B - Universität des Saarlandes

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Zur Entwicklung der Physik
G. Schulz
Universität des Saarlandes
Fakultät 7 für Physik und Mechatronik
2000
Eine zusammenfassende Darstellung der neueren Ergebnisse der Naturwissenschaften, die
man für gut halten könnte, kann ich Ihnen leider nicht nennen. Das liegt zum einen daran,
dass die Popularisierung, sprich, verständliche Darstellung wissenschaftlicher Resultate – bei
uns mehr als in den angelsächsischen Ländern – meist den gescheiterten wissenschaftlichen
Existenzen oder Journalisten überlassen bleibt und die dazu berufenen Experten diese wichtige Aufgabe – sicherlich auch aufgrund eines gewissen Dünkels – nicht zu leisten bereit sind,
mit gravierenden Folgen. Zum anderen liegt es aber auch an solchen Schriftstellern wie Daeniken oder Hawking, mit denen man nicht gerne in einen Topf geworfen werden möchte. Ich
möchte aber trotzdem ein paar Missverständnissen oder den Andeutungen von Missverständnissen wenigstens, was die Physik anbetrifft, vorbeugen und dazu etwas weiter ausholen dürfen und bitte um Nachsicht, wenn dabei allzu Vieles, allzu Bekanntes nochmals aufgezählt
werden sollte:
Pierre L. (de) Maupertuis (1698-1759), von Dominikanern erzogen, hoch gebildet – Friedrich
II wollte ihn in Berlin zum Präsidenten einer Akademie der Wissenschaften nach französischen Vorbild machen – in Mathematik so bewandert wie in allen Fragen der Naturwissenschaften, die damals noch Teil der Naturphilosophie waren, also dieser weltläufige Mann
wollte, wie es zu seiner Zeit Mode war, eine physikalische Phrase oder ein mathematisches
Kürzel für die Allwissenheit Gottes formulieren. Denn natürlich konnte die Wissenschaft
nach damaliger Meinung nichts anderes herausfinden, als das, was nun einmal geschaffen
worden war und ebenso selbstverständlich steckte in jedem Körnchen Wahrheit die Allwissenheit Gottes. Bitte die Richtung beachten, der Schluss ging von Gott auf die Wissenschaften, nicht umgekehrt. Denn Gott stand außer Zweifel, die Wissenschaft aber war fehlerhaft.
Dieser Mann fand nach langen Studien der Mechanik, der mechanischen Vorgänge in der Natur wie im gezielten Experiment: Jeder Körper beschreibt unter dem Einfluss beliebiger Kräfte und unter beliebigen Bahnbedingungen eine solche Bahn, dass der sog. "Aufwand", die
Impulssumme entlang des beschriebenen Weges, ein Minimum wird. Alles andere hätte der
Allweisheit Gottes widersprochen. Also, wenn m∙v den Impuls eines Körpers mit der Masse
m und der Geschwindigkeit v bezeichnet und Δs das Wegelement ist, dann lautet das Maupertuissche Minimalprinzip:
B
B
A
A
 m  v  s  min oder heute eleganter als Variationsintegral geschrieben   m  v  ds  0
Die Dimension der Impulssumme ist die einer Wirkung, d.h. Arbeit mal Zeit. Auch wenn der
Körper rollt, z. B. einen Berghang hinabrollt und dabei so viel "Schwung" bekommt, dass er
an einem anderen Berg ein großes Stück wieder hinaufläuft und dabei Translationsenergie in
Rotationsenergie und umgekehrt überführt wird, am Ende der Bahn hat der Körper doch stets
einen solchen Weg von A nach B genommen, dass die Impulssumme ein Minimum ist. Alle
Mechanik, Lagrange-Operatoren, Hamiltonsche Gleichungen in klassischer wie in Operatorenschreibweise, aber auch die einfachen Bewegungsgleichungen der Mechanik können aus
diesem einen eleganten Minimalprinzip abgeleitet werden, sind also logisch mathematisch darin enthalten. Der Anlass zum Maupertuisschen Minimalprinzips beruhte zwar auf einer reli© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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giösen Vorstellung, seine Aussage aber allein auf der sorgfältigen unvoreingenommenen Beobachtung der Natur und der exakten mathematischen Beschreibung natürlicher Vorgänge. Es
gibt offenbar viele Dinge, über die man staunen kann!
Zu der Zeit existierte bereits ein anderes Minimalprinzip, das Fermatsche Minimalprinzip der
Optik, wonach von allen möglichen Lichtwegen von A nach B in der Natur der Weg realisiert
wird, der gemessen in Wellenlängen λ am kürzesten ist
B
s

A
B
 min oder wieder in Integralform geschrieben  
A
ds

0
Pierre de Fermat (1601-1665), Jurist am Kassationsgericht in Toulouse, aber hochgebildet
und offenbar mit einer großen Neigung zu Mathematik und Naturphilosophie, ging dabei von
der Vorstellung aus, dass allein schon die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit und ihre in
verschiedenen Medien unterschiedliche Größe dafür sorgen würde, dass aus einem beliebig
großen Lichtkegel, der von A ausgeht, nur der Lichtstrahl auch wirklich von A nach B gelangt, der diese Strecke am schnellsten durcheilt. Einfachstes Beispiel, die Brechung des
Lichts an der Trennfläche zweier verschiedener Medien, die, wie sie wissen, so erfolgt, dass
das Licht einen längeren Weg im dünneren Medium läuft als den direkten im dichteren Medium zu nehmen, weil dadurch der Weg zwar länger, wegen der veränderten, geringeren Wellenlänge, das heißt, aufgrund der geringeren Geschwindigkeit im dichteren Medium und der
größeren im dünneren aber insgesamt in kürzerer Zeit zurückgelegt wird. Hase und Igel! Warum sollten Lichtstrahlen auf anderen Wegen das auch noch tun, wenn die Aufgabe bereits erledigt ist. Also auch hier unterschwellig die Annahme eines Wirkungsprinzips, gestützt auf
die Weisheit einer alles bewirkenden Macht. Alle Gesetze der Optik (außer der Wechselwirkung von Licht mit Materie, diese Einschränkung nehme ich sogleich wieder zurück), ausnahmslos alle lassen sich aus diesem Minimalprinzip herleiten. Sogar das sog. Eikonal, also
ein Ergebnis der Wellenlehre, genauer der Elektrodynamik, die James Clark Maxwell an die
zweihundert Jahre später unabhängig von Fermat, allein aufgrund der experimentellen Beobachtungen von Michael Faraday, also aufgrund rein elektrischer und magnetischer Phänomene entwickelt hat, ist im Fermatschen Prinzip einbeschlossen. Wir sprechen auch in der
Optik von elektromagnetischen Wellen.
Louis de Broglie (1892-19??), ein Müßiggänger aus dem Hochadel, aber ehrgeizig, hochbegabt und intellektuell interessiert, stieß auf diese Minimalprinzipien. Ihn störte als Mathematiker die Disparität der Größen, die nur zu beseitigen war, wenn der dimensionslosen Größe
Δs/λ eine "physikalische" Konstante h von der Dimension einer Wirkung hinzugefügt würde.
Dann dürften die beiden Prinzipien zusammengeführt und untersucht werden, ob sich eine
𝐵
𝐵 ℎ
Differenz zwischen ihnen ergäbe: 𝛿 ∫𝐴 (𝑚 ∙ v)𝑑𝑠 − 𝛿 ∫𝐴 (𝜆)𝑑𝑠 oder nach den Regeln der
𝐵
ℎ
Mathematik 𝛿 ∫𝐴 (𝑚 ∙ v − 𝜆)𝑑𝑠 = ? und wenn auch nur an einer Stelle ? = 0 ist, so folgt daraus nach den strengen Regeln der Variationsrechnung, dass dann
mv 
h

0
überall gilt, also die berühmte de Broglie-Beziehung, wonach sich jede Bewegung einer Partikel der Masse m mit der Geschwindigkeit v als eine Wellenausbreitung mit der Wellenlänge
λ beschreiben lässt und umgekehrt jede energie- oder signaltragende Welle (also eine Wellengruppe) einen Impuls transportieren und übertragen kann. Aus dieser genial einfachen Beziehung lassen sich nun alle, ich betone alle, auch quantenmechanischen Aussagen ableiten.
Wieso? Weil sich sofort die Schroedingergleichung ergibt, wenn man (z. B. in der zeitunab© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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hängigen) Laplaceschen Gleichung ∇𝜑 =
wegung in Raum und Zeit die Größe
(𝑚v)2
8𝜋 2 𝑚
𝑚v2
1
𝜆2
4𝜋 2
𝜆2
𝜑 für irgendeine beliebige wellenartige Be-
nach de Broglie durch
𝑚v2
4𝜋 2 ∙ ℎ2 = ℎ2 ∙ 2 und die kinetische Energie
der potentiellen Energie U(x,y,z) setzt und dann erhält:
2
(𝑚v)2
ℎ2
ausdrückt und weiter
gleich der Gesamtenergie E minus
8 2 m
  2  ( E  U ( x, y, z ))    0 ,
h
die nachgerade berühmte Schroedingergleichung der Wellenmechanik. Allein in die potentielle Energie U (und gegebenenfalls in die Randbedingungen für die Lösungsfunktionen φ) gehen die geometrischen, räumlichen Besonderheiten eines Atoms, eines Moleküls oder eines
Kristalls oder gar eines ganzen Systems ein. Damit dürfte nun endlich klar sein, dass auch die
Schroedingergleichung wie die beiden zugrundeliegenden Minimalprinzipien letztlich auf der
genauen Beobachtung natürlicher Vorgänge und der exakten mathematischen Beschreibung
des Beobachteten beruht.
Wegen der Dimension Wirkung lag es nahe, h in der de Broglie-Beziehung mit der Planckschen Wirkungskonstanten zu identifizieren, aber das war zunächst nur eine reine Entsprechung. Erst die Übereinstimmung der Zahlenwerte von h, die in Elektronenbeugungsexperimenten als Impulsgröße h/λ gemessen wurden, mit den Werten von h, die aus dem lichtelektrischen Effekt mit der Frequenz ν als Energiegröße h∙ν hervorgingen, legten es nahe, dass
die beiden h übereinstimmen könnten. Inzwischen sind die beiden Werte in voneinander völlig unabhängigen Versuchen, am Elektronensynchrotron, aus Kernstrahlungseffekten, in
Neutronenbeugungversuchen, mit dem Mössbauereffekt u.v.m bis auf 18 Stellen hinter dem
Komma als gleich gemessen worden. Mehr nicht, aber auch nicht weniger!
Aber dann! Als die Wellenfunktionen, also die Lösungen der Schroedingerschen Wellengleichung, die übrigens bei hohen Energien oder großen Abständen in Wahrheit zu einer Diffusionsgleichung wird, von Max Born als Wahrscheinlichkeitsgrößen und die Quadrate der Wellenfunktion als "Aufenthaltswahrscheinlichkeit" gedeutet wurden, da setzte das große Palaver
ein. Albert Einstein glaubte Erwin Schroedinger kein Wort (Gott würfelt nicht!), Max Planck
zweifelte am physikalischen Sinn seiner Konstanten, Schroedinger hielt Einstein für einen
Scharlatan, und obwohl Paul A. M. Dirac Wellenmechanik und Relativitätstheorie verbinden
konnte, hielten Niels Bohr und Werner Heisenberg krampfhaft an ihren Bildchen von den umlaufenden Elektronen fest und ihre Nachfolger versuchten, Schroedingers Auffassung mit
dem Bild von der Katze im Kasten zu widerlegen (und zu verhöhnen!), weil sich im Wellenbild scheinbar das unsinnige Paradoxon ergab, dass eine Katze mit gleichgroßer Aufenthaltswahrscheinlichkeit in diesem und g l e i c h z e i t i g in einem anderen, noch nicht geöffneten
Kasten stecken könnte (vorausgesetzt, dass man die Bewegungen einer Katze quantisieren
könnte). Nun ja, die Eitelkeiten der ganz, ganz "Großen"!!
Man hatte vielleicht übersehen oder vergessen, dass die Geschwindigkeit v in der de Broglie
Beziehung eine Partikelgeschwindigkeit beschreibt und mithin im Wellenbild einer Gruppengeschwindigkeit entspricht. Erst durch Überlagerung von Wellen entstehen Wellengruppen
und nur diese sind lokalisierbar. Wie weit man unwissentlich oder willentlich übersehen hatte,
dass die stationären, reinen Lösungen der Schroedingergleichung auch im Atom nur reine,
ungestörte und damit rein fiktive Zustände beschreiben, kann heute nicht mehr nachvollzogen
werden. Denn kein einziger im Experiment beobachteter atomarer Zustand, zum Beispiel der
einfach angeregten Zustand eines H-Atoms, lebt viel länger als 10-8 Sekunden. Also können
die Zustände nicht scharf, das heißt, nicht ungestört sein, sie müssen vielmehr aus der Überlagerung von dicht liegenden stationären oder auch nichtstationären Zuständen erst gebildet
werden, bevor es zu einer Wechselwirkung kommen kann. Selbst der Grundzustand des Wasserstoffatoms (wie der aller anderen Atome) ist aufgrund der Wechselwirkung mit den Null© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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punktsschwingungen des elektromagnetischen Vakuumfeldes nicht ungestört und deswegen
auch nicht beliebig scharf (ganz abgesehen von Fein- und Hyperfeinstruktur). Und aus diesem Grunde gibt es auch keine "spontanen" Übergänge, sondern nur Übergänge in Wechselwirkung mit elektromagnetischen Feldern, mindestens mit den Vakuumfeldern.
Übriggeblieben sind nach allen Diskussionen einige ganz einfache Gesetze und Quantisierungsvorschriften, die experimentell überprüft und gesichert werden konnten. Alles andere
war voreiliges Geschrei.
Nebenan: "Die wahre Bahn eines Elektrons im Wasserstoff-Atom", eines meiner Ausstellungsstücke im Präsidialamt, eine kleine Übertreibung zur Verspottung
der Physikerkollegen, die immer noch am Bohrschen
Atommodell hängen, sollte heißen: Alle Bahnen, sogar
Zickzackbahnen sind möglich, weil auch solche Bahnen unter dem Einfluss äußerer Störungen entstehen
können und (sofern die Ecken auch nur etwas abgerundet sind) nach dem Entwicklungssatz orthogonaler
Funktionen aus lauter harmonischen Funktionen, also
kreisförmigen oder elliptischen Bahnen aufgebaut werden können. Also? – Alles wie gehabt!
Überträgt man nun die Quantisierung der Materiewellen auf die optischen Wellenfelder, am besten, indem man zugleich auch die Mathematik wechselt und
zur Beschreibung der Phänomene von den Funktionen
zu den Operatoren übergeht, so gelangt man auch hier
zu einem vollkommen konsistenten Bild. Es ist trotzdem immer wieder wahnsinnig spannend
zu sehen, wie aus der Strahlungsdichte u mit der Lichtgeschwindigkeit c im sog. Maxwellschen Spannungstensor, also aus dem klassisch längst bekannten Lichtdruck u/c, der Photonenimpuls multipliziert mit der Anzahl n der Photonen wird
u hvn h

 n
c
c

allerdings dann und n u r dann, wenn man, wie Arnold Sommerfeld gezeigt hat, Strahlen im
Raum zu Strahlenbüschel oder Wellen im reziproken Raum zu Wellengruppen zusammenfasst. Kein Widerspruch, nirgends!
Auch die Dualität ist längst verschwunden. Die Auffassung, dass Licht manchmal dieses und
manchmal jenes sein könnte, ist eine völlig obsolete Vorstellung, die der Quantenoptiker G.
Sudarshan damit konterkariert und verspottet hat, dass Licht weder Welle noch Partikel ist,
sondern eben Licht: Licht oder vielmehr elektromagnetische Strahlung wird beschrieben
durch eine Mannigfaltigkeit transversaler elektromagnetischer Wellen, die dann und n u r
dann (!), wenn sie mit Materie in Wechselwirkung tritt, Energie und Impuls nur in ganzen
Einheiten eines elementaren Quantums mit der Materie austauschen kann. Keine Rede, dass
ein Photon (oder ein Elektron) im Doppelspaltversuch zum Nachweis der Interferenz mal
durch einen Beugungsspalt und mal durch einen anderen geht oder, wenn es durch beide geht,
dahinter eine Interferenzfigur entsteht. Damit Interferenz geschieht, muss Kohärenz vorliegen! Noch niemand hat mit einem inkohärenten Wellenfeld und nur einfach besetztem Zustand eine Interferenz erzielt! – Wir haben also auch hier, wie Max Born und Emil Wolf ein
für alle Male gezeigt haben, die durch Wechselwirkung – z.B. mit einem beugenden Objekt –
gestörten Wellenfelder zu untersuchen und nicht irgendwelche reinen einfachen Zustände. Die
Entscheidung, welche Zustände des Wellenfeldes von der Quelle bis zum Empfänger der
© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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Energie mit einer für den Nachweis hinreichenden Energie besetzt werden, hängt von der gesamten experimentellen Anordnung ab. "Photon" ist nur eine elegante, abkürzende Umschreibung von h∙ν und h/λ im Austausch mit Materie.
Nur bei extrem hohen Energien gibt es in der Quantenelektrodynamik größere Schwierigkeiten mit der Ausdeutung der optischen Wellenfelder als Wahrscheinlichkeitsgrößen, die aber
durch die sog. Chromodynamik beseitigt werden können. Nein, geschenkt werden uns die
Einsichten in die Natur auch dann nicht! Denn die Chromodynamik, die dann aber auch die in
Atomkernen unvergleichlich viel größeren Energien auf unvorstellbar viel kleineren Abmessungen beschreibt, verlangt, dass man sich mit den Symmetrien des Raumes befasst, aus denen Impulserhaltung, Energieerhaltung und, wichtiger noch, Drehimpulserhaltung entspringen, und verlangt, dass man versteht, dass diese Symmetrien in hoch abstrakter Weise gebrochen sein können. Aus diesen Symmetrien folgen Kommutativität und Nichtkommutativität
für Bose- bzw. Fermiteilchen und – ohne unzulässige Anleihen an ein Wellenbild! – die Unschärferelation, aber auch in völlig zwangloser Weise die beiden Minimalprinzipien von
Maupertuis und Fermat und weitere sensationell einfache Ergebnisse:
Lichtstrahlen, sagen wir also genauer, elektr.-magn. Wellen einer bestimmten Intensität, sind
erst vollständig charakterisiert durch ihre Frequenz, den Polarisationszustand u n d den Kohärenzgrad des gesamten Wellenfeldes. Wenn man die Wechselwirkung von angeregten Atomen nur mit ganz bestimmten Wellenzügen zulässt – durch entsprechend Wahl rigider Randbedingungen für die elektromagnetischen Wellenfelder! – können außerordentlich hohe Besetzungsdichten einzelner Moden dieser Felder und damit hohe Kohärenzgrade erzielt werden
(Laser). In solchen Wellenfeldern wird die übliche Unschärfe bei weitem unterboten. Dasselbe gilt auch für interferometrisch allinierte Neutronenfelder. Auch für Partikel (Materiewellen) kann also die sog. Unschärferelation in gezielt darauf ausgerichteten Experimenten weit,
weit unterboten werden, ohne dass gleich die ganze Physik zusammenbricht. – Denn was geschieht, wenn man die Wechselwirkung mit äußeren Feldern und mit anderen Partikeln immer
kleiner und kleiner macht? Nähert man sich dann den ungestörten reinen (monofrequenten)
Zuständen der (naiven) Quantenmechanik?
Zur Beantwortung dieser aktuellen Frage werden Edelgas- oder Erdalkali-Ionen in sog. Paulschen Fallen, also in Magnetfeldern entsprechender Form eingesperrt und auf nahe 0 Grad
Kelvin gekühlt, in einem weiteren Schritt durch adiabatische Entmagnetisierung auf Millikelvin gebracht. Noch weitere Abkühlung auf Mikrokelvin und tiefer gelingt mit Hilfe des Photonenrückstoßes, also schließlich durch konzentrische Einstrahlung von Laserlicht, das von
den Atomen nicht mehr absorbiert, sondern nur noch gestreut werden kann. – Je langsamer
die Atome werden, je mehr selbst ihre thermische Bewegung zum Stillstand gebracht werden
kann, um so mehr kommt de Broglie zum Zuge: "v klein" heißt "λ groß", das heißt, die Wellenfunktionen überlappen sich schließlich, die Atome ordnen sich scheinbar "spontan", das
heißt, allein durch die extrem schwache Wechselwirkung aufgrund der Nullpunktsunruhe entstehen fantastische kristallähnliche, räumlich geordnete Strukturen.
Es gelingt unter diesen äußeren Bedingungen sogar, zwei oder mehr Atome (Boseteilchen) in
denselben Quantenzustand zu bringen und die zugehörigen Materiewellen kohärent zu machen wie in der Optik oder, wie man in diesem Falle treffender sagt, miteinander zu verschränken. Die Verschränkung gelingt über größere Strecken von Zentimetern bis fast zu einem Meter (!) in einer Art von Materie-Interferometer mit Häufung der Aufenthalts- oder
Verbundwahrscheinlichkeiten an den Enden des Interferometers. Dazu sind auch hier immer
mindestens zwei oder mehr Atome erforderlich, damit die höher geordneten Zustände auch
tatsächlich besetzt werden können. Wenn man dann den Zustand des einen Atoms verändert,
erfolgt notwendigerweise und (fast) zeitgleich auch die Änderung des anderen. Genauer gesagt: Es entsteht ein Überatom, und wenn man das eine Atom daraus hervorholt, muss auch
das andere diesen Zustand verlassen. Die Leute reden bereits vom "Beamen" materieller Ge© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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genstände über weite Strecken hinweg, aber bisher werden höchstens Eigenschaften der Materie "gebeamt" und nicht die Materie selbst. So ist auch das zunächst wieder einmal nur Geschrei und schießt über eine wissenschaftlich gesicherte Aussage weit hinaus.
Doch sind mit den verschränkten Atomzuständen die beiden Kästen mit der Katze des Herrn
Schroedinger nicht endgültig aufgemacht? Mir scheint, es ist ein elender, rein theoretischer
Kater daraus hervorgekrochen!
Apropos Polarisationszustand! Wenn man gewisse höher molekulare Gebilde (z.B. Sandwichmoleküle) zuerst mit rechts zirkularem infrarotem Licht bestrahlt und dann linear polarisierte Laserstrahlung zur Absorption anbringt, dann hängt die Frequenz des absorbierten
Lichts von der Zeit nach der Einstrahlung des ersten roten Lichtimpulses ab, als hätte sich das
Molekül unter der Zeit in sich verdreht. Auch nach Tagen noch ändert sich diese Frequenz.
Memorieeffekt heißt dieses Phänomen (sehr zu unterscheiden vom sog. Photonenecho in
Kristallen!), ein Phänomen, das bei hoch molekularen organischen Gebilden bis hin zur Helix
der Gene eine immer größere Rolle bezüglich der nachfolgend möglichen Prozesse und chemischen Reaktionen spielt und damit den Prozessen eine vorgegebene Richtung aufprägt. –
Natürlich ist damit nur der allererste Anfang des Ariadnefadens durch das Labyrinth des Lebens gesponnen und das sagt natürlich nichts darüber aus, ob der Besitzer, nein, der Inhaber,
nein auch nicht gut, also der Mensch, der diese Moleküle mit sich herumschleppt, mal eine
römische Vision oder eine h-moll-Messe oder was auch immer aus seinem komplexen Dasein
herausdestillieren wird. Aber es ist doch nicht unerheblich, dass schon diese ersten Anfänge
zur Welt des Lebendigen experimentell und theoretisch sicher erfasst werden können.
Selbst die Theoreme jener Physik, die auf die Darstellung der nun wahrhaftig chaotischen
Dinge wie Vorgänge in der Thermodynamik abzielen, führen hier zu keinem Widerspruch.
Denn auch die Reaktionen der sog. Biomoleküle, die zur Selbstorganisation und zu Bifurkationen neigen, fügen sich dem II. Hauptsatz der Thermodynamik, sofern dem Ausdruck für die
Entropie S nach Ludwig Boltzmann
W
1
ein Term I  ?  a  ld
S  S 0  k  ln
p
W0
für die in einem Vorgang enthaltene Information I mit der Ereignishäufigkeit p anstelle der
thermodynamischen Wahrscheinlichkeit W hinzugefügt wird. Übrigens, Ludwig Boltzmann
hat die Entdeckung des Entropiesatzes lange Zeit hinter dem Berge gehalten und nicht veröffentlicht – auch aus religiösen Motiven, "weil die Entropie allen Prozessen eine Richtung verleiht und weil man entlang der Entropie rückwärts rechnend dem Lieben Gott ins Werk hätte
sehen können" und das stände dem Menschen nicht zu. Soweit Boltzmann.
Aber es darf nicht übersehen werden, dass auch für die durch einen Informationsfluss gesteuerten Reaktionen das Gesetz der Mikroreversibilität – als eine andere Form des Entropiesatzes
im Quantenbereich – gilt und also nicht nur Informationen in einen Prozess einfließen, sondern die Reaktionsprozesse auch rückwirkend die Quelle der Information beeinflussen und
verändern können. Nur so und nicht nur durch zufällige Veränderungen mit nachfolgender
Auslese ist das rasante Tempo der Evolution wirklich zu verstehen. – Man darf jedenfalls gespannt sein, ob sich eines Tages die Konstante a (mit Transposition vom logarithmus dualis ld
zum logarithmus naturalis ln) von gleichem Wert wie die Boltzmannkonstante k ergeben wird,
wie wir das bei der Planckschen Konstanten h ja bereits erlebt haben. Ja, in der Tat, diese
Fragen der Physik sind immer noch so aufregend wie damals, als das Studium der Geisteswissenschaften noch nicht gar so weit vom Studium der mathematisch orientierten Naturwissenschaften entfernt war.
mail: [email protected]
© G. Schulz: Zur Entwicklung der Physik, März 2004
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