Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens "Queeres Leben in der Karibik"Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik Vortrag am 13. Mai 2012 anlässlich der Queeren Filmwochen in Nürnberg von René Mertens1 Centre for the Studies of Discrimination based on Sexual Orientation (CSDSO) an der Freien Universität Berlin Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr verehrte Menschen, am kommenden Donnerstag dem 17. Mai wird weltweit wieder der Internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie (IDAHO2) begangen werden. Ressentiments gegen Menschen, die von der heterosexuellen Mehrheitsnorm abweichen oder sich nicht in das bipolare Geschlechtersystem von männlich und weiblich einordnen können/wollen, sind nicht nur immer noch weltweit verbreitet, sondern auch Hauptursache dafür, dass Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LGBTI*)3 immer noch gedemütigt, verfolgt, diskriminiert oder gar getötet werden. In derzeit 76 Staaten der Erde wird eine bestimmte «sexuelle Identität», die nicht der Mehrheitsidentität entspricht, mit strafrechtlichen Sanktionen belegt. In sieben dieser Staaten droht den Menschen, die beispielsweise ihre homosexuelle Identität ausleben, sogar seitens der Justizorgane die Todesstrafe.4 Betrachtet man sich die 76 Staaten, die gleichgeschlechtliche Liebe kriminalisieren etwas genauer, so fällt besonders ins Auge, dass die meisten von ihnen gemeinsame historische Wurzeln haben. Rund die Hälfte dieser Staaten waren ehemals Kolonien des britischen Empire und sind noch heute Teil des Commonwealth. Die Gesetze, die einvernehmlich gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen erwachsenen Menschen verfolgen, sind also keineswegs erst in der jüngsten Vergangenheit entstanden, sondern sind Bestandteil des kolonialen Erbes europäischer Großmächte.5 In diesem Zusammenhang spielt besonders das Vermächtnis der britische Krone eine wichtige Rolle, da der Herrschaftsbereich des Empire nicht nur in der Vergangenheit den ganzen Erdball umspannte, sondern auch maßgeblich die heutigen Rechtssysteme der ehemaligen Kolonien beeinflusste.6 Im Vergleich zur Kolonialpolitik anderer Großmächte, wie Spanien, Frankreich und Portugal, kann in Bezug auf die Verfolgung von homosexuellen Handlungen festgestellt werden, dass die britischen «Sodomie-Gesetze» wohl den deutlichsten Einfluss auf die staatliche Verfolgung von Homosexuellen hatten und diese noch bis in die Gegenwart nachwirken. Die von der 1 2 3 4 5 6 Der Autor lebt in Berlin und hat an Freien Universität Berlin / Humboldt-Universität Berlin / Universidad Autónoma de Madrid (UAM) Politikwissenschaften, Spanisch und Erziehungswissenschaften studiert. Er ist Mitglied am CSDSO und sein Interessengebiet ist u.a. der völkerrechtliche Schutz von sexuellen Minderheiten und die Geltung der Menschenrechte für LGBTI* - Kontakt über [email protected] Vgl. International Day against Homophobia & Transphobia http://www.dayagainsthomophobia.org/-IDAHO-english,41#&panel1-2 abgerufen 2012-05-09 Im deutschsprachigen Sprachraum ist neben dem Akronym LGBT(I)* auch die Abkürzung LSBTI* gebräuchlich. Das * symbolisiert eine sprachliche Pause und verdeutlicht, dass es sich hierbei nur um Oberbegriffe handelt und es sich nicht um eine geschlossen-homogene Gruppe handelt. In angelsächsischen Raum ist auch der Begriff LGBTQ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersex) gebräuchlich. Das in diesem Text Intersexuelle oder Inter* nicht thematisiert werden und keine Erwähnung finden, liegt an der schwierigen Lage der Fachliteratur. Vgl. International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2011):State-sponsored Homophobia. A world survey of laws criminalising same-sex sexual acts between consenting adults.in: http://old.ilga.org/Statehomophobia/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2011.pdf abgerufen 2012-05-05 Vgl. Wilets, James D. (2011):From divergence to convergence? A comparative and international law analysis of LGBTI rights in the context of race and post-colonialism.in:Duke Journal of Comparative & International Law, Spring, 2011, Vol.21(3), S.643 ff. Vgl. Wilets, James D. (2010):Divergence between LGBTI Legal, Political and Social Progress in the Caribbean.in:Javier Corrales / Mario Pecheny (Hrsg.).The Politics of Sexuality in Latin America.S.352 ff. 1 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens englischen Krone unter Henry VII. eingeführten Gesetze zum Buggery Act (1533)7 und der später folgende Offences Against the Person Act (1861) sollten sowohl die einheimische Moral im Mutterland schützen, als auch die britischen Eroberer vor den schlechten Einflüssen der einheimischen Bevölkerung in den Kolonien bewahren. Darüber hinaus hatten die Gesetze in der Neuen Welt das Ziel die eigenen Moral- und Wertvorstellungen zu etablieren.8 Neben den ehemaligen Kolonien auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent, sind es gerade auch die Staaten der anglophonen Karibik, die diese Gesetze noch immer anwenden und deren Gesellschaften die kolonialen Moralvorstellungen in Bezug auf die Homosexualität als Teil der eigenen Kultur verinnerlicht haben. Trotz der geographischen und zum Teil auch kulturellen Nähe der Staaten, klafft in Bezug auf die Anwendung der Menschenrechte für Menschen die von der heterosexuellen Mehrheitsnorm abweichen, noch ein tiefer Graben zwischen dem hispanischen und dem anglophonen Teil der Karibik. Während beispielsweise im mexikanischen Bundesstaat Distrito Federal (México D.F.) die Ehe für Menschen des gleichen Geschlechts nach einem Gerichturteil geöffnet wurde, bestraft die Justiz im Nachbarland Belize einvernehmlich sexuelle Handlungen unter gleichgeschlechtlichen Erwachsenen mit bis zu zehn Jahren Gefängnis. 9 Im sozialistischen Kuba hingegen setzt sich die Schwester Fidel Castros, die gleichzeitig Direktorin des Nationalen Instituts für Sexualerziehung (CENESEX) ist, dafür ein das transidente Menschen mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität staatliche Anerkennung erfahren und bei Bedarf entsprechende kosmetische Änderungen vernehmen lassen können. Ferner gibt es auf Kuba Bestrebungen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.10 Einige Kilometer vor der kubanischen Küste, auf der Insel Jamaika, die das Time Magazine mit zu den schwulenfeindlichsten Plätzen der Erde kührte11, erfahren besonders männliche Homosexuelle staatliche Verfolgung, ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 10 Jahren und harte Zwangsarbeit. Ferner werden besonders homosexuelle Frauen und Männer häufig Opfer von Gewalt, die von Akteuren ausserhalb des Staatsapperates ausgeübt wird.12 Die kurzen Beispiele zeigen eindringlich, dass die Region um das Karibische Meer von zahlreichen Gegensätzen in Bezug auf die Rechte von LGBT* geprägt ist. Gründe für diese unterschiedliche Akzeptanz oder auch für die unterschiedlich ausgeprägte Ablehnung / Verfolgungspraxis von Menschen ausserhalb der heterosexuellen Mehrheitsnorm sind vor allem in der (1) jeweiligen Rolle der Religion, (2) der Rolle von Frauen und Männern innerhalb der Gesellschaft, (3) der unterschiedlichen kolonialen Vergangenheit, (4) der Auswirkung des Sklavenhandels und vor allem auch (5) in der geopolitischen Lage der Staaten zu sehen. In Bezug auf die geopolitischen Faktoren ist besonders auf das Beispiel der Bahamas einzugehen, das heute Abend auch innerhalb des 7 Vgl. Crompton, Louis (1976): "Homosexuals and the Death Penalty in Colonial America" (1976). Faculty Publications -Department of English.University of Nebraska Lincoln.S.277-278. Verfügbar auf http://digitalcommons.unl.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1061&context=englishfacpubs&sei-redir=1&referer=http%3A%2F %2Fwww.google.de%2Fsearch%3Fq%3DBuggery%2BAct%2B1533%252C%2Bcolonial%26ie%3Dutf-8%26oe%3Dutf8%26aq%3Dt%26rls%3Dorg.mozilla%3Ade%3Aofficial%26client%3Dfirefox-a#search=%22Buggery%20Act%201533%2C %20colonial%22 abgerufen 2012-05-09 “Buggery“ bedeutet unnatürliche Unzucht gegen den Willen Gottes und des Menschen. Diese Art der Unzucht wurde in der Zeit von Henry VII mit dem Tode bestraft. 8 Vgl. Human Rights Watch (2008): This Alien Legacy. The Origins of “Sodomy” Laws in British Colonialism.in:http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/lgbt1208_webwcover.pdf abgerufen 2012-05-05 9 Vgl. Gesetzestext : Criminal Code 101. in:http://www.belizelaw.org/lawadmin/PDF%20files/cap101.pdf abgerufen 201205-05; siehe auch ILGA 2011:53 ff. 10 Vgl. Haydulina,Anastasia (2010):Interview with Mariela Castro on the Future of Sex and Socialism in Cuba.in:Javier Corrales / Mario Pecheny (Hrsg.).The Politics of Sexuality in Latin America.S.270-273. 11 Vgl. Artikel „The Most Homophobic Place on Earth?“ - Online Version des Time Magazin. Verfügbar auf http://www.time.com/time/world/article/0,8599,1182991,00.html abgerufen 2012-05-05 12 Vgl. Commonwealth Human Rights Initiative (o.J.): LGBT Rights in the Caribbean.in: http://www.humanrightsinitiative.org/london/lgbt_rights/caribbean.pdf abgerufen 2012-05-06 2 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens bevorstehenden Films thematisiert werden wird. Der Inselstaat vor der Küste der Vereinigten Staaten entkriminalisierte Homosexualität bereits 1991 und gilt heute als etwas toleranter gegenüber Homosexuellen als andere souveräne Karibikstaaten des Commonwealth. Ein Grund hierfür kann im regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Florida und den Bahamas gesehen werden, welcher die gesellschaftlichen Moral- und Wertvorstellungen mit beeinflusste, aber traditierte Moralvorstellungen natürlich nicht gänzlich verändern konnte. Die Regierung auf dem Archipel entkriminalsierte zwar einvernehmlich gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Erwachsenen, hielt jedoch gleichzeitig auch an Gesetzen fest, die Menschen die nicht der heterosexuellen Norm entsprachen, weiter zu Bürgern zweiter Klasse degradierten. So gilt beispielsweise ein unterschiedliches Einwilligungsalter in Bezug auf sexuelle Handlungen. Bei Menschen des selben Geschlechts liegt es bei 18 Jahren, bei Menschen unterschiedlichen Geschlechts bei nur 16 Jahren. Diese Ungleichbehandlung gehört noch zu den offensichtlichsten Diskriminierungen von Menschen die gleichgeschlechtlich Lieben. Gleichfalls ist mit der Section 16 des Sexual Offences and Domestic Violence Act13 immer noch ein Gesetz in Kraft, welches nicht nur explizit gleichgeschlechtliche Handlungen unter Frauen und Männern in der Öffentlichkeit verbietet, sondern diese generell auch mit dem Verkehr zwischen Mensch und Tier gleichsetzt. In Bezug auf die strafrechtliche Verfolgung von heterosexuellen Handlungen in der Öffentlichkeit gibt es hingegen keine strafrechtliche Relevanz. Aus der Perspektive des Völkerrechts stellt besonders die Ungleichbehandlung im Bereich des Einwilligungsalters auf den Bahamas eine Verletzung geltender Menschenrechtsverträge dar, weil die Regierung in Nassau mit der Ratifizierung des Menschenrechtspaktes ICCPR (Zivilpakt)14 das Gebot der Nichtsdiskriminierung in Art. 26 anerkannt hat. Nach einhelliger Rechtssprechung beinhaltet das Merkmal «Geschlecht» innerhalb des Diskriminierungsverbotes des ICCPR auch das nicht explizit genannte Merkmal «sexuelle Orientierung».15 Darüber hinaus ergibt sich aus dem Zivilpakt und aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), dass die staatliche Verfolgungspraxis gegenüber Homosexuellen in der Karibik16 und anderswo gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Die Mitglieder der Vereinten Nationen haben sowohl in der AEMR als auch in den dazugehörigen Menschenrechtspakten (Zivilpakt / Sozialpakt) das Recht auf Nichtdiskriminierung und das Recht auf Schutz des Privatund Familienlebens anerkannt und sich ebenso verpflichtet das Recht auf Leben und die Würde ihrer Bürger_innen zu schützten. Eine Kriminalisierung von einvernehmlich gleichgeschlechtlichen Handlungen unter Erwachsenen würde als staatliche Einmischung in das Privat- und Familienleben gelten, die nach heutiger Rechtslage rechtswidrig ist. Das die weltweit geltenden «SodomieGesetze» gegen völkerrechtliche Verträge verstoßen erkannte bereits auch in den späten 90er Jahren der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen und ebenso im weiteren Verlauf die höchsten Gerichtsbarkeiten der USA, der EU und auch die höchsten Gerichte einiger asiatischer Staaten17. 13 Interpol (2012): Legislation of INTERPOL member states on sexual offences against children – Bahamas.in:https://www.interpol.int/Public/Children/SexualAbuse/NationalLaws/csaBahamas.asp abgerufen 2012-05-08 14 Für den deutschen Vertragstext der UN Konvention siehe http://www.institut-fuermenschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICCPR/iccpr_de.pdf abgerufen am 2012-05-08 15 Vgl. Presseerklärung der schwedischen EU Präsidentschaft “EU welcomes decision on gender reform at UN“ vom 14.09.2009 verfügbar auf http://www.csdso.org/wp-content/uploads/2009/06/eu-presse-erklarung-zur-enzscheidung-desecosoc1.pdf abgerufen 2012-05-09 ; Economic and Social Council of the United Nations (2009):General Comment No. 20.Non-Discrimination in Economic, Social and Cultural Rights (art. 2, para. 2).in: http://www.csdso.org/wpcontent/uploads/2009/06/ec12gc20.doc abgerufen 2012-05-12; Human Rights Committee (1994): Communication No. 488/1992: Australia.CCPR/C/50/D/488/1992. 4. April 1994 .Online verfugbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/0/d22a00bcd1320c9c80256724005e60d5, zuletzt gepruft am 2012-05-02. 16 Antigua & Barbuda, Barbados, Belize, Dominica, Grenada, Guyana, Jamaica, St Kitts & Nevis, St Lucia, St Vincent & the Grenadines, Trinidad undTobago 17 Hier sei besonders auf die Entwicklungen in Indien (Dehli) und Nepal (Kathmandu) hinzuweisen, da in beiden Staaten die höchste Jurisdiktion die Regierung aufgefordert hat diskriminierende Gesetze in Bezug auf LGBT* zu reformieren. 3 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens Neben diesem kurzen rechtlichen Einblick in Bezug auf die bestehende staatliche gestützte Diskriminierung, kann auf gesellschaftlicher Ebene für den Inselstaat der Bahamas festgestellt werden, dass es durchaus eine immer noch anhaltende Homophobie innerhalb des Alltagslebens und der Gesellschaft gibt. Diese homophoben Einstellungen sind sowohl kulturell als auch religiös geprägt. Gerade protestantisch-evangelikale Organisationen protestierten in der Vergangenheit häufig gegen Homosexuelle und wirkten einer rechtlichen und gesellschaftlichen Anerkennung von sexuellen Minderheiten entgegen. Versuche Kreuzfahrtschiffen am Einlaufen in die Häfen der Bahamas zu hindern, da sich unter den Reisenden zahlreiche Homosexuelle befanden, zählten zu den bekanntesten Protesten homophober Evangelikaler auf den Inseln der Bahamas. Die Rolle der Religion und kirchenaher Akteur_innen ist zwar in der anglophonen Karibik eine völlig andere als wir sie im katholisch geprägten Lateinamerika vorfinden, es kann jedoch für den größten Teil dieser Region festgestellt werden, dass gerade im Bereich der jeweiligen lokalen Gemeinden ein besonders starker Einfluss fundamentalistisch-protestantischer Organisationen und Gemeinden vorherrscht. Zwar konnten evangelikale Gemeinden in der Vergangenheit eher weniger Einfluss auf politische Entscheidungsträger_innen ausüben, als es beispielsweise Akteur_innen der römischkatholischen Kirche in lateinamerikanischen Staaten gelang, jedoch hatten genau diese Religionsgemeinschaften durch ihre Nähe zu den Gläubigen wesentlich effektivere Möglichkeiten an der Basis ihre Wert- und Moralvorstellungen durchzusetzen, die dann die gesellschaftliche Meinung in Bezug auf nicht-heterosexuelle Lebensweisen entscheidend mitbeeinflussen konnten.18 Neben dem gesellschaftlichen Einfluss kirchlicher Gemeinden, spielt Religion besonders auch in nationalen Bildungssystemen eine wichtige Rolle, da die Vertreter_innen der Religionsgemeinschaften auch an der Ausarbeitung der schulischen Curricula beteiligt werden und somit eine weitere Einflussmöglichkeit haben, um Moralvorstellungen in Bezug auf sexuelle Minderheiten bei Kindern und Jugendlichen mitzuprägen. Trotz der wichtigen Rolle der Religion ist dies nicht der alleinige Faktor, der für die vorherrschende Homophobie in der anglophonen Karibik ausschlaggebend ist, wenngleich sie natürlich Einstellungen im Bereich der Anerkennung sexueller Minderheiten mitprägte. Beispiele in katholisch geprägten Staaten, wie Spanien, Belgien, Argentinien oder dem kanadischen Québec19 zeigen jedoch gleichzeitig, dass die Rolle der Kirchen nicht überbewertet werden darf. Neben der unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellungen von Frauen und Männern, dem Einfluss des Machismo innerhalb der Region und der Vorgeschichte im Bereich der Sklaverei, sieht beispielsweise der anerkannte amerikanische Völkerrechtler und Menschenrechtsexperte James Wilets eine Verbindung zwischen der rassistische Segration, die durch die Europäer in der Neuen Welt forciert wurde und der heute noch anhaltenden Diskriminierung von LGBT*. Ein Kernpunkt dieser These ist, dass das Konzept der Gleichbehandlung von heterosexuellen und nichtheterosexuelle Menschen in fast allen Staaten der Karibik, die gleichgeschlechtliche Liebe kriminalisieren, als ein westliches Konzept verstanden wird und entsprechende Ablehnung wiederfährt. Rechte, wie beispielsweise die Öffnung der Ehe, die Anerkennung der Geschlechtsidentität, vor allem wenn diese von dem angeborenen biologischen Geschlecht abweicht, werden zunehmen als eine neue Art westlicher Re-Kolonisierung aufgefasst und rufen oft heftige Proteste hervor. Die Geschichte der Neuen Welt und mit ihr der ehemaligen europäischen Kolonien verdeutlicht auch das die Sklaverei und die rassistische Segration in den Jahrhunderten nach der Conquista neben Tod, Folter und zahlreicher Gewaltverbrechen an Verschleppten aus dem afrikanischen Kontinent, vor allem die traditionelle Rolle der Männer und Frauen unterminierte. Besonders da die körprliche Integrität von männlichen Sklaven aus Afrika von den weißen “Herren” 18 Vgl. Wilets 2010:350 ff. 19 Diese Staaten waren unter den ersten, die in ihrer Jurisdiktion gleichgeschlechtliche Partnerschaften anerkannten oder sogar die Ehe für Homosexuelle öffneten. Protestantisch geprägte Staaten in Skandinavien sind weitere Beispiele für die Divergenz zwischen die Rolle der Religion und der Toleranz gegen über sexuellen Minderheiten. 4 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens abhing und somit neben ihrem Körper auch ihre eigene Identität zerstört wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Männer ihre traditionellen Rollen, als Beschützer und Ernährer ihrer Familien nicht mehr wahrnehmen konnten und die eigene Geschlechtsidentität und vor allem ihre gesellschaftliche Rolle im hohen Maße negativ beeinflusst wurde. Gerade Männer die heute ihre traditionelle Geschlechterrolle bedroht sehen, da sich das Konzept von Männlichkeit ändert oder andere nichtheterosexuelle Männer oder Frauen mit ihrer Lebensweise das traditionelle Männlichkeits-/Weiblichkeitskonzept unterminieren, fühlen sich wieder in die Rolle ihrer Vorväter während der rassischen Segration versetzt und sehen ihre Integrität und ihre gesellschaftliche Rolle bedroht.20 Die Ablehnung eines Rollenverständnisses, welches die traditionelle Rolle der Mannes oder der Frau verändert, hat somit auch einen negativen Einfluss auf den Schutz der Rechte von LGBT*, die dieses Geschlechterollenverhältnis per se in Frage stellen. Dieser Umstand könnte durchaus ursächlich dafür zu sein, dass es gerade auf dem afrikanischen, auf dem nordamerikanischen Kontinent und in der Karibik zu einer starken Ablehnung von nichtheterosexuellen Identitäten kommt. Diese Feindlichkeit gegenüber einer Nonkonformität mit dem traditierten Geschlechtersystem führt häufig auch zu Gewalt und Morden an LGBT*. 21 Dies ist zwar nur eine These, jedoch scheint die Geschichte der Skalverei und der rassistischen Segration und ihr Nachwirken in den post-kolonialen Gesellschaften, in Verbindung mit der Christianisierung in der Spanischen Phase der Entdeckung (1494-1665) und der Britsiche Periode (ab 1665 bis in die Unabhängigkeitsperiode der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts), einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die heutige gesellschaftlich geprägte Homophobie zu haben. Homophobe Einstellungen lassen sich in der anglophonen Karibik jedoch nicht nur in Bereichen, wie Religion und Gesellschaft wiederfinden, sie wirken auch häufig durch Massenmedien (negative Darstellung von Homosexuellen), in der Gegenwartsliteratur (nicht-heterosexuelle Autoren_innen werden marginalisiert und ausgegrenzt), in der Musik (im Bereich der jamaikanischen Reggae- und Dancehall Kultur22), in und durch Sicherheitsorgane und auch im Gesundheitssytem fort. Innerhalb von Polizeiorganen und Militär werden homophobe Einstellungen geduldet oder auch oft noch verstärkt - Verbrechen an LGBT* wegen ihrer realen oder auch nur vermuteten sexuellen Identität häufig nicht verfolgt. Da diese Verbrechen in den meisten Fällen keine Sanktionierung erfahren, sind LGBT* auch verhältnismäßig oft von Gewaltverbrechen bedroht. Eine im Alltag sehr präsente feindliche Einstellung gegenüber Homosexuellen durchdringt häufig alle Bereiche des öffentlichen und auch des privaten Lebens in den anglophonen Karibikstaaten. Die Verbindung von Homosexualität bzw. «Sodomie-Gesetzen» mit der strafrechtlichen Verfolgung von Pädophilie verschärft diese Situation nur noch mehr. Homophobe Einstellungen und fehlende Fachkenntniss im Bereich der HIV-Prävention erschweren darüber hinaus eine wirkungsvolle AIDS Prävention in den Kerngebieten der Karibik. Der Nexus von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen mit HIV Infektionen führt ferner dazu, dass Mitarbeiter_innen des Gesundheitssektors (Bsp. Jamaika) es oft ablehnen Homosexuelle zu behandeln oder sie in den Fokus ihrer Arbeit mit einzubeziehen. Rein äußerlich kann schon allein die Kleidung, beim Mann eine enge Jeans oder ein enges Shirts, ausreichen um als homosexuell diskriminiert und stigmatisiert zu werden. Ein «Coming-out» in der Öffentlichkeit ist in vielen anglophonen Staaten undenkbar und kann selbst im familären Bereich den Austoß aus der Familie zur Folge haben oder zu Gewaltverbrechen seitens anderer 20 Vgl. David, James Corbett (2007):The Politics of Emasculation: The Caning of Charles Sumner and Elite Ideologies of Manhood in the Mid-Nineteenth-Century United States.Gender&History 19:324-345.Wilets 2010:352 21 Vgl. Alexander, M. Jacqui (1994):Not Just (Any) Body Can Be a Citizen: The Politics of Law, Sexuality and Postcoloniality in Trinidad and Tobago and the Bahamas.in:Feminist Review (1994) 48, 5–23 22 Gerade jamaikanische Musiker wie Buju Banton riefen in der Vergangenheit in ihren Texten (“Boom Bye Bye) zu Gewalt und Morden an “Betty Boys“ (Slang für Homosexuelle) auf. Vgl. Smith,Charlene/Kosobucki,Ryan (2011):Homophobia in the Caribbean.Jamaica.S.37 ff.in:http://www.lsd-journal.net/archives/Volume1/Homophobia%20in%20the%20Caribbean.pdf abgerufen 2012-05-09 5 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens Familienmitglieder führen. Fraglich bleibt an diesen Punkt nur weshalb besonders die Staaten der karibischen Region, die durch ihre Geschichte häufig Ungleichheit, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und andere Verbrechen erfahren mussten, sich als relativ immun erweisen, wenn es um die Durchsetzung internationaler Menschenrechtsstandards geht, die vor allem auf Nichtsdiskriminierung, dem Schutz des Lebens oder den Schutz des Privat- und Familienlebens abzielen. Die Ablehnung von Rechten in Bezug auf sexuelle Minderheiten zählt hier genauso hinzu, wie die Abschaffung der Todesstrafe in der anglophonen Karibik. Die Diskussion um die entgültige Streichung der Todesstrafe, als letztes Mittel staatlicher Sanktionierung, ähnelt deshalb der Diskussion um die Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen, da der lokale Widerstand gegen beide Themen, mit dem Widerstand gegen einer neuen europäischen Kolonisierung begründet wird. Die fehlende Durchsetzung internationaler Normen, wie der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (CEDAW)23 in Bezug auf Frauen mit einer nicht-heterosexuellen Identität oder dem Grundgedanken der Yogyakarta Prinzipien im Bereich des Diskriminierungsschutzes und der universelle Bedeutung der Menschenrechte24, wird häufig mit dem Schutz der eigenen nationalen Identität und Kultur gerechtfertigt. Die Ironie am Widerstand gegen diese internationalen Normen der Menschenrechte, gerade in Bezug auf den Schutz und die Anerkennung von LGBT*, liegt darin begründet, dass die Werte und Normen, die lokale hochrangige Politiker_innen, Staatschefs und Religionsführer_innen selbst als Teil der eigenen Kultur und Tradition verteidigen, ursprünglich von den europäischen Großmächten eingeführt wurden, die einen erheblichen Anteil daran hatten, dass die indigenen Kulturen ausgelöscht, hundertausende Menschen aus Afrika in diese Staaten verschleppt und später unterdrückt worden sind. Aus der Perspektive der Ethnologie kann in Bezug auf die Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Handlungen festgestellt werden, dass diese Praxis nicht zum präkolonialen Erbe der Staaten dieser Region gehört, sondern viel mehr von außen eingeführt wurde. 25 In diesem Zusammenhang ist es darüber hinaus wichtig zu erwähnen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse bewiesen haben, dass es in den meisten präkolonialen Kulturen Afrikas, Asiens und Zentral- und Lateinamerikas durchaus Lebensweisen gab, die nicht der heterosexuellen entsprachen und trotzdem einen akzeptierten Teil der Kulturen und Gesellschaften darstellten. Um nun eine Lösung für das Dilema zwischen kolonialen Werten der Vergangenheit und der Universalität der Menschenrechte der Gegenwart zu finden, bedarf es weniger eines erneuten Einflußes der Staaten, die in der Geschichte der Karibik und anderer Kolonien schon einmal die Moral- und Wervorstellungen geprägt haben, sondern es ist viel mehr unabdingbar, dass lokale Akteur_innen und Organisationen aus der Region für die uneingeschränkte Geltung der Menschenrechte kämpfen und Politiker_innen dazu bringen, die Gesetze der alten Kolonialherren außer Kraft zu setzen, da sie häufig selbst den Prinzipien der Gleichbehandlungen und Nichtdiskriminierung der nationalen Verfassungen widersprechen. Ein Beispiel, wie ein solcher Schritt hin zur Abschaffung von kolonialer Gesetzgebung in Bezug auf «Sodomie-Gesetze» aussehen könnte, ist derzeit in der ehemaligen britischen Kronkolonien Indien zu sehen. Auf dem Subkontinent hat es im Jahr 2009 die LGBT* Organisation Naz Foundation geschafft vor dem Verfassungsgericht des Bundesstaates Dehli gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu 23 Vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2012):Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (Fassung 18.12.1979).in:http://www2.ohchr.org/english/law/cedaw.htm abgerufen 2012-05-08 24 Vgl. Hirschfeld-Eddy-Stiftung (2007):Die Yogyakarta-Prinzipien.Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität.in:http://www.hirschfeld-eddystiftung.de/fileadmin/images/schriftenreihe/yogyakarta-principles_de.pdf abgerufen 2012-05-08 25 Vgl. Aldrich, Robert (2009):Die Erfindung eines Stigmas.in:Weltsichten.Magazin für Globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit.10-2009.S.12-17 6 Homophobie und staatliche Verfolgung von LGBT* in der Karibik René Mertens klagen, dass homosexuelle Handlungen kriminalsierte und gleichfalls mit Pädophile gleichsetze. 26 Auf der politischen Ebene scheint sich gerade auf Jamaika nach den jüngsten Wahlen auch ein Staatsoberhaupt der anglophonen Karibik erstmals aktiv dafür einzusetzen, diese rechtswidrige Praxis aus den Gesetzbüchern zu streichen. Abgesehen von der Ausnutzung nationaler Rechtsvorschriften können regionale Verbände, wie beispielsweise die Sociedad contra la discriminización por orientación sexual de Guyana (SASOD) in Lateinamerika oder die jamaikanische Organisation J-Flag in der Karibik, über Regionalorganisationen, wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) oder der Comunidad del Caribe (Caricom) dahingehend Einfluss nehmen, dass die anhaltende Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten in den Mitgliedsstaaten der Organisationen auf die Agenda kommt und Maßnahmen getroffen werden, die Rechte von Menschen abseits der heterosexuellen Mehrheitsnorm besser und wirkungsvoller schützen zu können. Hierzu zählen nicht nur Programme in Erziehung und Wissenschaft, sondern auch eine Sensibilisierung für LGBT* Themen in den Bereichen Gesundheit, Justiz, Sicherheit und Menschenrechte. Das hier Organisationen, wie die OAS besonders als Werkzeug fungieren können, zeigen die Entwicklungen seit 2008. Eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten der amerikanischen Regionalorganisation, hier sind auch die meisten anglophonen Staaten der Karibik vertreten, sprachen sich 2008 erstmalig in ihrer Geschichte dafür aus Menschenrechtsverletzungen an LGBT* zu verurteilen und eine Entkriminalisierung von einvernehmlich gleichgeschlechtlichen Handlungen in allen Mitgliedsstaaten anzustreben.27 Diese Entwicklungen zeigen, dass es durchaus einen politischen Weg gibt derartige Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und sich diesen entgegenzustellen. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll den Weg über die Universalität der Menschenrechte zu gehen, da hier nicht erst mit der neuen Einführung von Rechten argumentiert werden muss, sondern mit den bereits bestehenden und akzeptierten Verträgen und Mechanismen gearbeitet werden kann, um vor allem zu verdeutlichen, dass die Menschenrechte keine Ausnahme in ihrem Geltungsbereich zulassen und auch sexuelle Minderheiten nicht ausgeklammert werden dürfen. Ferner kann über nationale Verfassungen und Gesetze versucht werden, die Rechtsvorschriften in Bezug auf die «Sodomie-Paragraphen» aufzuheben. Dieser Ansatz nützt jedoch wenig, wenn nicht gleichzeitig versucht wird über Ausbildung, Erziehung und gesellschaftliche Organisationen die Akzeptanz für Menschen zu erhöhen, die nicht der heterosexuellen Mehrheitsnorm entsprechen. Ein multidimensionale Ansatz könnte hier in allen Bereichen wirken, in denen bisher Homophobie und schwulenfeindliche Einstellungen verbreitet wurden. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit ! 26 Vgl. Mahaprashasta, Ashirwad Ajoy (2009):The court ruling opens up the public domain for discussions on sexuality that can include homosexuality.in:FrontlineVolume 26 - Issue 15.Jul. 18-31.Online verfügbar auf http://www.flonnet.com/fl2615/stories/20090731261503300.htm abgerufen 2012-05-10; The High Court of Dehli (2009): Naz Foundation v. Union of India. No.7455/2001. Urteil vom 2. Juli 2009. Online verfügbar auf http://lobis.nic.in/dhc/APS/judgement/02-07-2009/APS02072009CW74552001.pdf abgerufen 2012-05-09 27 Vgl. Mertens,René (2009):Die Rückkehr der Brasilianischen Resolution. Beitrag auf CSDSO.org. Online verfügbar auf http://www.csdso.org/wp-content/uploads/2008/07/rueckkehr_brasilianische_resolution.pdf abgerufen 2012-05-10 ; Mertens, René (2010):Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verabschiedet Resolution „Human Rights, Sexual Orientation and Gender Identity. Beitrag auf CSDSO.org. Online verfügbar auf http://www.csdso.org/archives/885 abgerufen 2012-05-10 7