Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei Kosten und

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GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE
FACHABTEILUNG A: WIRTSCHAFTS- UND WISSENSCHAFTSPOLITIK
UMWELTFRAGEN, VOLKSGESUNDHEIT UND
LEBENSMITTELSICHERHEIT
Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei
Kosten und Zugänglichkeit
STUDIE
Inhalt
Dieser Bericht befasst sich mit den Preisunterschieden bei Arzneimitteln in den
Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Preise für patentgeschützte Arzneimittel sowie
für patentfreie Arzneimittel, für die es eine Konkurrenz durch kostengünstigere Generika
gibt. Dabei wird näher beleuchtet, mit welchen unterschiedlichen Strategien Mitgliedstaaten
den Arzneimittelmarkt sowohl angebots- als auch nachfrageseitig zu regulieren versuchen
und wie sich diese Maßnahmen auf Arzneimittelpreise, Kostendämpfung und Innovationen
in der Branche auswirken. Ein weiterer Gesichtspunkt sind die Folgen für den Zugang der
Patienten zu den Arzneimitteln. Abschließend werden politische Optionen für eine
Verstärkung der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und den Austausch bewährter
Verfahren untersucht.
IP/A/ENVI/ST/2010-12
2010
PE 451.481
DE
Dieses Dokument wurde vom Ausschuss für Umweltfragen,
Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments angefordert.
Volksgesundheit
und
VERFASSER
Panos Kanavos
Sotiris Vandoros
Rachel Irwin
Elena Nicod
Margaret Casson
Medical Technology Research Group – LSE Health
London School of Economics and Political Science
Auf der Grundlage eines Rahmenvertrags mit Milieu Ltd
ZUSTÄNDIGER VERWALTUNGSBEAMTER
Marcelo Sosa-Iudicissa
Fachabteilung Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik
Europäisches Parlament
B-1047 Brüssel
E-Mail: [email protected]
SPRACHFASSUNGEN
Original: EN
Zusammenfassung: DE/FR
ÜBER DEN HERAUSGEBER
Kontaktaufnahme zur Fachabteilung oder zur Bestellung des Newsletters: [email protected]
___________
Redaktionsschluss: März 2011
Brüssel, © Europäisches Parlament, 2011
Dieses Dokument ist im Internet abrufbar unter:
http://www.europarl.europa.eu/activities/committees/studies.do?language=EN
________
HAFTUNGSAUSSCHLUSS
Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen
nicht unbedingt dem offiziellen Standpunkt des Europäischen Parlaments.
Nachdruck und Übersetzung – außer zu kommerziellen Zwecken – mit Quellenangabe
gestattet, sofern der Herausgeber vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird.
Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei Kosten und Zugänglichkeit
ZUSAMMENFASSUNG
Dieser Bericht wurde auf Ersuchen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Lebensmittelsicherheit (ENVI) des Europäischen Parlaments erarbeitet. Er soll mehr Aufschluss
darüber geben, warum die Arzneimittelpreise und die öffentlichen Arzneimittelausgaben in den
einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind.
Zwar ist die gesundheitliche Betreuung der EU-Bürger in erster Linie Aufgabe der
Mitgliedstaaten, jedoch wurde der Europäischen Union 2009 durch den Vertrag von Lissabon
eine größere Rolle im Bereich der öffentlichen Gesundheit zuerkannt, so auch beim Austausch
bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten.
Die Arzneimittelpreise sind ein Schlüsselfaktor für die Gesundheitsfürsorge, da die Arzneimittel
die drittwichtigste Kostenkomponente in den Gesundheitshaushalten der Mitgliedstaaten
darstellen. Diese Kosten sind ganz erheblich und steigen rascher an als das BIP der
Mitgliedstaaten, was hauptsächlich auf eine alternde Bevölkerung und den immer größeren
Aufwand für die Entwicklung neuer pharmazeutischer Technologien zurückzuführen ist.
Zudem nimmt die Branche, auf die sich eine Regulierung der Arzneimittelpreise auswirkt, einen
wichtigen Stellenwert in Europas Wirtschaft ein, was Beschäftigung, Produktion sowie
Forschung und Entwicklung (FuE) anbetrifft.
In diesem Bericht werden die Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten bei einigen wesentlichen
Aspekten untersucht:



Arzneimittelausgaben, die im Rahmen der Gesundheitssysteme erstattet werden;
Arzneimittelpreise;
Pharmazeutische Produktion und Forschung
Daran schließen sich Überlegungen zu den möglichen Gründen für die Unterschiede bei den
Arzneimittelpreisen an. Es werden die Komplexität der Wechselbeziehungen zwischen den
verschiedenen Regulierungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen auf
Preisgestaltung, Kostendämpfung, Innovationen und Zugang zu den Arzneimitteln diskutiert.
Unterschiede bei Arzneimittelpreisen und –ausgaben zwischen den Mitgliedstaaten
Die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel unterscheiden sich zwischen den Mitgliedstaaten ganz
erheblich (siehe Abbildung 1 unten), wofür offenbar mehrere Faktoren verantwortlich sind, und
zwar die Menge der verbrauchten Arzneimittel, der jeweilige Anteil von Markenmedikamenten
und Generika und ihre Preise sowie der Preisanteil, der durch das nationale Gesundheitssystem
erstattet wird.
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Fachabteilung A: Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik
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Abbildung 1: Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel insgesamt (in Euro), 2008 im
Vergleich zu 2000
Greece
Ireland
France
Germany
Austria
Spain
Italy
Finland
Sweden
2008
Luxembourg
2000
Denmark
Portugal
Netherlands
Slovenia
Slovak Republic
United Kingdom
Hungary
Czech Republic
Estonia
Poland
0
100
200
300
400
500
600
700
800
Euro per capita
Quelle: OECD Health Data 2010 - Version: Juni 2010
Anmerkung: Angaben für Griechenland von 2009 (aus Quellen der nationalen Krankenversicherung); Angaben für
Portugal von 2006; für die Niederlande und Polen Angaben von 2002 statt von 2000. Der Rückgang im Vereinigten
Königreich ist auf die Abwertung des Pfund Sterling gegenüber dem Euro zurückzuführen.
Auch die Arzneimittelpreise selbst sind in den Mitgliedstaaten sehr uneinheitlich. Eine unlängst
durchgeführte Untersuchung zu den Preisen von 150 Arzneimitteln in 11 Mitgliedstaaten ergab,
dass der Durchschnittspreis für diesen „Korb“ im teuersten Land 25 % höher war als im
billigsten (britisches Gesundheitsministerium, 2009), wie aus nachstehender Abbildung 2
ersichtlich ist. (Die Preise in den USA sind erheblich höher als in jedem der 11
Mitgliedstaaten.)
Im Einzelfall kann der Preisunterschied sogar noch größer sein. Es wird grundlegend zwischen
patentgeschützten Arzneimitteln und damit verbundenen Formen von Rechten des geistigen
Eigentums (einschließlich Zeiten der Marktexklusivität und ergänzende Schutzzertifikate) und
nicht derart geschützten Arzneimitteln unterschieden. Bei Ersteren besitzen die Hersteller das
Monopol. Bei patentgeschützten Arzneimitteln wurde beobachtet, dass bei einzelnen
Erzeugnissen der Preis zwischen Mitgliedstaaten um das Vierfache variieren kann (Kanavos
und Costa-Font, 2005).
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Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei Kosten und Zugänglichkeit
Arzneimittel für seltene Krankheiten können für die Zwecke der Beurteilung
Preisunterschiede den patentgeschützten Arzneimitteln gleichgesetzt werden.
der
Abbildung 2: Preisvergleich zwischen EU-Mitgliedstaaten (und im Vergleich zu den
USA) für einen Korb von 150 Arzneimitteln; Preisindex 2008, UK=100
Britisches Gesundheitsministerium, 2009
Bei Arzneimitteln, die nicht mehr patentgeschützt sind, können Erzeugnisse der ursprünglichen
Hersteller Konkurrenz durch Generika erhalten. Diese sind oftmals viel billiger und kosten in
der Regel ein Viertel dessen, was für die ursprünglichen Markenarzneimittel verlangt wird. Auf
diesem Markt können die Preisunterschiede sogar noch größer sein. So war der Preis des
teuersten Generikums gegen Bluthochdruck 16-mal höher als der Preis des billigsten (Kanavos
and Casson, erscheint 2011). Das ist insofern von Bedeutung, als ein Großteil der in den EU-27
verbrauchten Arzneimittel nicht mehr durch Patente geschützt sind. Auch der Anteil der
Generika an den insgesamt gekauften Arzneimitteln variiert zwischen den Mitgliedstaaten. Im
Vereinigten Königreich, Deutschland, Dänemark und Schweden machen sie mehr als 50 %
aus, in den meisten anderen Mitgliedstaaten ist ihr Anteil geringer.
Pharmazeutische Produktion und Forschung
Das Niveau der Arzneimittelpreise (und die Methoden der Preisregulierung) werden sich auf
den Arzneimittelsektor auswirken, in dem europaweit 633 100 Menschen direkt beschäftigt
sind und der jährlich mehr als 26 Mrd. EUR für Forschung und Entwicklung (FuE) aufwendet.
Produziert wird in mehreren Mitgliedstaaten, Hauptproduktionsländer jedoch sind Frankreich,
Deutschland, Irland, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich. Die Standortwahl wird in
gewissem Maße durch die Größe der Binnenmärkte beeinflusst, ein weiterer wichtiger Faktor
sind die Rahmenbedingungen, die sich den Unternehmen bieten.
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Fachabteilung A: Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik
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Forschung und Entwicklung sind eine wichtige Komponente des Arzneimittelsektors, und die EU
verzeichnet weltweit die höchsten FuE-Ausgaben in diesem Bereich, wobei sie knapp vor den
Vereinigten Staaten liegt.
Die Grundlagen- und Arzneimittelforschung ist in einigen wenigen Mitgliedstaaten konzentriert.
Auf Pro-Kopf-Basis gesehen, haben Dänemark und Belgien hier die führende Position inne,
gefolgt von Schweden, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Deutschland. Die FuE zur
Arzneimittelentwicklung (einschließlich klinischer Prüfungen) erfolgt überall in der EU. Die
Politik der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Preisfestsetzung und die Bestimmung des
Erstattungsstatus bei neuen Arzneimitteln hat zweifellos Auswirkungen auf die Branche und
deren Bereitschaft, Ressourcen für Innovationen bereitzustellen.
Maßgebliche Faktoren für die Unterschiede bei den Arzneimittelpreisen
Die gravierenden Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind auf eine Reihe von
Faktoren zurückzuführen.
Ein wichtiger Faktor ist das nationale Pro-Kopf-Einkommen. Generell scheinen die Preise für
patentgeschützte Arzneimittel in Mitgliedstaaten mit höherem Pro-Kopf-Einkommen
entsprechend höher zu sein. Zudem wird in diesen Ländern offenbar mehr für Arzneimittel
ausgegeben.
Ein zweiter entscheidender Faktor sind die nationalen (und manchmal auch regionalen)
Regulierungskonzepte der Mitgliedstaaten. Sie nutzen eine Vielzahl von Instrumenten sowohl
auf der Angebotsseite (zur Festlegung der Preise und des erstattungsfähigen Anteils) als auch
auf der Nachfrageseite. Letztere können Maßnahmen einschließen, mit denen Ärzte und
Apotheker angehalten werden, kostengünstigere Generika zu verschreiben bzw. auszugeben,
sowie auch Regelungen dahin gehend, dass Patienten einen Teil der Arzneimittelkosten selbst
tragen müssen.
Auf der Angebotsseite werden normalerweise die Preise von den Gesundheitssystemen der
Mitgliedstaaten mit den Herstellern ausgehandelt, wobei verschiedene Methoden und Kriterien
zur Anwendung kommen. Das ist ein Faktor für entstehende Preisunterschiede sowohl bei
patentgeschützten Arzneimitteln als auch bei Medikamenten, für die das Patent abgelaufen ist.
Eine häufig genutzte Methode (in 24 von 27 EU-Mitgliedstaaten) zur Preisfestsetzung ist die
externe Preisreferenzierung. Grundlage für die Festlegung des Preises eines Arzneimittels ist
dabei der Vergleich mit den Preisen in anderen Mitgliedsstaaten. Dieser Ansatz kann zu
niedrigeren Arzneimittelpreisen führen, speziell wenn man sich bei der Entscheidung an den
niedrigsten Vergleichspreisen orientiert und nicht am Durchschnitt. Allerdings wird befürchtet,
dass dabei andere Aspekte wie beispielsweise die Gesundheitsprioritäten für jedes einzelne
Land vernachlässigt und zudem die innovativen Sektoren der Branche verunsichert werden.
Ausschreibungen für patentfreie Arzneimittel zur Grundversorgung (d. h. zur ambulanten
Betreuung), wie sie in einigen Mitgliedstaaten, darunter den Niederlanden und Deutschland,
praktiziert werden, haben zu deutlichen Preissenkungen geführt.
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Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei Kosten und Zugänglichkeit
Einige Mitgliedstaaten haben Preisobergrenzen für Generika festgelegt, wobei hier allerdings
eine Überprüfung ergeben hat, dass das Preisniveau in den Mitgliedstaaten niedriger ist, die
diese Methode nicht anwenden (Puig-Junoy 2010). Außerdem wird auch in breitem Umfange
eine interne Preisreferenzierung vorgenommen, um den Einsatz von Generika zu fördern und
damit dem Gesundheitssystem Kosten zu sparen.
Darüber hinaus nehmen die Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit Einfluss auf den
Preis. Die Mitgliedstaaten können eine Liste derjenigen Arzneimittel aufstellen, die durch die
Krankenversicherung erstattet werden (oder auch eine Negativliste nicht erstattungsfähiger
Arzneimittel). Eine wichtige Methode für Erstattungsentscheidungen bei patentgeschützten
Arzneimitteln ist die Technologiefolgenabschätzung im Gesundheitswesen (HTA). Sie wird
verstärkt genutzt, um einzuschätzen, welchen zusätzlichen klinischen Nutzen neue Arzneimittel
unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Kosten bringen.
Die Ergebnisse dieser Bewertungen werden vor allem herangezogen, wenn Entscheidungen
über die Erstattungsfähigkeit zu treffen sind. Da jedoch vorhandenes Belegmaterial in den
Mitgliedstaaten unterschiedlich akzeptiert und interpretiert wird, werden die HTA-Bewertungen
nicht einheitlich angewandt, was wiederum für ein und dasselbe Arzneimittel Preisunterschiede
und unterschiedliche Erstattungsvorschriften in verschiedenen Mitgliedstaaten zur Folge hat.
Die Höhe der Mehrwertsteuer (MwSt.) für Arzneimittel ist ebenfalls ein Preisfaktor, denn sie
fällt in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich aus und reicht von Null (z. B. Vereinigtes
Königreich und Schweden) bis 25 % in Dänemark. Einige Mitgliedstaaten wie etwa
Griechenland haben kürzlich die MwSt.-Sätze für Arzneimittel angehoben.
Entscheidend für die Arzneimittelpreise ist auch die Gewinnspanne der Groß- und
Einzelhändler, bei der es wiederum zwischen den Mitgliedstaaten ganz große Unterschiede
gibt. Der Staat kann gezielt auf diese Margen Einfluss nehmen, kann Auflagen für die Zahl der
Apotheken erteilen und den Konsolidierungsprozess auf dem Großhandels- und
Endkundenmarkt fördern oder begrenzen. In den Mitgliedstaaten, in denen es erlaubt ist, sind
einige Hersteller zum Direktverkauf an Apotheken übergegangen oder arbeiten nur mit einer
begrenzten
Anzahl
von
Großhändlern
zusammen,
wodurch
sich
indirekt
die
Gesamtvertriebskosten verringern lassen.
Der EU-Binnenmarkt ermöglicht es Vertriebshändlern und anderen Marktakteuren, Arzneimittel
in Mitgliedstaaten mit niedrigeren Preisen anzukaufen und sie dann dort weiterzuverkaufen, wo
die Preise höher sind. Parallel gehandelte Arzneimittel haben in den wichtigsten
Einfuhrmitgliedstaaten einen Marktanteil zwischen 1,7 % (Finnland) und 16,5 % (Dänemark)
(EFPIA, 2010). Diese Vorgehensweise, die vom Europäischen Gerichtshof überprüft und
anerkannt wurde, gilt als Mechanismus, mit dem die Preise auf den Absatzmärkten gesenkt
werden können. Insgesamt jedoch scheint es, dass die endgültigen Verkaufspreise der
Arzneimittel durch den Parallelhandel nicht wesentlich reduziert wurden. Folglich liegt die
Ursache für die Preisunterschiede zum Großteil bei den Zwischenhändlern (Kanavos und Costa
Font, 2005; Kanavos und Vandoros, 2010). Die Hersteller sind als Reaktion auf den
Parallelhandel zu Methoden des Direktverkaufs übergegangen.
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Fachabteilung A: Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik
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Zugang zu Arzneimitteln
Die unterschiedlichen Konzepte der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Arzneimittelpreisen
und Erstattung haben auch Konsequenzen für den Zugang der Patienten zu den Arzneimitteln,
da sie sowohl die Verfügbarkeit als auch die Erschwinglichkeit beeinflussen. Die HTABewertungen für neue patentgeschützte Arzneimittel können in den einzelnen Mitgliedstaaten
sehr unterschiedlich ausfallen, weshalb auch der Zugang der Patienten zu diesen Arzneimitteln
unterschiedlich ist. Vor allem der Zugang zu bestimmten Kategorien von patentgeschützten
Arzneimitteln steht in der Regel in negativer Korrelation zur Marktgröße und zum Pro-KopfBIP.
Ein niedriger Preis für ein neues Produkt auf einem nationalen Markt kann unter Umständen
dazu führen, dass die Hersteller von einem Inverkehrbringen dieses Produkts auf anderen
Märkten absehen, da aufgrund der umfassenden Anwendung der externen Preisreferenzierung
ein solch niedriger Preis ihre Preisgestaltung anderswo nachteilig beeinflussen könnte.
Ein anderes Problem ist bei Generika zu beobachten. Deren Hersteller entscheiden sich
möglicherweise gegen kleinere Märkte, sodass Gesundheitssysteme und Patienten auf diesen
Märkten keinen Zugang zu diesen preisgünstigen Alternativen haben. Ähnliche Probleme gibt
es bei neuen Arzneimitteln für seltene Krankheiten.
Auch der Parallelhandel hat Bedenken hinsichtlich des Zugangs aufkommen lassen, da er mit
einer Verknappung in den ausführenden Mitgliedstaaten verbunden ist (Kanavos und CostaFont, 2005, Gainsbury, 2009; Taylor, 2010).
Politische Optionen
Mit dem Vertrag von Lissabon erhielt die EU eine bedeutendere, wenn auch eingeschränkte,
Rolle in der Gesundheitspolitik. Sie kann den Austausch bewährter Verfahren organisieren und
fördern und die Überwachung und Evaluierung der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten
vornehmen.
Eine Option könnte darin bestehen, zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt Informationen und
politische Erfahrungen zu den Mechanismen des Kaufs von Arzneimitteln auszutauschen. Dazu
könnten bereits bestehende Initiativen wie das Netz der für Preisbildung und Erstattungsfragen
zuständigen Behörden genutzt werden. Durch einen Informationsaustausch ließen sich
bewährte Verfahren auf einzelstaatlicher Ebene feststellen. Die Anwendung der
Technologiefolgenabschätzung im Gesundheitswesen (HTA) könnte ein Schwerpunktthema
künftiger Debatten sein, da sie von immer mehr Mitgliedstaaten angewandt wird, die daraus
resultierenden Erstattungsentscheidungen oftmals aber sehr unterschiedlich ausfallen. Die
klinische Rentabilität ist einer der Faktoren, der bei der HTA-Analyse mit in Betracht gezogen
wird. Hier könnten die EU-Organe die Beteiligten miteinander ins Gespräch bringen, damit der
Wert der Innovation für Patienten, Gesundheitssysteme und EU-Arzneimittelindustrie und ihre
Rolle in der europäischen Wirtschaft leichter bestimmt werden können.
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Arzneimittel in der EU – Unterschiede bei Kosten und Zugänglichkeit
Durch eine engere Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der biomedizinischen
Innovation ließen sich bei den zuständigen nationalen Einrichtungen Überschneidungen in der
Forschungsarbeit vermeiden. Ebenso wäre es wünschenswert, die Forschungsprioritäten
entsprechend den noch bestehenden medizinischen Versorgungslücken festzulegen.
Durch Maßnahmen der EU kann zudem der umfassendere und frühzeitigere Einsatz von
Generika gefördert werden, wodurch auf einigen Märkten erhebliche Preissenkungen möglich
wären.
Zum Parallelhandel sind ebenfalls weitere Untersuchungen und Informationsaustausche auf
EU-Ebene notwendig.
Andere Optionen, über die nachgedacht werden muss, betreffen das Problem kleiner Märkte,
auf denen wegen geringerer Generikakonkurrenz höhere Preise herrschen, und die Probleme
im Zusammenhang mit der Nichtverfügbarkeit bestimmter Produkte in einzelnen
Mitgliedstaaten. Die EU könnte sich hier um entsprechende Abhilfemaßnahmen bemühen.
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Differences in costs of and access to pharmaceutical products in the EU
ALLGEMEINE INFORMATION
Überall in der EU wird die Gesundheitsfürsorge mit öffentlichen Mitteln finanziert und durch
Krankenversicherungssysteme gewährleistet, die auf den Grundsätzen der Solidarität und des
allgemeinen Zugangs beruhen.
Zwar ist die gesundheitliche Betreuung der EU-Bürger in erster Linie Aufgabe der
Mitgliedstaaten, jedoch wurde der Europäischen Union 2009 durch den Vertrag von Lissabon
eine größere Rolle im Bereich der öffentlichen Gesundheit zuerkannt. Im Vertrag über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) heißt es, dass die Tätigkeit der EU „die Politik der
Mitgliedstaaten [ergänzt]“ (Artikel 168 Absatz 1). Im Zusammenhang mit den Aufgaben auf
EU-Ebene kann die Kommission
„alle Initiativen ergreifen, die dieser Koordinierung förderlich sind, insbesondere
Initiativen, die darauf abzielen, Leitlinien und Indikatoren festzulegen, den Austausch
bewährter Verfahren durchzuführen und die erforderlichen Elemente für eine
regelmäßige Überwachung und Bewertung auszuarbeiten“ (Artikel 168 Absatz 2).
Im AEUV wird zudem die primäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten
Gesundheitsversorgung bekräftigt, denn in Artikel 168 Absatz 7 heißt es:
für
die
„Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die
Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens
und die medizinische Versorgung gewahrt. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten
umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung
sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel.“
Die Regierungen der Mitgliedstaaten sind im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung
mit sehr hohen und weiter steigenden Kosten konfrontiert (die Durchschnittskosten erhöhen
sich rascher als das BIP), was hauptsächlich auf eine alternde Bevölkerung und den immer
größeren Aufwand für neue medizinische Technologien zurückzuführen ist. Die
Arzneimittelkosten sind die drittwichtigste Kostenkomponente in den Gesundheitshaushalten
der Mitgliedstaaten.
Gleichzeitig ist die Gesundheit für die Bürger Europas von hoher Priorität, 1 und die
Arzneimittelbranche nimmt einen wichtigen Stellenwert in Europas Wirtschaft ein, was
Beschäftigung, Produktion sowie Forschung und Entwicklung anbetrifft.
Die Regierungen der Mitgliedstaaten spielen eine maßgebliche Rolle bei der Regulierung der
nationalen Arzneimittelmärkte und nehmen damit auch Einfluss auf die Preisgestaltung.
Grund dafür ist, dass sich der Arzneimittelmarkt von den Märkten in anderen Sektoren der
Wirtschaft unterscheidet. Erstens können Patienten mit ein und derselben Krankheit auf eine
bestimmte Behandlung unterschiedlich reagieren.
1
Trotz zunehmender Sorge über die wirtschaftliche Situation gehören Gesundheit und Gesundheitsfürsorge gemäß
Eurobarometer 2009 nach wie vor zu den fünf wichtigsten Hauptanliegen der EU-Bürger (z. B. Nr. 71 Frühjahr 2009,
Nr. 72 Herbst 2009). Siehe beispielsweise: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb72/eb72_en.htm.
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Differences in costs of and access to pharmaceutical products in the EU
Zweitens wägen Verbraucher auf dem normalen Markt in der Regel Kosten und Nutzen von
alternativen Angeboten ab und treffen dann erst ihre Entscheidung. Auf dem Arzneimittelmarkt
ist es so, dass die Patienten nur unzulänglich über ihre gesundheitlichen Bedürfnisse informiert
sind und weitestgehend dem Arzt die Entscheidung über ihre Behandlung überlassen.
Außerdem bezahlen die Patienten in der Regel weder direkt für die medizinischen Leistungen
noch für die meisten Arzneimittel, die jeweils durch die Krankenversicherung abgedeckt sind.
Auf der Angebotsseite lassen sich die Kosten für die Entwicklung eines neuen Produkts nur
schwer einschätzen, da eine jahrelange multidisziplinäre Forschung mit mehreren Projekten
erforderlich ist. Hersteller, die neue Arzneimittel entwickeln, genießen für einen bestimmten
Zeitraum Schutz durch Patente, wobei ihrem Produkt für eine festgelegte Dauer
Marktexklusivität gewährt wird.
Regierungen haben versucht, die Arzneimittelkosten durch Regulierungsmaßnahmen
einzudämmen, die auf den Preis, die Menge oder beides ausgerichtet sind. Dabei zielen sie
entweder auf die Nachfrageseite (d. h. Ärzte, Apotheker oder Patienten) oder aber auf die
Angebotsseite (d. h. Preise und Marktexklusivität der Arzneimittel). Nach Ablauf der Patente
können Regulierungsmaßnahmen zur Förderung des Marktzugangs und der Akzeptanz von
billigeren „generischen“ Versionen der Arzneimittel einer effizienteren Nutzung der
Gesundheitsressourcen dienlich sein. Durch solche Kostendämpfungsmaßnahmen sollen
ineffiziente Ausgaben verringert und gleichzeitig andere effiziente, oftmals auch
preisintensivere Behandlungen zugänglich gemacht werden.
Der Bericht untergliedert sich in drei Teile. Gegenstand des ersten Teils sind die Unterschiede
bei den Ausgaben für gesundheitliche Betreuung und Arzneimittel sowie bei den Preisen für die
Arzneimittel, für die die Gesundheitssysteme eine Erstattung vorsehen. Zudem werden die
Hauptmerkmale des europäischen Arzneimittelsektors dargelegt. Im zweiten Teil folgt eine
Analyse der Auswirkungen der Regulierungsmaßnahmen auf die Preisgestaltung bei den
Arzneimitteln und deren Zugänglichkeit.
Der letzte Teil enthält die wichtigsten Erkenntnisse und präsentiert politische Optionen.
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