Massenspektrometrie (Bilder aus Hesse, Meier, Zeeh: Spektroskopische Methoden in der Organischen Chemie) Die Massenspektrometrie erlaubt die genaue Bestimmung der relativen Molekülmasse einer Verbindung und gibt durch charakteristische Bruchstücke (Framentionen) Hinweise auf ihre Struktur. Prinzip: Ein Massenspektometer besteht aus 4 Teilen: Probenzuführung, Ionen‐Erzeugung, Massentrennung und Ionen‐Nachweis. Alle Vorgänge ab der Ionenerzeugung finden im Hochvakuum statt, um unerwünschte Zusammenstöße zwischen Ionen und Molekülen zu vermeiden. Über Gas‐ oder Direkteinlass (oft gekoppelt mit GC oder LC) wird die Probe als feiner Molekülstrahl über eine Schleuse (Leak) in den Raum zur Ionenerzeugung geführt. Hier findet die Ionisation statt, im einfachsten Fall durch einen senkrecht eintreffenden Elektronenstrahl. Zwischen Glühkathode und Anode herrscht eine Spanung von 0‐300 V, meist von 70 V, d.h., die Energie der Elektronen beträgt normalerweise 70eV (1 eV = 23 kcal/mol). Die beschleunigten Elektronen schlagen ihrerseits Elektronen aus der Probe heraus und bilden Molekülionen M+. In jüngerer Zeit sind viele mildere Ionisationsverfahren entwickelt worden, die im 2. Teil des Seminars behandelt werden. Abb. 1. Schematische Darstellung eines Massenspektrometers Die in der Ionenquelle entstandenen Molekülionen werden nun beschleunigt und fokussiert. Das geschieht durch Anlegen einer Spannung von 2000 ‐ 10000 V an die Ionenquelle, die die Teilchen durch einen Austrittsspalt beschleunigt. Im Analysatorteil wird nun ein Magnetfeld senkrecht zur Flugrichtung der Teilchen angelegt (Elektromagnet mit ~ 1 Tesla). Dadurch werden die leichteren Teilchen auf ihrer Flugbahn 1 stärker abgelenkt als die schwereren, d.h. sie fliegen auf masseabhängigen Ablenkradien. Es gilt die massenspektrometrische Grundgleichung: m/z = r2 B2 / 2 U Ablenkradius, Magnetfeldstärke Masse/Ladungs‐Verhältnis. und Beschleunigungsspannung bestimmen das Bei konstanter Beschleunigungsspannung und Magnetfeld gilt m/z = k r2 Mit anderen Worten: Die Masse läßt sich direkt aus dem Quadrat des Ablenkradius berechnen. Hier erfolgt die Detektion durch viele Kollektoren oder eine Photoplatte. Werden die Beschleunigungsspannung und der Ablenkradius konstant gehalten, so gilt: m/z = k B2 Mit anderen Worten: Die Masse läßt sich direkt aus dem Quadrat der variierenden Magnetfeldstärke berechnen. Hier wird zur Detektion nur ein Ionenauffänger verwendet (Spiegelgalvanometer), dessen Signal durch einen Sekundärelektronenvervielfacher verstärkt wird. Die elektrischen Signale werden als Massenspektrum aufgezeichnet. Bei doppelt geladenen Teilchen erhält man eine doppelt so starke Ablenkung, so dass ohne die m/z‐Korrektur im MS‐Spektrum nur die halbe Masse angezeigt wird. Das erkennt man aber leicht am Abstand der 13C‐Isotopenlinien, der bei doppelt geladenen Teilchen M2+ nur eine halbe Masseneinheit betragen darf. Abb. 2. Links: Spektren‐Darstellung schematisch am Beispiel von 1‐Nitropropan. Rechts: Molekülregion des Massenspektrums von C7H6ClNO. Massenspektren tragen die Signalintensität gegen das Masse‐Ladungsverhältnis (m/z) auf, wobei die Intensität in % zum stärksten Peak wiedergegeben wird, der willkürlich als 100% gesetzt wird. Das Molekülion ist im allgemeinen der Peak der höchsten Masse, falls nicht weitere Protonen angelagert werden (oft bei Aminen und Alkoholen oder Carboxylaten: 2 M++H) oder eine vollständige Fragmentierung zu leichteren Ionen stattfindet. Da es nur wenige Reinelemente gibt (19F, 31P), bilden die meisten organischen Verbindungen neben dem M+‐Peak kleinere Isotopenpeaks bei den nächsthöheren Massen aus. Die Höhe dieser Isotopenpeaks wird von der natürlichen Häufigkeit der Isotope und der Anzahl dieser Atome im betreffenden Molekül bestimmt. Besonders typisch sind Molekülionen von Verbindungen mit Elementen zweier häufiger Isotope wie S (32/34), Cl(35/37) oder Br(79/81). Als Faustregel hat sich außerdem der Zusammenhang zwischen einer geradzahligen Molekülmasse und einer geraden Anzahl an Stickstoffatomen (und umgekehrt) bewährt. Besonders genaue Massenspektrometer erlauben die Bestimmung der Massenzahl mit einer Auflösung von 150000 und darüber: A = m / Δm. Dadurch kann die Elementzusammensetzung berechnet werden, denn jedes Element trägt eine charakteristische Atommasse bei. So lassen sich leicht drei Ionen der Masse m/z = 28 voneinander unterscheiden: 12C16O: 27.9949 vs. 1H212C12C1H2 = 28.0313 vs. 14N14N = 28.0061. Achtung: Bei der Hochauflösung rechnet man immer mit den Absolutmassen der reinen Isotope und nicht mit den relativen Atommassen der natürlichen Mischung; letztere wird nur bei der Elementaranalyse benötigt! Die hochaufgelöste Masse (HRMS) dient auch zum Nachweis für neue Verbindungen, sie muss bei Molekülen mittlerer Größe mindestens bis zur dritten Nachkommastelle mit der berechneten Masse übereinstimmen. Fragmentierung: Bei den klassischen Ionisationsmethoden führt die hohe Energie von Elektronenstrahlen (Elektronenstoßionisation EI) oder schnellen Molekülen (chemische Ionisation CI) meist zum Zerfall des primär gebildeten Molekülions M+. Dabei bildet sich immer ein Radikal und ein kationisches Fragment, von denen nur letzteres im MS‐Spektrum auftaucht. Auch das Tochterion kann weiter fragmentieren und führt evtl. zu einem weiteren Ion zweiter Generation. Die häufigsten Zerfallsprozesse im Massenspektrometer sind gut bekannt und folgen einigen wenigen Pfaden, die interessanterweise den Zerfallsreaktionen elektronisch angeregter Moleküle in der Photochemie stark ähneln. Sie können ebenfalls wichtige Strukturhinweise liefern und sollen im folgenden dargestellt werden. α‐Spaltung (Norrish‐Typ‐I‐Reaktion): Besonders leicht lassen sich Elektronen aus den nichtbindenden Elektronenpaaren von Heteroatomen herauslösen (vgl. n‐π*‐Anregung in der Photochemie). Daher bilden sich leicht Mokekülionen mit positiver Ladung und einsamem Elektron am Heteroatom (Alkohole, Ether, Carbonylverbindungen). Hier kann durch Spaltung der α‐Bindung zum Heteroatom (nicht zur Carbonylgruppe!) eine Elektronenpaarung stattfinden und es entsteht ein 3 Oxoniumkation plus ein abgespaltenes Alkylradikal, welches natürlich im MS‐Spektrum unsichtbar bleibt. Abb. 3. Massenspektrum von 2‐Butanon und seine Hauptfragmentierung durch α‐Spaltung. Bei Cycloalkanonen ändert sich die nach α‐Spaltung gebildete Masse nicht. Hier findet eine Stabilisierung des gebildeten primären Radikals durch H‐Übertragung aus der aktivierten C‐ 2‐Position zur Carbonylgruppe statt. Das dabei gebildete mesomeriestabilisierte Radikalkation fragmentiert weiter zum Alkylradikal und zum Acrolein‐Kation mit der typischen Masse m/z = 55. Abb. 4. Massenspektrum und Fragmentierung von Cyclohexanon. An alle α‐Spaltungen kann sich nachfolgend ein CO‐Verlust (28 amu) anschließen. Benzyl‐ und Allylspaltung Auch Aromaten und Doppelbindungen können die benachbarten benzylischen oder allylischen Positionen aktivieren. Alkylbenzole tragen deshalb zunächst die positive Ladung im Benzolaromaten, fragmentieren dann zu Alkylradikalen und dem Benzylkation, welches erstens mesomeriestabilisiert ist und zusätzlich zum besonders stabilen aromatischen 4 Tropyliumkation umlagern kann (m/z = 91). Die Phenylspaltung dagegen führt zum energiereicheren Phenylkation (m/z = 77) und ist viel ungünstiger. Terminale Alkene tragen die positive Ladung an der Doppelbindung und spalten gerne zum Alkylradikal und Allylkation (m/z = 41), das oft sogar den Basispeak bildet. Abb. 5. Massenspektrum von n‐Butylbenzol und seine Fragmentierungspfade unter Benzylspaltung. Spaltung nichtaktivierter Bindungen Einfache Alkane haben keine „Achillesferse“ – also keine Molekülgruppe, die wie Heteroatome, Aromaten oder Doppelbindungen eine zu spaltende Bindung aktivieren. Hier ist die Wahrscheinlichkeit zur Spaltung für jede C‐C‐Bindung gleich. Statistisch gesehen ist die Bildung von Fragmenten aus drei oder vier C‐Atomen am günstigsten und nimmt zu größeren Ionen gleichmäßig asymptotisch ab. Ausnahme ist die Spaltung ganz außen, die zum energiereichen Methylkation bzw. Methylradikal führen würde und vermieden wird. Dafür bleibt der Molekülionenpeak relativ groß und deutlich erkennbar. Dieses typische Muster geradkettiger Alkane sollte man sich einprägen. Verzweigte Alkane fragmentieren bevorzugt an den Verzweigungsstellen, weil dort sekundäre stabilere Carbeniumionen gebildet werden können, die oft typische Fragmentionen bilden. 5 Abb. 6. Massenspektrum von Hexadecan (unverzweigt) und von 7‐Propyltridecan (verzweigt). Retro‐Diels‐Alder‐Reaktion Sechsliedrige cyclische Ringe mit einer Doppelbindung (Cyclohexene) können durch eine Cycloreversion in zwei Bruchstücke zerfallen. Die Ringe können auch N‐ bzw. O‐Heteroatome enthalten wie z. B. Chinoline, Isochinoline (Basispeak m/z = 104) und Flavone. Die RDA‐ Fragmentiering ist eine Neutralreaktion, denn es wird ein Neutralteilchen mit Doppelbindung (z. B. ein Alken) ausgeschnitten. Am Beispiel des Tetrahydrocarbazols wird deutlich, wie aus einem Radikalkation (M+.) durch Ethenabspaltung konzertiert oder auch nichtkonzertiert das Fragmention m/z = 143 entsteht, welches wieder ein Radikalkation darstellt. Abb. 7. Massenspektrum von 1,2,3,4‐Tetrahydrocarbazol und der konzertierte oder nicht‐ konzertierte Mechanismus seiner RDA‐Reaktion im Massenspektrometer. 6 McLafferty‐Umlagerung (Norrish‐Typ‐II‐Reaktion) Statt der eingangs behandelten α‐Spaltung können Moleküle mit Akzeptor‐ Doppelbindungen (Carbonylverbindungen, Imine) auch eine β‐Spaltung mit H‐Verschiebung eingehen. Dabei übernimmt das Heteroatom der Doppelbindung den γ‐ständigen Wasserstoff, es bildet sich eine neue Doppelbindung zwischen β‐ und γ‐C‐Atom und die Bindung zwischen α‐ und β‐C‐Atom wird gebrochen. So entstehen charakteristische Bruchstücke, z. B. für Methylester das Radikalkation m/z = 74, für freie aliphatische Carbonsäuren m/z = 60 oder für Benzoesäureester das Radikalkation m/z = 122. Abb. 8. Massenspektrum von Butansäure‐methylester und seine Fragmentierung mit McLafferty‐ Umlagerung. Onium‐Reaktion Kationische Heteroatome tragen in Fragmentionen oft die positive Ladung, wie besonders in Ammonium‐, aber auch in Oxonium‐, Phosphonium‐ und Sulfoniumionen. Hier kann ein besonderer Typ von Umlagerung eintreten, bei dem ein H‐Atom aus einem Alkylrest auf den Stickstoff (bzw. O, P, S) übertragen wird. Besonders häufig findet man solche Reaktionen bei Aminen wie z. B. Alkaloiden. In einem typischen Fall wird aus dem Radikalkation von N‐ Isopropyl‐N‐butyl‐N‐methylamin durch α‐Spaltung das Iminiumion ab oder ac gebildet. Hier kann nun jeweils ein ganzer Alkylrest unter H‐Transfer auf das N‐Atom abgespalten werden. Der Alkylrest kann das H‐Atom aus unterschiedlichen Positionen liefern und bildet dabei folglich entweder ein terminales Alken oder ein Cycloalkan. 7 Abb. 9. Massenspektrum von N‐Isopropyl‐N‐butyl‐N‐methylamin und seine Fragmentierungspfade durch α‐Spaltung und Onium‐Reaktion. Ähnlich können Ether und Thioether aus dem Radikalkation nach α‐Spaltung zu Oxoniumkationen unter H‐Transfer aus dem Alkylrest kleinere Oxoniumionen bilden, z. B. das minimale m/z = 31. Abb. 10. Massenspektrum von n‐Butylethylether und seine Fragmentierung durch α‐Spaltung und Onium‐Reaktion. 8