1 COPYRIGHT: COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darfEs ohne Genehmigung nicht verwertet Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne Genehmigung nicht werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Kultur benutzt darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 30. Oktober 2008 Redaktion: Peter Kirsten Recycling statt Recherche? Wie PR-Agenturen und Internet Journalismus verändern Von Michael Schornstheimer Intro: Take: Geräusch Akzent: Regie: O-Ton Take: 1 Ownership of the media has moved from old familiy firms in the hand of big corporations. Those corporations want to make money. Sprecher Nick Davies: Die Massenmedien haben die Besitzer gewechselt. Von traditionellen Familienbetrieben sind sie in die Hände von großen Konzernen gekommen. Und die wollen Geldverdienen. Take: Geräusch Akzent: 2 Regie: O-Ton Take: 2 Roughly the same number of journalist are employed now as 20 years ago but roughly they are producing 3 times as much material Sprecher Justin Lewis: Heute gibt es genauso viele Journalisten wie vor 20 Jahren aber sie produzieren dreimal soviel Material Take: Geräusch Akzent: Regie: O-Ton Take: Machill: 095 Bei der Benutzung von InternetQuellen ist uns insbesondere aufgefallen, dass Journalisten in aller erster Linie das anschauen, was bereits andere Journalisten produziert haben im Netz. Take: Geräusch Akzent: Regie: O-Ton Take: 3 It's like junkfood, it fills us up, it makes us feel good, but at the end of the day, it's bad news for our health and for the health of democracy Sprecher Bob Franklin: Es ist wie mit Junkfood, es füllt unseren Bauch und sättigt uns erst mal, aber gesund ist es nicht, weder für unsere Gesundheit noch für die Demokratie. Autor: Die britischen Medien - allen voran die ehrwürdige BBC galten lange weltweit als Vorreiter eines gründlichen, zuverlässigen Journalismus... Sprecher (im Nachrichtenton): "London: Ein englischer Fußball-Fan kann bei der Weltmeisterschaft zum Millionär werden - aber nur im 3 doppelten Schadensfall. Scheiden die Engländer bereits in der Vorrunde aus und erleidet der selbst ernannte Patriot dadurch ein Psychotrauma, bekommt Paul Hucker eine Million Pfund von einer Versicherung. Die Police für diesen ungewöhnlichen Deal war ihm 105 Pfund wert." Autor: Diese Meldung stammt von der internationalen Presseagentur Press Association. Sie erschien in Lokalzeitungen, im überregionalen Daily Telegraph und kam auf die Webseiten des Guardian, der Daily Mail und der Times. Die Radiostationen griffen die Meldung auf und auch die Fernsehsender BBC, ITV und Sky. Schließlich übernahmen die US-amerikanischen Agenturen UPI und AP die Nachricht und schickten sie um den Erdball: Nach Indien, Neuseeland, Kanada, Indonesien und China. Die Deutsche Presseagentur DPA meldete die Geschichte am 3. Mai um 19 Uhr 36. Allerdings: erstens war sie alt und zweitens falsch. Hinter Mr. Hucker verbarg sich ein Marketing-Direktor für Versicherungen. Das Ganze war ein gut eingefädelter PR-Gag. "Nachrichten von der Erdscheibe", nennt der britische Journalist Nick Davies in seinem gleichnamigen Buch solche Meldungen. Regie: O-Ton Take: 262 Nick Davies darauf spricht Sprecher Davies: In den Nachrichtenredaktionen herrscht eine permanente Aufregung, dass die Konkurrenz sie schlagen könnte. Das führt zu einer defensiven Nachrichtenauswahl. So wird ein verantwortlicher Redakteur sagen, die BBC oder die Abendzeitung hatte die Geschichte, also muss ich sie auch bringen. Dann bin ich sicher, und keiner kann sich beschweren, dass ich einen Fehler gemacht habe, diese Story nicht zu bringen. Das ist besser, als sie nicht gebracht zu haben, mit dem Risiko, dafür kritisiert zu werden. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Die Ente über den möglichen Fußballmillionär mag man noch für amüsant und harmlos halten. Aber wie sieht es aus mit dem sogenannten Jahr-Zweitausend-Problem, das seinerzeit Millionen von 4 Computer-Besitzer so sehr verunsicherte, dass sie insgesamt Milliarden von Euro und Dollar investierten, um von ihren Rechnern Gefahren abzuwenden, die gar nicht bestanden? Oder was ist mit der Legende über die irakischen Massenvernichtungswaffen, die sich schließlich als Propagandatrick der US-Geheimdienste entpuppte? Auch diese Falschmeldung trugen seriöse und weniger seriöse Journalisten um die Welt: Regie: O-Ton Take: Nick Davies 007 darauf spricht Sprecher Davies: Kurz nach der Invasion im Irak wachten die Medien auf und bemerkten, das die berühmten Massenvernichtungswaffen gar nicht existierten. Und sie begannen eine Debatte darüber. Ich fand es frustrierend, dass sie die vorangegangene Desinformation nur als ein Problem der Regierungen und der Geheimdienste behandelten. Denn die Medien waren doch genauso darin verwickelt. Und ich sagte mir, das kann doch nicht in Ordnung sein, dass wir uns selbst nicht genauso kritisch prüfen wie wir üblicherweise Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur kritisch analysieren. Warum also haben wir das mit den Massenvernichtungswaffen nicht durchschaut? Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Nick Davies kritisiert nicht, dass Fehler passieren. Fehler sind menschlich. Er fragte sich jedoch, ob solche Fehler im System liegen könnten. Schließlich hat sich die britische Presselandschaft in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert: Die legendäre Times wurde vom australischen Medienmogul Rupert Murdoch aufgekauft. Der berühmte Observer wechselte mehrfach den Besitzer, ebenso wie die Yorkshire Post. Alte Verlegerfamilien gaben auf und verkauften an multinationale Medienkonzerne... Regie: O-Ton Take: Nick Davies 173 darauf spricht Sprecher Davies: Diese Unternehmen wollen Geld verdienen. Das eine, was sie machen: sie kürzen die Etats. Und gleichzeitig erhöhen sie die Produktion. Die Zeitungen werden dicker 5 und bekommen mehr Beilagen. Radio und Fernsehen senden 24 Stunden. Und das hat schlicht zu Folge, dass die Journalisten plötzlich viel weniger Zeit für ihre Geschichten haben. Sie können weniger rausgehen, Kontakte knüpfen, recherchieren... Und so werden sie gezwungen, immer mehr ungeprüftes Material zu verwenden, von Nachrichtenagenturen und von den Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit. Und wenn sie aus diesem Material ihre Stücke schreiben, fällt ihnen oft gar nicht auf, dass die gleiche ökonomische Logik, der sie die Kürzung ihrer Etats verdanken, auch auf ihre Themenwahl abfärbt. Also: die journalistische Logik wird unterminiert von der Logik des Marktes. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Diese Hypothese sollte ein Forschungsteam am Institut für Journalismus der Cardiff University empirisch überprüfen. Und zwar ausschließlich am Beispiel des britischen Qualitätsjournalismus: Die Wissenschaftler wählten zwei Nachrichten-Wochen im März und April 2006 aus und archivierten alle Berichte der Zeitungen Guardian, Independent, Times, Telegraph und Daily Mail, sowie ausgewählte Radio- und Fernsehsendungen von BBC und ITV. Gleichzeitig sammelten sie im Newsroom des Guardian alle eingehenden Meldungen der Presseagenturen sowie die Presseerklärungen aus den Büros für Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Verwaltung, von Wirtschaft, Industrie und Handel. Außerdem Briefe, Faxe und Drucksachen. So entstand eine Materialbasis für die detektivische Spurensuche, erklärt der Dekan der "Cardiff School of Journalism, Media and Cultural Studies", Justin Lewis: Regie: O-Ton Take: 132 Justin Lewis darauf spricht Sprecher Lewis: Außerdem schauten wir uns das Arbeitspensum von Journalisten an. Den Durchschnitt von Seiten, die sie in den 20 Jahren produziert hatten. Und dabei kam etwas ganz Erstaunliches heraus: Obwohl die Anzahl der beschäftigten Journalisten ungefähr gleich blieb, produzierten sie ungefähr drei Mal so viele Artikel. Der Output von Meldungen und Berichten hat sich verdreifacht. 6 Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Weil die Zeitungen auch am Wochenende erscheinen, dicker geworden sind und mehr Sonderbeilagen haben. Wenn also genauso viele Journalisten dreimal so viele Geschichten produzieren wie noch vor 20 Jahren, kann das nur heißen, dass sie mehr vorgefertigte Nachrichten aufbereiten und weiterverarbeiten, statt sie wirklich zu sammeln und zu schreiben, erläutert Professor Bob Franklin: Regie: O-Ton Take: Bob Franklin 444 darauf spricht Sprecher Franklin: Wenn man sich eine Presseerklärung anschaut und die dazugehörige Geschichte, fällt einem bei kurzen Geschichten oft auf, dass sie nahezu identisch ist, bis in die kleinsten Formulierungen. In einem größeren Artikel findet man ein Flickwerk. Einige Sätze stammen wortwörtlich aus der Presseerklärung, dazu kommt ein eigener Kommentar, vielleicht noch eine ergänzende Position. So gibt es eine fließende Skala von völlig abgeschrieben bis ganz unabhängig. Und was uns überrascht hat, wie viele Artikel sich letztlich ausschließlich oder fast ausschließlich auf das Material der Presseagenturen und PR-Büros verlassen. Viele schreiben einfach den Namen eines Journalisten drüber und behaupten damit, ein eigenes Produkt zu präsentieren. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Das Prinzip des Marktes und der Wirtschaftlichkeit erzeugt eine Verwertungskette: Die PR-Büros füttern die Nachrichtenagenturen mit Informationen. Die Nachrichtenagenturen produzieren Meldungen für die Medien. Die Medien basteln daraus Geschichten für die Endverbraucher, so Bob Franklin: Regie: O-Ton Take: 370 Bob Franklin: darauf spricht Sprecher Franklin: Medien kaufen Nachrichten. Sie zahlen bar. Es ist ein Handel. (...) Eine Zeitung sagt, wir haben nicht genug eigene Vollzeitjournalisten, also kaufen wir uns Nachrichten dazu von einer Presseagentur. Die Meldungen allerdings, die von den Agenturen der Öffentlichkeitsarbeit kommen, sind kostenlos. Aber beide arbeiten ähnlich. Einmal kostet es was, einmal ist es gratis. Wir haben hier Presseagenturen, die verkaufen 7 komplett montierte Seiten, 150 Pfund für eine ganze Nachrichtenseite. Oben setzt man einfach nur noch den Namen der Zeitung ein. Die Cardiff Post, der Halifax Kurier, der Dundee Observer, und wie sie alle heißen. Nachrichten sind ein käufliches Produkt geworden. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Presseagenturen sind billig. Kostenlos sind die Verlautbarungen und Erklärungen der PR-Büros. Hinter Nachrichten aus Medizin und Gesundheit beispielsweise verbirgt sich oft das Pressedossier eines Pharmakonzerns. Die Agentur schreibt darüber eine Meldung, die über den Ticker läuft. Und der Nachrichtenredakteur wittert eine Story, sagt Nick Davies: Regie: O-Ton Take: Nick Davies 420 darauf spricht Sprecher Davies: Und Sie machen zum Beispiel den Fernseher an und sehen eine Frau, die im Interview sagt, ich bin sehr, sehr krank. Es könnte mir besser gehen, wenn die Gesundheitsbehörde das neue Medikament endlich zulassen würde. Und Sie denken, die arme Frau. Aber dabei fällt Ihnen gar nicht auf, dass diese Patientin zu einer Gruppe gehört, die von einer PRAgentur der betreffenden Pharmafirma eingekauft und bezahlt wurde, mit dem Ziel, Druck für die Zulassung ihres Medikaments zu machen. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Fast jedes zweite Thema, das in der Presse auftaucht, wurde ursprünglich von einem PR-Büro angestoßen, das ist ein Ergebnis der Cardiff-Studie. Es betrifft Unterhaltung genauso wie Sport, Gesundheit, Wirtschaft und Politik. Wie das im Einzelfall laufen kann, hat Bob Franklin von befreundeten Journalisten erfahren: Regie: O-Ton Take: Bob Franklin 615 How they where rang up … darauf spricht Sprecher Franklin: Die wurden kurzfristig aus dem Büro von Tony Blair angerufen: "wollt Ihr ein Exklusiv-Interview? Wenn nicht, macht es ITV, oder BBC. Die Seite 2 vom Observer können wir auch bekommen. Uns ist aber die Titelseite der Sunday-Times lieber... " Und wie wir wissen, basiert Journalismus auf Konkurrenz. Jeder will und muss die Exklusivgeschichte haben. Und wenn Du sie 8 nicht bekommst, musst Du deinem Chef erklären, warum Du sie nicht bekommen hast. Undenkbar. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Die Wissenschaftler in Cardiff haben detailliert untersucht, aus welchen Quellen das PR-Material stammt, unterteilt in Wirtschaft, Regierung, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen. Am aktivsten sind Wirtschaftsunternehmen, dicht gefolgt von der Regierung. Nichtregierungsorganisationen und Wohltätigkeitsvereine produzieren sehr viel weniger Pressematerial legt Justin Lewis dar. Regie: O-Ton Take: Justin Lewis 555 darauf spricht Sprecher Lewis: Die wirklich gewichtigen Stimmen kommen aus der Wirtschaft und der Politik. Die haben natürlich auch viel mehr Geld dafür, insofern überrascht das nicht. Man könnte auch sagen, das ist in Ordnung, dass diese Gruppen am meisten Material für die Öffentlichkeit produzieren. Was wir allerdings beunruhigend finden, ist das gesellschaftliche Ungleichgewicht, dass dadurch entsteht. Die Stimmen aus der Wirtschaft tönen zum Beispiel viel lauter als die der Umweltschützer. Die Regierungsstimmen sind lauter als die kritischen Stimmen. Das ist ein Teil des Problems. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Die Büros für Öffentlichkeitsarbeit sind extrem erfolgreich darin, ihre Verlautbarungen unter die Journalisten zu bringen. Sie regen Themen an und leisten damit einen Beitrag zur öffentlichen Debatte. So harmlos neutral beschreiben sie gern selbst ihre Rolle. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, meint Bob Franklin: Denn die machtvollen Stimmen beherrschten die gesellschaftliche Diskussion und die anderen blieben schwach: Regie: O-Ton Take: Bob Franklin: 523 darauf spricht Sprecher Franklin: Im Vereinigten Königreich gibt es inzwischen viel mehr PR-Leute als noch vor kurzem. Ein Bericht aus 9 dem Jahr 2007 kalkuliert, dass 55 Tausend Fachkräfte in der PRIndustrie beschäftigt sind. Es ist sehr schwierig, die Zahl der Journalisten zuverlässig zu schätzen, aber nach meiner Meinung sind es etwa 47 Tausend bis 52 Tausend. Als ich vor vielen Jahren meine ersten Berechnungen dazu angestellt habe, habe ich veranschlagt, dass es etwa doppelt so viele Journalisten gibt wie PR-Mitarbeiter. Inzwischen sind es ungefähr gleichviel, wenn nicht sogar etwas weniger. Und das passiert vermutlich überall. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Die Studie kommt zu folgendem Schluss: Über Dreiviertel, nämlich 80 Prozent aller Meldungen und Berichte recyceln die britischen Medien aus dem Material von Presseagenturen und PR-Büros. Bei weiteren 8% ist die Herkunft des Materials unsicher. Und nur bei gut jeder 10. Story, d.h. bei 12%, steckt ausschließlich eigene Recherche dahinter. Wohlgemerkt: untersucht wurden allein die Flaggschiffe des britischen Qualitätsjournalismus, erinnert Bob Franklin: Regie: O-Ton Take: 402 Bob Franklin darauf spricht Sprecher Franklin: Besonders auffällig ist diese Entwicklung ja bei der Auslandsberichterstattung. Die Anzahl von Auslandkorrespondenten ist drastisch zurückgegangen. Es gibt einen Agentur-Reporter, der in Basra sitzt, und fast alle Zeitungen mit den gleichen Geschichten beliefert. Und das gleiche passiert auch bei anderen Ressorts. Man hat nicht mehr 6 Journalisten von sechs Blättern im selben Gerichtsraum oder Parlament sitzen, sondern es gibt einen. Und hier in Großbritannien ist Press Association die führende Agentur. Ein Reporter schreibt und das kostet den Bruchteil eines unabhängigen Berichtes. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Weniger Vielfalt. Mehr Gleichförmigkeit. Nicht nur durch die zunehmende Abhängigkeit von Agenturen und PR, sondern auch durch andere Arbeitstechniken: Diesen Aspekt hat eine Gruppe an der Universität Leipzig in den Blick genommen: "Journalistische 10 Recherche im Internet", heißt die von der Landesanstalt für Medien, Nordrhein-Westfalen, in Auftrag gegebene Studie. Längst haben Suchmaschinen den journalistischen Recherchealltag drastisch verändert, kann die Studie belegen. Etwa die Hälfte der täglichen Recherchezeit geht bereits für Online-Recherche drauf. Wie die Freizeit-Surfer, die im Netz nach Billigflügen stöbern, benutzten aber auch die meisten Journalisten vor allem Google als Suchmaschine, sagt Marcel Machill, Professor für Journalistik an der Uni Leipzig: Regie: O-Ton Take: B 072 Ganz wichtig sind Suchmaschinen bei dem Rechercheschritt "Zusatzquellen ermitteln". Das heißt, dann, wenn Journalisten über das Material hinausgehen wollen, was sie beispielsweise über eine Pressemitteilung hineinbekommen haben, dann spielen Suchmaschinen eine besonders wichtige Rolle. Und dort entfalten sie ihre besondere Kanalisierungswirkung, denn wer dann vorne gelistet ist als Experte, der hat größere Chancen, anschließend dann von Journalisten interviewt zu werden. Autor: Viele Journalisten wissen zwar, dass das Ranking auf den Seiten der Suchmaschine mit allerlei Tricks zu beeinflussen ist. Aber unter dem Zeitdruck muss die Skepsis oft zurücktreten. Bestenfalls ist Zeit, um zehn, maximal 20 Einträge anzuschauen. Die im Ton sehr zurückhaltend formulierte Studie spricht deshalb mehrfach von der "Googleisierung" der Recherche. Die 10 wichtigsten Internetseiten für Journalisten sind außer Google, der Suchmaschine Yahoo und der Enzyklopädie Wikipedia ausschließlich andere online-Medien von Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. "Journalisten beobachten Journalisten". "Selbstreferentialität" nennt das Marcel Machill vornehm. 11 Regie: O-Ton Take: 095 Bei der Benutzung von Internetquellen ist uns insbesondere aufgefallen, dass eben Journalisten in aller erste Line das anschauen, was andere Journalisten bereits produziert haben, im Netz. Wir haben beispielsweise nach den 10 wichtigsten Internetseiten für Journalisten gefragt. Darunter ist google, darunter sind yahoo, und ansonsten sind dort die anderen redaktionell gestalteten Medien, wie Spiegel, wie Welt de, wie tagesschau de. Das heißt, was man früher auch schon kannte, das es Leitmedien gibt, das wird im Internetzeitalter aber noch potenziert, weil es das Internet so einfach macht, mal schnell nachzuschauen, was die Kollegen gemacht haben. Autor: Es hat schon immer zum journalistischen Handwerk gehört, morgens vor der Konferenz die Blätter der Konkurrenz durchzusehen und sich von deren Themensetzung inspirieren zu lassen. Daran ist nichts Verwerfliches. Bei der online-Lektüre können jedoch ganze Sätze und Blöcke mit einem Mausklick sekundenschnell ins eigene Worddokument kopiert werden. Aus "Inspirieren" wird auf diese Weise leicht "Abschreiben". Inklusive aller Fehler: Denn ist ein Thema erst einmal gefunden und als relevant bewertet, werden Quellen und bereits vorhandene Informationen kaum noch überprüft. Manchmal aus Bequemlichkeit, vor allem aber, weil Arbeitspensum und Zeitdruck deutlich gestiegen sind. Die Leipziger Untersuchung besteht aus drei Teilen: Absolventen des Studiengangs haben Journalisten in ihrem Arbeitsalltag begleitet und mit Stoppuhr und Strichlisten beobachtet. Eine weitere Gruppe wurde mit Fragebögen interviewt, und eine dritte Journalistengruppe hatte Rechercheaufgaben am Rechner zu lösen. An der Studie haben 48 Zeitungs- Rundfunk- und Onlinejournalisten unterschiedlichen Alters mitgewirkt, erläutert Marcel Machill. Regie: O-Ton Take: 154 Wir haben beispielsweise in einem Experiment Journalisten darum gebeten, Fakten mittels Google zu recherchieren und wir haben dort festgestellt, dass entgegen der Klischees nicht 12 die jüngeren Kollegen mehr Erfolg haben, weil sie sich ja so im Cyberspace auskennen, sondern dass ganz im Gegenteil die älteren Kollegen mit mehr Berufserfahrung den größeren Recherche-Erfolg hatten. Das lag daran, dass die Älteren mehr in die Tiefe recherchiert haben. Also nicht wie wild herumgeklickt haben, sondern sich tatsächlich eine Suchstrategie überlegt haben. Und dann effizient dazu Suchmaschinen eingesetzt haben. Das ist auch ein wichtiges Ergebnis dieser Studie, dass es die Kombination ist, aus inhaltlicher Strategie und der rein technischen Suchmaschinenkompetenz. Wenn dies zusammenkommt, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man auch Erfolg hat. Autor: Marcel Machill in Leipzig und Bob Franklin in Cardiff bilden eine neue Generation von Journalisten aus. Viele ihrer Studenten träumen davon, einmal wie Bob Woodward ein neues Watergate zu enthüllen. Bei ihrer Ausbildung lernen sie noch das Handwerk von Reportage und Interview, gehen raus, zu Gerichtsverhandlungen und Parlamentsdebatten. Aber die Wirklichkeit des Internet-Zeitalters sieht anders aus, fürchtet Bob Franklin: Regie: O-Ton Take: Bob Franklin 202 darauf spricht Sprecher Franklin: Sie werden nie von einer Zeitung beauftragt werden, das zu tun. Denn die Behörden geben ja eine Presseerklärung raus, und mit einem einzigen Mauskick können sie die von der website runterladen. Warum also sollte eine Zeitung irgendjemand dort persönlich hinschicken? Zeitungen sind längst daran gewöhnt, mit Nachrichten aus zweiter Hand umzugehen, und wir als Leser auch. Das ist das Resultat. Wir bekommen diesen Plunder, weil er billig ist und funktioniert. Es ist wie mit Junkfood, es füllt unseren Bauch und sättigt uns erst mal, aber schließlich ist es nicht gesund. Und für die Demokratie ist dieser Journalismus auch nicht gesund. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Nicht viel besser sieht es bei Radio und Fernsehen aus: Hier sind laut der Studie der Universität von Cardiff immerhin nahezu 20 Prozent der Berichte selbstgeschöpft und die von Agenturen oder PRBüros angestoßenen Beiträge werden häufiger durch zusätzliches Informationsmaterial ergänzt. 13 Doch die quasi öffentlich-rechtliche BBC ist durch die Konkurrenz der privaten Radio- und Fernsehprogramme der gleichen Marktlogik unterworfen. Ihre eigene "goldenen Regel", wonach eine Meldung erst durch zwei unabhängige Quellen eine bestätigte Nachricht wird, kann die BBC immer schwerer selbst befolgen, meint Justin Lewis: Regie: O-Ton Take: Justin Lewis 680 darauf spricht Sprecher Lewis: Kein Zweifel. Die BBC steht unter enormen Druck. Da sie rund um die Uhr sendet, sollte sie als erste mit den Breaking News, den Topnachrichten, rauskommen. Die aktuellen Nachrichtenredakteure glauben, dass das Publikum nach Neuigkeiten giert, wovon ich allerdings nicht überzeugt bin. Der konkurrierende private Nachrichtensender Sky ist oft mit nur einer Nachrichtenquelle zufrieden. So kann die BBC ständig von Sky mit Breaking News übertrumpft werden. Deshalb ist es für sie schwierig, auf ihrer alten Regel zu beharren. Die Konkurrenz zwingt sie, ihre Geschichten schneller rauszuschicken. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Zum Druck der Konkurrenz gesellt sich politischer Druck, ergänzt Nick Davies: Regie: O-Ton Take: 201 Nick Davies darauf spricht Sprecher Davies: Die britische Regierung sagt der BBC: Wir sind nur dann bereit, für Euch Lizenzgebühren einzusammeln, wenn Ihr dafür sorgt, dass viele Menschen Euer Programm hören und sehen. Deshalb steht die BBC unter dem Druck, hohe Quoten zu bringen. Das ist exakt dieselbe Logik des Marktes, der auch die Kommerziellen unterworfen sind. Und das zweite ist: beide fischen im gleichen Teich: die BBC beziehen ihre Nachrichten von denselben Nachrichtenagenturen und derselben PR-Industrie wie die kommerziellen Medien. Wenn wir also noch mal zurück zu den angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak gehen, findet man, dass 86% aller BBC-Berichte es als erwiesen ansahen, dass sie existierten. Weil sie dieselben Quellen benutzten. Und weil die Gebühreneinnahmen nicht reichen, wird natürlich wie bei den Privaten am Personal gekürzt, während gleichzeitig mehr Material produziert werden muss. Also, der Druck ist ähnlich hoch. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen 14 Autor: So beeinflusst das kommerzielle Denken, das nach immer mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit strebt, das journalistische Denken. In seinem Buch "Nachrichten von der Erdscheibe" beschreibt Nick Davies diese Produktionsregeln ausführlich: Nach der Logik des Marktes entscheiden sich Redakteure eher für die Themen und Geschichten, die "sicher" sind, also wenige - oder noch besser - gar keine Risiken einschließen. Themen, die keinen rechtlichen oder politischen Ärger machen. Soll man sich unbedingt mit jemandem anlegen, von dem man weiß, dass er gern prozessiert und auch das Geld für gute Anwälte hat? Regie: O-Ton Take: 248 Davies darauf spricht Sprecher Davies: Weil wir wollen, dass unsere Leser, Hörer und Zuschauer bei uns bleiben, entscheiden wir uns für die Geschichten, die die Konkurrenz auch hat. Weil es doch unangenehm wäre, wenn man draußen nicht der allgemeinen Konversation folgen könnte. Das hat allerdings sehr schlechte Auswirkungen, weil es die möglichen Themenvielfalt sehr einengt. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen Autor: Sichere und gleichzeitig beim Publikum beliebte Themen sind Lifestyle, Gesundheit, Reisen, Sport, Unterhaltung und Klatsch. Komplexe, umstrittene Themen finden zunehmend schwerer in die Blätter und Programme. Davies ist davon überzeugt, dass das gegenwärtige Modell der Massenmedien nicht mehr lange existieren wird. Der Boom des Internet hat überhaupt erst angefangen. Die altmodische Zeitung aus Papier von toten Bäumen werde aussterben wie die Pferdedroschken, meint er. Das findet er auf der einen Seite aufregend, weil sich dadurch riesige Kosten für Druck und Vertrieb sparen ließen. Aber Moment... - braucht man dann noch Journalisten? 15 Regie: O-Ton Take: Nick Davies 530 darauf spricht Sprecher Davies: Die Zeitungen aus Papier wurden für ein paar Münzen verkauft. Aber im Internet funktioniert das nicht. Die Leute wollen für Websites nicht bezahlen. Die wenigen Zeitungen, die das versucht haben, wie die New York Times, haben ihre Leser verloren. Der Guardian hat Millionen Webleser, aber die zahlen nicht. So kann man also Werbeplatz verkaufen. Aber wie viele Werbekunden werden wir kriegen? Das weiß heute noch keiner: Wie wird das künftige Finanzmodell aussehen? Und was ich befürchte: selbst angenommen, es gebe genug Werbeeinnahmen, um Journalisten zu bezahlen. Wenn die Webseiten denselben Eigentümern gehören, die zuvor die Zeitungen besessen haben, dann werden sie dasselbe tun: um Profit zu machen, werden sie nicht in Journalisten investieren, sondern sie werden die Überschüsse ihren Aktionären zurückgeben. Regie: O-Ton Take: bitte wieder hochziehen