96 © 2007 Kompetenznetz Hepatitis Schattauer GmbH Management von Nebenwirkungen bei der Therapie der chronischen Hepatitis C Schilddrüsenfunktionsstörungen J. Bojunga, S. Zeuzem Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar Schlüsselwörter Keywords Zusammenfassung Summary Hepatitis C, Interferon, M. Basedow, Hashimoto Thyreoiditis Schilddrüsenerkrankungen sind eine relativ häufige unerwünschte Wirkung einer Interferon-basierten antiviralen Therapie der Hepatitis C, die nicht selten zu einer Dosisreduktion oder einem Abbruch der Therapie führt. Die Ätiologie Interferon-assoziierter Schilddrüsenerkrankungen ist nicht im Detail bekannt, es werden jedoch sowohl immunvermittelte als auch direkte Effekte des Interferons auf die Schilddrüse angenommen. Hierbei scheinen das Geschlecht, genetische Faktoren sowie die Hepatitis-C-Infektion selbst eine prädisponierende Rolle zu spielen. Im Gegensatz zur Hypothyreose ist die Diffenzialdiagnose und -therapie der Hyperthyreose schwieriger, da unter Interferon sowohl destruktive Thyreoiditiden als auch immunogene Hyperthyreosen vom Typ Basedow beobachtet werden. Neben der Labordiagnostik inkl. Autoantikörper ist die Power-Doppler-Sonographie eine einfache und verlässliche Methode zur Unterscheidung der Hyperthyreoseformen und trägt wesentlich zur Therapieentscheidung bei. In den meisten Fällen ist eine symptomatische Therapie ausreichend, während die antivirale Therapie weitergeführt werden kann. Hepatitis C, interferon, M. Basedow, Hashimoto thyroiditis Thyroid disease is a frequent side effect of interferon-based antiviral therapy for hepatitis C virus resulting in dose reduction or discontinuation of therapy in several cases. The etiology of interferon-induced thyroid disease is not known in detail and may be secondary to immune-mediated and/ or direct effects of interferon on the thyroid. Some evidence suggests that gender, genetic factors as well as hepatitis C virus infection itself may play a role. In contrast to hypothyroidism, differential diagnosis and therapy of hyperthyroidism is more challenging, because interferon may provoke two different forms of thyrotoxicosis, a Graves’ disease picture and a destructive thyroiditis pattern, respectively. Besides laboratory testing including autoantibodies, powerdoppler sonography is a reliable tool for differentiating patients with destructive thyroiditis and Graves’ disease, respectively, and can be used for guiding therapy. In most cases, only symptomatic therapy is needed and antiviral therapy can be continued. Management of side effects during antiviral therapy of hepatitis C – thyroid disease Med Welt 2007; 58: 96–100 D ie aktuelle Standardtherapie der chronischen Hepatitis C Infektion ist die Behandlung mit pegyliertem Interferon-α (IFN-α) und Ribavirin (1). Der Effektivität der antiviralen Therapie stehen die bekannten unerwünschten Wirkungen mit Allgemeinsymptomen, hämatologischen und neuropsychiatrischen Nebenwirkungen sowie Störungen der Schilddrüsenfunktion gegenüber, die zusammengenommen zur Dosisreduktion bei bis zu 40% und Therapieabbruch bei bis zu 20% der Patienten führen (2). Prospektive Studien haben gezeigt, dass eine Interferon-basierte antivirale Therapie Med Welt 3/2007 der Hepatitis C bei bis zu 40% der Patienten zur Entwicklung von Schilddrüsenautoantikörpern (3) und bei bis zu 15% der Patienten zu klinisch manifesten Störungen der Schilddrüsenfunktion (4) führt, wobei hier nahezu das gesamte Spektrum von Schilddrüsenerkrankungen zu beobachten ist. Die klinische Diagnose einer Schilddrüsenfunktionsstörung während einer antiviralen Therapie ist häufig durch die Tatsache erschwert und verzögert, dass die Symptome der Hyper- bzw. Hypothyreose den Nebenwirkungen der Interferontherapie gleichen. Ein adäquates Monitoring der Schilddrüsenfunktion ist daher angebracht. Das klinische Management bei auftretenden Schilddrüsenstörungen unter antiviraler Therapie ist zudem nicht selten mehr durch persönliche Entscheidungen als durch definierte Algorithmen gekennzeichnet. Häufig führt dies zu einer Über- oder auch Untertherapie der Schilddrüsenerkrankung und zu einer Dosisreduktion oder Unterbrechung der antiviralen Therapie, die den virologischen Behandlungserfolg gefährden kann. In diesem Übersichtsartikel werden die Hauptaspekte Interferon-assoziierter Schilddrüsenstörungen dargestellt sowie einAlgorithmus für die Diagnose und Therapie vorgeschlagen. Pathogenese Interferonassoziierter Schilddrüsenerkrankungen Die Mechanismen, über die IFN-α zu einer Störung der Schilddrüsenfunktion führt, sind bisher nicht im Detail aufgeklärt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass sowohl immunvermittelte als auch direkte Effekte von IFN-α auf die Schilddrüse eine pathogenetische Bedeutung besitzen. Ein Haupteffekt von IFN-α ist die Induktion einer zytotoxischen T-Zellreaktion mit Erhöhung der Th1-Immunantwort und Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen wie IFN-γ und IL-2 (5). Zudem konnte nachgewiesen werden, daß IFN-α die Expression von MHC-Klasse-I-Antigenen auf Thyreozyten erhöht, während die Expression von MHC-Klasse-II-Antigen vermindert wird (6). Hierdurch kommt es zu einer Aktivierung zytotoxischer T-Zellen. Weitere immunvermittelte Effekte des IFN-α sind eine vermehrte Expression von Adhäsionmolekülen wie ICAM-1 auf Thyreozyten (7),Ak- Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-10-31 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 97 Schilddrüsenfunktionsstörungen tivierung von Lymphozyten, Makrophagen, NK-Zellen und Neutrophilen (6) sowie eine Stimulierung der Freisetzung von IL-6 (6), das bei der Genese der Autoimmunthyreoiditis eine nachgewiesene Rolle spielt. Neben diesen immunvermittelten Effekten hat IFN-α eine direkte Wirkung auf Thyreozyten mit Inhibition der TSH-vermittelten Genexpression von Thyreoglobulin, TPO sowie des Natrium-Jodid-Symporters (8). Auch eine Hemmung der Jodorganifikation und Thyoxinfreisetzung wurde beschrieben (9). Über diese Mechanismen ist eine IFN-α vermittelte Störung der Synthese, Freisetzung und Metabolisierung von Schilddrüsenhormon denkbar. Auch die Therapie mit Ribavirin könnte einen Einfluss auf die Entstehung von Schilddrüsenfunktionsstörungen haben. Ein möglicher immunologischer Wirkmechanismus des Ribavirin beruht auf einer Polarisierung von T-Helferzellen hin zu Th1-Zellen mit einem IL-2 und TNF-α Zytokinprofil (10), eine T-Zell-Differenzierung, die sich auch bei der Autoimmunthyreoiditis findet und hier die Destruktion der Thyreozyten vermittelt (11). Über diesen Mechanismus ist eine direkte T-zellulär vermittelte Zerstörung von Schilddrüsengewebe durch Ribavirin denkbar. Hierfür sprechen Daten einer klinischen Studie, bei der unter einer Kombinationstherapie mit Ribavirin und IFN-α die Anzahl von neu aufgetretenen Hypothyreosen deutlich höher war im Vergleich zu einer IFN-α-Monotherapie, obwohl sich die Häufigkeit von positiven Schilddrüsenautoantikörpern zwischen beiden Therapie nicht unterschied (12). Epidemiologie und Risikofaktoren Interferon-assoziierter Schilddrüsenerkrankungen Die Angaben zur Prävalenz von Schilddrüsenstörungen während einer antiviralen Therapie der Hepatitis C schwanken stark und reichen von 1–35% (Übersicht in [13]). Allgemein wird jedoch eine Häufigkeit von ca. 10% angenommen, wie dies auch eigene Untersuchungen gezeigt haben. Frauen sind je nach Studie mit einem 3– bis 6-fach (im Mit- tel 4,4-fach) erhöhten Risiko häufiger betroffen als Männer (14). Als weiterer genetischer Risikofaktor wurde eine Assoziation von IFN-α-induzierter Schilddrüsenfunktionstörung und HLA-A2 beschrieben (15). Der Nachweis vonAutoantikörpern vorTherapie, insbesondere TPO- und TG-Antikörpern, erhöht deutlich das Risiko, während der antiviralen Therapie eine Schilddrüsenstörung zu entwickeln (16). Auch das Hepatitis C Virus (HCV) selbst scheint ein Risikofaktor für die Entstehung von Schilddrüsenstörungen zu sein, da sich auch bei Therapie-naiven Patienten signifikant häufiger Schilddrüsenstörungen, insbesondere Autoantikörper, nachweisen lassen im Vergleich zu Kontrollen (17). Hierbei könnten Homologien zwischen Thyroglobulinsequenzen und einigen HCVQuasispezies eine Bedeutung besitzen (18). Die virale Infektion per se stellt dabei jedoch offensichtlich keinen Risikofaktor dar, da bei chronischer Hepatitis B im Vergleich zur chronischen Hepatitis C kein wesentlich erhöhtes Risiko für eine Schilddrüsenstörung nachweisbar ist (19). Aus epidemiologischen Daten ist bekannt, dass Jodsupplementierung in Jodmangelgebieten das Risiko einer Autoimmunthyreoiditis erhöht. Ob Jodsupplementierung auch das Risiko einer IFN-α-induzierten Schilddrüsenfunktionsstörung erhöht, ist nicht nachgewiesen: Während im Tiermodell Interferonen eine Rolle bei der Entstehung einer Autoimmunthyreoiditis durch Jodsupplementierung zugeschrieben wird (20), ist dieser Effekt bei der antiviralen Therapie der Hepatitis C beim Menschen nicht nachweisbar (21). Eine Bedeutung des HCV-Genotyps als Risikofaktor für Schilddrüsenerkrankungen ist umstritten und bisher nicht sicher nachgewiesen (22). Gleiches gilt für Dauer und Dosis der antiviralen Therapie sowie das Therapieansprechen (23). Klinisches Spektrum Interferon-assoziierter Schilddrüsenerkrankungen Unter antiviraler Therapie der Hepatitis C wird das gesamte Spektrum von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse von der Entwicklung von Autoantikörpern, über Hashimoto-Thyreoiditis und destruktive Thyreoiditis bis hin zum Morbus Basedow beobachtet. Die häufigste Manifestation einer Schilddrüsenstörung unter Therapie ist die klinisch inapparente Entwicklung von Autoantikörpern, deren Angaben zur Häufigkeit in den verschiedenen Studien – in Abhängigkeit der verwendeten Assays, Normbereich und ethnischer Unterschiede – mit 2–40% stark schwanken. Nach eigenen Daten sind im Verlauf der Therapie bei max. 20% der Patienten Autoantikörper nachweisbar. Das Auftreten von Schilddrüsenautoantikörpern ist ein relevanter Risikofaktor für das Auftreten von Funktionsstörungen im Verlauf. Die klinischen Kennzeichen der Hashimoto-Thyreoiditis sind der Nachweis von TPO- und TG-Antikörpern, ein typischer sonographischer Befund mit schwächer echogener Schilddrüse ohne gesteigerte Perfusion sowie die Entwicklung einer Hypothyreose. Der Zusammenhang von Interferon-basierter antiviraler Therapie und Entstehung einer Hashimoto-Thyreoiditis ist in zahlreichen Untersuchungen belegt (24, 25). Präexistente TPO/TG-Antikörper sind sowohl nachAngaben in der Literatur als auch nach eigenen Daten ein relevanter Risikofaktor für die Entwicklung einer Hypothyreose im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis während einer IFN-α-Therapie. In einer Studie wurde für den Nachweis von TPO-Antikörpern vor Therapie ein positiver prädiktiver Wert von 67% für die Entstehung einer Schilddrüsenfunktionsstörung errechnet (26). Die klinischen Kennzeichen des M. Basedow sind der Nachweis von TSH-Rezeptorantikörpern (TRAK), ein typischer sonographischer Befund mit schwächer echogener, meist vergrößerter Schilddrüse mit deutlich gesteigerter Perfusion sowie die Entwicklung einer Hyperthyreose. Bei etwa 10% der Patienten mit M. Basedow besteht neben der Hyperthyreose eine Augenbeteiligung in Form der sog. endokrinen Ophthalmopathie (EO), deren Symptome von Lokalsymptomen über einen Exophthalmus bis hin zur Diplopie, Hornhautulcera und Kompression der Nn. optici reichen. Der Zusammenhang von Interferon-basierter antiviraler Therapie und Entstehung sowohl Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-10-31 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Med Welt 3/2007 98 Bojunga, Zeuzem Abb. 1 Algorithmus zur Differenzialdiagnose und Therapie Interferon-assoziierter Hypothyreosen eines M. Basedow (27) als auch einer EO (28) ist ebenfalls in zahlreichen Untersuchungen belegt. Insgesamt scheint jedoch der M. Basedow ein seltenes Ereignis während einer Interferontherapie zu sein, in einer großen Studie wurde eine Inzidenz von 1,3% ermittelt (29). Zudem scheint der klinische Verlauf des IFN-assoziierten M. Basedow insgesamt milder zu sein als der nicht-IFN-assoziierter Formen (30). Neben den beiden klassischen Formen autoimmuner Schilddrüsenerkrankungen – Hashimoto-Thyreoiditis und M. Basedow – sind bei bis zu 50% der Patienten, die eine Schilddrüsenstörung während der Therapie entwickeln, keine typischen Autoantikörper nachweisbar. In der Mehrzahl der Fälle liegt dabei eine nicht-immunologische Form der destruktiven Thyreoiditis durch direkte Effekte des Interferons auf die Funktion und Vitalität der Thyreozyten vor. Hierbei handelt es sich um eine selbstlimitierende Form der Thyreoiditis, die nicht selten in drei Phasen verläuft: einer initialen Phase mit Destruktion der Thyreozyten, Freisetzung präformierten Schilddrüsenhormons und konsekutiver Hyperthyreose; einer sich anschließenden hypothyreoten Phase, die innerhalb weniger Wochen bis Monate gewöhnlich in einer vollständigen Rekonstitution der Schilddrüse mündet. Ein Großteil Med Welt 3/2007 der Funktionsstörungen auf Grund einer destruktiven Thyreoiditis sind nach eigenen Erfahrungen latente Hyper- und Hypothyreosen, die klinisch wenig bis gar nicht apparent sind. Der Anteil der destruktiven Thyreoiditiden an den Interferon-induzierten Hyperthyreosen wird in der Literatur mit mind. 50% angegeben, nach eigenen Daten liegt er sogar noch deutlich darüber und stellt die überwiegende Anzahl aller Hyperthyreosen dar. Permanente Hypothyreosen nach destruktiver Thyreoiditis sind mit zirka. 5% eher selten zu beobachten. Diagnostik und Management Interferon-assoziierter Schilddrüsenerkrankungen Auf Grund der Häufigkeit von Schilddrüsenerkrankungen in der Allgemeinbevölkerung sowie der klinischen Relevanz der Entstehung oder Verschlechterung einer bereits bestehenden Schilddrüsenerkrankung unter Interferontherapie sollten alle Patienten vor Einleitung einer Interferon-basierten antiviralen Therapie diesbezüglich gescreent werden. Neben anamnestischen Angaben und Fragen nach typischen Symptomen von Schilddrüsenfunktionsstörungen sollte die Serum-TSH Konzentration, ggf. fT3 und fT4 gemessen werden. Eine zusätzliche Bestimmung von Autoantikörpern – insbesondere TPO- bzw. TG-Antikörpern – kann die Risikoeinschätzung für Schilddrüsenstörungen verbessern, da Patienten mit Antikörpern mit ca. 50% ein deutlich höheres Risiko für Schilddrüsenstörungen aufweisen, als Patienten ohne Antikörper, bei denen das Risiko bei zirka 5% liegt (31). Auch eine Sonographie der Schilddrüse ist empfehlenswert. Vorbestehende Erkrankungen der Schilddrüse sollten vor Einleitung einer antiviralen Therapie in üblicher Weise weiter abgeklärt und therapiert werden. Die klinische Diagnose einer Schilddrüsenfunktionsstörung während einer antiviralen Therapie ist häufig durch die Tatsache erschwert und verzögert, dass die Symptome der Hyper- bzw. Hypothyreose den Nebenwirkungen der Interferontherapie ähneln. Ein adäquates Monitoring der Schilddüsenfunktion ist daher angebracht. Ist vor Therapiebeginn eine Euthyreose dokumentiert worden, sollte eine routinemäßige laborchemische Kontrolle des Schilddrüsenstatus alle 3 Monate erfolgen. Hier ist zunächst eine Messung der Serum-TSH-Konzentration ausreichend. Besteht eine Hypothyreose, ist das weitere Vorgehen abhängig vom klinischen Beschwerdebild, der Konzentration der freien Schilddrüsenhormone sowie dem Vorhandensein von Thyreoperoxidase(TPO)- bzw. Thyreoglobulin(TG)-Antikörpern (Abb. 1). Bei manifester Hypothyreose ist die Einleitung einer Substitutionstherapie mit L-Thyroxin indiziert, beginnend in einer Dosierung von 50–75 µg/die. Eine Kontrolle des Schilddrüsenstatus sollte nach 4 Wochen erfolgen, der angestrebteTSH-Zielbereich beträgt 0,5–2 µU/ml. Bei latenter Hypothyreose und signifikant positiven TPO- bzw. TGAntikörpern ist ebenfalls eine Substitutionstherapie in gleicher Weise zu empfehlen, da ein deutlich erhöhtes Risiko einer manifesten Hypothyreose besteht. Besteht eine latente Hypothyreose und sind dieAutoantikörper negativ, sollte die Einleitung einer Substitutionstherapie vom klinischen Beschwerdebild abhängig gemacht werden: Bestehen keine typischen klinischen Beschwerden, ist eine klinisch-laborche- Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-10-31 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 99 Schilddrüsenfunktionsstörungen mische Kontrolle in 4–6 Wochen gerechtfertigt; bei typischen klinischen Beschwerden ist ein Therapieversuch mit L-Thyroxin in oben genannter Dosierung über 3 Monate sinnvoll. Im Anschluss kann die L-Thyroxintherapie ausgesetzt und der Schilddrüsenstatus nach 4–6 Wochen kontrolliert werden. In allen genannten Fällen kann die antivirale Therapie ohne Dosisreduktion weitergeführt werden. Besteht eine Hyperthyreose, so ist bei den heutigen sensitiven Assays eine Differenzierung zwischen vollständiger und unvollständiger TSH-Suppression sinnvoll (Abb. 2). Sind das TSH nicht vollständig supprimiert und die freien Hormonkonzentrationen im Normbereich, besteht der Befund einer latenten Hyperthyreose. Ein zuwartendes Verhalten mit Kontrolle der Parameter in 4 Wochen ist gerechtfertigt, häufig kommt es zu einer spontanen Normalisierung der Schilddrüsenparameter. Die antivirale Therapie kann während der ganzen Zeit ohne Dosisreduktion weitergeführt werden. Kommt es zu keiner Normalisierung der Schilddrüsenwerte oder ist das TSH primär vollständig supprimiert und die peripheren Hormonwerte erhöht, ist eine weitere Diagnostik notwendig, um eine destruktive Thyreoiditis von einem M. Basedow zu differenzieren. Bestehen Symptome der endokrinen Ophthalmopathie, muss primär von einem M. Basedow ausgegangen und entsprechend thyreostatisch behandelt werden. Bei der Differenzialdiagnose der Hyperthyreose ist insbesondere die Sonographie mit Einsatz duplexsonographischer Verfahren hilfreich: während bei der destruktiven Thyreoiditis die Sonomorphologie der Schilddrüse bis auf ein schwächer echogenes Parenchym häufig unauffällig ist und insbesondere keine Mehrperfusion nachweisbar ist, ist beim M. Basedow die Schilddrüse häufig vergrößert mit schwächer echogenem Parenchym und typischerweise deutlich gesteigerter Perfusion. Nach eigenen Erfahrungen ist so mittels Sonographie eine sichere Differenzierung der Hyperthyreoseformen möglich. Der Nachweis von signifikanten TSH-Rezeptorantikörpern unterstützt die Diagnose eines M. Basedow. Hyperthyreosen in Folge einer destruktiven Thyreoiditis verlaufen in der Regel innerhalb einiger Wochen bis weniger Monate Abb. 2 Algorithmus zur Differenzialdiagnose und Therapie Interferon-assoziierter Hyperthyreosen (RJT: Radiojodtherapie) selbstlimitierend. Bei klinischen Symptomen der Hyperthyreose ist eine Therapie mit dem nicht-selektiven Betarezeptorenblocker Propranolol in einer Dosierung 2–3 x tgl. 20–80 mg indiziert. Nur bei fehlender Symptomkontrolle sollte der Abbruch bzw. eine kurzzeitige Unterbrechung der antiviralen Therapie erwogen werden. Eine Kortikosteroidtherapie, wie sie bei anderen Formen destruktiver Thyreoitiden eingesetzt wird, ist insbesondere vor dem Hintergrund einer möglicherweise damit einhergehenden verschlechterten Viruselimination nicht indiziert, zumal in Studien ein positiver Einfluss auf den Verlauf der Hyperthyreose nicht nachgewiesen werden konnte (32). Tab. 1 Empfehlungen zur Weiterführung der Interferontherapie bei Auftreten von Schilddrüsenfunktionsstörungen. Hyperthyreosen in Folge eines M. Basedow müssen zusätzlich thyreostatisch behandelt werden, z. B. mit Thiamazol 10–20 mg 1 x tgl. Liegt eine milde Form des M. Basedow vor und ist eine medikamentöse Kontrolle der Hyperthyreose zu erzielen, kann die antivirale Therapie weitergeführt werden. Ist keine Kontrolle zu erzielen oder liegt eine schwere Form des M. Basedow vor, ist ein Absetzen der antiviralen Therapie und eine ablative Therapie der Schilddrüse notwendig. Bei Schilddrüsenvolumina <60 ml und Fehlen von Kontraindikationen (z. B. hypofunktionelle Areale) sollte der Radiojodtherapie vor der „near-total“ Thyreoidektomie der Vorzug gegeben wer- Schilddrüsenerkrankung Behandlung Antivirale Therapie Hypothyreose L-Thyroxin IFN weiterführen IFN weiterführen Destruktive Thyreoditis ● asymptomatisch keine Therapie ● symptomatisch Betarezeptorenblocker Symptomkontrolle IFN weiterführen keine Symptomkontrolle IFN absetzen bzw. kurzzeitig pausieren* M. Basedow ● milder Verlauf Thyreostatika IFN weiterführen ● schwerer Verlauf Radiojodtherapie/OP IFN absetzen * eine Pausierung der Therapie für mehr als 1–2 Wochen ist aus virologischer Sicht nicht sinnvoll Downloaded from www.die-medizinische-welt.de on 2017-10-31 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Med Welt 3/2007 100 Bojunga, Zeuzem Fazit für die Praxis Störungen der Schilddrüsenfunktion sind eine klinisch relevante unerwünschte Wirkung einer Interferon-basierten antiviralen Therapie der Hepatitis C. Ein Screening der Schilddrüsenfunktion vor Therapie ist daher empfehlenswert. Entwickeln sich Funktionsstörungen während der antiviralen Therapie, so ist die Hypothyreose einfach zu diagnostizieren und zu therapieren. Bei der Hyperthyreose ist eine Unterscheidung zwischen der häufigen destruktiven Thyreoiditis und dem seltenen M. Basedow entscheidend, da nur letzterer thyreostatisch, erstere jedoch nur symptomatisch behandelt wird und selbstlimitierend verläuft. Die antivirale Therapie kann in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle fortgeführt werden. den. Eine ablative Therapie ist auch bei signifikantem Anstieg der Transaminasen unter thyreostatischer Behandlung anzustreben. Das differenzierte Vorgehen bzgl. der Weiterführung der antiviralen Therapie ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Literatur 1. Fleig WE et al. Diagnosis, progression and therapy of hepatitis C virus infection as well as viral infection in children and adolescents – results of an evidenced based consensus conference of the German Society for Alimentary Metabolic Disorders and in cooperation with the Hepatitis Competence Network. Z Gastroenterol 2004; 42:703–704. 2. Russo MW, Fried MW. Side effects of therapy for chronic hepatitis C. Gastroenterology 2003; 124:1711–1719. 3. Preziati D et al. 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