Wie Menschen zu Fanatikern werden

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heraus, ob es einen Fernseher gibt. Kaum
eine Minute später sitze ich im
Portierszimmer und kann nicht fassen, was
ich sehe.
Das Unfassbare nennen US-Fernsehsender
„America under Attack“, und tatsächlich
haben die Anschläge auf das World Trade
Center in New York und auf das Pentagon in
Washington die USA ins Mark getroffen. Fast
3000 Menschen sind getötet worden. Die
mächtige und starke Supermacht liegt
verwundet am Boden, vorbei ist es mit der
Illusion eines Lebens in Sicherheit, bald
darauf übrigens auch in Europa. Seit dem
11. September 2001 ist nichts mehr so, wie
es einmal war. Eine historische Zäsur mit
Folgen für die ganze Welt.
Kriege in Afghanistan und im Irak, blutige
Terroranschläge, der Krieg gegen den Terror,
die Wirtschaftskrise, die Welt scheint aus den
Fugen geraten zu sein. In der sogenannten
westlichen Welt ist jeder betroffen. Nie
wieder wird man sich absolut sicher fühlen
oder eine Flugreise unbeschwert antreten
können.
Der 11. September 2001 markiert vor allem
auch den Beginn einer Debatte über
militanten Islamismus, über den „Kampf der
Kulturen“ und über religiösen
Fundamentalismus. Eine Debatte, die seit
diesem Zeitpunkt immer wieder mehr oder
weniger heftig geführt wird. Im besten Sinn
könnte Fundamentalismus bedeuten, eine
religiöse Grundlage, Tradition, ein
Wertesystem zu besitzen. Seit 9/​11 hat sich
der Begriff allerdings gewandelt.
Fundamentalisten nehmen eine Position ein,
die sie unter keinen Umständen aufzugeben
bereit sind, sie gehen auf keine Argumente
ein, die eine andere Meinung als die ihre
vertreten, und lassen keine Diskussion zu.
Das führt im Extremfall von einer Verachtung
Andersdenkender über den Missbrauch von
Menschen oder Glaubenssystemen bis hin zu
einer radikalen und intoleranten Gesellschaft.
Der Sprung zum Fanatismus und Terrorismus
ist dann nur noch ein minimaler.
Fundamentalisten sind nicht exklusiv im
Islam zu finden, sondern auch bei Juden und
Christen. Allerdings wirkt sich die Tatsache,
dass das Judentum keine missionarische
Religion ist, auch auf die jüdischen
Fundamentalisten bzw. fundamentalistischen
Juden aus. Die Unfähigkeit zum Kompromiss
oder eine Unfähigkeit zur Anpassung an sich
wandelnde Lebensumstände ist jedoch allen
Fundamentalisten immanent. Was ihnen fehlt,
ist der Respekt vor anderen Menschen,
Religionen und Kulturen, sozusagen der gute
Kern einer Religion. Religion ist ein
kulturelles, ethisches und geistiges
Fundament des Menschen. Fundamentalismus
so etwas wie ihr Zerrbild und Gegenteil.
Begegnen lässt sich der eingeschränkten
Sicht auf die Welt nur durch Dialog, der
alleine zu Wahrheit und Gerechtigkeit führen
kann und dazu, dass Menschen, die für
radikale Positionen anfällig sind, lernen, an
sich selbst zu glauben. Der große israelische
Autor Amos Oz meint: „Menschen, für die
die Gegenwart nur noch eine kleine Episode
zwischen Vergangenheit und Zukunft
geworden ist, werden schnell zu Fanatikern.“
Wir müssen Menschen dabei unterstützen,
eine sinnvolle, befriedigende Gegenwart zu
haben, ein Fundament also, das
Fundamentalismus überflüssig macht.
Warum ich
Fanatiker verstehen
möchte
„ … der Mensch soll zuerst selbst erkennen,
dass die Konfliktsituationen zwischen ihm
und den andern nur Auswirkungen der
Konfliktsituationen in seiner eigenen Seele
sind, und dann soll er diesen seinen
inneren Konflikt zu überwinden suchen, um
nunmehr als ein Gewandelter, Befriedeter
zu seinen Mitmenschen auszugehen und
neue, gewandelte Beziehungen zu ihnen
einzugehen.“
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