Physik I-II für Informatiker Abteilung IIIc ETH/Zürich (WS 2000/01 – SS2001) Prof. Dr. André Rubbia Übungschef: Dr. Andreas Badertscher Kapitel 0 Vorwort 5 Was ist Physik? 5 Die experimentelle Methode 6 Kapitel 1 Kinematik 9 Bewegung in einer Dimension 10 Massenpunkte oder Teilchen 10 Beschreibung der Bewegung 11 Bewegung in einer Dimension 15 Der Begriff der Geschwindigkeit 17 Momentane Geschwindigkeit 20 Der Begriff der Beschleunigung 23 Integration 26 Einige spezielle Bewegungsvorgänge 27 Beschleunigung durch die Gravitation 31 Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 34 Der Ortsvektor 36 Der Geschwindigkeitsvektor 39 Der Beschleunigungsvektor 41 Zerlegung der Bewegung – Komponenten 43 Demonstrationsexperiment: Wurf im bewegten System 45 Demonstrationsexperiment: Schuss auf fallende Platte 48 Gleichförmige Kreisbewegung 51 Kapitel 2 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik 57 Masse 58 Die Definition der Masse 58 Träge und schwere Masse 61 Der Impuls 63 Die Definition des Impulses 63 Die Impulserhaltung 66 Das allgemeine Gesetz 66 Physik I 1 Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit 68 Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip 70 Die Definition der Kraft 70 Das zweite Newtonsche Gesetz 72 Das Newtonsche Gravitationsgesetz 73 Gravitationskraft eines homogenen Rings 76 Gravitationskraft einer homogenen Kugelschale 79 Gravitationskraft einer homogenen Vollkugel 82 Die Erdbeschleunigung 83 Satellitenbewegung 87 Rückstoss der Rakete 93 Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kräfte 97 Die Federkraft 98 Fadenkräfte 101 Die Atwoodsche Maschine 103 Reibungskräfte 107 2 Physik I Kapitel 0 Vorwort 0.1 Was ist Physik? Das Wort kommt von einem griechischen Ausdruck für Natur. Die Physik sollte eine Wissenschaft sein, die alle natürlichen Phänomene untersucht. Heute können wir sagen: Die Physik stellt sich die Aufgabe, die Bestandteile der Materie und ihre Wechselwirkungen miteinander zu untersuchen. Die Eigenschaften der Materie und andere natürliche Phänomene werden mittels dieser Wechselwirkungen erklärt. Die Materie besteht aus elementaren Teilchen und wir sind an den Wechselwirkungen zwischen diesen Teilchen interessiert. Diese Wechselwirkungen schaffen die Strukturen der Materie, die wir kennen. Physik I 2 Vorwort 0.2 Die experimentelle Methode Die Physik stützt sich auf Beobachtungen und Versuche. Wir verstehen als Versuch ein Experiment, bei dem man ein Phänomen beobachtet, das unter vorher festgelegten und kontrollierten Bedingungen abläuft. Der Physiker/in findet Modelle und Regeln, um diese Beobachtungen zu beschreiben. Diese Regeln sind in der mathematischen Sprache ausgedrückt, weil man versucht, diese in quantitativer Art auszudrücken. Wie wird man ein Phänomen beobachten? Die Beobachtungen müssen zu einer quantitativen Information führen. Man spricht von Messungen. Eine Messung ist eine Technik, mit deren Hilfe wir einer physikalischen Grösse eine Zahl zuordnen kann. Diese Zahl ist das Ergebnis eines Vergleichs mit einer ähnlichen, standardisierten Grösse (die Einheit). Für jede Grösse, die wir messen wollen, müssen wir zuerst eine Einheit wählen. Gewöhnlich benutzt man das Internationale Einheitensystem (SI-System). Dieses System (auch das MKSA-System genannt) hat die folgenden vier fundamentalen, unabhängigen Grössen: Fundamentale Einheit Länge: Zeit: Masse: Elektrischer Strom: 3 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Meter (m) Sekunde (s) Kilogramm (kg) Ampère (A) Die experimentelle Methode Alle anderen Grössen werden durch mathematische Beziehungen dieser vier Grössen ausgedrückt. Die Definitionen der Basisgrössen des MKSA-Systems und von drei zusätztlichen Grössen, die das ganze SI-System darstellen, sind in Tabelle 1 aufgelistet. TABLE 1. Internationales Einheitensystem (SI-System) : Basisgr ssen Gr sse MKSA Einheit Definition L nge Meter (m) Der Meter ist die L nge des Weges, den das Licht in Vakuum im 1/299 792 458 ten Teil einer Sekunde zur cklegt. Zeit Sekunde (s) Die Sekunde ist die Zeitdauer von 9 192 631 770 Schwingungsperioden einer Strahlung, die dem bergang zwischen den zwei Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandsniveaus eines 133Cs Atoms entspricht. Physik I 4 Vorwort TABLE 1. Internationales 5 Einheitensystem (SI-System) : Basisgr ssen Gr sse MKSA Einheit Definition Masse Kilogramm (kg) Das Kilogramm ist die Masse eines internationalen Prototyps des Kilogramms. Es ist ein Platin-Iridium-Zylinder, der im Bureau International des Poids et Mesures in S vres bei Paris aufbewahrt ist. Elektrischer Strom Amp re (A) Durch zwei unendlich lange, gerade Leiter mit vernachl ssigbarem Querschnitt fliesst ein konstanter Strom von einem Amp re, wenn in einem Abstand von einem Meter im Vakuum eine Kraft von 2.10—7Newton pro L ngenmeter auf die Leiter wirkt. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Kapitel 1 Kinematik Wir beginnen die Vorlesung mit der klassischen Mechanik. Eine genaue Beschreibung von diesen Bewegungsvorgängen ist wichtig für ein Verständnis der physikalischen Welt. Viele Wissenschaftler haben zum Fortschritt der klassichen Mechanik beigetragen, wie zum Beispeil, Archimedes (-287– -212), Galileo Galilei (1564-1642), Copernicus (1473-1543), Tycho Brahé (15461601) und J. Kepler (1571-1630). Der besser bekannte Schöpfer der klassischen Mechanik ist natürlich Sir Isaac Newton (1642-1727). Seine drei Newtonschen Gesetze sowie sein Gravitionsgesetz bilden die Basis der gesamten Mechanik. Im Rahmen der Kinematik wird die Bewegung eines Teilchens rein geometrisch charakterisiert. Die physikalischen Gesetze, die die Bewegung regeln, werden wir nachher im Rahmen der Dynamik studieren. Physik I 6 Kinematik 1.1 Bewegung in einer Dimension In diesem Kapitel werden wir uns mit der Beschreibung von Bewegung beschäftigen (der sogenannten Kinematik). Die Bewegungsvorgänge finden in “etwas”, das wir Raum und Zeit nennen, statt. Ein Körper ist relativ zu einem anderen in Bewegung, wenn sich seine Lage, gemessen relativ zum zweiten Körper, mit der Zeit verändert. Andererseits sagt man, dass ein Gegenstand sich relativ in Ruhe befindet, wenn sich seine relative Lage mit der Zeit nicht verändert. Sowohl Ruhe wie Bewegung sind relative Begriffe. Zum Beispiel sind ein Haus und ein Baum relativ zur Erde in Ruhe, aber sie sind relativ zur Sonne in Bewegung. Wenn ein Zug durch eine Station fährt, sagen wir, dass sich der Zug relativ zur Station in Bewegung befindet. Ein Passagier des Zuges könnte aber genausogut sagen, dass sich die Station relativ zum Zug in Bewegung befindet, und zwar in entgegengesetzter Richtung. 1.1.1 Massenpunkte oder Teilchen Um unsere Betrachtung von Bewegung zu vereinfachen, beginnen wir zunächst mit Gegenständen, deren Position im Raum durch die Angabe der Koordinaten eines Punktes beschrieben werden kann. Einen solchen Gegenstand nennen wir ein Teilchen. Man spricht auch von Massenpunkt und meint damit einen idealisierten Körper, dessen Masse in einem Punkt konzentriert ist. Wir studieren die Bewegung makroskopischer Körper, die als solche Massenpunkte betrachtet werden können. In diesem Fall verstehen 7 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension wir als Massenpunkt einen Körper, dessen räumliche Ausdehnung als vernachlässigbar betrachtet werden soll. Für manche Zwecke ist es z.B. sinnvoll, die Erde als Teilchen zu betrachten: in diesem Fall bewegt sich das Teilchen “Erde” auf einer fast kreisförmigen Bahn um die Sonne. Der Begriff des Massenpunktes ist natürlich eine Idealisierung, und ob eine Masse als Massenpunkt betrachtet werden kann, hängt vom Problem ab. 1.1.2 Beschreibung der Bewegung Ein frei bewegliches Teilchen hat im Raum drei Freiheitsgrade. Das heisst, das Teilchen kann sich in drei unabhängige Richtungen bewegen: oben, unten, rechts, links, vorwärts und zurück. Ein Teilchen kann sich von einem Ort zu einem anderen Ort bewegen. Ein Teilchen ist in Bewegung, wenn sich seine Lage mit der Zeit verändert. Mit einer stroboskopischen Lampe, können wir die Position des Teilchens zu verschiedenen Zeiten sehen. Das Zeitintervall zwischen zwei Blitzen der stroboskopischen Lampe wird ∆t genannt. Mit der stroboskopischen Methode können wir eine Liste von Ortslagen zu verschieden Zeiten schaffen. Diese Liste wird die Bewegung beschreiben. Physik I 8 Kinematik Stroboskopisches Bild der Bewegung eines Balls. In diesem Bild ist das Zeitintervall ∆t zwischen den Blitzen lang, so dass es schwierig ist, die Bewegung zu verstehen. FIGURE 1. gleich wir in Figur 1, aber mit kleinem ∆t, und es ist leichter, die Bewegung zu verstehen. FIGURE 2. 9 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension Wie man in der Abb. 1 sehen kann, wird die Bewegung mit schlechter Genauigkeit beschrieben, wenn das Zeitintervall ∆t zwischen den Blitzen der Lampe gross ist. Wenn das Zeitintervall kleiner gemacht wird, ist die Bewegung besser beschrieben, wie in Abb. 2 dargestellt ist. Wenn das Zeitinterall ∆t gegen null geht, wird man eine kontinuierliche (funktionale) Beziehung zwischen der Lage und der Zeit gewinnen. Die Verbesserung der Beschreibung mit kleiner werdenden Zeitintervallen ist in Abb. 3 dargestellt. Physik I 10 Kinematik s1 (a) (b) s2 s1 (c) s1 (d) s1 (e) s1 (f) Die Bewegung wird besser charakterisiert, je kleiner das Zeitintervall ∆t ist. a) ∆t=1/15 s, b) ∆t=10/15 s, c) ∆t=6/15 s, d) ∆t=3/15 s, e) ∆t=2/15 s, f) ∆t=1/15 s. FIGURE 3. 11 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.3 Bewegung in einer Dimension Am Anfang beschränken wir uns auf die Bewegung in einer Dimension. Dass heisst, dass die Bewegung des Körpers geradlinig ist, seine Bahn ist eine gerade Linie. Einfache Beispiele: 1. 2. 3. ein Auto, das auf einer ebenen, geraden und schmalen Strasse fährt ein Flugzeug ein Zug Bei der Bewegung entlang einer geraden Linien gibt es nur zwei mögliche Richtungen: die positive und die negative. Siehe Abb. 4. Man führt auf dieser Geraden zunächst ein Koordinatensystem ein, in dem man einen Ursprung O und eine positive Richtung wählt. Die übliche Konvention mit positiven x-Werten nach der rechten Seite des Urspunges wird verwendet. Jedem Punkt auf der Geraden entspricht eine Zahl x, die den Abstand des Punktes vom Ursprung angibt. Verschiebung ∆x x2 x1 –20 –15 –10 –5 0 5 10 15 20 x (m) Ursprung Positive Richtung Negative Richtung FIGURE 4. Physik I Bewegung in einer Dimension. Definition der Verschiebung. 12 Kinematik Wenn das Teilchen sich bewegt, wird sich seine Lage mit der Zeit verändern. Dann kann der Ort x des Teilchens mit der Zeit durch eine funktionale Beziehung in Zusammenhang gebracht werden: x = f(t) (EQ 1) Ein Beispiel einer solchen Beziehung ist in Abb. 5 dargestellt. Ort (km) 8 7 6 ss zu Fu 5 uto 4 ∆X mit A 3 2 1 0 FIGURE 5. 13 0 5 10 15 20 ∆t 25 30 35 40 45 50 Zeit (m) Beispiel mit einem Wagen, der kein Benzin mehr hat. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.4 Der Begriff der Geschwindigkeit Der Begriff der Geschwindigkeit ist uns aus dem Alltag vertraut. Wir können ihn von einer Analyse der stroboskopischen Bilder verstehen. Die stroboskopischen Bilder stellen nicht nur die Bewegung dar, sondern, weil das Zeitintervall zwischen den Blitzen der Lampe konstant ist, auch die Geschwindigkeit, mit der das Teilchen sich bewegt. Siehe Abb. 6 und 7. Wir definieren die mittlere Geschwindigkeit (oder Durchschnittsgeschwindigkeit) als vm = ∆x ∆t wobei ∆x die Verschiebung des Teilchens darstellt und ∆t die verstrichene Zeit. Siehe Abb. 8. Die MKS-Einheit der Geschwindigkeit ist Meter pro Sekunde (m/s). Wenn wir annehmen, dass sich der Gegenstand zum Zeitpunkt t1 bei der Position x1 und zum späteren Zeitpunkt t2 bei x2 befindet, so ist die Durchschnittsgeschwindigkeit: vm = x2 − x1 t2 − t1 Die Verschiebung kann sowohl positive als auch negative Werte annehmen. Die mittlere Gewschindigkeit kann auch positive oder negative Werte annehmen, je nachdem, ob x2 grösser oder kleiner als x1 ist. Ein positiver Wert entspricht einer Bewegung nach rechts, ein negativer Wert einer Bewegung nach links. Physik I 14 Kinematik ∆t ∆t ∆t ∆t Zeit: t1 t2 t3 t4 t5 t6 Ort: x1 x2 x3 x4 x5 x6 5 10 –20 –15 FIGURE 6. –10 –5 0 15 20 x (m) Bewegung eines Wagens mit konstanter Geschwindigkeit. ∆t ∆t ∆t ∆t ∆t Zeit: t1 t2 t3 t4 t5 t6 Ort: x1 x2 x3 x4 x5 x6 –20 –15 FIGURE 7. 15 ∆t –10 –5 0 5 10 15 20 x (m) Bewegung eines Wagens mit sich verändernder Geschwindigkeit. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension ∆t v1= –20 x2–x1 –15 FIGURE 8. ∆t v2= ∆t x3–x2 ∆t ∆t x4–x3 ∆t v3= –10 –5 x1 x2 0 x3 v4= ∆t 5 x5–x4 ∆t 10 x4 ∆t v5= 15 x5 x6–x5 ∆t 20 x (m) x6 Definition der mittleren Geschwindigkeit Wir betrachten nun noch einmal das Beispiel des Wagens (siehe Abb. 5): der Wagen fährt von x1=0 bis zur Lage x2=5km, wo er kein Benzin mehr hat. Die Fahrt hat 8 Minuten lang gedauert. Nachdem spaziert der Fahrer zu Fuss weiter, 27 Minuten lang, bis er eine Tankstelle erreicht, die sich am Ort x3=6km befindet. Wir berechnen die folgenden mittleren Geschwindigkeiten mit t1 = 0 Minuten; t2 = 8 Minuten; t3 = 35 Minuten; x1 = 0 km x 2 = 5 km x 3 = 6 km Wagen: vm = Physik I ∆x x2 − x1 5 − 0 km = = = 0, 625km / Min = 37, 5km / Stunde ∆t t2 − t1 8 − 0 Min 16 Kinematik Fahrer: vm = ∆x x3 − x2 6 − 5 km = = = 0, 037km / Min = 2, 22 km / Stunde ∆t t3 − t2 35 − 8 Min Gesamte Strecke vm = 6 − 0 km ∆x x3 − x1 = = = 0,171km / Min = 10, 3km / Stunde ∆t t3 − t1 35 − 0 Min 1.1.5 Momentane Geschwindigkeit In Abb. 5 ist die Bewegung eines Wagens entlang der x-Achse gegen t aufgetragen. Eine solche Kurve nennen wir eine “Weg-Zeit” oder x-tKurve. Die Verschiebung ∆x und das Zeitintervall ∆t zwischen dem ersten und letzten Punkt sind in der Abbildung eingetragen. Die Strecke zwischen diesen Punkten ist die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten ∆x und ∆t. Das Verthältnis ∆x/∆t ist demnach die Steigung dieser Strecke. Dieses Verhältnis entspricht aber genau der mittleren Geschwindigkeit im Zeitintervall ∆t und wir haben eine geometrische Bedeutung der Geschwindigkeit gewonnen. Die mittlere Geschwindigkeit entspricht der Steigung der Geraden, die die Punkte (x1,t1) und (xi,ti) (i=2,3,4,...) verbindet. Siehe Abb. 9. Um die momentane Geschwindigkeit in einem Punkt zu bestimmen, müssen wir das Zeitintervall ∆t so klein wie möglich machen. In der 17 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension Sprache der Mathematik bedeudet das, dass wir den Grenzwert des Quotienten berechnen. x x-t-Kurve 140 x3,t3 x4,t4 x2,t2 120 ∆x 100 x1,t1 ∆t 80 60 Tangente 40 20 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 t Mittlere Geschwindigkeit und Momentangeschwindigkeit als die Steigung der Tangente an die x-t-Kurve. FIGURE 9. Das wird in der Form v = lim v m = lim ∆t → 0 ∆t → 0 ∆x ∆t geschrieben. Dieser Grenzwert ist aber gleich der Ableitung von x nach der Zeit, d. h., Physik I 18 Kinematik v(t ) = dx = x˙ (t ) dt In der eindimensionalen Bewegung kann das Teilchen sich nur nach rechts oder links bewegen. Das Vorzeichen der Geschwindigkeit wird dann positiv oder negativ sein. Bemerkung: Die physikalische Bedeutung der Geschwindigkeit, die als ein Grenzwert definiert ist, wird heute im Bereich der Physik nicht mehr als ein grundsätzliches Konzept der Mechanik betrachtet. Wir werden später sehen, dass ein solcher Grenzwert im Bereich der Quantenphysik nicht mehr benutzt werden kann. Die Definition der momentanen Geschwindigkeit soll “nur” als ein Begriff verstanden werden, der sehr nützlich ist für die Beschreibung der Bewegung von makroskopischen Körpern. Diese Definition soll nur benutzt werden in Fällen, in denen der Effekt der sogenannten Unschärferelation von Heisenberg nicht bemerkt werden kann. Diese wird im Kapitel der Quantenphysik genauer studiert. Beispiel 1: Ein Teilchen bewegt sich auf solche Weise entlang der x-Achse, dass seine Position zu jedem Zeitpunkt durch 2 x ( t ) = 5t + 1 gegeben ist, wobei x in Metern und t in Sekunden angegeben ist. Berechnen Sie seine mittlere Geschwindigkeit im Zeitintervall zwischen (a) 2s und 3s, (b) 2s und 2,1 s (c) 2s und 2,001 s, (d) 2s und 2,00001 s. (e) Berechnen Sie auch die momentane Geschwindigkeit bei 2 s. 19 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.6 Der Begriff der Beschleunigung Wenn sich die momentane Geschwindigkeit eines Teilchens mit der Zeit verändert, dann sagen wir, das Teilchen werde beschleunigt. Die mittlere Beschleunigung in einem bestimmten Zeitintervall ∆t ist als das Verhältnis ∆v/∆t definiert am = ∆v ∆t wobei ∆v = v 2 – v 1 die Änderung der momentanen Geschwindigkeit in dem Zeitintervall ∆t=t2–t1 ist. In MKS-System wird die Beschleunigung als Meter pro Sekunde im Quadrat ausgedrückt ( m ⁄ s 2 ) . Beispiel 2: Ein Körper bewegt sich entlang der x-Achse gemäss dem Bewegungsgesetz x ( t ) = 2t 3 + 5t 2 + 5 wobei x in Metern und t in Sekunden gegeben sei. Bestimmen Sie (a) die Geschwindigkeit und die Beschleunigung zu jedem beliebigen Zeitpunkt, (b) die Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung zu t=2s und 3s und (c) die mittlere Geschwindigkeit und Beschleunigung zwischen t=2s und t=3s. Wie bei der Geschwindigkeit definieren wir nun die momentane Beschleunigung als Grenzwert der mittleren Beschleunigung für immer kleiner werdende Zeitintervalle: a(t ) = lim ∆t → 0 ∆v dv = = v˙(t ) ∆t dt Die Beschleunigung ist damit als die zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit definiert. Physik I 20 Kinematik Da die Geschwindigkeit selbst als Ableitung des Ortes x nach der Zeit definiert ist, ist die Beschleunigung die zweite Ableitung von x nach t, geschrieben als dv d dx d 2 x = ≡ dt dt dt dt 2 = v˙(t ) = x˙˙(t ) a( t ) = Diese Beziehungen zwischen Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung können wir in Abb. 10 sehen, wo die Bewegung eines Liftes dargestellt ist. In Abb. 10a) ist die x(t)-Kurve des Liftes gezeigt, wenn er sich nach oben entlang einer x-Achse bewegt. In b) die Geschwindigkeit v(t) des Liftes. Sie ist die zeitliche Ableitung der x(t)-Kurve. In c) die Beschleunigung. Sie ist die zeitliche Ableitung der v(t)Kurve. Sie ist positiv wenn die Geschwindigkeit zunimmt, und negativ wenn die Geschwindigkeit abnimmt. Man bemerkt, dass die Änderung der Geschwindigkeit in den Zeitintervallen ∆t1 (von t=1 bis t=3s) und ∆t2 (von t=8 bis t=9s) gleich sind, aber mit entegengesetztem Vorzeichen. Weil ∆t2 halb so gross ist wie ∆t1, ist die Beschleunigung während ∆t2 doppelt so gross, wie während ∆t1, Dieser Effekt in einem Lift ist uns vertraut, weil unser Körper diese Beschleunigungen spürt. 21 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Lage x (m) Bewegung in einer Dimension 20 10 0 0 2 4 6 8 10 Geschwindigkeit (m/s) Zeit t (s) 4 3 2 1 0 0 2 4 6 8 10 2 Beschleunigung (m/s ) Zeit t (s) 2 0 -2 -4 0 2 4 6 8 10 Zeit t (s) FIGURE 10. Physik I Beispeil der Bewegung eines Liftes 22 Kinematik 1.1.7 Integration Wir haben gesehen, wie man die Geschwindigkeitsfunktion v(t) und die Beschleunigungsfunktion a(t) durch Ableitung der Ortsfunktion x(t) nach der Zeit t gewinnen kann. Das umgekehrte Problem ist, die Funktion x(t) zu finden, wenn die Geschwindigkeit v(t) oder die Beschleunigung a(t) gegeben ist. Dazu müssen wir Integration anwenden. Wenn wir wissen, wie sich die Geschwindigkeit mit der Zeit ändert, d.h. wenn wir v=f(t) kennen, dann können wir die Position x zu jedem Zeitpunkt durch Integration erhalten. Es folgt v(t ) = dx dt ⇒ dx = v(t )dt Um die physikalische Bedeutung dieser Gleichung zu verstehen, muss man sehen, dass vdt die Verschiebung des Teilchens innerhalb des kleinen Zeitintervalls dt darstellt. Jetzt werden wir sehen, dass die Positionsfunktion x(t) die Stammfunktion von v(t) ist. Durch Integration von dx=vdt erhalten wir x t ∫ dx = ∫ v ( t’) dt’ x0 23 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia t0 (EQ 2) Bewegung in einer Dimension wobei x0 der Wert von x zum Zeitpunkt t0 ist. Das heisst, t x − x 0 = ∫ v ( t') dt' t0 t ⇒ x ( t) = ∫ v ( t') dt' + x 0 t0 Wir wissen aus der Mathematik, dass der Stammfunktion eine beliebige Integrationskonstante hinzugefügt werden muss, um die allgemeine Lösung zu erhalten. Diese Konstante ist durch die Position des Körpers zu einem bestimmten Anfangszeitpunkt gegeben, der gewöhnlich bei t=0 gewählt wird. Diese Konstante wird deshalb die Anfangsbedingung genannt. Da wir zweimal integrieren müssen um x(t) aus a(t) zu erhalten, treten nun zwei Konstanten x0 und v0 auf. Diese Konstanten sind durch die Anfangsbedingungen der Geschwindigkeit und der Position des Teilchens gegeben. 1.1.8 Einige spezielle Bewegungsvorgänge Wir werden nun zwei wichtige Bewegungen betrachten. Die Bewegungsgleichungen, die wir hier ableiten werden, werden immer wieder benötigt werden. a) Gleichförmige geradlinige Bewegung. Wenn sich ein Körper in gleichförmiger, geradliniger Bewegung befindet, ist seine Geschwindigkeit v konstant. Daher ist v(t ) = Konst. ⇒ Physik I dv =0 dt ⇒ a( t ) = 0 24 Kinematik das heisst, es gibt keine Beschleunigung! Es folgt für konstantes v, dass t x ( t) = x 0 + ∫ v ( t') dt' t0 t = x 0 + v 0 ∫ dt' t0 = x 0 + v 0 ( t − t0 ) mit x0=x(t0). b) Gleichförmig beschleunigte geradlinige Bewegung. Die Bewegung eines Teilches mit konstanter Beschleunigung kommt in der Natur häufig vor. So fallen zum Beispiel alle Gegenstände aufgrund der Gravitation senkrecht nach unten. Wenn sich ein Körper in gleichförmig beschleunigter geradliniger Bewegung befindet, ist seine Beschleunigung a(t)=a0 konstant. Es folgt daher t v ( t) = v 0 + ∫ a( t') dt' t0 t = v 0 + a0 ∫ dt' t0 = v 0 + a0 ( t − t0 ) mit v0=v(t0). 25 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension und wir erhalten t x ( t) = x 0 + ∫ v ( t') dt' t0 t = x 0 + ∫ (v 0 + a0 ( t' − t0 )) dt' t0 1 = x 0 + v 0 ( t − t0 ) + a0 ( t − t0 ) 2 2 Wenn wir x0=0, v0=0 und t0=0 setzen, finden wir x (t ) = 1 2 a0 t 2 v(t ) = a0 t a(t ) = a0 Siehe Abb. 11. Physik I 26 Lage x (m) Kinematik 40 20 0 0 2 4 6 8 10 Geschwindigkeit (m/s) Zeit t (s) 10 7.5 5 2.5 0 0 2 4 6 8 10 2 Beschleunigung (m/s ) Zeit t (s) 2 1.5 1 0.5 0 0 2 4 6 8 10 Zeit t (s) FIGURE 11. 27 Bewegung mit konstanter Beschleunigung Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension 1.1.9 Beschleunigung durch die Gravitation In der Nähe der Erde spürt jeder Körper die sogenannte Erdbeschleunigung. Diese Beschleunigung wird durch eine Anziehung zwischen der Erde und dem Körper (Gravitationskraft) verursacht. Wenn der Luftwiderstand als vernachlässigbar betrachtet werden kann, beobachten wir, dass jeder Körper, unabhängig von seinem Gewicht, die selbe Erdbeschleunigung fühlt. Wir nennen diese Beschleunigung die Erdbeschleunigung g. Die Richtung dieser Beschleunigung ist nach unten zum Erdzentrum gerichtet. Der Betrag ist g ≈ 9, 8 m / s2 Demonstrationsexperiment: Fallversuch. Die Fallzeit eines Gegenstandes, der aus verschiedenen Höhen fallen gelassen wird, wird gemessen. Aus diesen Messungen bemerken wir, dass die Fallzeit proportional zur Quadratwurzel der Höhe ist. Gleichförmig beschleunigte Bewegung: h= 1 2 1 2 a t = gt 2 0 2 ⇒ t= 2h g Tabelle 1 zeigt eine Liste von gerechneten Fallzeiten mit einer Erdbeschleunigung g=9.81m/s2. Physik I 28 Kinematik TABLE 1. Tabelle der Fallzeite. H he h (m) Fallzeit (s) 0.1 0.1428 0.2 0.2020 0.3 0.2474 0.4 0.2856 0.5 0.3193 0.6 0.3498 0.7 0.3778 0.8 0.4039 0.9 0.4284 1.0 0.4516 1.1 0.4736 1.2 0.4947 Wenn wir uns von der Erde entfernen, wird die Gravitationsbeschleunigung abnehmen. Zum Beispiel, in einer Höhe von ≈2500 km, ist die Erdbeschleunigung ungefähr halb so gross, wie auf der Erdoberfläche, oder g≈5m/s2. 29 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in einer Dimension Fallversuch 0.6 0.5 0.4947 0.4736 0.4516 Fallzeit (s) 0.4284 0.4039 0.4 0.3778 0.3498 0.3193 0.3 0.2856 0.2474 0.2 0.202 0.1428 0.1 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 Höhe (m) Plot der Beziehung zwischen den Höhen und den Fallzeiten im Fallversuch. Eine Beschleunigung g=9.81m/s2 wurde verwendet. FIGURE 12. Auf anderen Planeten ist die Beschleunigung verschieden. Zum Beispiel, auf dem Mond ist g nur ungefähr 1/6 der Erdbeschleunigung, d.h. gMond ≈ 1, 67 m / s 2 Physik I 30 Kinematik 1.2 Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Jetzt betrachten wir die Bewegung eines Körpers in mehreren Dimensionen. Wir werden dieselben Begriffe, die wir für die eindimensionale Bewegung eingeführt haben, aber in komplizierterer Form wieder verwenden: Verschiebung, Geschwindigkeit und Beschleunigung werden nun als Grössen aufgefasst, die Vektoren sind. Abb. 13 zeigt ein Teilchen (einen Ball), das sich entlang einer Kurve im Raum bewegt. Die Verschiebungsvektoren S i stellen die Bewegung des Balles im Raum dar. Der Verschiebungsvektor S 1 entspricht der Bewegung zwischen dem 1. und 2. Blitz einer stroboskopischen Lampe, der Vektor S 2 zwischen dem 2. und 3. Blitz, usw. s2 s1 2 s3 3 1 4 s4 s8 s5 5 6 FIGURE 13. 9 s7 s6 8 7 Verschiebungsvektoren. Dieses Bild stellt die Bewegung des Balles im Raum dar. Der Verschiebungsvektor S 1 entspricht der Bewegung zwischen dem 1. und 2. Blitz einer stroboskopischen Lampe, S 2 zwischen dem 2. und 3. Blitz, usw. 31 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Die Kurve repräsentiert den Weg, den das Teilchen im Raum durchläuft, d.h. die Trajektorie oder die Bahnkurve des Teilchens. Sie sollte nicht verwechselt werden mit den Weg-Zeit-Kurven auf den vorherigen Seiten. Mit Hilfe eines mehrdimensionalen Koordinatensystems, können die Puntke auf der Bahnkurve durch Zahlen (Koordinaten) dargestellt werden. Mit den Koordinaten kann man numerische Rechnungen durchführen, zum Beispiel mit einem Computer. Um dieses Ziel zu erreichen, benutzen wir die Eigenschaft der Komponenten-Zerlegung eines Vektors: Wenn wir Einheitsvektoren benutzen, können wir einen beliebigen Vektor durch seine Komponenten ausdrücken. Ein Einheitsvektor ist als ein dimensionsloser Vektor definiert, der den Betrag 1.0 besitzt und in eine festgelegte Richtung zeigt. Wir werden die Einheitsvektoren e x, e y, e z benutzen, die in x-, y-, z-Richtung zeigen (siehe Abb. 14). Jeder Vektor A kann als Linearkombination dieser Einheitsvektoren geschrieben werden : r r r r A ≡ Ax ex + Ay ey + Azez Physik I 32 Kinematik y y ey x Ursprung O ez ex z FIGURE 14. Ayey Azez A x O Axex z Definition kartesischer Einheitsvektoren. 1.2.1 Der Ortsvektor Wir werden ein Bezugsystem definieren, relativ zu welchem die Bewegung beschrieben wird. Der Ursprung ist als der Nullpunkt des Koordinatensystems definiert. Der Ortsvektor ist als die Verschiebung zwischen dem Ursprung und einem Punkt definiert. In einer zweidimensionalen Darstellung wird z.B. der Ortsvektor als r r r r ≡ xex + yey geschrieben. Siehe Abb. 15. 33 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen y ey r x ex Definition eines zweidimensionalen Bezugsystems und des Ortsvektors r(x,y). FIGURE 15. Abb. 16 zeigt, wie die Verschiebungsvektoren S i , die früher definiert wurden, mit Hilfe der Ortsvektoren r i dargestellt werden können. Wie im Fall der Bewegung in einer Dimension, wird die Bewegung umso besser beschrieben, je kleiner das Zeitintervall ∆t ist. Deshalb betrachten wir den Grenzfall, für den ∆t nach null geht. Wir haben gesehen, dass diese Methode zum Gebiet der Differentialrechnung gehört. Die Lage des Teilchens werden wir als eine funktionale Beziehung zwischen den Ortsvektoren und der Zeit beschreiben. Diese Beziehung entspricht der Bahnkurve des Teilchens und wird als Physik I 34 Kinematik r r r r ( t) = x ( t)ex + y ( t)ey geschrieben. Die anderen Grössen, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung, werden als erste und zweite zeitliche Ableitungen des Ortvektors definiert. r1 r3 r2 s2 s1 2 y s3 r4 3 1 4 s4 r5 s5 5 r6 r 7 6 s8 9 s7 s6 8 7 ey Ursprung O FIGURE 16. x ex Darstellung der Verschiebungsvektoren S i und der Ortsvektoren r i . 35 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 1.2.2 Der Geschwindigkeitsvektor Um einen Geschwindigkeitsvektor zu erhalten, nehmen wir einen Verschiebungsvektor und dividieren ihn durch das Zeitintervall ∆t, d.h. r r r r Si ( ri +1 − ri ) vi ≡ = ∆t ∆t Siehe Abb. 17. Dieser Vektor zeigt in die Richtung der Bewegung und sein Betrag ist gleich der Geschwindigkeit. i S i = r i + 1 —r i ri r i +1 Vi = ey —r i ) (r Si = i +1 t t ex FIGURE 17. Definition des Geschwindigkeitsvektors In Abb. 18 sehen wir, dass der Betrag des Verschiebungsvektors nicht gleich dem tatsächlich durchlaufenen Weg ist, der entlang der Kurve gemessen wird. Der Betrag des Verschiebungsvektors ist kleiner als diese Distanz. Wenn wir jedoch immer kleiner werdende Zeitinter- Physik I 36 Kinematik valle betrachten, dann nähert sich der Betrag der Verschiebung der tatsächlichen Strecke, die das Teilchen entlang der Kurve zurücklegt. Die Richtung des mittleren Geschwindigkeitsvektors nähert sich dabei der Richtung der Tangente an die Kurve. Wir haben gesehen, dass die Berechnung der mittleren Geschwindigkeit wenn ∆t nach null geht, zu einer zeitlichen Ableitung führt. Die momentane Geschwindigkeit ist nun ein Vektor, der tangential zur Bahn ist, und der durch die zeitliche Ableitung des Ortsvektors gegeben ist: r r dr r˙ v (t ) = = r (t ) dt 0 S0 1 0 v0 v0 v0 = a) v0 = S0 ∆t b) S0 ∆t ∆t = 0.1 Sec ∆t = 0.4 Sec S0 1 v0 01 v ~i momentane Geschwindigkeit S0 v0 = c) ∆t = 0.025 Sec FIGURE 18. 37 S0 ∆t d) v ~i = Si ∆t ∆t 0 Sec Definition der momentanen Geschwindigkeit. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Um die Ableitung zu bestimmen, müssen wir den Ortsvektor in seine Komponenten zerlegen: r r dr v ( t) = dt r ∆r = lim ∆t → 0 ∆t r r ∆xex + ∆yey = lim ∆t → 0 ∆t ∆x r ∆y r e = lim ex + ∆t → 0 ∆t ∆t y dx r dy r e + e = dt x dt y oder r r r dx r dy r e + e v ( t) = v x ( t)ex + v y ( t)ey = dt x dt y 1.2.3 Der Beschleunigungsvektor Der Vektor der mittleren Beschleunigung ist definiert als das Verhältnis der Änderung der Geschwindigkeit zum Zeitintervall ∆t r r r (v i +1 − v i ) ai ≡ ∆t Man muss beachten, dass der Geschwindigkeitsvektor seinen Betrag, seine Richtung oder beides ändern kann. Von Beschleunigung spricht man, wenn der Geschwindigkeitsvektor in irgendeiner Weise variiert. Physik I 38 Kinematik Andererseits, wenn der Geschwindigkeitsvektor denselben Betrag und dieselbe Richtung hat, nennen wir dies eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit. Siehe Abb. 19a). Abb. 19b) und c) zeigen solche Arten von Beschleunigung. In b) ändert sich nur der Betrag der Geschwindigkeit, und in c) nur die Richtung. a) b) V1 V1 V3 V2 V2 V4 V3 V5 V4 V6 V7 V5 V1 V2 c) V3 V4 a) Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit. b) und c) sind beschleunigte Bewegungen. FIGURE 19. Der momentane Beschleunigungsvektor ist der Grenzwert der mittleren Beschleunigung, wenn das Zeitintervall gegen null geht. Das 39 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen heisst, der momentane Beschleunigungsvektor ist die zeitliche Ableitung des Geschwindigkeitsvektors. Um die zeitliche Ableitung zu bestimmen, müssen wir den Geschwindigkeitsvektor in seine Komponenten zerlegen: r r dv a ( t) = dt r r dv r dv y r ey = v˙x ( t)ex + v˙y ( t)ey = x ex + dt dt 2 r r d x r d2y r = 2 ex + 2 ey = x˙˙( t)ex + y˙˙( t)ey dt dt 1.2.4 Zerlegung der Bewegung – Komponenten Wir wollen jetzt die Bewegungsgleichung von zweidimensionalen Bewegungen integrieren. Für eine Bewegung mit gleichförmiger Beschleunigung, finden wir die folgende vektorielle Gleichung: r r r v ( t) = v 0 + ∫ a( t') dt' t 0 r r = v 0 + a0 ∫ dt' t 0 r r = v 0 + a0 t mit v 0 = v ( 0 ) . Physik I 40 Kinematik Nun fügen wir die Einheitsvektoren ein: r r r r r v ( t) = v 0 x ex + v 0 y ey + a0 x ex + a0 y ey t r r = (v 0 x + a0 x t)ex + (v 0 y + a0 y t)ey ( ) Mit einer ähnlichen Herleitung findet man für den Ortsvektor: r r r r ( t) = r0 + ∫ v ( t') dt' t 0 r r 1r = r0 + v 0 t + a0 t 2 2 wobei r 0 = r ( 0 ) . Diese Bewegungsgleichung wird geschrieben, als: r r r r ( t) = r0 + ∫ v ( t') dt' t 0 r r 1r = r0 + v 0 t + a0 t 2 2 r r 1 1 = ( x 0 + v 0 x t + a0 x t 2 )ex + ( y 0 + v 0 y t + a0 y t 2 )ey 2 2 Solche Bewegungsgleichungen sagen uns, dass die horizontalen und vertikalen Komponenten der Bewegung unabhängig voneinander sind. Für eine mehrdimensionale Bewegung werden wir ein ähnliches Resultat finden: die Bewegung kann in unabhängige Komponenten zerlegt werden. Man muss beachten, dass diese Zerlegung nicht ganz trivial ist. Sie muss mit Versuchen geprüft werden. 41 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen 1.2.5 Demonstrationsexperiment: Wurf im bewegten System Eine wichtige Anwendung der Bewegung in zwei Dimensionen ist die eines Teilchens, das in die Luft geworfen oder geschossen wird und sich dann frei bewegen kann. In diesem Versuch wird geprüft, ob die horizontalen und vertikalen Komponenten der Bewegung unabhängig voneinander sind. Ein Ball (das Teilchen) wird von einem Wagen aus senkrecht in die Luft geworfen. Siehe Abb. 20. FIGURE 20. Wurf im bewegten System. Um diese Beweung zu bestimmen, betrachten wir eine zweidimensionale Bewegungsgleichung. Physik I 42 Kinematik Das Teilchen erfährt während des Fluges eine konstante nach unten gerichtete Beschleunigung (Erdbeschleunigung) r r r a( t) = a0 = − gey ( g > 0) Der Anfangsgeschwindigkeitsvektor ist definiert als: r r r r v 0 = v ( t = 0) = v 0 x ex + v 0 y ey Wir zerlegen die Bewegung in die zwei unabhängigen Komponenten: x-Achse (// e x ): ax ( t) = a0 x = 0 v x ( t) = v 0 x + a0 x t = v 0 x 1 2 x ( t) = x 0 + v 0 x t + a0 x t = x 0 + v 0 x t 2 ⇒ Das Teilchen bewegt sich gleichförmig in x-Richtung Y-Achse (// e y ): ay ( t) = − g v y ( t) = v 0 y + a0 y t = v 0 x − gt 1 1 2 2 y ( t) = y 0 + v 0 y t + a0 y t = y 0 + v 0 y t − gt 2 2 ⇒ Das Teilchen bewegt sich in gleichförmig beschleunigter Bewegung in y-Richtung. 43 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Das Teilchen wird vom Wagen aus senkrecht in die Luft geworfen. Wenn der Wagen in Ruhe ist, bewegt sich der Ball senkrecht nach oben und fällt dann zu seiner ursprünglichen Position zurück. Wenn der Wagen selbst sich horizontal mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, bewegt sich der Ball zum höchsten Punkt seiner Flugbahn, um dann wieder zurückzukehren. Der Ball wird vom Wagen wieder aufgefangen. Die maximale Höhe der Flugbahn hängt von der senkrechten Geschwindigkeit ab, die dem Ball beim Abwurf mitgegeben wird. Die vertikale Bewegung hat nichts zu tun mit der horizontalen. Im höchsten Punkt der Bahnkurve ist die vertikale Geschwindigkeit gleich null: v y = 0 . Wir nehmen an, dass die Kugel zur Zeit tmax diesen Punkt erreicht. Wir müssen nur die vertikale Komponente der Bewegungsgleichung betrachten: v y = v 0 y − gtmax ≡ 0 ⇒ v 0 y = gtmax ⇒ tmax = v0y g Wenn wir diesen Wert in den Ausdruck für y einsetzen, erhalten wir 2 y max 2 v0y 1 v0y 1 v0y = y0 + v0y − g = y 0 + 2 g g 2 g Wir bemerken, dass diese Gleichungen unabhängig von der horizontalen Anfangsgeschwindigkeit v 0x sind. Physik I 44 Kinematik 1.2.6 Demonstrationsexperiment: Schuss auf fallende Platte Ein zweites Beispiel für die Zerlegung der Bewegung ist der Schuss auf eine fallende Platte. Man zielt mit der Kanone auf die Platte, die mit einem Elektromagneten gehalten wird. Wenn man schiesst, wird der Stromkreis im Elektromagneten unterbrochen, und die Platte fällt nach unten. Gäbe es keine Gravitation, würde die Platte nicht fallen (!), und das Geschoss der Kanone würde entlang einer geraden Linie fliegen. Die Bewegungsgleichung des Geschosses würde in diesem Fall sein: x ( t) = v 0 x t y ( t) = v 0 y t Um die Platte zu treffen, muss man den Winkel des Geschosses abstimmen, so dass, x (TTreffen ) = v 0 x TTreffen = D y (TTreffen ) = v 0 y TTreffen = h wobei D der horizontale Abstand zwischen der Kanone und der Plattte ist, h die Höhe der Platte, und TTreffen die Zeit des Treffens. Dann muss gelten, v0y h = v0x D 45 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Bewegung in zwei oder drei Dimensionen Das heisst, dass das Geschoss unter einem Winkel tan θ = v0y h = v0x D abgeschossen werden muss. Mit der Erdbeschleunigung, wird die Bewegungsgleichung des Geschosses so sein: x ( t) = v 0 x t 1 2 y ( t) = v 0 y t − 2 gt Die Bewegungsgleichung der Platte ist nun x ( t) = D y ( t) = h − 1 gt 2 2 so dass die Bedingung für das Treffen des Geschosses und der Platte folgendermassen gegeben ist v 0 x TTreffen = D 1 2 1 2 v 0 y TTreffen − 2 gTTreffen = h − 2 gTTreffen oder v 0 x TTreffen = D v 0 y TTreffen = h ⇒ v0x D = v0y h Aber dies wird immer der Fall sein, weil wir den Winkel der Kannone so bestimmt haben, dass diese Bedingung erfüllt ist! Physik I 46 Kinematik Unabhängig von der Geschwindigkeit des Geschosses werden die Platte und das Geschoss aufeinandertreffen. Wäre die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses höher, würde es die Platte an einem höheren Punkt treffen. Die physikalischen Gründe für das Treffen der Platte und des Geschosses sind – beide spüren dieselbe Erdbeschleunigung g, so dass beide Bewegungsgleichungen den Teil 1 − gt 2 2 enthalten, – die vertikale Bewegung ist unabhängig von der horizontalen, die für Platte und Geschoss ja verschieden sind. 47 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Gleichf rmige Kreisbewegung 1.3 Gleichförmige Kreisbewegung Kreisbewegungen kennen wir aus der Natur und aus dem täglichen Leben. Zum Beispiel: 1. 2. 3. Die Bewegung der Erde um die Sonne oder die des Mondes um die Erde sind ungefähr Kreisbahnen. Autos bewegen sich auf Kreisbögen, wenn sie um Kurven fahren. Räder drehen sich im Kreis. Wir betrachten nun ein bestimmtes Beispiel: die Bewegung eines Balles, der an einen Faden gebunden ist und sich so bewegt, dass der Faden gespannt ist. Die Bahnkurve des Balles wird damit auf einen Kreis gezwungen. Siehe Abb. 21a). Der momentane Geschwindigkeitsvektor ist in der Abbildung dargestellt. Er ist zur Bahnkurve tangential. Wir schreiben diesen Vektor als r r r v = v 0 x ex + v 0 y ey und seinen Betrag als r v = v = v 02x + v 02y Wir bemerken, dass die Richtung dieses Vektors sich mit der Zeit ändert. Das heisst, das Teilchen muss beschleunigt werden, um auf der Kreisbahn zu bleiben. Wie muss die Beschleunigung des Balles sein? Physik I 48 Kinematik Ball r d Fa en S3 S2 S4 V S1 Gleichförmige Kreisbewegung eines Balles. a) Links: der Faden. b) Rechts: Die stroboskopische Analyse der Bewegung mit Verschiebungsvektoren. FIGURE 21. Wir betrachten eine gleichförmige Kreisbewegung, d.h. den Fall, in dem der Betrag des Geschwindigkeitsvektors konstant ist: r v = v = Konst. Eine stroboskopische Analyse einer solchen Bewegung zeigt die Verschiebungsvektoren. Siehe Abb. 21b). Wie früher definieren wir ∆t als das Zeitintervall zwischen zwei Blitzen der stroboskopischen Lampe. Weil v=Konst., sind die Beträge aller Verschiebungsvektoren in der stroboskopischen Analyse gleich. Mit den Verschiebungsvektoren erhalten wir die mittleren Beschleunigungsvektoren als r r r r S2 / ∆t − S1 / ∆t r v2 − v1 = a2 = ∆t ∆t ( 49 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia ) ( ) Gleichf rmige Kreisbewegung wobei wir die Definition der mittleren Geschwindigkeit benutzt haben: r r r S1 r S2 v1 = ; v2 = ∆t ∆t Das heisst, r r r S2 − S1 a2 = ∆t 2 Zuerst bemerken wir, dass der Vektor S 2 – S 1 zum Zentrum der Kreisbahn zeigt. Siehe Abb. 22. Deshalb ist die Beschleunigung auch zum Zentrum gerichtet. S3 S2 S4 – S1 S1 ( S 2 – S 1) FIGURE 22. Physik I Bestimmung der Beschleunigung einer Kreisbewegung. 50 Kinematik Das heisst, dass der Ball nach dem Zentrum des Kreises beschleunigt wird. In jedem Punkt des Kreises, muss der Beschleunigungsvektor senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor sein und zum Zentrum des Kreises zeigen. Um den Betrag der Beschleunigung zu bestimmen, konstruieren wir zwei Dreiecke. Siehe Abb. 23. Zwei Ecken der Dreiecke haben denselben Winkel θ. Es gilt, r r v∆t S2 − S1 θ≈ = r v∆t wobei r der Radius des Kreises ist. Wir multiplizieren die Gleichung mit v und dividieren beide Seiten durch ∆t. Wir erhalten, r r r v 2 S2 − S1 = = a1 2 r v∆t Dieselbe Herleitung gilt für jeden Punkt der Kreisbahn. Wir haben für eine gleichförmige Kreisbewegung gefunden 1. 2. die Beschleunigung zeigt zum Zentrum des Kreises und der Betrag ist konstant mit der Zeit und gleich r v2 a (t ) = r 51 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Gleichf rmige Kreisbewegung S1 1 2 ( S 2 – S 1) S2 θ S2 – S1 S2 = V∆t θ 3 V∆t S1 = –S1 (c) r θ S1 = V∆t r (a) r θ (b) Herleitung der Formel für den Betrag der Beschleunigung in einer gleichförmigen Kreisbewegung. FIGURE 23. Während eines Umlaufs legt das Teilchen einen Weg 2πr zurück. Die Periode T wird definiert als die benötigte Zeit, um diesen Weg zurückzulegen. Für v=Konst., gilt T= Physik I 2πr v 52 Kinematik 53 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Kapitel 2 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wenn die Beschleunigung eines Teilchens bekannt ist, haben wir gelernt, wie wir seine momentane Geschwindigkeit und seine Lage als Funktion der Zeit mit Differentialrechnung oder mit numerischer Rechnung bestimmen können. Bislang haben wir gefragt, wie wird sich ein Teilchen bewegen. Aber in vielen realistichen Fällen, kennen wir die Beschleunigung des Teilchens nicht. Wir kennen die Kräfte, die auf das Teilchen wirken, oder die Energie des Teilchens, und wir wollen diese Arten von Information benutzen, um die Bewegung vorherzusagen. Wir wollen wissen, weshalb ein Teilchen sich bewegt. In diesem Kapitel werden wir von Kräften sprechen. Diese Methoden bilden das Gebiet der Dynamik. Eine zentrale Rolle in der Dynamik spielt die Masse. Physik I 54 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir werden dazu physikalische Grössen einführen, die für die gesamte Physik von fundamentaler Bedeutung sind: der lineare Impuls und die Kraft. Auf den Begriffen Masse, Impuls und Kraft basiert die gesamte klassische Mechanik. 2.1 Masse 2.1.1 Die Definition der Masse In unserer Alltagssprache benutzen wir austauchbar die Wörter “Masse” und “Gewicht”. Im Rahmen der Physik werden diese Wörter mit verschiedener Bedeutung benutzt. Man kann sagen, dass 1. 2. das Gewicht eine Kraft ist, die ein Gegenstand auf den Boden ausübt. Das Gewicht ist eine Grösse, die mit einer Waage gemessen wird. die Masse eine Eigenschaft des Gegenstandes ist. Die Masse ist ein Mass dafür, wieviel “Stoff” im Gegenstand enthalten ist. Das Gewicht eines Körpers kann in verschiedenen Fällen verschieden sein. Das Gewicht eines Astronauts sei z.B. auf der Erdoberfläche “90 kg”. Wenn er in seiner Umlaufbahn um die Erde ist, ist sein Gewicht gleich null. 55 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Masse Im Gegensatz dazu ist die Masse des Astronauts auf der Erde und in der Umlaufbahn immer dieselbe. Der Astonaut ist nicht masselos geworden, sondern nur gewichtslos. Rückstossversuch. Um die Masse genau zu definieren, werden wir einen Rückstossversuch verwenden. Wir betrachten zwei Wagen, A und B, die sich reibungsfrei über eine Luftkissenbahn bewegen können. Siehe Abb. 1. Am Anfang werden die beide Wagen mit einem Faden zusammen gebunden. Eine Feder ist zwischen den beiden Wagen eingeklemmt. In diesem Versuch wird der Faden zerschnitten und die Geschwindigkeiten der Wagen vA und vB gemessen. Wenn der Faden zerschnitten ist, entfernen sich beide Wagen voneinander mit engegengesetzen Geschwindigkeiten. Wir bemerken, dass die Geschwindigkeiten der Wagen nicht immer denselben Betrag besitzen. Faden Feder A B reibungsfreie Luftkissenbahn (a) VB VA A B (b) Ein Rückstosssversuch. a) Anfangszustand b) Faden zerschnitten. FIGURE 1. Physik I 56 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Aus Experimenten mit verschiedenen Wagen schliessen wir, dass das Verhältnis der Geschwindigkeiten der beiden Wagen gegeben ist durch m A vB = mB v A wobei mA und mB die “Massen” der Wagen sind. Wir bemerken, dass das Ergebnis unabhängig von der Feder ist. Wäre die Feder stärker, würden beide Wagen sich schneller voneinander entfernen. Das Verhältnis der Geschwindigkeiten würde sich aber nicht ändern. Das heisst, dass die Geschwindigkeit eines Wagens nur von den Eigenschaften der Wagen abhängt. Bis jetzt haben wir nur von einem Verhältnis gesprochen. Wie sollen wir die Masse definieren? Wir wählen eine der Massen, z.B. mB, so, dass sie eine genormte Masse besitzt. Dann werden alle Massen relativ zur Masse mB gemessen, als mA = vB mB vA Von der genormten Masse haben wir schon im Vorwort (Kapitel 0) gesprochen, als die Definition der Masse betrachtet wurde. Wir haben gesagt: Das Kilogramm ist die Masse eines internationalen Prototyps des Kilogramms. Es ist ein Platin-Iridium-Zylinder, der im Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris aufbewahrt wird. 57 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Masse Alle anderen Massen werden dann durch einen Rückstossversuch als v BIPM − Prototyp mA = (1 Kilogramm) × vA definiert, wobei vBIPM-Prototyp die gemessene Geschwindigkeit des internationalen Prototyps ist. 2.1.2 Träge und schwere Masse Die vorher gegebene Definition der Masse entspricht einer genauen, aber komplizierten Art von Messung der Masse! Eine Messung mit einer Waage ist eine einfachere Methode, um die Masse zu messen. Siehe Abb. 2. Stab Drehpunkt Gegenstand genormte Masse Waage. Wenn die zwei Massen gleich sind, wird der Stab stillstehen. Der Stab ist im Gleichtgewicht. FIGURE 2. Physik I 58 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die Waage vergleicht die nach unten gerichteten Gravitationskräfte, die die zwei Massen auf den Teller ausüben. Wenn die Gravitationskräfte einander gleich sind, bleibt der Stab im Gleichgewicht. Mit einer solchen Waage können wir die Gravitationskräfte von Massen mit der Gravitationskraft, die die genormte Masse auf den Teller ausübt, vergleichen. Wenn wir die Messungen mit einer Waage mit denjenigen des Rückstossversuches vergleichen, bemerken wir, dass gleiche Massen die gleichen Gravitationskräfte ausüben. Wir nehmen zwei Wagen, die sich mit derselben Geschwindigkeit im Rückstossversuch bewegen. Das heisst, dass sie die gleiche Masse besitzen. Wenn wir diese Wagen auf den Teller der Waage stellen, wird der Stab im Gleichgewicht stehen. Dieses experimentelle Ergebnis ist keine offensichtliche Sache! Der Physiker Etvös hat 1922 mit sehr genauen Versuchen bewiesen, dass Gegenstände mit gleicher Masse gleiche Gravitationskräfte ausüben. Er hat dieses Ergebnis mit einer Genauigkeit von 1 Teil in 109 geprüft. Wir sagen gewöhnlich 1. 2. die träge Masse ist die Grösse, die wir mit einem Rückstossexperiment messen, und die schwere Masse ist die Grösse, die wir mit einer Waage messen. Dank R.H. Dicke, der das Etvösche Experiment noch verbessert hat, wissen wir heutzutage, dass beide Definitionen mit einer Genauigkeit von1 Teil in 1011 gleich sind. 59 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Der Impuls Im Bereich der Mechanik wird nichts gesagt, warum diese zwei Massen einander gleich sind. Nur in der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein kann man mit Hilfe des Äquivalenzprinzips verstehen, warum beide gleich sein müssen. 2.2 Der Impuls Nun werden wir das Gesetz der Impulserhaltung einführen. Ein “Erhaltungs”-Gesetz im Gebiet der Physik drückt aus, dass eine Grösse sich nicht ändert. Sie wird erhalten, d.h. sie wird vor und nach verschiedenen Vorgängen dieselbe sein. 2.2.1 Die Definition des Impulses In der Definition der Masse haben wir gesehen, dass in Rückstossversuchen das Verhältnis der Geschwindigkeiten der Wagen eine konstante Zahl war, unabhängig von der Feder. Wir haben dieses Ergebnis als m A vB = mB v A ausgedrückt. Jetzt wollen wir diese Gleichungen verwenden, um eine Grösse zu definieren, die sich nicht ändern wird, wenn der Faden zwischen den Wagen zerschnitten wird. Physik I 60 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir schreiben die Gleichung als m A v A = mB vB Jetzt bemerken wir, dass vA und vB die Beträge der Geschwindigkeitsvektoren der Wagen sind. Da die Wagen sich in entgegengesetzen Richtungen voneinander entfernen, gilt r r m A v A = − mB vB wobei wir die Geschwindigkeitsvektoren statt der Beträge der Geschwindigkeiten benutzt haben. Diese Gleichung wird geschrieben als r r (nachdem der Faden zerschnitten ist) mA v A + mB v B = 0 Mit einem solchen Ausdruck haben wir die folgende Grösse den Wagen A und B zugeteilt: m A v A ist nur eine Eigenschaft des Wagens A, und m B v B nur eine Eigenschaft des Wagens B. Eine neue Grösse wird deshalb definiert: Der lineare Impuls eines Teilchens ist gleich dem Produkt aus seiner Masse m und seiner Geschwindigkeit v : r r p = mv Der Impuls ist eine vektorielle Grösse, weil er als das Produkt einer skalaren Grösse (die Masse) und einer vektoriellen Grösse (die Geschwindigkeit) ist. 61 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Der Impuls Die Gleichung drückt aus, dass die Summe des Impulses nach dem Rückstoss gleich null ist. Bevor der Faden zerschnitten wurde, sind beide Wagen in Ruhe. Vor dem Rückstoss, gilt r r vA = 0 vB = 0 Die Summe des linearen Impulses bevor der Faden zerschnitten wurde, ist dann r r mA v A + mB v B = 0 (bevor der Faden zerschnitten ist) Wir schliessen daraus, dass die Summe des linearen Impulses der Wagen sich wegen des Rückstosses nicht geändert hat. Die Summe des linearen Impulses der Wagen nennen wir den Gesamtimpuls P tot r r r r r Ptot = pA + pB = mA v A + mBvB Die Gleichung r r Ptot (vorher ) = Ptot (nachher ) drückt die Erhaltung des Gesamtimpulses aus. Physik I 62 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik 2.3 Die Impulserhaltung 2.3.1 Das allgemeine Gesetz Auf den vorherigen Seiten haben wir einen Rückstossversuch betrachtet. Wir haben gefunden, dass in einem solchen Versuch eine vektorielle Grösse — der Gesamtimpuls — erhalten ist. Bisher haben wir nur das Ergebnis des Rückstossversuches auf eine verschiedene Art neu dargelegt. Das Gesetz der Impulserhaltung ist aber ganz allgemein gültig. Es kann so formuliert werden: Ein “isoliertes” System ist ein System, in dem die Teilchen keine resultierende äussere Kraft fühlen. In einem solchen isolierten System ist der Gesamtimpuls erhalten. Das Gesetz der Erhaltung des Impulses ist eines der grundlegenden und allgemein gültigen Gesetze der Physik. Wir kennen keine Ausnahmen von diesem Prinzip. Wir haben noch nicht viel von Kräften gesprochen. Von Kräften wird ein bisschen später gesprochen. Wir müssen nur verstehen, dass es im Rückstossversuch keine äussere Kraft gab. Wir haben im Versuch eine Luftkissenbahn verwendet, so dass keine äussere resultierende Kraft auf den Wagen wirkt. Die nach unten gerichtete Gewichtskraft eines Wagens wurde von der Luft der Luftkis- 63 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Die Impulserhaltung senbahn ausgeglichen. Die resultierende vertikale Kraft war deshalb gleich null. Wenn der Faden zerschnitten wurde, hat die Feder eine nicht verschwindene Kraft ausgeübt. Diese Kraft ist aber keine äussere Kraft, sondern eine innere Kraft, die auf die Wagen wirkt. Sie kann deshalb den Gesamtimpuls des Systems nicht ändern. Beispiel 1. Ein Mann mit einer Masse von 70kg und ein Junge mit einer Masse von 35kg stehen zusammen auf einer glatten Eisfläche, für die die Reibung vernachlässigbar sei. Wie weit sind die beiden nach 5 Sekunden voneinander entfernt, wenn sie sich voneinander abstossen und der Mann sich mit 0,3m/s relativ zum Eis bewegt? Siehe Abb. 3. vB vA Rückstoss der Eiskunstläufer. Das Gesamtimpuls wird erhalten. Da die Masse des Mannes doppelt so gross ist wie die des Jungen, beträgt seine Geschwindigkeit nur die Hälfte derjenigen des Jungen. FIGURE 3. Der Mann und der Junge werden als ein System betrachtet. Die Gravitationskraft, die beide erfahren, wird ausgeglichen durch die Kraft, Physik I 64 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik die vom Eis augeübt wird. Die Reibung mit dem Eis ist vernachlässigbar. Das System ist dehalb isoliert, und der Gesamtimpuls wird erhalten. Da sich der Mann und der Junge ursprünglich in Ruhe befinden, ist der Gesamtimpuls gleich null. r r r r pA + pB = 0 ⇒ mA v A + mB v B = 0 r 70 kg m r (0, 3m / s) = 0, 6m / s vB = A vA = 35 kg mB Der Mann hat die doppelte Masse des Jungen und der Junge bewegt sich mit der doppelten Geschwindigkeit des Mannes. Nach 5 Sekunden hat sich der Mann 1,5 Meter, der Junge 3 Meter weit vom Ausgangspunkt weg bewegt, so dass sie nun 4,5 Meter voneinander entfernt sind. 2.4 Das erste Newtonsche Gesetz: Trägheit Eine erste Folgerung aus dem Impulserhaltungsgesetz ist das Trägheitsprinzip. Wir sehen, dass für ein isoliertes System gelten muss: r r dptot ptot = Konst ⇒ =0 dt 65 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das erste Newtonsche Gesetz: Tr gheit Wenn ein System nur ein Teilchen besitzt, ist der Gesamtimpuls gleich des Impulses des Teilchens, und wir erhalten r r r dp d ( mv ) dv =0= =m dt dt dt wobei wir angenommen haben, dass sich die Masse des Teilchens mit der Zeit nicht ändert. Es folgt, dv =0 ⇒ dt r v = Konst. r ⇒ a ( t) ≡ 0 Wir sagen, Trägheitsprinzip: Ein Teilchen bleibt in Ruhe oder bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit, wenn keine resultierende Kraft auf es wirkt. In den Zeiten vor Galileo Galilei (1564-1642) nahm man an, dass die Kraft in Verbindung mit der Geschwindigkeit eines Teilchen war. Man dachte, dass eine Kraft wirken muss, um ein Teilchen in Bewegung zu halten. Je grösser die Kraft, desto schneller bewegt sich das Teilchen. In unserer täglichen Erfahrungen ist dieses Denken nicht ganz so falsch. Galileo und Newton erkannten, dass in den meisten Situationen auf der Erdoberfläsche Körper sich nicht reibungsfrei bewegen. Das heisst, in den meisten Fällen sind die Körper nicht isoliert, weil die resultierende Kraft nicht gleich null ist. Wenn ein Gegenstand geworfen wird und sich in der Luft bewegt, wirkt auf ihn die Gravitationskraft ein und er fühlt auch die Reibung von der Luft (d.h. Luftwiderstand). Physik I 66 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wenn ein Gegenstand sich auf dem Boden bewegt, fühlt er die Reibung zwischen seiner Fläche und der Bodenfläche. Aus diesen Beobachtungen haben Galileo und Newton sich vorgestellt, was für eine Bewegung ein Teilchen machen würde, wenn es sich frei bewegt. Sie sind zum Schluss bekommen, dass die Kraft mit der Beschleunigung zusammenhängt, so dass das Trägheitsprinzip gelten muss. 2.5 Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip 2.5.1 Die Definition der Kraft Der Begriff der Kraft, wie der der Geschwindigkeit oder der Beschleunigung, ist uns aus dem Alltag vertraut. Wenn wir einen Gegenstand ziehen oder stossen, üben wir eine Kraft auf ihn aus. Je stärker wir ziehen oder stossen, desto grösser ist die Kraft. Die Richtung, in welcher wir ziehen oder stossen, ist die Richtung der Kraft. Das heisst, die Kraft ist eine vektorielle Grösse, die eine Richtung und einen Betrag besitzt. In der mathematischen Sprache benutzen wir einen Vektor F . Schon im Trägheitsprinzip haben wir bemerkt, dass die Kraft mit der Beschleunigung zusammenhängt. Wir werden nun zwei zusätzliche Beispiele betrachten, bei denen die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung ganz klar ist. 67 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das zweite Newtonsche Gesetz: Aktionsprinzip Als wir von der Wurfbewegung gesprochen haben, haben wir die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung gesehen. Wenn der Luftwiderstand vernachlässigt wird, ist die Beschleunigung des Geschosses nach unten zum Zentrum der Erde gerichtet. Wenn wir auf der Erdoberfläche stehen, fühlen wir unser Gewicht, das unseren Körper nach unten zieht. Die Gravitationskraft zwischen unserem Körper und der Erde ist für eine solche nach unten gerichtete Anziehung verantwortlich. Die Gravitationskraft zwischen dem Geschoss und der Erde verursacht ebenfalls die nach unten gerichtete Beschleunigung des Geschosses. Als zweites Beispiel betrachten wir die Kreisbewegung. Wir haben gesehen, dass eine nach dem Zentrum des Kreises gerichtete Beschleunigung auf das Teilchen wirken muss, damit das Teilchen sich auf einer Kreisbahn bewegt (siehe Kapitel 1.3), In diesem Fall zieht der Faden den Ball. Siehe Abb. 4. Die Beschleunigung des Balles hat dieselbe Richtung, wie die vom Faden ausgeübte Kraft. Ball r n de Fa a Die Beschleunigung des Balles hat dieselbe Richtung, wie die vom Faden ausgeübte Kraft. FIGURE 4. Physik I 68 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Dass die Beschleunigung mit der Kraft zusammenhängt, ist klar. Welche Rolle spielt dann die Masse? Die Beschleunigung eines Teilchens ist umgekehrt proportional zu seiner Masse und direkt proportional zur resultierenden Kraft, die auf es wirkt: r r F a= m Die resultierende Kraft ist die Vektorsumme aller Kräfte, die am Teilchen angreifen. r r F = ∑ Fi i 2.5.2 Das zweite Newtonsche Gesetz Das zweite Newtonsche Gesetz wird gewöhnlich als r r ∑ Fi = ma i ausgedrückt. Die Einheit der Kraft ist 1 Newton (N) und entspricht jener Kraft, die benötigt wird, um einen Körper der Masse 1 kg mit 1 m/s2 zu beschleunigen. Die Gleichung kann als Definition der Kraft verwendet werden. 69 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Grundsätzlich kann man diese Gleichung benutzen, um die Anwesenheit einer Kraft zu beweisen, durch die Beschleunigung, die sie bei einem Teilchen bewirkt. Zum Beispiel, wie können wir in einer Wurfbewegung die Gravitationskraft F G bestimmen? Dank der gemessenen Erdbeschleunigung g , können wir die Gravitationskraft F G bestimmen als: r r r F r FG a= ⇒ g= m m r r ⇒ FG = mg wobei m die Masse des Teilchens ist. 2.6 Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Beziehung zwischen Erdbeschleunigung und Gravitationskraft hat die Existenz einer allgemeinen, zwischen allen Körpern wirkenden, Kraft bewiesen. Kepler (1571-1630) analysierte die astronomischen Beobachtungen von Brahe (1546-1601). Dabei fand er empirisch drei Gesetze über die Bewegung der Planeten. Das erste Keplersche Gesetz sagt, dass alle Planeten sich auf elliptischen Bahnen bewegen, in deren einem Brennpunkt die Sonne ist. Newton behauptete 1665 (als er 23 Jahre alt war), dass dieselbe Kraft für den Fall von Gegenstände (z.B. ein Apfel) auf der Erde und für die Bewegung der Planeten verantwortlich ist. Physik I 70 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Zuerst hat Newton 1686 mit einer mathematischen Berechnung bewiesen, dass eine solche Gravitationskraft die elliptischen Bahnen der Planeten um die Sonne erklären kann. Er behauptete, dass diese Kraft zwischen allen Objekten im Universum wirkt. Nach dem allgemeinen Newtonschen Gravitationsgesetz ist diese Kraft immer anziehend, proportional zu den Massen der beiden Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen ihnen. Sie liegt in der Verbindungslinie zwischen ihnen. m1 r1 F12 r12 y m2 r2 ey ex FIGURE 5. x Die Definition des Vektors r12. In der mathematische Sprache wird die Gravitationskraft geschrieben als (siehe Abb. 5): r r Gm1m2 r12 F12 = − r12 2 r12 71 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz wobei m1 und m2 zwei Punktmassen sind, und r 12 ⁄ r 12 ein Einheitsvektor, der von m1 nach m2 zeigt, und G ist die universelle Gravitationskonstante, die den Wert G = 6,67 × 10–11 Nm2/kg2 hat. Aus der Definition der Gravitationskraft kann man sehen, dass beide Körper dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (siehe Abb. 6) spüren: r r r r F12 = − F21 F12 = F21 m1 F21 F12 m2 Die Gravitationskraft ist immer anziehend, und beide Körper spüren dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen. FIGURE 6. Die Gravitationskraft wird von der Gegenwart anderer Massen nicht gestört. Im Fall, dass es viele Massen in der Nähe eines Körpers gibt, ist die Gesamtgravitationskraft auf den Körper gleich der Vektor- Physik I 72 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik summe aller Gravitationskräfte, die die anderen Körper auf ihn ausüben. 2.6.1 Gravitationskraft eines homogenen Rings Wir berechnen die gesamte Gravitationskraft auf der Achse eines homogenes Ringes. Abb. 7 zeigt den Ring der Gesamtmasse m mit dem Radius a und eine Punktmasse m0, die im Abstand x vom Kreismittelpunkt auf der Ache sitzt. Auf dem Ring wählen wir ein differentielles Massenelement dm. Diese Masse dm ist klein genug, um als Punktmasse betrachtet werden zu können. Die Masse dm befindet sich im Abstand s von der Punktmasse m0 auf der Achse. Die Verbindungslinie zwischen den Punktmassen bildet den Winkel α mit der Ringachse. 73 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz dm s a |dF| α x FIGURE 7. m0 |dF|cosα X Homogener Ring Die Kraft dF , die von dm auf m0 wirkt, zeigt in Richtung der Masse dm, und hat den Betrag dF: dF = G ( dm)( m0 ) s2 Wir müssen jetzt über alle Massenelemente dm des Ringes integrieren. Aus der Symmetrie der Anordnung schliessen wir, dass die resultierenden Kraft entlang der Achse des Ringes verläuft. Alle Kräfte senkrecht zur Achse kompensieren sich gegenseitig. Physik I 74 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die resultierende Kraft liegt in der Symmetrieachse und zeigt in die negative x-Richtung. Wir schreiben diesen Vektor als r r r r r F = Fx ex + Fy ey + Fzez = Fx ex wobei wir Fy=0, und Fz=0 benutzt haben. Der Betrag des Vektors wird durch Integration über alle Elemente des Ringes erhalten Fx = ∫ dFx ( dm)( m0 ) cos α s2 Gm = − 2 0 cos α ∫ dm s Gmm0 cos α =− s2 = −G ∫ wobei m die Gesamtmasse des Ringes ist. Wir schreiben dieses Ergebnis als Funktion des Abstandes x: s2 = x 2 + a2 cos α = und x = s x x + a2 2 und deshalb gilt Fx ( x ) = − 75 Gmm0 x 2 + a2 x x +a Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia 2 2 = − Gmm0 (x x 2 + a2 ) 3/ 2 Das Newtonsche Gravitationsgesetz 2.6.2 Gravitationskraft einer homogenen Kugelschale Mit dem Ergebnis des Ringes können wir nun die Gravitationskraft auf eine Punktmasse m0 im Abstand r vom Mittelpunkt einer Kugelschale mit Radius R und Masse M berechnen. Wir betrachten den Fall, dass der Punkt ausserhalb der Kugelschale liegt, r>R. Ein Streifen der Kugel kann als Ring der Breite Rdθ mit dem Umfang 2πa=2πRsinθ betrachtet werden (siehe Abb. 8). Die Gravitationskraft der Kugelschale werden wir durch Integration über alle Streifen auf der Kugelschale erhalten. Die Fläche dA des Streifens ist gleich dA = (2πa)( Rdθ ) = 2πR sin θRdθ = 2πR 2 sin θdθ Physik I 76 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik dθ s R a θ x dFx m0 X r a=Rsinθ FIGURE 8. Homogene Kugelschale. Mit der Gesamtmasse der Kugel gleich M, ist die Masse des Streifens gleich dM = M 2πR 2 sin θdθ M dA =M = sin θdθ 4πR 2 2 A wobei wir für die Kugeloberfläche A=4πR2 verwendet haben. Mit dem Ergebnis für einen homogenen Ring erhalten wir dFx = −G( dM )( m0 ) 77 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia (x x 2 + a2 ) 3/2 Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Geometrie der Anordnung ist so, dass gilt R cosθ ) r x 2 + a 2 = ( r − R cosθ ) 2 + ( R sin θ ) 2 x = ( r − R cosθ ) = r(1 − = r 2 − 2 Rr cosθ + R 2 Die vom differentiellen Ring ausgeübte Kraft ist R r(1 − cosθ ) M r dFx = −G sin θdθ ( m0 ) 2 3/2 2 (r − 2Rr cosθ + R 2 ) R r(1 − cosθ ) Mm0 r = −G sin θdθ 2 ( r 2 − 2 Rr cosθ + R 2 ) 3 / 2 Wir führen die folgende Variablentransformation durch: z ≡ cosθ dz = − sin θ ⇒ dz = − sin θdθ dθ womit wir die Gleichung für die Kraft so schreiben können R z) Mm0 r dz dFx = G 2 ( r 2 − 2 Rrz + R 2 ) 3 / 2 r(1 − Um die Gesamtgravitationskraft zu bestimmen, müssen wir über alle Streifen integrieren. D.h., −1 180 ∫ dθ 0 Physik I ⇒ ∫ dz 1 78 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Durch direkte Integration kann man beweisen, dass R z 2 r ∫ (r 2 − 2Rrz + R 2 )3/ 2 dz = − r 3 1 −1 1− Wir erhalten damit Fx = G Mm0 −2 Mm r 3 = − G 2 0 r 2 r Die Kraft muss wegen der Symmetrie radial sein, deshalb können wir eine vektorielle Gleichung der Gravitationskraft einer Kugelschale schreiben als r r GMm 0 r F=− r2 r ( r > R) D.h., die Kraft ist dieselbe wir für eine Masse M im Zentrum der Kugel! Die Gravitationskraft der Kugelschale ist die gleiche, wie wenn ihre Masse im Zentrum der Kugel konzentiert wäre. 2.6.3 Gravitationskraft einer homogenen Vollkugel Wir verwenden nun dieses Ergebnis, um die Gravitationskraft einer Vollkugel zu bestimmen. Wir stellen uns vor, dass die Kugel aus einer kontinuierlichen Menge von Kugelschalen zusammengesetzt ist. Da die Gravitationskraft jeder Kugelschale die gleiche ist, wie wenn ihre Masse im Zentrum konzentiert ist, entspricht die Gravitationsk- 79 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz raft der gesamten Kugel der in ihrem Mittelpunkt konzentrierten Gesamtmasse M: r r GMm r F=− 2 r r ( r > R) 2.6.4 Die Erdbeschleunigung Wir sagen, dass die Gravitationskraft eine schwache Kraft ist. Zum Beispiel ist die Kraft zwischen zwei Studenten, die sich in einem Abstand von 1 Meter befinden und je eine Masse von 80kg haben, ungefähr r Gm1m 2 F = r2 (6,67 × 10 = –11 Nm2 / kg 2 )(80 kg)(80 kg) (1 m) 2 ≈ 4 × 10 −7 N Dabei haben wir die Studenten als Punktmassen betrachtet. Ein solcher Betrag ist praktisch unmessbar. Die Gravitationskraftwirkung ist messbar, wenn wir grosse Massen betrachten. Sie bindet z.B. Sterne in Galaxien (siehe Abb. 9), Galaxien in sogenannten “Superclusters”, und sie ist auch verantwortlich für die Bewegung der Planeten um die Sonne, die der Satelliten um die Planeten, und den Fall der Körper auf der Erde. Physik I 80 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Eine Galaxie. Die Sterne werden durch die Gravitationskraft aneinander gebunden. FIGURE 9. Wir spüren die Erdbeschleunigung deshalb, weil die Masse der Erde sehr gross ist: mE ≈ 6.0 × 10 24 kg Nun verstehen wir den Betrag der Erdbeschleunigung und warum er unabhängig von der Masse eines Körpers ist. Die Erde übt auf den Körper eine Kraft aus, die dieselbe ist, als ob ihre ganze Masse im Zentrum der Erde konzentriert wäre (siehe Abb. 10). 81 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Fg Fg = Erde FIGURE 10. rErde Das Newtonsche Gravitationsgesetz mE Die Gravitationskraft der Erde. Wir berechnen die Gravitationskraft, die die Erde auf eine auf der Erdöberfläche liegende Masse m ausübt, als r GmE m FG = 2 rE wobei mE die Masse der Erde und rE der Radius der Erde sind. Um die Erdbeschleunigung zu bestimmen, benutzen wir das zweite Newtonsche Gesetz: r r FG = mg ⇒ GmE m = mg rE2 ⇒ g= GmE rE2 d.h., g ist unabhängig von m. Physik I 82 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Aus dieser Gleichung folgt die Messung der Masse der Erde: mE = grE2 (9.8m / s 2 ) × (6370 × 10 3 m)2 = 6.67 × 10 −11 Nm 2 / kg 2 G = 6.0 × 10 24 kg wobei wir die Beziehung 1 Newton = 1 kg m/s2 benutzt haben. Wir bemerken, dass diese Zahl nicht genau gleich die gemessenen Erdbeschleunigung ist, weil (a) die Erde nicht genau homogen und spärisch ist; (b) die Erde rotiert (wird später behandelt). Wie gross ist die Erdbeschleunigung, die auf einen Gegenstand wirkt, der sich in einer Höhe h = 2500 km über der Erdoberfläche befindet? Die Beschleunigung ist gleich a= = FG GmE m = = m m(rE + h)2 GmE (rE + h)2 (6.67 × 10 −11 Nm 2 / kg 2 )(6.0 × 10 24 kg) ((6370 + 2500) × 10 3 m)2 g ≈ 5, 087 m / s 2 ≈ 2 = Andere Werte sind in Tabelle 1 aufgelistet. 83 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz TABLE 1. Erdbeschleunigung f r verschiedene H hen. H he (km) Beschleunigung (m/s 2) wo 0 9,81 mittlere Erdbeschleunigung 8,8 9,80 Mt. Everest 36,6 9,71 H chster Ballon mit Mensch 400 8,70 Space Shuttle 2500 5,087 Halbe Erdbeschleunigung 35700 0,225 Geostation re k nstliche Satelliten 380000 0,0027 Mond 2.6.5 Satellitenbewegung Zuerst hat Newton sein universelles Gravitationsgesetz formuliert, um die Bewegung des Mondes um die Erde zu erklären. Er beobachtete, dass der Mond sich auf einer Kreisbahn um die Erde bewegt. Der Mond muss in Richtung der Erde beschleunigt werden, um sich auf einer solchen Kreisbahn zu bewegen. Siehe Abb. 11. Weil der Radius der Kreisbewegung des Mondes ungefähr gleich 3,82x108 m ist, muss die Erdbeschleunigung viel kleiner sein als auf der Erdoberfläche. Um die Beschleunigung des Mondes zu bestimmen, benutzen wir die Gleichung für eine gleichförmige Kreisbewegung, d.h. r v2 aMond = Mond rMond Physik I 84 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik wobei vMond die Geschwindigkeit des Mondes um die Erde ist, und rMond der Radius der Kreisbahn. Wir bemerken, dass die Umlaufzeit (die Periode) des Mondes T gleich 27,32 Tagen oder 2,36x106 Sekunden ist. Die Geschwindigkeit des Mondes ist gleich r 2πrMond vMond = T 2π × (3, 82 × 108 m) = 2, 36 × 10 6 s ≅ 1, 02 × 10 3 m / s oder ungefähr 1 Kilometer pro Sekunde. Mond V F Erde FIGURE 11. 85 Der Mond wird zum Zentrum der Erde beschleunigt. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Die Beschleunigung ist dann 2 r vMond aMond = rMond = (1, 02 × 10 3 m / s)2 3, 82 × 108 m ≅ 2, 70 × 10 −3 m / s 2 Wenn wir diese Zahl mit der Beschleunigung auf der Erdoberfläche vergleichen, finden wir aMond 2, 70 × 10 −3 m / s 2 = g 9, 81 m / s 2 ≅ 3 × 10 −4 d.h., die Beschleunigung des Mondes ist ungefähr 3300 Mal kleiner als die Erdbeschleunigung g. Diese Zahl kann mit dem Verhältnis der Radien im Quadrat verglichen werden: 2 rErde 6370 × 10 3 m ≈ 3, 82 × 108 m rMond 2 ≈ 3 × 10 −4 Dieses Ergebnis beweist, dass die Gravitationskraft proportional zum Quadrat des Abstandes ist. Wir bemerken nun, dass das allgemeine Gravitationsgesetzt sagt, dass durch die Gravitationskraft Körper einander anziehen. Deshalb spüren der Mond und die Erde dieselbe Anziehungskraft, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen (siehe Abb. 12). Physik I 86 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Dass eine solche Kraft wirkt, können wir z.B. durch die Flut und Ebbe des Meers bemerken. Mond FG Drehpunkt —FG Erde Der Mond und die Erde ziehen einander mit derselben Gravitationskraft aber mit entgegengesetztem Vorzeichen an. Der Drehpunkt ist ≈4700 km vom Erdzentrum entfernt. FIGURE 12. Beide, Erde und Mond, werden durch die Gravitationskräfte beschleunigt. Eine Folgerung daraus ist, dass wenn wir beide Körper als ein einziges System betrachten, der Mond und die Erde sich um einen Drehpunkt drehen. Dieser Drehpunkt ist ≈ 4700 km vom Erdzentrum entfernt: rDrehpunkt = = M Mond r M Erde Mond ( 7, 36 × 10 22 kg) ( 3, 82 × 10 8 m) (6 × 10 24 kg) ≈ 4, 7 × 10 6 m 87 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Das Newtonsche Gravitationsgesetz Nun betrachten wir den Gesamptimpuls des Systems Erde-Mond. Es gilt r r r Ptot = pErde + pMond r r = M Erde v Erde + M Mond v Mond Die zeitliche Ableitung des Gesamtimpulses ist gleich r r r dPtot dpErde dpMond = + dt dt dt r r dv dv = M Erde Erde + M Mond Mond dt dt r r = M Erde aErde + M Mond aMond Jetzt berechnen wir die Beschleunigungen des Mondes und der Erde: r r r r M Erde M Mond 1 rMond − FG 1 rMond aErde = =G = GM Mond 2 2 M Erde rMond rMond rMond rMond M Erde r r r r M Erde M Mond 1 rMond FG 1 rMond aMond = = −G = −GM Erde 2 2 M Mond rMond rMond rMond rMond M Mond Das heisst, der Gesamtimpuls des Systems Erde-Mond ist erhalten r r r 1 rMond 1 rMond dPtot = M Erde GM Mond 2 + M Mond −GM Erde 2 dt rMond rMond rMond rMond =0 Wir verstehen dieses Ergebnis: in diesem Fall können wir das System Erde-Mond als ein isoliertes System betrachten, weil die Gravitation nur als interne Kräfte wirkt. Das Impulserhaltungsgesetz sagt voraus, dass in einem solchen Fall der Gesamtimpuls erhalten sein muss. Physik I 88 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Eine ähnliche Situation ergibt sich auch, wenn wir z.B. frei fallen (siehe Abb. 13). Wir ziehen die Erde mit demselben Betrag an, mit dem die Erde uns anzieht. Natürlich sind die Beschleunigungen ganz verschieden voneinander. Zum Beispiel, für einen Mensch der Masse 60kg gilt r r r − mg FG m r g = =− aErde = M Erde M Erde M Erde Fg Fg Erdoberfl che Wenn wir frei fallen, ziehen wir die Erde mit demselben Betrag an, mit dem die Erde uns anzieht. FIGURE 13. Der Betrag der Beschleunigung der Erde ist ungefähr r aErde = 60 kg (9, 81m / s2 ) 6 × 10 24 kg ≈ 10 −22 m / s2 89 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia R ckstoss der Rakete 2.7 Rückstoss der Rakete Der Raketenantrieb folgt aus der Impulserhaltung. Eine Rakete erzeugt ihren Schub, indem Treibstoff verbrannt und das dadurch erzeugte Gas nach hinten ausgestossen wird. Die Rakete wird durch den Rückstoss nach vorne getrieben. Im Fall des zurückgerichteten Rückstosses eines Gewehres, wenn die Gewehrkugel vorwärts geschossen wird, folgt aus der Impulserhaltung r r r r r Ptot = pGewehr + pKugel = mG vG + mK vK = 0 und es gilt vG = − mK vK mG so dass, wenn mK << mG ist, ist vG << vK. mK vK Gewehrkugel FIGURE 14. mG vG Gewehr Impulserhaltung während des Rückstosses eines Gewehres. Versuchsexperiment. Rückstoss mit Wagen und CO2-Flasche Physik I 90 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Das CO2 Gas wird nach hinten ausgestossen. Durch den Rückstoss wird der Wagen (und der Mensch) nach vorne getrieben. Versuchsexperiment. Rückstoss ist unabhängig vom Medium Mit dem Wasserstrahl in Wasser und Luft bemerken wir, dass der Rückstoss unabhängig vom Medium ist. Der Rückstoss hängt nur von der Masse des ausgestossenen Stoffes ab. Wenn man Raketen z.B. in den Weltraum schiesst, drückt die Rakete gegen das Gas, das von ihr ausgestossen wird. Luft hat in diesem Fall nichts zu tun! Die Rakete stösst sich nicht von der Luft ab. Versuchsexperiment. Rückstoss mit Raketenwagen Nun berechnen wir die sogenannte Raketengleichung. Wir brauchen nur das Impulserhaltungsgesetz. Wir definieren die folgenden Grössen: 1. 2. 3. v = Geschwindigkeit der Rakete u = Ausstossgeschwindigkeit relativ zur Rakete M(t) = Masse der Rakete zur Zeit t. Wir berechnen die Impulsänderung des gesamten Systems während eines Zeitintervalls ∆t. Aus der Impulserhaltung muss die Impulsänderung gleich null sein. Zur Zeit t bewegt sich die Rakete mit der Anfangsgeschwindigkeit v. 91 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia R ckstoss der Rakete Der Gesamtimpuls ist gleich p = M ( t )v Nach dem Zeitintervall ∆t hat die Rakete eine Masse M–dM (wobei dM positiv ist) und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit v+dv. Wenn das Gas mit einer Geschwindigkeit u relativ zur Rakete ausgestossen wird, bewegt es sich mit einer Geschwindigkeit v–u. Der Gesamtimpuls ist deshalb gleich p(t' ) = ( M − dM )(v + dv) + dM (v − u) d.h., p(t' ) = Mv + Mdv − vdM − dMdv + vdM − udM ≈ Mv + Mdv − udM wobei wir den Term dMdv weggelassen haben, weil er ein Produkt aus zwei sehr kleinen Grössen ist und daher im Vergleich zu den anderen Grössen vernachlässigbar ist. Die Impulsänderung während des Zeitintervalls ∆t ist p(t' ) − p(t ) = Mv + Mdv − vdM − dMdv + vdM − udM ≈ Mdv − udM ≡0 wobei wir die Impulserhaltung benutzt haben. Es gilt daher Mdv = udM Physik I ⇒ M dv dM =u dt dt 92 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Aus m(dv/dt)=F folgt, dass auf die Rakete eine Schubkraft F wirkt, mit dem Betrag F=u dM dt und daher die Rakete beschleunigt wird. Wir integrieren nun die Raketengleichung und erhalten dM dv = u M M0 v dM M M0 − m ∫ dv = u ∫ ⇒ 0 wobei M0 die Anfangsmasse der Rakete, und m die Gesamtmasse des ausgestossenen Gases ist. Deshalb ist die Geschwindigkeit der Rakete als Funktion der ausgestossenen Masse gleich M0 v = u(ln( M0 ) − ln( M0 − m)) = u ln M0 − m Für den Fall M0/(M0–m)>e gilt M0 >e M0 − m ⇒ ⇒ M0 ln >1 M0 − m v>u Dann bewegt sich für einen Beobachter das ausgestossene Gas in der gleichen Richtung wie die Rakete. Experiment: Die letzten Kugeln rollen in gleicher Richtung wie der Wagen. 93 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte 2.8 Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kräfte Die Newtonschen Gesetze sorgen für eine Verbindung zwischen den dynamischen Grössen Masse und Kraft einerseits, und den kinematischen Grössen Beschleunigung, Geschwindigkeit und Verschiebung andererseits. Wir können die Bewegungsgleichung eines Teilchens direkt mit diesem Gesetze finden. Es gilt r r r r dv d 2r ∑i Fi = ma = m dt = m dt 2 D.h., wenn alle Kräfte (oder die resultierende Kraft) bekannt sind, die auf ein Teilchen wirken, können wir die Beschleunigung des Teilchens berechnen. Oder umgekehrt, wenn wir die Beschleunigung eines Teilchens, oder die zeitliche Ableitung seiner Geschwindigkeit, oder die zweite zeitliche Ableitung seiner Ortsvektorfunktion kennen, können wir die resultierende Kraft, die auf das Teilchen wirkt, bestimmen. Diese Gleichung kann auch mit Hilfe des Impulses ausgedrückt werden: r r r r dv d ( mv ) dp F=m = = dt dt dt wobei p der Impuls des Teilchens ist. Wenn keine Kraft auf das Teilchen wirkt, ist sein Impuls erhalten, d.h. er ändert sich nicht mit der Zeit. Physik I 94 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik In der Natur beobachten wir verschiedene Arten von Kräften. Wir werden uns mit den Kräften, die auf makroskopische Gegenstände wirken, beschäftigen. Diese Kräfte, sogenannte Kontaktkräfte, werden z.B. von Federn, Fäden oder Oberflächen ausgeübt, wenn diese in direktem Kontakt mit den Gegenständen sind. 2.8.1 Die Federkraft Um die von einer Feder ausgeübte Kraft einfach zu studieren, können wir Massen an der Feder aufhängen. Siehe Abb. 15. Wenn die Masse in Ruhe ist, ist ihre Beschleunigung gleich null. D.h., die Vektorsumme der Kräfte, die auf die Masse wirken, ist gleich null. In diesem einfachen Fall müssen wir nur zwei Kräfte betrachten: die nach unten gerichtete Gravitationskraft mg und die nach oben gerichtete Federkraft F . Es gilt: r r r r ∑ F = F + mg = ma = 0 i i wobei m die aufgehängte Masse ist und a ihre Beschleunigung. Es folgt daraus, dass der Betrag der Federkraft gleich mg ist. 95 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte Masse (g) 300 250 x 200 150 F = k(x —x 0) 100 50 gm 50 50 gm 20 50 gm FIGURE 15. 40 60 x 0= 35.9cm 80 100 120cm L nge Die Federkraft. Jetzt bemerken wir, dass wenn wir mehr Masse aufhängen, sich die Feder verlängert. Experimentell beobachten wir, dass bei kleiner Verlängerung die Länge der Feder zur wirkenden Kraft proportional ist. Diese Beziehung ist als Hookesches Gesetz bekannt und kann geschrieben werden als F = − k ( x − x0 ) = − k∆x wobei k die Federkonstante, x0 die Länge der Feder, wenn keine Kraft auf sie wirkt, und ∆x die Verschiebung vom Ruhestand ist. Physik I 96 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die Einheit der Federkonstante ist N/m. Die Gleichung enthält ein negatives Vorzeichen. Für ∆x positiv zeigt die Federkraft in die negative Richtung. Für ∆x negativ (d.h. bei zusammengedrückter Feder) zeigt die Federkraft in die positive Richtung. Es folgt, dass die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Man spricht von Rückstellkraft. Siehe die Kräftediagramme in Abb. 16. -k∆x x0 x x0 x x x Federkraft Diagramm.Weil die Federkraft versucht, die Feder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen, spricht man von Rückstellkraft. FIGURE 16. 97 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte 2.8.2 Fadenkräfte Wenn wir an einem Faden ziehen, dann spannt sich der Faden und zieht mit einer gleich grossen, aber entgegengesestzten Kraft zurück. Wir können uns einen Faden als eine Feder vorstellen, die eine solch grosse Federkonstante besitzt, dass seine Verlängerung während der Kraftwirkung vernachlässigbar ist. Man spricht von masselosen Fäden. D.h. die Masse der Fäden ist viel kleiner als die Massen der Gegenstände, die an die Fäden gebunden werden. Ein Faden ist eine sehr bequeme Vorrichtung, um eine Kraft zu übertragen. Wir betrachten die Situation der Abb 17. Zwei Menschen ziehen an einem Faden. F2 F1 (1) (2) S1 = (1) FIGURE 17. Physik I S2 S1 F1 F2 S2 = S (2) Fadenkraft. Zwei Menschen ziehen am Faden. 98 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Wir analysieren die Anordnung der Kräfte. Die Kräfte müssen entlang des Fadens wirken, weil der Faden nicht seitlich ziehen kann. Der Mensch (1) zieht nach links mit einer Kraft F 1 , und der Mensch (2) zieht nach rechts mit einer Kraft F 2 . Die Kräfte sind entgegengesetzt, deshalb ist der Faden gespannt. Die Beschleunigung des Fadens ist (Gravitationskraft wird vernachlässigt) r r r mFaden aFaden = ( F1 + F2 ) Wenn wir den Faden als wirklich masselos betrachten, gilt r r r r ( F1 + F2 ) = 0 ⇒ F1 = − F2 (Bemerken Sie, dass wenn die resultierende der auf den Faden wirkenden Kraft nicht gleich null ist, wäre die Beschleunigung des Fadens unendlich!) Jetzt führen wir die Spannung des Fadens ein. Wir sagen, dass diese Spannung sich im Faden befindet. Sie ist für eine Übertragung der Kräfte durch den Faden verantwortlich. Sie wirkt entlang des Fadens, so dass ein Faden, der zwei Punkte verbindet, überall dieselbe Spannung besitzt. 99 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte Wir sagen, dass im Punkt wo der Mensch (1) den Faden zieht, die Kraft F 1 kompensiert wird. Dieselbe Situation findet im Punkt (2) statt. D.h., r r r r F1 + S1 = 0 und F2 + S2 = 0 Da die Beträge von F 1 und F 2 gleich sind, gilt r r S1 = S2 d.h., die Spannung entlang des ganzen Fadens besitzt denselben Betrag. 2.8.3 Die Atwoodsche Maschine Wir betrachten die Anordnung in Abb. 18. Eine solche Anordnung wird eine Atwoodsche Maschine genannt. Wir nehmen an, dass der Faden masselos ist und dass die Rolle sich reibungsfrei bewegen kann. Wir schreiben das System der Bewegungsgleichungen (Bewegung ist nur in eine Richtung möglich) m1a1 = S − m1g m2 a2 = S − m2 g wobei S die Spannung des Fadens ist. Wir haben zwei Gleichungen mit drei Unbekannten. Physik I 100 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik h1 h2 S S m1 m 1g m2 m 2g Eine Atwoodsche Maschine mit einem masselosen Faden und einer reibungsfreien Rolle. FIGURE 18. Weil der Faden sich nicht verlängert, gilt l = h1 + h2 wobei l die Länge des Fadens ist. Mit der zeitlichen Ableitung dieser Gleichung, finden wir 0= 101 dl d d = h1 + h2 = v1 + v2 dt dt dt Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte und 0= d d v1 + v2 = a1 + a2 dt dt ⇒ a1 = − a2 D.h., die Bewegungsgleichung kann geschrieben werden als m1a1 = S − m1g − m2 a1 = S − m2 g Die Lösung ist m1a1 + m2 a1 = − m1g + m2 g m1a1 − m2 a1 = 2 S − m1g − m2 g d.h. a = 1 S= m2 − m1 g m2 + m1 1 ((m1 − m2 )a1 + (m2 + m1 )g) 2 Mit Algebra findet man schliesslich a1 = − a2 = m2 − m1 g m2 + m1 und S= 2 m1m2 g m1 + m2 Die Beträge der Beschleunigungen sind einander gleich. Sie sind gleich a1 = a2 = Physik I m2 − m1 g≤g m2 + m1 102 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik d.h. die Beschleunigung der Masse ist kleiner als oder gleich der Erdbeschleunigung g. Die Spannung wirkt immer entgegen der Gravitationskraft und bremst die Massen. Wir verstehen dieses Ergebnis auch in den Grenzfällen: m2 = 0 ⇒ a1 = − g und a2 = g m1 = 0 ⇒ a1 = g und a2 = − g In diesen letzten Fällen ist die Spannung gleich null, und die Massen fallen frei mit einer Beschleunigung gleich g. Versuchsexperiment. Messung der Beschleunigung mit Wagen. Wir betrachten eine Anordnung mit einem Wagen, der sich in der horizontalen Richtung bewegen kann, und eine aufgehängte Masse, die sich in der vertikalen Richtung bewegen kann. Beide Massen sind mit einem Faden, der sich um eine Rolle dreht, aneinander gebunden. Wir betrachten den Faden als masselos und die Rolle als reibungsfrei. In diesem Fall ist die Spannung die einzige nicht verschwindende auf den Wagen wirkende Kraft, weil die Gewichtskraft des Wagens von einer nach oben gerichteten Kraft, die der Tisch ausübt, kompensiert wird. Die Bewegungsgleichung ist S = Ma mg − S = ma 103 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia ⇒ a= m g M+m Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte Wenn M>>m, gilt a≅ m g M ⇒ a∝m und a∝ 1 M Wir können sagen, dass 1. 2. wegen der schweren Masse m das System beschleunigt wird; wegen der trägen Masse M das System “gebremst” wird. Die träge Masse M des Wagens wirkt gegen seine Beschleunigung. 2.8.4 Reibungskräfte Reibung ist ein kompliziertes und nicht vollständig verstandenes Phänomen. Wenn zwei Gegenstände in Kontakt sind und man versucht einen relativ zum anderen zu bewegen, wird eine Reibungskraft erzeugt. Diese Kraft entsteht durch die Wechselwirkungen der Moleküle eines Gegenstandes mit denen des anderen. Sie wirkt überall dort, wo die Oberflächen der Gegenstände in engem Kontakt sind. Wir betrachten nun das Beispeil der Abb. 19. Ein Körper befindet sich auf einer schiefen Ebene. In der Abb. sehen wir die Kräfte, die auf den Körper wirken: 2. die Gravitationskraft mg; die Normalkraft FN, die von der schiefen Ebene ausgeübt wird; 3. die Reibungskraft FR 1. Es ist üblich, die x-Achse parallel zur Ebene zu wählen. Wir zerlegen die Kräften entlang der x- und y-Achsen. Physik I 104 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik Die x- und y-Komponenten der Gewichtskraft sind gleich x: y: mg sin α − mg cos α y FN FN FR FR m m α α x cos α mg mg sin α mg FIGURE 19. mg Kräftediagramme der schiefen Ebene mit Reibungskraft. Haftreibung: Für einen Winkel α, der kleiner ist als der kritische Winkel αK, gleicht die Reibungskraft die x-Komponente der Gravitationskraft, die entlang der Ebene abwärts wirkt, aus. Der Körper bewegt sich nicht. Er bleibt in Ruhe. Wir erhalten ∑ Fx = mg sin α − FR = 0 ∑ Fy = − mg cos α + FN = 0 Wir eliminieren mg aus diesen Gleichungen und finden 105 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Berechnung der Bewegungen mit Hilfe der Kr fte tan α = FR FN ⇒ FR = FN tan α Diese Gleichung gilt, wenn der Winkel α kleiner als der kritische Winkel αK ist. Wenn der Winkel α grösser als αK ist, kann die Reibungskraft die Bewegung des Körpers nicht mehr verhindern. Dann wird der Körper die Ebene hinuntergleiten. Gewöhnlich drücken wir die maximale Haftreibungskraft aus als FR = µ H FN wobei µ H die Haftreibungszahl ist. Aus dieser Gleichung sehen wir, dass die maximale Reibungskraft proportional ist zur Normalkraft, die zwischen den beiden Oberflächen wirkt. Für den kritischen Winkel wird die Haftreibungskraft maximal, und wir können FH durch µ HFN ersetzen FR = FN tan α K = µ H FN ⇒ µ H = tan α K Gleitreibung: Wenn der Körper sich bewegt, wirkt noch eine Reibungskraft zwischen den Oberflächen des Körpers und der Ebene. Die Gleitreibungskraft wirkt der Bewegung entgegen. Wie im Fall der Haftreibung werden wir die Gleitreibungskraft schreiben als FR = µG FN Physik I 106 Masse, Impulserhaltung und die Mechanik wobei µ G die Gleitreibungszahl ist Für Winkel grösser als der kritische Winkel gleitet der Körper mit einer Beschleunigung ax. Jetzt ist die Reibungskraft gleich µ GFN, und wir finden Fx = mg sin α − µG FN = max und wir ersetzen FN durch mgcosα ax = g(sin α − µG cos α ) Durch eine Messung der Beschleunigung, können wir µ G bestimmen. Diese Gleichung gilt nur wenn der Körper sich bewegt, d.h. der Winkel α ist grösser als der kritische Winkel αK. 107 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia