I S SN 1 8 63- 3 06 4 EMS-DOKUMENTATIONSBRIEF 1/2008 INDONESIEN DAS ANDERE MUSLIMISCHE LAND ZUM VERHÄLTNIS DER RELIGIONEN IN INDONESIEN Indonesientagung des EMS 23.-25. November 2007 in Stuttgart INHALT 4 Vorwort Hauptvorträge: 5 Indonesisches Christentum – indonesischer Islam Prof. Dr. Dieter Becker 14 Spannung im interreligiösen Dialog Dr. Luthfi Assyaukanie 18 Bündnisse gegen Radikalismus Dr. Zakaria Ngelow Gruppenreferate: 25 Christen und Muslime in Konfliktgebieten: Molukken Sonia Parera-Hummel 28 Christen und Muslime in Konfliktgebieten: West-Papua Dr. Uwe Hummel 33 Christen und Muslime in Konfliktgebieten: Aceh Samia Dinkelaker DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 3 VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Die indonesischen Muslime sind jedoch für ihre Liberalität bekannt, die Akzeptanz der christlichen Minderheit ist groß. Fundamentalisten haben es deshalb schwer auf Java, Sumatra und Papua – und trotzdem gewinnen sie im Gefolge der Spannungen zwischen arabischer und westlicher Welt an Boden. Unsere letztjährige Indonesientagung mit dem Titel „Das andere muslimische Land“ widmete sich der Frage: Wie entwickelt sich der christlich-muslimische Verhältnis in Indonesien? Was lässt sich davon lernen? Prof. Dr. Dietrich Becker von der AugustanaHochschule Neuendettelsau vollzog zu Beginn die Geschichte beider Religionen in Indonesien nach und spannte zugleich den Bogen zu aktuellen Fragen, die im Spannungsfeld von Religion und Politik die Gemüter in Indonesien bewegen: die Einführung von Shari´a-Gesetzen in einigen Regionen des Landes, christliche Gegenreaktionen, das Erstarken des politischen Islam auf der einen Seite und die – positive - Rolle der muslimischen Organisationen Indonesiens im Demokratisierungsprozess auf der anderen Seite. Die heikle Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und der Politik kam aber auch zur Sprache: Dr. Zakaria Ngelow von der Theologischen Hochschule in Toraja, ein weiterer Referent, beklagte das unkritische Verhältnis vieler indonesischer Kirchen gegenüber den staatlichen Autoritäten während der Kolonialzeit und unter Diktator Suharto. Dieses Erbe belaste die indonesischen Kirchen bis heute. Was die weitere Demokratisierung des Landes und die Beibehaltung der Trennung von Staat und Religion betrifft, setzt er große Hoffnungen in die religiöse wie säkulare Zivilgesellschaft: „I believe in NGOs”. Kontroverse Diskussionen löste die „Fundamentalismusfrage“, also das Problem der erstarkenden charismatischen Kirchen und des anwachsenden muslimischen Radikalismus aus. Welche Verständigungsstrategien finden Angehörige beider Religionen angesichts dieser Fundamentalisierungstendenzen noch? Wie kann Dialog über Konferenzräume hinaus 4 wirksam werden? Der Begriff Dialog sei nicht beliebt unter Muslimen, so Dr. Luthfi Assyaukanie, Mitbegründer des indonesischen „Netzwerk Liberaler Islam“, in seinem Vortrag. Viele indonesische Muslime argwöhnten, dass hinter dem westlichen Begriff Dialog in Wirklichkeit christliche Missionierungsabsicht stehe. Er plädierte für ein Konzept der Religionsfreiheit und der gegenseitigen Akzeptanz auch der Unterschiede. Zakaria Ngelow gestaltet seit den 80er Jahren Projekte zum interreligiösen Dialog in Makassar mit. Er vertrat die Meinung, Dialog müsse auch das Gespräch mit radikalen Gruppen beinhalten, er habe viele Kontakte zu Muslimen aus dem radikalen Spektrum. Die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit und breiten Bildungschancen seien außerdem notwendige Schritte, um dem Radikalismus entgegenzuwirken. Die Frage nach der Rolle der Religionen in regionalen Konflikten wurde an konkreten Beispielen in Gruppen bearbeitet. Sonia Parera-Hummel von der Vereinten Evangelischen Mission referierte über die Situation auf den Molukken, Dr. Uwe Hummel vom West-Papua-Netzwerk über West-Papua und Samia Dinkelaker von Watch Indonesia! über die Situation in Aceh nach der Einführung der Shari´a. Schließlich beschränkte sich die Diskussion nicht allein auf die interreligiösen Beziehungen in Indonesien. Die Teilnehmenden bezogen die Frage der Verständigung zwischen Christen und Muslimen auch auf den hiesigen Kontext. Das Fazit: Hierzulande fehle oft bereits das Wissen über den Islam und muslimischen Alltag. Vielleicht könnten wir von Zakaria Ngelows Erfahrungen mit Dialoggruppen lernen? Wir dokumentieren in diesem Heft die Vorträge und Referate der Tagung. Auf unserer Website www.ems-online.org steht Ihnen die Dokumentation auch digital zur Verfügung. Wir wünschen Ihnen anregende Lektüre. David Tulaar und Christine Grötzinger INDONESISCHES CHRISTENTUM – INDONESISCHER ISLAM WE LCH E V IELF A LT KENN Z EICHN ET D IE RE L IG ION EN? WIE VERH Ä LT S ICH D IE POL IT IK IHN EN G EGENÜB ER? Prof. Dr. Dieter Becker Prof. Dr. Dieter Becker ist seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Interkulturelle Theologie, Missions- und Religionswissenschaft an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau. Davor lehrte er an der Theologischen Fakultät der Toba-Batakkirche in Indonesien und an der South-East Asian Graduate School of Theology in Singapur. Sein Fachgebiet umfasst unter anderem Theologie der Religionen sowie Interreligiöse Begegnung und Dialog. Seit 2004 ist er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft. Vorbemerkung 1: Bei der Lektüre der hier vorgetragenen Überlegungen mag es manchem Leser oder mancher Leserin so ergehen wie ausländischen Besuchern, wenn sie in Indonesien zum ersten Mal zum Durian-Essen eingeladen werden. Durian, stets nach dem Urteil der Nase ausgesucht, ist die Königin der Früchte, wie asiatische Kenner und Feinschmecker behaupten. Das Öffnen des stacheligen, starren, grau-grünen Äußeren der Frucht erfordert schon einige Anstrengung. Aus den offenen Fruchtschalen steigt dann ein fremder und ein wenig irritierender Geruch. Wer sich dennoch nicht abhalten lässt und die mattweißen Fruchtstücke kostet, der kann – vielleicht überrascht – feststellen, dass das Fruchtfleisch herrlich wohlschmeckend ist. Vorbemerkung 2: Die indonesische Zivilisation ist zunächst keine islamische und keine christliche, sondern eine indische. Der Islam, der erst nach dem 14. Jahrhundert mit wirklicher Entschiedenheit in diesen Bereich der Welt vordrang, traf hier auf eine der bedeutendsten politischen, ästhetischen und sozialen Hervorbringungen Asiens: auf den hindubuddhistischen Staat, der die Gesellschaft so tiefgreifend prägte, dass bestimmte Merkmale nicht nur die Islamisierung, sondern auch den späteren holländischen Imperialismus überdauerten. Frühe Staatenbildungen des Archipels haben wichtige Formelemente aus älteren lokalen Traditionen aufgenommen. Ihre gemeinsame Richtschnur waren jedoch hinduistische Vorstellungen über kosmische Wahrheit und metaphysische Tugend. Für Indonesien gilt deshalb, dass Islam und Christentum keine Zivilisation aufbauten, sondern sich eine Zivilisation aneigneten. Als beide in diese Inselwelt eindrangen, gab es bereits eine staatsähnliche Organisation des Gemeinwesens, ein Fernhandelssystem und eine hochentwickelte Kunst. Dass beide hier auf eine komplexe und fest etablierte Kultur trafen, erklärt die besondere Ausprägung, die die Lehren Mohammeds und Jesu in diesem Land annahmen. I. Zu Formen des Islam in Indonesien Der Islam in Indonesien präsentiert sich nicht als monolithisches Gebilde. Er weist theologisch und kulturell unterschiedliche Facetten auf. Theologisch sind fast alle indonesischen Muslime Sunniten der syafiitischen Rechtsschule. Gewöhnlich werden zwei Begriffspaare benutzt, um Unterschiede in der Zuordnung zur Tradition und in den Formen der religiösen Praxis zu beschreiben: Santri und Abangan sowie Modernisten und Traditionalisten. Die Unterscheidung zwischen Santri und Abangan wurde von dem amerikanischen Anthropologen Clifford Geertz 1 in die Diskussion eingeführt. In seinem zum Klassiker gewordenen Buch „Religion of Java“ analysierte er das religiöse Leben in einer javanischen Kleinstadt. Um die unterschiedlichen Formen religiöser Praxis und theologischer Orientierung zu benennen, griff er auf die genannte Unterscheidung zurück, die von Javanern selbst benutzt wurde. Als Santri bezeichnet Clifford Geertz die frommen, orthopraxen Muslime, die sich in ihrem religiösen und alltäglichen Handeln an Sunna und Hadith ausrichten. 2 Gemeinsam ist allen Santri-Strömungen, dass sie sich an der Shari´a orientieren. 3 Diese Gruppe befindet sich statistisch gesehen in der Minderheit. Ihr Anteil an der islamischen Bevölkerung liegt bei 20 bis 30 Prozent. 4 Der Begriff Santri steht 1 Clifford Geertz: The Religion of Java. Chicago 1976. Geertz war Professor am Institute for Advanced Study an der Princeton Univer‐ sity und hat hinsichtlich des indonesischen Islam eine Anzahl ver‐ gleichender religionsanthropologischer und religionssoziologischer Studien vorgelegt. 2 Sunna sind die rechtsverbindlichen Berichte von Zeitgenossen Mu‐ hammads über das Wirken, Sprechen und den exemplarischen Le‐ benswandel des Propheten; Hadith sind die als verbindlich angese‐ henen späteren Interpretationen von Koran und Sunna. 3 Vgl. Andrew Beatty (Hg.), Varieties of Javanese Religion. An Anthro‐ pological Account, Cambridge 1999. 4 Es gibt keine verlässlichen Statistiken über diese religionspolitisch in Relation zu dem indonesischen Wort für Koranschule pesantren und bedeutet „Schüler“. 5 Unter Santri versteht Geertz die Strömungen, Organisationen und Angehörigen des Islam, deren Glaubensvorstellun-gen sich an einem „ursprünglich“ verstandenen, strengen und kulturellen Einflüssen gegenüber wenig toleranten Islam orientieren, wobei der nahöstliche Islam eine Vorbildfunktion hat. Die Santri betrachten sich als die „wahren“ Muslime. In jüngster Zeit gewinnt diese Glaubensrichtung gegenüber den synkretistischen Lehren der Abangan zunehmend an Einfluss. 6 Als Abangan bezeichnet Geertz diejenigen Javaner, die noch stark in der hindu-javanischen Tradition verhaftet sind und deshalb den religiösen Anforderungen des Islam nicht in demselben Maße nachkommen. 7 Obwohl sich die typische Grundhaltung der Abangan nur durch Bezugnahme auf das altjavanische und shivaitische Erbe verstehen lässt, bekennen sie sich dennoch voll und ganz zum Islam. 8 Und obwohl die Santri sich in ihrer religiösen Praxis vornehmlich an Sunna und Hadith ausrichten, verstehen sie sich dennoch zugleich als Javaner. Das zweite von Geertz gewählte Begriffspaar, die Unterscheidung von Modernisten und Traditionalisten, bezieht sich ähnlich auf einen inner-islamischen Diskurs. Es geht dabei um die Unterscheidung von Strömungen innerhalb der Santri. Unter traditionalistischem Islam versteht Geertz jene Gruppen, die die Erneuerungen und Reflexionen in der jüngeren Vergangenheit des Islam kaum oder gar nicht rezipiert haben. Ihren stärksten Rückhalt besitzen sie in den schon genannten Pesantren, den ländlichen islamischen Internaten. Sie werden geleitet von Kyai, religiös und juristisch gebildeten Personen, die in der sensible Frage. Beobachter gehen aber von einem langsamen Wachstum dieser Gruppe besonders in den großen Städten aus. 5 Im indo‐arabischen Bereich würde man hier von taliban sprechen. 6 Auf das Konto dieser Gruppen gehen wohl die Übergriffe gegen Angehörige anderer Religionen, insbesondere die schweren Men‐ schenrechtsverletzungen der letzten Jahre gegenüber Christen in Westjava und auf der Insel Sulawesi. Die „Hochburgen“ dieser Rich‐ tung liegen in den sundanesischsprachigen Regionen Westjavas, auf der Insel Madura, im Süden Sulawesis und in Aceh. bäuerlichen Gesellschaft Führungsrollen übernommen haben. Aufgrund ihrer religiösen Bildung und teilweise starken charismatischen Ausstrahlung genießen sie große Anerkennung und üben oft einen starken Einfluss auf die regionale Bevölkerung aus. Dieser traditionalistische Islam zeichnet sich einmal durch das Festhalten an syafiitischen Interpretationen aus, zum anderen wird im religiös-rituellen Bereich eine gewisse Flexibilität und Anpassung an die javanische Umwelt deutlich. Organisatorisch hat sich diese Strömung in der Nahdlatul Ulama („Renaissance der Rechtsgelehrten“) gesammelt. 9 Die Traditionalisten werden oft als kaum tua („alte Gruppe“) bezeichnet, ihnen stehen jene Muslime gegenüber, die sich kaum muda („junge Gruppe“) nennen und als Modernisten gelten. Die Modernisten haben sich organisatorisch in einer Vereinigung zusammengeschlossen, die 1912 ins Leben gerufen wurde und den Namen Muhammadiyah trägt. Die Muhammadiyah engagierte sich in direkter Frontstellung zur Kolonialverwaltung und zur christlichen Mission auf den Gebieten der Erziehung und Bildung, aber auch im Wohlfahrtsbereich. Diese Gruppe war anfangs stark bezogen auf Gedankengut, das mit dem Namen Muhammad ’Abduh und Rashid Rida verbunden ist. Die Muhammadiyah ist eine wichtige Kraft in der Diskussion um die Neugestaltung der indonesischen Gesellschaft in der PostSuharto-Ära. 10 Geographisch verteilen sich die beiden Gruppen auf unterschiedliche Gebiete. Die Modernisten bilden die urbane Mittelklasse, die ihre Wurzeln in der islamischen Kaufmannschaft hat. Hochburgen der Muhammadiyah sind Westsumatra, Westjava und Südsulawesi. Die Traditionalisten sind hauptsächlich in Mittel- und Ostjava beheimatet, aber auch auf der Insel Madura und in gewissem Ausmaß auch in Südkalimantan; sie sind besonders im bäuerlichen und kleinstädtischen Milieu verankert. Auf den so genannten Außeninseln, besonders in den Küstenregionen von Sumatra, Kalimantan und Sulawesi, koexistiert der Islam mit vorgefundenen Traditionen und Rechtsnormen. Dort kommt es zu einer fortwährenden Konkurrenzsituation zwischen 7 Sie werden als „Rot‐“ oder „Braunköpfe“ (und eher „nominelle“ Muslime) von den Santri als Putihan bzw. „Weißköpfen“ unterschie‐ den. Oftmals sind sie zugleich Anhänger der mystisch geprägten ja‐ vanischen Kebatinan‐Bewegung. 8 Geertz’ Kategorisierung hat die Indonesienforschung stark geprägt und zu einer Unterbewertung des islamischen Elements besonders in der javanischen Kultur und Gesellschaft geführt. Werden aber die Abangan tendenziell nicht als Teil der islamischen Gemeinschaft angesehen, wird das Ausmaß islamischer Durchdringung der indone‐ sischen Gesellschaft unterschätzt. 6 9 Diese Organisation wurde 1926 vom Großvater des langjährigen Vorsitzenden und zeitweisen Staatspräsidenten Abdurrahman Wa‐ hid gegründet. Sie zählt nach eigenen Angaben etwa 40 Millionen Mitglieder. Ihr parlamentarischer Arm ist die Partai Kebangkitan Bangsa (PKB). Diese „Partei des nationalen Aufbruchs“ wurde bei den Wahlen 1999 stärkste islamische Partei. 10 Zu ihren Führungsgestalten gehört Amien Rais, der Vorsitzender der Partai Amanat Nasional („Partei des nationalen Mandats“) wurde. Die Muhammadiya gibt ihre Größe mit 30 Millionen Mitgliedern an. dem islamischen Pflichtgesetz (shari’a) und dem angestammten Brauch (adat). In der Praxis siegt zumeist die Adat, ohne dass die als theoretisch-ideal interpretierte Shari´a die allgemein anerkannte Vorrangstellung verliert. 11 Wir stoßen hier auf ein in der Religionswissenschaft immer wieder beobachtetes Phänomen, dass sich Menschen trotz dominanter Zuordnung zu lokal-religiösen Traditionen zugleich als vollwertige Mitglieder einer so genannten Weltreligion verstehen. 12 Geertz kam zuerst in den 50er Jahren zu Forschungsaufenthalten nach Java und Bali. Als er dreißig Jahre nach seinen frühen Feldstudien auf der Suche nach Veränderungen des indonesischen Islam erneut das Land besuchte, fiel ihm vor allem eine „Politisierung des Islam“ auf. Sie hing nach seiner Beobachtung mit der spezifischen indonesischen Situation zusammen und hatte keinerlei Bezüge zum Khomeinismus der 80er Jahre. Im Indonesien der Neuen Ordnung Suhartos war der Islam eine enge Verbindung mit der vorherrschenden Ideologie und Politik eingegangen. 13 II. Aktuelle Entwicklungen im indonesischen Islam Im Indonesien der „Neuen Ordnung“ nach 1965 wurden unter einem Präsidenten Suharto selbst moderate islamische Traditionalisten und Modernisten von der Macht ausgeschlossen. 14 Muslimische Parteien wurden verboten und 1973 zwangsweise durch die „Vereinigte Entwicklungspartei“ (Partai Persatuan Pembangunan, PPP) ersetzt. Eine sich seit den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vollziehende gesellschaftliche Islamisierung wurde vom SuhartoRegime anfangs zur Kenntnis genommen, nicht aber unterstützt. Das Führungspersonal seiner Regierung 11 In manchen Fällen findet diese Koexistenz sogar im offenen Wider‐ spruch statt, wie das Beispiel der Gesellschaft der Minangkabau in Westsumatra zeigt. Unbeeindruckt vom Islam gilt hier bis heute ein Erb‐ und Heiratsrecht, das matrilinear ist. 12 Von Kritikern ist Geertz vorgehalten worden, dass er bestimmte religiöse Phänomene einer hindu‐javanischen Tradition zu sehr als nicht‐islamisch qualifiziert. Im innerislamischen Vergleich seien sol‐ che jedoch durchaus als genuine Elemente des Islam zu identifizie‐ ren. Dies gelte insbesondere für die unter Javanern weit verbreitete mystische Praxis, die Parallelen in den mystischen Traditionen der Sufis besitze. 13 Geertz sprach in diesem Zusammenhang auch von einer Kombinati‐ on von „hypercommercialized economy and a resolutely manipula‐ ted polity”, zitiert nach Bassam Tibi, Religio‐kulturelle Entwicklung und sozialer Wandel. Gespräche mit Clifford Geertz in Princeton. 14 Zur Neuen Ordnung und zu den verschiedenen Phasen der Demokra‐ tisierung vgl. Andreas Ufen, Herrschaftsfiguration und Demokratisie‐ rung in Indonesien (1965–2000), Hamburg 2002. bestand überwiegend aus Nicht-Muslimen bzw. aus Personen, die von altjavanischen, hindubuddhistischen und sufistischen Einflüssen geprägt waren (Abangan also, im Gegensatz zu den orthodoxen Santri). Seit Mitte bzw. Ende der 80er Jahre machte sich dann ein Kurswechsel der Regierung bemerkbar. In der Auseinandersetzung mit bestimmten Strömungen im Militär wandte sich Suharto der Santri-Variante des Islams zu. In diesem Zusammenhang wurden die Ausgaben für den Bau von islamischen Universitäten und Moscheen erhöht. Ein neues Bildungsgesetz legte islamischen Religionsunterricht in staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen als obligatorisch fest, islamische Gerichte wurden bei Fragen von Heirat, Scheidung und Erbschaft gestärkt. Frauen durften seit 1990 in Schulen den jilbab – ein das Gesicht frei lassendes, bis auf die Schultern reichendes Kopftuch – tragen. Diese Stärkung der Orthodoxen setzte Suharto geschickt zur Sicherung seines Herrschaftsapparates ein. Die in die Parlamente, das Kabinett, den Vorstand der Regierungspartei und die Militärführung aufsteigenden Santri waren ihm nützlich, um ein Gegengewicht zur sich immer wieder regenden pro-demokratischen Opposition zu schaffen. In diesem Zusammenhang steht auch seine Unterstützung der 1990 gegründeten „Indonesischen Vereinigung islamischer Intellektueller“ (Ikatan Cendekiawan Muslim Se-Indonesia, ICMI). Islamismus war unter Suharto und ist in der gegenwärtigen indonesischen Parteienlandschaft eine Randerscheinung. Allerdings traten nach 1998 außerparlamentarisch gewaltbereite Gruppierungen in den Vordergrund. Dazu gehören Milizen wie Laskar Jihad („Djihad-Kämpfer“) und die Front Pembela Islam („Front der Verteidiger des Islam“), die sich u.a. am Bürgerkrieg in den Molukken beteiligten. Sie haben zudem wiederholt durch sogenannte „Aktionen gegen die Sünde“, d.h. Angriffe auf Kneipen, Diskotheken und Bordelle, auf sich aufmerksam gemacht. Außerdem scheinen die in ganz Südostasien agierenden Terroristen der Jemaah Islamiyah („Islamische Gemeinschaft“), denen zahlreiche Anschläge zur Last gelegt werden, vornehmlich aus Indonesien zu stammen. 15 Leider ermöglicht die Demokratisierung des politischen Systems seit dem Abgang Su- 15 Vgl. Zachary Abuza, Militant Islam in Southeast Asia. Crucible of Terror, Boulder, Col. 2003; ferner International Crisis Group, Indo‐ nesia: Violence and Radical Muslims, October 2001, unter: www.crisisweb.org/projects/showreport.cfm?reportid=455 (2.1.2002); International Crisis Group, Indonesia Backgrounder: How the Jemaah Islamiyah (JI) Terrorist Network Operates, 11. Dezember 2002, unter: www.crisisweb.org (20.12.2002); International Crisis Group, Jemaah Islamiyah in Southeast Asia: Damaged But Still Dan‐ gerous, unter: ebd. (16.9.2003). DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 7 hartos den Islamisten, sich freier zu bewegen als in den Jahrzehnten zuvor. Auf den Terroranschlag vom 11. September 2001 reagierte die neue Regierung Indonesiens unter Megawati Sukarnoputri mit Distanzierung von den Attentätern und vom Terrorismus. Aber erst nach dem Anschlag von Bali ein Jahr später setzte sich die Erkenntnis durch, dass man es auch im eigenen Land mit Terroristen zu tun habe. Das führte dazu, dass man sich daran machte, in einer groß angelegten Ermittlungs- und Strafverfolgungsaktion das Netzwerk der Jemaah Islamiyah zu zerschlagen. Zu unterstreichen ist in diesem Zusammenhang aber, dass die weit überwiegende Mehrheit der Muslime in Indonesien sich immer deutlich vom Terrorismus abgegrenzt hat. Der Islam in Indonesien ist im internationalen Vergleich relativ liberal. Für reformislamische Diskurse bestehen durchaus Freiräume. Intellektuelle wie Abdurrahman Wahid, der vorletzte Staatspräsident, oder Nurcholish Majid, der eine Zeit lang als Präsidentschaftskandidat im Gespräch war, stehen repräsentativ für einen toleranten und aufgeklärten Islam. 16 Es mehren sich jedoch die Anzeichen einer Stärkung orthodoxer, wertkonservativer Haltungen eines Teils der muslimischen Eliten. So wird ein Gesetzentwurf des Religionsministeriums, der angeblich zur Verbesserung des Zusammenlebens der religiösen Gruppen beitragen soll, vor allem von Mitgliedern religiöser Minderheiten kritisiert. Der Entwurf verbietet die Verbreitung religiöser Lehren (Artikel 8); es werden religiöse Aktivitäten untersagt, die von den Lehren der anerkannten Religionen abweichen (Artikel 17); es werden Eheschließungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften verboten (Artikel 15); die Teilnahme an Zeremonien anderer Religionsgruppen wird untersagt. Ein neues Bildungsgesetz verpflichtet staatliche und private Schulen – also auch die katholischen und protestantischen – für alle Schüler Unterricht in ihrer jeweiligen Religion anzubieten. Das wird von Christen als benachteiligend empfunden. 17 Die politisch-religiösen Entwicklungen der vergangenen Jahre lassen sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Auf der einen Seite ist seit Anfang der 70er Jahre eine starke neo-modernistische, liberale Strömung entstanden, die insbesondere in der 16 Zu Diskussionen innerhalb des „Netzwerkes liberaler Islam“ (Jarin‐ gan Islam Liberal, JIL) vgl. Luthfi Assyaukanie (Hg.), Wajah Liberal Islam Indonesia, Jakarta 2002. 17 Gesetz 20/2003 – vgl. Tempo vom 25.11./1.12.2003; Far Eastern Economic Review vom 11.12.2003. 8 urbanen Mittelklasse Rückhalt findet. Auf der anderen Seite lässt sich eine Stärkung der konservativen orthodoxen Kräfte, seit 1998 auch der radikalen, gewaltbereiten Islamisten beobachten. Allerdings ist nur eine Minderheit im Parlament für die Einführung der Shari´a, und Islamstaatsmodelle werden nicht ernsthaft diskutiert. Für Gewalt und Terror gibt es in der Bevölkerung so gut wie keinerlei Sympathien. Auch unter den Repräsentanten islamischer Organisationen besteht Konsens, dass Gewalt und Terror nicht nur schrecklich, sondern dass sie im Sinne des Islam verwerflich sind. Als Drahtzieher der Terrorakte der jüngsten Zeit (Bali, Jakarta) gilt die Jemaah Islamiyah, eine Terrororganisation mit mutmaßlichen Verbindungen zur Al Kaida. Die Jemaah Islamiyah wurde Mitte der 90er Jahre gegründet. Ihr Ziel ist ein pan-islamischer Staat von Malaysia bis zu den Philippinen. Viele sehen in dem Prediger Abu Bakar Bashir einen der geistigen Urheber des Terrorismus im Land. Der ungebeugte alte Mann macht in Interviews kein Hehl daraus, dass er nicht nur Südostasien, sondern weite Teile des Globus unter dem Islam vereinigt sehen möchte. In den äußeren Provinzen Indonesiens schüren ungelöste Konflikte mit Angehörigen anderer Religionen die Furcht vor einer Radikalisierung des Islam. Auf der Inselgruppe der Molukken kam es in den letzten Jahren mehrfach zu bewaffneten, blutigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Bevölkerungsgruppen (siehe unten). Gewaltsame Zusammenstöße gab es auch auf der Insel Sulawesi und in der heutigen Provinz West-Papua. An all diesen Orten vermischen sich religiöse Spannungen mit lokalen sozialen, ethnischen und ökonomischen Auseinandersetzungen. Ich sehe für das Gewaltpotential unter Muslimen gegenwärtig vor allem zwei Gründe: a) Hinter den gegenwärtigen Unruhen zeigen sich wieder auflebende Kräfte aus dem Bereich der separatistischen Darul Islam-Bewegung, die in den 50er und 60er Jahren einzelne Inseln oder Teile davon aus dem indonesischen Staatsverband herauslösen wollte. Sie sind Nährboden für die Verbreitung einer radikal-islamischen Ideologie und für die Entstehung neuer terroristischer Netzwerke. Die International Crisis Group (ICG) in Brüssel verweist auf Grund ihrer Untersuchungen darauf, dass auch nach über 50 Jahren aus dieser Bewegung immer noch Splittergruppen und Ableger entstehen, deren Bandbreite von Jemaah Islamiyah bis zu gewaltlosen religiösen Gruppen reicht. Wann immer eine ältere Generation bedeutungslos wurde, sei eine neue, von der Darul Islam-Bewegung inspirierte Generation entstanden, die die Idee eines Islamstaates faszinierte. b) Dass Menschen Terrorismus heute als islamisch legitimiert betrachten, hat mit einem Phänomen zu tun, das Bassam Tibi als Djihadismus 18 bezeichnet. Er geht damit über den Begriff der „Politisierung des Islam“ (Clifford Geertz) hinaus, auch über die Termini politikwissenschaftlicher Analyse, wo man heute gewöhnlich von „islamischem Fundamentalismus“ bzw. „Islamismus“ spricht. Mit dem Begriff Djihadismus bezeichne auch ich hier die dem islamisch verbrämten Terrorismus zugrunde liegende Neudefinition des djihad. (Seit dem Frühislam kommen dem Djihad zwei unterschiedliche Bedeutungen zu. Djihad ist im Koran zunächst eine „Anstrengung“ auf dem von Allah vorgeschriebenen Weg. Dieser umfasst ausschließlich gewaltfreie Möglichkeiten, also die verbale oder schriftliche Propagierung des Glaubens im Sinne friedlicher Mission. Eine zweite Bedeutung nahm der Begriff im Rahmen der islamischen Expansion an. Es ging nun um den möglicherweise auch mit Kampfhandlungen verbundenen Einsatz zur Verbreitung des Glaubens. Für diesen Gewaltanwendung einschließenden Djihad sind allerdings klare Regeln tradiert, darunter solche zum Schutz von Frauen und Kindern und das Verbot, aus dem Hinterhalt anzugreifen. In jüngerer Zeit wurde im Kreis fundamentalistischer Denker eine Neuinterpretation des Begriffs vorgenommen. Der „Neo-Djihad“ geht zurück auf Hasan al-Banna (1906–1949), der 1928 in Kairo die einen politischen Islam vertretende Muslimbruderschaft gründete. 19 AlBanna deutete – unter Aufhebung der durch den Koran vorgeschriebenen Regeln – den Djihad zu einer „Weltanschauung des irregulären Krieges“ um. 20 In der Gegenwart fühlen sich islamistische Terroristen aber – anders als sozio-revolutionäre oder ethnonationalistische Gruppen – nicht mehr von solchen „Legitimitätsfragen“ abhängig. Sie üben „Gewalt für Allah“, nicht für muslimische Mitgläubige. Ihre terroristische Tat wird in einem transzendentalen Sinnzusammenhang gesehen, nämlich als Kampf des Guten gegen das Böse. Dadurch, dass sie sich als „die Guten“ betrachten, werden ihre Opfer aus dieser Kategorie ausgeschlossen. In ihrer Sichtweise gibt es keine „unschuldigen“ Opfer. Die Kategorie „Feind“ wird unbegrenzt weit gefasst. Die Djihadisierung wird dadurch begünstigt, dass der Islam eine „Religion der Macht“ ist in dem Sinn, dass er Allah Allmacht zuschreibt. Der Gläubige, der den Willen Allahs tut, handelt in dessen Auftrag. Er darf fest an Gottes Unterstützung glauben. Von hierher ist es nicht weit zu der Überzeugung, Gott und „seine Macht“ zur Durchsetzung dessen, was man als „gut“ erachtet, auf der eigenen Seite zu haben.) Die Aktivitäten djihadistischer Aktionisten der jüngeren Vergangenheit unterscheiden sich von den politischen Bestrebungen islamistischer Akteure in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Hatten die Bestrebungen jener Zeit das Ziel, einzelne Landesteile aus der Republik Indonesien herauszubrechen, um dort ungehindert die Herrschaft der Shari´a aufrichten zu können, so agieren die Bombenleger der Gegenwart ohne politische Ambitionen für eine bestimmte Region und ohne Einbeziehung der Bevölkerung dieses Gebietes. Ging es den frühen Separatisten darum, eine möglichst starke Verhandlungsposition für spätere Friedensverhandlungen zu erkämpfen, so setzen Djihadisten darauf, durch Erzeugung und Ausbeutung von Angst dem Feind ihren Willen aufzuzwingen. Für sie gibt es kein „heimisches“ Territorium, auf dem sie gegen die Streitkräfte des Feindes kämpfen. Vielmehr tragen sie die Gewalt in das „Land des Feindes“ hinein, ohne Rücksicht auf Zivilisten. Dennoch ist festzuhalten, dass sich in Indonesien, anders als in der arabischen Welt, so etwas wie eine islamische Zivilgesellschaft herausgebildet hat. Nahlatul Ulama und Muhammadiya sind zivilgesellschaftliche Organisationen, die bereits auf eine lange Tradition sozialer, karitativer und erzieherischer Tätigkeit verweisen können. Dieser Islam hat kein ideales „Goldenes Zeitalter“ zum Maßstab, sondern arbeitet sich ab an der komplexen sozialen Wirklichkeit des Landes. 21 Es ist meines Erachtens deshalb wichtig, den dynamischen Geist zu erfassen, in dem Kernideen und -praktiken des islamischen Glaubens in Indonesien von Muslimen in konkreten historischen Umständen ausgehandelt werden. Der indonesische Islam kann uns die Augen dafür öffnen, dass diese Religion unablässig neue, alternative gesellschaftliche und kulturelle Entwürfe für das menschliche Leben hervorbringt. Der Islam ist gleichsam ein Schmelztiegel, eine sich entwickelnde zivilisatorische Tradition. Zu Recht hat vom Islam sogar als einem „fortschreitenden zivilisatorischen Projekt“ 22 gespro- 18 Vgl. Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004, 24. 19 Vgl. Mitchell Richard, The Society of the Muslim brothers, London: Oxford University Press, 1969. 20 Vgl. Hasan al‐Banna, Risalat al‐Djihad, in: Gesammelte Essays, Alex‐ andria 1990. 21 Wirklich deutlich haben muslimische Parteien und Intellektuelle ihre Rolle und den Beitrag des Islam im Demokratisierungsprozess des Landes, insbesondere bei der Errichtung einer modernen Zivilgesell‐ schaft, aber noch nicht definieren können. 22 Ahmet Karamustafa, Islam. A Civilizational Project in Progress, 2003, DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 9 chen, um deutlich zu machen, dass diese Religion ein dynamisches, sich entwickelndes Phänomen ist, das in keiner Weise verdinglicht oder festgelegt werden kann. III. Zu Christentum und Kirchen in Indonesien Wie in anderen asiatischen Ländern haben die Christen in Indonesien nur einen begrenzten Anteil an der Bevölkerung. Die christliche Mission hat im 19. Jahrhundert vor allem jene Ethnien erreicht, die von den vorherrschenden Religionen noch nicht durchdrungen waren. So gingen besonders die Stammesvölker der Außeninseln zum Christentum über. Diese standen vielfach auf einer älteren Kulturstufe und lebten weithin isoliert. Aber im Unterschied zu anderen asiatischen Ländern spielten die Christen in Indonesien trotz dieser ungünstigen Ausgangssituation in der Anfangszeit der Republik eine beachtliche Rolle. Auch wenn sie zahlenmäßig nur eine Minderheit waren, fühlten sie sich selbst nicht so und wiesen mit Entschiedenheit zurück, als Minderheit bezeichnet zu werden. Zu diesem Selbstbewusstsein der Christen hat beigetragen, dass sie, von Java abgesehen, nicht verstreut in einer Diaspora-Situation lebten, sondern in bestimmten Gebieten des Landes die Mehrheit der Bevölkerung stellten. So war die Bevölkerung der Minahasa fast vollständig christlich, und eine ähnliche Situation herrschte auf den Molukken, auf Flores und Timor und in Nord-Sumatra. 23 Den christlichen Bevölkerungsgruppen kam in der Vergangenheit zugute, dass die Muslime selbst in sich gespalten und keine gemeinsame Front zu bilden imstande waren. Die damalige Trennung in „Orthodoxe“ und „Modernisten“ hatte zur Folge, dass sich beide Gruppen zum Teil bekämpften und so indirekt den Christen zu größerem Einfluss verhalfen. Für die Christen war ferner nicht unwichtig, dass ein Teil der chinesischen Minderheit zum Christentum übertrat, wobei der größere Teil sich der Katholischen Kirche zuwandte. Die Übertritte der Chinesen verschärften die Frontstellung „Christen contra Muslime“, da besonders muslimische Kaufleute chinesische Händler hassten, weil diese sich oftmals wirt98–110; 109. 23 Die indonesische Christenheit wird dadurch bestimmt, dass mehr als die Hälfte zu ethnisch geprägten Kirchen gehört. Diese Kirchen verwenden bei vielen Veranstaltungen noch die Stammessprache. Viele dieser Kirchen haben gegenwärtig allerdings auch in anderen Landesteilen Gemeinden gebildet. Vgl. Dieter Becker, Herausgefor‐ dert durch das Evangelium, in: ders. (Hg.), Mit Worten kocht man keinen Reis. Beiträge aus den Batak‐Kirchen auf Nordsumatra, Wuppertal / Erlangen 1987, 11–36. 10 schaftliche Schlüsselpositionen verschaffen konnten. Andererseits brachte der Zuwachs der chinesischen Minderheit den Christen ein neues Wirtschafts- und Bildungspotential. Die Kirchen in Indonesien waren aber kaum ein entscheidender Faktor der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Sie haben in einer Situation der Konkurrenz mit anderen Weltanschauungen und Religionen jedoch um einen Platz im soziokulturellen Gefüge der Gesellschaft gekämpft, von dem aus sie agieren und ihren eigenen Anspruch und Auftrag verfolgen konnten. Konnte die indonesische Christenheit nicht Staatskirche sein, so wollte sie doch auch nicht Sekte werden. Als Alternative zu einem islamisch geprägten Staat haben die protestantischen Kirchen die alternative Philosophie eines Pancasila-Staates begrüßt und unterstützt. 24 Als zahlenmäßig kleiner Gruppe lag ihnen in einem Land mit überwiegend muslimischer Bevölkerung daran, dass religiöse Pluriformität garantiert blieb und dass auch sie als treue Staatsbürger angesehen werden konnten. 25 In der 1965 beginnenden Ära Suharto wurde die indonesische Staatsphilosophie Pancasila immer mehr zu einer Chiffre, die die Grundsatzentscheidungen der Neuen Ordnung legitimieren sollte. 26 Sie entwickelte sich zu einer positiven, inhaltlich gefüllten, andere Ideologien ausschließenden Philosophie des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. In den 1980er Jahren trat aber immer deutlicher zutage, dass die Verwirklichung des Nationalen Aufbaus auf wirtschaftlichem Gebiet, aber etwa auch im Rechtsbereich, weit hinter früheren enthusiastischen Erwartungen zurückblieb. Konkret zeigte sich, dass etwa die fehlende Verwirklichung der 2. und 5. Säule der Pancasila auch die Verwirklichung der anderen Säulen negativ beeinflusste. Die Pancasila geriet damit in eine Krise, für die der verbreitete Nepotis24 Vgl. Dieter Becker, Die Kirchen und der Pancasila‐Staat. Indonesi‐ sche Christen zwischen Konsens und Konflikt, Erlangen 1996. 25 Römisch‐katholische Theologen waren etwas zurückhaltender im Verständnis der Pancasila als Hauptbezugspunkt für die sozialen Implikationen des christlichen Glaubens. Auch sie betrachten die Pancasila jedoch als eine Staatslehre, die ein Katholik mit seinem Glauben vereinbaren könne. 26 Die seinerzeit noch ohne ideologischen Überbau von Sukarno for‐ mulierten fünf Säulen benennen Einstellungen und Verhaltenswei‐ sen, die als typisch indonesisch empfunden werden, und wollen ih‐ nen Beachtung im politischen Bereich sichern. Sie wurden als Grundprinzipien in die Präambel zur Verfassung von 1945 aufge‐ nommen und im Staatswappen abgebildet. Sie beinhalten die Beg‐ riffe 1) des Glaubens an den All‐einen Gott; 2) der gerechten und entwickelten Humanität; 3) der Nationalen Einheit; 4) der aus der Beratung von Volksvertretern hervorgehenden Demokratie und 5) der Sozialen Gerechtigkeit für das indonesische Volk. mus, die Korrumpierung von Moral und Ethik und die Monopolisierung der Macht verantwortlich waren. Im Jahr 1978 legte die Regierung dem damals neu gewählten Volkskongress einen „Leitfaden zur Belebung und Ausführung der Pancasila“ (Pedoman Penghayatan dan Pengamalan Pancasila, abgekürzt P4) zur Beschlussfassung vor. Zu den Bemühungen der Regierung, die Pancasila stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, gehörten auch zwei 1985 veröffentlichte Gesetze, nach denen sich alle politischen und gesellschaftlichen Organisationen in ihren Statuten durch einen besonderen Passus auf die Pancasila als „einzige Grundlage“ (satu-satunya asas) verpflichten sollten. Unter dem Druck der Verhältnisse sahen sich die Kirchen gezwungen, auf die Forderung einzugehen und die Pancasila als satusatunya asas für ihr gesellschaftliches Wirken in ihre Verfassungen aufzunehmen. Katholiken wie Protestanten empfanden die formale Verpflichtung auf die Pancasila aber als unberechtigten Versuch, den Glauben staatlichen Maximen zu unterwerfen. In theologischer Hinsicht hat in der Zeit der Neuen Ordnung bei der Bestimmung des Verhältnisses der Kirchen zum Staat insbesondere die Lehre vom Reich Gottes eine wichtige Rolle gespielt. So stellte der langjährige Vorsitzende des Rates der Kirchen in Indonesien, der ehemalige General T.B. Simatupang, schon frühzeitig heraus, dass das Evangelium vom Reich Gottes eine kritische Distanz gegenüber allen Ereignissen in Staat und Politik ermögliche. Die Botschaft vom Reich Gottes war für ihn Norm und Kriterium für die Beteiligung der Kirchen am Nationalen Aufbau. Wie die indonesische Revolution der Sukarno-Zeit, so wollte er die Entwicklungspläne seit den 70er Jahren nach dem Maßstab der Übereinstimmung mit dem Reich Gottes beurteilt wissen. Die Rettungstat Gottes in Jesus Christus wurde so eine Art kritischer Spiegel zur Beurteilung aller Anstrengungen zur Befreiung des indonesischen Volkes von „Armut, Rückständigkeit und sozialer Ungerechtigkeit“. Da das Evangelium gute Nachricht für die Armen sei, sollte das Schicksal der Armen auch das zentrale Anliegen der Kirchen in Indonesien werden. Nicht nur Lasten zu erleichtern, sah Simatupang als Aufgabe der Christen an, sondern auch dazu beizutragen, dass im Rahmen des Nationalen Aufbaus die Leiden verursachenden Strukturen zum Verschwinden gebracht würden. IV. Aktuelle Herausforderungen für die indonesische Christenheit Gegenüber der Mehrzahl der Muslime in Indonesien ist die Zahl der Christinnen und Christen in diesem Land – mehr als die Hälfte sind Protestanten – bis heute bescheiden und wird auf acht bis zwölf Prozent geschätzt. 27 Konnten Christen in den vergangenen Jahrzehnten trotz ihres begrenzten Anteils an der Bevölkerung einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss ausüben, so ist der Einfluss christlicher Einzelpersönlichkeiten, Institutionen und Kirchen in jüngster Zeit geringer geworden. International Schlagzeilen machten vor allem die gewalttätigen Konflikte zwischen muslimischen und christlichen Molukkern, bei denen zwischen 1999 und 2003 über 6000 Menschen starben und Hunderttausende zu Flüchtlingen wurden. Spannungen zwischen Christen und Muslimen hat es in Indonesien immer gegeben. Doch waren die Beziehungen zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften an der Basis im Großen und Ganzen durchaus gut und normal. Seit dem Sturz des autoritären Präsidenten Suharto im Mai 1998 ist es aber zu einem Wandel der religiösen Lage und zu einem Erstarken des militanten Islam mit einer Reihe von schwierigen Folgeproblemen gekommen. 28 Auf Seiten christlicher Gemeinschaften ist zu beobachten, dass sich immer mehr Christen evangelikalen und charismatischen Glaubensüberzeugungen zuwenden. 29 Insbesondere in den Städten haben diese Gruppen bei ihren Treffen großen Zulauf. Sie nutzen die von der Regierung verstärkt zugestandene Religionsfreiheit, um sich nicht nur in Kirchen, sondern auch in Hotels, Gesellschaftsräumen oder auch Fußballstadien zu versammeln. 30 Diese Welle evangelikalen und charismatischen Christentums mit seinen bunten Gottesdiensten, feurigen Predigten sowie dem Verbot von Nikotin, Alkohol und außerehelichem Sex könnte als Ausdruck besonderer Stärke verstanden werden, faktisch ist dies alles jedoch Ausdruck eines elementaren Gefühls der Furcht. 27 Die meisten Statistiken geben die Zahl der Christen mit etwa zehn Prozent an. Es gibt allerdings Kreise, die sagen, dass die Anzahl der Christen in den letzten Jahren zugenommen habe. Das wäre poli‐ tisch brisant; offiziell gibt es keine genaueren Zahlen. 28 Die Provinz Aceh führte die Shari´a, das islamische Recht, ein. Ähnliches gilt für inzwischen zwanzig weitere Provinzen. – Seit dem Sturz Suhartos wurden über 400 Kirchen niedergerissen, zerbombt oder geplündert. Nicht wenige Indonesier chinesischer Abstam‐ mung suchen in den USA Asyl, nicht wegen Rassendiskriminierung, sondern wegen religiöser Verfolgung als Christen. 29 Vgl. zum Folgenden Dini Djalal: Von Furcht getrieben. In Indonesien suchen immer mehr Menschen in evangelikalen Überzeugungen Schutz, dt. Übersetzung eines Artikels aus der Far Eastern Economic Review vom 13. Juni 2002, in: Der Überblick, 3/2002, 100–102. 30 Die Bethany‐Gemeinde in Jakarta ist so populär, dass sie das Kon‐ gresszentrum der Stadt jeden Sonntag fünfmal füllen kann. Fernseh‐ shows mit Predigern amerikanischen Stils haben in Lokalsendern ihren festen Platz. An Universitäten schließen sich Tausende von Studenten christlichen Netzwerken an. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 11 Durch die zunehmende Streitbarkeit des Islam fühlt sich die kleine christliche Minderheit Indonesiens ernsthaft bedroht. Insbesondere die Ereignisse des Bürgerkrieges auf den Molukken, aber auch die anhaltenden Spannungen auf der Insel Sulawesi, bestärken die christlichen Gemeinschaften in diesen Ängsten. Als Reaktion wenden sie sich von der Mitte der Gesellschaft ab und ihren eigenen „Scharfmachern“ zu. Aus der Sicht vieler Christen ist ein Kampf ums Überleben ausgebrochen. Unter Ausklammerung ihrer dogmatischen Differenzen finden sie sich hinter dem Anliegen verstärkter Selbstbehauptung geeint und heizen mit diesem Verhalten den bereits dampfenden Kessel religiöser Spannungen weiter an. Manche sind sogar den Weg militärischer Radikalisierung gegangen. 31 Das eher labile Gleichgewicht zwischen den Religionen in diesem Land erfährt durch solche hier und da auftretende christliche Militanz eine weitere Bedrohung. In vieler Hinsicht ist das Erstarken dieses Typs von Christentum ein Spiegelbild dessen, was mit der muslimischen Mehrheit im Land seit dem Sturz des autoritären Präsidenten Suharto geschah. Da es fast unmöglich ist, Baugenehmigungen für Kirchen zu bekommen – Stadtplaner weigern sich, Kirchen an Standorten zu bauen, wo es noch keine Moscheen gibt; bereits erteilte Baugenehmigungen werden mit Rücksicht auf islamische Kritik wieder entzogen usw. – ist es verständlich, wenn einige Gruppen dazu übergegangen sind, ihre Versammlungen in Hotels und ähnlichen Orten zu veranstalten. Die Gemeinden, die sich in Hotels und Gesellschaftsräumen versammeln, geraten aber mancherorts in den Ruf, Heimlichtuer und öffentlichkeitsscheu zu sein. Ein solches Verhalten wird von Muslimen zum Teil als provokativ gedeutet und erneut mit dem alten Vorwurf geheimer Christianisierungsstrategien für das ganze Land in Verbindung gebracht. Dazu kommen immer wieder die Vermutungen, lokale Christen würden von ausländischen Gruppen finanziert, auch wenn die Betreffenden das bestreiten. Aufs Ganze gesehen scheinen solche Schwierigkei- 31 In der christlich dominierten Provinz Nordsulawesi patrouillierten zeitweise schwarz gekleidete christliche Milizen durch die Städte, bereit, es mit Mitgliedern des Laskar Jihad („Djihad‐Kämpfer“) auf‐ zunehmen. Dortige Christen glaubten, dass sie keine Alternative zu diesen militanten Gruppen hätten. Sie behaupteten zugleich, mili‐ tante Gruppen träten auf Seiten der Christen immer nur „spontan“ in Erscheinung; sie dienten lediglich der Selbstverteidigung, weil die Regierung sie nicht schützen könne. Vertreter der großen christli‐ chen Konfessionen, insbesondere römisch‐katholische und protes‐ tantische Kirchenführer, verurteilten die Gewaltaktionen. 12 ten christliche Gemeinden aber in ihrer Entschlossenheit zur Selbstbehauptung nur zu stärken. 32 Man wird kritisch fragen müssen, ob Repräsentanten der traditionellen protestantischen Kirchen in der Vergangenheit nicht zu oft in einer Art von Binnenorientierung gefangen waren, die sich zu stark an den Interessen der eigenen Gruppe ausrichtete. Nach Auffassung des langjährigen Rektors der Theologischen Hochschule von Ostindonesien, Dr. Zakaria Ngelow 33 , pflegen die Kirchenleitungen die vorgegebene und oft bequeme Beziehung zu den Inhabern der Macht, doch erweist sich ihr Traum, dadurch politischen Einfluss auszuüben, als nicht realistisch, sondern führt in Sackgassen. So hätten sie sich in der Vergangenheit wenig um sozial gerechte Veränderungen in der Gesellschaft gekümmert. Sie hätten es oft versäumt, Autoritäten gegenüber einen kritischen Standpunkt einzunehmen und sich für die Geschicke der Menschen – gleich welcher Religion – einzusetzen, die an der Basis der Gesellschaft leben oder gar marginalisiert werden. Als Vertretern einer Minderheit würde es Kirchenführern manchmal zur zweiten Natur, vor allem eine Art Selbstverteidigungsmechanismus zu entwickeln. Die eigenen Rechte als gleichberechtigte Bürger würden eifersüchtig und durch starke Proteste verteidigt. Trete die Gesellschaft aber die Rechte anderer mit Füßen, seien Mitgefühl und Solidarität vergleichsweise gering. Als in den vergangenen Jahren vermehrt Christen selbst zu Opfern gesellschaftlicher Auseinandersetzungen wurden, sei die Reaktion vieler Kirchenführer hilflos und verwirrt gewesen. Nach Ngelow unterminiert das Auseinanderdriften der Kirchen in ein traditionelles und ein fundamentalistisch-charismatisches Lager ihr Leben und Zeugnis. Die Pluralität christlicher Prägungen, die auch ein Reichtum sein könne, werde da zum Fluch, wo jede Gemeinschaft sich allein für die Hüterin der Wahrheit halte. Es fehle an einem Wissen um die Komponenten raschen sozialen Wandels, so dass die Menschen darauf oft irritiert reagierten. Wo auf sozialen Wandel aber nicht angemessen reagiert werde, seien Konflikte und Gewalt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zwangsläufig. Zakaria Ngelow mahnt deshalb an, dass der indone32 So wird etwa in christlich geführten Unternehmungen immer häufi‐ ger „spirituelle Orientierung“ für die Belegschaft angeboten, indem pro Woche ein bis zwei Gottesdienste auf dem Firmengelände ab‐ gehalten werden. Christliche Geschäftsleute werden in evangelikal geistliche Ämter eingesetzt etc. 33 Vgl. Zakaria J. Ngelow, Referat auf der 53. Generalversammlung der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für ökumenische Beziehungen mit Indonesien (Eukumindo), gekürzt und in Auszügen wiedergege‐ ben in: Zeitschrift für Mission 2/2004, 168–172; 170. sische Protestantismus neu in ein Ringen um eine Vision und Praxis von Kirche eintreten müsse, die dem Evangelium und dem lokalen Kontext gemäß seien. In diesem Zusammenhang betont er den Weg Jesu inmitten der Gesellschaft seiner Zeit , d.h. der galiläischen Landbevölkerung, wo er Hungrige gespeist, Kranke geheilt, Frauen und andere marginalisierte Menschen als gleichwertig behandelt und religiöse Analphabeten gelehrt habe, in Liebe und Frieden zu leben 34 . Auch die paulinische Lehre einer kenotischen Inkarnation müsse neu untersucht und auf das Leben der Kirche angewandt werden. Nur so könne ihr Merkmal, leidender Gottesknecht zu sein, neu erweckt werden. Sich diese ganz und gar auf den anderen Menschen ausgerichtete Lebensart Jesu vor Augen zu halten und sich daran zu orientieren, biete gerade im pluralistischen Kontext Indonesiens eine bedeutsame Perspektive. Sie erschließe die Bedeutung von Jesu messianischem Dienst und christlicher Nachfolge. Besonders auf dem Feld gesellschaftlich relevanter Bildung, wie etwa in Fragen staatsbürgerlicher Pflichten oder der Menschenrechte, eröffneten sich für die Kirchen weite Betätigungsmöglichkeiten. Hier sollten die Kirchen das Heft des Handelns nicht länger fundamentalistischen oder charismatischen Gruppen überlassen. 35 Für Gerrit Singgih, viele Jahre Dekan der Theologischen Fakultät der Universitas Kristen Duta Wacana in Yogyakarta 36 , muss sich der christliche Glaube in Indonesien heute ausrichten am Ziel der Menschlichkeit und der Achtung vor den Andersgläubigen. Darin liege sein Potential, zu Versöhnung und Frieden beizutragen. Das aber erfordere Mut und Geduld auch da, wo es Rückschläge gebe. Die Kirche werde ihre Aufgabe in der Gesellschaft nur dann richtig verstehen, wenn sie die anderen als Partner bei der Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben sehe. Das gehe über das bisherige, oft eng auf den diakonischen Bereich ausgerichtete Engagement hinaus. Im Miteinander der Religionen sei heute die Wahrnehmung und Analyse der komplexen politischen, sozialen und ökonomischen Beziehungen zwischen Bevölkerungsgruppen und die historischen Wurzeln von Konflikten vorrangig. So müssen nach Singgih Christen zusammen mit Angehörigen anderer Glaubensweisen nach Wegen und Mitteln suchen, Menschen im Widerstand gegen ökonomische Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit beizustehen, und so zu Versöhnung und Frieden 37 zwischen rivalisierenden Gruppen beizutragen. Nachbarschaft von protestantischer Kirche und Moschee in Kendari, Südostsulawesi (Foto: EMS / David Tulaar) 34 Zakaria J. Ngelow, a.a.O., 172. 35 Bedauerlich findet es Ngelow, dass traditionell evangelische Verlage immer mehr nordamerikanische Erbauungsliteratur herausgeben, während die Verlage von Katholiken und Muslimen die Buchläden mit frischen akademischen Diskursen zu sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Themen beliefern. Auch die geistliche Begleitung und Ausbildung christlicher Universitätsstudenten liege leider weithin in den Händen dieser Gruppen und tendiere zu mora‐ listisch‐spiritualistischer Unausgewogenheit. 36 Vgl. Esther Müller, Ein Missionar im Anzug. Der Missionar Emanuel Gerrit Singgih, in: darum – Zeitschrift für Mission und Ökumene, 7– 11; 8f. 37 Siehe Dieter Becker, Interreligiöser Dialog in Indonesien. Ein Poten‐ tial für den Frieden?, in: Michael Koch (Hg.), Verändert der Dialog die Religionen? Religionsbegegnungen und Interreligiöser Dialog, Frankfurt a.M. 2007, 133–156. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 13 SPANNUNG IM INTERRELIGIÖSEN DIALOG ÜB ER WELCHE G ESELLSCHAFTLICH EN TH EMEN STR E IT EN D IE RELIG ION EN? WELCH EN EINFLUSS GEWINN EN R AD IKALE STRÖ MUNGEN? WIE G ELINGT D AS ZUSAMMEN LEB EN IM ALLTAG UND WOH IN EN TWIC KELT ES SICH? Dr. Luthfi Assyaukanie Dr. Luthfi Assyaukanie ist Islamwissenschaftler und lehrt nach seinem Studium in Jordanien und Australien an der Paramadina-Universität in Jakarta. Er ist Mitbegründer des indonesischen „Netzwerk Liberaler Islam“ (JIL) und hat neben zwei Büchern zahlreiche Artikel zur Entwicklung des Islam in Indonesien und zum Verhältnis von Religion und Politik veröffentlicht. Spannungen waren immer ein Charaktermerkmal interreligiöser Beziehungen, besonders wenn wir über Islam und Christentum sprechen. Die Natur beider Religionen trägt stark dazu bei, Feindseligkeit zwischen ihren Anhängern zu schüren. Wie wir alle wissen, erheben sowohl der Islam als auch das Christentum den Anspruch auf Wahrheit und Erlösung. Sie haben durch die Geschichte hindurch diesen Anspruch dazu benutzt, ihren einzigartigen Status zu proklamieren. Sowohl Muslime als auch Christen haben aufeinander bezogen das Gefühl theologischer Überlegenheit. Die Begegnung zwischen Islam und Christentum ist sehr alt. Sie ist so alt wie der Islam selbst. Neue Forschungsergebnisse zur Entstehungszeit des Islam enthüllen, dass Khadijah, die erste Frau des Propheten Mohammed, eine Christin war und dass sie vom Propheten als Christin anerkannt wurde, indem er ihr den Namen al-tahirah (die Reine) gab, um sie mit der heiligen Maria zu vergleichen. Khadijah war die einzige Frau des Propheten, die einen solchen Namen erhielt. Das muslimisch-christliche Verhältnis war harmonisch und blieb so, bis Muslime dadurch an politischer Macht gewannen, dass sie ihr Territorium über die arabische Halbinsel hinaus ausdehnten. Die militärische Begegnung zwischen einer muslimischen Armee und dem römischen Reich in Mu´tah im Jahr 629 markiert den ersten Konflikt zwischen Islam und Christentum. Diese militärische Auseinandersetzung hatte einen bedeutenden Einfluss auf die weitere Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen. Einige der Spannungen zwischen Islam und Christentum in Indonesien wurden durch diese bittere geschichtliche Erfahrung im Mutterland des Islam ebenfalls geprägt. Das historische Vermächtnis verwob sich dann mit theologischen und politischen 14 Faktoren, die die indonesische Geschichte hindurch wirksam wurden. Der Islam kam zuerst nach Indonesien, später folgte das Christentum. Beide Religionen wurden von Händlern ins Land gebracht; die eine aus dem indischen Gujarat, die andere aus Portugal und Spanien. Die indischen Händler kamen im 14. Jahrhundert nach Indonesien und verbreiteten den Islam nach und nach unter den Einwohnern. Die portugiesischen und spanischen Händler kamen im 16. Jahrhundert und zusammen mit ihnen die katholischen Missionare, die das Christentum in den Archipel brachten. Die Geschichte der Islamisierung und Christianisierung in Indonesien war bestimmt von Spannungen und Konflikten. Während der Islam ins Land kam, um die vorherrschenden Religionen, vor allem Hinduismus und Buddhismus abzulösen, kam das Christentum, um Anhängern aller existierenden Glaubensrichtungen seine Überzeugung zu predigen. Sowohl muslimische als auch christliche Missionare kämpften darum, so viele Anhänger wie möglich als Konvertiten zu gewinnen. Islamisierung und Christianisierung sind beides fortlaufende Prozesse und halten bis auf den heutigen Tag an. Es ist an diesem Punkt wichtig anzumerken, dass Islamisierung und Christianisierung nicht jeweils nur Verfahren sind, Nichtmuslime oder Nichtchristen zum Islam und zum Christentum zu bekehren, sondern beide beinhalten auch eine aktive Kampagne, die islamischen beziehungsweise christlichen Werte der indonesischen Gesellschaft aufzuprägen. Spannungen zwischen Muslimen und Christen wurden deshalb oft durch Versuche ausgelöst, die indonesische Gesellschaft islamischer oder christlicher zu formen. Die Spannungen in Indonesien äußern sich nicht immer in Kämpfen. In sehr subtiler Form äußern sie sich in einem gewissen gegenseitigen Misstrauen. Seit der Unabhängigkeit hegten Muslime und Christen immer einen Argwohn gegeneinander. Während Muslime Christen verdächtigten, einen versteckten Plan (hidden agenda) zur Christianisierung der muslimischen Mehrheit zu verfolgen und das Land in ein christliches umwandeln zu wollen, verdächtigten Christen Muslime, einen islamischen Staat in Indonesien errichten zu wollen. Die Einführung der Shari´a Die erste Auseinandersetzung, die solch gegenseitiges Misstrauen aufbaute, wurde zwei Monate vor der Unabhängigkeit des Landes in einer Generalversammlung ausgetragen, die als BPUPKIVersammlung bekannt geworden ist. Es war eine Konferenz zur Vorbereitung der indonesischen Unabhängigkeit, bei der die Führer verschiedener politischen Gruppen und gesellschaftlicher Organisationen zusammenkamen, um über die Grundlagen und die Verfassung des Staates zu diskutieren. Außer säkularen Nationalisten waren auch Muslime und Christen an dem Treffen beteiligt. Es gab einige hitzige Debatten unter den Mitgliedern der Versammlung. Verschiedene religiös-politische Fragen wurden aufgeworfen. Die am meisten umstrittene Frage war aber die Annullierung der sieben Worte, die als Jakarta Charta bekannt sind und die „eine Verpflichtung für Muslime, islamisches Recht zu befolgen“ besagen. Muslime betrachteten diese Charta als die konstitutionelle Basis dafür, die Shari´a in Indonesien einzuführen. Die Geschichte des indonesischen Islam seither ist die Geschichte des Kampfes darum, die Jakarta Charta in die Verfassung zurück zu bringen. Bis zu einem gewissen Grad wurde auch das Verhältnis zwischen Islam und Christentum im Land von diesem Streitpunkt geprägt. Während die Muslime die Christen dafür verurteilten, die Charta mit verhindert zu haben, klagten die Christen die Muslime für ihr Vorhaben an, einen islamischen Staat errichten zu wollen. Die ganze Geschichte des postkolonialen Indonesien hindurch haben Muslime darum gekämpft, durch eine Wiederaufnahme der Jakarta Charta islamisches Recht einzuführen. In der Sukarnozeit wurde das Ziel hauptsächlich dadurch verfolgt, Muslime dafür zu mobilisieren, islamische Parteien zu wählen. Der Versuch scheiterte jedoch, wie sich in den Wahlen von 1955 und der verfassunggebenden Versammlung 1957 zeigte, und einige Muslime empfanden das als grundsätzliche Enttäuschung. Nach dem politischen Wechsel von Sukarno zu Suharto nahmen Muslime noch ein Mal den Kampf um die Charta auf. Suharto war jedoch im Gegensatz zu Sukarno nicht an ideologischen Frontstellungen interessiert. Er wollte vor allem die Entwicklung des Landes voranbringen. Er behinderte deshalb bewusst die Arbeit der alten politischen Parteien mit starker ideologischer Basis. Dann fusionierte er alle Parteien in zwei verbleibende: die nationalistische Indonesische Demokratische Partei und die moderatislamische Entwicklungs- und Einheits-Partei. Er selbst schuf eine neue Quasi-Partei mit dem Namen Funktionale Gruppen (Golkar). Mit Hilfe von Golkar regierte Suharto mehr als drei Jahrzehnte lang. Er gab den muslimischen politischen Aktivisten keine Chance, ihr ideologisches Programm auf die Tagesordnung zu setzen, das in der Sukarnozeit ein vorherrschendes Thema gewesen war. Vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Herrschaft verfolgte Suharto eine ablehnende Politik gegenüber dem politischen Islam. Verschiedene radikale islamische Gruppen wurden zerschlagen und viele ihrer Mitglieder diskreditiert und ins Gefängnis gebracht. Suharto war jedoch nicht vollständig gegen den Islam. Er wandte sich vor allem gegen die politischen Bewegungen, die seiner Einschätzung nach sein Programm nationaler Entwicklung gefährdeten. Auf nicht-politischem Gebiet unterstützte Suharto das Erstarken der muslimischen Gemeinschaft. So gründete er 1982 die „Wohlfahrtsstiftung der PancasilaMuslime“, zu deren Hauptzielen die Errichtung von 1000 Moscheen in Indonesien gehörte. Er leitete diese Stiftung bis zu seinem Rücktritt vom Amt. Nach dem Sturz Suhartos hielt Freiheit und Demokratie in Indonesien Einzug. Politische Gruppen, die in der Suhartozeit unterdrückt worden waren, traten wieder auf und warben für ihre ideologischen Ziele. Die radikalislamischen Gruppen, die in der Suhartozeit klein gehalten worden waren, beanspruchen jetzt ihren Platz in der gesellschaftlichen und politischen Arena. Manche von ihnen wenden Gewalt an und andere „demokratische“ Mittel, um ihre islamischen Themen in die Regierung zu bringen. Anfangs versuchten sie, über die Demokratie zu gewinnen, indem sie dafür warben, islamische Parteien zu wählen. Aber sie scheiterten, da sie in den letzten beiden Wahlen (1999 und 2004) nicht mehr als 17% der Stimmen erhielten. Diese Situation zwang sie dazu, neue Strategien zu entwickeln, von denen eine lautete, islamische Themen auf regionaler Ebene einzubringen. Da sie auf nationaler Ebene scheiterten, setzen sie jetzt ihre Hoffnung auf die regionale Ebene. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 15 Diese neue Strategie verband sich mit dem Autonomiegesetz von 1999, in dem den Regionen auf Regierungsbezirksebene die Autonomie verliehen wurde, sich selbst zu verwalten. Die Islamisten benutzten dieses Gesetz, um ihr Vorhaben umzusetzen, das inzwischen als „Shari´a-Verordnung“ (Perda Syariah) bekannt ist. Es gibt mittlerweile 40 Regierungsbezirke, die die Shari´a schon eingeführt haben oder dabei sind, sie einzuführen. Obwohl es Kritik von liberaler muslimischer Seite gibt, geht die „Shari´aisierung“ der lokalen Gesetzgebung weiter. Schlimmer noch, sie ist zu einem politischen Pfund geworden, mit dem nicht nur Islamisten wuchern, sondern auch säkulare Politiker, die muslimische Stimmen fangen wollen. Liberale Muslime sind führend in der Bewegung gegen die Einführung der Shari´a in Indonesien. Sie sind der Ansicht, dass ein solcher Plan die Nation spalten könnte, er würde nicht nur die Rechte von Nichtmuslimen missachten, sondern auch diejenigen Muslime, die der Idee der Shari´a nicht zustimmen. Die Einführung der Shari´a hat bereits eine nationale Spaltung provoziert. Indonesien ist kein islamischer Staat. Wenn das Land in die islamische Richtung gedrängt wird, gibt es Opposition dagegen. Es ist wichtig zu sehen, dass die „Shari´aisierung“ der lokalen Gesetzgebung von Regionen mit nichtmuslimischer Majorität wie Bali und Papua strikt abgelehnt wird. In Bali verlangten Hindus eine hinduistische Variante der Shari´a, während in Papua Christen im Gegenzug die Errichtung einer „biblischen Stadt“ in der Region forderten. Das Erstarken des Konservatismus in Indonesien sollte größere Besorgnis erregen als das Aufkommen extremistischer Gruppen. Die Sicherheitskräfte können Extremisten bekämpfen, aber gegen die Konservativen richten sie nichts aus. Die Konservativen sind weder Terroristen noch Rebellen, die sich gegen den Staat richten. Die Konservativen sind einfach diejenigen religiösen Leute, die sich demokratischer Mittel bedienen wollen, um ihren religiösen Kodex durchzusetzen. Die Kampfansage der konservativen Muslime Die meisten Unterstützer der Einführung der Shari´a sind religiös Konservative, die ein wortgetreues Verständnis des Islam haben. Für sie muss die Shari´a so angewendet werden, wie sie da steht. Sie sind mehrheitlich gegen die liberalen Muslime, die die Shari´a vor ihrer Anwendung einer Reform unterziehen wollen. Für liberale Muslime ist die Shari´a kein 16 gänzlich von Gott geschaffenes Regelwerk, sondern eher ein Produkt menschlicher Geschichte. Die Shari´a besteht einfach in einer Reihe von Bestimmungen, die von Ulemas oder religiösen Gelehrten im Lauf der islamischen Geschichte formuliert wurden. Sie ist nicht unveränderbar. Konservative Gläubige sind im Allgemeinen ihrer Religion mehr verbunden als dem Staat. Viele von ihnen ignorieren konstitutionelle Grundrechte, wenn es um ihre religiösen Doktrinen geht. Eine Menge Klauseln in den Statuten religiöser Gemeinschaften enthalten Regelungen, die essentiell gegen den Geist der indonesischen Verfassung gerichtet sind. Die Einführung der Shari´a selbst ist ein Angriff auf den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, da nur Muslime verpflichtet sind, diesem Gesetz zu gehorchen. In vielen Fällen hat die Einführung der Shari´a in den entsprechenden Regionen Indonesiens ernsthafte Probleme verursacht und eindeutig Menschenrechte verletzt. In Tangerang, einem Regierungsbezirk in der Nähe von Jakarta, verpflichtet das Shari´aGesetz zum Beispiel jede Frau ohne Begleitung, nach 10 Uhr abends zuhause zu bleiben. Sie darf das Haus nicht alleine verlassen, sie würde sonst unter der Anklage festgenommen werden, eine Prostituierte zu sein. Diese Regelung hat große Probleme verursacht, da Tangerang eine Industrieregion ist, in der viele Frauen bis spätabends arbeiten gehen. Die Shari´a verletzt außerdem die Rechte von Nichtmuslimen, da sie in der Praxis nicht nur auf Muslime, sondern auch auf Nichtmuslime angewendet wird. In Aceh zwingt zum Beispiel die Regelung zur khahwat (verbotenen Beziehungen zwischen Männern und Frauen) Nichtmuslime, den Vorschriften ebenfalls zu gehorchen, wenn sie nicht von der Religionspolizei verhaftet werden wollen. In Padang wurde die Pflicht, den hijab in den Schulen zu tragen, nicht nur den muslimischen Schülerinnen verordnet, sondern in einigen Fällen auch nichtmuslimischen Schülerinnen. Die Einführung von Shari´a-Gesetzen ist so in der Tat zu einem ernsthaften Hindernis für bessere Beziehungen zwischen den Religionen in Indonesien geworden. Sie erzeugt Spannungen – nicht nur zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern auch unter Muslimen selbst. Die einzige Lösung für die Indonesier ist, sich auf ihre Verfassung zurück zu besinnen. Die Verfassung garantiert allen Staatsbürgern, ihre Rechte in gleicher Weise in Anspruch zu nehmen und ausüben zu dürfen. Ich bin überzeugt davon, dass interreligiöser Dialog nicht von der Basis religiöser Doktrinen aus aufgebaut werden kann, sondern nur von einer gemeinsamen Basis aus, die über allen Religionen steht. Lassen Sie mich diesen Vortrag abschließen mit der Feststellung, dass Demokratie in Indonesien zum zweischneidigen Schwert geworden ist. Auf der einen Seite wird sie als die Hoffnung Indonesiens gefeiert, seine politische und wirtschaftliche Lage zu verbessern. Auf der anderen Seite jedoch ist sie zu einem Vehikel geworden, mittels dessen einige gesellschaftliche Elemente ihre illiberalen Programme voran bringen. Aber lassen Sie uns nicht zu pessimistisch sein. Indonesien kennt Demokratie noch nicht einmal seit einer ganzen Dekade. Politikwissenschaftler sagen, die Umwandlung in eine Demokratie brauche mindestens 20 Jahre, um in einem Land wirklich stabil verankert zu sein. Trotz vieler Probleme, mit denen das indonesische Volk jetzt konfrontiert ist, bin ich zuversichtlich, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Übersetzung aus dem Englischen: Christine Grötzinger Dr. Luthfi Assyaukanie (Foto: EMS / Steffen Grashoff) DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 17 BÜNDNISSE GEGEN RADIKALISMUS WIE ARBEITEN CHR IS TLICH E UND MU SLIMISCH E ORGAN ISATION EN G EGEN R ELIGIÖ SE R AD IKALISIERUNG UND GEWALT ZUSAMMEN? Dr. Zakaria Ngelow Der Theologe Dr. Zakaria Ngelow lehrt nach seiner langjährigen Tätigkeit als Rektor der Theologischen Hochschule für Ostindonesien (STT Intim) in Makassar heute als Dozent an der Staatlichen Theologischen Hochschule in Toraja (STAKN). Er ist Mitbegründer des interreligiösen „Dialogforum unter uns in Südsulawesi“ (Forlog) und seit langem im christlich-muslimischen Dialog in Indonesien engagiert. In der ursprünglichen Planung dieser Konferenz war vorgesehen, dass Dr. Andreas Yewangoe, der Präsident der Gemeinschaft der Kirchen Indonesiens zu diesem Thema sprechen sollte. Ich fühle mich sehr geehrt, seinen Platz einzunehmen, um mit Ihnen meine Gedanken zum Thema zu teilen. Aber lassen Sie mich zuerst sagen, dass ich den größten Teil meines Lebens in theologischen Ausbildungsstätten und im Engagement im interreligiösen Bereich verbracht habe. Mein Vortrag befasst sich deshalb weniger mit der Zusammenarbeit innerhalb interreligiöser Organisationen auf nationaler Ebene als mit den regionalen Bemühungen auf diesem Gebiet. Entsprechend geht es auch weniger um die Kooperation zwischen christlichen und muslimischen Organisationen als um generelle interreligiöse Zusammenarbeit. Eine Frage der Definition Es ist eine heikle Aufgabe, religiösen Radikalismus zu definieren, speziell islamischen Radikalismus im globalen wie im indonesischen Kontext. Manche Begriffe zur Charakterisierung jedweder religiösen Gruppierung können abwertend aufgefasst werden und unbeabsichtigte Probleme aufwerfen. Ein Internetwörterbuch definiert Radikalismus gnädig als „die Glaubenssätze und Meinungen von Radikalen, im speziellen ein Gedankengebäude, das für einen tiefgreifenderen sozialen und politischen Wandel plädiert als der politische Mainstream befürwortet“. (www.allwords.com/word-radicalism.html) Ein junger indonesischer muslimischer Wissenschaftler definiert religiösen Radikalismus als „die rigide religiöse Haltung, die Gewalt einschließt“. Er zitiert Hassan Hanafi, einen angesehenen ägyptischen Gelehrten, damit, dass mindestens zwei Gründe für die Gewalt im heutigen Islam auszumachen sind. Zum einen hat sie mit der Unterdrückung in den herrschenden politischen Regimes zu tun. Islamische 18 Gruppen genießen keine Meinungsfreiheit. Zum zweiten erscheint durch den Bankrott säkularer Ideologien der herrschenden Regime religiöser Fundamentalismus oder Radikalismus als ideologische Alternative die einzige Wahl für muslimische Gemeinschaften. Er bezieht sich außerdem auf die Forschungsergebnisse des Chicago-Projekts zu Fundamentalismus, die besagen, dass Fundamentalismen einen Abwehrmechanismus darstellen, der als Reaktion auf eine bedrohliche Krise auftritt. Olivier Roy, ein französischer Experte für politischen Islam, benennt das das Phänomen eines religiösen Radikalismus (Salafismus) und politischen Radikalismus (al Qaida) in der jüngsten Entwicklung des Islam im Westen. Er meint, dass der derzeitige religiöse Radikalismus vor allem eine Folge der Globalisierung und der „Westenisierung“ des Islam ist, ebenso wie die ähnliche Entwicklung im amerikanischen Protestantismus. AIVD, der Geheimdienst der Niederlande, definiert in einer Studie Radikalismus als „die (aktive) Verfolgung und/oder Unterstützung weitreichender Veränderungen in der Gesellschaft, die eine Gefahr für die demokratische Rechtsordnung bilden kann und die den Einsatz undemokratischer Mittel und Methoden einschließt, die das Funktionieren der demokratischen Rechtsordnung behindern können.“ Die Studie zeigt auf, dass der radikale Islam aus einer Vielzahl von Bewegungen, Organisationen und Gruppen besteht, die eine gewisse Affinität zueinander besitzen, die aber ebenso sehr unterschiedliche ideologische und strategische Standpunkte aufweisen. Die Studie unterscheidet drei Sorten radikalen Islams. Die erste Sorte ist der radikale Kalifatismus. Er markiert den Widerstand gegen die westliche politische (und folglich auch wirtschaftliche) Unterdrückung. Sein Fokus liegt auf der politischen Macht des Westens. Diese Macht soll gebrochen und durch die politische Macht des Islam ersetzt werden. Die zweite Sorte radikalen Islams ist radikal-islamischer Puritanismus. Er betont den Widerstand gegen die westliche kulturelle Unterdrückung. Der Fokus liegt in erster Linie auf dem „schädlichen“ westlichen Lebensstil, der als Gefahr für den „reinen Islam“ betrachtet wird. Die dritte Sorte wird als radikaler muslimischer Nationalismus (oder radikaler muslimischer Kommunitarismus) beschrieben. Er ist eine Reaktion auf sowohl die politische als auch die kulturelle Dominanz des Westens, aber gibt sich weniger religiös motiviert in der vorgeschlagenen Alternative. Diese drei Sorten haben einen wichtigen Faktor gemeinsam: Sie ziehen starke mobilisierende Kraft aus der Ideologie der Umma, dem Ideal einer muslimischen weltweiten Gemeinschaft. In der islamischen Welt wird die Umma als Quelle der Inspiration für Identifikation und gemeinsame Organisation gesehen und als Grundstein für die Umsetzung der Ziele des radikalen Islam. Rumadi vom Wahid-Institut beobachtet eine Kombination von drei Faktoren hinter dem Auftreten von religiösen Radikalismus in Indonesien: (1) Enttäuschung über das demokratische System, das als säkular angesehen wird und in dem Religion keinen Platz im Staatsgefüge hat, und daraus folgend ein Kampf für einen theokratischen Staat; (2) Enttäuschung über den Kollaps des Sozialsystems, vermeintlich hervorgerufen durch die Ohnmacht des Staates, das soziale Leben religiös zu regeln; und (3) politische Ungerechtigkeit, in Folge derer religiöser Radikalismus als eine Form von Opposition oder Widerstand gegen das politische System betrachtet wird, das als repressiv und unfair gilt. Im heutigen indonesischen Kontext bezieht sich der Begriff islamischer Radikalismus auf die ganze Bandbreite der Entwicklung, die sich im Aufkommen von Gruppen, Organisationen und Bewegungen wie Jemaah Islamiyah, Komando Jihad, FPI, Majelis Mujahidin Indonesia, Hizb-ut Tahrir etc. manifestiert. Während sie einen gemeinsamen radikalen Charakter besitzen, haben sie unterschiedliche Schwerpunkte und benutzen unterschiedliche Mittel. Einige arbeiten auf die formale Aufnahme der Shari´a über verfassungsrechtliche Kanäle hin, andere organisieren antiamerikanische/-westliche Massendemonstrationen oder gewalttätige Mobs, die Nachtclubs, Hotels und Kirchen zerstören. (Ein muslimischer Wissenschaftler prägte den Begriff „Islam Pentungan“ knüppelnder Islam - zur Charakterisierung dieser Mobs.) Einige organisieren und trainieren sich zu Milizen, um sich an gewalttätigen bewaffneten lokalen Konflikten zu beteiligen oder begehen sogar terroristische Akte wie Selbstmordattentate. Es sollte hinzugefügt werden, dass religiöse Radikale sich auch unter nichtmuslimischen Gemeinschaften in Indonesien finden. Aber bisher sind sie nicht von Bedeutung im Hinblick auf Gewalt und auf politische Vorhaben. Gewalttätige christliche Mobs fanden sich in Ambon und Poso und an anderen Orten in den letzten lokalen Konflikten. Es wird berichtet, dass sich in der Minahasa (christliche) Milizen gebildet haben, die sich aber bisher nicht so öffentlich exponieren, dass der interreligiöse Frieden gestört würde. Es wird ebenso berichtet, dass Christen in einer Region auf Papua versuchen, eine Art exklusives christliches Gesetz einzuführen und Hindus auf Bali genauso. Ein Bericht der Oslo-Koalition (Oddbjorn Leirvik, 2002) erwähnt die christlichen Hardliner der charismatischen Bewegung: „Auf christlicher Seite wurde beobachtet, dass einige der Hardliner unter den christlichen Gruppierungen ihre Inspiration aus dem amerikanischen charismatischen Christentum ziehen. Die „Hardliner-Gruppen beider Seiten (Christen und Muslime) sind nicht unbedingt gewaltbereit (die meisten von ihnen sind es nicht), aber ihr radikaler Diskurs und ihre sektiererische Identitätspolitik kann dessen ungeachtet Ausbrüche lokaler Gewalt anheizen.“ Christlicher Nationalismus Weltreligionen in Verbindung mit politischer Macht sind ein verbreitetes Phänomen in der indonesischen Geschichte. Hinduismus, Buddhismus und Islam kamen auf den Archipel zusammen mit ihren jeweiligen politischen Zentren wie den hinduistischen oder buddhistischen Königreichen und den islamischen Sultanaten. Im Fall der Christen gab es kein politisches Zentrum. Die frühen katholischen Missionen der Portugiesen etablierten im 16. Jahrhundert kein römisch-katholisches Königreich auf den Molukken, noch tat dies die Holländische OstindienHandelsgesellschaft (VOC). In den beiden folgenden Jahrhunderten ihrer Herrschaft errichtete sie keine calvinistisch-protestantische Monarchie. Westliche Mächte waren im Zeitalter des Merkantilismus weniger an Religion als an wirtschaftlichen Monopolen interessiert. Dieselbe Politik verfolgte die holländische Kolonialregierung in Indonesien. Der französischen Revolution folgte der Prozess der Säkularisierung und der Trennung von Kirche und Staat, und die Politik von „Sicherheit und Ordnung“ erlaubte christlichen Missionsgesellschaften nur, unter den „heidnischen“ indonesischen Stämmen zu arbeiten. Letztendlich formten sich indonesische Kirchen entlang ethnischer Grenzen, wie die Niaskirche(n), die Batakkirche(n), die Dayakkirche, die Torajakirche(n), die Papuakirche, die Sumbakirche etc. Die Zahl indonesischer Christen bewegt sich zwischen 8 und 12%, aber es sind keine offiziellen Statistiken verfügbar. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 19 (Das Statistische Zentralamt Indonesiens [BPS] führt alle zehn Jahre eine Volkszählung durch. Die letzten verfügbaren Daten von 2000 basieren auf 201.241.999 Antworten, das BPS geht davon aus, dass die Zählung 4,6 Millionen Menschen nicht erfasste. Dem Bericht der BPS zufolge bezeichnen sich 88,2% der Bevölkerung als Muslime, 5,9% als Protestanten, 3.1% als Katholiken, 1,8% als Hindus, 0,8% als Buddhisten und 0,1% als „andere“, einschließlich traditioneller Religionen, anderen christlichen Gruppen und Juden. Die religiöse Zusammensetzung des Landes bleibt ein politisch aufgeladenes Thema und einige Christen, Hindus und Mitglieder anderer Minderheitsreligionen meinen, die Volkszählung habe zu wenig Nichtmuslime erfasst. Atheismus erkennt die Regierung nicht an. [USBotschaft Jakarta, 2006]) Das holländische Kolonialregime unterstützte Christen nur auf zwei Ebenen, nämlich: (1) darin, sich um die holländischen und einheimischen Gemeinden zu kümmern, die von der früheren VOC her stammten. Diese Gemeinden waren in einer gemeinsamen „Protestantischen Kirche in Niederländisch-Indien“ ohne bedeutende missionarische Aktivitäten organisiert. (2) Es unterstützte christliche Missionsstationen in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts darin, Grundschulen zu unterhalten, vor allem auf „Außeninseln“ (jenseits von Java), in Umsetzung der kolonialethischen Politik, den Einheimischen Bildung zuteil werden zu lassen. Der katholischen Kirche wurde nur erlaubt, auf Flores zu arbeiten und ihre kleinen städtischen Gemeinden, die übers Land verteilt waren, zu erhalten. Aus diesem Grund konzentrierte sich die katholische Kirche in Indonesien auf Einrichtungen in den Bereichen Bildung und medizinische Versorgung, die heute als die besten im Land angesehen werden. Seit den 30ern kamen weitere protestantische Gruppierungen ins Land, hauptsächlich aus Nordamerika, die meisten von ihnen mit evangelikalem oder fundamentalistischem Gesicht. Indonesische Christen begannen mit politischen Aktivitäten 1917 (vor jetzt 90 Jahren!) unter dem Dach einer holländischen protestantischen Partei, als die Kolonialregierung eine Volksversammlung ins Leben rief. Diese pro-kolonialistische Partei stand nicht im Einklang mit der indonesischen nationalistischen Bewegung. In den 20ern entwickelte eine kleine Gruppe christlicher Studenten einen indonesischen christlichen Nationalismus, der eine moderne demokratische Weltanschauung propagierte, die Menschenrechte, Pluralismus und Toleranz, Antidiskriminierung und Religionsfreiheit garantiert. Als politische Strategie bedienten sich die indonesischen Christen eines Modells, das ein holländischer Theologe und Staatsmann, Abraham Kuyper, aufgebracht 20 und praktiziert hatte. In einer modernen pluralistischen Gesellschaft sollte demnach jede Gemeinschaft für ihr eigenes Wohlergehen arbeiten und das Beste dafür tun, dadurch den Weg der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung mit zu bestimmen. Folglich sollten Christen ihr eigenen Universitäten, sozialen Einrichtungen, Massenmedien und natürlich eine christliche politische Partei aufbauen. Die zahlenmäßige Minderheit kann nach Kuyper durch hochqualifiziertes Humankapital und gute Organisation aufgewogen werden. Dieses Ideal der „kreativen Minorität“ lebt in bestimmten indonesischen christlichen Kreisen fort, mit Bezug auf die politischen Rollen biblischer Figuren wie Joseph im ägyptischen Palast und Daniel am babylonischen Gerichtshof. Christen und Pluralismus Die Gründerväter Indonesiens lösten das Problem der religiösen Vielfalt in Indonesien mit der Pancasila, einer weder religiösen noch säkularen Ideologie. Am 22. Juni 2945 formulierten sie den Entwurf für einen Grundsatz der Verfassung, bekannt als Jakarta Charta: die Aufnahme der islamischen Shari´a. Am 18. August 1945 wurde eine Revision dessen akzeptiert, da christliche Führer aus Ostindonesien Widerstand gegen die berühmten sieben Worte leisteten, die sie als Diskriminierung und als Ausdruck eines religiösen Staates ansahen. Aber bald darauf, 1946, wurde als Kompensation das Ministerium für religiöse Angelegenheiten eingerichtet, um muslimischen Interessen zu dienen. In den 50er Jahren gab es einige wichtige Ereignisse in den interreligiösen Beziehungen. Während Rebellionen der Darul Islam Christen in einigen Regionen bedrohten, wurde auf den Südmolukken, einer christlichen Enklave, die RMS (Südmolukkische Republik) ausgerufen. Nach den landesweiten Wahlen 1955 unterstützten protestantische und katholische politische Parteien die nationalistische Seite darin, die Pancasila hochzuhalten, während muslimische Politiker für die islamische Ideologie warben. Währenddessen waren andere christliche Enklaven in Nordsumatra und Nordsulawesi in militärische Aufstände verwickelt. Die interreligiösen Beziehungen wurden getrübt, als muslimische Mobs im Oktober 1967 einige christliche Kirchen und andere Gebäude in Makassar zerstörten. Auslöser war eine Erklärung eines High SchoolLehrers zum Propheten Mohammed, die von Muslimen als Erniedrigung angesehen wurde. Im weiteren Kontext war es die Reaktion auf Massenchristianisierungen, finanziert von ausländischen Missionswer- ken in der Folge des Machtwechsels 1965. Die Regierung der „Neuen Ordnung“ etablierte einen interreligiösen Dialog zur Förderung der Harmonie zwischen den Religionsgemeinschaften in einem dreigliedrigen „Programm für interreligiöse Harmonie“: zwischen Anhängern verschiedener Religionen, zwischen den Religionsgemeinschaften selbst und zwischen den Religionsgemeinschaften und der Regierung. Dieses Regierungsprojekt entpuppte sich als Top-Down-Vorstoß unter militärischer Kontrolle, um die religiösen Führer in Suhartos Machtinteressen einzubinden. Ein Kritiker nannte solche interreligiöse Harmonie eine „Harmonie vom Standpunkt der Gewehre aus“. Das Ministerium für religiöse Angelegenheiten erließ, später im Verbund mit dem Innenministerium, Anordnungen für die Religionsgemeinschaften, namentlich zu ihrer Unterstützung aus dem Ausland und zur Einschränkung der Errichtung religiöser Gebäude (d.h. von Kirchen). Die Anordnungen wurden von Christen als ungerecht abgelehnt und von Radikalen in den letzten Jahren dazu missbraucht, kirchliche Gebäude einzureißen oder sich neuen Bauplänen zu widersetzen. Aber anstatt bessere Neuregelungen heraus zu bringen, erließen die beiden Ministerien im März 2006 zwei weitere komplizierte und diskriminierende Verordnungen. Die Führer der NU (für die Muslime), der PGI (für die Protestanten) und der KWI (für die Katholiken) akzeptierten sie zwangsläufig, veröffentlichten jedoch ein gemeinsames Statement im April 2006 und appellierten (1) an die Glaubensgemeinschaften, die interreligiöse Harmonie zu erhalten und von Straßenjustiz und anarchistischem Verhalten abzusehen, (2) an die Staats- und Regionalregierungen, die Verordnungen fair anzuwenden, (3) an die Sicherheits- und Polizeikräfte, Glaubensgemeinschaften die Ausübung ihrer Religion zu garantieren und von allen illegalen anarchistischen Ausschreitungen gegen sie abzusehen und (4) an die Medien, mit journalistischer Sorgfalt über illegale Schließungen von Andachtsorten zu berichten. Der dritte Punkt des Statements zielt auf die Aufgabe der Autoritäten ab, rechtlichen Schutz zu gewähren und diese Aufgabe in der Praxis auch ernsthaft wahrzunehmen. In vielen Fällen gewalttätiger Attacken von Radikalen taten die Sicherheitskräfte nichts, um die Opfer zu schützen. Diese sogenannte „Politik Pembiaran“ (Duldungspolitik) der Autoritäten in den vergangenen lokalen Konflikten brachte die Opfer letztlich dazu, Vergeltungsschläge zu organisieren. Das Regime der Neuen Ordnung wandte sich strikt gegen jede Alternative zur Pancasila-Ideologie, einschließlich der des Islam. Aber christliche Führer und Politiker machten sich Sorgen über muslimische Politiker mit ihrer islamischen Ideologie, wie sie sich in der Ära nach der Neuen Ordnung manifestierte. Die Zahl der zerstörten Kirchen stieg ebenso wie die Zahl der lokalen Konflikte in christlichen Enklaven, der terroristischen Bombenattentate und der Versuche, die Jakarta Charta wieder zu beleben. Das alles schürt die christliche Islamophobie. (Die Jakarta Charta wurde in den Sitzungen des Verfassungsgebenden Rats 2001 und 2002 ausführlich diskutiert und die Sache wurde einmal mehr damit beschlossen, die berühmten sieben Worte außen vor zu lassen, weil es keine Mehrheit für ihre Aufnahme gab. Die beiden größten muslimischen Organisationen, Nu und Muhammadiyah, stellten sich klar und resolut gegen diesen Versuch, die Shari´a in die Verfassung aufzunehmen. Dies markiert jedoch nicht das Ende der Versuche, der Shari´a gesetzgebende Kraft in Indonesien zu geben. Es gibt Versuche, die durch die Regionalautonomie erweiterte Macht der Regionalparlamente dazu zu benutzen, Elemente der Shari´a in regionales Recht einzuziehen. Islamische Beamte des Justizministeriums bereiten nachweislich eine große Zahl von Gesetzesänderungen vor, die zu einem signifikanten Grad an Islamisierung führen würden. Nichtmuslime registrieren außerdem ein nachhaltiges Bemühen, auch in anderen neuen Gesetzesvorhaben eine schleichende Islamisierung voranzubringen, so zum Beispiel im neuen Gesetz zur Staatlichen Bildung, das Schulen dazu verpflichtet, Schülern Unterricht in ihrer eigenen Religion anzubieten – so dass alle christlichen Schulen zu Zentren muslimischer Bildung werden.) Seit den frühen 70ern haben christliche theologische und kirchliche Einrichtungen mit moderater (ökumenischer) Ausrichtung inklusive und pluralistische interreligiöse theologische Ansätze aufgegriffen, um eine exlusivistische und apologetische Theologie abzulösen. Diese Entwicklung stand in Beziehung zu drei Meilensteinen in der Geschichte des Christentums im 20. Jahrhunderts: der Gründung des ÖRK (1948), des protestantischen ökumenischen Rats mit seiner weltumspannenden Agenda, den Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65), namentlich der Erklärung zum Verhältnis der Religionen (Nostra Aetate) und dem Aufkommen der Befreiungstheologie in Lateinamerika (späte 60er), die sich sozialen Fragen mit einer „Option für die Armen“ zuwendete. 1980 begann die PGI ein jährliches Seminar über Religionen zu organisieren, mit der Unterstützung von Olaf Schumann, einem deutschen Experten in der Islamforschung und anderen. Dieses jährliche Studienseminar machte Studenten und Kirchenleitungen nicht nur mit den neuen Ideen der interreligiösen Theologie und deren Verknüpfungen mit dem soziokulturellen, wirtschaftlichen und politi- DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 21 schen Kontext bekannt, sondern ermöglichte ihnen auch persönliche Kontakte mit Muslimen. Ein weiteres wichtiges Bindeglied zwischen den indonesischen Kirchen und der ökumenischen Bewegung bildet das gemeinsame Engagement, globale Themen auf lokaler Ebene anzugehen. Interreligiöser Dialog, Frauenthemen, Menschenrechte, Armut, Umweltkrisen, Demokratisierung und Gewalt stehen auf der gemeinsamen Agenda der weltweiten ökumenischen Kirchen. Erst im Rahmen dieser gemeinsamen Agenda wurden Kirchen dazu angespornt, in ihrem jeweiligen Kontext für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu arbeiten. Klassische und traditionelle theologische Ansätze wurden einer Revision unterzogen und die Bibel wurde aus unterschiedlichen Perspektiven gelesen, um neue theologische Einsichten für die verschiedenen Herausforderungen zu gewinnen. Biblische Botschaften der Verpflichtung zur Liebe und zur Vergebung bilden die Grundlage für Christen, sich jeder Art von Gewalt zu widersetzen und in Harmonie mit anderen Glaubensgemeinschaften zu leben. Interreligiöse NGOs Im folgenden Jahrzehnt, in dem bereits mehr radikale Gruppen in der Öffentlichkeit auftauchten, wurden zugleich religionsübergreifende und „Dialog-“ Foren gegründet. Das erste Forum, das eingerichtet wurde, war Interfidei (Interreligiöser Dialog), gegründet von Th. Sumarthana 1991 in Yogyakarta mit der Vision, „eine Zivilgesellschaft aufzubauen, die in humanitären und demokratischen Werten wurzelt.“ 1996 wurde in Jakarta MADIA (Gesellschaft für interreligiösen Dialog) gegründet. In einer öffentlichen Erklärung erläuterte MADIA 1998 ihre Anliegen: „Mit tiefer Besorgnis registrieren wir, wie oft religiöse Symbole ebenso wie ethnische und rassische Unterschiede als Instrumente zur politischen Steuerung und für wirtschaftliche Interessen missbraucht worden sind, zum Vorteil bestimmter Gruppen und Einzelner und auf Kosten der Gesellschaft als ganzes. Mit tiefer Besorgnis werden wir Zeugen einer Kultur der Gewalt, die zur normalen Praxis geworden ist, um politische Veränderungen in Indonesien zu erreichen, und dem Verlust an Respekt vor humanitären Werten und der Menschenwürde, der die Folge solcher Gewalt ist. Mit tiefer Besorgnis stellen wir fest, dass keines der genannten Probleme bisher ernsthafte Beachtung gefunden hat oder offen, kritisch und ernsthaft diskutiert worden ist, weder von der Machtelite des Landes noch von seinen religiösen Führern.“ 22 Im Jahr 2000 setzte Präsident Abdurrahman Wahid den ICRP (Indonesischer Rat zu Religion und Frieden) ein, verbunden mit der Vision, eine friedvolle, gerechte, gleiche und brüderlich/schwesterliche indonesische Gesellschaft in religiöser und konfessioneller Vielfalt und mit Respekt vor der Menschenwürde zu errichten. In Makassar, der Hauptstadt Südsulawesis, kamen die Teilnehmer einer interreligiösen Konferenz, die von Interfidei organisiert wurde, überein, ein regionales interreligiöses Forum zu gründen, Forlog (Dialogforum unter uns in Südsulawesi). Forlog erklärte es zu seiner Mission, durch Bildungsarbeit im formalen wie im nichtformalen Bildungsbereich zur Entwicklung einer toleranten pluralistischen Gesellschaft im Geist einer inklusiven und pluralistischen Weltanschauung beizutragen. In der Region existieren mittlerweile außerdem ein Forum mit Führern verschiedener Religionen, das von der Provinzregierung ins Leben gerufen wurde, um den sozialen Spannungen in der Region zu begegnen und ein indonesischchinesisches Forum. Auf einer interreligiösen Netzwerkkonferenz im letzten Jahr in Banjarmasin, die von Interfidei organisiert wurde, wurde berichtet, dass heute zwischen 80 und 90 interreligiöse Organisationen im Land eine große Bandbreite von Themen bearbeiten. Es ist wichtig hinzuzufügen, dass die meisten der interreligiösen Aktivisten junge Leute sind, Männer und Frauen, die sich in ganz unterschiedlichen Bereichen auf Graswurzelebene engagieren. Einige kämpfen gegen wirtschaftliche Armut, andere engagieren sich in demokratischer Bildung oder im Umweltschutz oder für die Rechte indigener Einwohner und anderer marginalisierter Gruppen. Sie widmen sich religiöser und kultureller Aufklärung ebenso wie Menschen(besonders Frauen-) Rechten und sozialen Übeln. Sie setzen sich auch für diskriminierte Gemeinschaften mit nicht anerkannter Religionszugehörigkeit und religiöse Gruppen, die als blasphemisch, häretisch oder kriminell angesehen werden ein. Ebenso für gemischtreligiöse Paare. Viele der Gruppen engagieren sich bei Hilfsaktionen nach Natur- (und sozialen) Katastrophen. Im Gegensatz zu den staatlich geförderten interreligiösen Dialogforen und ihrem TopDown-Ansatz bauen diese interreligiösen NGOs die Zivilgesellschaft auf. Es muss aber auch gesagt werden, dass sogar in moderaten religiösen Gemeinschaften interreligiös engagierte Aktivisten oft von der eigenen Gemeinschaft abgelehnt werden. Die Oslo-Koalition berichtet 2002: „ Christliche und muslimische Dialog-Aktivisten schmieden oft interreligiöse Bündnisse, die in beiden Lagern umstritten sind. Im interreligiösen Dialog müssen interne Differenzen ebenso ernst genommen werden wie Bemühungen, die Grenzen zwischen den Religionen zu überwinden.“ Die Entwicklung fortschrittlicher interreligiöser theologischer Ansätze ist deshalb eine wichtige Unterstützung interreligiöser Aktivitäten. Deren Schwäche (und Stärke) besteht darin, dass die meisten der Organisationen nicht formell mit ihren jeweiligen religiösen Institutionen verbunden sind. Ein weiteres Problem ist der Mangel an finanzieller Unterstützung, von dem die meisten der interreligiösen NGOs im Land betroffen sind. Kirche und Religionen in Südsulawesi Im Hinblick auf interreligiöse Beziehungen ist Südsulawesi historisch und demographisch eine der bedeutsamen Regionen des Landes. Islam und katholisches Christentum konkurrierten seit dem 16. Jahrhundert in der Region miteinander. Alauddin, der Sultan von Gowa, islamisierte mittels militärischen Drucks den größten Teil der Region im frühen 17. Jahrhundert. Die drei dominierenden ethnischen Gruppen der Bugis, Makassaresen und Mandaresen konvertierten nominell zum Islam. Eine Mischung aus Islam und vorislamischer Religion war weit verbreitet in der Region. Einige mystische Ansätze flossen ebenfalls ein, die die muslimischen Varianten in der Region verbreiterten und später zur Reinigung des Islam beitrugen. Nur den Torajas gelang es einigermaßen, ihre angestammte Religion beizubehalten, bis im zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts christliche Missionare anfingen, sie zum Christentum zu bekehren. Eine kleine Anzahl Bugis und Makassaresen trat außerdem seit den 30ern zum Christentum über und wurde in der GKSS zusammen gefasst. Bugis und Makassaresen wanderten in den ganzen Archipel aus. Man findet sie in verschiedenen ostindonesischen Städten zumeist als kleine Händler. Sie wurden mit hineingezogen, als (1998-2000) die lokalen Konflikte in Osttimor, Kupang, Ambon, Halmahera, Poso, Luwu und an anderen Stätten ausbrachen, und viele von ihnen kehrten als Flüchtlinge nach Hause zurück. In Makassar führte die emotionale und ethnische Solidarität mit den Flüchtlingen (oder – wie manche Analytiker sagen - wurde sie missbraucht) zur Verfolgung von Christen. Wie bereits erwähnt, erschütterte in den 50ern eine Rebellion der Darul Islam (DI) unter Kahar Muzakkar die Region. Viele christliche Dörfer wurden terrorisiert, besetzt oder niedergebrannt. Christen wurden umgebracht oder gezwungen, von ihrem Glauben abzulassen. Ich war noch ein Baby, als mein Volk (die Toseko) vor der Besatzung durch die DI floh. Die bittere Erinnerung an die DI wurde wieder wach, als in jüngerer Zeit eine Gruppe muslimischer Radikaler ein Komitee zur Einführung der Shari´a in der Provinz unter der Leitung eines Sohns von Kahar Muzakkar einsetzte. Dieses Komitee hat – beeinflusst von landesweiten und internationalen radikalen Netzwerken – die Vision, in der Provinz nach dem Vorbild Acehs Shari´a-Gesetze einzuführen. Einige Landkreise haben solche Gesetze schon formell erlassen, von denen sich die meisten gegen „Untugenden“ richten. Die Führer der Kirchen in der Region reagierten auf die unerwünschte Bewegung, indem sie den Autoritäten ihre Bedenken nahelegten. Sie organisierten einige Treffen und Konferenzen, um sich genauer über die Bewegung zu informieren und um Appelle zu veröffentlichen und luden dazu teilweise Sprecher sowohl moderater als auch radikaler muslimischer Kreise ein. Die PGI führte eine landesweite Untersuchung in Regionen mit Pro-Shari´a-Bewegungen durch, in die Südsulawesi einbezogen war. Das Ergebnis für die Region war, dass das Gesetzgebungsverfahren auf Landkreisebene beim Erlass der neuen Gesetze nicht eingehalten und bei ihrer Durchsetzung Terror und Gewalt angewendet worden war. Die Bewegung wurde außerdem einer eher politischen als religiösen Agenda überführt. Während der Geist der neuen Gesetze eine Anhebung der gesellschaftlichen Moral verheißt und sie nur für Muslime erlassen wurden, wurde in der Praxis über die Diskriminierung Andersgläubiger und von Frauen berichtet. Auf das Drängen religiöser Führer hin setzte die südsulawesische Regierung ein Komitee zur Untersuchung der Bewegung ein. Zusammen mit zwei Kollegen wurde ich als Repräsentant der Christen in das Komitee aufgenommen. Das Komitee bat die Regierung darum, eine formale Einführung der Shari´a abzulehnen. Als religiöse Angelegenheit sollte ihre Anwendung von Muslimen und ausschließlich für Muslime, die dies von einem kulturellen Ansatz her begrüßen, geregelt werden. Der Regierung wurde außerdem angetragen, ernsthafter gegen gesellschaftliche „Laster“ vorzugehen und soziale, wirtschaftliche und politische Gerechtigkeit für alle durchzusetzen. (Es war interessant zu beobachten, dass in den Wahlen vergangene Woche das Provinzgouvernement von einem Kandidatenpaar errungen wurde, das als inklusiv gilt. Ein Kandidat der radikalen muslimischen Zirkel erhielt nur 21,69% der Stimmen.) Einige interreligiöse Gruppen und NGOs begegneten der Bewegung mit Bildungsprogrammen, eigenen Untersuchungen und Bürgerbefragungen. Sie lancierten außerdem öffentliche Diskussionen mit moderaten Muslimen und Schriftstellern in den Medien, um der Bewegung zu begegnen. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 23 Abschließende Bemerkungen Dieser Vortrag ist ein Versuch, den indonesischen Kontext interreligiöser Zusammenarbeit als Antwort auf muslimischen Radikalismus zu skizzieren. Die indonesischen Glaubensgemeinschaften sind mit einer Realität konfrontiert, in der sich Radikale in religiösen und politischen Bewegungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene organisieren und in der sie unterschiedliche Kampfformen anwenden, von einem indoktrinierenden öffentlichen Diskurs und verfassungsrechtlichen Kanälen bis hin zu Gewalt und Terrorismus. Religiöser und politischer Radikalismus ist eine Reaktion auf religiöse und politische Bedingungen lokaler und globaler Art. Deshalb sollte der Existenz von Radikalismus mit religiösen und politischen Reformen begegnet werden. Auf religiöser Ebene könnten zumindest drei Programme umgesetzt werden. Zum einen ein neuer Ansatz in der Glaubenserziehung unter der Perspektive von interreligiösem Frieden und der Ablehnung von Gewalt, unterstützt von einschlägigem theologischen und ethischen Gedankengut. Die religiöse Erziehung prägt die religiöse Haltung. Rigide und enge doktrinäre Ansätze bringen letztlich radikale Ansichten hervor. Dagegen fördern flexible und vorurteilsfreie kulturell-ethische Ansätze das religiöse Engagement für Frieden und die Ablehnung von Gewalt. Die Lektüre unserer religiösen Schriften birgt beide Ausrichtungen – auf exklusive und inklusive Doktrinen. Wir brauchen deshalb eine kontextuelle Perspektive als Orientierung für unsere Wahl. Die kontextuelle Perspektive von Frauenanliegen kann dazu dienen, eine entsprechende Theologie zu entwickeln. Andere Aspekte der religiösen Bildung sollten sich mit einem verbesserten Verständnis der Geschichte befassen. In das Curriculum religiöser Bildung sollte sozio-politische Geschichte und die Rolle der Religionen auf Landes- und globaler Ebene sowie Religionsgeschichte aufgenommen werden. Zum zweiten sollte eine Balance zwischen der Ausübung von Glaubensriten und sozialen Programmen zur Entwicklung sozial-ökonomischer Gerechtigkeit und einer prosperierenden Gesellschaft gesucht werden. Glaubensgemeinschaften sind verpflichtet, sich im sozialen Bereich zu engagieren, um Armut zu bekämpfen, demokratische Prozesse zu unterstützen, Menschenrechte zu verteidigen, gesellschaftliche Randgruppen zu stärken etc. In christlichen Kreisen wird solches Engagement durch Jesus´ beispielhaftes Tun in Galiläa gestützt. Da der Radikalismus den moralischen gesellschaftlichen Verfall anprangert, ist es unabdingbar für die Glaubensgemeinschaften, die soziale Moral zu stärken. Politi- 24 sche und wirtschaftliche Demokratie, verstärkt durch einen höheren Bildungsstandard, wird den Radikalismus letzten Endes schwächen. Zum dritten müssen Möglichkeiten für den verbindlichen Dialog und Austausch mit radikalen Gruppen geschaffen werden. Es stellt eine Schwäche der interreligiösen Bewegung dar, dass in ihr hauptsächlich moderate Gruppierungen miteinander vernetzt sind. Natürlich ist die Einbeziehung Radikaler in den interreligiösen Dialog nicht einfach. Aber es sollten ernsthafte Versuche unternommen werden, beiden Seiten Räume zu eröffnen, sich auf friedliche Art zu begegnen, nicht notwendigerweise in akademischen Foren, sondern im gemeinsamen sozialen Engagement oder durch ähnliches. Ulil Absar Abdallah vom Liberalen Netzwerk Islam (JIL) ist der Meinung, dass die Pluralität von islamischen Diskursen eine gesunde Entwicklung im Blick auf die Zukunft des Islam darstellt. Er könnte dann Recht behalten, wenn ein friedlicher Dialog zwischen den Glaubensgemeinschaften kontinuierlich lebendig gehalten wird. Ein Erbe der lokalen Konflikte der Vergangenheit bilden – als Glück im Unglück - die Wiedererstarkung des interreligiösen Einsatzes für Frieden und Versöhnung, mehr Stimmen für gewaltfreie Konfliktlösungen und ernsthafte Forschungen, um die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und theologischen Wurzeln der Konflikte zu verstehen. Der islamische Radikalismus in Indonesien und anderswo ist aber auch motiviert durch – oder eine Reaktion auf – lokale wie globale Gegebenheiten, namentlich westliche Politik und das wirtschaftliche Gefälle zwischen Nord und Süd. Glaubensgemeinschaften weltweit sollten deshalb kontinuierlich Netzwerke der Zusammenarbeit für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden auf- und ausbauen. Ein substantieller Aspekt dabei werden aufrichtige und couragierte prophetische Stellungnahmen gegenüber Regierungen und Wirtschaftsmächten sein, namentlich derer der Supermächte. Dieser Vortrag befasst sich nicht mit dem politischen Vorgehen gegen Radikalismus, aber zwei kurze Anmerkungen will ich noch dazu machen. Zum einen sollten sich religiöse Führer strikt dem Missbrauch von Religion für politische Interessen widersetzen. Zum zweiten: Da Radikalismus ein fortdauerndes Phänomen darstellt, sollte der Hinweis von Rumadi Beachtung finden, dass die Rolle des Staates nicht darin besteht, Radikalismus zu eliminieren, sondern darin, ihn in politischen Institutionen zu kanalisieren, um ihn im demokratischen Rahmen zu kontrollieren. Übersetzung aus dem Englischen: Christine Grötzinger CHRISTEN UND MUSLIME IN KONFLIKTGEBIETEN: MOLUKKEN WIE VERH A LTEN SICH CHR IS TEN UND MUSLIME IM R EG ION ALEN KON FL IKT AUF DE N MOLU K KEN? WIE TRAG EN S IE ZUR SEIN ER VER SCH ÄRFUNG OD ER LÖSUNG B E I? Sonia Parera-Hummel Sonia Parera-Hummel ist Pfarrerin der Protestantischen Kirche auf den Molukken (GPM) und arbeitet als Asienreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal. Von 2001 bis 2007 war sie bereits als Referentin für Frauen, Jugend und Kinder bei der VEM tätig. Wir dokumentieren Auszüge aus der PowerpointPräsentation, die sie in der Arbeitsgruppe zeigte. AREA MAP OF MALUKU PROVINCE UU RI No. 46 Thn. Thn. 1999 7,6 % 92,4% 90% 632 Island TOTAL = 712.479,69 km2 Kep. Kai Kep. Tayandu TUAL Elat Dobo Th Thee rel relig igio ious us cau causes ses of of co confl nflict ict OOccccur urren ren ccee of of rreligious eligious vvio l e nc e io le nc e W Willingn illingn es esss of of rreligiou eligiou ss ccom om mmuu nities nities to to enter enter into into cconflic onflict t Th Th ee inc incrreas easee of ofccoo nflic nflict t poten poten tial tial am am ong ong re i l g ious c o m m u nity re il g ious c o m m u nity Po Po litic liticizization ation of of RReligio eligio ns ns Lo Lo ww ccoop oop erat eration ion am am ong ong rreligious eligious ccom m unitie s om m unitie s In In terv tervee ntion ntion of of pp olitic oliticss on on rreligion eligion MMisisus usee of of religio religio nn by by the the elites as elites as legitim atiz at ion legitim atiz at ion of ofpp ow ower er Inab t tyy to Inab ili ili to aa sssses es the the role role of of relig ion. relig ion. In In ccreas reasee of of mmisistrtrus ust tbb etw etween een religiou religiou ss ccom ommm unitie unitie ss RRee li g li g ious ious’ ’ cclaim laim ss oo nn ab ab ssolute olute trut truthh AAnti-p nti-p lulu ralis ralismm Th Th eolo eolo gy gy TThe he ccoo mmmm unity unity lo lo ww unde unde rsrstan tan ding ding of of religiou s plur alis religiou s plur alismm Th Th ee ten ten denc denc yy of of religiou religiou ss lea lea ders ders to y ield pow e r in to y ield pow e r in pp olitic oliticss UUnd nd erde erde vvelope elope dd cc onc oncep ep t tof of ““Th elogia Th elogia RReligion um eligion um”” Th Th ee ssoc ocial ial cconc oncer ernn of of The ology The ology isis under de v elope under de v elope dd RReligiou eligiou ss fa fa natic naticisismm Lac Lackk of of sshh aring aring am ong am ong rreligious eligious adh adh eren eren tsts DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 Inc Incrreas easee of ofliter literalal inter interpre pre tation tation of ofhh oly oly sscc riptur es riptur es WWW.EMS-ONLINE.ORG 25 POPULATION Census 2000 TOTAL POPULATIONS Male Female Population Growth Women from Ambon, Poso and Ternate = 1.200.067 people = 603.587 people = 596.480 people = 0,37 % / year . 10.000-15.000 people have been killed . More then 500 000 Internally Displaced Persons . 251 religious buildings have been destroyed . 106 unit of governmental buildings have been destroyed TOTAL POPULATION = 1.288.813 people . 136 educational infrastructures have been smashed to Growth pieces = 2,41 % / year 2003 POPULATION Peace Sermon Capacity Building for Women in 3 Provinces Training of Trainers Monthly Meetings Providing forum for religious leaders to meet & talk Awareness raising on social problems (corruption, gambling, social injustice, drugs and poverty) as common problems to be solved Guidance to each religious community The Outputs: -Programs to build the capacity of women in 3 provinces -Regional Women Forum Trauma Counseling & Trauma Healing Counselor TOT (for counselors in 3 sub-district, 32 location in Ambon Island) Module for Trauma healing and Trauma Counseling Results MUI GPM Synod Dioceses 32 counselors in 32 sites in 3 sub-districts on Ambon Decreasing level of trauma in 800 beneficiaries esp. in IDP site Creating interaction between target groups In Cooperation with: Hualopu Foundation (Database) Information: YAP-Maluku (poster and Sticker Campaign) Baku Bae Peace Movement (Poster and Documentation and Disemination Sticker Campaign, TV Public Service break) GPP & Child care Network (Campaign on Child and Women Protection) Results: Library, Database, Journal, Poster, Card & Sticker Film, Website In-depth Study Articles T-Shirt 26 The Summit of Asian Religious Youth Leaders Attended by 21 Asian Countries Confronting Violence and Advancing Shared Security Participants came from: Burma, Srilanka, Thailand, India, Singapore, Japan, Malaysia, Bangladesh, Philippine, Pakistan, Jordan, Georgia, New Zealand, Korea, Cambodia, China, Laos, Saudi Arabia, Canada and Libanon, Indonesia (Aceh, Poso, Jogja, Ambon, Kalimantan) Maluku Interfaith Institution for Capacity Building, Advocacy and Lobby Religious Leaders On Going Program Empowerment of the religious leaders on social issues. Youth and Children *Training Facilitated by Interfaith Staff and some local partners such as Komnas Maluku, GMKI, Hualopu, Baku Bae, CC GPM etc Women of women to do analysis and identification of local wisdom, local value and culture especially on the role of women as peace makers *Income Generating Projects DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 Introducing Children and Youth to the ideas and the culture of living together in pluralistic community through activities such as live-in programs, Trauma counseling and Trauma healing, art, music, dances etc WWW.EMS-ONLINE.ORG 27 CHRISTEN UND MUSLIME IN KONFLIKTGEBIETEN: WEST-PAPUA WIE VERH A LTEN SICH CHR IS TEN UND MUSLIME IM KON FLIKT IN WEST-P APU A? WIE TRAG EN SIE ZUR SEINER VERSCH ÄRFUNG OD ER LÖ SUNG B E I? Dr. Uwe Hummel Dr. Uwe Hummel ist Asienreferent der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal und Koordinator des West Papua Netzwerks. Der Theologe arbeitete zuvor sieben Jahre lang für die VEM auf Nias in Indonesien. I. West-Papua, ein Überblick II. Menschenrechtssituation Name: West-Papua (Tanah Papua), zur Kolonialzeit Nederlandsch Nieuw-Guinea, unter Sukarno Irian Barat, unter dem Suharto-Regime Irian Jaya, 2002 umbenannt in Papua, seit 2003 getrennt in die Provinzen Papua und Irian-Jaya Barat, seit 2007 in die Provinzen Papua und Papua Barat Folter Fläche: 421.982 km2 (22% der Fläche Indonesiens) Indonesien ist Mitglied des UNO-Menschenrechtsrates und gehört zu den ersten Ländern, die sich dem Universal Periodic Review unterziehen müssen. UNO-Sonderberichterstatter Prof. Manfred Nowak bereiste Indonesien (einschließlich Tanah Papua) in der zweiten Novemberhälfte 2007 und legte einen kritischen Bericht über Folter und andere grausame Praktiken und Strafen gegen Menschen in WestPapua vor. Er weist u.a. darauf hin, dass in Untersuchungshaft von der Polizei und dem Militär regelmäßig gefoltert wird. In mehreren Paragraphen der Fragenliste des Komitees gegen Folter (CAT) wird die sehr bedenkliche Menschenrechtssituation in Papua explizit angesprochen. Indonesien muss sich im Mai diesen Fragen stellen. Waldfläche: ca. 41 Mio. Hektar Einschüchterung von Menschenrechtlern Höchster Berg: Puncak Jaya, 5030 Meter Vom 5. bis 12. Juni 2007 besuchte Hina Jilani, Sondergesandte des UNO-Generalsekretärs, auf Einladung der indonesischen Regierung Jakarta, WestPapua und Aceh. Ihr Auftrag war, sich vor Ort über die Lage von Menschenrechtlern zu informieren und die Umsetzung der im Jahre 1998 von der UNOGeneralversammlung verabschiedeten Declaration on Human Rights Defenders voranzutreiben. Sie kritisiert unter anderem die Einschüchterung und Behinderung von Menschenrechtlern durch die Sicherheitskräfte und das unrechtsstaatliche Vorgehen durch die Justiz nach der blutigen Demonstration vom 16. März 2006. Vor allem die Berichte über die Willkür der Sicherheitskräfte und der Verwaltung gegen indigene Papua wurde von der Sondergesandten sehr ernst aufgenommen. Die Haltung der Staatsorgane, die Kritiker als Separatisten stigmatisieren und unverantwortliche Beamte schützen, sei nach internationalen Maßstäben nicht tolerierbar. Bevölkerung: ca. 2,5 Mio. Einwohner, davon über 40% Zuwanderer Politischer Status: Teil der Republik Indonesiens seit 1963 Hauptstädte: Jayapura (Papua) und Manokwari (Papua Barat) Größter Hafen: Humboldtbucht, Jayapura Nachbarland: Papua-Neuguinea Sprachen: Amtssprache Bahasa Indonesia, mehr als 250 Lokalsprachen Währung: Indonesische Rupiah Wichtigste Wirtschaftszweige: Bodenschätze (Kupfer, Gold, Silber, Öl, Gas), Holzwirtschaft (darunter seltene Edelhölzer), Landwirtschaft und Fischerei Bruttoeinkommen pro Kopf: ca. 60,- € pro Monat (starkes Stadt-Land-Gefälle) Religion: Christen (Protestanten 70% und Katholiken 20% der indigenen Papua), Muslime (10% der indigenen Papua). Viele Papua pflegen neben der offiziellen Religion traditionelle Glaubensvorstellungen. Die Zuwanderer aus anderen Teilen Indonesiens sind zu über 80% Muslime. 28 Unter anderem empfiehlt Hina Jilani: - spezielle Beschwerdestellen (complaint cells) für die Bürger einzurichten, in denen Menschenrechtsvergehen registriert werden können und die dafür sorgen, dass ihnen nachgegangen wird. - Die indonesische Regierung solle bessere Investigationsmechanismen entwickeln, um den vielen Beschwerden von Menschenrechtlern, die an der Ausübung ihrer Aktivitäten behindert werden, nachzugehen. - Es sollten bürokratische Hürden und restriktive Bestimmungen, welche die Versammlungs- und Vereinsbildungsfreiheit einschränken, abgebaut werden. - Gerichte, Staatsanwaltschaft und Polizei sollten aufhören, Menschenrechtler zu kriminalisieren. - Die nationale Menschenrechtskommission (Komnas HAM) solle gestärkt werden, damit sie auch in abgelegenen Regionen wie West-Papua effektiv funktionieren kann. schutz die Insel Biak und die Stadt Manokwari besuchen. Insgesamt durfte er nur wenige Stunden mit Papua sprechen; mit der Bevölkerung auf der Straße nur 5 Minuten und unter strengster Bewachung durchs Militär. In seinem Beschwerdebrief an den indonesischen Präsidenten schreibt Faleomavaega: „During the course of our meeting, a highly respected traditional leader, Chief Tom Beanal, was detained by the military, as was Mr Willie Mandowen." Er bemerkte außerdem, dass "Papuans who had gathered in the streets in Biak were denied the opportunity to meet with us, and U.S. Ambassador Cameron Hume and I had to force our way through a military barricade just to meet with the Papuan people who had to walk several miles from the airport and wait in the hot sun because Indonesian military forces (TNI) barred them from meeting with Ambassador Hume and me." (zitiert in dem Januar 2008 Bericht der Robert F. Kennedy Foundation). Große Sorgen macht sich Jilani auch um die Ausbreitung von HIV und AIDS in West-Papua. Scharf kritisiert Faleomavaega das Militär (TNI), das die Bevölkerung einschüchtere, vergewaltige und peinige (“TNI as intimidating, abusing and harassing Papuans”). Einschränkung der Pressefreiheit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit Immer wieder klagen Papua-Führer darüber, dass Journalisten nicht in Konfliktregionen bzw. internationale Medien überhaupt nicht in West-Papua zugelassen werden. Monatelang gab es keine offiziellen Nachrichten über die Menschenrechtsvergehen von Militär und Kampfpolizei in Mulia Puncak Jaya. Autoren, die kritisch über die soziokulturellen oder politischen Zustände berichten werden zensiert oder bedroht. Die Publikation des neusten Buches des Hochlandpapuas Sendius Wonda mit einem Vorwort von Socratez Sofyan Yoman, Präses der Baptistenunion in Papua (Tenggelamnya Rumpun Melanesia = Der Untergang des melanesischen Stammes) wurde von der Staatsanwaltschaft verboten. Ausländische Besucher brauchen für Reisen außerhalb der Hauptstadt Jayapura besondere von der Polizei ausgestellte Reiseerlaubnis (surat jalan). Aber auch Papua können sich nicht frei bewegen. In der südlichen Region Merauke befinden sich alle 25 Kilometer Polizeiposten. Papua, die ohne triftigen Grund reisen, werden als Separatisten bzw. Widerständler verdächtigt und an der Weiterreise behindert. Restriktionen für westliche Politiker und Diplomaten Immer wieder haben westliche Abgeordnete und Diplomaten Schwierigkeiten, Papua zu besuchen und sich frei einen eigenen Eindruck der Lage zu verschaffen. Im Juli 2007 besuchte der USKongressmann Eni Faleomavaega, der eine wachsende Gruppe von Politikern anführt, die sich für eine wahre Autonomie Papuas in den Grenzen der indonesischen Republik einsetzen, Indonesien. Ihm wurde die Reise nach Papua aber nicht erlaubt. Im Dezember durfte er nur kurz unter strengem Polizei- Willkürliche Verhaftungen Immer wieder werden Regimekritiker, Menschenrechtler und Religionsführer vorgeladen oder verhaftet: So wurde der Anwalt und Menschenrechtler Sabar Iwangin Olif (43) auf offener Straße verhaftet, weil er eine Schmäh-SMS, die er von dem Juristen Marto J. Jowey erhalten hatte, weitergeleitet haben soll. Die SMS besagte: ”Die neuste Nachricht ist eine Warnung, dass SBY die Eliminierung der Papua und die Kontrolle über ihre Bodenschätze und andere Naturressourcen angeordnet hat.” (SBY ist das Akronym für den heutigen Staatspräsidenten.) Unter dem Vorwand, dass die Polizei das Handy untersuchen müsse, wurde Olif in die Untersuchungshaft nach Jakarta überführt. Erst durch eine internationale Urgent Action und die Führsprache von u. a. dem Präsidenten des Weltkirchenrates, Altbischof Soritua DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 29 Nababan, wurde Olif nach Papua zurückgebracht, wo er seitdem in Untersuchungshaft sitzt. (Zusatz: Der Strafprozess gegen Olif hat am 7. Januar 2008 vor dem Landgericht Jayapura begonnen.) Gewaltaktionen gegen Bürger von Militär und Kampfpolizei Seit der Eingliederung Papuas in die Republik Indonesiens (1963) wird die einheimische Bevölkerung von den indonesischen Sicherheitskräften drangsaliert. Die physische und kulturelle Unterdrückung führte 1965 zur Bildung der Organisasi Papua Merdeka (OPM), des militärischen Widerstandes. Seit der Suharto-Zeit werden sogenannte Durchkämmungsaktionen (penyisiran) mit dem Kampf gegen „Separatisten“ und der Jagd auf Terroristen gerechtfertigt. Dabei vergreifen sich die Militärs und die berüchtigte Kampfpolizei (Brimob) ständig an der Zivilbevölkerung. So zum Beispiel seit Ende 2005 im Hochland von Mulia Puncak Jaya. Auf der Suche nach dem berüchtigten Partisanen-Führer Goliat Tabuni zerstörten sie Acker und Hütten, stahlen Süßkartoffeln und erschossen Schweine. Mindestens 5000 Zivilisten flohen in die Wälder und Berge. Einige starben an den Folgen von Kälte und Hunger, andere wurden einfach hingerichtet (z.B. ein Pfarrer namens Tabuni, nicht der Guerilla-Führer). Straflosigkeit, politische Gefangene, kaum Papua-Anwälte Die Nationale Menschenrechtskommission (Komnas HAM) hat die Menschenrechtsschändungen in Wamena und Wasior untersucht und bereits 2005 der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Dort sind die Berichte in der Schublade verschwunden. Wie üblich kommen Mitglieder der Sicherheitskräfte ohne Strafe davon. Nach einer Demonstration am 16. März 2006 in Abepura wurden 23 Demonstranten willkürlich festgenommen und in einem dem Rechtsstaat unwürdigen Prozess wegen Hochverrat zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Der Sohn des Präses der Evanglischen Kirche (GKI-TP), der Student Eko Berotabui, nahm sich nach wenigen Monaten aus unerklärlichen Gründen in der Haft das Leben. Zig Papua sitzen als politische Gefangene in verschiedenen Gefängnissen (auch außerhalb Tanah Papua). Ihr Rechtsbeistand ist sehr unadäquat, zumal papuanische Juristen offen-sichtlich daran gehindert werden, die Zulassung als Anwalt zu bekommen. 30 Rassismus In der Haltung der Streitkräfte, der überwiegend von Westindonesiern besetzten Bürokratie und von Teilen der Zuwanderer kommt häufig in extremer Form Rassismus gegen die dunkelhäutigen und kraushaarigen (melanesischen, also nicht asiatischen) Papua zum Ausdruck. Eine im Rahmen der Sonderautonomie vorgesehene affirmative action, nach der überwiegend Papua in die regionale Polizei aufgenommen werden sollen, gibt es seit der Amtszeit des balinesischen Polizeichefs von Papua, Pastika (2000-2002) nicht mehr. Nicht selten sind hohe Offiziere der Sicherheitskräfte solche, die sich in OstTimor im Namen des „Einheitsstaates“ (NKRI) auf schändlichste Weise der Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung schuldig gemacht haben (z.B. die Obersten Timbul Silaen und Burhanuddin Siagian). Der Präses der Evangelischen Kirche (GKITP), Pfarrer Corinus Berotabui, legte dem Rat der VEM sowie dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte im September 2007 einen umfassenden Bericht über Rassismus gegen Papua vor. Genozid-Frage Basierend auf einer Studie der Yale University (USA) wurde Anfang 2004 die Kampagne gegen den Völkermord an den Papua gestartet. Die Studie, die eine ganze Reihe von Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzeigt, betont aber, dass es keinen Beweis für die systematische, geplante Ausrottung der indigenen Papua gebe und man deshalb nicht kategorisch von Genozid sprechen könne. Trotzdem behaupten die Papua, dass Jakarta eine Strategie verfolge, sie physisch und kulturell langsam, aber sicher auszumerzen (membasmi) um somit frei über die Ressourcen Tanah Papuas verfügen zu können. Die seit Jahren steigende Zahl von HIV/AIDS-Erkrankungen interpretiert man als eine durch Jakarta initiierte Strategie. 38 In letzter Zeit haben eine ganze Reihe von starken (zum Teil tödlichen) Vergiftungen durch den Genuss von Speisen, Getränken und Zigaretten den Genozidverdacht wieder verstärkt. In der Folge hatte es Wutausbrüche seitens der Bevölkerung gegeben, die nicht mehr gezügelt werden konnten. So sind in den Landkreisen Wamena, Yahukimo und Boven Digul 38 Die Region Tanah Papua hat nach Jakarta die höchste HIV‐ und AIDS‐Rate in ganz Indonesien. Betroffen sind sowohl Indigene als auch Siedler, vor allem in Timika (Freeport‐Bergbau), Merauke, Jayapura und Sorong. Ansteckungen erfolgen zu über 90% durch Geschlechtsverkehr. Frauen sind besonders stark betroffen. Weitere häufige Erkrankungen sind Tuberkulose und Malaria. einige Geschäfte und Verkaufstände für Nahrung zerstört worden. Viele Papua haben Angst vor Krankenhäusern, westindonesischen Hebammen und Impfaktionen, da Gerüchte die Runde machen, dass Papua gezielt infiziert oder getötet würden. Das Misstrauen gegenüber dem indonesischen Establishment ist extrem. III. Religiöse Politik als Konfliktpotential Seit der Asienkrise (1997) hat die Verelendung großer Teile der ohnehin armen Bevölkerung weiter zugenommen. Millionen Menschen, gerade auch in großen Städten, können sich nicht einmal mehr satt essen. Von der korrupten Verwaltung ist keine Hilfe zu erwarten. Dagegen überzeugen fundamentalistisch-islamische Organisationen durch regelmäßige Vergabe von Instantnudeln, Reis und sauberem Trinkwasser. Fundamentalisten haben den Ruf, nicht korrupt zu sein. Ihre Erklärung, dass alle Missstände letztlich auf den dekadenten Einfluss des „Westens“ zurückzuführen ist, lässt die Ablehnung des Islamstaats als Alternative zum indonesischen Nationalstaat immer mehr abbröckeln. Die Staatsideologie Pancasila, Garantin für Pluralismus und Gleichberechtigung der Religionen, ist durch die SuhartoDiktatur (die sie als ideologische Waffe gegen jegliche Opposition einsetzte) diskreditiert. Der militante Islam ist sexy, das Konterfei Osama Bin Ladens bei Jugendlichen so beliebt wie Che Guevara bei der 68er Generation. Sogar an den Universitäten tragen die meisten Studentinnen das Jilbab-Kopftuch; Studentenpolitik, die Keimzelle des Widerstandes gegen Suharto, ist zur Propaganda-Zentrale für islamisches Recht geworden. Der Campus der Elitehochschule Universitas Indonesia ist heute eine Islamische Zone. Die wichtigste Voraussetzung für die Islamisierung ist jedoch die 1999 eingeführte Regionalautonomie (nicht zu verwechseln mit Sonderautonomie!) in allen Landkreisen Indonesiens. Auf Landkreis- und Provinzebene ist in mehr als 53 Fällen bereits die Shari´a eingeführt worden. In West-Papua gibt es zwar noch keine Shari´aLandkreise, Fundamentalisten wie die Laskar Jihad (vgl. die Religionskonflikte auf den Molukken) und Barisan Merah Putih (vgl. „Verbrannte Erde“ in Osttimor) beeinflussen unter nationalistischem Vorwand die Zuwanderer und bilden Milizen. Manokwari soll Evangelischer Landkreis werden Auch in den wenigen christlichen Konzentrationsgebieten – wie übrigens auch im hinduistischen Bali – nimmt der Einfluss der Religion auf die Regionalgesetzgebung zu. So werden in West-Papua „Evangelische Landkreise“ errichtet. Der erste, kaum von der Öffentlichkeit beachtet, war der Landkreis Supiori-Biak Numfor. Weit kontroverser ist das Vorhaben, Manokwari, die Hauptstadt der Provinz West Irian Jaya, „evangelisch“ zu machen. Am 5. Februar 1855 landeten hier die ersten deutschen Missionare. Dieser Tag ist jedes Jahr Anlass für zigtausende Papuas, zu dieser „heiligen Stätte“ zu pilgern. Inzwischen leben in Manokwari jedoch mehr Siedler aus anderen Teilen Indonesiens als Indigene und die meisten von ihnen sind Muslime. Als sich vor einigen Jahren das Gerücht verbreitete, dass in Manokwari „die größte Moschee Ostindonesiens“ gebaut werden soll, war das Maß für die Papua voll. Das Land musste fürs „Christentum“ gesichert werden. Am 7. März 2007 erschien der Entwurf für eine Regionalverordnung zur Schaffung eines „Evangelischen Landkreises“. Die Papuas berufen sich auf das Sonderautonomiegesetz (UU 21/2001) und fordern eine Ordnung gemäß dem Evangelium. Es sollen die Normen und Werte der Gottesherrschaft gelten, die in Jesus Christus angebrochen ist. Das sind Heiligkeit, Liebe, Frieden und Versöhnung, Gemeinschaft, Wohlfahrt, Gerechtigkeit, Gleichheit, Partnerschaft und Offenheit. Das Recht auf freie Religionsausübung wird zwar erwähnt, die Vorrangstellung des Christentums aber stark betont. Die Landkreisobrigkeit behält sich das Recht vor, an öffentlichen Gebäuden christliche Symbole anzubringen. Dabei wird darauf verwiesen, dass die Christen unter den Indigenen die Mehrheit bilden. Als Medium der geistlichen Aktivitäten sind nur die indonesische Nationalsprache und die einheimischen PapuaSprachen zugelassen (somit ist Arabisch für Muslime nicht erlaubt). Öffentliche Veranstaltungen müssen sich nach den christlichen Bräuchen richten und nur christliche Feiertage gelten als Ruhetage. In Dörfern, in denen es bereits eine Kirche gibt, dürfen keine Gotteshäuser oder Kultstätten anderer Religionen erreichtet werden. Auch darf in der Öffentlichkeit, in den Schulen und im Öffentlichen Dienst keine Kleidung getragen werden, die auf eine bestimmte Religionszugehörigkeit hinweist. Die Regierung in Jakarta, die beide Augen zudrückt bei der Einführung der Shari´ah, ist empört und will den „Evangelischen Landkreis“ Manokwari auf jeden Fall verhindern. Das birgt ein ungeheuerliches Konfliktpotenzial. DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 31 IV. Sonderautonomie Realistische, aber ungenutzte Chance Das Anfang 2002 erlassene Gesetz zur Sonderautonomie für die Region Tanah Papua (UU 21/2001, auch Otsus genannt) darf als die einzige realistische, friedliche Lösung des Papua-Problems angesehen werden. Mit der Spaltung der Region Papuas in zwei Provinzen gegen den Willen der Papua (2003 per Präsidialdekret von Megawati Sukarnoputri) hatte Jakarta gegen die Sonder-Autonomie verstoßen und ist das Vertrauen gebrochen. Otsus für gescheitert erklärt Der traditionelle Adat-Rat, das Papua-Präsidium, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen haben die Sonderautonomie für gescheitert erklärt. All diese gesellschaftlichen Elemente fordern einen international vermittelten Dialog zwischen den anerkannten Papua-Führern (Gouverneure, Volksrat, Parlamente, Religionsgemeinschaften) und der Indonesischen Regierung. Jakarta weigert sich, über seine gescheiterte Politik zu sprechen und wirft den Papua vor, dies nur als Vorwand für ihren Kampf um staatliche Unabhängigkeit nutzen zu wollen. 39 Korruption Auch gibt es immer wieder Klagen des Volksrates der Papua (MRP), dass die regionalen Bestimmungen zur Implementierung der Sonderautonomie (Perdasus dan Perdasi) noch nicht geschaffen worden sind, sodass eine praktische Umsetzung nicht möglich ist und die Korruption auf den oberen Verwaltungsebenen gigantische Ausmaße annimmt. Menschenrechtsgerichtshof 39 Ende November 2007 erklärte der Premierminister der Salomonen, Sogavare, dass die Pioniergruppe der melanesischen Staaten (Melane‐ sian Spearhead Group oder MSG) sich stärker für die Selbstbestim‐ mungsrechte der indigenen Bevölkerung West‐Papuas einsetzen werde. Das schließe eine staatliche Unabhängigkeit von Indonesien nicht aus. In Vanuatu besteht eine ständige Vertretung West‐Papuas und West‐Papua könnte als ständiges Mitglied in das Forum aufge‐ nommen werden. Sogavare betonte die Notwendigkeit eines interna‐ tional vermittelten Dialogs zwischen anerkannten Papua‐Führern und der Regierung in Jakarta: "We've made it very plain and clear that if we have to push their agenda of course we take it up and discuss it formally with the relevant authorities. That is open and our charter clearly mandates us to do that." 32 Der im Sonderautonomiegesetz vorgesehene ständige Menschenrechtsgerichtshof in Papua ist bis heute (sechs Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes) noch nicht eingerichtet worden. V. Die Vision des Friedens Protest der Religionsgemeinschaften Das Volk der Papua sehnt sich nach Frieden. 2007 haben sich Religionsführer (Protestanten, Katholiken, Muslime, Hindus und Buddhisten) mehrfach öffentlich gegen die Schändung der Autonomie seitens Jakartas ausgesprochen. Immer wieder werden traditionelle Landrechte missachtet. Sogenannte Entwicklungsprogramme spalten die ethnischen Gruppen, vertreiben sie von ihrem Land oder machen sie zu Randgruppen. Die Autonomiegelder versickern in den Taschen korrupter Beamter oder werden für Infrastruktur verwendet, die nicht den Papua nützt, sondern noch mehr Zuwanderer anzieht. Die Konfliktlösungsstrategie der Religionsführer ist ”Papua, Land des Friedens”. Darunter versteht man Widerstand gegen Ungerechtigkeit und der Kampf um die eigene Würde und Identität ohne die Anwendung von Gewalt. CHRISTEN UND MUSLIME IN KONFLIKTGEBIETEN: ACEH WIE STELLEN SICH MU SLIM E UND CHR IS TEN ZUR SOND ERAU TONOMIE IN ACEH? WELCH E KON SEQU EN ZEN H AT D IE EINFÜHRUNG D ER SH AR I´A FÜR BEID E GRUPP EN UND WO SETZT D IE KR IT IK AN IHR AN ? Samia Dinkelaker Samia Dinkelaker studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Nach einem Einsatz im Ökumenischen Freiwilligenprogramm des EMS in Indonesien ist sie heute freie Mitarbeiterin bei Watch Indonesia!, beschäftigt sich dort mit dem Thema „Frauen und Islam“ und in diesem Zusammenhang auch mit der Region Aceh. Das Verhältnis zwischen den Religionen in Indonesien ist seit jeher von Toleranz geprägt. In jüngster Zeit sorgt jedoch eine schleichende Islamisierung in Indonesien für Spannungen innerhalb der Gesellschaft und für Besorgnis bei den religiösen Minderheiten. Zwar ist Indonesien das bevölkerungsreichste muslimische Land, nicht aber ein islamischer Staat. Die Provinz Aceh im Norden Sumatras stellt vor diesem Hintergrund einen Sonderfall dar, weil sich dort momentan ein Wandel vollzieht: Die Zusicherung eines Sonderautonomiestatus durch die indonesische Regierung im Jahr 1999 beinhaltete die Einführung der Shari´a. Der Islam entwickelt sich somit zum politischen Ordnungsprinzip der Gesellschaft und bildet den Kontext, in welchem sich das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Aceh abspielt. Aceh – „Veranda von Mekka“ Aceh liegt auf der Nordwestspitze von Sumatra, der westlichsten Insel Indonesiens und wird zu 98% von Muslimen bewohnt. Wie in ganz Südostasien sind die meisten davon Sunniten. Aceh hat einen vergleichsweise großen Bevölkerungsanteil von Schiiten, nämlich 10%. Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten traten bisher nicht auf. Es gibt eine sehr kleine christliche Minderheit in Aceh, bestehend aus acehnesischen Christen, Migranten aus Batak, ethnischen Chinesen und – seit der Tsunami-Katastrophe vom Dezember 2004 – ausländischen Hilfskräften. Arabische Händler gaben Aceh einst den Beinamen „Die Veranda von Mekka“. Bevor es für die angehenden Mekkapilger Flugreisen gab, war hier der letzte Abreiseort per Schiff für die Reisenden. Außerdem ist, wenn man dem Großteil der Historiker Glauben schenkt, Aceh die Gegend Indonesiens, die die Islamisierung am frühesten erreichte. Die erste muslimische Gemeinde wollen Historiker bereits im 12. Jahrhundert wissen, der erste Kontakt mit arabischen Händlern geht wohl auf eine viel frühere Zeit im 9. Jahrhundert zurück. Die frühe Islamisierung der Provinz trägt mit dazu bei, dass der Islam untrennbarer Bestandteil der kulturellen Identität Acehs wurde. Die muslimische Identität der Menschen in Aceh nährt sich aus der Geschichte des über Jahrhunderte existierenden Sultanates. Es gilt als historisches Ideal, auf das sich Unabhängigkeitsbewegungen – sei es im Kampf gegen die Kolonialmacht oder sei es im Kampf gegen die indonesische Zentralregierung – immer wieder bezogen haben. Die acehnesischen Muslime werden als tolerant beschrieben, weil sich das Handelszentrum Aceh von je her gegenüber äußeren Einflüssen offen zeigen musste. In Aceh ist wie in ganz Indonesien die schafiitische Lehre, eine der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam, vorherrschend. Die schafiitische Rechtsschule gilt als Mittelweg zwischen einem strengen Festhalten an der Tradition und der Sichtweise, dass die Entwicklung neuer Rechtsnormen durch Analogieschlüsse möglich sei. Religiosität ist in Aceh sehr eng mit Rebellion verbunden: Das Sultanat Aceh rebellierte im 17. Jahrhundert gegen die portugiesischen, Ende des 19. Jahrhunderts gegen die niederländischen Kolonialherren. Die Kämpfe wurden als Jihad gegen Ungläubige proklamiert. Außerdem nahmen einige Acehnesen an der Darul Islam-Rebellion teil, die sich in den beiden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit gegen die Zentralregierung Indonesiens richtete. Ziel für die acehnesischen Kämpfer der Darul Islam-Rebellion war es, in Aceh eine islamische Republik zu errichten, deren Grundlagen die Shari´a schaffen sollte. Den jüngsten Unabhängigkeitskampf in Aceh führte die Unabhängigkeitsbewegung Gerakan Aceh Merdeka (Bewegung Freies Aceh, GAM) gegen die Zentralregierung in Jakarta von 1976 bis zum Jahr 2005, als das Memorandum of Understanding mit der indonesischen Regierung unterzeichnet wurde. Dieser DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 33 drei Jahrzehnte anhaltende Konflikt wurde vor allem zu Anfang von der GAM als Fortsetzung der Darul Islam-Bewegung propagiert. In erster Linie ging es aber um größere kulturelle und politische Selbstbestimmung sowie um größere Anteile am Ressourcenreichtum in Aceh. Die Provinz ist eine der reichsten in Indonesien, die Erlöse aus den Gas- und Erdölvorkommen blieben allerdings während der „Neuen Ordnung“ Staatsbetrieben sowie internationalen Wirtschaftsunternehmen vorbehalten. Weiter waren die zahllosen Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, die während der 30 Jahre des Konfliktes durch das indonesische Militär begangen wurden, Grund für den andauernden Widerstand. Einführung der Shari´a und der Versuch der politischen Lösung des Konflikts Entgegen der allgemeinen Vorstellung, die Einführung der Shari´a sei Ausdruck eines religiösen Fundamentalismus, war die Einführung der Shari´a eine Politik der Zentralregierung. Nach dem Sturz Suhartos begannen die Bemühungen der zweiten Nachfolgeregierung unter Abdurrahman Wahid, eine politische Lösung für den Konflikt in Aceh zu finden. Die Einführung der Shari´a war Teil der politischen Verhandlungsstrategie der Zentralregierung, als sich die Spannungen intensivierten: Etliche Menschenrechtsverletzungen traten erst zu Tage, nachdem 1998 der über zehn Jahre andauernde Status der Provinz als militärisches Sondergebiet (Daerah Operasi Militer, DOM) aufgehoben worden war und konnten dann nicht mehr verheimlicht werden. Dennoch fanden weiterhin Morde, Entführungen und Razzien durch das Militär statt und mehr Menschen schlossen sich dem bewaffneten Kampf an. Die Hoffnungen der GAM auf Erfolg steigerten sich nach dem Unabhängigkeits-Referendum in Osttimor. In diesem Kontext war die Einführung der Shari´a ein Bestandteil der Gewährung eines besonderen Status für Aceh. Das Gesetz zum Sonderstatus Acehs von 1999 spricht von der Shari´a als Leitlinie für die Anwendung der islamischen Lehre in allen Lebensbereichen („Syariat Islam adalah tuntutan ajaran Islam dalam semua aspek kehidupan“). Anfang 2002 trat das Sonderautonomiegesetz Nr. 18/2001 in Kraft, welches die Umbenennung Acehs in „Nanggroe Aceh Darussalam“ (Haus des Friedens), mehr Beteiligung an den Gewinnen von Öl- und Gasvorkommen und weitere Maßnahmen zur Anwendung islamischer Gesetze wie die Einrichtung islamischer Gerichte, vorsah. Nach dem Friedensschluss vom 15. August 2005 erließ das indonesische Parlament ein neues Autonomiegesetz (Law on Governing Aceh – LoGA), 34 welches ebenfalls Regelungen zur Anwendung der Shari´a enthält. Seit der Einführung der Shari´a gilt Aceh als Vorbild für andere Provinzen in Indonesien, regionale Gesetze einzuführen, die von der Shari´a inspiriert sind. Während weder große Teile der Bevölkerung noch die GAM die Einführung der Shari´a gefordert hatten, beruhte deren Einführung auf dem politischen Willen der Zentralregierung in Jakarta und der politischen Elite Acehs: Es wurde nach einer Strategie gesucht, die Bevölkerung Acehs zu besänftigen, die nach jahrzehntelanger Unsicherheit, nach Menschenrechtsverletzungen und nach ökonomischer Ausbeutung sehr verbittert war und deren kulturell-religiösen Besonderheiten man – scheinbar – entgegen kommen wollte. In Kreisen der Zentralregierung herrschte außerdem der Glaube vor, dass die Shari´a eines der Mobilisierungsventile der GAM blockieren würde, und dass durch die Einführung der Shari´a das öffentliche Vertrauen in die Zentralregierung wieder hergestellt werden würde. Gleichzeitig stieß die Einführung der Shari´a durchaus auf die Akzeptanz der Bevölkerung, insbesondere bei Teilen der islamischen Gelehrten und bei einigen „modernistischen“ Muslimen aus dem städtischen Raum. Tatsächlich bedeutete die Einführung der Shari´a die Errichtung von Verwaltungsstrukturen, wo das nationale Rechtssystem in der Folge des Krieges lahm gelegt war. Der Hauptgrund für das Wohlwollen gegenüber der Shari´a in der Bevölkerung ist der, dass mit ihrer Einführung viele Erwartungen verbunden waren, Hoffnungen, dass soziale Probleme gelöst werden würden und dass sie eine gleichberechtigte Gesellschaft ohne Ausbeutung und Korruption schaffen würde. Als sich der Konflikt zwischen 2000 und 2004 verschlimmerte und schließlich die damalige Präsidentin Megawati Sukarnoputri das Kriegsrecht ausrief, war das Militär daran interessiert, sich für die Umsetzung der Shari´a einzusetzen, um sie als Bollwerk gegen die Unabhängigkeitsbewegung zu nutzen. Dagegen war die Position der Befreiungsbewegung GAM zur Shari´a eine ambivalente: Die GAM ist eher eine nationalistische als eine religiöse Bewegung. Die Führung der GAM stand der Einführung des islamischen Rechts abweisend gegenüber. Die Variante, dass die Shari´a von der Regierung eingeführt würde, lehnte die GAM ab. Wenn, dann sollte die Bevölkerung per Abstimmung selbst darüber entscheiden können, ob sie die Shari´a wolle oder nicht, so verlautete es aus Kreisen der GAM. Die Bewegung lehnte das Zugeständnis der Zentralregierung ab, weil es dazu dienen konnte, die Widerstandsbewegung als fundamentalistisch zu kriminalisieren. Der historische Kontext der Einführung der Shari´a ist für das Verhältnis von Religion und Politik in Indonesien im Allgemeinen wichtig: Die Instrumentalisierung von Religion ist als Mittel der Politik häufig zu finden. Umsetzung der Shari´a in Aceh und ihre Bedeutung für den Alltag der Menschen in Aceh Um die Jahrtausendwende sahen sich islamische Gelehrte und die Bürokratie mit einer ganz neuen Situation konfrontiert: Nachdem Aceh einen Sonderautonomiestatuts bekommen hatte und grünes Licht für die Einführung der Shari´a gegeben war, wurde plötzlich etwas möglich, was vorher im PancasilaStaat Indonesien undenkbar gewesen war. Die Vertreter der Verwaltung in Aceh hatten schwierige Entscheidungen zu treffen: Welche Aspekte der Shari´a sollten zuerst in Kraft treten? Sollten bestehende Institutionen wie die Polizei oder Gerichte beibehalten werden oder neue Strukturen geschaffen werden? Wie sollten Verstöße gegen das islamische Recht bestraft werden? Schließlich wurde eine Reihe neuer Institutionen geschaffen und somit auch eine Bürokratie, die dafür zuständig ist, Regelungen zu formulieren und für die Umsetzung der Shari´a zu sorgen. Darunter fallen die Errichtung von Shari´a-Ämtern (Dinas Syariat), ein beratender Ulama-Rat (Majelis Permusyawaratan Ulama) und die Einrichtung von Shari´a-Gerichten. Vertreter der Bürokratie haben sich vor allem anfangs bemüht, sich von einer extremistischen oder salafistischen Position zu distanzieren. Unter den muslimischen Gelehrten und in der Bürokratie gab es eine intensive Diskussion darum, wie die Shari´a einzuführen sei. Es wurden Gesetze erlassen, die das Alltagsleben der Acehnesen tangieren. Zunächst wurden Gesetze zur Kleiderordnung erlassen, der Konsum von Alkohol wurde verboten und Gesetze traten in Kraft, die unerlaubte Beziehungen zwischen Männern und Frauen unter Strafe stellen. Die Handhabung letzterer Regelung bedeutet, dass sich zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts, die nicht miteinander verheiratet sind, nirgendwo alleine aufhalten dürfen. Die Geschichten häufen sich von verhafteten unverheirateten Pärchen, die zum Beispiel händchenhaltend am Strand „erwischt“ wurden. Langsam wurde die Anwendung der Shari´a auf neue Rechtsgebiete ausgeweitet, das heißt insbesondere auch auf die Bestrafung von Gesetzesbruch. Im Rahmen des Autonomiegesetzes und seiner Erneuerungen wurde in Aceh eine unabhängige Strafgesetzgebung erlaubt, so dass seit dem Jahr 2005 für Vergehen, die dem Koran entsprechend nach der sogenannten Hudud (oder Hadd) zu ahnden sind, die Prügelstrafe angewendet wird. Diese Strafen werden für Straftatbestände verhängt, die gegen die „Rechte Gottes“ verstoßen. Im Koran handelt es sich dabei um die Bestrafung von Unzucht, Verleumdung, Alkoholkonsum, Diebstahl und Raub. Zu den Strafmaßen gehören die öffentliche Prügelstrafe oder auch die Amputation der Hände, eine Strafe für Diebstahl, die in Aceh nicht angewendet wird. Der Einführung der Prügelstrafe ging in Aceh eine Diskussion unter den islamischen Gelehrten voraus, wie diese Strafe auf humanere Art und Weise ausgeführt werden könnte. Die Praxis in Malaysia, Pakistan oder Singapur – wo die Prügelstrafe angewendet wird, ohne dass sich dortige Gesetze auf den Islam beziehen – wurde gerade nicht als Vorbild gesehen. Nichtsdestotrotz kritisieren Menschenrechtsorganisationen die Prügelstrafe als eine Verletzung der Menschenwürde: Gewöhnlich finden Prügelstrafen, die wegen Verstößen gegen das Verbot von Alkoholkonsum, von Glücksspielen und von außerehelichen Beziehungen ausgesprochen werden, öffentlich zum Freitagsgebet statt. Sie bedeuten die Ächtung der ganzen Familie und haben eine stark moralisierende Funktion. Kritiker verweisen darauf, dass nur die finanziell minder bemittelten Schichten der Bevölkerung die Prügelstrafe befürchten müssen. Wohlhabendere Leute können sich davon freikaufen, wenn denn überhaupt ein Verfahren gegen sie eröffnet werden sollte. Verantwortlich für die Formulierung von Shari´aGesetzen oder Qanuns, wie die regionalen Gesetze in Aceh genannt werden, ist das Provinzparlament. Es wird von den religiösen Gelehrten und der religiösen Bürokratie beraten. Weil es den Abgeordneten des Provinzparlaments an Expertise und Fachkompetenz in religiösem Recht fehlt, nehmen Institutionen wie das Shari´a-Amt und die religiösen Gelehrten eine kritische Rolle ein. Was das Zustandekommen der Shari´a-Gesetze betrifft, so wird oft die fehlende Transparenz bemängelt. Höchst umstritten ist schließlich die Frage nach den Akteuren, die die Shari´a umsetzen. Dafür gibt es in Aceh die Shari´a-Polizei, genannt Wilayatul Hisbah, für die Malaysia und Saudi-Arabien Modell standen. Die Shari´a-Polizei kontrolliert das Alltagsleben: sie bewacht Friseursalons, Bekleidungsgeschäfte, führt Razzien durch und hat die Kompetenz, Leute festzunehmen. Die Mitglieder dieser Institution sind äußerst unpopulär und dazu schlecht ausgebildet. Mit der Schaffung der Shari´a-Polizei hat sich eine bürokratische Eigendynamik entwickelt, da es im Interesse der Wilayatul Hisbah liegt, ihre Autorität zu vergrößern, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Die Arbeitsteilung mit der staatlichen Polizei ist dabei unklar und sehr problematisch, denn während die Shari´a-Polizei versucht, ihre Autorität auszuweiten, DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 35 ist die reguläre Polizei bereits mit ihren eigenen Bereichen überfordert. Schließlich ermutigt die Praxis der Shari´a-Polizei Bürgerinnen und Bürger zum Denunziantentum und zur Selbstjustiz. Es bildeten sich muslimische konservative Vereinigungen, die die Umsetzung der Shari´a selbst in die Hand nehmen und zum Beispiel unter dem Namen „Anti-ViceTeam“ eigens Verhaftungen vornehmen oder bei Musikkonzerten für die räumliche Trennung von Männern und Frauen sorgen. Die Umsetzung der Shari´a folgt also einer bestimmten Eigendynamik in Form der Bürokratisierung und einer zunehmenden Selbstjustiz. Frauenrechtlerinnen, mit denen Watch Indonesia! in Kontakt steht, sprechen davon, dass die Situation in Aceh anarchisch geworden sei. Auf der institutionellen Ebene sollen bestimmte Shari´a-Gesetze ausgeweitet werden und die Shari´a-Polizei soll noch mehr Kompetenzen erhalten. Die Umsetzung der Shari´a in der innermuslimischen Diskussion In Aceh stößt die Shari´a auf Kritik. Kritik zu üben bedeutet aber, heftigen Anschuldigungen ausgesetzt zu sein, das heißt Anschuldigungen, die in eine islamische Rhetorik gepackt werden: Insbesondere Frauen, die die Shari´a-Praxis in Aceh kritisieren, werden als Ungläubige, als unislamisch oder westlich bezeichnet. Die Kritik an der Shari´a setzt daran an, dass die Hoffnungen, die mit ihrer Einführung verbunden waren, bei der Umsetzung nicht erfüllt wurden. Die NGO-Partner von Watch Indonesia! sagen, dass die Zivilgesellschaft nicht die Shari´a, sondern den Rückzug des Militärs, die Bestrafung der Täter von Gewaltakten und Gerechtigkeit für die Opfer gefordert habe. Viele Menschen stellen sich außerdem die Frage: Warum gibt es kein Shari´a-Gesetz gegen Korruption oder für Gerechtigkeit? Anzumerken ist, dass den Menschen ein Stück ihrer Tradition, die nicht allein muslimisch ist, durch die Einführung der Shari´a genommen wird. In vielen Gegenden Acehs wird traditionell zum Beispiel kein Kopftuch getragen. Es wird mit Besorgnis betrachtet, dass ein „arabisierter“ Islam, wie die Menschen ihn dort nennen, radikalere Kräfte fördern könnte und etwa eine rigidere Ausführung der Hudud-Strafen zur Folge haben könnte. Die Kritik der Menschen setzt also meistens an der Umsetzung der Shari´a an und greift die Shari´a an sich nicht an. Die heftigen Reaktionen den Kritikern gegenüber lassen das auch gar nicht zu. Die Grund- 36 aussage ist: Die Shari´a hat mehr Probleme geschaffen als sie zu lösen vermochte. Im Dezember 2006 wurde ein neuer Gouverneur, Irwandi Yusuf, der frühere Sprecher der GAM, gewählt. Er distanziert sich von einer orthodoxen Rhetorik und verspricht eine humane Ausgestaltung der Shari´a. Seine Interessen sind auch wirtschaftliche; Investoren sollen nicht abgeschreckt werden. Dies zeigt: Unterschiedliche Interessen sind am Werk, die Shari´a dient Politikern häufig zu populistischen Zwecken. Leben von Minderheiten in Aceh im Kontext der Einführung der Shari´a: Christen in Aceh Die Partnerinnen und Partner von Watch Indonesia! aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich sagen, dass die Frage der Beziehungen zwischen den Religionen in Aceh wenig relevant sei. Vielmehr sei darauf aufmerksam zu machen, dass die Opfer der Shari´a die Muslime selbst seien, insbesondere Frauen und Arme. Entgegen diesem Bild werden in anderen Teilen Vorstellungen der Diskriminierung von Christen in Aceh geschürt. In vielen christlichen Gemeinden kursieren Erzählungen, dass der Tsunami Strafe Gottes für das Verbot gegenüber den Christen in Aceh gewesen sei, Weinachten zu feiern. Die Sicht der Christinnen und Christen, die in der Region arbeiten, weichen jedoch nicht so sehr von denen unserer Partnerinnen und Partner ab: Christinnen und Christen in Aceh können durchaus ihre Gottesdienste feiern. In Banda Aceh gibt es vier Kirchen, auffällige Gebäude, mit denen die meisten Muslime offensichtlich kein Problem haben. Prinzipiell gilt die Shari´a nicht für Nicht-Muslime. Etwa gilt die Kleiderordnung nur für Muslime. In der Praxis bedeutet die Shari´a aber, dass sich die gesamte Gesellschaft in Aceh an die neuen Regeln anpassen muss. Es gibt Fälle, in denen Christinnen festgenommen wurden, weil sie kein Kopftuch trugen, aber auf Anhieb nicht als Christinnen erkannt wurden. Das bedeutet, dass sie stets dazu angehalten sind, sich ausweisen zu können. Zurzeit wird eine Diskussion geführt, dass bestimmte Shari´a-Gesetze auch für Nicht-Muslime und für die Militärs in Aceh gelten sollen. Die Nahdlatul Ulama argumentiert damit, dass nur so Rechtsgleichheit vorherrsche. Christinnen und Christen sind im sozialen Leben integriert, also in der Schule oder im Arbeitsleben. Manche Christen arbeiten für die Regierung und sind teilweise auch als Lehrkräfte tätig. Seit 2002 müssen Frauen, die in der Verwaltung arbeiten, den Jilbab tragen. Eine menschlichere Gestaltung der Shari´a Die Frage der Beziehungen zwischen den Religionen scheint für die Menschen in Aceh weniger besorgniserregend zu sein als die Verletzung der Menschenrechte von Muslimen und Muslima durch die Praxis der Shari´a in Aceh. Die Christen in Aceh stellen eine sehr kleine Minderheit dar. Wissentlich werden sie nicht unterdrückt, aber als Minderheit werden sie bei der Aufstellung von Maßstäben übersehen. Dass sie keine absichtliche Diskriminierung erfahren, kann die Chance in sich bergen, dass die Christen in Aceh ihre Rechte als Minderheit auf selbstbewusste Art und Weise einfordern. Die Frage danach, wer Acehnesin oder Acehnese ist, müsste neu gestellt werden und inklusivere Konzepte müssten gefunden werden. Christen müssten Teil dieser acehnesischen Identität sein. Das Bewusstsein für eine multikulturelle Identität ist nichts Neues in Aceh: Nicht wenige Acehnesen erzählen stolz davon, dass der Name Aceh gleichsam als Abkürzung für Araber, Chinesen, Europäer und Hindus zu lesen sei. Eine multikulturelle Identität hieße in der Konsequenz, dass rechtliche Regelungen überprüft werden müssten, die sich de facto nur auf die Mehrheitsgesellschaft der Muslime beziehen. Unter vielen Muslimen wird eine Verbesserung der Menschenrechtslage insbesondere durch eine humanere Gestaltung der Shari´a erhofft, durch ein ethisch fundiertes und weniger doktrinäres Verständnis der Shari´a und durch mehr Interpretationsspielraum. Dabei wird die Verhältnismäßigkeit der Mittel angemahnt. Die Menschen fordern Gerechtigkeit, das bedeutet die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Entschädigung der Opfer des Konflikts und die rechtliche Verfolgung der Täter von Menschenrechtsverletzungen. Mit Shari´a oder ohne. Kinder in Aceh (Foto: Watch Indonesia! / Sven Hansen) DOKUMENTATIONSBRIEF INDONESIEN 1/2008 WWW.EMS-ONLINE.ORG 37 IMPRESSUM EMS-Dokumentationsbrief Nr. 1/2008: „Das andere muslimische Land – Zum Verhältnis der Religionen in Indonesien“ Indonesientagung des EMS 23.-25.11.2007 in Stuttgart Herausgegeben vom Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland e.V. Redaktion: Christine Grötzinger, David Tulaar Vogelsangstr. 62, 70197 Stuttgart, Deutschland Tel: 0711 636 78 -0; Fax: 0711 636 78 -45 Mail: [email protected] Internet: www.ems-online.org Bankverbindung: Ev. Kreditgenossenschaft Stuttgart, Konto Nr. 124, BLZ 520 604 10