Histaminintoleranz – Pathogenese, Diagnostik und Therapie Donnerstag 7. Juni, 19:00 Uhr Dr. Volker von Baehr, IMD-Berlin Institut für Medizinische Diagnostik Berlin, Nicolaistraße 22, 12247 Berlin +49 3077001-220, [email protected] Einteilung der Nahrungsmittelunverträglichkeiten Immunologisch bedingt Allergie IgE-vermittelte Soforttyp Allergie Kreuzallergien bei Inhalationsallergien zellulär vermittelte Typ IV-Allergie Nicht immunologisch bedingt Pseudoallergie Enzymdefekte Malabsorbtionen IgE-unabhängige Reaktion Laktoseintoleranz Fruktosemalabsorption Laktase-Mangel (Nahrungsmittelzusatzstoffe; Glutamat-Intoleranz) Fruktoseintoleranz Aldolase B-Mangel Sonstige Autoimmunologisch Zöliakie Histaminintoleranz DiaminooxidaseMangel Dysbiosen erhöhte Darmpermeabilität als sekundäre Phänomene Intoxikationen (z.B. Bakterien, echte Gifte) Pankreasinsuffizienz Histamin = 2-(4-Imidazolyl)-ethylamin • biologisch hochpotentes biogenes Amin „Gewebshormon“ • 1932 als Mediator der Typ I-Allergie identifiziert • Histamin ist wasserlöslich, hitze- und kältestabil, deshalb wird Histamin aus der Nahrung sehr gut resorbiert • Synthese in Mastzellen, Basophilen, Thrombozyten, Magen- und Darmschleimhautepithel und in Nervenzellen durch enzymatische Decarboxilierung der Aminosäure Histidin • Speicherung in Vesikeln Viele „Trigger“ induzieren Histaminrelase in Mastzellen Allergene bei Bindung an Mastzellgebundenes IgE Bakterien LPS Komplement Anaphylatoxine Neuropeptide Substanz P Endothelin-1 TNF-α α, IL-1 u.a. Oxytocin Leukotriene Protaglandine Cannabinoide Adenosin Histaminliberatoren (Kontrastmittel, ASS, Chemikalien, Nahrungsmittelzusatz- und Farbstoffe, Lektine (Erdbeeren, u.v.a.) Histamin (und 60 weitere Mediatoren) Wo finden sich überall Histaminrezeptoren ? H1-Rezeptoren H2-Rezeptoren H3 und H4-Rezeptoren Blutgefäße Magen Gehirn Vasodilatation in Arteriolen Vasokonstriktion in Venolen (Erythem) Bronchien, Darm, Uterus Sekretion von Magensaft Herz Tachykardie Steigerung der Kontraktilität Kontraktion Gehirn Erbrechen (Area postrema) Schlafregulation (Hypothalamus) Nebenniere Adrenalinsynthese ↑ Ovarien Östrogensynthese ↑ Nerven Schmerz / Juckreiz durch Reizung afferenter Neuronen Skelettmuskel Erhöhung der Muskelspannung Immunsystem B-Lymphozyten Hemmung der Antikörpersynthese T-Lymphozyten Hemmung der TH2-Antwort (dadurch Stärkung TH1) Präsynaptisch Hemmung der Histaminfreisetzung im ZNS (negatives Feedback) Magen Hemmung der Freisetzung parakrin sezernierter Mediatoren (z.B. Somatostatin) Immunsystem Eosinophile Granulozyten Chemotaxis T-Lymphozyten Stimulation von IFNγγ Physiologische Histamin-vermittelte Effekte • Dillatation der Kapillaren, Konstriktion der Venolen (⇒ Ödeme) • Induktion von Jucken, Schmerz und Kontraktion der glatten Muskulatur • Positiv initrope Effekte am Herzen (Herzfrequenz ↑) • Steuerung Schlaf-Wach-Rhythmus, Appetitkontrolle, Lernfähigkeit und Gedächtnis, Emotionen • Auslösung von Erbrechen • Stimulation der Magensaftsekretion und der Magenmotilität • Stressreaktion – Adrenalin ↑ in der Nebenniere • regulatorischen Einfluss auf noradrenerge, serotoninerge, cholinerge, dopaminerge und glutaminerge Neuronen • TH1-Induktion, proentzündliche Wirkung, Chemotaxis • Aktivierung von NF-κB und damit verbunden vermehrte Freisetzung von Entzündungsmediatoren (silent inflammation) * * Rihoux J.P., Michel L., Arnold R. & Konig W. (1999). Hypothetical mechanisms of action of an H1-antihistamine in asthma. Int. Arch. Allergy Immunol. 118:380-383. Histaminintoleranz (HIT) (Frühere Bezeichnung: Histaminose) Histaminintoleranz ist die vermehrte bzw. verlängerte Wirkung von mit der Nahrung aufgenommenem Histamin … … in Folge eines Missverhältnis zwischen dem im Organismus entstandenen und zugeführtem Histamin sowie dem Abbau des Histamin. Prävalenz: 1-2%, ca 80 % der erkrankten Patienten sind Frauen Während einer Schwangerschaft verschwinden die Symptome, treten jedoch nach der Schwangerschaft wieder auf. Extrazelluläres Histamin wird fast ausschließlich über den DAO-Weg abgebaut Histidin H+ L-Histidin-Decarboxylase CO2 negative feedback Enzymhemmung Diaminooxidase (DAO) Histamin Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) Vitamin B6 Kupfer (Vitamin C) Imidazolacetataldehyd N-MethylImidazolacetataldehyd N-Methylhistamin Diaminooxidase (DAO) Imidazolessigsäure negative feedback Enzymhemmung MAO-B N-MethylImidazolessigsäure Endogenes Histamin Histamin aus der Nahrung z.B. durch allergische Prozesse Diaminooxidase Aktives Histamin oxidative Desaminierung Inaktives (deaminiertes) Histaminspaltprodukt Typische Symptome der Histamin-Intoleranz • Flush, Ekzeme, Urtikaria, Lidödeme, Juckreiz • Kopfschmerzen (Migräne), Schwindel • Fließschnupfen, nasale Obstruktion, Atembeschwerden, Asthma bronchiale • Blähungen (Flatulenz, Reizdarm), Hitzegefühl, Durchfall, Verstopfung, Übelkeit/Erbrechen, Bauchschmerzen, Sodbrennen • Hypertonie (auch Hypotonie), Tachykardie, Herzrhythmusstörungen • Dysmenorrhoe Histamin ⇒ Östrogen ↑ ⇒ PGE2 ↑ in der Uterusschleimhaut ⇒ schmerzhafte Kontraktionen des Uterus • Erschöpfungszustände, Seekrankheit, Fatigue, Schlafstörungen • starke lokale Schwellungen auf Mückenstiche • Hymenopterenstich-Anaphylaxie bei negativem Prick/RAST • In Anamnese nicht selten sind: - Kontrastmittel- und Lokalanästhetikaunverträglichkeit - Unverträglichkeit von Nicht-steroidalen Antirheumatika - Glutamatintoleranz Kopfschmerz Kongestion Rhinorrhoe Tachykardie Nase Gehirn Herz Lunge Bronchokonstriktion Arrhythmie Hypotension Rötung Pruritus Schwindelgefühl Asthma Haut Magen Darm Krämpfe Diarrhoe Flush Erbrechen Urticaria Sodbrennen Typischerweise ausgelöst durch Genuss von Histaminreichen Nahrungsmitteln: • Rotwein, Weizenbier, Sekt, Champagner • Fisch: Thunfisch, Makrelen (Histidin-reiches weißes Fischfleisch) • Hartkäse • Salami, Rohwürzte, • Sauerkraut Die Gehalte können je nach Alter und • Gepökeltes Herstellungsverfahren stark variieren. • Nüsse und/oder Histamin-freisetzenden Nahrungsmitteln • Zitrusfrüchte, Papaya, Erdbeeren, Ananas, • Tomaten/Ketchup • Schokolade • Nahrungsmitteladditiva, • Lakritz und „scharfe“ Gewürze und negativem Pricktest und IgE-Nachweis auf diese „Allergene“. Wie kommt es zur Histaminintoleranz ? Primäre Histaminintoleranz • genetisch geprägter Mangel an Diaminooxidase (Enzymopathie) • Erste Symptome häufig im Alter zwischen 30 und 40 Jahren • Häufig mit anderen gastrointestinalen Erkrankungen assoziiert (z.B. Zöliakie, Mb. Crohn, Colitits ulcerosa) Erworbene (sekundäre) Histaminintoleranz Sekundärer Mangel an Diaminooxidase durch: • Hemmung der DAO-Produktion und –wirkung durch Medikamente, Alkohol, andere biogene Amine • gestörte Darmepithelfunktion (50-70% der DAO wird im Darm produziert) • DAO-„Verbrauch“ bei erhöhtem Histaminanfall im Organismus z.B. gleichzeitige aktive Typ I-Allergie auf Pollen etc. Welche Medikamente hemmen die DAO ? Bekannte DAO – Blocker sind u.a. Acetylcystein Alcuronium Alprenolol Ambroxol Amilorid Aminophyllin Amitriptylin Cefotiam Cefuroxim Chloroquin Cimetidin Clavulansäure (z.B. Augmentan) Cyclophosphamid Dihydralazin Dobutamin Isoniazid Metamizol (z.B. Buscopan, Novalgin) Metoclopramid Metronidazol Morphin Pancuronium Pentamidin Pethidin Prilocain Propafenon Thiopental Thiamin Verapamil Patienten, die mit den angeführten Medikamenten behandelt werden, sollten in jedem Fall histaminhaltige Speisen meiden ! Diagnosestellung der Histamin-Intoleranz • Anamnese ! (muss erfragt werden, kommt selten spontan) • DD: Allergien ? (im Pricktest oft vergrößerte Histaminquaddel!) Mastozytose (Tryptasebestimmung im Serum) andere gastrointestinale Erkrankungen • Bestimmung des Histaminspiegels im Plasma sowie der Serumspiegel von DAO (evtl. Wiederholung nach 2 Wochen Histamin-reduzierter Diät) • (doppeltblinde placebokontrollierte Histaminprovokation) Klassische Fragen in der Anamnese Leiden Sie manchmal unter unerklärlichen Verdauungsproblemen wie Durchfall, Bauchkrämpfe oder Blähungen? Sind Sie häufig müde (v.a. nach dem Essen), obwohl Sie ausreichend geschlafen haben? Haben Sie manchmal das Gefühl „wie betrunken zu sein“, obwohl Sie keinen Alkohol getrunken haben? Vertragen Sie Lebensmittel wie Käse, Fleisch, frischen Fisch und Rotwein mal mehr und mal weniger gut? Vertragen Sie Sauerkraut? Hatten Sie schon mal eine Kontrastmittelüberempfindlichkeit? Haben Sie bei einem Pricktest verstärkt reagiert? Für Frauen: Waren die Beschwerden während der Schwangerschaft verschwunden? Labordiagnostik der Histaminintoleranz Die Histaminintoleranz ist ein Ungleichgewicht zwischen Histamin und dessen Abbaukapazität Deshalb „Immer parallele Bestimmung des Histamins im lysierten Heparinblut und der Diaminooxidase im Serum am gleichen Tag“ … denn, nicht immer findet man den klassischen Befund Achtung: Methodisch ist der Radioextraktionsassay im Vergleich zum ELISA zu bevorzugen, da nur ersterer die Aktivität misst ! Auch möglich sind… Diagnose Histaminintoleranz bei normalem Histamin oder (sekundäre) Histaminintoleranz trotz normaler DAO Die genetische Untersuchung auf DAO-SNP´s eignet sich nicht zur Diagnosestellung einer Histaminintoleranz ABER Zur Differenzierung zwischen primären und sekundären Formen 285 Patienten mit HIT 199 Kontrollpatienten Bestimmung der DAO Genotypisierung von 12 SNPs A C G T A C C G C A G T A C G T A C C G C A G T T G C A T G G C G T C A T G C A T G G C G T C A rs 10156191 C/T rs 1049742 C/T rs 2052129 G/T rs 2268999 A/T DAO-Gen auf Chromosom 7 A C G T A C C G C A G T T G C A T G G C G T C A DAO DAO Protein DAOSekretion DAO DAO DAO DNA Diese vier Sequenzvarianten des DAO-Gens führen jeweils zu einer reduzierten DAO-Aktivität. rs 10156191 C/T rs 1049742 C/T rs 2052129 G/T rs 2268999 A/T Minor Allele Frequency 28 % 6% 19 % 29 % Reduzierte DAO-Aktivität erhöhte Histamin-Plasmaspiegel ABER: Nur bei Patienten mit niedrigem DAO-Spiegel besteht Assoziation zum Phänotyp der Histaminintoleranz Die unspezifischen Symptome der Histaminintoleranz machen die klinische Diagnosestellung schwierig. rs 10156191: rs 2052129: rs 2268999: Gesunde HIT Wildtyp Wildtyp Wildtyp Wildtyp Wildtyp Wildtyp HIT SNP liegt vor SNP liegt vor SNP liegt vor ? Keine Histaminintoleranz oder Histamin ↑ ↑ bei sogar induzierter DAO ? Seltene Befundkonstellation ? Man kann auch eine Pollenallergie und eine HistaminIntoleranz haben ! Das Gesamt-IgE ist aber kein Indiz für oder gegen eine Histaminintoleranz. Die Histaminintoleranz hat mit einer Allergie lediglich die „Endstrecke“ gemeinsam, nicht aber die Auslöser Quelle: Allergo-Journal 2007/6 Dr. Natalija Novak Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie. Universitätsklinikum Bonn „… die Diagnose wird noch zu selten gestellt ….“ Therapie der Histamin-Intoleranz Weglassen von Histamin-haltigen und Histamin-freisetzenden Nahrungsmitteln (evtl. Kartoffel-Reis-Diät) Strenge Nahrungsmittelhygiene (richtige Lagerung, wenig aufheben ! Ggf. Prophylaktische Einnahme von H1- und H2-Rezeptorblockern (anscheinend aber unter strenger Diät kein weiterer Nutzen) v.a. bei hohem Histamin v.a. und/oder gastrointestinalen Symptomen auch Mastzellstabilisatoren (Cromoglycinsäure) Gabe von Vitamin B6 und Vitamin C (evtl. Kupfer) Konsequente Allergiediagnostik (SX1, Haustiere, Schimmel ….) zur Limitierung innerer Histaminquellen Daosin (dietetisches Lebensmittel) Kontrolle der Medikamentenanamnese Medikamente prüfen und ggf. umsetzen ! Bekannte DAO – Blocker sind u.a. Acetylcystein Alcuronium Alprenolol Ambroxol Amilorid Aminophyllin Amitriptylin Cefotiam Cefuroxim Chloroquin Cimetidin Clavulansäure (z.B. Augmentan) Cyclophosphamid Dihydralazin Dobutamin Isoniazid Metamizol (z.B. Buscopan, Novalgin) Metoclopramid Metronidazol Morphin Pancuronium Pentamidin Pethidin Prilocain Propafenon Thiopental Thiamin Verapamil Patienten, die mit den angeführten Medikamenten behandelt werden, sollten in jedem Fall histaminhaltige Speisen meiden ! Cave: Individuelle Überempfindlichkeit auf Histaminliberatoren Allergene bei Bindung an Mastzellgebundenes IgE Bakterien LPS Komplement Anaphylatoxine Neuropeptide Substanz P Endothelin-1 TNF-α α, IL-1 u.a. Oxytocin Leukotriene Protaglandine Cannabinoide Adenosin Histaminliberatoren (Kontrastmittel, ASS, Chemikalien, Nahrungsmittelzusatz- und Farbstoffe, Lektine (Erdbeeren, u.v.a.) Histamin (und 60 weitere Mediatoren) Nahrungsmitteladditiva als Trigger Folgeuntersuchung Zusammenfassung HIT ist Folge eines Missverhältnis zwischen dem im Organismus entstandenen und zugeführtem Histamin sowie dem Abbau des Histamin. Ursache: primärer oder sekundärer DAO-Mangel oft erhöhter endogener Histaminanfall ! Die sehr breite Symptomatik erklärt sich durch die weite Verbreitung von Histamin-Rezeptoren im Organismus (H1 bis H4) Diagnostik: DAO- und Histaminbestimmung Genetische Analyse nur in Einzelfällen notwendig Therapie: v.a. Meiden Histamin-reicher Nahrungsmittel + Überprüfung der Medikamentenanamnese