Gott wird Mensch – einige Anmerkungen Auffallend ist die Tatsache, dass davon berichtet wird, Maria sei schon vor ihrer Eheschließung schwanger gewesen. Vielleicht hat sich hier ein Hinweis auf eine historische Erinnerung niedergeschlagen hat, denn solch einen Umstand erfindet man nicht über die Mutter dessen, den man als Sohn Gottes verehrt. Wenn Maria und Josef bei Jesu Geburt beispielsweise schon einige Jahre verheiratet gewesen wären, dann hätte man nicht im Nachhinein von einer Schwangerschaft vor der Eheschließung gesprochen. Der Umstand, dass Maria noch unverheiratet war, als sie schwanger wurde, der hat demnach eine gewisse historische Glaubwürdigkeit für sich. Was aber wollen die biblischen Berichte sagen, wenn sie uns nicht zuerst über historische Details informieren möchten? Was ist die eigentliche Absicht des Weihnachtsevangeliums und des Verkündigungsberichtes? Die erste und wichtigste Botschaft - und in diesem Sinne haben auch die Kirchenväter diese Stellen immer zitiert -, die wichtigste Aussage ist: Jesus ist geboren worden! Und das heißt nicht nur, er ist Mensch geworden, nein, er wurde geboren, wurde ein kleines Kind, das alleine hilflos gewesen wäre. Er war angewiesen auf seine Eltern, musste lernen, hatte Kinderkrankheiten, wie jedes andere Kind auch und machte seinen Eltern manchen Kummer. Das ist die erste Absicht der Texte: zu sagen, dass Gottes Sohn als richtiger Mensch geboren worden ist. Denn das war alles andere als selbstverständlich. Für viele Denker der damaligen Zeit war das ein Ärgernis. Dass Gott Mensch wird, das hätte man sich ja noch vorstellen können, so nach dem Motto: Gott verkleidet sich eben mit einer Hülle aus Fleisch, er schlüpft gleichsam in den Körper eines Menschen und tut so, als wäre er Mensch. So konnte man sich in der Antike die Menschwerdung von Gottheiten schon vorstellen. Dass dieser Gott aber wirklich Mensch wird und dass er sich sogar von einer Frau gebären lässt, um dann als kleiner hilfloser Wurm ganz den Menschen ausgeliefert zu sein, das war für viele eine Ungeheuerlichkeit. Genau das aber betonen die biblischen Berichte: Gott wird Mensch mit allem drum und dran. Und das wollen diese Berichte demnach auch verkünden. Sie sagen uns nicht, wie die Dinge in allen Einzelheiten vonstatten gegangen sind, nicht einmal ob Maria jetzt im biologischen Sinn als Jungfrau geboren hat oder nicht. So hat selbst Joseph Ratzinger in seiner Einführung in das Christentum - lange bevor er Erzbischof von München (und Papst) wurde - geschrieben: „Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre.“ (Josef Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 225) Gott ist immer der Urheber des Lebens. Jeder von uns lebt nicht nur aufgrund biologischer Zusammenhänge und Automatismen, sondern weil Gott ihn zum Leben berufen hat. Und wie genau Gott es angestellt hat, dass sein Sohn empfangen wurde, bleibt dem Zugriff unseres Denkens entzogen. Unsere Kirche hält selbstverständlich auch weiterhin daran fest, dass die Empfängnis Jesu ohne Zutun eines Mannes vor sich ging - lassen wir das ganz einfach hier so stehen. Wichtig scheint mir zu sein, dass das Sprechen von der Jungfräulichkeit Mariens zuerst einmal theologische Bedeutung hat: Jungfräulichkeit ist hier zuallererst eine theologische Kategorie. Sie meint Selbsthingabe an Gott. Und die hat mit Biologie zunächst einmal nur am Rande zu tun. Der Bericht von der Verkündigung möchte uns darüber hinaus deutlich machen, wie Gott hier nicht ohne den Menschen ans Werk geht. Gott überrumpelt nicht einfach. Er möchte das Einverständnis seines Gegenübers. Er tut nichts, ohne dass der Mensch auch Ja dazu gesagt hat. Gott macht sich - und das ist eine ungeheure Aussage - abhängig vom Ja des Menschen. Er macht sich hier abhängig von einer einfachen jungen Frau. Noch heute ist das bemerkenswert: Damals - auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Stellung von Frauen - war das beinahe undenkbar: Gott macht sich, macht die Geburt seines Sohnes abhängig vom Ja-Wort einer Frau. … Generationen von Theologen haben sich die Köpfe darüber zerbrochen, wie es zu verstehen sei, dass Jesus Christus göttliche und menschliche Person zugleich war. Und all ihr Nachdenken hat lediglich zur Formel geführt, dass in Jesus Gottheit und Menschheit einerseits unvermischt und unverwandelt, andererseits aber ungetrennt und ungesondert vorhanden sind. Diese Formulierung ist, wenn man sie länger durchdenkt, so genial, weil sie im letzten wieder nichtssagend ist. Die Begriffe schließen sich - logisch betrachtet - gegenseitig aus und sagen im Grunde nicht wie es ist - allerhöchstens, wie es nicht ist. Und sie machen im Grunde damit nur wieder deutlich, dass man eigentlich gar nichts sagen kann. In unserem menschlichen Denken lässt es sich nicht durchdringen, wie das mit der Gottheit und der Menschheit in Jesus Christus vorstellbar sein soll. (…) (aus: Jörg Sieger, Wie können wir heute glauben, auch im www: Unser Glaube - Ein Versuch zeitgemäßer Antworten, http://www.joerg-sieger.de/glaube.htm ) Dr. Jörg Sieger, geb. 1960, Priester der Erzdiözese Freiburg