Wenn die Niere versagt Die Niere hat eine Vielzahl von Funktionen. Insbesondere ist sie für die Ausscheidung von Abfallstoffen zuständig, die – wenn nicht ausgeschieden – den Körper vergiften. Über die Nieren reguliert der Körper aber auch seinen Mineralstoffhaushalt, je nach Bedarf werden diese Stoffe von der Niere vermehrt in den Urin abgegeben oder im Blut zurückgehalten. Ist die Funktion der Niere beeinträchtig, bleiben also schädliche Stoffe im Körper zurück. Liegt ein fortgeschrittenes Nierenversagen vor, steht, laut Primar Dr. Karl Lhotta, Leiter der Abteilung für Nephrologie und Dialyse am LKH Feldkirch, eine Dialysebehandlung unmittelbar bevor. Im Interview spricht er zudem über Spendernieren, Risikogruppen und welche Rolle das Geschlecht bei der Zuteilung spielt. Herr Primar, was sind die ersten Anzeichen für ein Nierenversagen? Nierenerkrankungen verlaufen leider schleichend und symptomlos. Erst bei weit fortgeschrittenem Nierenversagen kommt es zu Müdigkeit, Appetitverlust, Blutarmut und Wassereinlagerung. Treten derartige Symptome auf, gilt abzuklären, ob es sich tatsächlich um ein Nierenversagen handelt. Ist das der Fall, steht die Notwendigkeit einer Dialysebehandlung meist unmittelbar bevor. Was versteht man unter einer Dialysebehandlung? Die Dialyse ist eine künstliche Blutwäsche. Neben der Nierentransplantation ist sie die wichtigste Nierenersatztherapie bei chronischem Nierenversagen. Für Menschen mit einem akuten Nierenversagen ist die Dialyse lebensnotwendig, denn sie reinigt das Blut von Salzen, Giftstoffen und Stoffwechselschlacken und scheidet Flüssigkeit, die mit der Nahrung aufgenommen wird, aus. Wie lange überlebt man ohne funktionierende Niere? Bei vollständigem Nierenversagen ist ein Überleben ohne Dialysebehandlung nur für Tage bis wenige Wochen möglich. Daher ist es sehr wichtig, eine Nierenerkrankung frühzeitig zu erkennen. Das heißt, wenn noch keine Symptome vorliegen. Nur dann können wirksame Therapiemaßnahmen eingeleitet werden, um eine Dialysebehandlung zu verhindern. Und wie ist das möglich, wenn Nierenerkrankungen schleichend und ohne Symptome verlaufen? Gibt es Risikogruppen? Nierenversagen ist die Folge einer fortschreitenden chronischen Nierenschädigung durch verschiedene Erkrankungen. Wir sprechen hier von Patienten mit Diabetes, hohem Blutdruck oder Arteriosklerose, also Erkrankungen der Arterien. Liegt einer dieser Risikofaktoren vor, muss regelmäßig auf eine Nierenschädigung untersucht werden. Dabei wird insbesondere der Harn kontrolliert. Ein erhöhtes Ausscheiden des Eiweißes Albumin weist auf eine Nierenschädigung hin. Ein derartiger Test sollte bei Risikopatienten regelmäßig durchgeführt werden, denn nur so kann eine Nierenerkrankung am frühesten erkannt werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Abschätzung der Nierenfunktion anhand des so genannten Kreatininwertes im Blut. Dieser Wert ist allerdings erst erhöht, wenn die Nierenfunktion deutlich eingeschränkt ist. Kann man in irgendeiner Art und Weise vorbeugen? Wichtig sind alle Maßnahmen, die der Entstehung von Risikofaktoren wie Diabetes oder hohem Blutdruck entgegenwirken. Dazu gehören gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung und der Verzicht auf Nikotin. Liegt bereits eine Nierenschädigung vor, ist eine konsequente Blutdrucksenkung notwendig, um ein Fortschreiten zu verhindern. Wie viele Betroffene gibt es in Vorarlberg Derzeit benötigen etwa 400 Patienten in Vorarlberg eine Nierenersatztherapie bzw. eine Dialysebehandlung. 210 Vorarlberger leben schon jetzt mit einer Spenderniere, also circa die Hälfte der Betroffenen. Österreich gehört mit jährlich etwa 44 Nierentransplantationen pro Million Einwohnern weltweit zu den absoluten Spitzenreitern. Die andere Hälfte wird mittels Hämodialyse oder so genannter Peritonealdialyse behandelt – das sind die beiden gebräuchlichsten Dialyseverfahren außerhalb des Körpers. Zur Hämodialyse muss der Patient drei Mal pro Woche für mindestens vier Stunden in ein Dialysezentrum kommen. Die Peritonealdialyse kann selbständig zuhause durchgeführt werden. Nimmt die Zahl der Patienten zu? Leider ja. Für das Jahr 2015 rechnen wir in Vorarlberg mit über 300 Patienten, die mittels Dialyse behandelt werden. Das entspricht einem Anstieg an Dialysepatienten von jährlich fünf bis acht Prozent. Die Datenlage für frühere Stadien der Nierenerkrankungen ist nicht so exakt. Mehrere internationale Studien haben gezeigt, dass bei zehn Prozent der Bevölkerung eine chronische Nierenschädigung besteht. Angenommen ein junger Mensch – Mann oder Frau – hat einen Unfall und kommt dabei ums Leben. Die Niere ist intakt, könnte also als Spenderniere dienen. Kann diese Niere verwendet werden Bevor ein Unfallopfer als potentieller Organspender in Frage kommt, muss natürlich der Hirntod zweifelsfrei feststehen. Danach können die Organe zur Transplantation verwendet werden. In Österreich gilt nämlich die so genannte Widerspruchslösung. Diese erlaubt die Organentnahme bei hirntoten Patienten, sofern der potenzielle Organspender nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Dazu ist der Eintrag in das Widerspruchsregister gegen Organspende notwendig. In diesem Register sind derzeit etwa nur 15.000 Österreicher gemeldet. Das zeigt, dass die Zustimmung zur geltenden gesetzlichen Regelung sehr groß ist. In Deutschland gilt beispielsweise die Zustimmungsregelung, das bedeutet, der Organspender muss bereits zu Lebzeiten der Organentnahme zugestimmt haben. Deshalb können in Deutschland wesentlich weniger Transplantationen durchgeführt werden. In Österreich wird also kein „Spenderpass“ benötigt? Nein. Trotzdem holen wir in der Praxis immer die Zustimmung der Angehörigen ein. Das ist zwar eine große Belastung für alle Beteiligten – insbesondere bei Unfällen. Dennoch stimmen die Angehörigen der Organentnahme in den meisten Fällen zu. Schlussendlich wissen sie, dass dadurch Menschenleben gerettet werden kann. Und wie schaut es mit Lebendspendern aus? In den letzten Jahren hat daher in der Nierentransplantation die Lebendspende deutlich zugenommen. Nicht zuletzt, da die Zahl der hirntoten Organspender aus verschiedenen Gründen rückläufig ist. Vorarlberg ist hier in Österreich absoluter Vorreiter, es gibt eine große Offenheit und Bereitschaft zur Lebendspende. 2008 waren es in Vorarlberg sechs von insgesamt 16 durchgeführten Nierentransplantationen. Vier Mal wurde diese Lebendspende sogar durchgeführt, noch bevor der Patient an die Dialyse genommen werden musste. Das ist derzeit das optimale Vorgehen. Auch die erste in Innsbruck durchgeführte Transplantation bei Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger wurde bei einem Patienten aus Vorarlberg durchgeführt. In den USA sind anonyme Lebendspenden erlaubt, in Deutschlang hingegen nicht. Wie ist die Situation in Österreich? Anonyme Lebendspenden sind hierzulande zwar nicht dezidiert verboten, werden in der Praxis aber nicht durchgeführt. Wie lange wartet man auf eine Spenderniere? Sollte für einen Patienten kein Lebendspender zur Verfügung stehen, wird er auf der Transplantationswarteliste gereiht. Die Zuteilung von Transplantatnieren erfolgt dabei nach einem Punktesystem, das für möglichst große Gerechtigkeit sorgen soll. Die Zuteilung von Spendernieren erfolgt über die Organisation Eurotransplant mit Sitz in Leiden, Niederlande. In Österreich warten derzeit etwa 850 Patienten auf eine Spenderniere, in Vorarlberg sind es 67. Die mittlere Wartezeit beträgt derzeit zwei bis drei Jahre, Tendenz ist jedoch leider steigend. Wie weit ist die Medizin heute? Das heißt: Ist eine Nierentransplantation eine „alltägliche Operation“ oder sind die Risiken immer noch sehr hoch? Die Operation selber ist heute Routine. Auch die Entnahme einer Niere zur Lebendspende ist Routine und wird mittels Laparoskopie (Knopflochchirurgie) durchgeführt. Auch die medikamentöse Therapie unmittelbar nach Transplantation ist sehr ausgereift, sodass akute, unkontrollierbare Abstoßungen selten sind. Das große Problem ist heute, die Langzeitfunktion des Organs über zehn und mehr Jahre zu erhalten und Nebenwirkungen der Therapie zu vermeiden. Neue, nebenwirkungsärmere Medikamente und solche, die die Spenderniere selbst nicht schädigen, geben hier Anlass zu Hoffnungen. Daneben ist ein wissenschaftlicher Forschungsschwerpunkt die Erzeugung einer Toleranz im Empfänger gegen das Transplantat, sodass dieses nicht mehr als fremd erkannt wird. Das würde bedeuten, dass der Empfänger langfristig gar keine Medikamente gegen die Abstoßung nehmen muss. Eine Studie (Retrospezifische Kohortenstudie im Lancet, 2008) ergab folgendes: Erhält eine Frau eine Niere von einem männlichen Spender, ist das Risiko eines Organversagens im ersten Jahr um acht Prozent erhöht. Und auch bis zu zehn Jahre nach dem Eingriff zeigt sich eine erhöhte Komplikationsrate. Wird in Vorarlberg auf derartig geschlechtsspezifische Risiken eingegangen? Bei der Zuteilung von Organen spielt derzeit das Geschlecht von Spender und Empfänger noch keine Rolle. Die Ergebnisse der Lancet-Arbeit sind allerdings Anlass, das zu überdenken. Noch ist nicht sicher geklärt, ob das schlechtere Ergebnis von männlichen Nieren in Empfängerinnen wirklich durch eine akute oder chronische Abstoßung bedingt ist, und gegen welche Strukturen an der Zelloberfläche sich eine solche Abstoßung richten würde. Das Geschlecht des Spenders ist nur einer von sehr vielen Faktoren, die das Langzeitergebnis nach Transplantation beeinflussen. Bei einer Änderung der Zuteilungskriterien nach Geschlecht ist natürlich zu bedenken, dass dann für Frauen wesentlich weniger Organe zur Auswahl stehen würden.