Taschenatlas Pathophysiologie

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Auf einen Blick
2
1
Grundlagen
2
Temperatur, Energie
24
3
Blut
30
4
Atmung, Säure-Basen-Haushalt
70
5
Niere, Salz-Wasser-Haushalt
100
6
Magen, Darm, Leber
146
7
Herz und Kreislauf
190
8
Stoffwechsel, Fetthaushalt
258
9
Hormone
282
10
Nervensystem, Muskel, Sinne
324
Weiterführende und ergänzende Literatur
388
Sachverzeichnis
390
VII
Inhaltsverzeichnis
1
Grundlagen
S. Silbernagl, F. Lang
2
Zellwachstum und Zellanpassung ... 2
Störungen der intrazellulären Signalübertragugn ... 6
PI3-Kinase-abhängige Signaltransduktion ... 10
Nekrotischer Zelltod ... 12
Aposptotischer Zelltod ... 14
Entstehung von Tumorzellen ... 16
Tumorfolgen ... 18
Altern und Lebenserwartung ... 20
2
Temperatur, Energie S. Silbernagl
24
Fieber ... 24
Hyperthermie, Hitzeschäden ... 26
Hypothermie, Kälteschäden ... 28
3
Blut
S. Silbernagl
30
Übersicht ... 30
Erythrozyten ... 32
Erythropoese, Anämie ... 32
Erythrozytenumsatz: Störungen, Kompensation und Diagnostik ... 34
Megaloblastische Anämien durch Störung der DNA-Synthese ... 36
Anämien durch Störungen der Hämoglobinsynthese ... 38
Eisenmangelanämien ... 40
Hämolytische Anämien ... 42
Malaria ... 44
Immunabwehr ... 46
Entzündung ... 52
Überempfindlichkeitsreaktionen (Allergien) ... 56
Autoimmunkrankheiten ... 60
Immundefekte ... 62
Blutstillung (Hämostase) und ihre Störungen ... 64
4
Atmung, Säure-Basen-Haushalt F. Lang
Übersicht ... 70
Ventilation, Perfusion ... 72
Diffusionsstörungen ... 74
Verteilungsstörungen ... 76
Restriktive Lungenerkrankungen ... 78
Obstruktive Lungenerkrankungen ... 80
Lungenemphysem ... 82
Lungenödem ... 84
Störungen der Atemregulation ... 86
70
VIII
Inhaltsverzeichnis
Akutes Respiratorisches Distress Syndrom ... 88
Hypoxie ... 90
Hyperoxie, Oxidativer Stress ... 92
Entstehung von Alkalosen ... 94
Entstehung von Azidosen ... 96
Auswirkungen von Azidosen und Alkalosen ... 98
5
Niere, Salz-Wasser-Haushalt
F. Lang
100
Übersicht ... 100
Störungen der renalen Ausscheidung ... 102
Pathophysiologie renaler Transportprozesse ... 104
Störungen der Harnkonzentrierung ... 108
Zystennieren ... 110
Störungen der glomerulären Funktion ... 112
Störung der glomerulären Permselektivität, nephrotisches Syndrom ... 114
Interstitielle Nephritis ... 116
Akutes Nierenversagen ... 118
Chronische Niereninsuffizienz ... 120
Renale Hypertonie ... 124
Schwangerschaftsnephropathie ... 126
Hepatorenales Syndrom ... 128
Urolithiasis ... 130
Störungen des Wasser- und Kochsalzhaushalts ... 132
Störungen des Kaliumhaushalts ... 134
Störungen des Magnesiumhaushalts ... 136
Störungen des Calciumhaushalts ... 138
Störungen des Phosphathaushalts ... 140
Pathophysiologie des Knochens ... 142
6
Magen, Darm, Leber
S. Silbernagl
Funktion des Magen-Darm-Trakts ... 146
Ösophagus ... 148
Übelkeit und Erbrechen ... 152
Gastritis (Gastropathie) ... 154
Ulkus ... 156
Störungen nach Magenoperationen ... 160
Durchfall ... 162
Maldigestion und Malabsorption ... 164
Obstipation und (Pseudo-)Obstruktion ... 168
Chronische Darmentzündungen ... 170
Akute Pankreatitis ... 172
Chronische Pankreatitis ... 174
Mukoviszidose (zystische Fibrose) ... 176
Gallensteinerkrankung (Cholelithiasis) ... 178
Ikterus und Cholestase ... 182
Portaler Hochdruck ... 184
Fibrose und Zirrhose der Leber ... 186
Leberinsuffizienz ... 188
146
Inhaltsverzeichnis
7
Herz und Kreislauf
S. Silbernagl
190
Übersicht ... 190
Aktionsphasen des Herzens (Herzzyklus) ... 192
Erregungsbildung und -leitung im Herzen ... 194
Elektrokardiogramm (EKG) ... 198
Rhythmusstörungen des Herzens ... 200
Mitralstenose ... 208
Mitralinsuffizienz ... 210
Aortenstenose ... 212
Aorteninsuffizienz ... 214
Trikuspidal- und Pulmonalklappenfehler ... 216
Kreislaufshunts ... 216
Arterieller Blutdruck und seine Messung ... 220
Hochdruck ... 222
Pulmonaler Hochdruck ... 228
Koronardurchblutung ... 230
Koronare Herzerkrankung ... 232
Herzinsuffizienz ... 238
Perikarderkrankungen ... 244
Kreislaufschock ... 246
Ödeme ... 250
Arteriosklerose ... 252
Nichtsklerotische arterielle Durchblutungsstörungen ... 256
Venenkrankheiten ... 256
8
Stoffwechsel, Fetthaushalt
S. Silbernagl
258
Übersicht ... 258
Aminosäuren ... 258
Kohlenhydrate ... 260
Lipidosen ... 260
Störungen des Lipoproteinstoffwechsels ... 262
Energiehomöostase, Adipositas ... 266
Essstörungen ... 270
Gicht ... 272
Eisenhaushalt, Hämochromatosen ... 274
Kupfer-Haushalt, Morbus Wilson ... 276
α1-Antitrypsinmangel ... 276
Dysproteinämien ... 278
Häm-Synthese, Porphyrien ... 280
9
Hormone
F. Lang
Allgemeine Pathophysiologie der Hormone ... 282
Störungen endokriner Regelkreise ... 284
Antidiuretisches Hormon ... 286
Prolactin ... 286
Somatotropin ... 288
Nebennierenrindenhormone: Enzymdefekte bei der Bildung ... 290
Nebennierenrindenhormone: Ursachen gestörter Ausschüttung ... 292
Überschuss an Nebennierenrindenhormonen: Morbus Cushing ... 294
Mangel an Nebennierenrindenhormonen: Morbus Addison ... 296
282
IX
X
Inhaltsverzeichnis
Ursachen und Folgen von Androgenüberschuss und -mangel ... 298
Ausschüttung weiblicher Sexualhormone ... 300
Wirkungen weiblicher Sexualhormone ... 302
Intersexualität ... 304
Ursachen von Hypothyreose, Hyperthyreose und Struma ... 306
Folgen und Symptome der Hyperthyreose ... 308
Folgen und Symptome der Hypothyreose ... 310
Ursachen des Diabetes mellitus ... 312
Akute Auswirkungen des Insulinmangels (Diabetes mellitus) ... 314
Spätkomplikationen langfristiger Hyperglykämie (Diabetes mellitus) ... 316
Hyperinsulinismus, Hypoglykämie ... 318
Histamin, Bradykinin und Serotonin ... 320
Eicosanoide ... 322
10 Nervensystem, Muskel, Sinne
F. Lang
324
Übersicht ... 324
Pathophysiologie von Nervenzellen ... 326
Demyelinisierung ... 328
Störungen der neuromuskulären Übertragung ... 330
Erkrankungen der motorischen Einheit und der Muskulatur ... 332
Läsionen deszendierender motorischer Bahnen ... 336
Erkrankungen der Basalganglien ... 338
Läsionen des Kleinhirns ... 342
Störungen der Sensorik ... 344
Schmerz ... 346
Erkrankungen des abbildenden Apparates des Auges ... 348
Erkrankungen der Retina ... 350
Pathophysiologie von Sehbahn und visueller Informationsverarbeitung ... 352
Schwerhörigkeit ... 354
Gleichgewicht, Nystagmus ... 356
Geruch ... 356
Geschmack ... 356
Störungen des vegetativen Nervensystems ... 358
Läsionen des Hypothalamus ... 360
Elektroenzephalogramm (EEG) ... 362
Epilepsie ... 364
Schlafstörungen ... 366
Bewusstsein ... 368
Aphasien ... 370
Gedächtnisstörungen ... 372
Morbus Alzheimer, Demenz ... 374
Depressionen ... 376
Schizophrenie ... 378
Abhängigkeit, Sucht ... 380
Liquor, Blut-Hirn-Schranke ... 382
Hirndruck, Hirnödem ... 384
Störungen der Hirndurchblutung, Schlaganfall ... 386
Weiterführende und ergänzende Literatur
388
Sachverzeichnis
390
1 Grundlagen
14
Apoptotischer Zelltod
Täglich werden Hunderte von Milliarden an
Zellen in unserem Körper eliminiert und
durch Teilung bestehender Zellen ersetzt
(S. 2 ff.). Im Gegensatz zur Nekrose (S. 12) ist
die Apoptose ein programmierter Zelltod
und, ebenso wie die Zellteilung (S. 2 ff., 14),
ein fein regulierter physiologischer Mechanismus. Die Apoptose dient der Anpassung des
Gewebes an wechselnde Belastungen, der Eliminierung überflüssig gewordener Zellen bei
der Embryonalentwicklung sowie der Entfernung schädlicher Zellen, wie etwa Tumorzellen, Erreger-befallener Zellen oder immunkompetenter Zellen, die sich gegen körpereigene Antigene richten.
Apoptose wird durch eine Signalkaskade
(A) vermittelt. Stimulation bestimmter Rezeptoren, exzessive Aktivierung von Ca2+-Kanälen, oxidativer Stress (S. 92) oder sonstige
Zellschädigung (s. u.) führen zu Aktivierung
von Protein-spaltenden Caspasen und einer
Sphingomyelinase (SM), die Ceramid bildet.
Durch Einbau der Proteine Bak oder Bax in
die mitochondriale Membran kommt es zur
Depolarisation von Mitochondrien, O2–- und
Cytochrom-c-Freisetzung, Wirkungen, die
z. T. durch die ähnlichen Proteine Bcl-2 und
Bcl-x gehemmt werden. Die Wirkung von
Bcl-x wird wiederum durch das verwandte
Protein Bad gehemmt. Aus Mitochondrien
freigesetztes Cytochrom c aktiviert nach Bindung an das Protein APAF-1 die Caspase 9. Die
Kaskade führt letztlich zu Caspase 3, die eine
DNA-spaltende Endonuklease aktiviert (DNAFragmentierung). Durch Aktivierung der Protease Calpain wird Zytoskelett abgebaut, über
Aktivierung von Ionenkanälen verlieren die
Zellen Elektrolyte und Osmolyte, die Zelle zerfällt in kleine Partikel. An der Zellmembran
wird Phosphatidylserin (PS) von innen nach
außen umgelagert (Scrambling). Die PS-präsentierenden Partikel werden durch Makrophagen erkannt, aufgenommen und abgebaut,
ohne dass intrazelluläre Makromoleküle freigesetzt werden und eine Entzündung auslösen.
Bad wird durch PKB/Akt phosphoryliert
und damit inaktiviert (S. 10). Ferner können
PKB/Akt und SGK1 (S. 10) über Phosphorylierung und Inaktivierung von Caspase 9 und
proapoptotischen Forkheadtranscriptionsfaktoren Apoptose hemmen (S. 10).
Auslöser der Apoptose (A) sind u. a. der Tumornekrosefaktor (TNF α), Glucocorticoide,
eine Aktivierung des CD 95(Fas/Apo1)-Rezep-
tors oder der Entzug von Wachstumsfaktoren.
Über das Protein p53 begünstigen DNA-Schäden die Apoptose. U. a. bei Ischämie exprimieren die betroffenen Zellen bisweilen den
CD 95-Rezeptor und setzen sich somit der
Apoptose aus. Auf diese Weise „kommen sie
dem nekrotischen Zelltod zuvor“ und verhindern damit die Freisetzung intrazellulärer
Makromoleküle nach außen, die ja eine Entzündung auslösen würde (S. 12).
Pathologisch gesteigerte Apoptose kann
durch Ischämie, Toxine, massive osmotische
Zellschrumpfung, Bestrahlung oder Entzündungen (Infektionen, Autoimmunerkrankungen)
ausgelöst werden. Folge ist inadäquater Untergang funktionell erforderlicher Zellen, der
zur Organinsuffizienz führen kann (B). Apoptose führt z. B. zu Transplantatabstoßung,
Neurodegeneration (Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer, amyotrophe Lateralsklerose,
Querschnittslähmung,
multiple
Sklerose
usw.) sowie toxischem, ischämischem und/
oder entzündlichem Untergang von Zellen in
der Leber (Leberinsuffizienz), von B-Zellen der
Pankreasinseln (Diabetes mellitus, Typ I), von
erythropoetischen Zellen und Erythrozyten
(Anämie) oder von Lymphozyten (Immunschwäche, z. B. bei HIV-Infektion).
Pathologisch herabgesetzte Apoptose führt
zum Überschuss an Zellen (C). Ursachen können u. a. Störungen der endokrinen bzw. parakrinen Regulation, genetische Defekte oder Virusinfektionen (z. B. Epstein-Barr-Virus) sein.
Fehlende Apoptose virusbefallener Zellen
kann persistierende Infektionen zur Folge haben. Zellen, die sich der Apoptose entziehen,
können sich zu Tumorzellen entwickeln. Ungenügende Apoptose von immunkompetenten
Zellen, die sich gegen körpereigene Strukturen richten, ist eine Ursache für Autoimmunerkrankungen (S. 60). Ein Überschuss an Zellen
kann Funktionsstörungen nach sich ziehen,
wie etwa eine persistierende Progesteronbildung bei fehlender Apoptose der Corpus-luteum-Zellen. Schließlich kann mangelhafte
Apoptose zu Störungen der Embryonalentwicklung führen (z. B. Syndaktylie).
A. Auslösung und Ablauf der Apoptose
CD95-L
TNF- a
Casp 8
+
Na
Ischämie
Energiemangel
oxidativer
Stress
osmotischer
Schock
Gifte
Strahlen
fehlende
Wachstumsfaktoren
Glucocorticoide
+
–
–
K , Cl , HCO3
organische Osmolyte
SM
+
K
Phagozytose
Ceramid
2+
Ca
Zellschrumpfung
Calpain
Cytochrom c
Bax
APAF1 Caspase 9
–
O2
p53
Depolarisation
Caspase 3
Endonuklease
Bcl2
Apoptose
DNAFragmentierung
Scrambling
Phosphatidylserinumlagerung
B. Gesteigerte Apoptose
Gifte, Strahlen, Ischämie, genetische Defekte,
Infektionen, Autoimmunerkrankungen
apoptotischer Zelltod
Neurodegeneration
Diabetes mellitus
Leberinsuffizienz
aplastische Anämie
Immunschwäche
Transplantatabstoßung
Morbus Parkinson
Morbus Alzheimer
Amyotrophe
Lateralsklerose
Querschnittslähmung
Multiple Sklerose
C. Verminderte Apoptose
z. B. Viren
Bcl2
z. B. genetische Defekte
p53
z. B. endokrine Störungen
CD95-Ligand
Wachstumsfaktoren
apoptotischer Zelltod
persistierende
Infektionen
Tumoren
Autoimmunerkrankungen
Überfunktion
Entwicklungsstörungen
15
1 Grundlagen
Apoptotischer Zelltod
Tafel 1.7
1 Grundlagen
16
Entstehung von Tumorzellen
Die Zellteilung wird normalerweise über
Wachstumsfaktoren präzise dem jeweiligen
Bedarf an Zellen angepaßt (S. 2). Diese wirken
u. a. über Tyrosinkinasen (A1). An deren Phosphotyrosinresten binden u. a. die Adapterproteine (GRB2) und der GDP/GTP-Austauschfaktor SOS, der das kleine G-Protein Ras aktiviert.
Ras stimuliert über die Serin/Threonin-Kinase
Raf (A2) eine mitogen-aktivierte Proteinkinase-Kinase-Kaskade (MAPK-Kaskade) und aktiviert damit u. a. Transkriptionsfaktoren, welche die Expression der für die Zellteilung erforderlichen Gene veranlassen (u. a. Fos, Jun,
Myc, Myb, Rel, E2F und DP1). Die Expression
von Myc wird ferner durch β-Catenin (S. 10)
stimuliert. Schilddrüsenhormone binden an
zytosolische Rezeptoren (ErbA; A3), der Hormon-Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern und fördert Genexpression und Zellteilung. Substrataufnahme und Zellteilung werden ferner durch mTOR (S. 10) begünstigt.
Wachstumshemmende Faktoren unterbinden normalerweise eine überschießende Zellteilung. Sie werden u. a. wirksam, wenn die
Zelle DNA-Schäden aufweist und eine Zellteilung zur Bildung genetisch defekter Tochterzellen führen würde. Das Retinoblastom-Protein (Rb), z. B., bindet und inaktiviert damit
die Transkriptionsfaktoren E2F und DP1 (A4).
Rb wird seinerseits durch den Komplex aus
Cyclin E und der Kinase CDK2 (= E-CDK2)
sowie den Komplex aus Cyclin D und der Kinase CDK4 (= D-CDK4) inaktiviert. Damit fördern E-CDK2 und D-CDK4 die Zellteilung. Ihre
Wirkung wird durch das p21-Protein aufgehoben, das unter dem Einfluss des Transkriptionsfaktors p53 exprimiert wird. p53
hemmt also die Zellteilung (A4). Zum Teil
p53-abhängig wird die Expression von einigen Wachstumsfaktoren und –Rezeptoren
durch den Transkriptionsregulator WT 1 unterdrückt. Der Abbau von β-Catenin wird
durch Bindung an einen Protein-Komplex
aus von-Hippel-Lindau-Protein (vHL), Adenomatosis Polyposis Coli (APC) sowie Glykogensynthasekinase 3β (GSK-3β) gefördert (S. 10),
die Inaktivierung von mTOR durch einen
Komplex aus Tuberin und Hammartin (S. 10).
Die Zellproliferation wird schließlich bei Aktivierung von Ca2+ Rezeptoren gehemmt.
Durch Mutationen proliferationsrelevanter
Gene können Onkogene entstehen, deren Produkte, die Onkoproteine, auch ohne physiologische Stimulatoren aktiv sind und daher Zellteilung unabhängig von physiologischen
Wachstumsfaktoren fördern können. Zu den
Onkoproteinen (A, violette Kästen) zählen
Wachstumsfaktoren, die von Tumorzellen gebildet werden und autokrin deren eigene Zellteilung stimulieren (z. B. Sis), Rezeptoren für
Schilddrüsenhormone (ErbA), Rezeptoren für
Wachstumsfaktoren (z. B. ErbB, Fms), Tyrosinkinasen (z. B. Abl, Src, Fes), G-Proteine (Ras),
Serin/Threonin-Kinasen (z. B. Raf, Mos), und
Transkriptionsfaktoren (Fos, Jun, Myc, Myb,
Rel). Die Inaktivierung von Ras wird z. B.
durch ein GTPase-aktivierendes Protein
(GAP) beschleunigt (B). Mutationen von Ras
können dessen Empfindlichkeit gegenüber
GAP aufheben, und Ras bleibt aktiv.
Tumoren entstehen auch bei Defekten proliferationshemmender Proteine. Ein Ausfall
von Rb (Retinoblastom) oder p53 (LiFraumiSyndrom) begünstigt die unkontrollierte Zellteilung (A5). Ein Defekt von p53 behindert
ferner die Apoptose (S. 15 A). Auch genetische
Defekte von WT 1 (Wilms-Tumor), vHL (vonHippel-Lindau-Erkrankung), APC (Familiäre
Adenomatöse Polyposis Coli), Tuberin (tuberöse Sklerose) und PTEN (S. 10; u. a. Mammakarzinom) führen zu gehäuftem Auftreten von
Tumoren.
Auslöser von Mutationen (A links) können
chemische Kanzerogene, Strahlen oder Störungen der DNA-Reparatur sein. Die Zellen sind
v. a. während der Mitose für Mutationen empfindlich, d. h., proliferierende Gewebe (z. B. bei
Entzündungen, Gewebsläsionen) sind häufiger
Mutationen unterworfen als ausdifferenzierte
Gewebe. Schließlich können Viren Onkogene
in die Wirtszellen einbringen (A6, C1) oder
durch Inaktivierung (Rb, p53) oder Aktivierung (z. B. Bcl2) wirtsspezifischer Proteine
die Entartung fördern.
Meist müssen mehrere Mutationen auftreten (C2), bis die Zelle zu einer Tumorzelle entartet. Tumorpromotoren (z. B. Phorbolester,
S. 6) fördern die Vermehrung mutierter Zellen
und damit die Tumorentwicklung, ohne selbst
Mutationen auszulösen (C3).
Tafel 1.8
Entstehung von Tumorzellen
Schilddrüsenhormone:
T3 , T4
Wachstumsfaktoren
wachstumsfördernde
Hormone
Sis
Rezeptoren
Zellmembran
P
GRB2
SOS
Src
P
ErbA
3
ErbB
1
Abl, Fes
1 Grundlagen
A. Mechanismen der Tumorentstehung
Tyrosinkinasen
zytosolische
und nukleäre
Rezeptoren
kleines G-Protein
Ras
P
Serin- /Threonin-Kinase
GTP
Raf
2
GDP
MAPK-Kaskade
chemische
Kanzerogene
Transkriptionsfaktoren:
E2F, DP1, Fos, Jun, Myc, Myb, Rel, b-catenin
Strahlen
Entzündungen,
Läsionen
(viele Mitosen)
Viren
Onkogene
Mutationen
Vererbung
6
DNA-Repair
Zellkern
p53
p53
p21
D-CDK4
Rb
E-CDK2
4 E2F
B. Fehlfunktion von Ras
Viren
GTP
GAP
Ras
inaktiv
P
kontrolliert
GDP
E2F
unkontrollierte
Tumorzellteilung
C. Entwicklung von Tumorzellen
Ras
mutiert
GTP
Ras
aktiv
5
Rb
kontrollierte Zellteilung
= Onkoproteine
Ras
aktiv
DP1
DP1
Mutationen
1
Bcl2
M
Promotoren
3
2
mutierte Zellen
Tumorzellen
GTP
Zellteilung unkontrolliert
normale Zelle
Apoptose
17
1 Grundlagen
18
Tumorfolgen
Bei unkontrollierter Zellteilung (S. 16) durchlaufen die Zellen eine zunehmende Entdifferenzierung. Dabei wird die veränderte Zelle
vom Immunsystem häufig erkannt und eliminiert. Dem können sich die Tumorzellen entziehen, indem sie z. B. den Liganden für den
CD 95-Rezeptor auf ihrer Zelloberfläche exprimieren (A1) und damit die Lymphozyten in
die Apoptose treiben (S. 14). Auch eine Immunschwäche (z. B. AIDS, S. 62) begünstigt
das Überleben von Tumorzellen.
Proliferiert die Tumorzelle, dann entwickelt
sich ein Tumor, der bereits durch die lokale
Ausdehnung schwere Auswirkungen haben
kann. Ein Hirntumor z. B. verdrängt benachbarte Neurone und kann auf diese Weise u. a.
Epilepsie auslösen (A2 u. S. 364). Da die knöcherne Hülle des Schädels keine nennenswerte Volumenzunahme des Gehirns zuläßt, führt
ein Hirntumor letztlich zur einer lebensbedrohlichen Steigerung des Hirndrucks
(S. 384). Ein Bronchialkarzinom kann die Luftzufuhr zu den jeweiligen Alveolen unterbrechen und damit ein Kollabieren der Alveolen
provozieren (Atelektase, S. 76).
Stark entdifferenzierte Tumoren können in
andere Gewebe auswandern (Metastasierung,
A3). Dazu müssen sich die Tumorzellen von
ihrem Zellverband lösen, in Blutgefäße eindringen, in anderen Organen die Blutbahn
wieder verlassen und dort eine neue Kolonie
bilden. Das Verlassen des Gewebeverbandes
erfordert die Fähigkeit zu Migration und den
Abbau von Gewebeschranken. Letzteres wird
durch Ausschüttung von proteolytischen Enzymen oder durch Unterdrückung der Expression oder Wirksamkeit von Proteinasehemmern erzielt. Die in das Gefäß eingeschwemmten Tumorzellen bleiben meist im
nächsten Kapillarbett hängen. Um die Blutbahn zu verlassen, müssen sie an jeweils spezifische Adhäsionsmoleküle des Endothels andocken und durch die Gefäßwand brechen.
Eine Größenzunahme des Tumors bzw. seiner Metastasen erfordert die entsprechende
Kapillarisierung zur Versorgung mit O2 und
Substraten. Die Angiogenese wird durch Freisetzung von Mediatoren stimuliert und kann
durch Angiogenese-Hemmer (Angiostatin, Endostatin) gehemmt werden. Bei großen Tumoren belastet die zusätzlich erforderliche
Durchblutung den Kreislauf (HZV ↑, B).
Der Energiebedarf der Tumorzellen wird
selbst bei hinreichendem O2-Angebot häufig
durch anaerobe Glykolyse gedeckt, wobei die
Energieausbeute pro mol Glucose nur 5 % des
oxidativen Glucoseabbaus beträgt. Als Folgen
treten Hypoglykämie und Azidose auf (B). Die
Hypoglykämie stimuliert die Ausschüttung
von Glucagon, Adrenalin und Glucocorticoiden, die den Fett- und Proteinabbau fördern.
Letztlich magert der Patient stark ab: Tumorkachexie (B). Tumorzellen können Gerinnung
und/oder Fibrinolyse aktivieren, so dass es zu
Störungen der Blutstillung und Blutverlusten
kommt. Blutungen, der hohe Eisenbedarf der
Tumorzellen sowie die Tumorkachexie führen
häufig zu Anämie (S. 40 ff.).
Oft verursachen Tumorzellen Störungen
durch Steigerung gewebespezifischer Leistungen oder Übernahme neuer Leistungen. So bilden Plasmazelltumoren häufig große Mengen
meist abnormer Antikörper, die u. a. die Niere
schädigen können (S. 112). Durch ihre Entdifferenzierung exprimieren Turmorzellen ferner
Proteine, gegen die Antikörper gebildet werden können. Von oder gegen Tumorzellen gebildete Antikörper können u. a. Ionenkanäle
und Rezeptoren blockieren und so z. B. Myasthenie auslösen (S. 330).
Bereits kleine Tumoren endokriner Gewebe
sowie entdifferenzierte Tumoren nicht-endokriner Gewebe (v. a. das kleinzellige Bronchialkarzinom) führen häufig zu massiven Hormonstörungen (B). Die gesteigerte Hormonausschüttung kann vielfältige Störungen auslösen (Kap. 9), wie z. B. Blutdrucksteigerungen, hypotone Hyperhydratation, Katabolismus, Akromegalie, Hypoglykämie, Knochenabbau, Hyperkalzämie und Nierensteine, Polyglobulie, Hyperthyreose, Virilisierung, Galaktorrhö, Durchfälle und Ulzera. Hormone werden andererseits als Tumormarker zur Diagnose bestimmter Tumoren verwendet, z. B.
Calcitonin (medulläres Schilddrüsenkarzinom), Choriongonadotropin (u. a. Hodenkarzinom) oder ACTH (Lungentumoren). Bei Untergang von Tumorzellen führt freiwerdendes
zelluläres K+ zu Hyperkaliämie und der
Abbau der Nukleinsäuren zu Hyperurikämie
(B u. S. 272).
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