Diskrete Populationsmodelle für Einzelspezies - Teil 2 Laura Gemmel 30.10.2012 Literatur, die verwendet wurde: J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Inhaltsverzeichnis 1 Stabilität, Periodische Lösungen und Bifurkationen 2 Abstrakte „Delay“-Modelle 3 Fischerei-Management-Modell 4 Umweltbedingte Auswirkungen und Vorbehalte 5 Tumor-Zellwachstum Ziel des Vortrags • Aufzeigen der möglichen Entwicklung bestimmter Populationen (Tiere, Zellen) • Beispiele • Population des Walfischs • Population von Meeresfischen • Unter welcher Voraussetzung könnte sich eine Population unausweichlich auslöschen? Stabilität, Periodische Lösungen und Bifurkationen • Definition Bifurkation (oder Verzweigung) Eine Bifurkation ist eine Zustandsänderung in nichtlinearen Systemen unter Einfluß eines Parameters r . • f (u, r ) : bestimmt die zeitliche Entwicklung des Sytemzustands • r < rc : anderes Verhalten des Systems als bei r > rc ⇒ Bifurkation bei rc • System für Zeitpunkt t + 1 und Zustand ut+1 : ut+1 = f (ut , r ) Betrachte Funktion f mit folgendem Verlauf: J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Interessant für uns: die Fixpunkte u ∗ : u ∗ = f (u ∗ , r ) Wunsch: Lineare Stabilität von u ∗ : ut = u ∗ + vt |vt | 1 Einsetzen von ut in vorherige Gleichung des Systemzustands ut+1 , Entwicklung in Taylorreihe (bis 2. Summand) ergibt: u ∗ + vt+1 = f (u ∗ ) + vt f 0 (u ∗ ) ⇔ vt+1 = vt f 0 (u ∗ ) = λvt , λ = f 0 (u ∗ ) λ ist Eigenwert des Systemzustands beim Fixpunkt u ∗ . Die Lösung ist: vt = λt v0 ( 0 → ±∞ für t → ∞ , ( <1 wenn |λ| >1 Daher gilt: u∗ ist ( stabil instabil , wenn ( −1 < f 0 (u ∗ ) < 1 |f 0 (u ∗ )| > 1 • u ∗ stabil ⇒ jede kleine Störung dieses Gleichgewichts fällt auf Null ab, und zwar: • monoton, wenn 0 < f 0 (u ∗ ) < 1 • abnehmend oszillierend, wenn −1 < f 0 (u ∗ ) < 0 • u ∗ instabil ⇒ jede kleine Störung wächst unbegrenzt an: • monoton, wenn f 0 (u ∗ ) > 1 • oszillierend, wenn f 0 (u ∗ ) < −1 Konkretes Beispiel: ut+1 = f (ut ) = ut · exp r (1 − ut ) für r > 0 ⇒ f 0 (ut ) = (1 − r · ut ) · exp r · (1 − ut ) • Ansatz: u ∗ = u ∗ · exp r (1 − u ∗ ) ⇒ u∗ = 0 oder u ∗ = 1 • Zugehörige Eigenwerte: • λu ∗ =0 = f 0 (0) = er > 1 ⇒ für r > 0 u ∗ = 0 monoton unstabil • λu ∗ =1 = f 0 (1) = 1 − r Betrachte also: λu ∗ =1 = 1 − r ⇒ u ∗ = 1: • stabil für −1 < 1 − r < 1 ⇔ 0<r <2 mit Rückkehr zum Gleichgewicht • monoton, falls 0 < r < 1 • oszillierend, falls 1 < r < 2 • instabil für |1 − r | > 1 mit: • anwachsend oszillierend für 1 − r < −1 ⇔ r >2 • monoton anwachsend für 1 − r > 1 ⇔ r < 0 ⇒ Bei r = 0 : erste Bifurkation ⇒ Bei r = 2 : zweite Bifurkation m -periodische Fixpunkte: f m (u0 , r ) = u0 ⇒ und f i (u0 ) 6= u0 ∀ i = 1, 2, ..., m − 1 u0 ist Fixpunkt von f m Untersuchung der Stabilität eines solchen Fixpunkts mit Hilfe der Eigenwerte. Betrachte Eigenwerte: d f m (u, r ) λm = du u=ui , i = 0 oder 1 oder 2 ... oder m − 1 Nach kurzer Rechnung: λm = m−1 Y f 0 (ui , r ) i=0 Man sieht: EW λm unabhängig von i Fazit: • Kritischer Wert bei rc : ⇒ Übergang von r < rc nach r > rc : Bifurkation • Bedeutet auch: Zugehöriger EW passiert den Wert λ = 1 oder λ = −1 . Abstrakte „Delay“-Modelle • Bisherige Annahme bei unseren Modellen: Jedes Mitglied der Spezies zum Zeitpunkt t trägt zur Population zum Zeitpunkt t + 1 bei: stimmt z.B. bei Insekten, nicht aber bei Walen. • Hier: „Delay“-Effekt („Warte“-Effekt): z.B. Wartezeit T bis zur Geschlechtsreife • Modell: ut+1 = f (ut , ut−T ) • Zur Vereinfachung folgendes Modell: ut+1 = ut · exp r (1 − ut−1 ) , r >0 mit folgenden Gleichgewichtszuständen: u ∗ = 0 und u ∗ = 1 , wobei u ∗ = 0 unstabil. • Linearisierung von u ∗ = 1 : ut = 1 + vt ; |vt | 1 ⇒ 1 + vt+1 ≈ (1 + vt ) · (1 − r vt−1 ) • für vt = z t ⇒ z2 − z + r = 0 Ergibt zwei Lösungen: • Falls r < 14 : z1 = i √ 1h 1 + 1 − 4r 2 ; z2 = i √ 1h 1 − 1 − 4r 2 reelle Lösungen • Falls r > 14 : z1 = ρ eiθ komplexe Lösungen mit √ ρ= r , ; z2 = ρ e−iθ : √ θ = arctan 4r − 1 : Allgemeine Lösung unserer DGL: vt = A z1t + B z2t • Falls 0 < r < 41 0 < z1 , z2 < 1 • Falls 41 < r < 1 • z2 = z1 • |z1 |, |z2 | < 1 ( z1 , z2 reell) , gilt: ⇒ vt → 0 mit t → ∞ ⇒ u ∗ = 1 stabil ( z1 , z2 komplex) , gilt: • vt = A z1t + B z1 t • vt reell ⇒ B=A ⇒ reelle Lösung: √ vt = 2 |A| ρt cos(θt + γ) , γ = argA , θ = arctan 4r − 1 r passiert rc = 1 |z1 | = ρ > 1 ⇒ u ∗ instabil ⇒ θ≈ 2π p ⇒ π 3 = für r ≈ 1 ⇒ vt ≈ 2|A| cos( π3 t + γ) π 3 ⇒ Periode p = 6 vt → ∞ für t → ∞ Darstellung an drei Beispielen: J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Figur 1 ( r = 1, 02 ) zeigt noch die Periode 6 J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer In Figur 2 ( r = 1, 1 ): Noch Elemente einer 6er-Periode, aber irregulär J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer In Figur 3: ( r = 1, 4 ): Die 6er-Periode ist verloren, spitzer Verlauf: frühes Anzeichen von Chaos Fischerei-Management-Modell • Ziel: Optimierung der wirtschaftlichen Ausbeute • Annahme: 1) Beschreibung der Populationsdichte ohne Ernte durch Nt+1 = f (Nt ) 2) Sei ht die Ernte zur Zeit t : Nt+1 = f (Nt ) − ht • Forderung: (i) Maximaler biologischer Gewinn (ii) Maximaler wirtschaftlicher Gewinn • Gleichgewicht: Nt = N ∗ = Nt+1 , ht = h∗ ⇒ h∗ = f (N ∗ ) − N ∗ Sei YM die maximale Ausbeute im stabilen Zustand: d h∗ = 0 ⇒ f 0 (N ∗ ) = 1 und YM = f (NM ) − NM d N∗ ; N ∗ = NM • Problem: Unkenntnis der aktuellen Population • Bekannt: Aktueller Ertrag und der Aufwand, ihn zu erreichen • Daher: Formulierung des Problems in Ertrag und zugehörigem Aufwand • Annahme: 1 Aufwandseinheit resultiert in einer Ernte c · N c : der „Fangfähigkeitsparameter“, unabhängig von der aktuellen Population N • ⇒ Abernten einer Einheit: Aufwand 1 cN ·1 • YM = f (NM ) − NM abernten: f (NM ) Aufwand EM = X Ni =NM 1 cN • Falls cN groß gegen 1 Einheit: EM ≈ 1 c Z f (NM ) NM 1 1 dN = ln N c f (NM ) NM Beispiel: Nt+1 = f (Nt ) = ⇒ b Nt a + Nt b NM − NM YM = a + NM , mit 0<a<b 1 EM = ln c b a + NM Eliminieren von NM ergibt nach kurzer Rechnung: YM = b e−cEM − a · ecEM − 1 J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Man erkennt: • Zunächst steigt Ertrag mit Aufwand. • Jenseits eines kritischen Werts Ec : Abfall von YM trotz steigendem EM ! Grund: Überfischung Ausbau dieses Modells: Berücksichtigung von: • Preis für die Ernte • Kosten für den Aufwand R = p · YM − k · EM p : Preis pro Ernteeinheit, k : Kosten pro Aufwandseinheit J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer ⇒ der „optimale Aufwand“ Er liegt jetzt noch früher als im ersten Fall. Fazit: • Die Resultate sollen nicht zu ernst genommen werden. • Unsere Annahme: Die abgeerntete Population ist im stabilen Zustand • In Wirklichkeit: Die Fisch-Population zeigt starke Fluktuation • Möglich: Wachstumsrate wird so groß, dass sich chaotisches Verhalten einstellt • Andererseits: Fischerei kann stabilisierend wirken und u.U. stabilen Zustand wiederherstellen Umweltbedingte Auswirkungen und Vorbehalte Umgebungsparameter ändern sich: ⇒ Die Entwicklung der Population kann sich ändern. • Ziel: Verstehen der kontrollierenden Merkmale einer Populationsentwicklung • Entwicklung geeigneter dynamischer Modelle und ihre graphische Darstellung J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer • Nmax : df d Nt • Nmin : Nmin = 0 ⇒ Nm Nmax = f (Nm ) = f (Nmax ) = f f (Nm ) = f 2 (Nm ) ; • Beispiel: Nt Nt+1 = f (Nt ) = Nt · exp r 1 − K K : Anzahl für stabilen Zustand. f 0 (Nt ) = 0 ⇒ Nm = ⇒ K r −1 e r exp 2r − 1 − er −1 • Nmax = f (Nm ) = • Nmin = K r K r • Steiles Abstiegsverhalten der Kurve f (Nt ) bei Nt > Nm : ⇒ Dramatischer Rückgang der Population zu Werten nahe Nmin ⇒ Auslöschung fast unausweichlich, wenn Nt auf geringe Werte zurückgeht • Schätzung mit obigem Beispiel: Nmin = ⇒ K exp 2r − 1 − er −1 ≤ 1 r Seien r = 3, 5 und K < 1600 : evtl. Auslöschung Allee-Effekt: Deutliches Zusammenfallen der Population, wenn diese unter einen bestimmten Schwellenwert Nc fällt. J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Solche Modelle treten oft als Ergebnis von Raub auf. Die Gegend Nt < Nc heißt deshalb auch die Raubgrube. • Nt = 0 stabil • Nc instabil (da EW λ = f 0 (Nc ) > 1 ) • N ∗ stabil oder instabil je nach der Größe von f 0 (N ∗ ) • Auslöschung unausweichlich, sobald Nt < Nc Modelle, die dem Allee-Effekt unterliegen: • Fast jedes exotische Schwingungsverhalten • Möglichkeit der Auslöschung, sobald f m (Nt ) < Nc für ein m Tumor-Zellwachstum Man verwendet häufig: Nt+1 = r Nt (1 − Nt ) Dabei: • r : Die Wachstumsrate der Zellen • Nt : Die relative Tumorzellanzahl (also normiert auf 1) Dabei gilt: ⇒ Nt wächst bis zum Erreichen des stabilen Zustands (r −1) r • r <3 ⇒ Nt : periodisches Verhalten, evtl Übergang zu Chaos, falls r > rc • r >3 Hier einige typische Beispiele für Populations-Wachstum: J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Man erkennt: • Nt wächst in Form einer S-Kurve zum stabilen Zustand r −1 r • Für großes r (r = 2, 5) : Zu Beginn des stabilen Zustands leicht oszillierend J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Hier: • r = rc = 3 : Periodische Lösung, im frühen Stadium auch in Form einer Quasi-S-Kurve • r > rc : Chaotisch Zum Abschluß : Der Fall von identischen Individuen (Multi-Klone). Annahme: • Verschiedene Wachstumsraten • Für alle Klone gleiches r > rc , sodass für alle chaotisches Wachstumsverhalten Es zeigt sich, dass die Wachstumskurve von der Startanzahl an Individuen abhängt: Anzahl der Klone zu Beginn: 5 J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Man erkennt am Anfang wieder einen S-artigen Verlauf und den Beginn einer Glättung des chaotischen Verhaltens. Anzahl der Klone zu Beginn: 200 J.D. Murray Mathematical Biology: I. An Introduction, Third Edition Springer Offensichtlich ist der Glättungseffekt des chaotischen Verhaltens umso stärker, je mehr Klone am Anfang dabei waren. Also klar: Eine große Anzahl von Klone kann ein chaotisches Verhalten verdecken.