BayernLB Research | 19.08.2016 Länderanalyse Manuel Schimm Beachten Sie bitte den/die Hinweis/e auf der/den letzten Seite/n www.research.bayernlb.de, Bloomberg: BAYR Japan Politische Lage Das politische Umfeld Japans ist traditionell stabil. Nichtsdestotrotz gab es Ende 2014 vorgezogene Neuwahlen für die Abgeordnetenkammer, weil Ministerpräsident Shinzo Abe sich seinen, nur mäßig erfolgreichen wirtschaftspolitischen Kurs vom Wähler absegnen lassen wollte. Obwohl die Maßnahmen seiner „Abenomics“ genannten Wirtschaftspolitik kaum positive Wirkung entfalteten, gewann die Regierungskoalition unter Führung von Abes Liberaldemokratischer Partei mehr als zwei Drittel der Sitze. Auch bei den Teilwahlen zum Oberhaus Anfang Juli 2016 – alle drei Jahre wird jeweils die Hälfte der Sitze neu vergeben – konnte Abes Liberaldemokratische Partei Sitze hinzugewinnen und kommt nun (zusammen mit anderen konservativen Kräften) auf die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit. Hohe innenpolitische Stabilität trotz Reformstaus Insgesamt hat sich jedoch auch in der seit Ende 2014 laufenden Legislaturperiode kaum eine makroökonomische Verbesserung eingestellt – die Volkswirtschaft befindet sich nach wie vor im Klammergriff einer Stagnation mit deflationären Tendenzen. Seit nunmehr 22 Jahren sind alle Versuche, die Wirtschaft durch Konjunkturpakete anzukurbeln, gescheitert. Infolge dessen stieg die Verschuldung der Öffentlichen Hand bis Ende 2015 auf 249% gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Zudem übt die demografische Entwicklung bzw. der damit verbundene Rückgang an Arbeitskräften immer mehr Druck auf den Staatshaushalt aus. Um das Problem der hohen Staatsverschuldung in Kombination mit zunehmender Überalterung in den Griff zu bekommen, muss die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren. Dabei setzt die Regierung auf die (erfolglosen) Rezepte der letzten 22 Jahre: Konjunkturprogramme plus aggressive Geldpolitik. Lange überfällige und erfolgskritische Strukturreformen – Verringerung von Handelshemmnissen, Liberalisierung des Arbeitsmarktes bzw. die berufliche Gleichstellung von Mann und Frau – stehen zwar auch auf der Agenda, wurden bisher aber nur zaghaft oder gar nicht angegangen. Auch wenn die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung langsam steigt – die Wahlerfolge der Regierung sind insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Opposition keine ernsthaften Alternativen aufzeigen kann – wird Japan auch zukünftig von hoher innenpolitischer Stabilität geprägt sein. China und Japan beanspruchen beide die Vormachtstellung in der Region Anstelle wirtschaftspolitischer Reformen steht ein anderes Thema ganz oben auf der Agenda: Abe will den Wahlausgang im Oberhaus für eine Änderung des Artikel 9 der Verfassung nutzen. Dieser ist wesentlicher Teil der pazifistischen Nachkriegsverfassung und verbietet Japan die aktive Kriegsführung. Auch wenn es bis zu einer Änderung von Artikel 9 noch ein weiter Weg ist – im Oberhaus verweigert der kleine Koalitionspartner Komeito bislang die Zustimmung; darüber hinaus müsste die Änderung auch einer Volksabstimmung standhalten – zeugt allein das Vorhaben von der Sorge einer weiteren Verschiebung der Machtverhältnisse in der Region. Insbesondere in Richtung China (starke militärische Aufrüstung) aber auch in Richtung Nordkorea (Atomprogramm) wäre eine Verfassungsänderung ein wichtiger Fingerzeig. Die größte außenpolitische Herausforderung für die Regierung Abe ist der Territorialstreit mit China um eine Inselgruppe 200 Kilometer vor der Küste Taiwans. Die Inseln liegen strategisch günstig in fischreichen Gewässern, zudem Länderanalyse vom 19.08.2016 2 werden in der Umgebung Erdöl- und Erdgas-Vorkommen vermutet. Abe will gegenüber China einen härteren Kurs fahren, um ein Zeichen gegen die fortschreitende Machtverschiebung im asiatischen Raum zugunsten Chinas zu setzen. Gesamtwirtschaftliche Entwicklung Trotz einer hervorragenden Infrastruktur und hoher Innovationskraft kämpft Japans Wirtschaft seit nunmehr 22 Jahren mit einer Mixtur aus zusammenhängenden Problemen. Schlechte Wachstumsaussichten, deflationäre Tendenzen und geringes Verbrauchervertrauen im Anschluss an die geplatzte Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre lähmten Investitionen der Unternehmen und den Binnenkonsum der privaten Haushalte gleichermaßen. Dieser Effekt wurde zwar durch stetig steigende Staatsausgaben bzw. Konjunkturpakete kompensiert, allerdings blieb ein selbsttragender, nachhaltiger Aufschwung mit steigenden Unternehmensinvestitionen und höherem Privatkonsum aus. Im Ergebnis sparten sich Unternehmen und private Haushalte zu Lasten der Staatskasse reich, um im gleichen Atemzug mit diesen Ersparnissen den Konsum durch den Staat und die Löcher im Haushalt bereitwillig zu finanzieren. Ohne einen nachhaltigen konjunkturellen Aufschwung mit steigenden Löhnen, höherem Verbrauchervertrauen und steigender Kreditnachfrage werden die Deflationsspirale (sinkende Inlandsnachfrage verstärkte Sparneigung Güterpreissenkungen geringere Produktion und Investitionen Entlassungen sinkendes Vertrauen und sinkende Inlandsnachfrage…) und die Staatsschuldenproblematik nicht durchbrochen werden können. Um diesen Durchbruch zu schaffen, werden Maßnahmen auf mehreren Ebenen (Geldpolitik, Fiskalpolitik, Strukturreformen, Unternehmen) benötigt, um Impulse von idealerweise allen BIP-Komponenten (Staat, Investitionen, Außenhandel, Privatkonsum) zu generieren. Genau darauf zielt die Wirtschaftspolitik der Abenomics – bislang mit mäßigem Erfolg – ab. Zentralbank stützt Konjunktur und Abenomics-Politik 3.1 Geldpolitik Neben der Überwindung der Deflation dient die ultralockere Geldpolitik zusätzlich der Schwächung der Währung und somit der Wettbewerbsfähigkeit japanischer Exporte. Auch über einen externen Impuls des Exportsektors bzw. eine Abwertung des Yen ließ sich die Negativspirale in den letzten Jahren nicht durchbrechen, da die wesentlichen Handelspartner (China, USA, Euroraum) aufgrund hauseigener Wachstumsprobleme nicht an einer starken Aufwertung der eigenen Währung interessiert waren. Lediglich die Straffung der US-Geldpolitik und der dadurch im Jahr 2015 erstarkte Dollar lieferten zeitweilig Impulse für den japanischen Exportsektor. Diese trugen auch den wesentlichen Anteil daran, dass die Wirtschaft 2015 überhaupt ein reales Wachstum von 0,5% erreichen konnte. Mit der Aufwertung des Yen im laufenden Jahr und dem Wegfall des Exportimpulses muss wieder der Staatskonsum ausgeweitet werden, um Nullwachstum bzw. eine Rezession zu verhindern. Aufgrund der ultralockeren Geldpolitik und Einmaleffekten aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer ist es im Jahr 2014 gelungen, die Inflation im Jahresdurchschnitt auf 2,7% (höchster Wert seit dem Jahr 1991) hochzutreiben. Allerdings hat sich daraus keine nachhaltige Überwindung der Deflation ergeben. Bereits 2015 wurde das Inflationsziel von 2% wieder deutlich unterschritten (Teuerungsrate: 0,8%); im laufenden Jahr rutscht die Volkswirtschaft wohl wieder in die Deflation. Eine dauerhafte Inflation von 2% wäre wünschenswert, um einerseits die Staatsschuld gemessen am BIP zu reduzieren und andererseits den privaten Konsum und die Investitionstätigkeit in Erwartung steigender Preise anzukurbeln. Letzteres erfordert aber eine feste Inflationserwartung, was sich nach 22 Jahren mit deflationären Tendenzen nur schwer in den Köpfen der japanischen Marktteilnehmer verankern lässt. Da der Zentralbankchef Kuroda über den Zins kaum noch wirtschaftspolitische Impulse setzen kann (in den letzten 15 Jahren lag der durchschnittliche Leitzins bei BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 3 0,11%), funktioniert die geldpolitische Lockerung vorrangig über (Staats-) Anleihekäufe (Quantitative easing). Aufgrund der Deflationstendenzen sind kurzfristig weitere geldpolitische Lockerungen zu erwarten. Neben den gängigen Instrumenten (Aufstockung der Anleihekäufe bzw. weitere Senkung des unteren Endes des Einlagesatzes), wird an den Finanzmärkten auch über unorthodoxe Maßnahmen wie die Einführung von „Helikoptergeld“ (Finanzierung von privaten oder staatlichen Ausgaben durch die Zentralbank) spekuliert. Allerdings haben diverse Regierungsvertreter zuletzt immer wieder Diskussionen darüber bestritten, auch weil wohl die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür noch nicht geschaffen sind. Somit dürften Abe und Kuroda in der Hoffnung, dass dieses Mal Märkte, Haushalte und Unternehmen anders reagieren als bisher, am Ende doch wieder mehr von der altbekannten und wenig wirksamen Medizin verordnen. Im Zuge der Anleihekäufe ist die Zentralbank mit einem Anteil von derzeit gut 30% an der gesamten Staatsschuld zum größten Gläubiger des Staats aufgestiegen. In einem solchen Szenario kann von einer unabhängigen Zentralbank kaum mehr die Rede sein. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Bank of Japan ihre Aufgabe im Rahmen der Abenomics-Wirtschaftspolitik erfüllt. Fiskalpakete entfachen lediglich konjunkturelle Strohfeuer 3.2 Fiskalpolitik Nachdem die Abenomics seit Jahresbeginn wegen fehlender Fortschritte mehr und mehr kritisch hinterfragt werden, hat die Regierung nun einen neuen Versuch gestartet, um mit weiteren (altbekannten) Maßnahmen das Vertrauen der Märkte und der Bürger zurückzugewinnen und den Konjunkturmotor nicht abzuwürgen. Dazu hat Ministerpräsident Abe die für April 2017 geplante Mehrwertsteueranhebung auf Oktober 2019 verschoben, weshalb bei der Haushaltskonsolidierung mittelfristig keine großen Verbesserungen zu erwarten sind. Die Konsolidierung des Staatshaushalts in Kombination mit gleichzeitig positivem Konjunkturverlauf ist somit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum möglich. In Kombination mit der erwarteten geldpolitischen Lockerung tritt Abe auch bei der Fiskalpolitik die Flucht nach vorne an: Mit einem Konjunkturpaket in Höhe von 10 Bio. Yen (ca. 85 Mrd. Euro, 2% gemessen am BIP), welches sich auf Infrastrukturmaßnahmen konzentriert und ab Herbst 2016 Wirkung entfalten wird, soll insbesondere das Wachstum der Jahre 2016 (Prognose: 0,5%) und 2017 (Prognose: 0,7%) angeschoben werden. Sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr wird der Staat damit wohl der größte Wachstumstreiber sein – vom privaten Konsum, den Investitionen und dem Außenhandel sind hingegen kaum Impulse zu erwarten. Einen nachhaltigen selbsttragenden Aufschwung wird jedoch auch dieses Konjunkturpaket kaum einleiten. Große Reformen werden nicht angegangen 3.3 Strukturreformen Ob Japans Wirtschaft mittel- und langfristig wieder in die Erfolgsspur zurückfindet, ist fraglich, da die bisherigen Maßnahmen zwar positiv begleitend wirken, jedoch keine grundlegenden Strukturreformen ersetzen können. Mit der Deflation wird lediglich das Symptom der jahrzehntelangen Wachstumskrise bekämpft. In Wahrheit leidet das Land – neben der demografischen Entwicklung – unter einer verkrusteten Wirtschaftspolitik, welche den Wettbewerb und somit die Produktivität der im Binnenmarkt produzierenden Unternehmen verringert. Ein wesentlicher Hemmschuh sind ineffiziente staatliche Subventionen für Unternehmen. Des Weiteren sind sowohl der primäre als auch der tertiäre Sektor der Wirtschaft von hohen Eintrittsbarrieren, geringer Wettbewerbsfähigkeit und Ineffizienzen gekennzeichnet. Auch bei Investitionen in Bildung besteht Nachholbedarf. Zwar wurde bereits Mitte 2014 ein Katalog mit über 200 Reformmaßnahmen vorgestellt, die Umsetzung bzw. Implementierung verläuft allerdings sehr schleppend. Dies liegt vorrangig daran, dass die japanische Verwaltung und Wirtschaft nicht für einen schnellen und flexiblen Umgang mit Neuerungen bekannt ist. BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 4 Die fortschreitende Alterung der Bevölkerung – der Lebensaltermedian liegt in Japan mit 46,5 Jahren (mit schnell steigender Dynamik) deutlich über dem der Weltbevölkerung von 29,7 Jahren – ist nicht nur eine Belastung für die Sozialsysteme. Überdies gehen der Wirtschaft nach und nach die (qualifizierten) Arbeitskräfte aus. Eine umfassende Liberalisierung des Arbeitsmarktes – allen voran gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen und Erleichterung von (qualifizierter) Zuwanderung – könnte hier Abhilfe schaffen, wurde bislang aber nur sehr zaghaft verfolgt. Das liegt daran, dass eine starke Veränderung des Rollenbildes der Frau und mehr Zuwanderung die herrschende gesellschaftliche Ordnung und bestehende Konventionen wohl zu stark hinterfragen würden. Zumindest wäre eine Besetzung dieser Themen wenig vielversprechend im Hinblick auf erfolgreiche Wahlergebnisse, weshalb hier in den kommenden Jahren kaum Reformergebnisse zu erwarten sind. Unternehmen investieren lieber im Ausland 3.4 Unternehmen Inwieweit sich die verkrusteten Strukturen der Wirtschaft aufbrechen lassen, hängt stark von den Unternehmen selbst ab. Diese müssten sich nicht nur von traditionellen informellen Regeln und Konventionen des Arbeitsmarkts lösen, sondern auch Lohnanpassungen bzw. höhere Tarifabschlüsse zulassen. Nur wenn die privaten Haushalte über höhere Löhne und Gehälter bzw. über die glaubhafte Erwartung steigender Einkommen Vertrauen zurückgewinnen, sind starke Impulse vom Binnenkonsum – welcher immerhin knapp 60% der Wirtschaftsleistung ausmacht – zu erwarten. Das durchschnittliche Lohnniveau stagniert im Großen und Ganzen jedoch seit Jahren und liegt derzeit in etwa auf dem Level des Jahres 1995. Regierungschef Abe wird deshalb nicht müde zu betonen, dass nach der Senkung der Körperschaftssteuer insbesondere (gewinnträchtige, weil geschützte) Exportunternehmen Spielraum für Gehaltserhöhungen hätten. Während viele Unternehmen zu Beginn der Abenomics-Wirtschaftspolitik dem Wunsch nach höheren Lohnabschlüssen noch entsprochen haben, ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. Die geopolitischen Konfliktherde, eine schwache Weltkonjunktur und auch der Abschwung in China stehen hohen Lohnabschlüssen entgegen. Obwohl die japanischen Unternehmen grundsätzlich gute Jahresabschlüsse vorweisen und über genügend Liquidität bzw. Kapital verfügen – die Ersparnisse der Unternehmen belaufen sich auf etwa die Hälfte des BIP – spiegelt sich dies weder in den Lohnabschlüssen noch in den Unternehmensinvestitionen wider. Deren Beitrag zum Wachstum ist sowohl 2015 als auch im laufenden Jahr fast Null. Im Ausland zeigen sich japanische Unternehmen hingegen deutlich investitionsfreudiger: Die ausländischen (Netto-) Direktinvestitionen japanischer Unternehmen beliefen sich 2015 auf 131 Mrd. Dollar; die (Netto-) Portfolioinvestitionen im Ausland fielen mit 305 Mrd. Dollar 2015 fast dreimal so hoch aus wie im Vorjahr. Das sagt insgesamt viel darüber aus, wie die japanischen Unternehmen selbst den Standort Japan und dessen zukünftige Attraktivität bewerten. Abenomics sind bislang gescheitert 3.5 Fazit und Ausblick Geldpolitk Fiskalpolitik Unternehmen Strukturreform Impulse durch Impulse durch Impulse durch Impulse durch Außenhandel: Binnenkonsum: Staat: Investitionen: positiv negativ neutral negativ BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 5 Deflation und exorbitante Staatsschulden sind in Japan lediglich die Symptome tieferliegender Probleme eines verkrusteten Wirtschaftssystems. Diese Symptome können zwar durch eine entsprechende Geldpolitik gelindert werden; eine Heilung ist aber nur durch tiefgreifende Reformen und aktive Unterstützung durch die Unternehmen möglich. Erst wenn über steigende Löhne das Verbrauchervertrauen anzieht und gleichzeitig wirtschaftsliberale Reformen Investitionen attraktiver machen, kann Japan auf einen nachhaltigen selbsttragenden Wachstumspfad einschwenken. In diesem Fall könnte sich der Staat dann langsam aus seiner Investitions- und Konsumtätigkeit zurückziehen, während gleichzeitig der anziehende Binnenkonsum die Steuereinnahmen erhöht. Auch deflationäre Tendenzen wären in einem solchen Szenario kein Thema mehr. Bislang erfüllt im Rahmen der Abenomics nur die Zentralbank ihre Rolle vollständig, weshalb Wachstum und Inflation auf zu niedrigem Niveau verharren. Es wird vor allem vom Engagement der Regierung (und der Bereitschaft der Bevölkerung und Unternehmen) für Strukturreformen abhängen, ob die Abenomics doch noch den gewünschten makroökonomischen Wandel einleiten werden. Außenwirtschaft Nach einigen Jahren mit Handelsbilanzdefiziten (2011 bis 2015) wird Japan im laufenden Jahr voraussichtlich wieder einen Überschuss ausweisen. Die Defizite ab 2011 waren vorrangig auf die Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 zurückzuführen. In deren Folge wurden alle Atomreaktoren vom Netz genommen, was die Abhängigkeit und die Importmengen von Öl und Gas deutlich erhöht hat. Mit dem Verfall der Weltmarktpreise für energetische Rohstoffe wurde die japanische Handelsbilanz seit Mitte 2014 mehr und mehr entlastet. Darüber hinaus leistet auch die – in der Bevölkerung umstrittene – Rückkehr zur Atomkraft einen positiven Beitrag für die Handelsbilanz: Drei von 48 Atommeilern wurden inzwischen wieder ans Netz genommen. Außenwirtschaftliche Position ist wesentliche Stütze der gesamten Volkswirtschaft Insgesamt ist Japans außenwirtschaftliche Position komfortabel. Das Land profitiert (noch) von seiner weltweit führenden Rolle als Exporteur von High-Tech-Equipment und Gütern der Schwerindustrie. Dass die seit 1981 positive Leistungsbilanz auch in den letzten Jahren (trotz Handelsbilanzdefiziten) Überschüsse ausweisen konnte, ist vorrangig auf die Sparneigung der japanischen Haushalte in Verbindung mit hohen Gewinnen aus Auslandsinvestitionen – Japan ist weltweit größter Netto-Gläubiger – zurückzuführen. Damit zehrt das Land, vereinfacht gesagt, von den Außenhandelserfolgen (Leistungsbilanzüberschüssen) der letzten Jahrzehnte. Für 2016 und 2017 sind sogar Leistungsbilanzüberschüsse von gut 4% gemessen am BIP zu erwarten – vorausgesetzt der Yen schwenkt nach den starken Veränderungen der letzten Jahre zum Dollar (Abwertung um 38% von Oktober 2011 bis Juni 2015; danach Aufwertung um 23% bis Ende August 2016) tatsächlich auf den zu erwartenden Seitwärtstrend ein. Langfristig ist die Prognose für die Entwicklung der Leistungsbilanz etwas verhaltener: Die Attraktivität des Standort Japans für Exporte nimmt – bei jetzigem Stand von Strukturreformen und Wirtschaftsliberalisierung – nach und nach ab, gleichzeitig verändert sich angesichts der rasch alternden Bevölkerung die Nachfrage nach Waren und vor allem Dienstleistungen. Diese kann die Volkswirtschaft aufgrund des im internationalen bzw. regionalen Vergleich immer noch hohen Preis- und Lohnniveaus nicht auf konkurrenzfähigem Level anbieten. Langfristig wird somit der Leistungsbilanzüberschuss angesichts der demografischen Entwicklung, des Reformstaus und des schleichenden Verlusts von Innovationskraft langsam abschmelzen. BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 6 Finanzstatus Bonität von Leistungsbilanzüberschüssen und Nettogläubigerposition gestützt Alternde Bevölkerung bedroht langfristig den Finanzstatus Japan verzeichnet seit 1994 (Staatsschulden: 59% gemessen am Bruttoinlandsprodukt) einen steten Anstieg des Verhältnis von Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt. Nach Haushaltsdefiziten von 6,2% bzw. 5,4% gemessen am BIP in den letzten beiden Jahren wird das Defizit aufgrund des sehr vorsichtigen Konsolidierungskurses im laufenden Jahr mit etwa 5% weiter hoch, aber rückläufig sein. Die Gesamtverschuldung der Öffentlichen Hand wird sich somit gegen Jahresende auf 250% gemessen am BIP erhöhen. Trotz des höchsten Verschuldungsgrades unter den Industrieländern muss Japan im Schnitt am wenigsten pro Einheit Schulden zahlen; der durchschnittliche Zins auf Staatsschulden belief sich 2015 auf nur 1%. Dies liegt am nach wie vor bestehenden Vertrauen der konservativen inländischer Anleger (über 90% der Anleihen werden im Inland gehalten), die Wechselkursrisiken scheuen und deshalb zwangsläufig nur auf niedrig verzinste Yen-Anleihen zurückgreifen können. Ein Großteil der Staatsanleihen (knapp 20%) wird von inländischen (Renten-) Fonds gehalten, die wiederum von der hohen Sparquote privater Haushalte profitieren. Noch genießt der Staat also zumindest im Inland einen guten Bonitätsstatus. Dabei profitiert er von den hohen privaten Spareinlagen, die wiederum unmittelbar mit den Leistungsbilanzüberschüssen der Volkswirtschaft zusammenhängen. Diese haben erstens dafür gesorgt, dass der Staat unabhängig von externer Finanzierung ist, und zweitens sind sie Ausdruck einer guten Bonität der Volkswirtschaft (weltweit größter Netto-Gläubiger; nach China die größten Währungsreserven). Allerdings bestehen mittlerweile berechtigte Zweifel, ob die Rahmenbedingungen, welche dem Staat seit Jahrzehnten eine geringe Zinslast garantieren, langfristig Bestand haben. Derzeit ist das Netto-Finanzvermögen der Privathaushalte und Unternehmen (ausgenommen Finanzinstitute) mit etwa 275% gemessen am BIP höher als die Gesamtverschuldung der Öffentlichen Hand. Da die alternde Bevölkerung jedoch ihre Sparguthaben langsam aber sicher aufzehren wird, besteht die Gefahr, dass die Staatsschuld das NettoFinanzvermögen langfristig übersteigen könnte und der japanische Staat bei der (Re-) Finanzierung vermehrt auf ausländische Investoren bzw. Kapitalimport angewiesen ist. Ausländische Investoren wären zu einem Investment sehr wahrscheinlich aber nur zu einer deutlich höheren Verzinsung bereit. Schon bei einem Anstieg der durchschnittlichen Zinslast für Staatsanleihen von 1% auf 2% wäre eine Verschuldung auf derzeitigem Niveau kaum noch tragbar. Deshalb ist selbst in diesem Szenario nicht zu erwarten, dass sich der Staat in die Abhängigkeit ausländischer Investoren begibt. Wahrscheinlicher ist, dass die Bank of Japan einspringt und die fehlende Nachfrage inländischer Anleger durch massive Aufkäufe von Staatspapieren (Primär- und Sekundärmarkt) ersetzt – und zwar in einem weitaus größeren Umfang als derzeit im Rahmen der Abenomics. Dadurch würde zwar ein Zahlungsausfall vermieden, allerdings zu Lasten einer enormen Ausweitung der Geldmenge, hoher Inflation und nachhaltiger Abwertung des Yen. Dies wäre gleichbedeutend mit einem inländischen Wohlstandsverlust der Privaten (Kaufkraftverlust durch Währungsabwertung; Entwertung der Sparguthaben durch hohe Inflation; höhere Refinanzierungskosten für Unternehmen) und einer geringeren Standortattraktivität für Auslandsinvestitionen. Durch die Abenomics versucht die Regierung dieses in der langen Frist drohende Szenario zu vermeiden. Nüchtern betrachtet würde sich der Staat auf diesem Weg lediglich das Vermögen zurückholen, das er den Privaten in den letzten Jahrzehnten in der Hoffnung eines Schubes für den Binnenkonsum überlassen hat – die Abgabenquote in Japan gehört mit 27% zu den niedrigsten unter den OECD-Ländern. Der gewünschte Konsumschub erfolgte aber nie. Stattdessen haben sich die Privaten zu Lasten der Staatskasse reich gespart, während der Staat durch Aufnahme von Schulden und Staatskonsum die fehlende Konsumbereitschaft der Privaten zu kompensieren versuchte. BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 7 Ausblick Mit alten fiskal- und geldpolitischen Rezepten (Konjunkturpakte, Nullzins-Politik) versucht die Regierung, die Deflationsspirale zu durchbrechen. Die bisherigen Maßnahmen von Regierung und Zentralbank haben bislang eher lindernden, aber kaum heilenden Charakter. Ohne grundlegende wirtschaftspolitische Reformen fallen diese Maßnahmen auf unfruchtbaren Boden. Derzeit wird die Bonität von Staat und Volkswirtschaft noch von mehreren Aktivposten (stabile soziale und innenpolitische Verhältnisse; Leistungsbilanzüberschüsse; umfangreiche Währungsreserven; Nettogläubigerposition gegenüber dem Ausland; Technologie- und Marktführerschaft in Zukunftssektoren) gestützt. Allerdings ist absehbar, dass sich das Rating Japans ohne Innovationsschub bzw. wachstumsfördernde Strukturreformen in den kommenden Jahren verschlechtern wird. In Anbetracht der demografischen Entwicklung bzw. des steigenden Verlusts an Arbeitskräften wird Japan seinen Bonitätsstatus und das jetzige Wohlstandsniveau nur dann sichern, wenn Staat, Unternehmen und Bevölkerung tiefgreifende Veränderungen wollen und umsetzen. Diese Bereitschaft ist jedoch nicht zu erkennen, weshalb zuletzt auch der Internationale Währungsfonds (IWF) Japan in ungewohnt deutlicher Form zu einer Generalüberholung seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik aufgefordert hat. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der große wirtschafts- und gesellschaftspolitische Wandel ausbleibt und der schleichende Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Bonität fortschreitet. BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 8 Länderdaten Strukturdaten 377.800 km 2 Fläche Einwohner 127 Mio. 336 Einwohner/km 2 Bevölkerungsdichte Hauptstadt Tokio Währung Yen (JPY) Binnenwirtschaftliche Indikatoren BIP pro Kopf Bruttoinlandsprodukt 2014 2015 2016p 2017p US$ 36.345 32.590 37.500 38.000 Mrd. US$ 4.608 4.126 4.700 4.800 Wachstumsrate BIP, real % -0,1 0,5 0,5 0,7 Inflationsrate % 2,7 0,8 -0,3 0,4 Arbeitslosenquote % 3,6 3,4 3,3 3,3 Warenexporte Mrd. US$ 701 622 632 652 Warenimporte Mrd. US$ 800 627 590 624 Handelsbilanzsaldo Mrd. US$ -99 -5 42 28 Leistungsbilanzsaldo Mrd. US$ 36 136 198 195 % des BIP 0,8 3,3 4,2 4,1 Außenwirtschaftliche Indikatoren Ausl. Direktinvestitionen Mrd. US$ 18 0 5 5 Wechselkurs (Durchschnitt) JPY/USD 105,9 121,0 106,9 105,0 JPY/EUR 140,4 134,2 117,6 107,1 Deutsche Einfuhr Mrd. € 19,0 20,5 Deutsche Ausfuhr Mrd. € 16,9 17,0 Saldo aus deutscher Sicht Mrd. € -2,1 -3,5 Währungsreserven ohne Gold Mrd. US$ 1.231 1.207 1.300 1.400 Auslandsverschuldung (brutto) Mrd. US$ 2.727 2.950 3.075 3.150 Auslandsverschuldung (brutto) % des BIP 59,2 71,5 65,4 65,6 Staatsverschuldung (general Gov.) % des BIP 249 249 250 251 Haushaltssaldo (general Gov.) % des BIP -6,2 -5,4 -5,1 -5,0 Finanzindikatoren Wichtige Exportmärkte Wichtige Exportprodukte Beitrag zum BIP USA 20,2% Kfz und -Teile 21,2% Primärsektor China 17,5% Maschinen 18,0% Sekundärsektor 26,6% 7,0% Elektronik 9,6% Tertiärsektor 72,2% Südkorea Externe Ratings FCR LCR Standard & Poor's A+ A+ Moody's A1 A1 Fitch A A 1,2% Ausblick stabil negativ Quellen: IWF, GTAI, GlobalInsight BayernLB Länderanalyse vom 19.08.2016 9 Allgemeiner Hinweis: Diese Publikation ist lediglich eine unverbindliche Stellungnahme zu den Marktverhältnissen und den angesprochenen Anlageinstrumenten zum Zeitpunkt der Herausgabe der vorliegenden Information am 19.08.2016. Die vorliegende Publikation beruht unserer Auffassung nach auf als zuverlässig und genau geltenden allgemein zugänglichen Quellen, ohne dass wir jedoch eine Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der herangezogenen Quellen übernehmen können. Insbesondere sind die dieser Publikation zugrunde liegenden Informationen weder auf ihre Richtigkeit noch auf ihre Vollständigkeit (und Aktualität) überprüft worden. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit können wir daher nicht übernehmen. Die vorliegende Veröffentlichung dient ferner lediglich einer allgemeinen Information und ersetzt keinesfalls die persönliche anleger- und objektgerechte Beratung. Für weitere zeitnähere Informationen stehen Ihnen die jeweiligen Anlageberater zur Verfügung. Manuel Schimm Senior Economist Telefon: 089 2171-26845 [email protected] Redaktion: Bayerische Landesbank Unternehmensbereich 5700 80277 München (=Briefadresse) [email protected] Geschäftsgebäude: Bayerische Landesbank Brienner Straße 18 80333 München (=Paketadresse) www.bayernlb.de BayernLB