TRANSPLANTLINC, HEFT 11 © PABST SCIENCE PUBLISHERS 2005 AXEL DIGNASS, KADIR YILMAZ, RALF-JOACHIM SCHULZ Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie, Gastroenterologie und Interdisziplinäres Stoffwechselzentrum, Charité - Universitätsmedizin Berlin - Campus Virchow, Berlin PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS 4 TransplantLinc Heft 11 - 2005 Das Kurzdarmsyndrom (KDS) ist ein funktionelles Malabsorptionssyndroms, das auf einer Malabsorption von Nahrungssubstraten nach umfangreichen Darmresektionen oder gestörter intestinaler Funktion beruht. Das klinische Bild und der Schweregrad des Kurzdarmsyndroms werden durch das Ausmaß des Verlustes von funktionell aktivem Dünndarm sowie die Lokalisation des Funktionsverlustes, die Grunderkrankung und gleichzeitig bestehende Begleiterkrankungen und den zeitlichen Abstand zum auslösenden Ereignis (zum Beispiel Operation) bestimmt. Führende Symptome sind ein massiver Gewichtsverlust, Diarrhöen und Malnutrition. Die häufigsten Ursachen eines Kurzdarmsyndroms sind in der Kindheit eine intestinale Atresie, Gastrochisis, Malrotation mit Volvulus, Agangliosis, Mekoniumileus und die nekrotisierende Enterokolitis, im Erwachsenenalter ein Mesenterialinfarkt, M. Crohn, Strahlenenteritis, Traumen und Tumoren. Patienten mit einem ausgedehnten Verlust von funktionsfähigem Dünndarm bedürfen in der Regel einer lebenslangen totalen parenteralen Ernährung. Obwohl die Prognose von Patienten mit einem Kurzdarmsyndrom durch die parenterale Ernährung (TPE) dramatisch verbessert wurde, kann eine lebenslange TPE mit einer Reihe von Komplikationen vergesellschaftet sein. Das Management des Kurzdarmsyndroms ist stadienabhängig gegliedert nach Hypersekretionsphase, Adaptationsphase und Stabilisierungssphase. Hauptziele sind die Reduktion des Flüssigkeitsverlusts und Deckung des Kalorienbedarfs sowie die Verbesserung der Absorptionsfunktion durch Stimulation der Mukosaadaptation. Durch neu etablierte Funktionstests für die Resorptionsbestimmung von Fettsäuren und Aminosäuren ist es heute möglich, die Ernährung individuell auf die verbliebene Absorptions- leistung und metabolische Situation einzustellen. Schlüsselwörter: Kurzdarmsyndrom, Darmresektion, parenterale Ernährung, intestinale Adaptation, Malabsorption Pathophysiology and Clinical Presentation of short Bowel Syndrome Short bowel syndrome is a functional malabsorption syndrome resulting from extended bowel resection or severe impairment of intestinal function. The clinical symptoms and severity of short bowel syndrome are determined by the loss of functional active small bowel, the localization of bowel loss and concomitant disorders. Key symptoms are massive weight loss, diarrhea and malnutrition. Leading causes for short bowel syndrome are intestinal atresia, gastrochisis, malrotation, volvulus, agangliosis and necrotising enterocolitis in children and acute mesenterial infarction, Crohn’s disease, radiation enteritis, trauma and tumors in adults. Despite the improvement of the long-term prognosis of patients with short bowel syndrome with the introduction and improvement of total parenteral nutrition (TPN), TPN can cause significant complications in patients with short bowel syndrome. The management of patients with short bowel syndrome is individual and stage-dependent (hypersecretion phase, adaptation phase and stabilisation phase). Principal goals of short bowel syndrome therapy are the reduction of fluid loss, delivery of sufficient calories and improvement of intestinal function by stimulating intestinal adaptation. Newly developed absorption tests for fatty acid and amino acid PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS absorption help us to individually monitor and modify the nutritional regimen. Key words: short bowel syndrome, malabsorption, residual absorption capacity, parenteral nutrition, intestinal adaptation EINLEITUNG Mit dem Begriff Kurzdarmsyndrom (KDS) werden intestinale Malabsorptionssyndrome beschrieben, die sich nach einer ausgedehnten Dünndarmresektion von in der Regel 5070% des funktionsfähigen Dünndarmes oder durch eine massive funktionelle Schädigung oder funktionellen Ausfall größerer Darmabschnitte bei noch normale Restdünndarmlänge ergeben. Entsteht ein gravierendes Malabsorptionssyndrom durch einen größeren operativen Verlust von Dünndarm, spricht man von einem strukturellen Kurzdarmsyndrom, während der Begriff funktionelles Kurzdarmsyndrom die Fälle von schwerer Malabsorption beschreibt, die aus einer schweren, mitunter irreversiblen Störung der Dünndarmfunktion bei erhaltener Dünndarmlänge resultieren, wie zum Beispiel bei der chronisch intestinalen Pseudoobstruktion, refraktären Sprue oder Strahlenenteritis. Auch nach Resektion von hochspezialisierten Dünndarmabschnitten (z.B. terminales Ileum) können partielle Kurzdarmsyndrome entstehen, die durch Malabsorption von Vitaminen oder Gallensäuren gekennzeichnet sind, die aber vom Kurzdarmsyndrom im engeren Sinn unterschieden werden sollten, da hier erhebliche Unterschiede im Management bestehen. Unter Berücksichtigung der Dauer intestinaler Funktionsausfälle kann ein permanentes Kurzdarmsyndrom von einem passageren Kurzdarmsyndrom unterschieden werden. Während ein permanentes Kurzdarmsyndrom durch den persistierenden Verlust funktioneller Dünndarmabschnitte, die auch nach Abschluss intestinaler Adaptationsvorgänge eine lebenslange total parenterale Ernährung (LTPE) erforderlich machen, gekennzeichnet ist, besteht bei einem passageren Kurzdarmsyndrom die Möglichkeit, nach Abschluss intestinaler Adaptationsvorgänge eine weitestgehend enterale Ernährung durchzuführen. Genaue Zahlen zur Inzidenz und Prävalenz des Kurzdarmsyndroms in Deutschland sind nicht bekannt. Anhaltspunkte ergeben sich aus epidemiologischen Daten zur heimparenteralen Ernährung, da Kurzdarmsyndrompatienten ca. 35 % der heimparenteral ernährten Patienten darstellen. Ungefähre Schätzungen legen eine Inzidenz von jährlich 2-5 neuen Patienten mit Kurzdarmsyndrom pro eine Million Einwohner nahe (1; 2). Im letzten Jahrzehnt ist bedingt durch das verbesserte medizinische Management von Patienten mit Kurzdarmsyndrom eine stetige Zunahme der Inzidenz von Patienten mit Kurzdarmsyndrom zu beobachten. Hierzu tragen wesentlich die Fortschritte in der Abdominalchirurgie und Intensivmedizin sowie die Optimierung der parenteralen Ernährung, insbesondere der langzeitparenteralen und heimparenteralen Ernährung bei. So haben heute auch Patienten mit komplettem Verlust ihres Dünndarmes sowie solche mit schweren funktionellen Darmstörungen wie zum Beispiel bei fistelnden und stenosierenden chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, nach Strahlentherapie oder bei intestinalen Motilitätsstörungen eine mittelfristig günstige Prognose. PATHOGENESE DES KURZDARMSYNDROMS Die Ursachen, die einem Kurzdarmsyndrom zugrunde liegen können, sind vielgestaltig und können in 1. Störungen der intestinalen Durchblutung, 2. entzündlich bedingte Ursachen oder 3. andere Ursachen eingeteilt werden (2-5). Die wichtigsten Ursachen für ein Kurzdarmsyndrom sind in Abbildung 1 zusammengefasst dargestellt. Kurzdarmsyndrome können entweder durch angeborene Anomalien (z.B. intestinale Atresie) verursacht oder durch erworbene Bedingungen (z.B. intestinale Durchblutungsstörungen bei Arteriosklerose oder Embolie) verursacht sein. Zahlenmäßig am häufigsten sind sicherlich plötzliche Störungen der mesenterialen Durchblutung, z.B. durch mesenteriale arterielle Embolien, venöse Thrombosen oder Volvolus. Dies belegen auch die Daten des internationalen Dünndarmtransplantationsregisters (Abbildung 2). Bei etwa einem Viertel der Erwachsenen erfolgte eine Dünndarmtransplantation aufgrund einer in- 5 TransplantLinc Heft 11 - 2005 A. DIGNASS, K. YILMAZ, R.-J. SCHULZ ABBILDUNG 1: Störungen der Durchblutung • • • • Ursachen für einen definitive Verlust der enteralen Resorptionsfunktion Mesenterialinfarkt/ Mesenterialthrombose Volvulus Malrotation Inkarzeration des Darmes (Hernie) Entzündlich bedingt • • • • Morbus Crohn Strahlenenteritis Enteritis necroticans Autoimmunenteritis Andere Ursachen • • • • Trauma Tumor (Desmoid Tumor, etc.) Intestinale Atresie Motilitätsstörungen (viscerale Myo-, Neuropathie, Agangliose, MNGIE-Syndrom, etc.) • andere kongenitale Erkrankungen (Gastoschisis, etc.) • Mekoniumileus ABBILDUNG 2: Indikationen zur Dünndarmtransplantation bezogen auf die Ursache des Kurzdarmsyndroms (basierend auf Daten des Intestinal Transplant Registry Report 2001) andere MotilitätsstörungenTumor 1% Aganglionose/ 2% Hirschsprung 7% Re-Tx Andere 7% 2% Retransplantation Andere 5% andere Tumoren 5% 7% Gardner /Fam. Polyposis 3% Volvulus 18% Pseudoobstruktion 9% Gastroschisis 21% andere Malabsorption 4% microvillöse Inklusion 6% Kurzdarm andere Intest. Atresie 7% 4% Nekrot. Enterocolitis 12% Kinder testinalen Ischämie, bei Kindern in etwa 40% aufgrund angeborener Störungen. Auch bei den Patienten in unserer Kurzdarmsprechstunde ist in etwa der Hälfte der Fälle das Kurzdarmsyndrom auf eine Störung der intestinalen Durchblutung zurückzuführen (Abbildung 3). PATHOPHYSIOLOGIE DES KURZDARMSYNDROMS Stadieneinteilung 6 TransplantLinc Heft 11 - 2005 Pathophysiologisch liegt den Malabsorptionserscheinungen beim Kurzdarmsyndrom eine Verminderung der Resorptionskapazität als Folge einer strukturell oder funktionell verminderten Resorptionsfläche, eine Beschleunigung der intestinalen Transitzeit und eine daraus resultierende Verringerung der Ischämie 22% Crohn 13% Desmoid 10% Motilitätsst. 9% Andere 7% Volvulus 7% Trauma 12% Erwachsene Kontaktzeit der Nahrung mit der verbliebenen Resorptionszone zugrunde (6; 7). Dies führt dann zu einer verminderten Reabsorption von Flüssigkeit, Elektrolyten sowie zu einer Malabsorption der Nahrungsbestandteile einschließlich Spurenelemente und Vitamine. Zusätzlich wird eine Zunahme der basal und nach Nahrungsaufnahme endogen gebildeten Sekrete von Magen, Dünndarm, Galle und Pankreas beobachtet. Ätiologisch liegt hier vermutlich eine verminderte Produktion verschiedener Dünndarmhormone, unter anderem von Enteroglukagon, Peptid YY, Somatostatin GLP-2, Neurotensin und anderen zugrunde, die wichtige Regulatoren der alimentären Sekretion, Magenentleerung und des intestinalen Transits darstellen (8). Die Hypersekretion von Magen, Dünndarm, Pankreas und Galle wird wesentlich durch den Wegfall negativer Feedback-Mechanismen durch Resektion PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS Peritonealkarzinosen/ Malignome 9% Motilitätsstörungen M. Crohn 4% 4% Malrotation 9% ABBILDUNG 3: Volvulus 3% Trauma 6% Mesenterialthrombose 3% Ursachen des Kurzdarmsyndroms Patienten (n=65) mit total parenteraler Ernährungspflicht – Kurzdarmsprechstunde der Med. Klinik m. S. Hepatologie und Gastroenterologie, Charité-Campus Virchow (1/2000-06/2003) Bridenileus 16% Mesenterialarterieninfarkt 46% Stadium Dauer Charakteristikum ABBILDUNG 4: Hypersekretionsphase bis zu 1 Monat Flüssigkeits-/ Elektrolytverlust) Stuhlvolumen > 2,5 l/Tag parenterale Ernährung Stadien des Kurzdarmsyndroms Intestinale Adaptation 3. Wo - 1 Jahr Flüssigkeitsverlust < 2,5 l/Tag Aufbau der enteralen Ernährung, Maximale intestinale Adaptation nach ca. 2 Jahren Stabilisation nach 3 Monaten bis 2 Jahren weiterer Rückgang der Diarrhoe und Steatorrhoe enterale Ernährung spezialisierter Dünndarmabschnitte mitbestimmt. Beim Kurzdarmsyndrom, das sich nach einer ausgedehnten Dünndarmresektion ergibt, können drei prinzipielle Phasen unterschieden werden (Abbildung 4): 1. die postoperative Akutphase, die nur wenige Tage andauert, dann 2. die Adaptationsphase, die mit Beginn der enteralen Nahrungsaufnahme eingeleitet wird und etwa ein bis zwei Jahre andauern kann, und abschließend 3. die Stabilisierungs- oder Erhaltungsphase (6; 9-11). Diese Phasen können klinisch in der Regel nicht eindeutig zeitlich getrennt werden und gehen fließend ineinander über. Auch bei funktionellen Kurzdarmsyndromen finden wir verschiedene Stadien, die prinzipiell ähnliche pathophysiologische Veränderungen beinhalten, die aber aufgrund des eher chronischen Charakters der verursachenden Erkrankung eine eindeutige Eintei- lung in unterschiedliche, zeitlich distinkte Phasen zusätzlich erschweren. Die postoperative Akutphase ist insbesondere durch ausgeprägte Flüssigkeits- und Elektrolytverluste gekennzeichnet. In dieser Phase und auch in der Erhaltungsphase sind heute weitestgehend standardisierte Therapieprinzipien etabliert, die die Fortschritte der modernen Intensivmedizin und Ernährungsmedizin berücksichtigen, auf die hier leider nicht näher eingegangen werden kann. Interessante und innovative pathophysiologisch basierte Therapiemöglichkeiten haben sich in jüngster Zeit bezüglich der Adaptationsphase ergeben. Einige dieser Aspekte werden nachfolgend ausführlicher diskutiert. 7 TransplantLinc Heft 11 - 2005 A. DIGNASS, K. YILMAZ, R.-J. SCHULZ Pathophysiologie der intestinalen Adaptation 8 TransplantLinc Heft 11 - 2005 Während der Adaptationsphase werden komplexe morphologische und funktionelle Anpassungsvorgänge in den verbliebenen Darmanteilen beobachtet, die komplexen Regulationsmechanismen unterliegen. Es kommt unter anderem zu einer Vergrößerung der intestinalen Resorptionsfläche, ein Prozess, der als intestinale Adaptation bezeichnet wird. Die intestinale Adaptation ist durch eine Hyperplasie des verbliebenen Epithels mit Zunahme der Villuslänge und Kryptentiefe auf Grund einer gesteigerten Proliferation von Enterozyten gekennzeichnet (5; 6; 9; 12). In der Adaptationsphase ist sowohl eine gezielte Modulation der intestinalen Adaptation, der intestinalen Transitzeit und auch der Hypersekretion möglich. Da die intestinalen Adaptationsvorgänge wesentlich durch intraluminale Nahrungsbestandteile stimuliert werden, sollte möglichst rasch eine enterale Ernährung nach Darmresektionen eingeleitet werden (9; 10; 12-14). Die intestinale Adaptation durch luminale Nahrungsbestandteile wird möglicherweise wesentlich über eine vermehrte Bildung von Polyaminen vermittelt (8; 15; 16). Zunächst wird durch enterale Nahrung das Enzym ODC aktiviert, das dann die Synthese von Polyaminen steigert. Diese Polyamine gelangen über die Zirkulation zu den Krypten, den Ort der Zellproliferation, und stimulieren dort direkt die Enterozytenproliferation. Sie gelangen aber auch durch Abschilferung von Zellen in das Lumen und stimulieren nach Absorption von luminal die Zellproliferation. Die enterale Ernährung erfolgt in Form verschiedener bilanzierter Diäten, die Fette, Kohlenhydrate, Proteine sowie Spurenelemente und Vitamine in unterschiedlicher Form und Menge enthalten. Trotz zahlreicher Untersuchungen wird die ideale Zusammensetzung der enteralen Ernährung kontrovers diskutiert (9; 11-13; 17-19). Wichtig erscheint der Einsatz komplex zusammengesetzter Diäten, die möglichst viele Transportmechanismen und Verdauungsprozesse aktivieren, um die Adaptation und Differenzierung des intestinalen Epithels zu begünstigen. Während niedermolekulare Nährstoffe wie Aminosäuren und Monosaccharide rasch resorbiert werden und den Nährstoff- und Energiebedarf abdecken, stimulieren größere Moleküle wie Stärke oder Proteine die Adaptationsprozesse stärker. Interessante und zum Teil kontroverse Daten existieren zur Bedeutung von Glutamin als Bestandteil der enteralen Nahrung. Während tierexperimentelle Untersuchungen eine Stimulation von Adaptationsvorgängen belegen, haben Untersuchungen beim Menschen lediglich eine Verbesserung der intestinalen Barrierfunktion und Verbesserung der Stickstoffbilanz gezeigt. Verschiedene Hormone und Peptide wie rekombinantes Wachstumshormon (HGH), Insulin-Like Growth Factor I (IGF-I), Epidermaler Wachstumsfaktor (EGF), Keratinozytenwachstumsfaktor (KGF) und Interleukin 11 (IL-11) stimulieren in vitro und in vivo die intestinale Adaptation (14; 20-22). So bewirkt die zusätzliche Gabe von rekombinantem Wachstumshormon zu einer enteralen Standarddiät eine signifikante Verbesserung der Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Eine signifikante und relevante Beeinflussung der intestinalen Malabsorption wird jedoch weiterhin kontrovers diskutiert, so dass eine Therapie mit Wachstumshormon derzeit nicht als allgemein etablierter Standard anzusehen ist (13; 19; 23-25). Störungen des intestinalen Transits und Folgen Im Anschluss an intestinale Resektionen kommt es initial häufiger zu einer verminderten Motilität mit konsekutiven Magenentleerungsstörungen, aber auch zur Dysmotilität distaler verbliebener Dünndarmabschnitte. Der daraus resultierende primäre Passagestopp begünstigt eine aufsteigende bakterielle Überbesiedlung des Restdünndarms. Dies wird besonders gehäuft nach Ileozökalklappenresektion beobachtet (26). Konsekutiv kommt es zu einer Überbesiedlung des Dünndarmes mit kolonassoziierten Bakterien. Dadurch wird die Resorptionsleistung durch eine direkte Schädigung der Enterozyten und auch durch einen kompetitiven Effekt der Bakterien mit den Enterozyten bezüglich der Nahrungssubstrate vermindert. Zusätzlich entsteht eine vermehrte Gasbildung, die zu erheblichen klinischen Beschwerden führen kann. Hier bietet sich wiederum eine pathophysiologisch basierte PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS Therapieoption in Form einer Antibiotikatherapie zur Reduktion der intestinalen Fehlbesiedlung an, wobei sich klinisch eine Rotationsantibiose mit den Breitspektumantibiotika Ciprofloxacin, Metronidazol und Doxyzyklin bewährt hat (Abbildung 5). Im weiteren klinischen Verlauf kommt es nach jejunaler Resektion zu einer deutlichen Beschleunigung der Magenentleerung und beschleunigten intestinalen Transitzeit. Der Verlust der inhibitorischen Wirkung der Peptide Peptid-YY (PYY), des Glukagon-like Peptide I (GLP-I) und von Neurotensin scheint hier ätiologisch von hoher Relevanz zu sein (8). PYY wird normalerweise von L-Zellen im Ileum und Kolon nach Stimulation durch Fett oder Gallensekret produziert. Bei distalen Ileum- und Kolonresektionen fehlen diese Zellen, so dass es konsekutiv zu einer deutlichen Passagezeitveränderung kommt. Hier ergeben sich dann Möglichkeiten pharmakologisch die gesteigerte Motilität durch Opiumderivate zu beeinflussen (Abbildung 5). Auch die Hypersekretion von Magen, Pankreas, Galle und Restdünndarm ist pathophysiologisch durch einen Wegfall inhibierender Feedbackmechanismen und regulierender Peptide und Hormone erklärt (8). Therapeutisch bietet sich hier eine Hemmung der Hypersekretion durch H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer oder Somatostatinanaloga wie Octreotide oder Lanreotide an (Abbildung 5). KLINIK UND STADIENEINTEILUNG DES KURZDARMSYNDROMS Das klinische Bild des Kurzdarmsyndroms ist sehr vielgestaltig und wird wesentlich durch das Ausmaß und die Lokalisation der rese- zierten Darmabschnitte bestimmt. Zusätzlich spielt es eine wesentliche Rolle, ob eine Kontinuität zum Kolon existiert und wie lang das Restcolon ist. Auch das Vorhandensein der Ileocoecalklappe ist wesentlich, da sowohl die Transitzeit als auch die bakterielle Besiedlung durch das Fehlen oder Vorhandensein der Ileocoecalklappe beeinflusst wird. Wichtige klinische Auffälligkeiten und Folgeerscheinungen des Kurzdarmsyndroms sind in Abbildung 6 zusammengefasst. Generell gehört zur Klinik des Kurzdarmsyndroms die Entwicklung von wässerigen Diarrhoen mit oder ohne Steatorrhoe. Klinisch manifestiert sich ein Kurzdarmsyndrom häufig in einem raschen Gewichtsverlust. Zusätzlich entstehen Vitaminmangelerscheinungen insbesondere für die fettlöslichen Vitamine E, D, K, A, aber auch für wasserlösliche Vitamine wie Vitamin B12 und Folsäure. Darüber hinaus kommt es zu nicht unerheblichen Mangelerscheinungen aufgrund einer unzureichenden Aufnahme von Elektrolyten und Spurenelementen wie Zink, Mangan, Selen und andere. Als Komplikationen im Rahmen eines Kurzdarmsyndroms treten häufiger eine Cholelithiasis und Nephrolithiasis infolge des Gallensäureverlustsyndroms und der daraus resultierenden Hyperoxalurie und Veränderung des lithogenen Index der Galle auf. Als besonderes klinisches Problem existiert die bereits beschriebene erhöhte Magensaftsekretion, die Laktosemalabsorption und die fehlende Resorptionsleistung für Pankreas-, Galle-, Magenund Dünndarmsekrete, die insgesamt bis zu 10 l Flüssigkeit pro Tag ausmachen. Im weiteren Verlauf des Kurzdarmsyndroms wird das klinische Bild wesentlich durch die Komplikationen der parenteralen Ernährung mitbestimmt. So können durch wiederholte Katheterinfekte septische Erkrankungsbilder Protonenpumpenhemmer gastrale Hypersekretion ABBILDUNG 5: H2-Rezeptorantagonisten gastrale Hypersekretion Möglichkeiten der medikamentösen Therapie beim Kurzdarmsyndrom Octreotide, Lanreotide Hypersekretion von Magen, Dünndarm, Galle und Pankreas Transitzeit Loperamid Transitzeit Antibiotika bakterielle Fehlbesiedlung Cholestyramin Gallensäurenverlustsyndrom 9 TransplantLinc Heft 11 - 2005 A. DIGNASS, K. YILMAZ, R.-J. SCHULZ ABBILDUNG 6: Klinik und Komplikationen des Kurzdarmsyndroms 10 TransplantLinc Heft 11 - 2005 • • • • • • • • • • • • • • • • wässrige Diarrhoe / Steatorrhoe Gewichtsverlust Vitaminmangel ( E, D, K, A, B12, Folsäure ) Gallensäureverlust-Syndrom Cholelithiasis und Nephrolithiasis ( Oxalatsteine ) Erhöhte Magensaftsekretion Laktosemalabsorption bakterielle Fehlbesiedlung Fettleber/ Leberfibrose/ Leberzirrhose/ Leberversagen Katheterinfektion und Sepsis Elektrolytentgleisung Dehydratation metabolische Entgleisung Mangel-Syndrome Osteoporose Verlust des venösen Zuganges (Thrombosen) und sich daraus ergebende Komplikationen und durch die parenterale Ernährung eine Fettleber, Leberfibrose oder Leberzirrhose mit den entsprechenden Komplikationen resultieren (Abbildung 6). Die Restdünndarmlänge und die anatomische Situation bestimmten auch maßgeblich die Prognose des Patienten mit Kurzdarmsyndrom und können als wesentliches Kriterium herangezogen werden, um die zukünftige Abhängigkeit von einer parenteralen Ernährung nach Abschluss intestinaler Adaptationsvorgänge einzuschätzen. So geht man bei Erwachsenen davon aus, dass bei einem Restdünndarm unter 100 cm ein hohes Risiko für eine lebenslange parenterale Ernährung besteht, bei einem Restdünndarm über 100 cm besteht dagegen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass nach Abschluss der Adaptationsvorgänge eine weitestgehend enterale Ernährung möglich ist. Daher ist es aus klinischer Sicht wichtig, die Restdünndarmlänge intraoperativ zu bestimmen. Bei Patienten mit anastomosierten und funktionsfähigem Kolon können im Einzelfall auch Dünndarmlängen bis 60 cm eine enterale Ernährung ermöglichen, bei Kindern reichen mitunter 30-40 cm (5; 9; 27-29). Patienten mit einer Jejunostomie besitzen generell ein erhöhtes Risiko für eine total parenterale Ernährungspflicht, während Patienten mit einem Ileum in Kontinuität eine geringeres Risiko besitzen, da das Ileum eine deutlich bessere Adaptationsfähigkeit als das Jejunum besitzt. Daher wird eine Jejunumresektion deutlich besser toleriert als eine Resektion des Ileums. Schon bei Resektion von 25-50 cm Ileum kommt es zu einem Gallensäureverlust mit chologenen Diarrhoen. Eine Resektion über 50 cm Ileum hat einen Vitamin B12-Mangel und eine deutliche Steatorrhoe zur Folge. Das klinische Bild des Kurzdarmsyndroms wird wesentlich durch das aktuelle Stadium mitbestimmt (Abbildung 4). Wesentliche Merkmale der einzelnen Stadien sind nachfolgend zusammengefasst: A) Phase der Hypersekretion Die Hypersekretion dauert etwa vier Wochen an und ist durch einen massiven Flüssigkeits- und Elektrolytverlust mit einem Stuhlvolumen über 2,5 l/Tag charakterisiert. Nicht selten kommt es zu Flüssigkeitsverlusten von bis zu 10 Litern pro Tag, die nur parenteral ausgeglichen werden können. In diesem Stadium besteht eine parenterale Ernährungspflicht, die den Grundkalorienbedarf und den Flüssigkeitsbedarf komplett decken sollte. Begleitend dazu ist ein vorsichtiges Einschleichen einer enteralen Sondennahrung, die auch auf eine Trinknahrung im weiteren Verlauf umgestellt werden kann, zu empfehlen. Hierbei ist das primäre Ziel eine reine „ Mukosaernährung“, bei der ca. 600 kcal/24 h kontinuierlich über den Restdarm zugeführt werden, um eine parenterale ernährungsbedingte Mukosaatrophie zu verhindern. Bei konventionellen Sondennahrungen entspricht dies einer pumpenge- PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS steuerten kontinuierlichen transgastral oder transduodenal zugeführten Sondenernährung mit 25 ml/h. B) Intestinale Adaptation In den zeitlichen Abschnitten ab dem 2. Monat bis zu einem Jahr nach Dünndarmresektion nimmt dann der Flüssigkeitsverlust unter 2,5 l/Tag ab. Es kommt zu einer zunehmenden Adaptation der Mukosa durch die enterale Ernährung. Die Adaptationskapazität hängt stark von der Gefäßversorgung, der Vorschädigung (Bestrahlung, toxisch, entzündlich) des Mukosaepithels und der altersabhängigen Kompensationskapazität des Restdünndarms ab. C) Stabilisationsphase Nach einem Zeitraum von über einem Jahr kann man davon ausgehen, dass bei einem Kurzdarmsyndrom mit ausreichender Restdünndarmlänge eine weitestgehend enterale Ernährung möglich ist und die Stuhlfrequenz weiter auf etwa 4-8 Stühle pro Tag zurückgeht. Oft ist es möglich bei nur noch minimaler oder fehlender Substitutionspflicht von parenteral zugeführten Nährsubstraten, Elektrolyten, Vitaminen und Spurenelementen eine nahezu komplette enterale Ernährung zur Deckung des Kalorienhaushaltes durchzuführen. ERFASSUNG DER INTAKTEN MUKOSARESTMENGE UND DER RESORPTIONSKAPAZITÄT Wichtig für die Prognose des Patienten mit Kurzdarmsyndrom und die Abschätzung einer zukünftigen Notwendigkeit einer parenteralen Ernährung ist die Beurteilung der Restdünndarmlänge sowie der Resorptionskapazität. Leider korreliert die verbliebene Dünndarmlänge nicht immer mit der tatsächlichen Absorptionskapazität für Kohlenhydrate, Fette und Aminosäuren. Dies hängt unter anderem vom Durchblutungsgrad der Mucosa, der Gefäßversorgung, einer begleitenden Mukosaschädigung sowie der Passagezeit ab. Das Monitoring der verbliebenen Resorptionsleistung besitzt daher einen wichtigen Stellenwert in der Therapie des Kurzdarmsyndroms. Die Bestimmung der Resorptionskapazitäten ermöglicht eine Bestimmung und Vorhersage der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Restdarmes. Die Resorption der drei Substratgruppen ist ein aktiver Prozess und setzt einen funktionierenden, teilweise von komplexen Enzym- und Carriersystemen abhängigen Prozess in den Enterozyten voraus. Dadurch ist es möglich die Enterozytenmenge und -funktion zu bestimmen. Berücksichtigt man nun den tatsächlichen Energiebedarf mittels indirekter Kalorimetrie und die Körperzusammensetzung mittels Bioimpedanzanalyse, so kann man relativ exakt den enteralen und parenteralen Nahrungsbedarf festlegen. Hierdurch wird vermieden, dass einzelne Organsysteme, wie z. B. Restdünndarm und Leber überfordert werden und schwerwiegende Störungen bis zum Leberausfall entstehen. Nachfolgend werden einige Möglichkeiten zur Beurteilung der Resorptionskapazität des Dünndarmes dargestellt. A) D-Xylosetest Der D-Xylose-Absorptionstest ermöglicht eine Beurteilung der Kohlenhydratabsorption (30). D-Xylose wird in den Blutkreislauf aufgenommen, aber nicht verstoffwechselt. Eine Plasmakonzentration von weniger als 1.3 mmol/l D-Xylose pro 1.73 m2 Körperfläche (20 mg/dL für einen durchschnittlichen Erwachsenen) eine Stunde nach einer oralen Dosis von 25g D-Xylose gilt als pathologisch. Der Xylosetest dient der Beurteilung der Resorptionsleistung von Monosacchariden im gesamten verbliebenen Dünndarm. Als körperfremde Substanz ist ein Anstieg der Xylose in Blut und Urin mit hoher Spezifität, Sensitivität und Präzision nachweisbar. B) Fettresorptionstest (C13-TriglyceridAtemtest) Für einen Großteil der Patienten mit Kurzdarmsyndrom ist aufgrund der erheblich verkürzten Passagezeiten die Bestimmung der Fettresorption mittels quantitativer Analyse der Fettausscheidung über den Stuhl nach einer definierten Testmahlzeit nicht möglich. Wir haben daher einen neuen C13MTG (mixed triglycerides) Atemtest entwickelt, der eine sichere, nicht invasive, gut reproduzierbare, leicht durchführbare Methode darstellt. Voraussetzung für diesen Test ist eine normale Pankreasfunktion. Der Test basiert auf der Resorption der mittelund langkettigen Fettsäuren im Dünndarm 11 TransplantLinc Heft 11 - 2005 A. DIGNASS, K. YILMAZ, R.-J. SCHULZ ABBILDUNG 7: C13-Atemtest mit mittel- und langkettigen Fettsäuren. 3 80 70 kumulierte Dosis (13C) Gemessen wurden am Tag 33 nach Op. (1), Tag 68 nach Op. (2), Tag 180 nach Op. (3) und bei Kontrollen (K). Initial (1) besteht eine deutliche Einschränkung der Fettresorptionsleistung. Im Verlauf kommt es zu einer kontinuierlichen Stabilisierung mit Erreichen von nahezu vollständig normalen Resorptionsleistungen. 90 60 50 40 2 K 30 20 10 1 0 0 50 100 150 200 250 300 350 400 -10 Zeit in min ABBILDUNG 8: Beginnend mit Tag 3 post Op. (1) über Tag 22 post Op. (2) bis zu Tag 63 post Op. ist eine kontinuierliche Steigerung der Resorption der Aminosäure Citrullin zu dokumentieren. Im Verhältnis zur Kontrollgruppe (K) ist sogar eine Überkompensation am Tag 63 (3) nachweisbar. Serum Citrullin Konzentration in µmol/l Citrulin-Resorptionstest. 1600 3 1400 1200 K 1000 800 2 600 400 200 1 0 0 50 100 150 200 250 300 Zeit in min 12 TransplantLinc Heft 11 - 2005 und erlaubt Rückschlüsse auf die Carnitinabhängige und -unabhängige Aufnahme der Fettsäuren. Mit einem Standard-Frühstück (1 Scheibe Weißbrot mit 0,25g Butter/kg KG) erhalten die Patienten 200 mg C13 markiertes MTG (1,3 -Distearyl, 2-[13C-Carboxyl] Oktanyl Glyzerol) und geben alle 30 min. eine Atemprobe über 6 Stunden ab. Die Resorption des 13C MTG/h und die kumulative Dosis nach 6h werden durch eine sequentielle Bestimmung des C13 Gehaltes der Atemluft durch ein Infrarot-Isotopen-Massenspektrometer gemessen. Der durchschnittliche Normbereich für die kumulierte Dosis nach 6 h beträgt 35%. Das Minimum der kumulierten Dosis nach 6 h beträgt 23% für das Normalkollektiv. In Abbildung 7 ist die Bestimmung der Fettresorption im Verlauf bei einem Patienten mit Kurzdarmsyndrom dargestellt. Deutlich erkennbar sieht man eine zunehmende Verbesserung der Fettresorption in den drei Stadien (Sekretions-, Stabilisierungs- und Regenerationsphase). C) Citrullintest Citrullin ist eine nicht-proteinogene Aminosäure, die in der Darmmukosa von Enterozyten gebildet wird und ein wichtiges Zwischenprodukt im Harnstoffzyklus darstellt. Crenn et al. (31) konnten kürzlich zeigen, dass Citrullin-Plasmawerte mit der Zellmasse und der Funktion der Enterozyten korrelieren. Darauf basierend entwickelten wir einen Test, um die Resorptionsleistung für Aminosäuren mit Hilfe der Citrullinresorption zu bestimmen. Die Patienten erhielten PATHOPHYSIOLOGIE UND KLINIK DES KURZDARMSYNDROMS dazu 5g Citrullin in 100 ml Tee. Die SerumCitrullinkonzentration wird über 360 Minuten mittels Säulenchromatographie bestimmt. Abbildung 8 zeigt exemplarisch die Citrullinresorption über einen Zeitraum von 2 Jahren bei einem Patienten mit Kurzdarmsyndrom. 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AXEL DIGNASS Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie, Gastroenterologie und Interdisziplinäres Stoffwechselzentrum Charité - Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow Augustenburger Platz 1 D-13353 Berlin E-mail: [email protected] 13 TransplantLinc Heft 11 - 2005