Abschnitt 5: Schlaganfallspezifische Patientenüberwachüng bearbeitet durch: M. Volkenstein 1. Allgemeines Jeder akuter Schlaganfall muss auf einer Überwachungsstation behandelt werden. Die Dokumentation der überwachten Parameter erfolgt auf den IntensivÜberwachungsbögen, bzw. dem neurologischen Überwachungsbogen. Unmittelbar nach der Aufnahme wird der Patient an den Monitor angeschlossen. Durch Anstreben von Normwerten der Vitalzeichen soll der Penumbra-Bereich bestmöglichst versorgt werden. (Penumbra-Konzept) Folgende Parameter werden bei Aufnahme und im weiteren Verlauf, entsprechend der Arztanordnung, überwacht und dokumentiert: 1.1. Blutdruck Der Blutdruck muss im Zielbereich sein, um eine ausreichende Kollateralversorgung zu gewährleisten. Die Blutdruckgrenzen werden vom Arzt im Anordnungsbogen vorgegeben. Ist der Blutdruck außerhalb des vorgegebenen Zielbereiches, so stellt dies eine zu große Belastung für das Gehirn dar und es besteht die Gefahr von weiteren Blutdruckkrisen und Einblutungen. Grundsätzlich werden in der Akutphase eines Schlaganfalles leicht hypertensive Blutdruckwerte toleriert (bis 180 mmHg) und eine arterielle Hypotonie soll vermieden werden. Die Blutdruckmessung erfolgt entweder nichtinvasiv mit einer Oberarmmanschette, aber auch invasiv über eine Drucksonde in der Arterie, falls der Patient eine kontinuierliche Blutdrucküberwachung benötigt. Vorsicht: Den Blutdruck nicht zu schnell / zu weit senken! Einen Sonderfall stellt die i.v. Thrombolysetherapie dar sowie die Behandlung einer Hirnblutung. (siehe medizinische SOP 5) (Buch Pflegewissen Stroke Unit- Fiedler/Köhrmann/Kollmar) 1.2. Herzfrequenz / EKG Überwachung / Ableiten des EKG´s zur Beobachtung der Funktion des Herzens wie z.B. Frequenz, Rhythmusstörungen, ältere Myocardischämien, AV-Blockaden, Wirkung von Medikamenten, Elektrolytstörungen sowie Herzstillstand. Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern) sind eine häufige Ursache für thromboembolische Infarkte. Die Herzfrequenz muss im Zielbereich zwischen 50-100 Schläge/min liegen. Die Schrittmachererkennung muss ggf. im Monitor eingestellt sein. Wichtig: Wechselintervall der Hautklebeelektroden alle 24 Stunden! 1.3. Temperatur Die Körpertemperatur ist unter 37,5°C zu halten, weil eine Hyperthermie mit einem vergrößerten Infarktvolumen und einem verschlechterten Outcome des Schlaganfalls 1 Abschnitt 5 Patientenüberwachung assoziiert ist. Eine erhöhte Körpertemperatur kann ein Hinweis auf eine Infektion sein, z.B. Harnwegsinfekt, Pneumonie (Aspiration). Die Körpertemperatur ist 4-stündlich zu kontrollieren und zu dokumentieren. Maßnahmen bei erhöhter Körpertemperatur: Kühlung durch Antipyretika-Gabe bzw. durch physikalische Maßnahmen wie Wadenwickel oder Cold Packs auf beide Arteria Illiacae. Infektfokussuche 1.4. Blutzucker Der Blutzucker muss im Zielbereich bis 180 mg/dl liegen. Deshalb ist eine regelmäßige Kontrolle in der Anfangsphase unabdingbar. Die Dauer der Blutzuckerkontrollen ordnet der zuständige Arzt auf dem Anordnungsbogen an. Die Blutzuckerkontrollen stellen eine wichtige Maßnahme dar, um Diabetes zu erkennen und bei Messergebnissen außerhalb des Zielbereiches eingreifen zu können. Ein normaler Blutzuckerspiegel verringert die Laktatazidose im Bereich des ischämischen Infarktareals. (-> intrazelluläre funktionelle und morphologische Beeinträchtigung) Blutzuckertagesprofil: 08:00h (nüchtern) 12:00h 16:00h 20:00h 24:00h 04:00h Bei Abweichungen des Blutzuckerwertes ist nach dem „Stroke-Insulinschema“ (siehe Anordnungsbogen) vorzugehen. Die Vermeidung von Hypoglykämie ist genauso entscheidend (>80 mg/dl) 1.5. Atmung Die Atemfrequenz wird über den Monitor abgeleitet und 2x pro Schicht auf der Intensivkurve dokumentiert. Sie gibt beispielsweise Auskunft über einen erhöhten Sauerstoffbedarf bei Fieber oder Herz-Lungenerkrankungen (Tachypnoe) oder Schockzustände, Medikamentenintoxikation (Bradypnoe) Normfrequenz: 10-25 AZ/ Min. O2-Sättigung Die Sauerstoffsättigung wird kontinuierlich über den Monitor abgeleitet und in der Intensivkurve dokumentiert mit Angabe der Sauerstoff-Zufuhr (O2 in Liter/Min). Hierdurch können Komplikationen wie z.B. Sekretansammlungen, Lungenödem, Tubusfehllage oder Apnoephasen beobachtet werden. Wenn die Sauerstoffsättigung bei Raumluft unter 95% abfällt, sollte 100% Sauerstoff per Nasensonde / Sauerstoffbrille (2-4l/min) oder per Maske (> 4l/min) verabreicht werden. Sonderfall COPD: Es werden auch SpO2-Werte um 90% toleriert. Maximale Gabe von 2l/min O2 Überwachungsparameter: (Buch Pflegewissen Stroke Unit- Fiedler / Köhrmann/ Kollmar) 2 Abschnitt 5 Patientenüberwachung 2. Die neurologische Überwachung: Die Kontrollintervalle und die Dokumentation finden je nach ärztlicher Anordnung statt. Grundsätzlich gilt, bei jeder neurologischen Veränderung den diensthabenden Arzt im Haus zu informieren. 2.1. Bewusstsein: Überprüfen des Bewusstseins anhand der fünf Kriterien des NeurologieÜberwachungsbogens. Die Häufigkeit der Überwachung wird vom Arzt auf dem Anordnungsbogen festgelegt. 2.2. Aphasie: Erworbene Störung der Sprache aufgrund einer Läsion in der dominanten Hemisphäre des Gehirns. Test: Erkennung und Benennung von 3 Gegenständen Motivation zur aktiven Kommunikation, z.B. durch: Ja/Nein-Fragen Kommunikationshandbuch kurze und klare Anweisungen Typ Spontansprache Nachsprechen Sprachverständnis Wortfindung Broca-Aphasie Gestört Gestört Eingeschränkt für syntaktisch komplexes Material WernickeAphasie Flüssig Gestört Eingeschränkt Eingeschränkt Amnestische Aphasie Flüssig, aber Paraphasie Gut Leicht beeinträchtigt Gestört, Paraphasisch Gestört Gestört Gestört Globale Aphasie Gestört Eingeschränkt Tabelle 1: Formen der Aphasie 2.3. Dysarthrie: Die Dysarthrie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Störungen des Sprechens durch erworbene Schädigungen des Gehirns bzw. der Hirnnerven und der peripheren Gesichtsnerven verursacht. Die fehlerhafte Steuerung der an der Sprachbildung beteiligten Makel-Gruppe führt zu einer verwaschenen Sprache. Test: Nachsprechen eines Zungenbrechers (z.B.: Liebe Lilly Lehmann lacht) 2.4. Schluckstörung: siehe Kapitel Schluckstörung 2.5. Pupillenkontrolle Die Kontrolle der Lichtreaktion der Pupillen dient der Beurteilung des neurologischen Status. Abweichungen entstehen z.B. bei intrakraniellen raumfordernden Prozessen, Mittelhirnschädigungen oder bei speziellen Medikamenteneinnahmen (Opiate, Antidepressiva). 3 Abschnitt 5 Patientenüberwachung Die normale Pupillenform ist gleich groß und rund. Eine Pupillenreaktion auf Licht findet beidseitig und prompt statt (ca. 0,2 Sek.) Ablauf der Pupillenkontrolle: (1) Lampenlichtstärke kontrollieren (2) Aufforderung Pat., in die Ferne oder nach oben zu schauen (3) Augen voneinander abschirmen (Handfläche) (4) Lichtstrahl kommt von seitlich außen und etwas unterhalb des beurteilenden Auges (5) beide Augen nacheinander kontrollieren und warten, bis die vorherige Pupillenreaktion abgeschlossen ist (6) Wiederholung am anderen Auge (7) Dokumentation (bei Veränderungen Arztinfo) Ist eine Pupille entrundet, wird dies mit einem „e“ gekennzeichnet. (Buch: Schlaganfall Conzelmann/ Manz, Kohlhammer Verlag) 2.6. Kräftemessung An den Extremitäten wird der Kraftgrad anhand der fünf vier Kriterien des NeurologieÜberwachungsbogens überprüft und dokumentiert. Eine Hemiparese ist die Lähmung einer Körperseite bedingt durch eine zentrale Läsion. Bei einer kompletten Lähmung spricht man von einer Hemiplegie. Diese Symptomatik findet typischerweise auf der kontralateralen Seite der Schädigung statt. 2.7. Ataxie Eine Ataxie ist eine Störung der Bewegungskoordination. Ein Auftreten ist auch ohne Hemiparese möglich. Test: Finger-Nase-Versuch Knie-Ferse-Versuch 2.8. Facialisparese Unterscheidung zwischen peripherer und zentraler Parese (bei Apoplex). Das Stirnrunzeln ist unauffällig und der Lidschluss ist meist nicht betroffen. Test: Patient soll mit offenem Mund lächeln (Zähne zeigen) 2.9. Hypästhesie Eine Hypästhesie ist eine Verminderung der Berührungs- und Drucksensibilität. Test: Pat. soll beurteilen, ob sich das Gefühl auf beiden Körperhälften gleich anfühlt, z.B. mittels warmen und kaltem Gegenstand und/ oder spitzen und stumpfem Material 2.10. Neglect: Ein Neglect ist die Vernachlässigung einer Raum- und oder Körperhälfte. Verschiedene Formen sind möglich: visuell, auditorisch, motorisch, somatosensibel, olfaktorisch, Repräsentationsneglect 3. Weitere Auffälligkeiten beim Schlaganfall Ein Schlaganfall kann eine Vielzahl an Symptomen hervorrufen. Weitere Auffälligkeiten können beispielsweise sein: 4 Abschnitt 5 Patientenüberwachung Doppelbilder Übelkeit/ Erbrechen Schwindel Kopfschmerzen Agnosie Nystagmus Anosognosie Sehstörungen Agraphie Bewusstseinsstörungen Alexie Apraxie 4. Die intravenöse Lysetherapie – Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls Das Fibrinolytikum wird i.v. über einen seperaten Zugang verabreicht (rtPA, Alteplase, Actilyse) nach Ausschluss einer intrazerebralen Blutung und einer großen ischämischen Infarktausdehnung mittels kranialem CT / MRT. Zeitfenster aktuell: Seit 2011 auf 4,5 Stunden erweitert. Je früher eine Lysetherapie durchgeführt wird, desto effektiver ist sie: Time is brain Berechnung: 0,9 x kg/KG, davon 10% als Bolus, restliche Menge über eine Stunde, max 90 mg Zwei i.v. Zugänge sind während einer intravenösen Lysetherapie notwendig, da über den zweiten pVK beispielsweise eine Blutdrucktherapie eingeleitet werden muss. 4.1. Engmaschige Überwachung Vitalzeichen Engmaschige neurologische Kontrollen Beobachtung von Haut / Schleimhaut (Zungenöde als allergische Reaktion) 24 Stunden nüchtern, anschließend Schluckversuch Mobilisation nach 6 h, bzw. nach AO Achsengerechte Lagerung 30° OK-Hochlagerung Cave: Zähne putzen, Nassrasur, BDK zwingend nötig?, MS erst nach 24 Std. 4.2. Pflegerische Aufgaben während der Lysetherapie: Mögliche Komplikationen: Blutungen (gastrointestinal, Mund, Zunge, Zu- & Ableitungen) Hämatome (bitte markieren) Intrakranielle Blutungen Bewusstseinseintrübungen Allergische Reaktionen Angioneurotisches Ödem (Quincke Ödem) 5. Neurologie - Überwachungsbogen Siehe nächste Seite 5 Abschnitt 5 Patientenüberwachung Datum Uhrzeit wach schläfrig Bewusstsein erweckbar nicht kontaktfähig verwirrt Aphasie Dysarthrie/ Schluckstörung Pupillenweite Ja = X (↓ → ↑) Ja = X ((↓ → ↑) isokor anisokor (L>R od. R>L) Körperseite R L R L R prompt Lichtreaktion Pupille träge keine Parese 4/5 (g. Widerstand) Parese 3/5 (g. Schwerkraft) Arm Parese <3/5 (hochgradig) Ataxie (Koordination) Hypästhesie (Sensibilität) Parese 4/5 (g. Widerstand) Parese 3/5 (g. Schwerkraft) Bein Parese <3/5 (hochgradig) Ataxie (Koordination) Hypästhesie (Sensibilität) Gesicht Parese Hypästhesie Arztunterschrift Tabelle 2: Neurologische Überwachungsbogen in Klinikum Großhadern 6 L R L R L R L R L