FORTBILDUNG Chronisch obstruktive Lungenerkrankung Therapie der stabilen und der exazerbierten COPD Bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) liegt eine nicht vollständig reversible Behinderung des Atemflusses vor. Die Atemflussbehinderung ist meist progredient und geht mit einer pathologischen Entzündungsreaktion der Lunge auf schädliche Partikel oder Gase einher. Bronchodilatatoren sind die Basismedikation bei COPD. LANCET Die COPD ist derzeit die vierthäufigste Todesursache, aber nach Berechnungen der WHO wird die COPD bis zum Jahr 2030 zur dritthäufigsten Todesursache aufrücken. Die Mortalität der COPD hat sich in den Jahren 1970 bis 2002 verdoppelt. Die meisten Prävalenzstudien verwenden die GOLD (Global Initiative on Obstructive Lung Disease)-Definition der chronischen Atemflussobstruktion, der als Schwellenwert ein postbronchodilatatorischer Quotient aus forciertem exspiratorischem Volumen in 1 Sekunde (FEV1) und forcierter Vitalkapazität (auch als Tiffeneau-Index bekannt) von 0,7 zugrunde liegt. Der Quotient nimmt mit zunehmendem Alter ab, weshalb er als epidemiologisches Tool umstritten ist, da er bei älteren Patienten zu einer Überdiagnose von COPD führen kann. Deswegen müssen auch die Exposition gegenüber Risikofaktoren und das Vorliegen respiratorischer Symptome oder ein FEV1 von weniger als 80 Prozent des Sollwerts berücksichtigt werden. Merksätze ❖ Bei der COPD liegt eine progrediente Atemflussbehinderung vor, die nur teilweise reversibel ist. ❖ Hauptursache ist Tabakrauchen, doch wurden weitere Ursachen identifiziert. ❖ Bronchodilatatoren (Beta2-Mimetika und lang wirksame Anticholinergika) bilden die Basis der medikamentösen Therapie. Beta2Mimetika werden oft mit inhalativen Kortikosteroiden kombiniert. ❖ COPD-Exazerbationen sind in 60 bis 80 Prozent auf bakterielle und/oder virale Infektionen zurückzuführen. 22 ARS MEDICI DOSSIER II ■ 2013 Je nach Schweregrad der Atemflussobstruktion unterscheidet man vier GOLD-Stadien: ❖ Stadium 1 (leicht, FEV1 ≥ 80% des Sollwerts) ❖ Stadium 2 (mittel, FEV1 50–80% des Sollwerts) ❖ Stadium 3 (schwer, FEV1 30–50% des Sollwerts) ❖ Stadium 4 (sehr schwer, FEV1 < 30% des Sollwerts) Die weltweite Prävalenz einer COPD im GOLD-Stadium 2 oder höher wird bei Erwachsenen ab 40 Jahren mit 9 bis 10 Prozent angegeben. Jedoch wird in vielen Fällen die Diagnose nicht gestellt. Um die COPD frühzeitig zu erkennen, sollten auf allen Ebenen des Gesundheitswesens häufiger spirometrische Untersuchungen durchgeführt werden. Umweltfaktoren und Gene Die COPD ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von genetischer Empfänglichkeit und Exposition gegenüber Umweltstimuli. Zigarettenrauchen ist die Hauptursache, jedoch können andere Faktoren das Risiko erhöhen und auch bei Nichtrauchern zu der Erkrankung führen. Mütterliches Rauchen, Asthma in der Kindheit und Atemwegsinfekte in der Kindheit sind signifikant mit einem reduzierten FEV1-Wert assoziiert. Weitere Faktoren wie beispielsweise Umweltverschmutzung, berufliche Exposition gegenüber Stäuben und Dämpfen oder eine durchgemachte Tuberkulose wurden mit der Entwicklung einer Atemflussobstruktion und chronischen respiratorischen Symptomen assoziiert. Bei 1 bis 2 Prozent der COPDPatienten liegt der Erkrankung eine gut untersuchte genetische Ursache – ein Alpha1-Antitrypsinmangel – zugrunde. Darüber hinaus wurden verschiedene Chromosomregionen identifiziert, welche mit der Empfänglichkeit für eine COPD assoziiert sind. Pathophysiologie: Chronische Entzündung und Destruktion von Gewebe Hauptmerkmal der COPD ist die Atemflussbehinderung, die nicht vollständig reversibel ist. Umbauvorgänge im Bereich der kleinen Atemwege und eine emphysematöse Destruktion des Parenchyms führen zu einer fortschreitenden Abnahme des FEV1-Werts, zu einer unvollständigen Exspiration und zu einer statischen und dynamischen Hyperinflation. Auf pathologischem Level kommt es durch Rauchexposition zu einer Infiltration der Mukosa, Submukosa und des Drüsengewebes durch Entzündungszellen. Ein erhöhter Mukusgehalt, Epithelzellhyperplasie und Wandverdickung in den kleinen Atemwegen sind Hauptmerkmale der COPD. Die fortschreitende Verengung, Obliteration und Destruktion der FORTBILDUNG Kasten: Ursachen für akute COPD-Exazerbationen Infektiöse Ursachen (60–80% aller Exazerbationen) Häufig (70–85% aller infektiösen Exazerbationen) ❖ Haemophilus influenzae ❖ Streptococcus pneumoniae ❖ Moraxella catarrhalis ❖ Viren (Influenza- und Parainfluenza-Virus, Rhinovirus, Coronavirus) Seltener (15–30% aller infektiösen Exazerbationen) ❖ Pseudomonas aeruginosa* ❖ opportunistische gram-negative Keime ❖ Staphylococcus aureus ❖ Chlamydophila pneumoniae ❖ Mycoplasma pneumoniae Nicht infektiöse Ursachen (20–40% aller Exazerbationen) ❖ Herzinsuffizienz ❖ Lungenembolie ❖ extrapulmonale Infektionen ❖ Pneumothorax ❖ Pneumonie Umwelt- und Triggerfaktoren ❖ Kaltluft ❖ Luftverschmutzung ❖ Allergene ❖ Tabakrauch ❖ mangelnde Therapieadhärenz * Bei Patienten mit schwerer Beeinträchtigung des FEV1-Werts und anderen bekannten Risikofaktoren terminalen Bronchiolen wird begleitet von einem Emphysem, das typischerweise in den respiratorischen Bronchiolen seinen Ausgang nimmt. Exazerbationen beschleunigen die Progredienz der Erkrankung Der chronische und progrediente Verlauf der COPD wird häufig durch Exazerbationen verschlimmert. Darunter versteht man kurze Perioden (mindestens 48 Stunden) mit vermehrtem Husten, Dyspnoe und Produktion von Sputum, das purulent werden kann. Leichte Exazerbationen werden mit erhöhten Dosen an Bronchodilatatoren behandelt, bei mässigen Exazerbationen wird eine Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden oder/und Antibiotika erforderlich, schwere Exazerbationen führen oft zu einer Hospitalisierung der Patienten. Manche Patienten haben keine oder nur wenige Exazerbationen, andere neigen dagegen zu häufigen Exazerbationen. Mit zunehmendem Schweregrad der COPD können Exazerbationen häufiger werden. Häufigste Ursache für eine COPD-Exazerbation ist eine virale oder bakterielle Infektion. Bei Patienten, die aufgrund einer COPD-Exazerbation stationär aufgenommen werden mussten, konnten in 78 Prozent virale oder/und bakterielle Infektionen nachgewiesen werden. Infektiöse Exazerbationen zeigten einen schwereren Verlauf als nicht infektiöse (stärker beeinträchtigte Lungenfunktion, längerer Krankenhausaufenthalt). Zu den nicht infektiösen Ursachen einer COPD-Exazerbation zählen Herzinsuffizienz, Pneumonie, Lungenembolie, Non-Adhärenz hinsichtlich der inhalativen Medikation oder Inhalation von Reizstoffen wie Tabakrauch oder Partikel (Kasten). Systemische Manifestationen und Komorbiditäten Obwohl die COPD eine Lungenerkrankung ist, geht sie mit systemischen Manifestationen und Komorbiditäten einher. Die häufigsten Komorbiditäten sind ischämische Herzkrankheit, Diabetes, Muskelschwäche und Sarkopenie, Kachexie, Osteoporose, Depression und Lungenkrebs. Diese chronischen Erkrankungen können sich bei Menschen mit oder ohne COPD entwickeln, aber ihr häufiges Auftreten bei Patienten mit COPD – zumindest bei schwerer COPD – weist auf gemeinsame Risikofaktoren und mechanistische Signalwege hin. Zigarettenrauchen beispielsweise ist ein wichtiger Risikofaktor für COPD, kardiovaskuläre Erkrankungen, Osteoporose und Lungenkrebs. Auch die bei COPD-Patienten häufig beobachtete körperliche Inaktivität zeigt eine Verbindung zu den genannten Komorbiditäten. Die systemische Inflammation ist eine weitere Gemeinsamkeit der Komorbiditäten. Erhöhte Konzentrationen an zirkulierenden Zytokinen, Adipokinen und Akute-Phase-Proteinen werden bei den meisten dieser Erkrankungen beobachtet. Behandlung Stabile COPD Die am häufigsten berücksichtigte Therapieleitlinie ist die GOLD-Guideline. Für alle COPD-Patienten werden folgende Massnahmen empfohlen: Verzicht auf Tabakrauchen/ Raucherentwöhnung, Reduktion von arbeitsplatz- und umweltbezogenen Risikofaktoren sowie jährliche Grippeimpfung. Erster Schritt muss der Rauchverzicht sein. Diese Intervention reduziert die Abnahme des FEV1-Werts um etwa 35 ml pro Jahr, was die Krankheitsprogression bremst und die Mortalität um 18 Prozent senkt. Grundpfeiler der COPD-Behandlung ist die Gabe inhalativer Bronchodilatatoren (Tabelle). Bei sehr schwerer Erkrankung (GOLD-Stadium 4) kommen chirurgische Interventionen wie Lungentransplantation oder Lungenvolumenreduktion infrage, wenn die Lebensqualität inakzeptabel eingeschränkt ist. Bei Patienten mit Muskelschwäche, schlechter Kondition und Lebensqualität sollte in allen Krankheitsstadien eine respiratorische Rehabilitation erwogen werden. Ziel der Rehabilitation ist eine Verbesserung von Lebensqualität und Belastungskapazität. Zwei gross angelegte Langzeitstudien haben die Wirksamkeit einer Fixkombination aus einem lang wirksamen Beta2-Mimetikum (Salmeterol) und einem inhalativen Kortikosteroid (Fluticason) sowie einem lang wirksamen Anticholinergikum (Tiotropium) bestätigt. Beide Behandlungsstrategien hatten ähnliche Effekte auf die prä- und postbronchodilatatorischen FEV1-Werte (Zunahmen von 87 bis 103 ml bzw. 47 bis 92 ml), auf die Scores im St George’s Respiratory Questionnaire for Health Status (Reduktion um 3 Einheiten) sowie auf die Exazerbationshäufigkeit (Reduktion um 14 bis 25%). Ein ARS MEDICI DOSSIER II ■ 2013 23 FORTBILDUNG Tabelle: Therapie nach GOLD-Stadien 1 (leicht) FEV1:FVC FEV1 2 (mittel) 3 (schwer) 4 (sehr schwer) < 0,70 < 0,70 < 0,70 < 0,70 ≥ 80% des Sollwerts 50–80% des Sollwerts 30–50% des Sollwerts < 30 des Sollwerts oder < 50% des Sollwerts plus chronische respiratorische Insuffizienz Behandlung Grippeimpfung und bei Grippeimpfung, bei Bedarf kurz wirksamer Grippeimpfung und bei Bedarf kurz Grippeimpfung und bei Bedarf kurz Bedarf kurz wirksamer und ≥ 1 lang wirksamer Bronchodilatator*, wirksamer und ≥1 lang wirksamer wirksamer und ≥ 1 lang wirksamer Bronchodilatator* evtl. respiratorische Rehabilitation Bronchodilatator*, inhalative Bronchodilatator*, inhalative Gluko- Glukokortikosteroide bei wiederholten kortikosteroide bei wiederholten Exazerbationen, evtl. respiratorische Exazerbationen, Langzeit-Sauerstoff- Rehabilitation therapie bei respiratorischer Insuffizienz; evtl. respiratorische Rehabilitation und chirurgische Behandlung GOLD = Global Initiative on Obstructive Lung Disease *Beta2-Mimetika oder Anticholinergika Erhöhung der Dosis/Applikationshäufigkeit inhalativer Bronchodilatatoren systemische Kortikosteroide Sauerstoff ± Beatmung Antibiotika (bei Sputumveränderungen) andere Interventionen (z.B. Theophyllin) ↓ ↓ ZUSÄTZLICH: Etwaige Komorbiditäten behandeln. ANSCHLIESSEND: Geeignete Massnahmen zur Exazerbationsprävention einleiten. Abbildung: Allgemeines Vorgehen bei COPD-Exazerbationen direkter Vergleich zwischen einer Fixkombination und Tiotropium ergab ähnliche Effekte auf die Exazerbationshäufigkeit, aber die Wirkung auf den Gesundheitszustand war unter der Fixkombination etwas besser. Inhalative Medikamente zur Behandlung der COPD weisen gute Sicherheitsprofile auf. Typische Nebenwirkungen inhalativer Anticholinergika sind Mundtrockenheit und Prostataprobleme. Beta2-Mimetika sind mit Tremor und kardialen Effekten assoziiert. Inhalative Steroide können zu blauen Flecken auf der Haut, zu Augenveränderungen und zu Osteoporose führen. Eine Fixkombination aus Beta2-Mimetika und inhalativen Steroiden wurde mit einem erhöhten Pneumonierisiko assoziiert. Für Budesonid scheint dies nicht zuzutreffen, aber der Grund für diese Diskrepanz ist unklar. Einige Fragen im Zusammenhang mit der COPD-Therapie sind Gegenstand der Diskussion. Die wichtigste ist wahrscheinlich, ob Bronchodilatatoren, inhalative Kortikoste- 24 ARS MEDICI DOSSIER II ■ 2013 roide oder beide den Krankheitsverlauf modifizieren. Es gibt keine direkte Evidenz für eine krankheitsmodifizierende Wirkung, aber zunehmend entsprechende Hinweise. Zwei grosse Meilensteinstudien konnten unter Fixkombinationen einen Trend in Richtung auf eine reduzierte Mortalität zeigen. Zwei Analysen ergaben eine signifikant reduzierte Mortalität unter einem lang wirksamen Anticholinergikum, was in einer dritten Analyse allerdings nicht bestätigt werden konnte. Eine Post-hoc-Analyse zeigte unter Fixkombinationen eine signifikante Reduktion des FEV1-Abfalls um 16 ml pro Jahr, und eine präspezifizierte Subgruppenanalyse belegte bei COPD-Patienten im GOLD-Stadium 2 eine Reduktion von 6 ml pro Jahr mit einem lang wirksamen Anticholinergikum. Dies lässt vermuten, dass mit einer geeigneten Kombination spürbare Effekte erzielt werden können. Eine weitere interessante Frage ist, ob eine frühe medikamentöse Behandlung – bereits im GOLD-Stadium 1 und 2 – bei COPD gerechtfertigt ist. Zwar gibt es auch hier keine direkte Evidenz, weil keine prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studien zu dieser Frage durchgeführt worden sind. Die oben erwähnten Studien mit den Fixkombinationen und mit Tiotropium haben jedoch ergeben, dass die Effekte der medikamentösen Behandlung bei COPD-Patienten im GOLD-Stadium 2 ähnlich waren wie bei Patienten in fortgeschritteneren Krankheitsstadien. Der FEV1-Abfall und damit die Krankheitsprogression verlaufen in den früheren COPDStadien rascher als in späteren Stadien. Deshalb erscheint eine frühe Intervention vorteilhaft. Eine letzte relevante Frage ist, ob eine kontinuierliche antibiotische Behandlung bei stabiler COPD nützlich ist. Makrolide, insbesondere Azithromycin, waren in den letzten fünf Jahren Gegenstand des Interesses. In einer randomisierten Studie erhielten COPD-Patienten langfristig Erythromycin oder Plazebo. In der Makrolid-Gruppe waren die Exazerbationen im Vergleich zur Plazebogruppe seltener FORTBILDUNG 26 (Reduktion um 35%) und kürzer (13 versus 9 Tage). In einer randomisierten Studie mit 1577 Patienten reduzierte die Behandlung mit Azithromycin über ein Jahr das Exazerbationsrisiko um 27 Prozent und besserte die Lebensqualität im St George’s Respiratory Questionnaire um 2,8 Einheiten, aber Azithromycin führte häufiger zu einer Hörminderung als Plazebo. Eine andere Studie untersuchte den Effekt einer Pulstherapie mit Moxifloxacin über fünf Tage alle acht Wochen. Es wurde eine Reduktion der Exazerbationsfrequenz um 19 Prozent beobachtet, doch muss dieser Effekt in weiteren Studien bestätigt werden. Sollte sich der Zustand des Patienten verschlechtern, sind weitere Interventionen zu erwägen, beispielsweise die Gabe von Theophyllin. Bei respiratorischer Insuffizienz werden die Gabe von Sauerstoff und eine Beatmung empfohlen (Abbildung). Eine nicht invasive Beatmung ist die erste Massnahme bei respiratorischer Insuffizienz mit Hyperkapnie. Mit ihrer Hilfe lässt sich eine Intubation vermeiden und das Mortalitätsrisiko senken. Weiterhin müssen assoziierte Erkrankungen wie Pneumonie, Herzinsuffizienz oder Pneumothorax berücksichtigt und Komorbiditäten angemessen behandelt werden. ❖ Behandlung von Exazerbationen Zunächst sollte die Dosis und Applikationsfrequenz von kurz wirksamen Beta2-Mimetika oder/und anticholinergen Bronchodilatatoren erhöht werden. Spricht der Patient darauf nicht an, können zusätzlich orale Glukokortikosteroide verabreicht werden. Falls Veränderungen des expektorierten Sputums vorliegen, können Antibiotika verabreicht werden. Andrea Wülker ARS MEDICI DOSSIER II ■ 2013 Decramer M et al.: Chronic obstructive pulmonary disease. Lancet 2012; 379: 1341–1351. Interessenlage: Die Autoren geben an, Referenten- und Beraterhonorare von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten zu haben.