Medizin im Alter Das Verdauungssystem 550 Jahre Universität Greifswald 1456 Markus M. Lerch Medizinische Klinik der königlichen Universität Greifswald 1856 Abteilung Gastroenterologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald Altersbedingte physiologische Veränderungen Körperfett Verteilungsvolumen Fettlöslicher Medikamente Gesamtkörperwasser Verteilungsvolumen Fettlöslicher Medikamente Leberfunktion verzögerter Metabolismus von Medikamenten Magensäure Kalziumabsorption im leeren Magen Dickdarmmotilität Obstipation Anorektale Funktion Inkontinenz Harrissons Innere Medizin 2003 abdominelle Schmerzen und akutes Abdomen • Viele Erkrankungen des Verdauungstraktes gehen mit Bauchschmerzen einher. • Die Differentialdiagnose im Alter ist oft schwierig (Multimorbidität) • Alte Menschen sind oft weniger schmerzempfindlich • Die Symptome sind im Alter oft uncharakteristisch • Der Schmerzbeginn und Charakter sind oft unklar abdominelle Schmerzen Pathophysiologie – Ursache: Zug und Dehnungskräfte – Nervenendigungen liegen in der • Kapsel – parenchymatöse Organe • Muskelschicht - Hohlorgan – schmerzunempfindlich sind: • Peritoneum viscerale • Omentum majus – schmerzempfindlich • Peritoneum parietale • Mesenterium • Peritoneum der Hinterwand – langsame Dehnung macht selten Schmerz • z.B. Gallenblasenhydrops abdominelle Schmerzen viszeraler Schmerz: • entsteht in Abdominalorganen selbst • ungenaue Lokalisationsmöglichkeit (multisegmentale Innervation) • Charakter: krampfartig, brennend, beißend • allgemeine Symptome: Schwitzen, Blässe, Unruhe, Übelkeit Gallenwegserkrankungen Leberabszess Neoplasie der Leber Myocardinfarkt Appendizitis Morbus Crohn Ovarialprozess Endometriose Ektopische Schwangerschaft Gastritis Magenulcus Milzinfarkt Milzabszess Divertikulitis Ovarialprozess abdominelle Schmerzen parietaler Schmerz – – – – intensiver besser lokalisierbar Ausdruck einer lokalen Entzündung des Bauchfells Verstärkung bei Bewegung, Husten, Pressen übertragener Schmerz (referred pain) – wird in der Haut oder tieferen Schichten verspürt – in der Regel bei zunehmender Schädigung des Organs Schmerzprojektion abdominelle Schmerzen Erkrankung Beginn Lokalisation Charakter Appendizitis allmählich periumbilikal Æ re. Unterbauch früh: diffus spät: lokalisiert akute Cholezystitis schnell re. oberer Quadrant lokalisiert, Dauerschmerz perforiertes Magenulkus schnell epigastrisch lokalisiert – später bretthartes Abdomen akute Pankreatitis plötzlich Rücken o. epigastrisch Dauerschmerz Vernichtungsgefühl Mesenterialinfarkt akut, dann symptom- diffus loses Intervall heftiger Akutschmerz, Abdomen weich Bridenileus plötzlich kolikartig periumbilikal, initial lokalisiert abdominelle Schmerzen extraperitoneale DD des „akuten Abdomens“ Pneumonie Diabetische Azidose Myocardiale Ischämie Leukämie Pyelonephritis Harnverhalt Epidydimitis / Torsion Empyem Blei-Vergiftung Drogen WS-Affektionen Porphyrie Clinical Policy Guidlines des American College of Emergency Physicians Schränke nie die Differentialdiagnose allein auf Grund der Lokalisation des Abdominalschmerzes ein. Das Vorhandensein oder Fehlen von Fieber läßt keinen Rückschluss auf eine chirurgische oder internistische Ätiologie des Bauchschmerzes zu. Empfehlungen: Untersuche den Patienten wiederholt über mehrere Stunden, um die diagnostische Treffsicherheit bei unklarem akutem Bauchschmerz deutlich zu erhöhen. Sammele zuerst alle klinische Daten vollständig, bevor Du zu einer Differenzialdiagnose kommst. Untersuche alle Patienten mit Bauchschmerz auf okkultes Blut im Stuhl. Führe bei allen Patientinnen mit Bauchschmerz eine vaginale Untersuchung des kleinen Beckens durch. ACEP clinical policy guidelines, Dallas, 2000 akutes Abdomen Therapie: - sicherer venöser Zugang ( ggf. zwei großlumige Zugänge ) - Analgesie !!!, ggf. leichte Sedierung - Volumensubstitution - Lagerung: Schonhaltung mit angezogenen Beinen evtl. Knierolle, bei Schocksymptomatik 30 ° Kopftieflage - Sauerstoffgabe - Transport: - Ziel: interdisziplinäre NA (chirurgische Option) abdominelle Schmerzen- Akute Appendizitis Anamnese: Schmerzen periumbilikal und im rechten unteren Quadranten (60-90%) Untersuchung: Druckschmerz im rechten unteren Quadranten, rektaler Verschiebeschmerz, Loslass-Schmerz, Psoasschmerz (60-80%) Diagnostik: BSG, Serumchemie, Blutbild Bildgebung: Sonographie, Röntgenübersicht des Abdomens in < 50% aussagekräftig CT des Abdomen nur bei unklaren Fällen D.H. Wittmann 1986 Cave: bei alten Menschen meist unspezifische und weniger starke Symptome und deshalb oft erst sehr späte Diagnosestellung abdominelle Schmerzen -Divertikulitis Epidemiologie: 80% der 80 jährigen haben eine Divertikulose, 20 % davon entwickeln eine Divertikulitis Anamnese: Schmerzen im linken unteren Quadranten, Fieber, Diarrhoe, Obstipation Untersuchung: Druckschmerz im linken unteren Quadranten, tastbare Walze, Fieber Diagnostik: BSG, Labor, BB, CRP Bildgebung: (Sonographie), Abdomen CT Sensitivität 93%, Spezifität ~100%, Therapie: Antibiose, Supportive Maßnahmen, OP im Intervall, bei Komplikationen sofort Almay T.P. N. Engl. J. Med. 1980 abdominelle Schmerzen - Perforiertes Ulcus Anamnese: NSAR, (+ Steroide), Ulcusanamnese, endoskopische Voruntersuchungen Untersuchung: zunächst lokalisierter Schmerz, später generalisierte Peritonitis Diagnostik: (BSG, BB, Labor) Bildgebung: Abdomenleeraufnahme Abdomen CT bei unklaren Fällen und bei V.a. retroperitoneale Perforation Maniatis V. Abdom. Imaging 2000 Endoskopie nach Ausschluss der Perforation abdominelle Schmerzen - Mesenteriale Ischämie I Anamnese: postprandiale Schmerzen, heftiger kolikartiger Schmerz mit Übelkeit, dann Symptomarmes Intervall, erneut heftigste Schmerzen, Häufige Begleiterkrankungen: KHK, pAVK Untersuchung: initial recht blander Untersuchungsbefund, Erbrechen (75%), Diarrhoe (35%), Übelkeit (16%), Blutung (50%), dann Akutes Abdomen Peritonitis, Schock Diagnostik: BB (Leukozytose), Laktat, Serumtransaminasen, Amylase, LDH, Phosphat (alle relativ unspezifisch) abdominelle Schmerzen - Mesenteriale Ischämie II Diagnostik: BB (Leukozytose), Laktat, Serumtransaminasen, Amylase, LDH, Phosphat (alle relativ unspezifisch) Bildgebung: Angiographie (Goldstandard), Duplex sonographie, Therapie: Antikoagulation, Explorative Laparotomie mit Embolektomie oder Resektion im Frühstadium eventuell Lyse Mortalität 71% bei Mesenterialinfarkt Leichtere Formen: Angina abdominalis, ischämische Kolitis abdominelle Schmerzen - Ileus Anamnese: Voroperationen (Briden, Hernien), Tumorerkrankung, CED, krampfartige Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation Untersuchung: geblähtes Abdomen, pathol. Darmgeräusche Diagnostik: BSG, Labor, BB Bildgebung: Abdomenleeraufnahme ggf Sonographie Abdomen CT ggf zur Ursachenklärung Maglinte D.D. Radiology 1993 Obstipation I Epidemiologie: 20-40 % aller über 60 jährigen leiden unter Obstipation, häufig Laxantienabusus Ursache: 10% Organische Ursachen: Stenosen (Tumor, Briden, Entzündlich), Medikamente ( Opiate, Laxantien, Antidepressiva, Diuretika), funktionelle Obstruktion (Rektumprolaps, Rektozele, M. Hirschsprung) Reizdarmsysndrom, endokrine oder neurologische Ursachen Faserarme Kost und wenig Bewegung Anamnese: rasche Änderung des Stuhlverhaltens, Blut im Stuhl, wie oft Stuhlgang, Schmerzen, Blähungen, Gefühl der inkompletten Entleerung, Medikamentenanamnese Obstipation II Untersuchung: zum teil tastbare Skyballa, rektal Ampulle mit harten Stuhl gefüllt, blander adomineller Untersuchungsbefund Diagnostik: Endoskopie, Kolontransitzeitbestimmung, Analmanometrie Therapie: Behandlung organischer Ursachen (Stenosen), Allgemein: Ballastoffreiche Kost ?, mind. 2l Flüssigkeit/d, Stuhlhygiene, Körperliche Aktivität, Medikamentös: PEG!, Lactulose, Flohsamen, kurzzeitig auch Antrachinone oder Diphenylmethane Fließende Übergänge von der Obstipation zum Subilleus Lebererkrankungen im Alter I Veränderungen im Alter: •keine rein altersbedingte Krankheiten der Leber bekannt. •Durch Summation von Lebertox. Einflüssen im laufe des Lebens vermehrt Leberzirrhose als Endstrecke der Veränderungen und Auftreten von allen Komplikationen. Leberzirrhose Klinik: unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit, Leistungsknick, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Symptome durch Funktionsverlust der Leber Blutungsneigung, Ikterus, Aszites, Ödeme Labor: INR , Transaminasen , Bilirubin , Albumin , Immunglobuline , Komplikationen: Ösophagus- und Magenvarizen, Portal-hypertensive Gastorpathie, hepatische Enzephalopathie, Aszites, spontanbakterielle Peritonitis, Hepatorenales Syndrom, HCC Therapie: meiden von Noxen (kein Alkohol), Therapie der Komplikationen, Transplantation (im alter eher selten) Gallenwegserkrankungen I Anamnese: kolikartige Schmerzen im Epigastrium und rechten oberen Quadranten Untersuchung: Druckschmerz im rechten oberen Quadranten, Murphy’s Zeichen, Ikterus Diagnostik: BSG, Cholestaseparameter, BB, CRP Bildgebung: • Sonographie (verdickte GB-Wand >4 mm, Flüssigkeitssaum um die GB), • Abdomen CT bei V.a. akalkulöse Cholezystitis, • ERC bei Cholestase oder Choledocholithiasis Paulson E.K. Semin. Ultrasound CT MR 2000; 21:55-63 Gallenwegserkrankungen II Therapie: Cholezystitis: Antibiotische Therapie, allgemeine Maßnamen, OP sofort oder nach abklingen der Entzündung Cholangitis: ERC(P) mit wiederherstellen des Abflusses (Stent oder Steinextraktion) und Antibiotische Therapie Probleme im Alter: Veränderte Schmerzwahrnehmung mit verspäteter Diagnosestellung, Schlechtere Abwehrlage Sepsis Eine Choledocholithiasis kann auch nach Cholezystektomie vorkommen Akute Pankreatitis - Ursachen der im Alter • Gallensteine (im Alter häufig) • Alkohol (im Alter seltener) • Pankreastumoren • Idiopathisch Falsch: Common Channel Hypothese • Hereditär • Medikamente E.L. Opie, Hypothesen aus dem Jahr 1901 Richtig: Obstruktions-Hypothese Akute Pankreatitis - Sofortmaßnahmen Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei akuter Pankreatitis - und bei Unterlassung gleichzeitig der gravierendste Behandlungsfehler ist der sofortige und ausreichende Ersatz des Verlustes freier Flüssigkeit! oft mehr als 10 ltr. Substitution nach: ZVD (8-10) Haematokrit (30-35%) Ob Dextrane, Albumin, kristalline oder kolloidale Lösungen jeweils entscheidende Vorteile bieten, ist nicht sicher geklärt. Akute Pankreatitis - Ernährung Eine ‚Ruhigstellung‘ des Pankreas ist bei akuter Pankreatitis nach heutigem Wissen weder sinnvoll noch erforderlich. Patienten mit akuter Pankreatitis sollten wenn möglich ernteral und nicht parenteral ernährt werden. Die enterale Ernährung führt zur: 1. Erheblichen Kostenersparnis 2. Senkung der Rate infektiöser Komplikationen der Pankreatitis 3. (Wahrscheinlich) zur Verbesserung der Prognose der Patienten 4. (Sicher) zu keiner negativen Beeinflussung des klinischen Verlaufes Infektiöse Darmerkrankungen Besonderheiten im Alter: verringertes Gesamtkörperwasser Geringeres Durstgefühl Eingeschränkte Nierenfunktion und Flüssigkeitsmangel Erbrechen und Abgeschwächte Reflexe Exsikkose Akutes Nierenversagen Aspirations Pneumonie Fehl- und Mangelernährung • Unter und Mangelernährung ist ein großes Problem bei geriatrischen Patienten mit großem Einfluss auf die Morbidität und Mortalität. • 60% der Bewohner von Pflegeeinrichtungen und Patienten in Krankenhäusern sind ausgeprägt Mangelernährt. • Problem wird oft nur recht wenig behandelt, oder es wird schnell ohne die Ursache wirklich zu behandeln eine PEG-Sonde angelegt. Fehl- und Mangelernährung Ursachen der Mangelernährung im Alter: meals on wheels (Merksatz) Medications Emotional problems (depression) Anorexia Late-life paranoia (Altersparanoia) Swallowing disorders Oral factors No money Wandering (Demetia) Hyperthyroidism, hyperparathyrodism, hypoadrenalism Enteric problems (malabsorption) Eating problems (inability to self-feed) Social problems Maligne Erkrankungen Maligne Erkrankungen nehme mit steigendem Lebensalter deutlich zu Die wichtigsten sind: •Ösophagus Ca Häufigkeitsgipfel 55. Lj (Plattenepithel) -65. Lj (Adeno-Ca) •Magen Ca Häufigkeitsgipfel > 50. Lj Überleben abhängig vom Lokalbefund •Pankreas Ca Häufigkeitsgipfel 70 Lj. med. Überleben 6 Monate •Hepatozelluläres Ca Häufigkeitsgipfel 50.-60. Lj •Colon Häufigkeitsgipfel > 50 Lj 2. Häufigster Tumor Prognose abhängig vom Stadium Therapie: In der Therapie der Tumorerkrankungen gibt es keine wesentlichen Unterschiede im Alter. Es wird sich jedoch bei älteren Patienten in reduzierten AZ eher für ein weniger radikales Vorgehen zugunsten einer besseren Lebensqualität entschieden.