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Buchbesprechungen
Cohen, zwischenzeitlich hervorgetreten durch ein „stärkeres öffentliches Engagement hinsichtlich jüdischer Belange“ (S. 189), sieht in Spinoza nun einen
Hauptverursacher der bei Kant sichtbaren und wirkungsgeschichtlich wichtigen „negativen Konzeption des Judentums“ (S. 19, 111). Immer noch vergifte, so
Cohen, der „‚böse Dämon Spinozas‘“ (1915, S. 211 Anm. 615) die Atmosphäre bis in
die Tagespresse hinein.
Nach Cohen (und gegen Spinoza) ist das Judentum primär Religion – zentriert
um Prophetismus und Messianismus: Cohen muss diese zentrale These sowohl
gegenüber Antijudaisten und Antisemiten als auch gegenüber Zionisten verteidigen: Er spricht dem Messianismus eine „‚Weltmission‘“ (S. 194) zu, behauptet dessen
Affinität mit der Kantischen Geschichtsphilosophie und eine Ähnlichkeit zwischen
dem „jüdische[n] Gebot der Gottesliebe“ und „Kants Forderung der Erkenntnis des
Menschen“ als eines sittlichen Endzwecks. Dieser „‚tiefste und klarste Sinn des
kategorischen Imperativs‘“ stecke dem Juden „‚schlechterdings im Blute‘“ (S. 204).
„Die Idee des Menschen als Zweck an sich selbst bildet für ihn [= Cohen, M.A.]
die Grundlage der biblischen Sozialgesetzgebung, welche in Form des sozialen
Idealismus notwendigerweise zum Messianismus führen musste“ (S. 204).
Das Buch La Salas ist klar strukturiert, verständlich und so interessant geschrieben, dass man sofort zu Spinozas und Cohens Werken greifen möchte. Es ist
zudem ein spannendes Buch, weil es unter anderem auch zeigt, wie sich Zeitgeschichte – gerade in ihren beängstigenden Ereignissen – in einem sensiblen Denken spiegelt. Fragen bleiben freilich: Was kann wohl eine „liberale, universalistische
Ethik“ (S. 210), wie sie nach La Sala sowohl Spinoza als auch Cohen intendierten,
bedeuten? Wird Spinoza nun doch Maledictus heißen? Vielleicht wird es 2018 zum
100. Todestag Cohens eine neue Perspektive geben, angereichert um die lebendige Rezeption von Baruch in der jüdischen ‚scientific community‘.
Zagreb
Martin Arndt
Friedemann Stengel: Aufklärung bis zum Himmel. Emanuel Swedenborg im Kontext der
Theologie und Philosophie des 18. Jahrhunderts (= Beiträge zur historischen Theologie,
161), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, XVI+802 S.
… dass ich das noch erleben darf: Dies war mein erster Gedanke angesichts der
voluminösen Monographie Friedemann Stengels über Emmanuel Swedenborg
(1688-1772). Eine solche Arbeit ist seit Jahrzehnten ein Desiderat, und diese Lücke
wird nun, soviel vorweg, mit dieser exzellenten Habilitationsschrift randvoll gefüllt. Um den Status dieser Arbeit im Forschungsfeld würdigen zu können, muss
man einen Blick auf die Geschichte der Swedenborg-Rezeption werfen.
Als Immanuel Kant 1766 seine Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik publizierte, kam dies einer intellektuellen Hinrichtung
Swedenborgs – denn niemand anders war dieser „Geisterseher“ – gleich. Zugleich
wurde Swedenborg damit auf seine „okkulten“ Schriften, auf seine Arcana coelestia,
die zwischen 1749 und 1756 in acht Bänden veröffentlichten Himmlischen Geheimnisse, reduziert, also auf sein „seherisches“ Werk, in dem er neue „Offenbarungen“
mit dem Anspruch darbot, diese durch einen unmittelbaren Kontakt mit der Geisterwelt erhalten zu haben. Swedenborg, der Theologe, fiel aus der Rezeptionsgeschichte weitgehend heraus, ebenso der Naturforscher, der Philosoph, der
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ZRGG 66, 2 (2014)
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Kirchengründer und der spirituelle Lehrer, von dem Lutheraner, der er bei allen
Distanzen zur Orthodoxie blieb, ganz zu schweigen. So ging Swedenborg für das
hegemoniale kulturelle Gedächtnis verloren und die Geschichtsschreibung von
der allgemeinen Historiographie bis zur Kirchengeschichte muss sich den Vorwurf
gefallen lassen, diskreditierende Wertungen von Aufklärern zum Maßstab ihres
historischen Blicks gemacht zu haben. Damit war in gewisser Weise 2006 Schluss,
als die UNESCO Swedenborgs Werk zu einem Teil des „Weltkulturerbes“ erhöhte;
mit Stengels Arbeit besitzen wir nun eine adäquate Basis, um Konzeptionen und
seine Rezeptionsgeschichte Swedenborgs auch jenseits von Kants Verdikt zu diskutieren.
Stengel liefert dazu detailliert grundlegende Informationen: eine Biographie
Swedenborgs, eine Darstellung seiner naturkundlichen Konzeptionen, bevor er
sich ab 1744/45 als Offenbarungsmitteiler verstand, und eine Präsentation seiner
auf „Neuoffenbarungen“ gestützten Theologie. Im gleichen Umfang fügt Stengel
eine Diskussion der nachweisbaren Quellen Swedenborgs an sowie zwei umfangreiche Kapitel zur Rezeption Swedenborgs, namentlich bei dem pietistischen Theologen Friedrich Christoph Oetinger (ein Buch im Buch, das gleichfalls eine schmerzliche Forschungslücke füllt) sowie bei Immanuel Kant.
Stengel macht in seinen Ausführungen deutlich, dass Swedenborg von seinen
ambitionierten Auseinandersetzungen mit der Philosophie der frühen Neuzeit
her gelesen werden muss, insbesondere als Cartesianer, der dessen rationalistische Ansprüche und anthropologische Konzepte aufnahm. Swedenborgs ist aber
eben auch zu lesen als lutherischer Theologe, der sich allerdings, und dies erklärt
neben Swedenborgs Offenbarungsansprüchen die Distanz der akademischen
Theologie, die orthodoxe Theologie revidierte, durchaus in der Tradition einiger
pietistischer Strömungen, denen er nahe stand. Mit der Forderung nach der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen bestritt er die Geltung des Sola
Gratia-Prinzips der imputativen Rechtfertigungslehre lutherischer Provenienz, die
die Entscheidungsfreiheit des Menschen bestritt und in der Gnade eine von außen
den Menschen zugewiesene Erlösung sah. Auch das Sola Scriptura-Prinzip stellte
er mit seinen Offenbarungen zur Disposition, weil er die Suffizienz der Bibel im
beanspruchten Mehrwert seiner Offenbarungen aufhob. Stengel macht mit diesen und vielen weiteren Beispielen klar, in welchem Ausmaß Swedenborg als
engagierter Philosoph und innovativer Theologe gelesen werden muss, wenn
man die Pfade einer „orthodoxen“ Historiographie verlässt, sowohl auf Seiten der
Theologie als auch in der Religionswissenschaft.
Auf der Grundlage dieses neuen Swedenborgbildes harren allzu lange marginalisierte Fragen einer europäischen Religionsgeschichte weiterer Erforschung:
Woran liegt es eigentlich, dass im 18. Jahrhundert eine neue Epoche der
Offenbarungsansprüche im Christentum aufbricht, für die Swedenborg nicht nur
ein Exponent, sondern vermutlich der wichtigste Anstoßgeber ist? Dazu treten
Fragen im näheren Umfeld Swedenborgs: Welche Rolle spielt die Swedenborgianische Kirche, die den theoretischen Reflexionen einen rituellen Raum angefügt?
Welche Bedeutung hat Swedenborg für den lutherischen Protestantismus in
Schweden, wo im Swedenborgianischen System der Freimaurerei lutherische Orthodoxie und Swedenborgianismus eng verbunden sind?
So spannend diese Detailfragen sind: Stengel bietet noch mehr, weil er über
den Anstoß zu neuen Fragen und die Revision von einzelnen Elementen der
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Swedenborg-Wahrnehmung hinausgeht, indem er eine neue Historiographie der
europäischen Religionsgeschichte präsentiert. Insbesondere die rezeptionsgeschichtlichen Kapitel zu Oetinger und Kant machen klar, dass die hegemoniale
Geschichte nicht ohne ihre Verbindungen zu den nichthegemonialen Traditionen
zu verstehen ist. Bei Oetinger gleichwie bei Kant weist Stengel nach, dass sie tief
von Swedenborg geprägt waren und dass man ihre Theologie respektive Philosophie nicht versteht, wenn man ihr Verhältnis zu Swedenborg mit der Metapher
des Bruchs oder der Abkehr deutet. Sowohl Oetingers Theologie als auch Kants
Philosophie lassen sich sehr viel besser als partielle Transformationsprodukte
Swedenborgs verstehen, zumindest aber als Theorien, die in gleichzeitiger Anverwandlung und Abwendung von Swedenborgs Vorstellungen entstanden sind.
Das mindeste, was man etwa bei Kant sagen kann, ist, dass der Anstoß zu seiner
kritischen Philosophie ohne die epistemologischen Anfragen im Offenbarungskonzept Swedenborgs (so) nicht zu Stande gekommen wäre. Oder: Mit Stengel
muss man neu fragen, welche Rolle Swedenborg und ähnliche Traditionen bei der
Entstehung der historisch-kritischen Methode gespielt haben, die offenbar wichtige Anstöße der Kritik von Swedenborgs Offenbarungsmodell verdankt. Das aber
bedeutet, Dichotomien einer „orthodoxen“ versus „häretischen“, einer „aufgeklärten“ versus „unvernünftigen“ Geschichte ad acta zu legen und einer symmetrischen Historiographie den Vorzug zu geben, in der „marginale“ Traditionen
wirkungs- oder rezeptionsgeschichtlich als gleichwertig und insofern als „symmetrisch“ zur hegemonialen Geschichte betrachtet werden. Wenn dem so ist, reicht
es beispielsweise nicht mehr, Aufklärung in einem binären Modell um ihre „dunklen“ oder „antiaufklärerischen“ Seiten zu erweitern, die man zur Aufklärung hinzufügen oder auch wegnehmen könnte, sondern muss diese intrinsisch als diskursiven Raum begreifen, in dem sogenannte „rationale“ und „irrationale“ Konzepte untrennbar miteinander verbunden sind und nur durch analytische Operationen, in der Regel mit einem hohen normativen Anteil, getrennt werden können. Dafür hat Stengel eine Grundlage geschaffen, an der man nicht mehr vorbeikommt, wenn man die normativen Selbstverständlichkeiten der etablierten Historiographie nicht kontrafaktisch fortschreiben will.
Bei all den großen Lob, welches sich in der Analyse vieler Details dieses so
reichen Buches noch mühelos vermehren ließe, sehe ich ein Deutungsangebot
Stengels kritisch, nämlich den Versuch, Swedenborg im Rahmen von Antoine
Faivres Konzeption einer esoterischen Traditionen zu deuten, in der inhaltlich
gefüllte Kategorien, „Denkformen“, für die Identifizierung einer „esoterischen“
Tradition im okzidentalen Europa charakteristisch sind. Stengel arbeitet sich daran
an mehreren Stellen in seiner Studie ab und kommt schließlich zu dem Ergebnis,
das Faivres Ansatz nur sehr begrenzt für die Deutung Swedenborgs verwendbar
ist, obwohl dieser nachweislich etwa kabbalistische und hermetische Literatur
rezipiert hat. Das Problem von Stengels Vorgehen liegt in der weitgehenden Vernachlässigung einer diskursanalytisch motivierten Kritik an Faivres Konzeption,
die seit einigen Jahren im Bereich der „Esoterik“-Forschung betrieben werden.
Eine Alternative hätte darin bestanden, und auch dies zeigt noch einmal die
Qualität dieses Buches, Stengels eigenen historiographischen Ansatzzum Maßstab
auch der Frage zu machen, in welchem Ausmaß Swedenborg in die Geschichte der
Verschränkung von „esoterischen“ – besser: nichthegemonialen – und hegemonialen Tradition gehört und die Frage nach der Identifikation einer Esoterik Swedenborgs
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mit klaren Grenzen (die mit dieser Semantik eine Frage des 19. Jahrhunderts ist) auf
sich beruhen zulassen. Wie immer man sich in dieser Frage positioniert: Die Zeit der
leichtfertigen Missachtung Swedenborgs ist mit diesem Buch vorbei, oder, wie man
angesichts schwieriger Rezeptionsgeschichten in der akademischen Zunft vielleicht
vorsichtiger sagen sollte: Sie sollte eigentlich vorbei sein.
Freiburg i. Üe
Helmut Zander
Christine Eichel: Das deutsche Pfarrhaus: Hort des Geistes und der Macht, Berlin: Quadriga 2012, 367 S.
In diesem umfangreichen, umsichtig belegten und angenehm abgefassten Buch
geht die, in der Literatur- und Musikgeschichte ausgewiesene Autorin ihrem Thema mit Zuneigung und eher verhaltener Kritik nach. Eigenes Herkommen, fachwissenschaftliche Expertise und kulturgeschichtliche Kenntnis haben eine Komposition zustande gebracht, der man den Respekt nicht versagen wird, wenn auch
einige Leerstellen, wie man im Vorwege schon sagen sollte, offengeblieben sind.
So werden das Bezugssystem von Pfarrhaus und institutionalisierter Theologie
und das von seelsorgerischem Auftrag und dem Anspruch auf die Deutungshoheit über das allgemeinbildende Schulwesen ausgeblendet. Heutige Auffälligkeit im Abbild vom Pfarrhaus und den Strömungen im protestantischen Selbstverständnis bleiben unerwähnt, es gibt keine ausführliche Verhandlung von Entmythologisierung, von Ent-spiritualisierung und Ent-ritualisierung, übrigens die
drei großen „Ent-s“, die Protestantismus und Katholizismus deutlich voneinander
abheben. Verfasserin bleibt eng am Thema Pfarrhaus, Familie und Gemeinde,
Karl Barth wird viermal erwähnt, Bultmann gar nicht, aber Margot Käßmann
kommt immerhin neunmal zu Worte, die Stichworte „Geistliche Schulaufsicht“
und die soziale und akademische Distanz von „Volksschullehrer und Pfarrer“ fehlen. Nebenbei: die dörfliche Hierarchie von Pfarrer und Lehrer im 19. und am
Beginn des 20. Jahrhunderts begründet eine Leidensgeschichte von Abhängigkeit
und Bevormundung in unerhörtem Ausmaß.
Aber vielleicht sind das Einwürfe, die hier gar nicht berechtigt sind, denn über
die Familie, über Gemeinde, über den Mythos von Pfarrhaus und Erziehung, also
das Thema im engeren Sinn, wird ausführlich und stets im Beispiel, in den ausgebreiteten Interviews handgreiflich berichtet; eine derartig konkrete Ansicht –
Verfasserin benennt exakt die Literatur, zum Beispiel Martin Greifenhagen, dem
sie sich verpflichtet weiß, – stand bisher wohl nicht zur Verfügung und dies in
chronologischer Manier und mit einer erstaunlichen Vielfalt der dabei zutage gebrachten Aspekte. Breits in der Einleitung kann das Geschick beobachtet werden,
Sachverhalte in der Pointe zusammenzuziehen und auch nicht vor der sprachlichen Volte zurückzuschrecken; so bereitet das Buch auch einen amüsant-eingängigen Genuss.
Am Anfang steht der Satz „Eine Pfarrerstochter ist Kanzlerin, ein ehemaliger
Pastor Bundespräsident. Nichts weiter als ein Zufall?“ Diese Frage wird in der
interviewbasierten Darstellung durchgängig mit „keineswegs“ beantwortet. Die
Verfasserin scheint in das Klischee verliebt – ist es denn ein solches? –, dass das
Milieu der pfarrhäuslichen Erziehung und Kultur einen Typus hervorgebracht hat
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