Aus den Tiefen der Erde in die Tiefen des Sonnensystems

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Aus den Tiefen
der Erde in die Tiefen
des Sonnensystems
Edelgase und die Entstehung der Erde
VON MARIO TRIELOFF UND TILMANN ALTHAUS
Die Untersuchung von Edelgasen aus Gesteinen des Erdinneren erlaubt
nicht nur Aussagen über Entwicklung und Struktur der Erde, sondern
berichtet uns auch über die frühe Bildungsgeschichte aller terrestrischen Planeten. Diese geowissenschaftliche »Labor-Astronomie« eröffnet so ungeahnte Einblicke in die Frühzeit des Sonnensystems.
W
enn man in einer klaren Nacht
Mars, Venus, Jupiter oder Saturn am Firmament betrachtet
und sich dabei die Frage stellt, wie unser
Sonnensystem entstanden ist, kommt
man nicht unbedingt auf die Idee, dass
man die Antwort auch in entgegengesetzter Richtung, nämlich tief im Erdinneren, suchen kann!
Zeugen aus dem Erdinneren
Die Erde ist der Teil unseres Sonnensystems, von dem uns für geochemische
Laboruntersuchungen das meiste Material zur Verfügung steht. Das Problem
88
SuW-Dossier
Die Erde
dabei ist, dass die am leichtesten zugänglichen Proben von der Erdoberfläche
stammen, diese aber nur sehr bedingt
Informationen über die durchschnittliche
Zusammensetzung der Erde bietet. Die
Erdkruste ist ein eher exotischer und sehr
heterogener »Schaum«, der ursprünglich
vom Erdmantel abgeschieden wurde und
im Laufe der mehr als vier Milliarden
Jahre alten Erdgeschichte mannigfachen
Einflüssen unterworfen war. Zu erwähnen sind zum einen die Verwitterung
durch Wechselwirkung mit atmophilen
Stoffen (z. B. Wasser, Kohlendioxid,
Stickstoff), die der Erdmantel in die At-
kontinentale Kruste
Grabenbruch
haus)
mosphäre und Hydrosphäre »ausgeschwitzt« hat. Zum anderen die Anreicherung inkompatibler Elemente in der
Erdkruste, die aufgrund ihrer Ionengröße oder elektrischen Ladung nicht gut
in die Minerale des Erdmantels (z. B.
Olivin, Pyroxen, siehe Kasten »Xenolithe«) passen und bei Schmelzbildung diesem bevorzugt entzogen werden.
Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Zusammensetzung der Erde benötigen wir daher auch Daten über das
Erdinnere – doch wie können wir uns
diese beschaffen? Hier kommt uns die
Natur entgegen, denn Gesteine aus dem
Erdinnern werden durch Vulkanismus
an die Oberfläche gefördert (Abb. 1).
Dabei stammen die an den mittelozeanischen Rücken geförderten Laven
aus eher seichten Zonen des oberen Erdmantels und bilden dort neuen Ozeanboden. Diese Gesteine heißen nach ihrem
Vorkommen Mittel-Ozeanische-RückenBasalte oder MORBs. Aus tiefen Erdlagen
stammen dagegen die Gesteine, die von
den Vulkanen ozeanischer Inseln gefördert werden. Sie werden auch als OIBs,
Ozean-Insel-Basalte, bezeichnet. MORBs
vermitteln also Informationen über den
flachen (oberen) Erdmantel, während
OIBs den tieferen Erdmantel repräsentieren. Ozeanische Inseln treten oft als Ketten immer höheren Alters auf: Sie entstehen, wenn die driftende Platte über einen
annähernd stationären, aktiven heißen
Punkt (»Hot spot«) im tiefen Erdmantel
hinwegzieht (Abb. 1). Bekanntestes Beispiel sind die Hawaii-Inseln.
In beiden Fällen entstehen die Laven in
eng begrenzten Zonen durch teilweises
Aufschmelzen des Mantelgesteins in etwa
50 bis 100 km Tiefe, werden in Vulkanen
an die Oberfläche befördert und erstarren. Treten sie unter Wasser aus, so bilden
sich sogenannte Kissenlaven (Abb. 2),
deren Ränder relativ schnell abkühlen
und glasig erstarren (Abb. 3). Solche Gläser sind aufgrund der schnellen Abkühlung weitgehend unbeeinflusst von
Wechselwirkungen mit Wasser, Atmosphäre oder Gesteinen der Erdoberfläche
und konservieren die Information über
die Laven und somit über das Mantelinnere am besten. Allerdings muss man
berücksichtigen, dass man dabei nur
einen Teil des Mantelmaterials analysiert,
nämlich die leicht aufschmelzbare Komponente. Eine Alternative hierzu sind
tatsächliche »Bruchstücke« des – weitgehend festen – Erdmantels. Solche Gesteinsfragmente, die von den Laven mitgerissen werden, bezeichnet man als
Xenolithe (siehe Kasten »Xenolithe«).
Labor-Astronomie
Diese Proben werden mit moderner
Laboranalytik chemisch untersucht. Moderne Massenspektrometer erlauben den
Nachweis extrem geringer Mengen sehr
seltener Elemente (Abb. 4). Dabei ergibt
sich auch deren isotopische Zusammen
Lavastrom auf Hawaii. (Bild: T. Alt-
Abb. 1: Nicht maßstabsgerechter
Schnitt durch das Erdinnere. MORBVulkanismus ist auf Schmelzprozesse
im oberen Erdmantel zurückzuführen,
während OIB-Vulkanismus seinen Ursprung in tiefen Mantellagen hat.
(Bild: Nach Time-Life 1982)
Mittelozeanischer Rücken
MORB
Hot-Spot-Vulkan
ozeanische Kruste
8 km
OIB
Schmelzzonen
n
tio
uk
d
ub
Lithosphäre
150 km
Mantel
Plume
Su
bd
S
uk
tio
n
oberer Erdmantel
670 km
unterer Erdmante
2900 km
Eisen-Nickel-Kern
SuW-Dossier
Die Erde
89
Abb. 3: Glasrinde einer Kissenlava. Gut
erkennbar in der schwarzen Glasmasse
sind kleine Blasen. Sie weisen auf
einen ungewöhnlich hohen Gasgehalt
hin, der sehr genaue Messungen ermöglicht. (Bild: M. Trieloff)
90
Abb. 2: Typische Kissenlaven an einem
mittelozeanischen Rücken. (Aus: Nicolas, Die Mittelozeanischen Rücken.
Springer-Verlag 1995)
Abb. 4: Edelgas-Massenspektrometer.
Die nachzuweisenden Edelgasisotope
werden durch elektrische Hochspannung beschleunigt, im gekrümmten
Flugrohr durch den großen Elektromagneten nach ihren Massen getrennt
und auf einen Detektor am Ende des
Flugrohres gelenkt. (Bild: T. Althaus)
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Die Erde
setzung (siehe Kasten »Isotope« und dortige Tabelle 1). Isotopengeochemische Laboruntersuchungen werden auch an extraterrestrischen Proben angewandt, z.B.
an Meteoriten oder an Proben, die durch
bemannte oder unbemannte Missionen
zur Erde gebracht werden. Auf diese Weise ist uns Material vom Mond (APOLLOMissionen), vom Mars (die sogenannten
SNC-Meteorite), und von zahlreichen
Kleinplaneten aus dem Asteroidengürtel
zugänglich. Sehr wichtig ist die durchschnittliche Zusammensetzung einer besonders urtümlichen Klasse von Meteoriten, der sogenannten CI-Chondrite.
Diese sind reich an flüchtigen Elementen
und ihre Elementverhältnisse stimmen –
bis auf die extrem leichtflüchtigen Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und die Edelgase – mit
den spektroskopisch ermittelten Elementhäufigkeiten der Sonne überein. Die
Elementhäufigkeiten in CI-Chondriten
sind aber analytisch sehr viel präziser zu
bestimmen und avancierten daher zum
Maßstab für solare oder gar kosmische
Elementhäufigkeiten.
Solche Beispiele zeigen die Bedeutung
geowissenschaftlicher Labormethoden
für unser Verständnis von der Entstehung
und Entwicklung des Sonnensystems.
Untersuchungen vieler Meteoriten, von
denen die meisten Bruchstücke von
Planetoiden des Asteroidengürtels sind,
ergaben, dass die Asteroiden nicht von
einem einzigen ehemals großen und dann
zerbrochenen, sondern von vielen verschiedenen kleinen Asteroiden stammen,
die selbstständig und sehr schnell – innerhalb von wenigen Millionen Jahren – entstanden. Es gab also nie einen großen
Planeten im Bereich des heutigen Asteroidengürtels, der durch eine Kollisionskatastrophe zerstört wurde. Der große
Jupiter mit seiner starken Schwerkraft
verhinderte effizient die Planetenbildung
in dieser Zone des Sonnensystems.
Weitere Beispiele für die Bedeutung
geowissenschaftlicher Labormethoden
sind die präzisen radiometrischen Datierungen der frühesten Kondensate aus
dem solaren Urnebel (Kalzium, aluminiumreiche Einschlüsse in bestimmten
Meteoriten), der ältesten basaltischen Meteorite von der Oberfläche des Asteroiden
Vesta (die sogenannten Eukrite) und die
Bestimmung des Alters der Erde (genauer:
des Zeitpunktes der Bildung des Erdkerns). Alle diese Datierungen ergaben
Alterswerte von etwa 4.56 Milliarden Jahren und unterscheiden sich nur geringfügig: Vom Entstehen der ersten Kondensate im solaren Urnebel über die Bildung
kleiner und größerer Staubteilchen bis
hin zur Bildung kilometergroßer Planetesimale und Kleinplaneten vergingen
nur wenige Millionen Jahre. Die sich anschließende Bildung der großen Planeten
dauerte dann noch etwa 50 bis 100 Millio-
Xenolithe
enolithe sind Gesteinseinsprenglinge in einer optisch und chemisch deutlich verschiedenen Gesteinsmatrix. Das Wort »Xenolith« wurde aus dem griechischen von xenos (fremd) und lithos
(Stein) abgeleitet und bedeutet schlicht »Fremdgestein«. In unserem Zusammenhang muss man genauer von »Mantel-Xenolithen«
sprechen. Mantel-Xenolithe sind mehr oder weniger unveränderte
Bruchstücke des festen Erdmantel-Materials, die von einem zur
Erdoberfläche aufsteigenden Magmenstrom mitgerissen wurden,
ähnlich Kieselsteinen in einem Fluss. Es handelt sich also nicht zwingend um den Schmelzrest der Magmenentstehung, sondern um einfach mitgerissenes Material. Mantel-Xenolithe, im Volksmund auch
Olivinbomben oder -knollen genannt, treten recht häufig in den
Auswurfsmassen von Basaltvulkanen auf. Sie finden sich beispielsweise in großer Zahl in den Ablagerungen des »Dreiser-Weiher«Vulkans in der deutschen Vulkaneifel, aber auch an vielen anderen
Vulkanen weltweit.
Am häufigsten tritt Spinell-Lherzolith auf (Abb. 1), benannt nach
der Lokalität Lherz in den französischen Pyrenäen. Dieses hellgrüne
und schwere Gestein besteht hauptsächlich aus den Silikatmineralen
Olivin (ca. 60 %), Orthopyroxen (ca. 24 %) und Clinopyroxen (ca. 15
%), der Rest entfällt auf den ebenfalls namensgebenden Spinell, ein
Aluminium-Chrom-Eisen-Oxid. Die Minerale treten als rundliche
Körner von bis zu mehreren Millimetern Durchmesser auf. Der
Erdmantel wird bis zu Tiefen von 70 bis 80 km überwiegend aus
Abb. 1: Mantel-Xenolith im transportierenden grauen Basalt:
ein »Bruchstück« des Erdmantels. (Bild: T. Althaus)
15 mm
nen Jahre. Diese Befunde stützen die Hypothese, dass alle Körper im Sonnensystem gemeinsam entstanden sind, was ja
auch aufgrund der dynamischen Befunde
zu erwarten ist: Die ähnlichen Bahnlagen
der Planeten in der Ekliptik, der einheitliche Umlaufssinn ihrer Bahnen und ihrer
Eigenrotation ließen schon Immanuel
Kant zu diesem Schluss gelangen.
Als letztes Beispiel sei noch der Nachweis kurzlebiger radioaktiver Isotope
(siehe Kasten »Isotope«) im frühen Sonnensystem erwähnt, also der Präsenz
von frisch erbrütetem Auswurfmaterial
von Nachbarsternen. Dies ist ein Hinweis
auf die Geburt unseres Sonnensystems in
einem Sternhaufen. Im Sternhaufen, in
dem die Sonne entstanden ist, hatten of-
X
Abb. 2: Olivinkristall eines Mantel-Xenoliths mit rundlichen
Fluideinschlüssen. (Bild: M. Trieloff)
Spinell-Lherzolith aufgebaut (vgl. Abb. 1 im Text). Daneben finden
sich zusätzlich auch Pyroxenite und Dunite. Pyroxenite bestehen
fast ausschließlich aus Ortho- und Klinopyroxenen, bei Duniten handelt es sich um fast reinen Olivin. Der Erdmantel besteht also aus
festen Gesteinen, man darf ihn sich keinesfalls als ein glutflüssiges
Lavameer unter einer dünnen Erdkruste vorstellen. Unterhalb von
etwa 80 km Tiefe nehmen Druck und Temperatur so stark zu, dass die
Pyroxenminerale diesen Bedingungen nicht mehr standhalten können und sich in die noch dichtere Granatstruktur umwandeln. Dann
spricht man von einem Granat-Peridotit. Solche Granat-Peridotite
werden schon wesentlich seltener an die Erdoberfläche gefördert.
Der Name Peridotit stammt von Peridot, dem Schmucksteinnamen
von klarem, leuchtend-grünem Olivin.
In den Mineralen der Mantel-Xenolithe finden sich häufig kleine
Hohlräume innerhalb der Kristalle, welche mit Gasen angefüllt sind
(Abb. 2). Diese Hohlräume werden als Fluideinschlüsse bezeichnet. Im
allgemeinen handelt es sich bei den eingeschlossenen Gasen um fast
reines Kohlendioxid (CO2). Daneben finden sich aber auch die Edelgase als Beimengungen. Die Gase können entweder mechanisch durch
Zerbrechen im Hochvakuum oder thermisch durch Aufheizen in einem
Hochvakuumofen freigesetzt werden. Nach Abtrennung der chemisch
aktiven Gase können dann in einem speziellen Massenspektrometer
(Abb. 4 im Text) Edelgasanalysen vorgenommen werden.
fenbar die ältesten massereichen Sterne
ihre Hauptentwicklung bereits abgeschlossen und durchliefen Rote-Riesen-,
Supernova- und ähnliche Endstadien.
Dabei gaben sie Material an die Umgebung ab. Dieses Material geriet auch in
den Urnebel unserer masseärmeren, sich
langsamer entwickelnden und deshalb
noch jungen (Proto-)Sonne.
Die Verarmung
der flüchtigen Elemente
im inneren Sonnensystem
Doch nun zurück zu den astronomisch
relevanten geochemischen Untersuchungen terrestrischer Gesteine: Aus den Analysen der Gesteine aus dem Erdinnern
und der Erdkruste lässt sich eine durch-
schnittliche Zusammensetzung des Gesteinsanteils der Erde (d. h. ohne den
metallischen Eisen-Nickel-Kern) berechnen und mit den solaren Elementhäufigkeiten vergleichen. Dabei fällt
zweierlei besonders auf: erstens eine starke Verarmung der Anteile an metallischen oder metallliebenden Elementen,
z. B. Kobalt, Kupfer, Zink, Silber, Gold.
Diese sind bei der Bildung des Erdkerns
zusammen mit Eisen und Nickel in den
Erdkern »abgewandert«. Zweitens zeigt
sich eine ausgeprägte Verarmung der
flüchtigen Elemente, wie z. B. der Alkalielemente Lithium, Natrium, Kalium,
Rubidium, Cäsium. Laboruntersuchungen extraterrestrischer Gesteine von bestimmten Asteroiden, dem Erdmond
SuW-Dossier
Die Erde
91
oder Mars weisen ebenfalls ein solches
Defizit auf. Beim Element Kalium kann
man diese Verarmung auch bei Planeten
nachweisen, von denen bisher nur Sondendaten vorliegen, z. B. bei der Venusoberfläche. Das heißt, die Verarmung
flüchtiger Elemente – um bis zu einen
Faktor 100 – betraf das gesamte innere
Sonnensystem, nicht nur die Erde.
Edelgas-Häufigkeiten
im inneren Sonnensystem
Die Verarmung flüchtiger Elemente im
inneren Sonnensystem betraf insbesondere auch die gasförmigen Komponenten
und führte zur »Dichotomie« des Sonnensystems, also zur Trennung in die terrestrischen Planeten im inneren Sonnensystem und die Gasriesen im äußeren
Sonnensystem. Der Grad der Verarmung
(um mehrere Größenordnungen) lässt
sich aus den Häufigkeitsverhältnissen der
Edelgase ableiten. Abb. 5 zeigt die Konzentrationen der Edelgase, normiert auf
kosmische oder solare Häufigkeiten: Für
die Planeten Erde und Mars wird die gesamte Menge der Edelgase der Atmosphäre durch die Masse des jeweiligen
Planeten geteilt, da diese Planeten im Laufe ihrer Entwicklung weitgehend entgasten (siehe nachfolgende Abschnitte). Für
primitive (also weitgehend unentgaste)
Meteorite werden die im Gestein gemessenen Konzentrationen dargestellt. Edelgase eignen sich aus mehreren Gründen
für solche Vergleiche besser als unedle
Gase. Zum einen gehen sie keine Ver-
1
kosmische Häufigkeiten (solar)
10–2
Elementhäufigkeit
10–4
10–6
10–8
Meteorite
10–10
Erde
Der Ursprung
der terrestrischen Edelgase:
Entgasung des Erdmantels?
10–12
Mars
10–14
4He
92
20Ne
36Ar
84Kr
130Xe
Abb. 5: Edelgashäufigkeiten planetarer
Körper, normiert auf kosmische oder
solare Häufigkeiten. Edelgase sind auf
Körpern im inneren Sonnensystem
stark verarmt, insbesondere die leichten Edelgase.
SuW-Dossier
bindungen mit anderen Elementen ein;
ihre Häufigkeit ist dementsprechend unabhängig von chemischen Prozessen (wie
im Falle des terrestrischen Kohlenstoffs
beispielsweise die Einbindung in die Biosphäre, oder die unterschiedliche Flüchtigkeit der verschiedenen Molekülverbindungen gasbildender Elemente, etwa
Kohlenstoff in CO2, CH4, Stickstoff in N2,
NH3 etc.). Zum anderen decken die Edelgase einen großen Massenbereich ab,
man ist also empfindlicher für atommassenabhängige Prozesse (siehe Kasten
rechts). Schließlich gibt es IsotopenAnomalien durch die Bildung von Edelgasisotopen aus radioaktiven Zerfällen
(etwa von Uran, Thorium, Kalium; siehe
Kasten rechts und Tabelle 1) – letztere ermöglichen Aussagen über die Herkunft
der Edelgase aus verschiedenen Reservoirs bzw. deren Evolution. Beispielsweise weist das MORB-Reservoir einen höheren Überschuss radiogener Nuklide auf
als der tiefe Erdmantel (siehe Tabelle 2 im
Kasten rechts), was ein Hinweis auf eine
noch intensivere Entgasung des seichten
Erdmantels ist.
Die Häufigkeitsverhältnisse der Edelgase in Abb. 5 zeigen also, dass das innere
Sonnensystem an Edelgasen noch stärker
als an gesteinsbildenden flüchtigen Elementen verarmt ist. Ursache könnte ein
starker Sonnenwind während des frühen
T-Tauri-Stadiums unserer Sonne gewesen
sein, der Gase und andere flüchtige Elemente der Akkretionsscheibe nach außen
trieb.
Unklar ist jedoch, in welchem Stadium
der Akkretion dies stattfand, d.h. ob es zu
dieser Zeit lediglich sehr kleine Planetesimale gab oder schon fast ausgewachsene Protoplaneten. Die Klärung dieser
Frage hätte enorme Konsequenzen für
unser Verständnis des Entstehungsmechanismus der Atmosphären der terrestrischen Planeten, denn beinahe ausgewachsene Planeten könnten durch ihre
Schwerkraft eine Uratmosphäre solarer
Zusammensetzung festhalten. Bei kleinen Planetesimalen müssen dagegen andere Prozesse wirksam sein, etwa vorherige Adsorption der Gase auf Staubkörner.
Die Erde
Abb. 5 zeigt noch weitere interessante
Details. Auffällig ist, dass die Planeten an
leichten Edelgasen offensichtlich noch
stärker verarmt sind als an schweren.
Dies wurde schon früh erkannt und als
Hinweis gedeutet, dass die heutigen Atmosphären nicht direkt durch die Gravitation der Protoplaneten aus dem solaren
Nebel eingefangen wurden. Vielmehr
Isotope
sotope sind Atome des gleichen chemischen Elements mit unterschiedlicher
Atommasse: Sie unterscheiden sich nur
durch die Anzahl der Neutronen im Atomkern und verhalten sich chemisch gleich.
Zum Beispiel werden Isotopenverhältnisse beim teilweisen Aufschmelzen eines
Gesteins und nachfolgendem Entzug dieser Schmelze nicht verändert. Die Isotopenzusammensetzung einer Schmelze aus
dem Erdmantel spiegelt somit die unverfälschte Signatur der Mantelquelle wider.
Messbare Änderungen von Isotopenverhältnissen sind nur möglich durch
massenabhängige physikalische Prozesse (so genannte »Massenfraktionierung«), beispielsweise durch Diffusionsprozesse. Auch Kernprozesse wie radioaktiver Zerfall bestimmter Mutterisotope
können die Isotopie durch Zuwachs neu
entstehender (»radiogener«) Isotope
ändern (Tabelle 1). Isotope, die nicht
durch Kernreaktionen (außer in Sternen
vor der Bildung des Sonnensystems) gebildet wurden, bezeichnet man als »primordial«, sie haben ihre Häufigkeiten
seit der Entstehung des Sonnensystems
nicht verändert.
Alle Edelgase besitzen mehrere Isotope (siehe Tabelle 1). Helium hat zwei
Isotope, 3He und 4He, dabei bezeichnet
die hochgestellte Zahl vor dem Elementsymbol die jeweilige Atommasse. Neon
und Argon haben je drei Isotope. Neben
I
legt die Ähnlichkeit zum meteoritischen
Häufigkeitsmuster die Annahme nahe,
dass die akkretierenden Planetesimale
die Edelgase bereits in sich hatten und
sich die Atmosphären der Planeten durch
Entgasung des sich zusammenballenden
Materials bildeten. Diese Hypothese
wurde bereits im Jahre 1937 durch Carl
Friedrich von Weizsäcker aufgestellt,
und zwar anhand von Überlegungen
zum Edelgasisotop 40Ar. Dieses entsteht
durch Zerfall des radioaktiven KaliumIsotops 40K und somit in der festen Erde.
Es ist aber das häufigste Argonisotop der
irdischen Atmosphäre, wohingegen seine kosmische Häufigkeit eher gering ist.
40Ar kann also nur durch Entgasung der
festen Erde in die Atmosphäre gelangt
sein, und ist dort der dritthäufigste Bestandteil nach Stickstoff und Sauerstoff.
Obwohl die Erde tatsächlich weitgehend
entgast ist, enthält sie noch geringe, aber
messbare Spuren von Edelgasen, die z.B.
in den in Abb. 2 und 3 und in den Abb. 1
und 2 im Kasten »Xenolithe« gezeigten
Gesteinen enthalten sind.
Primordiale Isotope
Radiogene Isotope
Mutterisotope
4He
20Ne, 22Ne
21Ne
Uran, Thorium*
36Ar, 38Ar
40Ar
40K
Tabelle 1: Primordiale und radiogene
Isotope von Helium (He), Neon (Ne)
und Argon (Ar) zusammen mit ihren
Mutterisotopen. Die radiogenen Isotope gehen aus den Mutterelementen
durch radioaktiven Zerfall hervor (*im
Fall von 21Ne durch andere, sekundäre
Kernreaktionen). Die Häufigkeiten
primordialer Isotope werden durch
radioaktiven Zerfall nicht verändert.
Isotopenverhältnis
Luft
4He/3He
720000
21Ne/22Ne
40Ar/36Ar
235U, 238U, 232Th
3He
Tabelle 2: Wichtige Edelgas-Isotopenverhältnisse in der Luft, in MittelOzeanischen Rückenbasalten (MORB)
und Ozean-Insel-Basalten (OIB). Die
MORB-Basalte stammen aus eher
seichten Mantellagen, die Ozean-Insel-Basalte haben ihren Ursprung im
tiefen Erdmantel. Auffällig sind die
großen Unterschiede der Isotopenverhältnisse von MORB und OIB.
MORB
0.029
296
Helium, Neon und Argon existieren noch
die schweren Edelgase Krypton (Kr) und
Xenon (Xe), die sich aus sechs (Kr) bzw.
neun (Xe) Isotopen zusammensetzen.
Bei radioaktiven Mutterisotopen unterscheidet man solche mit langen und
kurzen Halbwertszeiten: Langlebige Isotope (alle in Tabelle 1 aufgeführten) sind
Wenn es sich bei diesen Edelgasen also
um Rückstände der Erdmantelentgasung
handelt, müssen sie in einem eindeutigen
Zusammenhang mit den Edelgasen der
Atmosphäre stehen. Also ist es auch in
diesem Fall wichtig (obwohl die Hauptmenge der Edelgase bereits im wesentlichen in der Atmosphäre ist), einen Blick
ins Innere der Erde zu werfen. Methodische Verbesserungen in der Edelgasanalytik der letzten Jahre haben folgendes gezeigt (s. Tabelle 2 im Kasten oben): Der
Erdmantel enthält (relativ zu den »primordialen« Isotopen) mehr Edelgasisotope aus radioaktiven Zerfällen als die Atmosphäre. Dies deutet darauf hin, dass
der Erdmantel die primordialen Isotope
in die Atmosphäre sehr früh abgab, worauf sich die radiogenen Isotope im Erdinnern anreichern konnten. Da man auch
Überschüsse von sehr kurzlebigen Isotopen findet, muss ein Großteil der Mantelentgasung sogar sehr früh stattgefunden haben, eine Rechnung ergibt etwa
100 Millionen Jahre nach Akkretionsbeginn (d. h. innerhalb der ersten zwei Pro-
OIB /PLUME
90000
0.060
35000
20 000
0.036
8000
heute noch aktiv und erzeugen messbare
Zerfallsprodukte, kurzlebige Isotope waren nur kurz nach ihrer Synthese in Sternen aktiv, d. h., nur in der Frühzeit unseres Sonnensystems, nachdem der solare
Nebel mit Auswurfmaterial massereicher
Sterne des jungen Sternhaufens angereichert wurde.
zent der Erdgeschichte). Darüber hinaus
verraten uns die Edelgase auch noch
etwas über den Entgasungsgrad der unterschiedlichen Mantelreservoire. Der
seichte Erdmantel (MORB) enthält durchweg mehr radiogene Edelgasisotope (4He,
21Ne, 40Ar; siehe Tabellen 1 und 2 im Kasten oben) als der tiefe Erdmantel (OIB).
Dies ist auf einen Mangel an primordialen
Isotopen zurückzuführen und bedeutet,
dass der seichte MORB-Mantel stärker entgast ist.
... oder doch eine Uratmosphäre
solaren Ursprungs?
Wenn die Entgasungshypothese richtig
ist, muss eine wichtige Bedingung erfüllt
sein, nämlich die »primordialen« Isotope
im Erdinneren müssen mit denen in der
Atmosphäre übereinstimmen. Dies
scheint zwar für die schweren Edelgase
Argon, Krypton und Xenon zu stimmen,
nicht jedoch für das leichte Edelgas Neon.
Bis vor etwa zehn Jahren glaubte man,
dass das Neon im Erdmantel dieselbe
Zusammensetzung wie atmosphärisches
Neon hätte, wie es die Entgasungshypothese nahelegte. Darauf schienen viele
Messdaten von Proben des Erdmantels
hinzuweisen. Anfang der neunziger Jahre
ergaben jedoch Untersuchungen an Basaltgläsern des submarinen Loihi-Vulkans bei Hawaii kleine Abweichungen der
Neon-Isotopenverhältnisse vom atmosphärischen Wert (Honda et al., siehe weiterführende Literatur). Diese Entdeckung
zeigte, dass die meisten bis dahin gemessenen Proben von atmosphärischem
Neon lediglich »kontaminiert« waren.
Das eigentliche Mantel-Neon glich eher
der isotopischen Zusammensetzung von
solarem Neon (siehe nächster Abschnitt).
Die Existenz von solarem Neon im Erdinneren schien folgende Hypothese zu
bestätigen: Zuerst bildete sich eine Protoerde mit mehr als einem Zehntel der heutigen Erdmasse aus dem solaren Urnebel
(Abb. 6 a). Der Gasanteil der Akkretionsscheibe (vor allem Wasserstoff, Helium,
etc.) war noch präsent, so dass die Protoerde eine Uratmosphäre aus solaren
Gasen gravitativ an sich binden konnte.
So konnten solare Gase auch vom Erdinneren aufgenommen werden. Anschließend wurde der Gasanteil des solaren Urnebels durch einen intensiven Sonnenwind »weggeblasen« (Abb. 6 b). Der Verlust der Gase und der anderen flüchtigen
Elemente im inneren Sonnensystem fand
also erst spät, nach der fast vollständigen
Akkretion der terrestrischen Planeten
statt. Dabei ging auch die solare Uratmosphäre der Erde durch den intensiven
Sonnenwind zum größten Teil verloren,
insbesondere die leichten Edelgase (siehe
»Massenfraktionierungsprozesse«
im
Kasten links). Gemäß den charakteristischen Häufigkeitsmustern in Abb. 5 verblieben bevorzugt die schweren Edelgase
in der Restatmosphäre. Die Ähnlichkeit
zu meteoritischen Häufigkeiten wäre bei
diesem Szenario mehr oder weniger zufällig.
Solares Neon im Erdmantel
Man hatte nun Hinweise auf Entgasungsprozesse und eine solare Uratmosphäre gefunden, die sich teilweise widersprachen. Ein Ausweg aus dieser Situation ergab sich bei noch genaueren NeonIsotopen-Untersuchungen an Gesteinen
des Erdmantels.
Neon besteht aus drei Isotopen mit den
Atommassen 20, 21 und 22. Im Erdmantel
sind 20Ne und 22Ne primordialen Ursprungs, nur 21Ne kann in signifikanten
Mengen durch radioaktive Prozesse gebildet werden. In Abb. 7 sind die beiden
Isotopenverhältnisse 20Ne/22Ne und 21Ne/
22Ne gegeneinander aufgetragen. Zunächst interessiert uns hier die Variation
SuW-Dossier
Die Erde
93
Solarer Urnebel
Solarer Urnebel
Uratmosphäre
Protoerde
1/ M
10 Erde
Protoerde
Heftiger Sonnenwind
Abb. 7: Neon-3-Isotopendiagramm. In
diesem Diagramm wird das 20Ne/22NeVerhältnis gegen das 21Ne/22Ne-Verhältnis aufgetragen. Die blauen Datenpunkte wurden an dem in Abb. 3
gezeigten MORB-Glas gemessen. Die
roten und grünen Messpunkte stammen von Mantel-Xenolithen aus Hawaii
und Basaltgläsern aus Island und
repräsentieren Plume-Vulkanismus aus
tiefen Erdlagen (siehe Abb. 1).
Abb. 6: Verarmung flüchtiger Elemente
in einem späten Stadium der Planetenbildung. Erst entsteht eine »Protoerde« mit mehr als einem Zehntel der
heutigen Erdmasse im solaren Urnebel
(links). Danach wird der Gasanteil des
solaren Urnebels und auch die solare
Protoatmosphäre durch einen intensiven Sonnenwind »weggeblasen«
(rechts).
14
Solar
13
12
d
n
Tre
Plum
e-Tr
end
20Ne/22Ne
Ne-B
11
MO
RB
10
Luft
0.03
0.04
21Ne/22Ne
94
SuW-Dossier
Die Erde
0.05
0.06
des 20Ne/22Ne-Verhältnisses, also der primordialen Isotope: Die atmosphärische
Zusammensetzung (in Abb. 7 als »Luft«
bezeichnet) liegt bei einem 20Ne/22NeVerhältnis von 9.8 und unterscheidet sich
(wie die Elementhäufigkeiten in Abb. 5)
von der solaren Zusammensetzung, die
bei einem 20Ne/22Ne-Verhältnis von 13.8
liegt.
Obwohl einige Messpunkte in Abb. 7
nahe bei atmosphärischer Zusammensetzung liegen, scheint es sich hierbei lediglich um eine Kontamination der Proben
mit Luft-Neon zu handeln. Das eigentliche
Mantel-Neon besitzt offensichtlich höhere
20Ne/22Ne-Verhältnisse als atmosphärisches Neon, was auf einen solaren Ursprung hinweist. In Abb. 7 ist dies daran zu
erkennen, dass die Proben der verschiedenen Mantelreservoire auf Geraden
(»Plume-Trend« und »MORB-Trend«) liegen,
die sich von atmosphärischer Zusammensetzung zu höheren 20Ne/22Ne-Verhältnissen erstrecken. Messpunkte mit den
höchsten 20Ne/22Ne-Verhältnissen enthalten den größten Anteil an Mantel-Neon.
Sie sind also am wenigsten mit atmosphärischem Neon kontaminiert. Die
eigentlichen Mantelkomponenten (MORB
und Plume) liegen in Abb. 7 also bei hohen
20Ne/22Ne-Verhältnissen, unterscheiden
sich aber in den 21Ne/22Ne-Verhältnissen
(siehe Tabelle 2 im Kasten »Isotope« und
Ausführungen oben). So ergibt sich der
Unterschied von Plume- und MORB-Trend.
Die in Abb. 7 in rot und grün dargestellten Messpunkte sind Ergebnisse hochgenauer Neonisotopenmessungen, die
kürzlich am Institut de Physique du Globe in Paris durchgeführt wurden. Diese
brachten ein überraschendes Ergebnis
(Trieloff et al., siehe Literaturhinweise).
Bei den untersuchten Proben handelte es
sich um Kristallisationsprodukte (sogenannte Dunite, siehe Kasten »Xenolithe«)
aus der Magmenkammer des schon
erwähnten Loihi-Seamounts. Die Dunite
wurden in Basalten gefunden, die während einer Fahrt des Forschungsschiffes
Kane Keoki mittels einer »Schleppschaufel« von erstarrten Lavaströmen des Loihi-Vulkans in Tiefen zwischen 1400 und
2200 m abgekratzt wurden. Weitere Proben waren Basaltgläser aus Island, die unter Gletschern eruptiert und ähnlich den
submarinen Basaltgläsern schnell abgeschreckt worden waren.
Sonnenwind in der Erde!
In Abb. 7 ist gut erkennbar, dass die
Messpunkte entlang einer Geraden von
atmosphärischer Zusammensetzung bis
zur eigentlichen Mantelkomponente mit
hohen 20Ne/22Ne-Verhältnissen reichen.
Das überraschende Ergebnis der Messungen war jedoch die Häufung von
20Ne/22Ne-Verhältnissen um den Wert
12.5. Dies entspricht nicht der unveränderten solaren Zusammensetzung mit
einem 20Ne/22Ne-Verhältnis von 13.8
(Abb. 7). Der Maximalwert von 12.5 ist
vielmehr typisch für solares Neon, wie es
vom Sonnenwind als Teilchenstrahlung
in Meteorite eingebaut oder »implantiert«
wird. Derartiges Neon wird als »Ne-B«
bezeichnet. Der Unterschied im Isotopenverhältnis kann durch Massenfraktionierung erklärt werden, d. h., durch
Prozesse, die Isotope verschiedener Masse unterschiedlich stark betreffen (siehe
Kasten »Isotope«). Beispielsweise sind im
energiereichen, also schnellen Anteil des
Sonnenwindes die leichten Neonisotope etwas seltener. Diese energiereichen
Teilchen werden tiefer und effizienter in
Gesteinsoberflächen eingeschossen, so
dass dabei das 20Ne/22Ne-Verhältnis von
13.8 auf 12.5 erniedrigt wird.
Um jedoch ausreichend SonnenwindNeon in die frühe Erde (bzw. in die zur
Erde akkretierenden Planetesimale) einzubauen, waren zwei Grundbedingungen
erforderlich: Einerseits musste die Gaskomponente des solaren Urnebels bereits
so verdünnt gewesen sein, dass die solare
Teilchenstrahlung überhaupt in den
Bereich der Erdbahn vordringen konnte.
Andererseits mussten die Planetesimale
noch klein genug sein (eine Überschlagsrechnung ergibt etwa zwischen 10 und
1000 Meter), um die erforderlichen Neonkonzentrationen zu erreichen. Kleinere
Körper haben ein höheres Verhältnis von
Eine kleine Geschichte der Edelgase
ie Edelgase sind der Wissenschaft
noch nicht sehr lange als solche bekannt. Zwar stieß bereits 1784 Henry Cavendish auf die Edelgase in der Luft,
erkannte jedoch nicht die Bedeutung seiner Entdeckung. In einem abgeschlossenen Gefäß, in dem sich über Natronlauge
(NaOH) ein Gemisch aus Luft und Sauerstoff befand, ließ Cavendish elektrische
Funken schlagen. Dabei bildete sich Stickstoffdioxid (NO2), welches sich in der Lauge löste, so dass das Gasvolumen ständig
abnahm. Als noch die letzten Sauerstoffreste durch ein Absorptionsmittel entfernt wurden, blieb trotz aller Bemühungen eine kleine Restblase zurück, die Cavendish auf etwa 1/120 der eingesetzten
Luftmenge (heutiger Wert 0.94 Volumenprozent) schätzte.
Erst 1868 folgte die nächste Entdeckung, als die Astronomen Janssen und
Lockyer während einer Sonnenfinsternis
im Sonnenspektrum (in diesem Falle das
Spektrum der Chromosphäre) neben den
Spektrallinien des Natriums Linien eines
weiteren, bislang unbekannten Elements
fanden, das offenbar auf der Erde nicht
vorkam. Aufgrund des Fundortes wurde es
– nach dem griechischen Sonnengott
Helios – Helium (He) genannt.
Im Jahre 1894 fiel dem britischen Wissenschaftler John W. Rayleigh auf, dass der
aus Luft gewonnene Stickstoff eine etwas
höhere Dichte besaß, als der aus Stickstoffverbindungen wie Ammoniak (NH3) freigesetzte. Offenbar gab es in der Luft ein nicht
reagierendes (inertes) Gas, das etwas
schwerer als Stickstoff ist. Diesem Gas ging
dann Rayleigh zusammen mit dem Chemiker William Ramsay nach. Sie verbrannten in einem abgeschlossenen Gefäß Kup-
D
Oberfläche zu Masse, d. h., die Oberflächenimplantation ist entsprechend effektiver. Das bedeutet, der Gasanteil der Akkretionsscheibe war bereits weggeblasen,
als die Planetesimale noch kleiner als etwa
1 km waren (Abb. 8 a). Nach der Ausdünnung des solaren Gases konnte Sonnenwind in ausreichender Konzentration in
die Oberflächen der kleinen Planetesimale eingebaut werden (Abb. 8 b). Wenn
aber der Gasanteil der Akkretionsscheibe
bereits in diesem Frühstadium der Planetesimalbildung verschwunden war, stand
bei fortgeschrittener Akkretion der frühen Protoerde überhaupt kein solares Gas
mehr zur Verfügung, aus der sie eine solare Uratmosphäre hätte an sich binden
können. Dies steht aber im direkten
Widerspruch zu Modellen nach Abb. 6.
ferspäne, um den Luftsauerstoff zu entfernen, anschließend wurde der Luftstickstoff
durch Erhitzen mit Magnesium-Metall als
Magnesiumnitrid (Mg3N2) abgeschieden.
Das zurückbleibende Gas wurde aufgrund
seiner Trägheit, eine chemische Verbindung einzugehen, Argon (Ar) nach griechisch argos = träge genannt.
1895 konnte Ramsay einen weiteren
Erfolg verbuchen, als er durch Auflösen
von uranhaltigen Mineralen in starken
Säuren ein ebenfalls inertes Gas freisetzte. Durch Spektralanalysen stellte es sich
als das schon auf der Sonne nachgewiesene Helium heraus. Helium findet sich
in Uranmineralen in großer Menge, da es
als Produkt des radioaktiven Zerfalls von
Uran entsteht (siehe Kasten »Isotope«).
Die Suche nach weiteren Edelgasen
wäre wohl lange Zeit wenig erfolgreich
gewesen, wenn nicht 1896 der deutsche
Ingenieur Carl von Linde eine Maschine
zur Verflüssigung von Luft erfunden hätte. Aus dieser »flüssigen Luft« konnte
wiederum William Ramsay durch Destillation Argon abtrennen und weiter untersuchen. 1898 fand Ramsay ein weiteres
Edelgas, von ihm Neon (Ne) nach griechisch neos = neu genannt. Gleichzeitig
waren Ramsay aber noch zwei weitere, gar
nicht gesuchte Edelgase in die Falle geraten, die er Krypton (Kr) nach kryptos =
verborgen und Xenon (Xe) nach xenos =
fremd taufte. Nun waren alle stabilen
Edelgase entdeckt, bis zur Entstehung der
Edelgasgeochemie sollten jedoch noch einige Jahrzehnte vergehen. Erst zu Beginn
der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts
wurden die ersten Heliumisotopenanalysen an Gesteinsproben durchgeführt.
T. A.
Aus den Resultaten der Neonanalysen
ergeben sich äußerst wichtige Kernaussagen über die frühe Geschichte des inneren Sonnensystems: Sehr früh, bevor sich
überhaupt Protoplaneten bildeten, fand
die Verarmung der Gase und anderer
flüchtiger Stoffe statt. Die wahrscheinliche Ursache war ein extrem starker Sonnenwind während des T-Tauri-Stadiums
unserer Sonne, denn unsere Erde zeigt in
ihrem Inneren noch Spuren dieser frühen
Bestrahlung. Die eigentliche Planetenbildung fand danach in einer relativ gasarmen Umgebung statt. Die terrestrischen
Planeten konnten daher nie eine solare
Uratmosphäre an sich binden.
Die scheinbar einfache Frage, ob der
Grenzwert des 20Ne/22Ne-Isotopenverhältnisses im Erdmantel 12.5 oder 13.8
SuW-Dossier
Die Erde
95
Solarer Urnebel
Solarer Urnebel
Planetesimale
Planetesimale
Heftiger Sonnenwind
Abb. 8: Verarmung flüchtiger Elemente
in einem frühen Stadium. Solange der
Gasanteil der Scheibe noch vorhanden
ist, sind die akkretierenden Planetesimale kleiner als 1 km (links). Nach
der Ausdünnung des solaren Gases wird
in die Oberflächen der kleinen Planetesimale Sonnenwind implantiert
(rechts).
beträgt, hat also enorme Konsequenzen
für die Akkretionsgeschichte der Erde (und
somit auch für die anderen terrestrischen
Planeten) im frühen Sonnensystem.
Fazit
Isotopengeochemische Untersuchungsmethoden terrestrischer und extraterrestrischer Gesteine haben also einen hohen
Stellenwert für planetologisch-astronomische Fragestellungen. Die Analysen der
elementaren und isotopischen Zusammensetzung von Edelgasen ergaben eine
Fülle an neuen Informationen über die
Entwicklung der Erdatmosphäre. Dabei
spielte die frühe Entgasung des Erdmantels
innerhalb der ersten 100 Millionen Jahre
eine wichtige Rolle, obwohl ähnliche
Entgasungsprozesse auch heute noch (z.B.
durch Vulkanismus) stattfinden. Darüber
hinaus liefern Edelgasuntersuchungen
auch Informationen über die Bildung der
anderen terrestrischen Planeten.
Die hier beschriebenen Neonanalysen,
die auf implantierten Sonnenwind aus der
Akkretionsphase hinweisen (Abb. 8), stellen gewissermaßen eine Ausnahme dar.
Bislang benötigte man in der Regel Messungen extraterrestrischer Gesteine, etwa
primitiver, chemisch kaum veränderter
oder sehr alter Meteorite, um die frühe
Entstehung der Erde zu verstehen. Gesteine anderer Himmelskörper verrieten uns
etwas über den Ursprung der Erde, das wir
von terrestrischen Gesteinen nicht mehr
erfahren konnten. Da die Erde ein tektonisch sehr aktiver Planet ist, gibt es aus der
frühesten Urzeit keine Gesteine mehr,
anders als etwa auf den Asteroiden, dem
Erdmond, dem Mars oder dem Merkur.
Nun aber zeigten uns Untersuchungen des Erdinnern, dass wir umgekehrt
auch von der Erde etwas Neues über die
anderen Körper im Sonnensystem erfahren können. Implantierten Sonnenwind
kennen wir auch von Meteoriten, bei diesen kleinen Körpern kann er aber durchaus jüngeren Ursprungs sein. Dass die
Literaturhinweise
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Erdinnern: M. Honda, I. McDougall,
D. B. Patterson, A. Doulgeris and
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Zur Entdeckung von implantiertem Sonnenwind (Ne-B) im Erdinnern: M. Trieloff, J. Kunz, D. A. Clague, D. Harrison, C. J. Allègre: The nature of pristi-
96
SuW-Dossier
Die Erde
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Zur Edelgasgeochemie: M. Ozima und
F. A. Podosek: Noble gas geochemistry, Cambridge University Press,
1983, Neuauflage 2001.
Zu Entwicklung und Struktur der Erde: F.
Press, R. Sievers: Allgemeine Geologie, Spektrum Akademischer Verlag,
Heidelberg-Berlin-Oxford, 1995.
Erde selbst als großer Planet Sonnenwind
in ihrem Innern aufweist, erfordert zwingend eine Bestrahlung der kleinen Planetesimale im frühesten Sonnensystem
(Abb. 8 b): Nur kleine Körper können
aufgrund des günstigen Verhältnisses
ihrer Oberflächen zu ihren Volumina
Sonnenwind in der erforderlichen Menge
aufnehmen. Für die Erde war das nur
während der Akkretion in den ersten wenigen Millionen Jahren ihrer Entstehung
möglich, nicht aber für den Rest der folgenden 4500 Millionen Jahre.
Der Blick in die Tiefen der Erde ermöglicht so auch einen Einblick in die
frühe Entstehungsgeschichte des Sonnensystems.
Seit seiner Promotion
1993 am Heidelberger
MPI für Kernphysik,
Abt. Kosmophysik erforscht Mario Trieloff
Meteorite, Impaktkrater und Gesteine des
Erdmantels. Seit 1998 arbeitet er als HeisenbergStipendiat der DFG am Mineralogischen Institut
der Universität Heidelberg an der Geochemie der
Edelgase im Erdmantel.
Tilmann Althaus promovierte 1999 an der Universität Potsdam über die
Geochemie der Edelgase.
Ab 2001 untersuchte er
in Heidelberg die Edelgase des Pannonischen Beckens (Ungarn). Seit Mai
2002 ist er Redakteur von Sterne und Weltraum.
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