Mitralstenose

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7 Herz und Kreislauf
Mitralstenose
Die häufigste Ursache der Mitral(klappen)stenose (MSt) ist eine rheumatische Endokarditis,
seltener sind es Tumoren, Bakterienwachstum,
Kalkablagerungen und Thromben. Angeboren
kommt die MSt zusammen mit einem Vorhofseptumdefekt (® S. 204) vor (LutembacherSyndrom).
Die beiden Segel der Mitralklappe lassen
während der Diastole eine Hauptöffnung und,
zwischen den Chordae tendineae, zahlreiche
Nebenöffnungen frei (® A 1). Die gesamte Öffnungsfläche (ÖF) beträgt normalerweise 4 ±
6 cm2. Durch eine Endokarditis verbacken die
Chordae, die Hauptöffnung wird kleiner und
die Klappensegel verdicken und versteifen
sich. Im Echokardiogramm (® A 3) ist A verkleinert oder verschwunden und E ± F flacht
ab, d. h., die diastolische posteriore Bewegung
des vorderen Mitralsegels ist verlangsamt. Die
E ± C-Amplitude ist ebenfalls verringert. Das
hintere Segel macht eine abnorme anteriore
Bewegung, und auch die Verdickung der Klappen ist zu sehen (rosa). Im Herzschall (® A 2)
findet sich ein paukender und ein (gegenüber
QRS im EKG) verspäteter I. Herzton (bis 90 ms,
normal 60 ms). Der II. Herzton wird von einem
sog. Mitralöffnungston (MÖT) gefolgt, der besonders über der Herzspitze zu hören ist. Unterschreitet die ÖF ca. 2,5 cm2, kommt es bei
starker körperlicher Belastung zu Beschwerden (Dyspnoe, Müdigkeit, Hämoptyse u. a.), die
bei einer ÖF < 1,5 cm2 schon bei alltäglichen
Tätigkeiten und bei einer ÖF < 1 cm2 bereits in
Ruhe auftreten. Eine ÖF < 0,3 cm2 ist nicht mit
dem Leben vereinbar.
Der durch die Stenose erhöhte Widerstand
vermindert den diastolischen Blutfluû zwischen linkem Vorhof (LVo) und linker Kammer
(LK) und damit das Herzzeitvolumen (HZV).
Der Kompensation der HZV-Verminderung
(® A Mitte) dienen drei Mechanismen:
u Die periphere O2-Ausschöpfung, d. h. die arteriovenöse O2-Differenz (AVDO ) kann ansteigen (HZV bleibt vermindert).
u Die diastolische Füllungszeit/Zeit kann pharmakologisch durch eine Absenkung der Herzfrequenz erhöht werden (® A 4, grüner Pfeil),
so daû das Schlagvolumen überproportional
ansteigt und damit das HZV wieder angehoben
wird.
2
194
u Der wirksamste und bei körperlicher Belastung sowie bei stärker ausgeprägter Stenose
obligatorische Kompensationsmechanismus
ist die Erhöhung des Druckes im linken Vorhof
(PLVo) und damit des Druckgradienten zwischen Vorhof und Kammer (PLVo ± PLK, ® A 2,
rosa). Dadurch wird trotz der Stenose eine
Wiederanhebung der diastolischen Fluûrate
(QÇd) erreicht (Folge: mitteldiastolisches Geräusch, MDG; ® A 2).
Allerdings bestimmen die negativen Folgen
des hohen PLVo auch den weiteren Krankheitsverlauf: Der linke Vorhof hypertrophiert (¹P mitraleª im EKG, ® A 2), wird dilatiert und
schlieûlich so geschädigt, daû es zum Vorhofflimmern kommt. Jetzt verschwindet das präsystolische Crescendo-Geräusch (PSG, ® A 2),
das durch die schnelle Strömung (poststenotische Turbulenzen) während der Systole des regelrecht schlagenden Vorhofs verursacht war.
Die Bewegungsarmut des flimmernden Vorhofs begünstigt die Thrombusbildung (v. a. im
Herzohr) und somit die Gefahr arterieller Embolien mit Organinfarkten (v. a. Gehirn, ® A unten; s. a. S. 240). Bei Vorhofflimmern ist auûerdem die Herzfrequenz erhöht (Tachyarrhythmie; ® S. 186), so daû sich der diastolische Anteil am Herzzyklus im Verhältnis zur Systole
stark verringert (diastolische Füllungszeit/Zeit
stark verkürzt; ® A 4, roter Pfeil). PLVo muû nun
noch weiter steigen, damit das HZV nicht sinkt.
Aus dem gleichen Grund ist auch bei regulärer
Vorhofaktion eine vorübergehend (körperliche
Anstrengung, Fieber) und v. a. eine monatelang
erhöhte Herzfrequenz (Schwangerschaft) eine
groûe Belastung (PLVo ­­).
Auch weiter stromaufwärts erhöht sich der
Druck: In den Pulmonalvenen löst er Dyspnoe
aus und führt zu Bronchialvenen-Varizen (bei
deren Ruptur: Hämoptyse). Es kommt auûerdem zum Lungenödem (® S. 80), und schlieûlich entwickelt sich ein pulmonaler Hochdruck
mit Rechtsherzbelastung und -insuffizienz (®
S. 214).
Ohne Klappenkorrektur (operative Klappensprengung oder Einsatz einer Klappenprothese) überleben nur rund 50 % der Patienten
die ersten 10 Jahre nach Auftreten der MSt.
Silbernagl, Lang, Taschenatlas der Pathophysiologie (ISBN 3131021926),
2005 Georg Thieme Verlag KG
A. Ursachen und Folgen der Mitralstenose
rheumatische Endokarditis,
Thromben, Verkalkung, u.a.
„P mitrale“
EKG
PLVo
1
PAo
2
mmHg
100
PAo
ac
v
PLVo –PLK
y
x
normal:
4 –6 cm2
MÖT
MDG PSG
Mitralstenose
Herz- 0
schall
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 s
Mitralöffnungsfläche
vorderes
Mitralsegel
Mitralstenose
cm
3
diastolische
.
Flußrate (Q d)
Beschwerden:
> 2,5 cm2 : keine
1–2,5 cm2 : bei Belastung
< 1 cm2 : in Ruhe
AVDO2
F
E
A
D
C
F
C
0
3
normal
hinteres
Mitralsegel
HZV
Herzfrequenz
E
D
Echo
Ventrikelseptum
linker Vorhofdruck (PLVo)
Mitralstenose
Tafel 7.11
PLVo
(nach Criley)
PLK
50
PLK
Kompensation
Vorhofhypertrophie
Schlagvolumen
Vorhofschädigung
körperliche Anstrengung,
Fieber, Schwangerschaft
Lungenkapillardruck
pulmonaler
Hochdruck
Vorhofflimmern
Herzfrequenz
diastolische Füllungszeit/Zeit
(min/min)
4 Herzfrequenz (min–1)
60
100
140
0,7
0,5
(nach van der Werf)
Vorhofthromben
Rechtsherzbelastung
Gehirn
Koronarien
0,3
diastolische
Füllungszeit/Zeit
HZV
Milz
Nieren
Mesenterium
sonstige
Arterien
arterielle
Embolien
Lungenödem
Rechtsherzversagen
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7 Herz und Kreislauf
Mitralinsuffizienz
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Bei einer Mitralinsuffizienz (MI) hat die Mitralklappe ihre Ventilfunktion verloren, so daû
ein Teil des Blutes während der Systole der linken Kammer (LK) zurück in den linken Vorhof
(LVo) flieût. Als Ursachen kommen neben dem
Mitralklappen-Prolapssyndrom (Barlow) ungeklärter Genese v. a. eine rheumatische oder
bakterielle Endokarditis, eine koronare Herzkrankheit (® S. 218 ff.) oder ein Marfan-Syndrom (erbliche generalisierte Bindegewebserkrankung) in Frage.
Die Mitralklappe besteht aus einem Ring
mit einem vorderen und hinteren Segel, die
über Sehnenfäden (Chordae tendineae) mit
den aus der Kammerwand heraustretenden
Papillarmuskeln verbunden sind. Die Hinterwände von LVo und LK sind funktionell an diesem Mitralapparat beteiligt.
Eine Endokarditis läût vor allem die Segel
und die Chordae schrumpfen, verdicken und
versteifen, was den Klappenschluû verhindert.
Beim Barlow-Syndrom sind die Chordae zu
lang, so daû sich die Segel fallschirmartig in
den Vorhof vorwölben, wo sie sich wieder öffnen (Segel-Prolaps). Letzteres ist von einem
mittelsystolischen Klick-Geräusch begleitet
(Systolisches Klick-Syndrom), dem ein spätsystolisches Reflux-Geräusch folgt. Sind Segel
und Chordae hingegen verkürzt, beginnt das
Herzgeräusch bereits zu Systolenbeginn (® A
links: systolisches Geräusch, SG). Funktionell
ähnlich wirken sich Segelverdickungen beim
Marfan-Syndrom sowie eine Kontraktionsunfähigkeit oder ein Abriû von Papillarmuskeln
bei koronarer Ischämie der LK aus. Bereits bei
nur zeitweiser Ischämie (Angina pectoris;
® S. 218 ff.) kann es u. U. synchron zu einer intermittierenden MI (Jekyll-Hyde) kommen.
Die Folge einer MI ist eine Volumenbelastung des linken Herzens, da ein Teil des
Schlagvolumens des linken Ventrikels wieder
zurück in den Vorhof gelangt. Dieses Pendelvolumen kann bis zu 80 % des Ventrikelauswurfs
ausmachen (Pendelfraktion). Das Pendelvolumen/Zeit hängt ab
± von der systolischen Mitralöffnungsfläche,
± vom Druckgradienten von der LK in Richtung LVo (= PLK±PLVo) und
± von der Systolendauer.
PLK ist bei zusätzlicher Aortenstenose oder bei
einer Hypertonie erhöht, und der Anteil der
Systole am Herzzyklus (Systolendauer/Zeit)
steigt bei Tachykardie an (z. B. bei körperlicher
Belastung oder bei einer durch die Vorhofschädigung bedingten Tachyarrhythmie), so daû
solche Faktoren die Auswirkungen der MI verschlimmern.
Um trotz des Pendelvolumens ein normales
effektives Schlagvolumen in Richtung Aorta
aufrechtzuerhalten, muû die LK diastolisch
viel stärker gefüllt werden als normal (Schnelle Füllungswelle, SFW, mit abschlieûendem III.
Herzton, ® A). Für den Auswurf dieses vergröûerten enddiastolischen Kammervolumens ist
eine erhöhte Wandspannung nötig (LaplaceGesetz), was die LK chronisch belastet (®
Herzinsuffizienz, ® S. 224 f.). Darüber hinaus
ist der LVo während der Systole einem erhöhten Druck ausgesetzt (® A, links: hohe v-Welle). Der LVo wird dadurch erheblich ausgedehnt (300 ± 600 ml!), wobei sich PLVo nur mäûig erhöht, da auf längere Sicht die Volumendehnbarkeit (Compliance) des LVo ansteigt.
Eine solche chronische MI (® A links) führt daher viel seltener zu Lungenödem und pulmonalem Hochdruck (® S. 214) als eine Mitralstenose (® S. 194) oder eine akute MI (s. u.). Die
Aufdehnung des linken Vorhofs hat auch zur
Folge, daû das hintere Segel der Mitralklappe
aus seiner Position gezogen wird, so daû sich
die MI weiter verstärkt (Circulus vitiosus).
Auch der Teufelskreis MI ® Linksherzbelastung ® Herzinsuffizienz ® Ventrikeldilatation ® MI ­­ kann zur raschen Dekompensation
der MI führen.
Bei akuter MI (z. B. Papillarmuskel-Ruptur)
kann sich der Vorhof nur wenig ausdehnen
(niedrige Compliance). PLVo steigt daher fast
auf Ventrikelwerte an (® A rechts: sehr hohe
v-Welle), so daû sich PLK ± PLVo verringert und
somit der Reflux spätsystolisch abebbt (® A
rechts: spindelförmiges SG). Der LVo kann
sich auch kräftig kontrahieren (® A rechts: IV.
Herzton), da er nur gering dilatiert ist. Der
hohe PLVo verursacht u. U. sehr rasch ein Lungenödem, das, neben dem HZV-Abfall (®
Schock, ® S. 230 ff.), den Patienten in höchste
Gefahr bringt.
Silbernagl, Lang, Taschenatlas der Pathophysiologie (ISBN 3131021926),
2005 Georg Thieme Verlag KG
A. Ursachen und Folgen der Mitralinsuffizienz
Klappenprolaps
(Barlow)
Endokarditis
koronare
Herzkrankheit
Marfan-Syndrom
linke Vorhofwand:
gedehnt
linke Kammer:
Ischämie, Fibrose,
Aneurysma
Chordae:
zu lang, zu kurz,
Ruptur
Segel:
geschrumpft, verdickt,
versteift, Prolaps
Papillarmuskel:
Fibrose, Ruptur
Pendelvolumen
EKG
mm
Hg
100
P„mitrale“
PAo
v
Systole
Diastole
50
PLK
PLVo
a
Tafel 7.12 Mitralinsuffizienz
Ring:
verformt, versteift
Mitralinsuffizienz
EKG
SG
SFW
100
mm
Hg
50
PLVo v
a
akut
chronisch
PAo
groß
PLK
Vorhofcompliance
klein
Herztöne
0
I
0
II III IV
2 4
6 8 10
Zeit (s) (nach Criley)
y
0
x
SFW
Herztöne
SG
I
II III
0
2 4
Zeit (s)
Volumenbelastung
I
6
8
„Vorwärts“-HZV
Dsypnoe,
Hämoptyse
systolischer
Blutdruck
Lungenödem
Tachykardie
pulmonaler
Hochdruck
Pendelvolumen
10
(nach Criley)
Vorhofdilatation
Vorhofdruck
(PLVo)
Mitralinsuffizienz
Vorhofschädigung
Tachyarrhythmie
Ventrikeldilatation
Mitralinsuffizienz
Pendelvolumen
Linksherzversagen
Rechtsherzversagen
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