartungen, Lebensentwürfe und Positionierungen. Die Männer sehen den Beruf als Ort der Selbstverwirklichung und -entfaltung und begreifen ihn als ‚Passion‘. Das ist auch mit ihrer geschlechtlichen Selbstverortung ohne Widerspruch zu vereinbaren. Die Frauen dagegen leisten eine schwierigere Konstruktionsarbeit: Sie greifen Kernelemente der traditionellen weiblichen Sozialisation auf, Helfen und Dienen, versuchen diese aber von privaten Angelegenheiten in öffentliche zu transformieren. Sie verbinden sie mit anderen, ‚männlichen‘ Konzepten, die in der öffentlichen Sphäre ihre Relevanz haben. Als geeignet für diese Verknüpfung bietet sich das Konzept der Intellektuellen, das seit der Aufklärung eine tiefgreifende Tradition im ungarischen (mittelosteuropäischen) politischen und gesellschaftstheoretischen Denken hat. Das zentrale Element dieses Selbstverständnis und der Konsens der Gleichheit 381 Konzeptes ist die gesellschaftliche Verantwortung, die die Intellektuellen im Vertreten kollektiver Interessen und im Vorantreiben des gesellschaftlichen Wandels tragen. Angehörige der Intelligenzia haben eine widersprüchliche Position: Sie sind AußenseiterInnen, die ihre Individualität gerade aufgrund ihrer Intellektualität und dem individuellen Charakter des Denkens her gewinnen. Ihr Wissen unterscheidet sie von der ‚Masse‘. Aber im gleichen Zug legitimieren dieses Wissen und diese Distanz sie als VertreterInnen der Interessen des Kollektivs. Sie distanzieren sich auch von den MachtinhaberInnen, da Macht als dem Eigennutz verhaftet und korrumpierend angesehen bzw. verurteilt wird. Auch die Schwierigkeit, die Komplexität des Denkens auf eine zwangsmäßig vereinfachte Form der politischen Entscheidungen zu reduzieren, bringt die Intellektuellen auf Distanz zu den politischen AkteurInnen. Andererseits müssen sie sich in das Kollektiv integrieren, weil sie ihre Berufung von der Gemeinschaft bekommen, deren Interessen sie vertreten müssen. So ist letztlich das Leben, das sie führen nicht ihr eigenes, sondern durch und durch mit gesellschaftlicher Verantwortung durchwoben. Dieses Konzept des kritischen Intellektuellen bleibt ein männliches. Die beiden Frauen greifen indirekt, ohne es konkret zu benennen, dieses Konzept auf, um eine Berufskonstruktion zu entwickeln, die mit ihrer geschlechtlichen Identifikation im Einklang ist. Eine günstigen Anknüpfungspunkt bietet im Konzept der Intelligenzia das Element der Interessenvertretung der Gemeinschaft. Das ist mit einem Verzicht auf das eigene Wohl verbunden. Das Dienen im Sinne des Gemeinwohls (Familienwohl) als Handlungsorientierung im Privatbereich entspricht der traditionellen weiblichen Sozialisation in Ungarn. Dieses Element steht in der Argumentation von Elke R. im Mittelpunkt. Durch diesen Weg findet sie Zugang zum Konzept der Intellektuellen, das sie erweitert, indem sie sich auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Verantwortung in ihrer Berufsausübung beruft. Das Problem aber, mit dem sie sich auseinandersetzten muß, ergibt sich von der ambivalenten Position, gleichzeitig Außenseiterin und integrierte Interessenvertreterin zu sein. Für sie manifestiert sich dieses Problem in dem Gefühl des Nicht-Akzeptiert-Werdens. Ihr Kampf für die Akzeptanz und Anerkennung der Anderen ist ein Resultat der Widersprüchlichkeit des Intellektuellen-Konzeptes, wobei es für sie hier um zweierlei Aufgaben geht: Erstens um den biographischen Entwurf, einen Platz als Subjekt in dieser Ambivalenz zu finden und zweitens eine Verbindungskonstruktion zu leisten, um ein männlich definiertes Konzept für sie als Frau lebbar zu machen. Ute G. legt die Verbindung etwas anders fest. Für sie wird die Funktion der Intellektuellen zentral: Wandel voranzutreiben, gesellschaftliche Veränderungen zu erzielen durch die Darstellung und Repräsentanz der Interessen des Kollektivs. Der 382 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung individuelle Aspekt tritt in den Hintergrund. Diese Funktion verknüpft sie mit dem ‚funktionalistischen‘ Blick, den sie auf ihren Beruf bzw. auf sich selber als Journalistin richtet. Sie löst ihre Individualität, wie oben ausgeführt wurde, im Pendeln zwischen den Funktionen als Journalistin und als Mutter auf. Die gesellschaftliche Funktion der Intellektuellen bietet ihr die Möglichkeit, die soziale Aufgabe zu übernehmen, die Meinung der Gemeinschaft zu vertreten, ohne aber sich als Individuum darstellen zu müssen. In diesem Sinne wird die Berufsausübung nicht Mittel ihrer Selbstverwirklichung, dies würde nämlich gerade jene Art von Individualität implizieren, sondern die Erfüllung ihrer Funktion als Repräsentantin. Weiterhin ermöglicht ihr das legitim, andere ‚Vorteile‘ des Berufes, wie gute Bezahlung oder einen Kindergartenplatz in Anspruch zu nehmen, die in ihrer Funktion als Mutter von großer Bedeutung sind. 4 Geschlechtsspezifische Handlungsstrategien Die ambivalenten normativen und strukturellen Rahmen, die sich auch in den verschiedenen Verbindungsmodi von Geschlechter- und Berufskonstruktionen manifestieren, ermöglichen für die Subjekte unterschiedliche Handlungsstrategien. Frauen und Männer nehmen geschlechtsspezifische Subjektpositionen in diesem Rahmen ein. Das eröffnet ihnen entsprechend geschlechtsspezifische Handlungsalternativen. In diesem Unterkapitel wird zusammengefaßt, wie der gesellschaftliche Konsens der Geschlechterdifferenz und –gleichheit als Handlungsrahmen gedeutet wird, welche Strategien Frauen und Männer entwickeln, um in ihrem Beruf als vergeschlechtlichte Subjekte handlungsfähig zu bleiben bzw. in welcher Form beide Geschlechter einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der asymmetrischen Geschlechterkultur (Müller) leisten. 4.1 Gleichheitsnorm als Handlungsrahmen Alle InterviewpartnerInnen berufen sich implizit oder explizit immer wieder auf den gesellschaftlichen Konsens, demzufolge die Gleichheitsnorm im Geschlechterverhältnis überwiegend, aber nicht ohne Bruch gültig ist. Den Ausgangspunkt bildet die Grundprämisse, daß die politisch propagierte Gleichberechtigung der Frauen ihr Ziel durch die rechtliche Gleichstellung und durch die weitgehende Integration von Frauen in die Erwerbstätigkeit erreicht hat und damit das Problem der Geschlechterungleichheit im großen und ganzen gelöst hat. Der berufliche Kontext zeichnet sich also auf der bewußten Ebene durch die Annahme der Gleichheitsnorm aus. Diese Annahme wird aber nicht mehr diskursiv ausgetragen, da ihre Existenz und allgemeine Gültigkeit unhinterfragt vorausgesetzt wird. Die ‚Undefinierbarkeit‘, die sich daraus ergibt, führt dazu, daß der Begriff der Geschlechtsspezifische Handlungsstrategien 383 Geschlechtergleichheit inhaltsleer wird. Dieser Konsens erlaubt es nicht, Geschlechterdifferenzen zu thematisieren, wenn es um die Ausübung eines ‚geschlechtsneutral‘ kodierten Berufes, wie dem Journalismus, bzw. um eine gemischtgeschlechtliche Organisation, wie dem Ungarischen Hörfunk geht. Auf der anderen Seite gibt es gesellschaftlich normierte Bereiche von Differenzkonstruktionen. Legitim ist die Thematisierung der Geschlechterunterschiede anscheinend bezüglich der (Hetero)Sexualität und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Gültigkeit der Gleichheitsnorm wird hier eine Art ‚natürlicher‘ Unterschied entgegengesetzt. Differenz wird in diesem Kontext also nicht als Versagen, Verletzung der Norm begriffen, sondern als Terrain des ‚naturgegebenen‘ Geschlechts. Interessanterweise ist es nicht zwingend notwendig, diese Geschlechterunterschiede in den Argumentationen direkt mit biologischen Ursprüngen zu verkoppeln. Differenzen werden nicht auf Chromosomen, Hormone, physiologische Prozesse etc. zurückgeführt. Anscheinend braucht diese Konstruktion keine zusätzliche biologistische Legimitation. Dieser Auslegung des Begriffes ‚Differenz‘ wird kein Problemcharakter zugesprochen. Die Frage nach Vor- und Nachteilen für die Betroffenen stellt sich anders, nämlich im Hinterkopf mit dem ‚natürlichen‘ Determinismus und mit der Annahme der Unveränderbarkeit. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Konsenses über der Gleichheitsnorm ist es nicht möglich, Differenz in den ‚legitimen‘ Bereichen als Hierarchie zu fassen. Für die Handlungsmöglichkeiten heißt das, daß erlebte Ungleichheit als individuelle biographische Erfahrung gedeutet werden muß. Wandel im Geschlechterverhältnis ist auf der gesellschaftlichen Ebene nicht konzipierbar. 4.2 Handlungsstrategie der Frauen: Ein Arrangement in der Paradoxie Differenz bedeutet im oben dargestellten Konzept, Differenz der Frauen von einer ‚universell‘ verstandenen, aber implizit doch männlichen Norm. Die Ergebnisse schließen sich an eine alte Erkenntnis der Frauen- und Geschlechterforschung an: Frauen haben ein Geschlecht, Männer sind geschlechtsneutral. Die ‚essentiellen‘ Differenzen sind also durch die Präsenz der Frauen an einem Ort zu finden, an dem sie der Gleichheitsnorm zufolge gar nicht existieren dürften. Frauen geraten also in die paradoxe Situation, in einem Kontext Differenz zu verkörpern, in dem Differenz nicht legitim und nicht thematisierbar ist. Es steht nicht in ihrem Interesse, diese Unterschiede zu betonen, zu dramatisieren, zum Thema zu machen. Das normative Leitbild der gleichberechtigten Frau – gleichberechtigt mit der Garantie und dem Einverständnis der Gesellschaft – ist ein wichtiger Teil ihrer Selbstidentifikation und ein zentrales Element in der Abgrenzung vom westlich geprägten Feminismus und 384 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung von der Frauenbewegung. Die Betonung in der Ablehnungsargumentation liegt nicht darin, daß die feministischen Gedanken ‚westlich‘ oder ‚kulturell fremd‘ wären, kritisiert wird vielmehr die Ausweitung der Gleichheitsnorm für alle Lebensbereiche. Das bedeutet für die Frauen, daß die Geschlechtergleichheit in bestimmten Bereichen, wie Erwerbstätigkeit möglich ist, ohne aber Differenz generell in Frage zu stellen. Der Feminismus tut – so die allgemeine Meinung – gerade das: eine ‚unnatürliche‘ Hinterfragung von Selbstverständlichkeiten. Damit bedroht er ggf. die erkämpften Bereiche der Gleichheit. Letztlich bedeutet Feministin zu sein in den Augen der befragten Frauen, Mann sein zu wollen. Dieser Position setzten sie entschieden eine Selbstdarstellung entgegen, in der sie sich auf die Relevanz ihrer Weiblichkeit berufen, zumindest auf dem ‚ungefährlichen‘ Terrain von legitimen Differenzen, wie Familie und Sexualität. In dem Bereich der normativen Gleichheit, in der Berufstätigkeit, haben die Frauen andere Strategien, mit der Paradoxie umzugehen. Hier distanzieren sie sich von der Genusgruppe, bezeichnen sich als ‚untypisch‘. Damit entziehen sie sich der Wirkung einer ungleichen Behandlung, die anscheinend doch zur Berufspraxis gehört, auch wenn sie tabuisiert wird. Der Tabu-Status ist leichter aufrechtzuerhalten, um so mehr, weil die Frauen die Wirkungen der ungleichen Behandlung relativieren. Sie stellen ihren persönlichen Lebenslauf als Beispiel dafür vor, wie die negativen Effekte der Ungleichheit in der eigenen Biographie korrigiert werden können. Die Nachricht, die damit vermittelt wird, lautet: Alle, die es wirklich wollen, können sich den Nachteilen der Ungleichheit entziehen, sie benötigen nur genug individuelle Bereitschaft – und die Anerkennung von ‚legitimen‘ Differenzbereichen. Diese Individualisierung bietet dann die Vermittlung zwischen einem normativ geleiteten Gesellschaftsbild und der wahrgenommenen Realität. Damit können strukturelle Voraussetzungen der Ungleichheit außer Acht gelassen werden. Die Frauen beziehen sich auf einen persönlichen Handlungsspielraum in der Gestaltung eines erfüllten Lebens, ohne die zu starren Grenzen von Geschlechterungleichheit berücksichtigen zu müssen. Diese Spaltung ermöglich ihnen ihre Handlungsfähigkeit. Die Abgrenzung und Kaschierung des Frau-Seins ist auf dem ersten Blick im Bereich der legitimen Differenz nicht notwendig. So können sich die Frauen ‚erlauben‘, offen auf ihre Weiblichkeit in der Privatsphäre bezug zu nehmen und deren Bedeutung für ein vollständiges und ‚erfülltes‘ Leben zu betonen. Problematisch wird es nur dann, wenn die beiden Bereiche aufeinandertreffen, wie es im Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie passiert. Die Strategie der befragten Frauen besteht darin, die Trennung zwischen Journalismus und Privatsphäre weitgehend aufrechtzuerhalten, weil eine ‚Vermischung‘ die Kompetenzen in den einzelnen Bereichen in Frage stellen Geschlechtsspezifische Handlungsstrategien 385 würde, was das gerade im Beruf verherende Folgen für sie hätte. Sie benennen deshalb das Problem der Vereinbarkeit bzw. Doppelbelastung nicht, sondern weisen immer wieder darauf hin, wie gut sie individuell, in ihrer persönlichen Lebenssituation die Vereinbarkeit geregelt haben. ‚Gut‘ bezieht sich in ihrer Argumentation in erster Linie nicht auf die persönliche Zufriedenheit, sondern darauf, den Erwartungen, die im Beruf und in der Familie gestellt werden, zu entsprechen. So sind die Frauen einer doppelten Kontrolle unterworfen. Einerseits erfolgt das von der Seite der beruflichen Organisation, die von den dort arbeitenden Entscheidungsträgern, meistens Männern, verkörpert wird. Sie entscheiden über die berufliche Karriere von Frauen gerade im Hinblick auf die gut gemeisterte Vereinbarung von Beruf und Familie. Andererseits ist es die eigene Familie, deren Zufriedenheit zum Selbstbild als ‚richtige‘ Frau unerläßlich ist. Frauen gehen unterschiedlich mit den zweifachen Erwartungen um, wie am Beispiel von Ute G. und Elke R. gezeigt wurde: Frau G. stellt die Funktionen, die erfüllt werden müssen, in den Mittelpunkt und ihre Individualität verschwindet im Pendeln zwischen den beiden Aufgabenbereichen. Frau R. nimmt demgegenüber eine individualisierende Position ein, hebt die Toleranz der eigenen Familie vor, in erster Linie die der Kinder, und präsentiert sich als Gewinnerin, Nutznießerin dieser Toleranz, die ihr eine Selbstentfaltung im Beruf ermöglicht. 4.3 Männer: Verkörperung der Normalität Für die Position der Männer ist die ‚Nicht-Betroffenheit‘ charakteristisch. Sie verkörpern die Normalität als Gegenpol zur Abweichung der Frauen. Da ihre Männlichkeit als natürliche Komponente der Persönlichkeit akzeptiert wird, die in keinem Gegensatz zur erfolgreichen und kompetenten Berufsausübung steht, brauchen sie eine ähnliche Spaltung, wie die Frauen nicht durchzuführen. Sie sind auch nicht von der doppelten Kontrolle durch Berufsorganisation und Familie betroffen. Vereinbarkeit wird zwar auch bei ihnen thematisiert, ist aber nicht auf die Erfüllung von Erwartungen bezogen. Im Spannungsfeld zwischen Journalismus als zeitaufwendige Profession und Familie, Privatleben, als notwendigem Ausgleich zum Beruf bleibt das Individuum, das Ego der Bezugspunkt. Nicht es muß entsprechen, sondern seine Bedürfnisse müssen von beiden Bereichen befriedigt werden. So reduziert sich die Familie oft auf einer ‚Freizeitfrage‘. Das ermöglicht eine selbstverständliche Konzipierung des Berufes als ‚Passion‘, als Selbstverwirklichung, ohne dabei auf die besondere Toleranz der Familie oder auf die ständige Beweisstellung einer gelungenen Vereinbarkeit der beiden Bereiche Rücksicht zu nehmen. 386 Resümee: Zwischen Gleichheitsnorm und Differenzerfahrung Zwar fühlen sich die Männer von der Geschlechterthematik nicht direkt betroffen, schließlich betrachten sie sich nicht als diejenigen, die vom Norm abweichen, der Frage entziehen können sie sich aber aus mehreren Gründen nicht. Sie müssen sich zur Gleichheitsnorm bekennen, weil das Teil des gesellschaftlichen Konsens ist. Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Wert ist in dem Maße positiv besetzt, als es mit dem Selbstbild als demokratisch denkender Mensch nicht vereinbart werden kann, sich nicht offen dazu zu bekennen. Die Gleichheit der Geschlechter in der Gesellschaft wird aber als prinzipiell erreicht definiert. So entsteht in den Augen der Männer diesbezüglich kein Handlungsbedarf. Bestehende und wahrgenommene Ungleichheiten werden als ‚Restbestände‘ definiert, als Ergebnisse vereinzelter individueller Handlungen von einzelner Frauen und Männern, ohne jegliche strukturelle Verbindung. Die punktuellen Fehlentscheidungen von anderen Männern können unter Umständen korrigiert werden. Das ist eine Verantwortung, wie einige der männlichen Gesprächspartner erklären. Die Verfestigung der Geschlechtergleichheit wird hier punktuell zur ‚ritterlichen Verpflichtung‘ den ‚schwachen‘ Frauen gegenüber. Männer weisen aber auch auf eine andere Art von Verantwortung hin, nämlich die Vertretung der Interessen des Hörfunks als Organisation. Diese resultiert aus der Irritation, die durch die Präsenz der Frauen, als Repräsentantinnen der Differenz an einem Ort der Gleichheitskonstruktion entsteht. Diese Verantwortung bezieht sich darauf, daß die Arbeit durch die Normabweichung nicht beeinträchtigt oder gefährdet wird, und äußert sich in der Kontrolle über die Vereinbarkeitsleistung der Frauen. Legitimität gewinnen sie einerseits von der Organisation selber: Als Leiter von Redaktionen und entscheidungsmächtige Redakteure unterstützt sie ihre strukturelle Position dabei, für effektive Arbeit mit guter Qualität zu sorgen. Andererseits können sie auf die normativen Erwartungen zurückgreifen, die sich im journalistischen Berufsverständnis und –ethos manifestieren. Diese Verantwortung hat keinen Verknüpfungspunkt zu der individuellen Situation der weiblichen Mitarbeiterinnen, die Arbeit, die für diese Vereinbarkeit notwendig ist, lastet weiterhin auf den Schultern der Frauen. Die Männer, ebenso wie die Frauen, sind nicht daran interessiert, die mangelhafte Verwirklichung der Geschlechtergleichheit in der Gesellschaft zum Thema zu machen. In dem Bereich, in dem Differenz gesellschaftlichen Konsens findet, reicht die Entkoppelung des hierarchischen Aspektes aus, einer offensichtlichen Verletzung der Gleichheitsnorm zu entgehen. Beide Geschlechter müssen aber Strategien Geschlechtsspezifische Handlungsstrategien 387 entwickeln, wie sie mit der Wahrnehmung der Ungleichheit in dem anderen Bereich umgehen, die offensichtlich mit den Gleichheitsvorstellungen und mit der Annahme der Verwirklichung einer geschlechtergleichen Gesellschaft nicht zu vereinbaren sind. Die Individualisierung der Erfahrungen und Lösungen, die Plazierung der Problematik auf der individuellen Ebene und die Ausblendung des Strukturcharakters ist bei den InterviewpartnerInnen beiderlei Geschlechts zu finden. Durch die Bezugnahme auf einen individuellen Handlungs- und Gestaltungsspielraum von Frauen wird die determinierende Wirkung der Benachteiligung von Frauen relativiert. Die Verantwortung für die diskriminierenden Momente werden singulären Personen beiderlei Geschlechts zugeschrieben und von den einzelnen InterviewpartnerInnen zurückgewiesen. Während die Abgrenzung der Männer von der Genusgruppe eher dazu dient, die Verantwortung für die Ungleichheit von sich zu weisen, bezeichnen sich die Frauen ‚untypisch‘, um sich der Wirkung der Benachteiligung zu entziehen, bzw. diese zu relativieren. In der Konstruktion der asymmetrischen Geschlechterkultur sind also beide Geschlechter aktiv beteiligt, die Männer jedoch von der hierarchisch übergeordneten, die Frauen von der untergeordneten Position aus. Spezifisch männliche Umgangsstrategien sind demgegenüber die Steuerung der Wahrnehmung durch die Annahme der existierenden Geschlechtergleichheit. In diesem Rahmen wird die bloße Wahrnehmung und Thematisierung der mit Hierarchie verkoppelten Differenz als Verstoß gegen dem Gleichheitsnorm interpretiert und die diesbezüglichen Erfahrungen werden ausgeblendet. An ihre Stelle tritt die Verallgemeinerung von Einzelbeispielen, wie z.B. Berufung einiger Kolleginnen in Führungsposition als Beweis für die Chancengleichheit. Ähnlich verallgemeinert wird die Wirkung des eigenen Handelns nach dem Motto: ‚Ich diskriminiere nicht, deshalb gibt es auch keine Benachteiligung der Frauen.‘ Damit bekommt die eigene Handlung letztlich auch einen enormen Bedeutungszuwachs. Ausblick Als erste empirische Studie, die den Blick auf die Prozesse von Geschlechterkonstruktionen in Ungarn richtete, hat diese Arbeit einen explorativen Charakter. In diesem Sinne betrat die Autorin ein unentdecktes Feld. Auf der Basis der Ergebnisse der Studie läßt sich feststellen, daß viele der Erkenntnisse aus der Frauenund Geschlechterforschung westlicher WissenschaftlerInnen über die Funktions- und Reproduktionsmechanismen des Systems der Zweigeschlechtlichkeit auch im ungarischen Kontext relevant sind, obwohl die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme zwischen West- und Osteuropa vier Jahrzehnte lang äußerst unterschiedlich waren. Zwei Generationen verbrachten ihre Kindheit und Jugend im Sozialismus, in dem die Geschlechtergleichheit als eine grundlegende Norm propagiert wurde und neue Geschlechter- besser gesagt Frauenbilder, wie das der erwerbstätigen Frau verbreitet wurden. Trotzdem kann man die gleichen Dynamiken, geschlechtsspezifischen Handlungsstrategien und die Reproduktion der asymmetrischen Geschlechterkultur beobachten wie in anderen ‚kapitalistischen‘ Ländern. Unterschiede zeigen sich vor allem an einem Punkt: Die Errungenschaften der sog. neuen Frauenbewegungen, die u.a. auch in Deutschland die Geschlechterverhältnisse modifiziert haben, fehlen in Ungarn. Geschlechterungleichheit und Frauendiskriminierung sind für Frauen wie für Männer weiterhin Tabuthemen, die nicht reflektiert werden. Ebenfalls fehlt die Vielfalt der geschlechtlichen Identitätskonstruktionen. Alternative Formen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit gegenüber den hegemonialen Geschlechterbildern werden marginalisiert. 389 390 Ausblick Der Sozialismus öffnete zwar für Frauen neue Lebensoptionen, vor allem durch die Teilnahme an der Erwerbstätigkeit, im Gegenzug wurden andere jedoch unzugänglich gemacht. Die Prozesse der Pluralisierung und der Individualisierung von biographischen Entwürfen, die als Zeichen der Modernisierung verstanden werden, entwickeln sich in der postsozialistischen ungarischen Gesellschaft erst langsam. Die Ursachen dafür liegen z.T. in den gesellschaftlichen Strukturen, z.T. auf der Subjektebene. Sozialer Wandel und Transformation erfolgt in einem wechselseitigen Zusammenwirken von strukturellen Rahmenbedingungen und deren Wahrnehmung, bzw. diskursiv ausgetragenen Interpretationen. Gerade das eröffnet den Menschen neue, eigensinnige Handlungsoptionen. Die in dieser Arbeit dargestellten Beispiele zeigen, wie weibliche Journalistinnen in Ungarn zwischen widersprüchlichen und konfliktreichen Normen, Erwartungen, Strukturen, Differenzerfahrungen und Anforderungen verschiedene Strategien entwickeln, um ihre Handlungsfähigkeit als Subjekte im Beruf und im Privaten zu bewahren, um ihre Lebensoptionen als ‚JournalistIn' und als ‚Frau' zu verwirklichen. Die Strategien sind zwar unterschiedlich, aber von einer Vielfalt biographischer Entwürfe kann man nur bedingt sprechen. Studium, Partnerschaft, Karriere beim Ungarischen Hörfunk, Kinder, Doppelbelastung - das sind die Eckpfeiler in allen Biographien der hier befragten Frauen. Vergleicht man das empirische Material mit der von Mechtild Oechsle und Birgit Geissler (1996) entworfenen Typologie der weiblichen Lebensplanung, ist die ‚Einheitlichkeit‘ umso eindeutiger. Die doppelte Orientierung an den Lebensbereichen Beruf und Familie/Partnerschaft, die die meisten Frauen im Sampel auszeichnet, kann nicht als ein ‚neues' Lebenslauf-Modell verstanden werden, vielmehr ist es ein ‚altes‘. Sie wird nicht von der Thematisierung der Gleichheit in den Geschlechterverhältnissen begleitet. Die Reformierung der Geschlechterrollen stellt keine Forderung dar. Das Bild sieht auch bei den Männern nicht viel anders aus. Ihre Lebenszusammenhänge zeichnen sich zwar weit weniger durch Ambivalenzen aus als die von Frauen. Alternative Lebensläufe sind aber bei ihnen ebenfalls rar. Die große Ähnlichkeit von Biographien mag eine Besonderheit des Journalismusberufes sein oder ein Spezifikum der Arbeitsorganisation, die ‚normierte' Lebensläufe bevorzugt. Aber sie hängt auch mit einer Offenheit für unterschiedliche Lebensoptionen auf der gesellschaftlichen Ebene zusammen. Diese Studie richtete das Augenmerk nicht direkt auf die Frage der Lebensplanung bzw. Lebensführung. Dieser Bereich ist in Ungarn weitestgehend unerforscht. Hier zeigt sich eine interessante weiterführende Forschungsperspektive auf die Frage, wie sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels Modelle der Lebensplanung in Ungarn entwickeln, inwieweit eine Angleichung an die westeuropäischen Biographien zu Ausblick 391 beobachten sind, wo es Abweichungen gibt. Besonders wichtig ist es, diese Fragen aus der Geschlechterperspektive zu untersuchen, da sie auch wertvolle Anregungen für die Geschlechterpolitik bieten können. Die Geschlechterforschung macht darauf aufmerksam, daß die Identitätsbildung und die biographischen Konstruktionen der Subjekte immer im Kontext der bipolaren Geschlechterordnung erfolgen. Die soziale Welt ist durch das Geschlechterverhältnis strukturiert, es ist nicht möglich, einen Ort ‚jenseits' des Gültigkeitsbereichs des Systems der Zweigeschlechtlichkeit zu finden (vgl. u.a. Wetterer/Gildemeister 1992; Gildemeister 2001; Dausien 1996). Die Konstruktionsprozesse verlaufen auf der Ebene der gesellschaftlichen Strukturen und von kulturellen Praktiken und Symbolsystemen bzw. von individuell-biographischen Konstruktionen, wobei diese analytisch getrennten Ebenen kontinuierlich ineinandergreifen (Dausien 200:60). Diese Arbeit stellt die Frage, ob in bestimmten Kontexten die Konstruktionen von Geschlechterdifferenz punktuell unterbrochen werden können. Die Antwort ist ambivalent. Die Ergebnisse zeigen, wie komplex Gleichheitsnorm und Differenzannahme miteinander verwoben werden. Es wird aber doch deutlich, daß der Rückgriff auf Differenz situativ in vereinzelten Kontexten zusätzliche Handlungsoptionen für Frauen ermöglichen kann. Paradoxerweise kann die ‚Dramatisierung‘ von Differenz Situationen ‚entlasten‘ und den Weg zur situationsgebundenen ‚Entdramatisierung‘ ebnen. Andererseits zeigt sich, daß durch diese Unterbrechungen bzw. ‚Gleichheitsnischen‘ die Gültigkeit von Geschlechterdifferenz und -ungleichheit nicht beeinträchtigt wird. Der Identitätszwang lastet auf Männern wie auf Frauen. Angelika Wetterer (1993:99) argumentiert, daß Männern immer der Rolle der Differenz-Verstärker zukommt, da Statusunterschiede nur durch die Sichtbarkeit der Differenz aufrechterhalten werden können. Gudrun-Axeli Knapp (1995: 179) beschreibt dies als ‚Differenztabu‘, das sich in einer ‚Spärlichkeit geschlechtsimmanenter Differenzkonstruktionen‘ bei Männern manifestiert (vgl. auch Meuser 2000: 56). Die Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit zeigen, daß die Differenzverstärkung und die Akzeptanz normativ vorgeschriebener weiblicher Identitätskonstruktionen auch von Frauen verwendet werden, um ‚potentiell gefährdete‘ Bereiche der Gleichheit zu verteidigen. Das unterstützt zwar die Handlungsfähigkeit auf der individuellen Ebene, führt aber, wie die Geschichte der Geschlechterverhältnisse in Ungarn seit über 50 Jahren zeigt, gleichzeitig zur Verfestigung von Ungleichheitsstrukturen. Ziel dieser Studie war es einen empirischen Beitrag zur Erforschung von Reproduktionsmechanismen der Geschlechterkonstruktionen zu leisten. Durch die Auswahl des Forschungsgegenstandes, JournalistInnen in Ungarn, wurden andere 392 Ausblick Wissenschaftsfelder ebenfalls punktuell in die Arbeit eingebunden: Medien- und Kommunikationswissenschaften und die Transformationsforschung. Die Ergebnisse verweisen auf die spezifischen Berufskonstruktionen im ungarischen Journalismus in einer Zeit sozialen Wandels. Die Rekonstruktion der AkteurInnenperspektive in diesem Beruf liefert wichtige Anregungen für weitere, differenzierte Analysen der Rolle der Medien in der Transformation. Es wird deutlich, daß die Berücksichtigung von subjektiven Deutungsmustern wichtig ist, um die Komplexität der Prozesse zu verstehen. Aufgrund des qualitativen Forschungsdesigns konnte diese Studie keine übergreifende Beschreibung der beruflichen Situation von ungarischen JournalistInnen bzw. der Position der Frauen im Beruf geben. Dafür sind weitere, quantitative Erhebungen notwendig. Aber es wurde exemplarisch am Beispiel der Politik-, Wirtschafts- und Nachrichtenredaktionen des Ungarischen Hörfunks aufgezeigt, wie Prozesse des Gendering in bestimmten Kontexten wirken können. Es war mir ein persönliches Anliegen, die weiblichen Journalistinnen nicht einfach als Opfer diskriminierender Strukturen darzustellen, sondern im Gegenteil, darauf aufmerksam zu machen, wie sie sich individuelle Freiräume für die berufliche Entfaltung schaffen. Eine interessante Frage für weitere Forschungsarbeiten wäre, wie die vergeschlechtlichte Struktur und Kultur einer Organisation von eigensinnigen Handlungen der Frauen modifiziert werden kann. Wo treffen sich Gendering-Prozesse und ‚Entgeschlechtlichung' auf der Ebene der Organisation aufeinander? An diesen Stellen ist das Potential für den Wandel in hierarchischen Geschlechterverhältnissen zu suchen.