Distanz: Figuren, Schreibweisen, Diskurse

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Call for Papers
Distanz: Figuren, Schreibweisen, Diskurse
Internationale literatur- und kulturwissenschaftliche Konferenz an der Universität Erfurt
vom 08. bis 10. November 2012.
Eine Zusammenarbeit der Kolloquien
„Plattform Weltregionen und Interaktionen“ und „Forum: Texte. Zeichen. Medien.“
In den gegenwärtigen Literaturen Mittel- und Osteuropas ist eine Häufung von verschiedenen
Formen der Distanz zu beobachten. Trotz oder gerade aufgrund der nach dem Ende des
Sozialismus akut gewordenen Notwendigkeit nationale, regionale oder kulturelle Identitäten
neu zu verhandeln, distanziert sich die Literatur von klaren Standpunkten und offiziellen
Diskursen. Das Erschreiben von Distanz lässt sich auf der Ebene der Figuren, der
Schreibweisen und der Diskurse verfolgen.
I Figuren der Distanz
Im narratologischen Sinne interessieren uns Figuren im Text, d.h. Protagonisten oder
Erzählerfiguren.
Welche
distanzierten
Figuren
oder
Distanzstifter
treten
in
der
Gegenwartsliteratur auf? Handelt es sich dabei um selbstgewählte oder unfreiwillig
eingenommene Positionierungen der Distanz?
Beispielsweise lassen sich häufig Aktualisierungen älterer figurativer Vorbilder finden, wenn
ausgehend von intertextuellen ‚Folien’ Typisierungen vorangetrieben, verworfen oder
aufgebrochen werden. Welche Rolle spielen z.B. Figuren wie der ‚Bafler‘ Bohumil Hrabals?
Mit dem Bafler findet das ‚Kneipengeschwätz‘ Eingang in die tschechische und internationale
Literatur. Die Figur ist durch die Art ihres Erzählens bestimmt und schafft durch betonte
Mündlichkeit Distanz zum literarischen Diskurs. Ist der Bafler deshalb eine Figur der
Distanz? Und lässt sich diese Figur auch in der heutigen tschechischen Literatur,
beispielsweise bei Jáchym Topol wiederfinden? Existiert dieser Figurentypus auch in Werken
anderer, benachbarter Literaturen – man denke an Paweł Huelles Mercedes-Benz [dt: ebs.]
und Mirosław Nahaczs Bombel [dt: ebs.] oder Hrabal könyve [dt.: Das Buch Hrabals] von
Péter Esterházy.
Welche Rolle spielen Typisierungen und Retypisierungen von literarischen Figuren? Gibt es
möglicherweise Figuren, die den Bezug zu Nationalliteraturen ganz infrage stellen oder
gerade auf eine globalisierte Literatur ausgerichtet sind?
1
II Schreibweisen der Distanz
Distanz zeigt sich in Schreibweisen oder textuellen Verfahren: Handelt es sich beispielsweise
bei ironischen Brechungen des Erzählens oder dem selbstironischen Einschreiben des Autors
in den Text um Schreibweisen der Distanz? So ließe sich das Auftreten des Autors als Figur
auf der Handlungsebene, wie es etwa in Romanen des Tschechen Jiří Kratochvil zu
beobachten ist, als eine Distanz erzeugende Textfigur beschreiben.
Auch die relativierende Aufteilung des Erzählens auf mehrere Perspektivträger, deren
Erzählungen eines Geschehens sich überschneiden, könnte eine kompositorische Strategie zur
Herstellung von Distanz sein, wenn eine übergeordnete Instanz der Textkomposition sich
dadurch vom erzählten Geschehen distanziert. Derartiges lässt sich mitunter für den Einsatz
mehrerer Erzählerstimmen innerhalb eines einzelnen Textes feststellen; ein Beispiel hierfür
könnte Miloš Urbans, von zwei Protagonisten abwechselnd erzählter Roman Stín katedrály
[dt. Im Dunkel der Kathedrale] sein.
Was können Schreibweisen der Distanz sein? Lassen sich spezifische Schreibweisen der
Distanz in der neueren Literatur Mittel- und Osteuropas erkennen? Auf welche Weisen wird
Distanz erschrieben? Sind Beispiele für Distanzierungen im Hinblick auf Genres zu entdecken
oder werden Rezeptionsprozesse subversiv unterminiert?
III Diskurse der Distanz
Was sind Diskurse der Distanz? Inwiefern geht gegenwärtige Literatur auf Distanz zu
etablierten literarischen und kulturellen Diskursen? So sind die im vorangegangenen
Abschnitt skizzierten Schreibweisen beispielsweise nicht selten im Zusammenhang mit
Distanzierungsgesten gegenüber historischen bzw. historiographischen Diskursen zu
beobachten. Distanziert sich Literatur von etablierten Vergangenheitsdiskursen oder betont sie
so den diskursiven Charakter von Geschichte?
Das bisher Genannte lässt an das Konzept der littérature mineure denken, das Gilles Deleuze
und Félix Guattari in ihrem 1975 erschienen Buch „Kafka. Pour une littérature mineure“
entwerfen. Diese littérature mineure definieren sie explizit nicht als Literatur, die in einer
kleinen Sprache geschrieben wurde, sondern als Literatur einer Minderheit, die sich einer
großen Sprache bedient. Eines der wichtigsten Merkmale der littérature mineure, nämlich ihre
Deterritorialisierungsbewegung, legt nicht nur aufgrund der ebenfalls räumlichen Metaphorik
eine gewisse Nähe zum Begriff ‚Distanz’ nahe. „In einer eigenen Sprache wie ein Fremder
leben“ verstehen Deleuze/Guattari als literarische Tugend und erklären das „Klein-Werden“
2
zur großen Hoffnung einer künftigen Literatur. Lassen sich Figuren, Schreibweisen und
Diskurse der Distanz mit dem Konzept der littérature mineure beschreiben? Inwiefern kann
es überhaupt für die Beschäftigung mit Literaturen fruchtbar gemacht werden, die nicht im
selben Sinne Minderheitenliteraturen sind, wie die von Deleuze/Guattari beschriebene
pragerdeutsche Literatur Kafkas? Gibt es gerade im Zusammenhang mit Begriffen wie
Regionalisierung und/oder Internationalisierung möglicherweise Überschneidungen oder
Abgrenzung gegenüber anderen Diskursen, die literarische Identitäten als Distanzbeziehungen
verhandeln? Zu denken wäre hier etwa an die diskursive Distanzierung ‚kleinerer’ gegenüber
‚größeren’ Nationalliteraturen, mit welcher sich u.a. der Slavist Christian Prunitsch
beschäftigt1 oder die pejorative Distanz, die größere gegenüber kleineren Nationalliteraturen
herstellen und die Milan Kundera als „terrorisme du petit contexte” bezeichnet. 2
Einladung:
Willkommen sind literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge mit Bezug zur Region
Mittel- und Osteuropas. Ausdrücklich begrüßen wir Arbeiten, die eine vergleichende
Perspektive einnehmen. Ausgehend von unserer eigenen bohemistischen Spezialisierung,
möchten wir mit anderen Teilgebieten der Slawistik sowie der Germanistik und Hungarologie
in Dialog treten, um insgesamt eine komparatistische Perspektive auf Figuren, Schreibweisen
und Diskurse der Distanz zu versuchen.
Abstracts von max. 300 Wörtern bitte bis zum 15.05. an [email protected] und
[email protected]
Unverbindliche
Anmeldung
zur
Teilnahme
ohne
Vortrag
bitte
ebenfalls
an
[email protected] oder [email protected]
Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch, Vortragsdauer 20 Minuten.
Für Verpflegung möchten wir einen Beitrag von 20 Euro erheben.
Weiter Informationen unter http://www.uni-erfurt.de/literaturwissenschaft/slawistik/projekte/
1
Prunitsch, Christian: Zur Konzeptualisierung der tschechischen als einer kleinen Literatur an der Wende vom
18. Zum 19. Jahrhundert, in: Höhne, Steffen/Ohme, Andreas (Hg.): Prozesse kultureller Integration und
Desintegration. Deutsche, Tschechen, Böhmen, München, 2005, S. 51-72.
2
Kundera, Milan: Le rideau, Paris 2005, 54. Siehe auch: Kundera, Milan: Einleitung zu einer Anthologie oder
über drei Kontexte, in Chvatík, Květoslav: Die Prager Moderne, Frankfurt 1992, S. 7-22.
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