newsletter Personal Arbeitsrecht Ausgabe 3, September 2013 Dieser Newsletter ist ein Service der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH in Kooperation mit der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft Inhalt: Im Blickpunkt ....................................................Seite 1 Rechtsprechung ................................................Seite 4 Im Blickpunkt Leiharbeit in der Krise – Sind Werkverträge das Allheilmittel? Seit Ende 2011 kommt die Zeitarbeit nicht mehr zur Ruhe. Eigentlich wollte der Gesetzgeber damals mit seiner Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nur die Vorgaben einer Richtlinie der Europäischen Union aufgreifen, nicht aber darüber hinausgehen. Er hat in § 1 der genannten Vorschrift geregelt: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend“. Aber was heißt vorübergehend? Und handelt es sich dabei um einen unverbindlichen Programmsatz oder ein Verbot der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung? Insbesondere hat der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung erklärt, dass „dabei (…) der Begriff „vorübergehend“ im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesondere auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzichtet“ wird. Dass mit der Einfügung des Wörtchens „vorübergehend“ Interpretationsfragen einhergehen könnten, wurde zwar schon damals befürchtet. Die Entwicklung der Rechtsprechung gerade in den letzten Monaten ist jedoch überraschend. Sowohl für Verleiher, aber auch für Entleiher hat die Zeitarbeit durch einige bedeutsame Gerichtsentscheidungen an Attraktivität verloren. Die Risiken, Erschwernisse und Kosten für die Entleiher haben deutlich zugenommen. Um die notwendige Flexibilisierung und damit ein „Atmen“ der Personalkosten beibehalten zu können, wird immer öfter auf „Werkverträge“ zurückgegriffen. Neben den entstandenen Risiken beleuchtet der Beitrag daher auch, ob in den Werkverträgen die Zukunft des flexiblen Personaleinsatzes liegen kann. Aktueller Negativtrend der Zeitarbeit Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz war vor der angesprochen Reform für Verleiher und Entleiher attraktiv. Der Entleiher (vgl. zum Modell der Arbeitnehmerüberlassung auch die Grafik auf Seite 4) hatte die Möglichkeit zur kurz- oder auch langfristigen Flexibilisierung des Personaleinsatzes und daneben auch zur Senkung der Personalkosten, da die Leiharbeitnehmer aufgrund des niedrigen Niveaus der Zeitarbeitstarifverträge mit geringerem Kostenaufwand als Stammmitarbeiter eingesetzt werden konnten. Neben vermeintlichen Skandalen im Zusammenhang mit bekannten deutschlandweit agierenden Unternehmen hat nicht zuletzt auch die Politik – im Vorfeld der Bundestagswahl – parteiübergreifend die Diskussion um die Einschränkung der Zeitarbeit forciert. In aktuellen Entscheidungen haben außerdem die Arbeitsgerichte, insbesondere das BAG, für die Zeitarbeit unvorteilhafte Aussagen getroffen. Stärkung der Rechte des Betriebsrates Das BAG zum Beispiel hat am 10. Juli 2013 (7 ABR 91/11) entschieden, dass der Betriebsrat eines Entleihbetriebs seine Zustimmung zum Einsatz eines Leiharbeitnehmers dann zu Recht verweigern darf, wenn der Leiharbeitnehmer nicht nur vorübergehend, sondern unbefristet eingesetzt wird (vgl. dazu auch den Beitrag von Lipinski auf Seite 3). Das Gericht hat dies damit begründet, dass die nur vorübergehende Dauer der Überlassung dem Schutz der Leiharbeitnehmer diene und der Begriff „vorübergehend“ die dauer- © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 1 newsletter Personal Arbeitsrecht hafte Aufspaltung der Belegschaft des Entleihers in eine Stamm- und eine entliehene Belegschaft verhindern solle. Risiken beim Einsatz auf Dauerarbeitsplätzen Für Aufsehen sorgte außerdem eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin, das die Auffassung vertrat, dass ein Leiharbeitnehmer, der auf einem „Dauerarbeitsplatz“ eingesetzt wurde, kraft gesetzlicher Fiktion Arbeitnehmer des Entleihers geworden sei (Urteil vom 9. Januar 2013 – 15 Sa 1635/12). Zwar lehnte eine andere Kammer desselben Gerichts (Urteil vom 16. Oktober 2012 – 7 Sa 1182/12) das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses als nicht gesetzeskonform ab. Wie das BAG das jedoch sieht, ist nicht prognostizierbar. Derzeit ist weder klar, was ein „Dauerarbeitsplatz“ ist, noch, ob bei einem Einsatz eines Leiharbeitnehmers auf einem Dauerarbeitsplatz ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher begründet wird. Dieses Risiko trägt der Entleiher. Ausgabe 3, September 2013 ternehmen, die zahlreiche Leiharbeitnehmer einsetzen, die Zahl der Betriebsratsmitglieder unter Umständen wächst und damit durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die Kosten für den eigenen Betriebsrat erheblich steigen können. Das BAG hat außerdem mit seiner Entscheidung vom 24. Januar 2013 (2 AZR 140/12) zur Reduzierung der Attraktivität der Leiharbeit beigetragen, da danach nun auch Leiharbeitnehmer in Kleinstbetrieben bei der Ermittlung des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 23 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG; in der Regel mehr als 10 Beschäftigte) hinzugezählt werden (vgl. dazu auch Zitate von Leuchten in der Süddeutschen Zeitung vom 26./27. Januar 2013, Seite 21). Schließlich zählen die Leiharbeitnehmer auch bei der Ermittlung der Schwellenwerte für einen Interessenausgleich und Sozialplan mit, wenn sie länger als drei Monate im Unternehmen beschäftigt sind (BAG, Urteil vom 18. Oktober 2011 – 1 AZR 335/10). Werkvertrag als Allheilmittel? Höhere Kosten für Entleiher? Dazu kommt, dass die Kosten der Zeitarbeit nicht unerheblich steigen bzw. gestiegen sind, sei es durch neue Zeitarbeitstarifverträge oder durch weitere neue höchstrichterliche Entscheidungen, die mittelbar die Kosten und Risiken für den Entleiher erhöhen: Im Zuge der Branchenzuschlagstarifverträge wird, je nach Branche in Abhängigkeit von der Dauer des Einsatzes des Leiharbeitnehmers beim Entleiher, die Marge für den Verleiher geringer. Damit steigen die Kosten, die der Verleiher dem Entleiher in Rechnung stellt, in Abhängigkeit von der Dauer der Überlassung. Die Branchenzuschlagstarifverträge reduzieren damit den Anreiz für Entleiher, Leiharbeitnehmer längerfristig zu entleihen. Nach der Entscheidung des BAG vom 13. März 2013 (7 ABR 69/11) sind Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der Anzahl der Mitarbeiter, die einen Betrieb prägen, nun mitzuzählen. In der Praxis führt dies im Ergebnis dazu, dass insbesondere bei Un- Um den gestiegenen Risiken, den Erschwernissen bei der Durchführung und den gestiegenen Kosten der Leiharbeit entgegenzuwirken, wird als Alternative immer häufiger der Werkvertrag genannt. Wird ein Werkvertrag abgeschlossen und entsprechend den gesetzlichen Regeln praktiziert, finden die Vorschriften über die Arbeitnehmerüberlassung keine Anwendung. Ob ein Werkvertrag überhaupt in Frage kommt, ist abhängig von der konkreten Situation im Betrieb. Bei einem Werkvertrag schuldet der Beauftragte die „Erstellung eines Werkes“ und gerade nicht die Überlassung von Arbeitnehmern. Vergütet wird „der Erfolg“ (Beispiel: Montage eines Zubehörteils) und nicht der reine (Zeit-) Aufwand. Es gibt zwei wesentliche Abgrenzungsmerkmale zwischen einem Werkvertrag und der Arbeitnehmerüberlassung, die zwingend in der Praxis „gelebt“ werden müssen: ● die „Eingliederung“ in den Betrieb (bei der Zeitarbeit sind die Leiharbeitnehmer im Betrieb des © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 2 newsletter Personal Arbeitsrecht Entleihers eingegliedert, beim Werkvertrag dürfen sie es eben nicht sein) ● Ausgabe 3, September 2013 dert, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf Werkverträge erstreckt werden soll. und die Frage, wer das Weisungsrecht ausübt. Ob eine Eingliederung vorliegt, bemisst sich vor allem danach, wem die Organisationsgewalt über den Einsatz der Mitarbeiter zukommt, die Aufgaben ausführen. Wenn der Auftraggeber nur die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, die Mitarbeiter des Auftragnehmers jedoch im Rahmen des Werkvertrages im Betrieb des Auftraggebers als echte „Externe“ nur in Form einer „job in job“-Lösung tätig werden, wird keine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers vorliegen. Beispiel: Die Räumlichkeiten werden vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. Darin werden von den Mitarbeitern des beauftragten Werkvertragsunternehmens Zubehörteile montiert. Hinsichtlich des Weisungsrechts ist zwischen Weisungen z.B. zur Fertigungsmethode, zu Anforderungen an die Qualität und an Stückzahlen etc. (werkbezogene Weisungen, § 645 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) und betreffend die Art und Weise der zu erbringenden Leistung wie Leistungszeit, -ort, Arbeitsgeschwindigkeit, Modalität der Ausführung etc. (arbeitsrechtliches Weisungsrecht) zu unterscheiden. Werkbezogene Weisungen durch einen Auftraggeber schaden der Qualifizierung der Rechtsbeziehung zum Auftragnehmer als Werkvertrag nicht (BAG vom 22. Juni 1994 – 7 AZR 286/93), da sie zur Förderung des Betriebszwecks des Werkunternehmers und damit der Erfüllung der Pflichten aus dem Werkvertrag dienen. Wichtig ist somit, dass die maßgeblichen Weisungen in personellen und sozialen Angelegenheiten (Arbeitszeit, Arbeitsort, Bemängelung der fachlichen Arbeit durch Abmahnungen usw.) ausschließlich durch den Auftragnehmer und dessen Mitarbeiter (Vorgesetzte) erfolgen. Trotz dieser relativ klaren Unterscheidungsmöglichkeit eines Leiharbeitnehmers von einem eingesetzten Arbeitnehmer auf Werkvertragsbasis, und obwohl Werkverträge seit langem ein fester Bestandteil unseres Wirtschaftslebens sind, kommt seitens der Gewerkschaften und einiger politischer Parteien in jüngster Zeit erhebliche Kritik an Werkverträgen auf. Außerdem wird gefor- Praxishinweise zur korrekten Umsetzung von Werkverträgen Für einen Werkvertrag ist es nicht ausreichend, wenn der Vertrag mit „Werkvertrag“ überschrieben ist und dessen typische Elemente enthält. Entscheidend ist vielmehr, dass die Vertragsbeziehung in der Praxis entsprechend der Vereinbarung auch tatsächlich „gelebt“ wird. Sollte dies nicht so sein, handelt es sich um einen „Scheinwerkvertrag“ bzw. eine „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“. In diesem Fall trifft den Auftraggeber das volle Risiko: Sollte der Auftragnehmer keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besitzen, werden alle beim Auftraggeber eingegliederten und eingesetzten Mitarbeiter des Auftragnehmers zu Arbeitnehmern des Auftraggebers. Daher sind Auftragnehmer bereits dazu übergegangen, sich eine „Vorrats-Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis“ zu verschaffen, um diese Konsequenz für den Auftraggeber zu vermeiden. Checkliste Bei Werkverträgen muss insbesondere auf Folgendes geachtet werden: ● Es muss eine eigenständige Werkleistung vorliegen (Beispiel: Montage eines Zubehörteils). ● Der Werkersteller haftet für den Erfolg (Gewährleistungsrecht; Beispiel: Wird ein Teil „schlecht“ montiert, kann der Auftraggeber vom Beauftragten – nicht vom eingesetzten Mitarbeiter! – unter anderem Nachbesserung verlangen). ● Der Beauftragte erhält seine Vergütung nur, wenn der „Erfolg“ eintritt. ● Es werden nur werksbezogene Weisungen erteilt. © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 3 newsletter Personal Arbeitsrecht Zusammenfassung Insgesamt zeigen die jüngsten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen, dass die Risiken, Erschwernisse und Kosten für Entleiher deutlich gestiegen sind. Werkverträge können eine Alternative zum Einsatz von Leiharbeitnehmern insbesondere auf Dauerarbeitsplätzen sein. Dies jedoch nur dann, wenn ein abgrenzbarer Erfolg definiert werden kann und das Unternehmen, das einen Werkvertrag erwägt, auch die Bereitschaft zum Outsourcing eines Arbeitsbereichs hat. Die Gestaltung und Durchführung eines Werkvertrages sollte aufgrund des Risikos der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung gerade bei einem dauerhaften Einsatz eines Werkunternehmens auf dem Betriebsgelände des Unternehmens besonders sorgfältig und abgrenzbar von den Stammmitarbeitern erfolgen. Werkverträge sind damit kein Allheilmittel. Sie können aber, wenn die Regeln eingehalten werden, eine überlegenswerte Alternative zur Leiharbeit sein. Marco Ferme, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Markus Künzel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Rechtsprechung Unbefristete Leiharbeit nach BAG verboten – Handlungsbedarf für Unternehmen Bundesarbeitsgericht vom 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11 Sachverhalt: Ein Entleihunternehmen beabsichtigte, einen Leiharbeitnehmer ohne jegliche zeitliche Begrenzung statt einer Stammkraft einzusetzen. Die für die Einstellung des Leiharbeitnehmers erforderliche Zustimmung verweigerte der Betriebsrat des Entleihers. Der Entleiher versuchte, sich die Zustimmung arbeitsgerichtlich er- Ausgabe 3, September 2013 setzen zu lassen, was ihm in erster und zweiter Instanz jeweils auch gelang. Die Entscheidung: Das BAG entschied anders als die Vorinstanzen zugunsten des Betriebsrats. Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers unter anderem dann wirksam verweigern, wenn die Einstellung gegen ein Gesetz verstößt. In der seit dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG erfolgt die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher „vorübergehend“. Das BAG stellt klar, dass diese Norm nicht lediglich einen unverbindlichen Programmsatz darstellt, sondern die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verbietet. Konsequenzen für die Praxis: Mit dieser Entscheidung hat das BAG eine zwischen den Landesarbeitsgerichten und in der Literatur hoch umstrittene Rechtsfrage zugunsten des Betriebsrats entschieden. Damit kann zukünftig ein Betriebsrat dem (unbefristeten) Dauereinsatz eines Leiharbeitnehmers wirksam nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) widersprechen. Sehr wichtige tatsächliche und praxisrelevante Fragen (Was konkret heißt „vorübergehend“? Besteht ein Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers zum Entleiher als Sanktion bei Verstoß gegen „vorübergehend“?) hat das BAG offen gelassen; zu diesen Fragestellungen werden Entscheidungen des BAG Ende 2013 bzw. im Frühjahr 2014 erwartet. Dennoch besteht bereits jetzt für betroffene (Entleih-) Unternehmen und Konzerne, insbesondere wenn sie mit konzerninternen AÜG-Gesellschaften arbeiten, dringender Handlungsbedarf. Praxistipp: Betroffene Unternehmen sollten ihre tatsächliche und rechtliche Ausgangssituation zeitnah genauestens analysieren. Um Risiken auszuschalten, kommen diverse Gestaltungsan- © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 4 newsletter Personal Arbeitsrecht sätze in Betracht, so z. B. richtig gestaltete Werkverträge (vgl. den Beitrag von Ferme/Künzel in diesem Newsletter auf den Seiten 1 ff.), Integrationstarifverträge, Ausgründungskonzepte oder die Bildung von Gemeinschaftsbetrieben. Wählt man diese Gestaltungsmittel nicht und will man derzeit als (Entleih-) Unternehmen risikolos agieren, verbleibt nur, Leiharbeitnehmer lediglich befristet und idealerweise nicht auf Dauerarbeitsplätzen einzusetzen. Dr. Wolfgang Lipinski, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Diskriminierungsprozess: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ Bundesarbeitsgericht vom 25. April 2013 – 8 AZR 287/08 Sachverhalt: Die 1961 in der früheren Sowjetunion geborene Klägerin hatte sich zweimal erfolglos auf eine ausgeschriebene Stelle „eines / einer Softwareentwicklers / -in“ beworben. Der Arbeitgeber teilte ihr trotz Anfrage nicht mit, ob er einen anderen Bewerber eingestellt hatte und gegebenenfalls, welche Kriterien für diese Entscheidung maßgeblich gewesen waren. Die Klägerin behauptete, sie habe die Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle erfüllt und sei lediglich wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und damit diskriminiert worden. Sie verlangte hierfür vom Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung in Geld. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage TIP P Rund ums Arbeitsrecht! Auf rehmnetz.de finden Sie viele aktuelle Informationen zum Thema Arbeitsrecht, die Ihnen schnell weiterhelfen. » Direkt zur Themenseite! Ausgabe 3, September 2013 abgewiesen. Das BAG hatte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung mit folgenden Fragen vorgelegt: Hat ein abgelehnter Bewerber einen Auskunftsanspruch gegen das Unternehmen, ob dieses einen anderen Bewerber eingestellt hat? Muss das Unternehmen mitteilen, aufgrund welcher Kriterien die Einstellung erfolgt ist? Besteht ein Indiz für eine Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteilt? Der EuGH entschied im Urteil vom 19. April 2012 – C-415/10, dass es keinen solchen Auskunftsanspruch gibt. Das Gericht führte jedoch auch aus, dass die Tatsache, dass der Arbeitgeber jeglichen Zugang zu Informationen verweigert, möglicherweise auf eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung schließen lässt. Es sei Sache des BAG, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall sei. Die Entscheidung: Das BAG lehnte eine Entschädigungsverpflichtung des Arbeitgebers ab. Dabei stellt es im Einklang mit dem EuGH zum einen fest, dass es keinen Auskunftsanspruch für einen abgelehnten Bewerber gibt. Zum anderen hätte die Bewerberin vor Gericht Indizien darlegen müssen, die eine Benachteiligung z.B. wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft vermuten lassen. Der bloße Hinweis auf diese Gründe und die Behauptung, deswegen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein, ist nicht ausreichend, um auf eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung zu schließen. Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch den Arbeitgeber begründet diese Vermutung nicht. Konsequenzen für die Praxis: Unternehmen können aufatmen. Dass es keinen Auskunftsanspruch des abgelehnten Bewerbers gibt, steht seit der Entscheidung des EuGH im Jahr 2012 fest. Nun ist aber auch geklärt, dass das Schweigen des Arbeitgebers per se keine nachteiligen Folgen auslöst. Ein abgelehnter Stellenbewerber muss mehr vortragen als bloße Vermutungen und reine Behauptungen ohne konkrete Beweise. Erst wenn ein Bewerber Indizien beweisen kann, die eine Diskriminierung vermuten lassen, dreht sich die Beweislast um. D.h., dass dann der Arbeitgeber © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 5 newsletter Personal Arbeitsrecht das Nichtvorhandensein einer Diskriminierung beweisen muss. Unterhalb dieser Schwelle muss der Arbeitnehmer die Diskriminierung darlegen und beweisen können. In der Tendenz ist daher Arbeitgebern zu raten, zum Einstellungsverfahren so wenig wie möglich zu kommunizieren und eine Absage in neutraler Form – also ohne Begründung – zu versenden, um auf der sicheren Seite zu sein. Dr. Marc Spielberger, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Bei fehlender Vereinbarung ist die betriebsübliche Arbeitszeit geschuldet Bundesarbeitsgericht vom 15. Mai 2013 – 10 AZR 325/12 Sachverhalt: Die Arbeitnehmerin bezieht als außertarifliche Mitarbeiterin ein Jahresgehalt von ca. 95.000 Euro brutto. Eine ausdrückliche Regelung zur Dauer der Arbeitszeit enthält der Arbeitsvertrag nicht. Es besteht jedoch die vertragliche Verpflichtung, auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden. Nachdem sich im November 2010 auf dem Arbeitszeitkonto rund 686 Minusstunden befanden, forderte die Arbeitgeberin die Mitarbeiterin auf, die betriebsübliche Arbeitszeit von 38 Stunden/Woche einzuhalten. Dem kam die Arbeitnehmerin nicht nach, weshalb ihr die nachfolgenden Gehälter gekürzt wurden. Zudem wurde die Mitarbeiterin abgemahnt und schließlich gekündigt. Sie klagte die gekürzten Differenzbeträge ein und ist der Ansicht, sie habe überhaupt nicht zu bestimmten Zeiten anwesend zu sein. Sie werde nämlich für konkrete Ergebnisse, jedoch nicht für die Ableistung einer bestimmten Arbeitszeit entlohnt. Solange sie nur die ihr zugewiesenen Aufgaben erledige, sei ihr das ungekürzte Gehalt zu zahlen. Die Entscheidung: Die Klage hatte wie in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Entscheidung, die Ausgabe 3, September 2013 momentan lediglich als Pressemitteilung vorliegt, stellt klar, dass bei fehlender ausdrücklicher vertraglicher Regelung über die Dauer die betriebsübliche Arbeitszeit als vereinbart gilt. Nach ihr bemessen sich die gegenseitigen Pflichten zur Arbeitsleistung und zur Zahlung der Vergütung. Dies gilt ausdrücklich auch für außertarifliche Angestellte mit überdurchschnittlichem Einkommen. Über das Kündigungsverfahren in dieser Angelegenheit entscheidet das BAG separat (2 AZR 273/12). Konsequenzen für die Praxis: Insbesondere bei Mitarbeitern mit überdurchschnittlichem Einkommen fehlen in der Praxis häufiger vertragliche Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit. Das BAG stellt klar, dass es auf die übliche Dauer der Arbeitszeit ankommt. Es bekräftigt hiermit den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Der Arbeitsvertrag hängt nicht von einem Erfolg ab wie der Werkvertrag. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich in erster Linie zur reinen Tätigkeit. In welchem zeitlichen Rahmen dies zu geschehen hat, kann der Arbeitgeber bei Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen im Rahmen seines Weisungsrechts anhand der betriebsüblichen Arbeitszeit festlegen. Jan Einhaus, LL.M., Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Verschärfte Regeln für die Ablehnung von Teilzeitansprüchen Bundesarbeitsgericht vom 13. November 2012 – 9 AZR 259/11 Sachverhalt: Ein bereits in Teilzeit tätiger Arbeitnehmer begehrte die weitere Verringerung seiner Arbeitszeit. Sein Arbeitsvertrag sah sehr weit formulierte Einsatzmöglichkeiten vor. Der Arbeitgeber lehnte den Verringerungsantrag ab, da der Arbeitsplatz des Mitarbeiters nicht weiter teilbar sei. Daraufhin verfolgte der Arbeitnehmer seinen Teilzeitwunsch im Klagewege weiter. © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 6 newsletter Personal Arbeitsrecht Die Entscheidung: Das BAG gab dem Arbeitnehmer Recht. Auch bereits in Teilzeit Beschäftigte haben nach § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) Anspruch auf (weitere) Verringerung der Arbeitszeit. Dem Teilzeitanspruch entgegenstehende betriebliche Gründe, die den Arbeitgeber zu einer Ablehnung des Verringerungswunsches berechtigen, sind nach dem BAG nicht arbeitsplatz-, sondern betriebsbezogen zu prüfen. Dabei muss der Arbeitgeber den Arbeitsplatz des antragstellenden Arbeitnehmers sowie freie Arbeitsplätze berücksichtigen, aber auch einen Ringtausch von Mitarbeitern erwägen. Konsequenzen für die Praxis: Beantragt ein Arbeitnehmer eine Verringerung seiner Arbeitszeit, muss der Arbeitgeber prüfen, ob dies betrieblich möglich ist. Dabei muss er alle Arbeitsplätze berücksichtigen, die er dem Arbeitnehmer nach dessen Arbeitsvertrag zuweisen könnte, selbst wenn diese nicht frei sind. Dies dürfte nicht nur für Teilzeitansprüche nach dem TzBfG gelten, sondern 1:1 auf Teilzeitbegehren während der Elternzeit übertragbar sein. Die Bearbeitung von Teilzeitanträgen wird damit aufwändiger und deren Ablehnung weit schwieriger als schon bisher. Wenn sich der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag umfangreiche Einsatz- und Versetzungsmöglichkeiten des Mitarbeiters vorbehalten hat, dürfte die Darlegung entgegenstehender Gründe in einem Prozess sogar nahezu unmöglich werden. Praxistipp: Arbeitgeber sollten bereits bei der Gestaltung der Arbeitsverträge sorgfältig abwägen, wie weit oder wie konkret sie den möglichen Einsatzbereich des Mitarbeiters fassen: Ein großzügig bemessener Aufgabenbereich und weitreichende Versetzungsklauseln machen den Personaleinsatz zwar flexibel; für diese Freiheit – die häufig gar nicht benötigt und genutzt wird – bezahlt der Arbeitgeber aber unter anderem mit erheblichen Nachteilen bei der Prüfung und der etwaigen Ablehnung von Teilzeitwünschen. Dr. Corinne Klapper, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Ausgabe 2, Juni 2013 Vorsicht bei „freiwilligen“ Leistungen! Bundesarbeitsgericht vom 17. April 2013 – 10 AZR 281/12 Sachverhalt: Ein Arbeitsvertrag sah Folgendes vor: „Die Zahlung eines 13. Gehalts ist eine freiwillige Leistung..., die anteilig als Urlaubs- und Weihnachtsgeld gewährt werden kann.“ Während der Arbeitgeber der Meinung war, damit sei deutlich, dass gerade kein verbindlicher Anspruch bestehe, vertrat die Arbeitnehmerin die gegenteilige Ansicht. Entscheidung: Das BAG gab der Arbeitnehmerin Recht und bejahte einen Anspruch auf das 13. Gehalt. Die Formulierung im Arbeitsvertrag ist so unklar, dass sie zu Lasten des Arbeitgebers ausgelegt werden muss. Die Mitarbeiterin kann nicht erkennen, ob die Leistung generell unter einem Vorbehalt stehen soll, oder ob die Angabe „freiwillige Leistung“ nur darauf hinweist, dass es keine entsprechende Pflicht zur Zahlung aus Gesetz oder Tarifvertrag gibt. Ebenso könnte die Freiwilligkeit darauf bezogen sein, dass der Arbeitgeber sich nur nicht festlegen will, ob er das 13. Gehalt als Weihnachts- oder Urlaubsgeld auszahlt. Die Unklarheit in der Formulierung geht zu Lasten des Arbeitsgebers. Konsequenzen für die Praxis: Man kann es nicht oft genug wiederholen: Bei Zusatzleistungen ist unbedingt sorgfältig zu formulieren, da jede Unklarheit im Zweifel zu Lasten des Arbeitgebers geht. Hier setzt sich die Rechtsprechung des BAG konsequent fort: Bereits in einer früheren Entscheidung hatte es eine Formulierung beanstandet, nach der eine Leistung „freiwillig und widerruflich“ war. Auf den ersten Blick hätte man auch hier angenommen, dass der Wunsch, die Leistung unter Vorbehalt zu gewähren, mehr als deutlich zum Ausdruck gekommen sei. Das BAG fand jedoch auch diese Formulierung unklar, da man etwas Freiwilliges nicht widerrufen kann. Somit wird es immer schwieriger, rechtssichere Vorbehalte für „freiwillige“ Leistungen zu formulieren. © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 7 newsletter Personal Arbeitsrecht Ausgabe 3, September 2013 Praxistipp: Im Zusammenhang mit Zusatzleistungen ist unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass bereits das „Ob“ der Leistung freiwillig ist. Der Arbeitgeber muss sich ausdrücklich vorbehalten, jedes Jahr neu über die Leistungserbringung zu entscheiden und klarstellen, dass auch bei mehrmaliger Zahlung kein dauerhafter Anspruch begründet wird. Zur Sicherheit empfiehlt es sich, neben einem unmissverständlichen Vorbehalt im Arbeitsvertrag auch immer unmittelbar bei Leistungserbringung die Freiwilligkeit der Leistung ausdrücklich zu erklären. absoluten Friedenspflicht und dem Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung. ● Die Gewerkschaften müssen in das Verfahren des Dritten Weges organisatorisch eingebunden werden und sich koalitionsmäßig beteiligen können; Dr. Dietmar Müller-Boruttau, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin ● im Konfliktfall innerhalb einer Kommission wird ein Schlichtungsverfahren mit einem unabhängigen und neutralen Vorsitzenden durchgeführt; ● die Verhandlungsergebnisse der Kommission gelten als verbindliche Mindestarbeitsbedingungen; es darf kein einseitiges Wahlrecht der kirchlichen Arbeitgeber über die Anwendung dieser Mindestarbeitsbedingungen geben. Dr. Franziska von Kummer, MCL, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Dipl.-Kffr., Dipl.-Vw., BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen? Bundesarbeitsgericht vom 20. November 2012 – 1 AZR 179/11 und 1 AZR 611/11 Sachverhalt: Die Gewerkschaft ver.di hatte Mitarbeiter von kirchlichen Einrichtungen (u.a. eines evangelischen Krankenhauses) zu Warnstreiks aufgerufen. Arbeits- und Entgeltbedingungen werden hier nicht mittels Tarifverträgen, sondern durch den sog. „Dritten Weg“ vereinbart, dem besonderen Arbeitsrechtsregelungsverfahren der Kirchen. Der Dritte Weg sieht vor, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeits- und Entgeltbedingungen vereinbaren. Kommt in der Kommission keine Einigung zustande, wird eine Schlichtungskommission einberufen. In einem weiteren, dem BAG am selben Tag zur Entscheidung vorliegenden Fall hatte der Marburger Bund gegenüber einem evangelischen Krankhaus Streiks angekündigt, obwohl der kirchliche Arbeitgeberverband zuvor den sogenannten „Zweiten Weg“ angeboten hatte. Dies bedeutet Tarifvertragsverhandlungen unter dem Vorbehalt einer Die Entscheidungen: Das BAG stellt in seiner Entscheidung zum Dritten Weg klar, dass kirchliche Einrichtungen nicht bestreikt werden dürfen, solange von ihnen die folgenden Grundsätze zum Dritten Weg beachtet werden: Bemerkenswert ist, dass das BAG der von den Gewerkschaften aufgestellten These, dass das Streikrecht ein eigenständiges Grundrecht sei, eine klare Absage erteilt: „Ein Grundrecht auf Streik, losgelöst von seiner funktionalen Bezugnahme auf die Tarifautonomie, gewährleistet Artikel 9 Abs. 3 GG nicht.“ Auch in seiner Entscheidung zum Zweiten Weg sah das BAG ein generelles Streikverbot als rechtmäßig an. Kirchliche Einrichtungen können demnach Arbeits- und Entgeltbedingungen auch über Tarifverträge vereinbaren und dabei den Abschluss einer Vereinbarung zur absoluten Friedenspflicht sowie zur Schlichtung von den Gewerkschaften einfordern, solange den Gewerkschaften die Anrufung der Schlichtungskommission und die Überleitung des Verfahrens in dieses Gremium offen steht und die Neutralität des Vorsitzenden der Schlichtungskommission sicher gestellt ist. Konsequenzen für die Praxis: Die Gewerkschaften und die Kirchen haben lange Zeit darüber gestritten, ob in den Einrichtungen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie gestreikt werden darf. Für die kirchlichen Einrichtungen sind die beiden BAG-Entscheidungen aufgrund der Bestätigung des Streikverbots zunächst © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 8 newsletter Personal Arbeitsrecht ein Erfolg. Zugleich definiert das BAG aber konkrete Vorgaben für den Zweiten und vor allem für den Dritten Weg. Problematisch ist, dass die derzeit gültigen kirchengesetzlichen Regelungen zur Zusammensetzung und zum Verfahren der Kommissionen des Dritten Weges in vielen Landeskirchen und Bistümern die Vorgaben des BAG, zumindest in puncto Verbindlichkeit der Verhandlungsergebnisse, nicht erfüllen. Unterschreiten die vorgenannten kirchengesetzlichen Regelungen aber die Vorgaben des BAG, haben die Dienstnehmer in den einzelnen Einrichtungen ein Recht zum Streik. Dieses Streikrecht besteht zumindest so lange, bis eine Anpassung der kirchengesetzlichen Regelungen an die neue BAG-Rechtsprechung erfolgt. Ob Streiks in diesen Fällen nur auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet sein können, oder auch auf die Einhaltung der vom BAG aufgestellten Mindestbedingungen, wird in der Entscheidung zum Dritten Weg nicht explizit festgestellt. Praxistipp: Die Träger kirchlicher Einrichtungen sollten umgehend prüfen, ob die für sie geltenden kirchengesetzlichen Regelungen den Vorgaben des BAG entsprechen. Dr. Christian Wiegelmann, Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Ver.di schaltet weiteren Wettbewerber aus Bundesarbeitsgericht vom 11. Juni 2013 – 1 ABR 33/12, Landesarbeitsgericht Hamburg vom 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 Sachverhalt: Laut ihrer Satzung war die Arbeitnehmervereinigung medsonet eine Gewerkschaft im Bereich Gesundheitswesen und Soziale Dienste. Als Mitglied im Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) schloss sie als Tarifverträge bezeichnete Vereinbarungen ab. Die Anzahl der von ihr vertretenen Mitglieder entsprach ab September 2011 einem Organisationsgrad von ca. 1%. Wie schon im Bereich Zeitarbeit machte ver.di geltend, dass es medsonet an der für Gewerkschaften erforderlichen Durchsetzungskraft gegenüber Ausgabe 3, September 2013 dem sozialen Gegner und damit an der sozialen Mächtigkeit fehle. Daher habe sie mangels Tariffähigkeit Tarifverträge nicht wirksam abschließen können. Die Entscheidungen: Diesem Antrag ist das Arbeitsgericht und dann das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg gefolgt. Die gegen den Beschluss des LAG beim BAG eingelegte Rechtsbeschwerde wurde zurückgenommen. Somit steht rechtskräftig fest, dass medsonet zu keinem Zeitpunkt tariffähig war. Der Begriff der Tariffähigkeit ist gesetzlich nicht definiert, sondern durch die Gerichte ausgestaltet. Danach muss die Vereinigung u.a. sozial mächtig sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Vereinigung in der Lage ist, auf die Arbeitgeberseite so viel Druck auszuüben, dass diese sich auf Verhandlungen über tariflich regelbare Arbeitsbedingungen einlässt. Dies war nach Auffassung des LAG Hamburg angesichts des Organisationsgrads von lediglich rund einem Prozent nicht gegeben. Konsequenzen für die Praxis: Ver.di gelang es abermals, einen Wettbewerber zu beseitigen und damit ihre Verhandlungsposition zu stärken. Mangels mit ver.di konkurrierender Gewerkschaften in diesem Bereich werden arbeitgeberseitige Forderungen in Zukunft schlechter durchsetzbar sein. Die Sorge der Arbeitgeber, es könnten erhebliche Nachzahlungen drohen, ist jedoch unbegründet. Die von medsonet geschlossenen „Tarifverträge“ in diesem Bereich weichen erfahrungsgemäß nicht gravierend von den von ver.di geschlossenen Tarifverträgen ab. Es besteht daher keine Gefahr, dass Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse von diesen „Tarifverträgen“ erfasst sind, Ansprüche mit dem Argument geltend machen, sie hätten nicht wenigstens die übliche Vergütung i. S. d. § 612 Abs. 2 BGB erhalten. Bestehen wirksame arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln auf die von medsonet geschlossenen „Tarifverträge“, werden deren Inhalte zudem dennoch in die jeweiligen Arbeitsverhältnisse transportiert. Es liegen schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber oder dem Arbeitgeberverband einerseits und der Arbeitnehmervereinigung andererseits vor (sog. Koalitionsvereinbarungen). Diese sind trotz mangelnder Tariffähigkeit möglich. Zwar haben sie nicht die normative Wirkung © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 9 newsletter Personal Arbeitsrecht eines Tarifvertrages, ihre vertragliche Umsetzung in das Individualarbeitsverhältnis gelingt jedoch durch ausdrückliche Bezugnahmeklausel. Eine Rechtsunsicherheit ist daher nicht entstanden. Dr. Thomas Barthel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin Roman Parafianowicz, Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin Hinweis: Der Beitrag ist in einer ausführlicheren Version im „Schnellbrief für Personalwirtschaft und Arbeitsrecht“, Ausgabe 15/2013, Seite 113 f. erschienen. Gleichstellung von Krankheit und Behinderung? Europäischer Gerichtshof vom 11. April 2013 – Az. C335/11 und C337/11 Sachverhalt: Anlässlich zweier Schadensersatzklagen von Arbeitnehmerinnen aus Dänemark hatte der EuGH den Begriff der Behinderung im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/ EG zu klären. Die Begriffsdefinition hat im deutschen Recht z.B. Auswirkungen darauf, wann ein Diskriminierungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) besteht. Die Entscheidung: Das Gericht stellte zunächst fest, dass neben den unheilbaren auch heilbare Ausgabe 3, September 2013 Krankheiten unter dem Begriff „Behinderung“ der genannten Richtlinie fallen können. Beide müssen „eine Einschränkung mit sich bringen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können.“ Außerdem muss diese Einschränkung von langer Dauer sein. Konsequenzen für die Praxis: Entgegen der teilweise in der Presse und auch Fachliteratur geäußerten Meinungen entwickelt der EuGH den Begriff der Behinderung im Anwendungsbereich der betroffenen Richtlinie nur konsequent fort. Keineswegs sind die Begriffe der „Krankheit“ und der „Behinderung“ gleichzusetzen. Es kommt auf die genannten Voraussetzungen an, insbesondere auf eine lange Dauer der Einschränkung. Es wird außerdem bestätigt, dass beide Zustände gleichzeitig vorliegen können. Wirkliche Neuigkeiten bringt die Entscheidung daher nicht, Personalpraktiker sollten sich von entsprechenden Presseberichten nicht irritieren lassen. Der vom EuGH entschiedene Fall gibt unter Hinweis auf den Wertungsspielraum der nationalen Gesetzgeber keine Veranlassung, das deutsche System zum Schutz für Schwerbehinderte oder diesen gleichgestellten Personen in Frage zu stellen. Peter Weck, Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf © Copyright der Inhalte liegen bei BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft MBH 10