Aggression und Gewalt. Faszination der Gewalt

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Prof. Dr. Wilfried Breyvogel
Sommersemester 2004 | Montag 12.00-14.00 Uhr | R09 T00 D03
Vorlesung vom 17.05.2004 | Semesterapparat 132
Aggression und Gewalt.
Faszination der Gewalt (1. Teil)
AGRESSION UND GEWALT
1. Teil: Die Unterscheidung von Gewalt und Aggression
Gewalt ist eine soziale Kategorie. Aggression ist eine
psychische Kategorie.
Gewalt ist keine objektive Tatsache, sondern eine
soziale Konstruktion, die von der Definition der
mindestens zwei Beteiligten (und von Dritten) abhängig ist.
Die Kontrolle der Gewalt wird durch das staatliche
Gewaltmonopol (Polizei, Militär) geregelt. Es gibt eine
negativ bewertete Gewalt (gegen Machtlose, Behinderte,
Schwächere, Kinder u.a.) und eine positiv bewertete
Gewalt, die vom staatlichen Gewaltmonopol ausgeht.
Aggression ist dagegen eine psychische Kategorie, d.h.
sie beschreibt Eigenschaften und Verhaltensweisen
des Menschen.
Erste Unterscheidung:
Aggression als angeborenes Verhalten vs. Aggression
als gelerntes Verhalten.
Aggression als angeborenes Verhalten ist
Instinktverhalten, das wir bei den Tieren kennen.
Instinkt ist ein festgelegtes Verhaltensmuster, eine
Reaktion auf bestimmte Außen- und Innen-, d.h.
Körperreize. (Revierverteidigung, Jagdverhalten, Flucht,
Abwehr von Angriffen u.a.)
Zweite Unterscheidung:
Instinktverhalten und Geschichte oder: Natur und
Kultur.
Die Geschichte des Menschen beginnt mit der Überwindung
des Instinktverhaltens. Sie beginnt gleichzeitig dort, wo der
Übergang von einem Naturzustand
zur Kultur (Sprache und Schrift) und zugleich
zur Religion (Ersatzgewalt gegen das Opfer) stattfindet.
Der Übergang datiert seit ca. 20 000 Jahren. Das erste im
engeren Sinne europäische ‚Kulturgut‘ sind die Schriften von
Homer (Ilias und Odyssee, ca. 1000 - 800 v. Chr.).
Mit dem Beginn von Geschichte und Kultur beginnt der
Anspruch an den Menschen, gewaltfrei zu handeln.
2. Teil: Wie erfolgt das Lernen von Aggression?
Aggression als gelerntes Verhalten:
Durch den historischen Zivilisationsprozess wird Aggression
zu einem (über das Bewusstsein) steuerbaren Verhalten.
Das aggressive Verhalten wird besonders über soziale und
kulturelle Muster gesteuert. Diese Muster unterscheiden
sich besonders nach Klasse und Schicht (Adel, Bürgertum,
Kleinbürger, Arbeiter; Oberschicht, Mittel- und Unterschicht),
Geschlecht (männlich/weiblich) und Lebensalter
(Jugendliche/Senioren).
1. Lernen im Muster der einfachen Konditionierung:
S(timulus)-R(esponse)-Lernen (Verhaltenskonditionierung)
(Vgl. den Pawlowschen Hundeversuch, Futter + Glocke
Speichel; bedingter unbedingter Reflex)
Unkontrolliertes (unbewusstes) Lernen als
Konditionierung, z.B. Reaktionen auf Hunger, Durst,
Kälte, aber auch Abwehrreaktionen auf Angriffe
(„Notwehr“) werden auf diese Weise im frühesten
Säuglingsalter gelernt.
2. Lernen durch Erfolg: Instrumentelles Konditionieren
nach der Regel der Verstärkung
Skinnersche Tauben- und Rattenversuche, Futter im
Labyrinth, ‚trial and error‘: Das Verhalten, das zum Erfolg
führt, wird übernommen, durch Erfolg konditioniert. Das
Verhalten, das nicht verstärkt wird, wird gelöscht.
Aggression, die zum Erfolg führt, wird auf diese Weise
gelernt.
3. Lernen am Vorbild. Lernen durch Imitation/Faszination
Das Lernen durch Imitation (Nachahmung, Mimesis) ist das
komplexeste Lernen, mit dem auch aggressives Verhalten
übernommen wird. Bandura u.a. haben dazu in den
siebziger Jahren die entscheidenden Versuche im
Kindesalter unternommen. Imitation ist das bildhafte
Lernen, das vor dem Spracherwerb bereits über
Identifikation erfolgt. Man setzt sich mit dem Vorbild
gleich, möchte ihm gleich oder ähnlich sein, möchte stark,
groß und mächtig sein.
4. Fazit:
Nur weil Aggression ein gelerntes Verhalten ist, ist es
auch veränderbar! Die Instinkttheorien (oder andere
„natürliche“ Erklärungen) waren lange Zeit
Legitimationstheorien für Aggression in männlichen
Kulturen.
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„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner
selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist
das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung
eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am
Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und
des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen
zu bedienen. ‚Sapere aude!‘ [Habe Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen!] ist also der
Wahlspruch der Aufklärung.“ (Kant 1971 [1785], S. 53,
zit. n. Soeffner 2004, S. 66)
„An die Stelle des Grundsatzes, daß der Einzelne sich
im Zweifel nur auf die eigene Erfahrung stützen kann
und muß, tritt der demokratisch aufgeklärte ‚gesunde
Menschenverstand‘: jene Geisteshaltung, die deswegen
als ‚gesund‘ angesehen wird, weil man sie wie
selbstverständlich mit anderen gemein hat.
‚Demokratisch aufgeklärt‘ ist dieser Common Sense
dann, wenn er den Volkswillen, einen Mehrheitswillen
also, einsichtsvoll und vorurteilsfrei repräsentiert. Der
‚Verstand‘ des einzelnen bettet sich in den des
Volkswillens, der als Mehrheitswille letztlich auch
darüber entscheidet, wer oder was als ‚aufgeklärt‘,
einsichtsvoll und vorurteilsfrei gelten kann.“ (Soeffner
2004, S. 66)
„Gewalt, vor allem die unmittelbare gewalttätige
Handlung, das per se Nichtdiskursive, normativ
Geächtete und Exkommunizierte, daher
Nichtübersetzbare, sondern bestenfalls ex post
Beschreibbare, ist deshalb von jeher die größte
Herausforderung für die analytische Vernunft. Gewalt –
zudem noch im Gefolge oder auch als Folge der
Rationalisierung der Welt – wird dementsprechend zum
größten Ärgernis für die Aufklärung und ihr Projekt der
Moderne, zumal dann, wenn Gewalt als Akt der
Befreiung von den Zwängen der instrumentellen
Vernunft jene Faszinationskraft (wieder-)gewinnt, die
nicht nur Erneuerung durch Umsturz suggeriert,
sondern auch den Krieg gegen die Zivilisation ausruft
und ihn im Rausch genießt:
‚Da entschädigte sich der Mensch in rauschender Orgie
für alles Versäumte. Da wurden seine Triebe, zu lange
schon durch die Gesellschaft und ihre Gesetze
gedämmt, wieder das Einzige und Heilige und die letzte
Vernunft‘ (Jünger 1980: 13).“ (Soeffner 2004, S. 69)
Das Faszinierende der Gewalt
als Erfahrung im Zwischenraum von
ungebändigter,
unbegreifbarer
Gewalt
Natur
und äußerster
Ohnmacht des
Ausgeliefertseins
Religion
Mensch
www.uni-essen.de/agpaedagogischejugendforschung
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