Die Finanz- und Wirtschaftskrise Ein Anwendung des AS

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Die Finanz- und Wirtschaftskrise
Ein Anwendung des AS-AD Modells
G. Müller-Fürstenberger, Grundzüge Makroökonomik im Sommer 2010
Das AS-AD Modell ist ein gesamtwirtschaftlicher Erklärungsansatz für die zentralen
makroökonomischen Variablen: BIP, Beschäftigung, Preise und Zinsen. Im Folgenden
diskutieren wir den Ablauf der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 in diesem
Analyserahmen. Die Zusammenhänge sind etwas verkürzt, viele Aussagen erfolgen
ceteris paribus.
1. Grundzüge des Modells
Das AS-AD Modell stellt einen Zusammenhang her zwischen P (Preisniveau) und Y
(Output). Gleich vorweg: Da über den Output der Umsatz generiert wird und aus
Umsätzen das Einkommen entsteht, können wir auch vom Einkommen Y sprechen.
Die Angebotsseite (AS) kommt über das Lohn- und Preissetzungsverhalten der
Haushalte und Unternehmen zustande. Haushalte fordern den Lohn W in
Abhängigkeit vom erwarteten Preisniveau Pe, der Arbeitslosigkeit u und den
sonstigen Faktoren z. Unternehmen kalkulieren ihren Angebotspreis P über einem
Lohnaufschlag µ. Somit
P = (1 + )P F(u, z).
(AS)
1 = (1 + )F(u , z).
(NA)
Stimmen erwartetes und tatsächliches Preisniveau überein, wovon langfristig
auszugehen ist, definiert AS implizit die natürliche Arbeitslosigkeit un:
Zwischen u und Y bestehe ein linearer Zusammenhang,
u=1
.
Dabei ist N der Output unter Vollbeschäftigung. Die AS Kurve (i.e. der Preis) ist
zunehmend in Y, da Arbeitslosigkeit und Output negativ korrelieren. Der
Zusammenhang läuft dabei immer über Lohnsatzanpassungen.
Die Nachfrageseite (AD) ist vom Keynes-Effekt geprägt: steigende Preise erhöhen die
Liquiditätsnachfrage. Bei gegebenem Geldangebot steigen folglich die Zinsen, was die
Investitionsnachfrage zurückdrängt. Die Wirtschaft erlebt eine Rezession. Diese
Zusammenhänge, insbesondere die damit einhergehenden Multiplikator- und
Verdrängungseffekte, bildet das IS-LM Modell ab.
2.
Von der Finanz- zur Wirtschaftskrise
Fragen wir zunächst nach dem Auslöser der Krise und dann, wie dieser im Modell
wirkt. Ein auslösendes Moment der aktuellen Wirtschaftskrise ist das Platzen einer
Immobilienblase in den USA. Vermögenswerte sind im AS-AD Modell nicht explizit
sichtbar, deshalb müssen wir nach dem richtigen Anknüpfungspunkt suchen. Wir
beginnen mit dem Konsumverhalten. Es könnte sein, dass Hausbesitzer auf sinkende
Immobilienpreise mit weniger Konsum reagieren. Das müssen sie beispielsweise,
wenn sie ihre Immobilie als Sicherheit für einen Konsumentenkredit verwenden.
Verliert die Sicherheit an Wert, kürzt die Bank den Kreditrahmen. Sinkender Konsum
bedeutet sinkende Nachfrage und damit weniger oder gar negatives Wachstum. In
der Folge würden die Zinsen sinken. Sinkende Zinsen beleben die
Investitionsnachfrage und wirken damit nachfragesteigernd. Die Wirtschaft
stabilisiert sich etwas. Im Ergebnis hätten wir weniger Output und tiefere Zinsen,
siehe Abbildung 1.
Abbildung 1: Folgen eines Konsumrückgangs auf Zins und
Einkommen. Pfeil 1 ist die multiplikatorverstärkte Wirkung des
Konsumrückgangs. Pfeil 2 ergibt sich aus dem Wechselspiel von
Zinsanpassung im LM und Investitionsnachfrage.
Der Rückgang des Einkommens ist mit den tatsächlichen Vorgängen noch in Einklang
zu bringen. Aber ein sinkender Zins, und zwar ohne Zutun der Zentralbank, passt
nicht zu den realen Abläufen. Deshalb verwerfen wir diese Argumentation und
prüfen eine zweite mögliche Übertragung von der Finanz- in die Realwirtschaft, den
Geldmarkt.
Im Geldmarkt treffen Geldangebot und Geldnachfrage aufeinander. Die Zentralbank
steuert das Geldangebot, zumindest den Bargeldumlauf. Keine Institution außer der
Zentralbank hat die Lizenz zum Drucken von Bargeld. Anders verhält es sich mit den
Giralgeldern, also den Sichteinlagen bei Banken. Dieses Geld muss nicht gedruckt
werden, es existiert nur virtuell als Buchungsposten einer Bank. Die Zentralbank kann
das Volumen an Geldern auf Girokonten zwar beeinflussen, sie kann es aber nicht
präzise steuern. Schuld daran ist der Geldschöpfungsmultiplikator. Wir erinnern uns:
erhöht die Zentralbank die Geldmenge, setzt sie den Geldschöpfungsmultiplikator in
Gang, der wie folgt funktioniert: Die Zentralbank kauft im Rahmen einer
Offenmarktoperation beispielsweise Bundesanleihen von Privaten. Den Verkaufserlös
zahlen diese auf ein Girokonto ein, sagen wir 1000 €. Damit haben Privatpersonen
ein Kontoguthaben von 1000 €, was die Geldmenge M1 um 1000 € steigert. Die Bank
wird mit diesem Geld arbeiten, in dem sie es verleiht. Sie verleiht aber nicht alles,
denn einen kleinen Teil davon muss sie als Mindestreserve zurückhalten. In Europa
sind das 2 % der Sichteinlagen. Die Bank gewährt also 980 € Kredit an einen Dritten,
der mit diesem Geld etwas kauft. Der Verkäufer bekommt dann 980 € auf seinem
Konto gutgeschrieben. Damit hat sich die Geldmenge um 1980 € erhöht. Die
kontoführende Bank kann diese 980 € nun ebenfalls weiterverleihen, was die
Geldmenge erneut erhöht. Solange dieser Kreditgewährungsprozess läuft, steigt die
Geldmenge. Die Zentralbank kann in diesen Prozess über den Mindestreservesatz
eingreifen, sie kann die Geldmengenexpansion aber nicht präzise steuern.
Ein expansiver Bankensektor geht somit einher mit einer steigenden Geldmenge.
Umgekehrt gilt das Gleiche. Verringern die Banken die Kreditvolumina, so sinkt auch
die Geldmenge. An dieser Stelle setzen nun unsere Überlegungen zur Krise ein. Auf
die Verwerfungen im Immobiliensektor reagieren die Banken mit weniger Krediten.
Folglich sinkt die Geldmenge, die LM Kurve verschiebt sich nach oben (von LM0 auf
LM1). Das erste am Markt sichtbare Zeichen sind stark steigende Zinsen. Höhere
Zinsen drängen Investitionen zurück, die Wirtschaft beginnt zu schrumpfen, siehe
Pfeil 2 in Abbildung 2. Damit wird aus der Finanzkrise eine reale Krise.
Abbildung 2: Folgen einer Kreditklemme auf Zins und Einkommen.
3. Interventionsfreier Verlauf
Betrachten wir die weiteren Ereignisse unter der Annahme, dass Staat und
Zentralbank auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen. Sie greifen nicht in
das Geschehen ein. Die weitere Argumentation ist in Abbildung 3 veranschaulicht.
Zunächst übertragen wir dort die neue Nachfragesituation in das P-Y Diagramm, d.h.
die AD verschiebt sich nach links von AD0 auf AD1. Beim ursprünglichen Preisniveau
finden die Waren jetzt nicht mehr ausreichend Absatz. Die Preise beginnen zu sinken
und die Firmen entlassen Mitarbeiter. Somit fallen auch Output und Löhne.
Gleichzeitigt steigt die Arbeitslosigkeit. Die neue Situation (Y1 und P1) basiert aber
noch auf den alten Preiserwartungen. Die Arbeitnehmer werden in den nächsten
Lohnverhandlungen weniger fordern. Erstens weil eine höhere Arbeitslosigkeit ihre
Verhandlungsposition schwächt und zweitens, weil gesunkene Preise die
Nominallöhne aufwerten. Werfen wir aber zuvor einen Blick zurück in das IS-LM
Diagramm. Die deflationäre Entwicklung auf dem Gütermarkt verringert die
Nachfrage nach Liquidität, die LM Kurve verschiebt sich deshalb wieder etwas nach
rechts. Dann geben auch die Zinsen wieder etwas nach. Sie sind aber auch jetzt noch
höher als vor der Krise.
Gesunkene Preise setzen Arbeitnehmer unter Druck. Sie fordern wie oben bereits
angesprochen weniger Lohn. Bildlich gesprochen verschiebt sich die AS Kurve nach
unten, von AS0 auf AS1. Die Revision der Preiserwartung nach unten reicht aber noch
nicht aus, um den Gütermarkt wieder zu räumen. Das Preisniveau fällt erneut, da
realisierte Preise wieder unter den erwarteten liegen. Dieser Prozess setzt sich fort,
bis Preiserwartungen und realisierter Preis übereinstimmen. In der Grafik ist dies für
P3 der Fall, wobei wir einige Zwischenschritte (d.h. Erwartungsanpassungen)
ausgelassen haben.
Im Ergebnis hat sich folgendes ereignet: nach einem anfänglich sehr stark rezessiven
Schock mit hohen Zinsen bewegt sich die Wirtschaft über eine Deflation in das
Gleichgewicht zurück. Am Ende herrscht wieder die natürliche Arbeitslosigkeit un, das
Zinsniveau ist auf Vorkrisenniveau, ebenso das BIP. Nur das Preisniveau ist dauerhaft
gesunken. Das sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Wirtschaft
zwischenzeitlich schwere Zeiten durchlebt. Auch das tiefere Preisniveau am Ende des
Anpassungsprozesses verändert die Wirtschaft, insbesondere die
Verteilungssituation. Von tieferen Preisen profitieren Sparer, Rentner, Inhaber von
Kapitallebensversicherungen, etc. Für Schuldner ist diese Situation schmerzhaft. Ihr
Schuldenbestand ist durch die Deflation real gestiegen.
Abbildung 3: Anpassungsprozesse einer interventionsfreien Wirtschaft. Am Ende ist
fast alles wieder beim Alten, denn nur die Preise sind dauerhaft gesunken. Sparer
profitieren von dieser Situation, Schuldner leiden unter ihr.
4. Die Zentralbank greift ein
Die Marktkräfte führen eine Wirtschaft zurück ins Gleichgewicht – so die obige
Argumentation. Wie aber bereits erwähnt, durchlief die Wirtschaft eine Rezession
mit hoher Arbeitslosigkeit und Deflation. Ist daran die Zentralbank schuld, weil sie zu
passiv war?
In Abbildung 2 ist die Ursache der Krise gezeigt: die LM Kurve verschiebt sich nach
links in Folge einer real gesunkenen Geldmenge. Durch eine expansive Geldpolitik
wäre dies augenscheinlich zu verhindern. Also angenommen, die Zentralbank
reagiert auf die Krise sofort mit einer lockeren Geldpolitik. Sie kauft
Schuldverschreibungen am Markt auf und gewährt Kredite mit dem Ziel, eine
Kontraktion der Geldmenge zu verhindern. Dabei muss sie sich lediglich am Zins
orientieren. Gelingt es, das Zinsniveau unverändert zu halten, wird offensichtlich
ausreichend Liquidität in den Markt gepumpt. Damit ist die Krise im Finanzsektor
isoliert, sie springt nicht über in die Realwirtschaft.
Interessant wird es jetzt erst wieder, wenn die Krise im Finanzsektor abklingt und der
Kreditgewährungsprozess wieder einsetzt. Also zu einem Zeitpunkt, ab dem die Krise
bereits überwunden scheint. Die Zentralbank müsste jetzt gegensteuern und die
Zentralbankgeldmenge wieder verringern. Sie müsste als eine Exit-Strategie einleiten.
Verpasst die Zentralbank den richtigen Zeitpunkt für ihre Exit-Strategie, oder
verzichtet sie bewusst auf einen Exit, wird eine erneut expandierende
Kreditgewährung die Geldmenge weit über das Vorkrisenniveau hinaus ausdehnen.
Die daraus resultierenden Prozesse zeigt Abbildung 4. Die höhere Geldmenge wird
mit weiter sinkenden Zinsen einhergehen, was wiederum zu mehr
Wirtschaftswachstum (höheres Y) führt. Übertragen in das P-Y Diagramm entspricht
dies einer Rechtsverschiebung der AD Kurve von AD0 auf AD1. Die Firmen reagieren
auf die zusätzliche Nachfrage, indem sie Produktion und Preise erhöhen. Die
Arbeitslosigkeit sinkt unter ihr natürliches Niveau. In der nächsten Lohnrunde
werden diese Entwicklungen in eine höhere Lohnforderung münden: erstens sind die
Preise gestiegen, die Arbeitnehmer fordern also einen Inflationsausgleich. Und
zweitens ist der Arbeitsmarkt ausgetrocknet, es gibt kaum mehr qualifizierte
Arbeitssuchende. Höhere Löhne sind dann leicht durchsetzbar.
Höhere Preise verkleinern die reale Geldmenge. Im IS-LM Diagramm wird damit die
Rechtsverschiebung der LM Kurve teilweise rückgängig gemacht. Die gestiegene
Preiserwartung verschiebt auch die AS Kurve nach rechts. Denn unabhängig von der
Arbeitslosenrate, ein Inflationsausgleich wird immer gefordert und letztlich auch
gewährt. Denken Sie an Luxemburg, wo der Inflationsausgleich sogar gesetzlich fixiert
ist. Haushalte fordern also einen höheren Lohn, die Unternehmen passen die Preise
entsprechend an. In der neuen Situation herrscht immer noch Überbeschäftigung, so
dass Löhne und Preis weiter steigen. Dieser Prozess kommt erst in P3 zum Stillstand,
wobei wir auch hier einige Anpassungsschritte ausgelassen haben.
Betrachten wir das Ergebnis, so gilt wieder: Die Wirtschaft kehrt in die alte Situation
zurück. Nur eine Variable hat sich verändert, das Preisniveau. Im Gegensatz zu
vorher gab es zwischenzeitlich also eine Inflation. Das wird die Sparer und Rentner
nicht freuen, für hochverschuldete Haushalte, private wie öffentliche, ist dies aber
eine gute Nachricht.
Abbildung 4: Die Zentralbank interveniert, verzichtet aber auf das Exit. In der Folge
steigen die Preise.
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