Predigt am 20.Okt. 2013 von Theo Enzner - Thema: Die Gerechtigkeit, die Gott schenkt Psalm 85, 9-14: 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge. *** Lesung aus Jesaja 42, 1- 7:Der Bevollmächtigte Gottes bringt Recht und Frieden 1 Der Herr hat gesagt: »Hier ist mein Bevollmächtigter, hinter dem ich stehe. Ihn habe ich erwählt, ihm gilt meine Liebe, ihm gebe ich meinen Geist. Er wird die Völker regieren und ihnen das Recht bringen. 2 Er schreit keine Befehle und lässt keine Verordnungen auf der Straße ausrufen. 3 Das geknickte Schilfrohr zerbricht er nicht, den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er bringt dem geschlagenen Volk das Recht, damit Gottes Treue ans Licht kommt. 4 Er selbst zerbricht nicht und wird nicht ausgelöscht. Er führt meinen Auftrag aus und richtet unter den Völkern meine Rechtsordnung auf. Noch an den fernsten Küsten warten sie auf seine Weisung.« 5 Der Herr, der wahre und einzige Gott, hat den Himmel geschaffen, wie ein Zelt hat er ihn ausgespannt; er hat die Erde ausgebreitet und Pflanzen und Tiere auf ihr entstehen lassen; er hat den Menschen auf der Erde Leben und Geist gegeben. Er ist es auch, der gesagt hat: 6 »Ich, der Herr, habe dich berufen, damit du meinen Auftrag ausführst. Ich stehe dir zur Seite und rüste dich aus. Ich mache dich zum Friedensbringer für die Menschen und zu einem Licht für alle Völker. 7 Die Gefangenen sollst du aus dem Dunkel des Kerkers holen und den blind gewordenen Augen das Licht wiedergeben.« (Gute Nachricht) *** Predigtgedanken: - des Menschen Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden - was Justitia will und doch nicht ganz kann - was Gott kann und uns schenken will Liebe Gemeinde, mit dem Thema ‚Gerechtigkeit‘ kann man schnell ins Gespräch kommen. Man kann sich dabei richtig engagieren und aufregen. Jeder fühlt sich als Experte und hat sein Beispiel für Ungerechtigkeit: - Ist es denn gerecht, wenn 1% der Bevölkerung über ca. 30% des Vermögens in Deutschland verfügen? - Ist es denn gerecht, wenn ein guter Schüler jahrelang Wartezeiten in Kauf nimmt, um Medizin zu studieren, und ein anderer Schüler mit schlechten Abi-Noten kommt durch Losglück beim ersten Anlauf sofort auf einen Studienplatz? - Ist es denn gerecht, wenn bei gleicher Tätigkeit, die einen Arbeiter den Tariflohn bekommen, die andern Arbeiter aber durch Werksverträge deutlich weniger? 1. Des Menschen Sehnsucht nach Gerechtigkeit Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist uralt – und kommt in der Bibel besonders beim Propheten Amos vor. Da heißt es z.B. (5,24): Es ströme aber das Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach… Liebe Gemeinde, in Sachen Gerechtigkeit fühlen wir uns als Experten und redet kräftig mit. Selbst schon Kinder bringen die Eltern moralisch unter Druck, wenn sie meinen, dass ein Geschwisterkind mehr bekommt. Sie schimpfen und sagen: Das ist aber ungerecht! Ein bisschen müssen wir auch zugeben, dass unser Empfinden sehr subjektiv gefärbt ist. Nehmen wir das Projekt ‚Stuttgart 21‘ – Jede Seite in diesem Konflikt fühlt sich moralisch im Recht! Nehmen wir einen Ehestreit – jeder Partner jammert in sich hinein und fühlt die erlittene Ungerechtigkeit, fühlt sich selbst im Recht. Wir merken, dass wir leicht parteilich werden. Ganz offensichtlich wird es dann, wenn die Gesetzeshüter, die Polizei, einschreitet. Z.B. beim letzten Blitzmarathon. Die Ausreden der Geschwindigkeitssünder sind vielfältig: ‚Ich fahre so selten mit dem Wagen – der ist so schnell“ ‚Das Auto ist so gut gerollt, deshalb konnte ich nicht bremsen‘ (Ein älterer Herr. Er kündigte noch an, sich bei VW zu beschweren). ‚Krass! Das mit meiner Radarwarner-App hat wohl nicht geklappt!‘ – Ein Autofahrer, der in Krefeld mit dem Smartphone auf den Knien erwischt wurde. ‚Sie sind alle Clowns! Sie sind keine Polizisten! Dann sind sie grün, dann mal blau, dann beige…Sie sind gefälscht!‘ Recht ist manchmal das, was mir passt oder gefällt. Also wird um das Recht gestritten. Anwälte und Gerichte suchen die Gerechtigkeit. Und oft bleibt am Schluss die herbe Erfahrung: Recht haben und Recht bekommen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Das Ganze zeigt aber schon, dass wir ein Gespür, einen Seismographen für Gerechtigkeit in uns haben. Wir hungern nach Gerechtigkeit. Wir hungern nach Frieden. Beides hängt zusammen und bedingt sich gegenseitig: Keinen Frieden ohne Gerechtigkeit. Und keine Gerechtigkeit ohne Frieden. In Liedern und Gedichten wird Frieden und Gerechtigkeit besungen und beschworen. Wir Menschen sehnen uns danach – und doch wissen wir nicht genau, wie wir dies herstellen sollen. Wir meinen es zwar gut, aber wir machen es oft schlecht. Dennoch: Regeln und Gesetze müssen sein, um zumindest Chaos und Willkür einzudämmen und den Schwachen zu schützen. Sind wir also dankbar für Gesetze, Richter, Staatsanwälte, Polizei – ohne sie wäre es noch viel schlimmer. Wenn wir nun vor Gerichtsgebäuden stehen, dann sehen wir oft so eine Dame mit verbundenen Augen und einem Schwert und einer Waage in der Hand. Das ist die sog. ‚Justitia‘, die Frau ‚Gerechtigkeit‘. Eine Gestalt aus der griechischen Mythologie, die mit ihren 3 Merkmalen etwas über unsere Gerechtigkeitssuche aussagt: - Die Waage in der linken Hand bedeutet, dass das Recht ausgewogen wird. - Die Augenbinde bedeutet: Ohne Ansehen der Person. - Das Schwert in der rechten Hand bedeutet die Strafe für ungerechtes Handeln. 2. Was Justitia will und doch nicht ganz kann Justitia, unsre Justiz, will das Für und Wider einer Klage abwägen (Waage), und ohne Ansehen der Person (Augenbinde) urteilen und das Recht mit Strafe (Schwert) durchsetzen. Aber ist es nicht eine Illusion: auf dem Weg der Gewalt zu mehr Gerechtigkeit zu gelangen oder Frieden zu erzwingen? Das ist höchstens ein kalter Friede, der nur solange besteht, wie jemand in der JVA weggesperrt oder durch Angst eingeschüchtert ist. Die Justitia kann zwar Chaos und Unrecht eindämmen, aber nicht positiv die Gerechtigkeit aufrichten und einen warmen, dauerhaften Frieden stiften. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit wurde im Mittelalter in der Theologie gelehrt. Und Luther sagte einmal von sich: „Diese Worte gerecht und Gerechtigkeit wirkten auf mein Gewissen wie ein Blitz, hört ich sie, so entsetzte ich mich: Wenn Gott gerecht ist, so wird er strafen. - Doch Gott sei es gedankt, als ich einmal in diesem Turm und meiner Studierstube über diese Worte: ‚Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘ und die Gerechtigkeit Gottes nachsann, dachte ich alsbald: Wenn wir als Gerechte aus dem Glauben leben sollen und wenn die Gerechtigkeit Gottes jedem, der glaubt, zum Heil gereichen soll, so wird sie nicht unser Verdienst, sondern die Barmherzigkeit Gottes sein. So wurde mein Geist aufgerichtet.“ Luther entdeckte eine andere Gerechtigkeit, eine bessere Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit, die von Gott kommt – und uns geschenkt wird. Vor einer Woche wurde hier der Losungsvers vom letzten Sonntag zitiert: Träufelt ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf! Ich, der Herr, habe es geschaffen. (Jes. 45,8) Und passend dazu ein Wort des Apostels Paulus. Er sagte: Wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. (Gal. 5,5) Die bessere Gerechtigkeit muss man von Gott erwarten und erbitten. 3. Was Gott kann und uns schenken will Gott ist also der echte Experte für Recht und Gerechtigkeit, für bleibenden und tiefen Frieden. Wir hören dazu einige Verse aus dem Psalm 85: 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge. Ein wunderbarer Psalm. Der Kuss als intimes Symbol, wenn Frieden und Gerechtigkeit zusammenkommen. Fast bei jedem Spielfilm kommt zum Schluss ein erlösender Kuss. Ah! – alles wird gut! Ein happy end. Der wahre Friede, der Schalom, die intakte Beziehung zwischen Mensch und Mensch und Mensch und Gott entsteht dadurch, dass Gott uns wieder zurecht bringt und zurecht macht. Und das bewirkt neues Vertrauen und neue Liebe zueinander. Gottes Gerechtigkeit sieht so aus, dass er von sich aus die zerbrochene Beziehung heilt, seinen Zorn überwindet und sich in Güte und Treue uns zuwendet. Eine geschenkte Gerechtigkeit, die wir im Glauben ergreifen können. Als Luther diese Gerechtigkeit Gottes erkannte, sagte er: „Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies selbst eingegangen“. Die Reformatoren erkannten neu, dass Gottes Gerechtigkeit in der Wiederherstellung der zerbrochenen Beziehung zu seinen Menschen besteht, in dem Gerecht-machen, Zurecht-machen des Menschen. Übrigens: Jesus spricht in der Bergpredigt von der ‚besseren Gerechtigkeit‘ (Matth. 5,20) und im Johannesevangelium von einem anderen Frieden: Joh. 14, 27 Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Paulus weist auf den besonderen Frieden in Christus hin. Er schriebt im Brief an die Epheser (2,14), wo es zwei Lager in der Gemeinde gab, zwischen den Heidenchristen und den Judenchristen: ‚Christus ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft!‘ Frieden und Gerechtigkeit bedingen sich gegenseitig; sie entstehen nicht nacheinander, sondern sind gleichzeitig da. Wie der Kuss ein Beispiel der Gleichzeitigkeit ist, ein Zueinanderkommen von beiden Seiten. So werden Beziehungen wieder heil und gesund und aufgerichtet. Unser gesamtes Strafrechtssystem schafft es nicht, Beziehungen wieder herzustellen. Aber Gottes Treue und sein Recht schaffen es. Das ist die Gerechtigkeit, die uns recht macht und aufrichtet, wenn wir sie im Glauben ergreifen. ‚Die Strafe liegt auf ihm und durch seine Wunden sind wir geheilt‘, so wird im Alten Testament (Jesaja 53) schon von dem kommenden Erlöser, dem Messias Jesus, gesprochen. Er ist der GerechtMacher und der Friedensstifter. Einst standen Argentinien und Chile wegen heftiger Grenzstreitigkeiten vor einem Krieg. Die Waffen waren bereit, Soldaten aufmarschiert und Kanonen in Stellung gebracht. Da gelang es besonnenen Menschen aus beiden Ländern, den Krieg zu verhindern und einen Frieden zu schließen. Nun goss man aus den aufgefahrenen Kanonen ein riesiges Standbild, das Christus auf der Grenze stehend darstellt. Die Christusstatue hält in der einen Hand das Kreuz, und die andere Hand reckt er segnend über die Völker. Der Sockel des Standbildes trägt die Inschrift: „Eher sollen die Berge der Anden in Staub zerfallen, als dass die Völker von Argentinien und Chile den Frieden brechen, den sie zu Füßen ihres Erlösers zwischen sich aufgerichtet haben!“ Christus ist der Friedefürst. Er hat uns den Frieden mit Gott geschenkt. Und zu seinen Füßen können wir auch unter uns den Frieden machen. Ich denke nun an den Bürgerkrieg in Syrien – und die Aufrüstung der Amerikaner zu einem Gegenschlag, der dann erfolgen sollte, wenn eine sog. rote Linie – nämlich der Einsatz von Giftgas – überschritten werden sollte. Und diese Linie wurde überschritten und wir hielten vor Wochen alle den Atem an. Papst Franziskus hat in dieser Zeit zu Gebet und Fasten im Rom auf dem Petersplatz aufgerufen – und viele Menschen sind dem Aufruf gefolgt und haben Gottes Frieden heruntergefleht und um seine Gerechtigkeit gebeten… Und siehe da, es gab ein kleines Wunder – es gab doch noch einen diplomatischen Weg und eben nicht Vergeltung und Gegengewalt und neues Unrecht! Und die Chemiewaffen werden jetzt sogar nach und nach zerstört. Das ist etwas von einer Qualität, die wir Menschen nicht machen können. Darum lasst uns bitten und flehen – in unserer Ohnmacht, Zorn und Wut und empfundenen Unrecht – dass Friede und Gerechtigkeit vom Himmel kommen und sich küssen. Das wäre dann für uns alle ein heilsamer und heiliger Moment! – Amen.