Der Diskurs über das Kopftuch und wie können Frauen gestärkt

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Der Diskurs über das Kopftuch und wie
können Frauen gestärkt werden?
Asiye Sel und Ingrid Moritz, 19. Mai 2017
Seit
einigen
Jahren
hat
es
„das
Kopftuch“
zur
Hochkonjunktur geschafft. Mehr und mehr wird der Diskurs über die Werte unserer
Gesellschaft
darüber
ausgetragen.
Die
Reichweite
der
damit
verbundenen
Zuschreibungen geht von Integrationsverweigerung bis hin zur Unterdrückung der
Frauen. Um beides zu vermeiden, soll „das Kopftuch“ zurückgedrängt werden. Dass
damit aber nicht nur das Kopftuch, sondern auch die Frau aus dem öffentlichen Raum
zurückgedrängt wird und Frauen dadurch vermehrt feindlichen Angriffen ausgesetzt
sind, wird dabei übersehen. Diese Debatten sind auch vor dem Hintergrund einer
wachsenden Islamophobie zu sehen.
Tatsächlich handelt es sich aber um eine sehr heterogene Gruppe. Diese Frauen kommen
aus unterschiedlichen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen und haben einen
unterschiedlichen sozialen Status. Sie können im Ausland oder auch in Österreich
geboren sein. Auch hinsichtlich des Bildungsniveaus unterscheiden sich die Frauen
stark voneinander. Das zeigen auch die Ergebnisse der AMS-Kompetenzchecks.
Auch die Gründe, warum Frauen ein Kopftuch tragen, sind sehr vielschichtig. Die
religiöse Überzeugung ist einer der Gründe, aber das Tragen eines Kopftuches muss
nicht unbedingt in engem Zusammenhang mit der Religion stehen. Es kann auch einen
gewohnten und traditionellen Charakter haben. Nicht von allen wird das Kopftuch
freiwillig getragen. So spielen religiöse Überzeugungen von Familienmitgliedern oder
schlicht und einfach der soziale Milieudruck der islamischen Community eine
wesentliche Rolle. Bei den neu nach Österreich geflohenen Frauen kann auch Schutz
vor Übergriffen eine Rolle spielen. Gerade in Kriegen erleben Frauen sexuelle
Übergriffe. Krieg bedeutet leider immer auch Krieg gegenüber Frauen. Aus diesem
Grund ist für viele Frauen das Kopftuch mit Sicherheit und das Ablegen mit Verlust
von Schutz verbunden.
Unsichtbar am Arbeitsmarkt
Bewiesen ist, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, in der Arbeitswelt, aber auch im
gesellschaftlichen Leben benachteiligt und diskriminiert werden. Dafür gibt es
zahlreiche Belege. Eine aktuell noch laufende Studie wird von der Johannes Kepler
Universität Linz durchgeführt. Darin wurden Correspondence Testing Experimente bei
der Stellenbesetzung in Deutschland durchgeführt. Fiktive Jobsuchende bewerben sich
mit identen Merkmalen wie Ausbildung und Berufserfahrung auf Stellenausschreibungen.
Die Ergebnisse zeigen eine signifikante Benachteiligung von Migrantinnen, vor allem,
wenn sie Kopftuch tragen.
Für eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch, muss Frau Bauer 5 Bewerbungen
ausschicken, Frau Öztürk 7 Bewerbungen und Frau Öztürk, wenn sie ein Kopftuch trägt,
24 Bewerbungen. Auffallend war dabei auch, dass der Unterschied deutlicher ausfiel,
je höher die ausgeschriebene Position war.
Wenn der Zugang zu einer der Ausbildung entsprechenden Beschäftigung verwehrt wird,
sind die Frauen oft gezwungen, Hilfs- und Anlerntätigkeiten anzunehmen, wo sie
großteils „unsichtbar“ für KundInnen und oft auch für andere MitarbeiterInnen
eingesetzt werden. Das wirkt sich auch auf die Berufswahlentscheidung der jungen
Frauen aus. Sie wählen von vornherein Berufe, von denen sie annehmen, diese auch mit
Kopftuch ausüben zu können.
Oft suchen sie auch als Alternative eine Beschäftigung in ethnischen Ökonomien; das
ist häufig die eigene Community. Damit steht ihnen ein wesentlich kleinerer
Arbeitsmarkt offen, was sowohl die beruflichen Möglichkeiten als auch die
Karrierechancen betrifft. Auch in Anbetracht der Debatten über die Ghettoisierungen
und Entstehung von Parallelgesellschaften ist das integrationspolitisch äußerst
kritisch zu betrachten.
Gleichbehandlungsrecht bietet Schutz vor Diskriminierung am
Arbeitsmarkt
Nach dem Gleichbehandlungsgesetz darf niemand aus religiösen Gründen diskriminiert
werden. Von diesem Diskriminierungsverbot erfasst sind etwa Absagen auf Bewerbungen,
verschlechternde Versetzungen, Kündigungen oder Entlassungen, die auf das Kopftuch
zurückgeführt werden können. Ausnahmen gibt es bei Vorliegen einer sachlichen
Begründung etwa aufgrund von Sicherheits- oder speziellen Hygienevorschriften, wie
dies z. B. beim Bedienen von Maschinen oder in einem Operationssaal der Fall sein
kann.
Allerdings gibt es auch Rechtsmeinungen, die dabei nicht nur von einer religiösen,
sondern von einer intersektionellen Diskriminierung, also dem Überschneiden
verschiedener Diskriminierungsgründe sprechen. Die Nichtbeschäftigung einer Frau,
die aus religiösen Motiven ein Kopftuch trägt, ist immer gleichzeitig auch eine
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die „gegebenenfalls noch kombiniert mit
einem dritten Charakteristikum, der ethnischen Herkunft, untrennbar miteinander
verbunden“ ist.
Zwei aktuelle Urteile des EuGH zum Kopftuchverbot am Arbeitsplatz (EuGH 14.3.2017,
C-157/15) haben heftige Diskussionen ausgelöst. In einem medial viel beachteten
Verfahren
aus
Belgien
wurde
der
Frage
nachgegangen,
ob
mit
einer
unternehmensinternen Regelung, den ArbeitnehmerInnen ein umfassend neutrales
Erscheinungsbild
auferlegt
und
das
Verbot
des
Tragens
eines
Kopftuches
gerechtfertigt werden kann. Der EuGH entschied, dass der Arbeitgeber eine religiöse
Neutralitätspflicht verlangen kann. Allerdings darf der Arbeitgeber das Kopftuch nur
dann verbieten, wenn alle Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser
Überzeugungen untersagt werden. Ein Verbot darf nicht auf Vorurteilen basieren bzw.
das Verbot des Tragens eines Kopftuches nur vorgeschoben werden. Der EuGH legt aber
auch klar fest, dass eine Arbeitnehmerin nicht einfach so wegen des Kopftuchs
gekündigt werden darf. Der Arbeitgeber muss zuerst prüfen, ob die Möglichkeit
besteht, die Person ohne KundInnenkontakt zu beschäftigen.
In einem weiteren Fall aus Frankreich (C-188/15) beurteilte der EuGH die Kündigung
einer Arbeitnehmerin, die ihr Kopftuch im Kontakt mit KundInnen nicht ablegen
wollte, als unmittelbare Diskriminierung. Hier hatte der Arbeitgeber keine neutrale
interne Vorschrift.
Ökonomische Unabhängigkeit stärken – ein feministisches Anliegen
Das Kopftuch wird auch innerhalb der Frauen sehr kontrovers gesehen und führt zu
einer Spaltung innerhalb der Frauen in dieser Frage. Vor allem aus Sorge vor
Rückschritten bei erkämpften Gleichstellungsrechten wird eine Zurückdrängung des
Kopftuchs im öffentlichen Raum befürwortet.
Wichtig erscheint uns, Frauen dabei zu unterstützen, dass sie ein selbstbestimmtes
und ökonomisch unabhängiges Leben führen können. Gerade innerhalb der Gruppe
muslimischer Frauen ist die Erwerbsbeteiligung nur sehr gering. So liegt etwa die
Erwerbstätigenquote bei türkischen Frauen bei nur 42 % und damit deutlich niedriger
als innerhalb von Frauen insgesamt (67 %). Eine aufgeschlossene Haltung könnte die
Frauen zur Aufnahme einer Beschäftigung ermutigen.
Es sollte auch nicht vergessen werden, dass in Österreich bis Mitte der 1970er-Jahre
der Ehemann mit dem Recht ausgestattet war, die Erwerbstätigkeit seiner Frau zu
verbieten. Erst 1975 wurde das Prinzip der Partnerschaft in der Ehe verankert, die
Stellung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie abgeschafft. Der Mann konnte nunmehr
seiner Ehefrau nicht mehr verbieten, berufstätig zu sein.
Wenn Frauen erwerbstätig sind und über ihr eigenes Einkommen verfügen können, ist
eine wichtige Bedingung dafür geschaffen, dass Frauen ihr Leben selbstbestimmt in
die Hand nehmen können. Daher sollten wir uns nicht von der Kopftuchdiskussion
ablenken
lassen
und
auf
die
wirklichen
Probleme
der
Frauen
schauen.
Aus
feministischer Sicht sollte unsere Aufgabe sein, darauf zu achten, dass alle Frauen
entsprechend ihren Qualifikationen und Potenzialen gleichberechtigte Teilhabechancen
am Arbeitsmarkt vorfinden. Ziel muss sein, die Selbstbestimmung und ökonomische
Unabhängigkeit von Frauen mit und ohne Kopftuch zu stärken.
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