Störungen des Sozialverhaltens Störungen des Sozialverhaltens Gliederung ICD-10: F 91 & F 92 Dr. med. Dieter Stösser Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Universitätsklinik Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 1 Definition Leitsymptome Untergruppen Diagnostik Differentialdiagnosen Interventionen – Therapie Mai 2010 http://www.med.uni-tuebingen.de/ppkj Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens mit Verletzungen altersentsprechender sozialer Erwartungen, welches länger als 6 Monate besteht (ICD 10: F 91). gröbste Verletzungen altersentsprechender sozialer Erwartungen mit extremen Auswirkungen Einzelne dissoziale oder kriminelle Handlungen reichen nicht für die Diagnose, sondern andauerndes Verhaltensmuster Heterogene Gruppe, Einteilung komplex Multifaktorielle Entstehungsbedingungen Mai 2010 Störungen des Sozialverhaltens Leitsymptome → Entweder mehrere der Kriterien oder eines besonders stark ausgeprägt. → Nicht nur einzelne Handlungen, sondern über längeren Zeitraum (> 6 Monate) Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 4 Störungen des Sozialverhaltens Leitsymptome 2 Deutliches Maß an Ungehorsam, Streiten oder Tyrannisieren Ungewöhnlich häufige oder schwere Wutanfälle Grausamkeit gegenüber Menschen oder Tieren Erhebliche Destruktivität gegen Sachen Stehlen, Betrügen, häufiges Lügen Schule schwänzen, Weglaufen von zu Hause Zündeln, Brandstiftung Mai 2010 2 Störungen des Sozialverhaltens Definition Folien auf der homepage KJP Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 5 Alterstypischer Entwicklungsstand berücksichtigen für Diagnosestellung bzw. Einschätzung der Symptome Oft gleichzeitiges Vorkommen mit schwierigen psychosozialen Umständen (instabile, ungünstige familiäre Bedingungen, Schulversagen). Die Störung kann mit deutlichen Symptomen einer emotionalen Störung, vorzugsweise Depression oder Angst kombiniert sein (ICD 10: F 92). Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 6 1 Merkmale oppositionelles Trotzverhalten versus Störungen des Sozialverhaltens Merkmale oppositionelles Trotzverhalten versus Störungen des Sozialverhaltens Oppositionelles Trotzverhalten (v.a. unter 10 Jahren) wird schnell ärgerlich widersetzt sich häufig den Anweisungen von Erwachsenen/Eltern/Lehrern ärgert andere absichtlich gibt anderen die Schuld für eigene Fehler häufig empfindlich, leicht verärgert häufig wütend und beleidigt häufig boshaft und nachtragend Störungen des Sozialverhaltens Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 7 Mai 2010 Störungen des Sozialverhaltens Untergruppen Mai 2010 impulsiv ungeplante Verhaltensmuster als Reaktion auf z.B. wahrgenommene Bedrohung (Angst, Unsicherheit). Geringe Selbstkontrolle und geringe Frustrationstoleranz. Das Verhalten führt eher zu Nachteilen. Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 9 Mai 2010 © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Insgesamt häufiger bei Jungen, wenn aber bei Mädchen vorhanden, ist die Stabilität des Verhaltens oft ausgeprägt! Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 10 Störungen des Sozialverhaltens Multiple Einflussfaktoren Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Im Alltag eher überkontrolliert, ängstlich, depressiv und schüchtern. In Extremsituationen aggressive Durchbrüche mit überzogener Gewalt (Gewaltexzess). Häufig in der Forensik anzutreffen Unterscheidung Mädchen – Jungen Monokausale Ursachentheorie Mai 2010 8 Ängstlich-aggressives Verhalten Delinquentes Verhalten, es werden Vorteile aus dem Verhalten gezogen (operante Verstärkung durch z.B. erfolgreiche Diebstähle u.ä.), daher kein Leidensdruck, keine Einsicht in psychische Problematik oder Veränderungsbedarf Impulsiv-feindliches Verhalten Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Störungen des Sozialverhaltens Untergruppen Beginn in Kindheit (vor 10. LJ.) – Beginn in Adoleszenz (nach 10. LJ.) Instrumentell-dissoziales Verhalten: Aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Tieren Beginnt häufig Schlägereien Verwendung von Waffen Körperlich grausam gegenüber Menschen Tierquälereien Erpressungen, Betrugsdelikte, Diebstähle Sexuelle Übergriffe Sachbeschädigung, Brandstiftung Weglaufen von zu hause (über Nacht) Schuleschwänzen 11 Genetische Einflüsse, Biologische Faktoren, Hormone Temperament, Impulsivität Neugierverhalten (sensation seeking) Intelligenz Erziehungsverhalten der Eltern (Grenzen setzen, Fördern, Kritisieren, Loben, elterliche Wärme vs. aggressive Ablehnung, Wertevermittlung) Lernen am Modell Bindungsstörungen in der Familie Gewissensbildung, Empathiefähigkeit Wahrnehmungsfaktoren (situativ, übergreifend) Psychosoziale Lebensbedingungen, Armut, geringe Bildung Medienkonsum (TV, PC, Gewalt-Spiele Peer-Einflüsse (Gleichaltrige) Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 12 2 Mai 2010 Mai 2010 Störungen des Sozialverhaltens Lernen am Modell Innerfamiliäre Ursachenklärung… oder: Es macht keinen Sinn Kinder zu erziehen. Sie machen sowieso alles nach...(Tucholsky) Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 13 Mai 2010 Risikofaktoren: Parentifizierung Störungen des Sozialverhaltens Rollenumkehr – Respektsverlust Machtvakuum – abwesender Vater - Einflussfaktoren Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 Störungen des Sozialverhaltens Untergruppen im ICD-10 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 16 Störungen des Sozialverhaltens Verlaufstypen Störungen des Sozialverhaltens ….. Hyperkinetische Störung des Sozialverh. (F 90.1) auf den familiären Rahmen begrenzt (F 91.0) fehlende soziale Bindungen (F 91.1) vorhandene soziale Beziehungen (F 91.2) oppositionelles, aufsässiges Verhalten (F 91.3) kombiniert mit Störung der Emotionen (v.a. depressive Störung) (F 92.0) kombiniert mit Ängsten, Zwängen, Derealisation, Depersonalisation etc. (F 92.8) Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 17 Je früher antisoziales Verhalten auftritt, desto schlechter die Langzeitprognose! Kinder (fast nur Jungen), die vor dem 10. Lj. massive dissoziale Störungen entwickeln, haben ein hohes Risiko für chronifizierten Verlauf ins Erwachsenenalter mit Übergang in eine sog. antisoziale Persönlichkeitsstörung Kinder mit dissozialen Symptomen nach dem 10. Lj.: häufig Zunahme der Problematik bis 17 Jahre, dann wieder Abnahme zum Erwachsenenalter (bessere Prognose, werden “vernünftig”, “kriegen die Kurve”, “haben sich ausgetobt”)! Mädchen mit Beginn in Adoleszenz zeigen oft ähnlich problematischen Verlauf wie Jungen mit frühem Beginn! Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 18 3 Störungen des Sozialverhaltens Diagnostik Störungen des Sozialverhaltens Diagnostik Entwicklungsanamnese des Kindes: Schwangerschaft, Geburt, frühkindliche Entwicklung, Kindergarten, Schule, soziale Kontakte, Freundschaften etc. Familienanamnese und Biografie in der sozialen Umgebung Erziehungsbedingungen, Gewalt, familiäre Rahmenbedingungen, Schullaufbahn, Drogen, Sexualität, Religion, Delinquenz, Mißbrauch, Vernachlässigung etc. Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 Fremdanamnese Wichtig: Infos aus den verschiedenen Perspektiven Familie, Schule & (evtl.) sonstige Fremdinfos. Psychiatrische Anamnese Komorbidität psychiatrische Auffälligkeiten: welche, seit wann, in welchem Kontext … Gleichzeitigkeit mehrerer Symptome bzw. Diagnosen 19 Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 21 Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 20 Störungen des Sozialverhaltens Diagnostik Symptomchecklisten zur Fremdbeurteilung/ Fremdwahrnehmung Eltern-Lehrer: CBCL (child bhavior check list, für Eltern) DISYPS-KJ (Diagnostik-System für psychische Störungen im Kindes- TRF (teacher report form) etc. und Jugendalter, z.B. DCL-SSV für dissoziale Störungen), Testdiagnostik: Mai 2010 PFK 9-14 (Persönlichkeitsfragebogen); CAT (Child apperception test), TAT (thematic apperception test), EAS (Erfassungsbogen für aggressives Verahlten in konkreten Situationen YSR (youth self report) IQ-Tests Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Störungen des Sozialverhaltens Diagnostik Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Labor- und Apparative Diagnostik (evtl. Blutwerte, Drogenurin, EEG) als Basisdiagnostik, aber keine spezifischen Blutwerte für die Problematik!! Körperliche und neurologische Untersuchung als Basisdiagnostik Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 24 4 Störungen des Sozialverhaltens Differentialdiagnosen Störungen des Sozialverhaltens Behandlungsmöglichkeiten Hyperkinetische Störung Legasthenie (Lese-Rechtschreibschwäche) Angststörung Sucht, Alkoholabusus, Drogenabusus Essstörungen (Bulimie) Zwangsstörung Emotional instabile Persönlichkeits(entwicklungs)störung Entwicklungsstörung, Asperger-Syndrom Tic-Störung Intelligenzminderung Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 25 Störungen des Sozialverhaltens Elterntrainings: Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 27 triple p (positive parenting program) TIPe (Tübinger Intensivprogramm für Eltern) „Starke Kinder brauchen starke Eltern“ (KSB) THOP (Therapieprogramm für hyperkinetische und oppositionelle Störungen) Wackelpeter& Trotzkopf, Step, TEAK etc. Soziales Kompetenztraining (v.a. in Gruppen): Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 26 Störungen des Sozialverhaltens Interventionen – Therapie therapeutischer Ansatz: Familiäre Rahmenbedingungen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 (multimodales) Training mit aggressiven Kindern (Petermann & Petermann) Faustlos (Cierpka) für GS 1.-3. Klasse THOP Käptän-Nemo-Geschichten Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 28 5 Störungen des Sozialverhaltens Interventionen – Therapie Störungen des Sozialverhaltens Interventionen – Therapie Jugendhilfemaßnahmen: Erziehungsberatung, Familienhilfe, Tagesgruppe, Fremdunterbringung in Heim/Wohngruppe, geschlossene Unterbringung Schulische Abklärung, ggflls. Schulart ändern (E-Schule = Schule für Erziehungshilfe) Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen KJP-Behandlung: Ambulante, teilstationäre oder stationäre Therapie; Krisenintervention Systemische Familientherapie Medikamentöse Behandlung: Methylphenidat (bei ADHD); niederpotente NL: z.B. Pipamperon; Carbamazepin, Risperidon, Propanolol bei impulisivaggressivem Verhalten; evtl. Antidepressiva (SSRI) als („Heilversuche“), da es keine klare (kausale) medikamentöse Behandlung gibt. D.h. die Medikation ist symptomatisch (am Symptom + an der Wirkung orientiert). 31 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 Störungen des Sozialverhaltens Elterntrainings VIA - 32 Verhaltenstherapeutisches Intensivtraining zur Reduktion von Aggression Forschungsergebnisse: Familienzentrierte Ansätze und aufsuchende Interventionen am effektivsten!! → Elternarbeit = Zentraler therapeutischer Zugang !!! VT-orientierte Trainingsprogramme zur Förderung eines klaren, konsequenten und entwicklungs-fördernden Erziehungsverhaltens. Einsatz möglichst früh in der Kindheit, vor Beginn der Pubertät. Videogestützte Eltern-Kind-Interaktionsbeobachtung und Modifikation (Einsatz so früh wie möglich, d.h. vor Einschulung) Go-Struktur: Hausbesuche, Interventionen im normalen familiären oder schulischen Umfeld. Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 33 VIA – Verhaltenstherapeutisches Intensivtraining zur Reduktion von Aggression Mai 2010 VIA – Verhaltenstherapeutisches Intensivtraining zur Reduktion von Aggression (Grasmann & Stadler) Gruppentraining über 2 Wochen (geblockt, 2 x 5 Tage), enthält zahlreiche Module. Es erfolgt in einem festgelegten, hoch strukturierten, ganztägigen Ablaufplan (Trainingsprogramm). Grundlage: verhaltenstherapeutische Interventionsmethoden mit verschiedenen Modulen: Morgenbesprechung zur Festlegung der Tagesziele, Soziales Kompetenztraining, Projektarbeit/Theaterprojekt, Einzelgespräche, Entspannung. Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen (Grasmann & Stadler) Unterbausteine (Themenblöcke) des Moduls Soziales Kompetenztraining: Mai 2010 Wahrnehmung & Aufmerksamkeit positives Selbstbild Wut & Aggression Selbstregulation Emotionserkennung angemessene Selbstbehauptung Freundschaft & Vertrauen ferner Psychoedukation zu ADHS und Sozialverhaltensstörungen Diese Bausteine können je nach Alter und Gruppenzusammensetzung modifiziert zusammengestellt werden. Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 6 VIA – Verhaltenstherapeutisches Intensivtraining zur Reduktion von Aggression (Grasmann & Stadler) Die Kinder haben einen Feedback- und Punkteordner für sich und die Eltern. Die Kinder sammeln innerhalb des Trainings Punkte, welche am Ende in Belohnungen eingelöst werden und sie erhalten eine Urkunde. Die Mahlzeiten und Freizeitphasen sind fest in das Programm eingebaut. Am Ende der ersten Woche steht ein Ausflug und am Ende der zweiten Woche Vorführung (auch für die Eltern) des eingeübten Theaterstücks (Projektarbeit). Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Störungen des Sozialverhaltens Interventionen – Therapie Multisystemische Behandlung (MST) (Henggeler et al., USA) MST: innovatives Angebot für Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens im Alter von 12 bis 17 Jahren. MST-Konzept: lizenziert intensive aufsuchende Therapie (home treatmentPrinzip) in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen als hoch effektive und effiziente Therapieform für Jugendliche mit Störungen des Sozialverhaltens evaluiert. Mai 2010 Multisystemische Therapie - MST Fakten Multisystemische Therapie - MST Therapieprogramm zur Behandlung von Jugendlichen mit starken Verhaltensauffälligkeiten: z.B. Aggressivität, Schulprobleme, die Tendenz gesellschaftliche und soziale Regeln zu brechen, Straffälligkeit sowie Drogen- und Alkoholmißbrauch. MST-Behandlung setzt bei den Alltagsproblemen und täglichen Herausforderungen im familiären Zusammenleben an - so wie die Familie sie erlebt. Fokussierung auf zielgerichtete, konkrete Veränderungen in diesem Zusammenleben. Arbeit zusammen mit den Eltern / Erziehungsberechtigten des Jugendlichen und all jenen Systemen, die sie umgeben: Familie, Schule, Freunde, Nachbarn, Fußballtrainer …. all jene, die die Familie in ihrem Entwicklungsprozeß unterstützen können. Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Die Behandlungsziele greifen in verdichteter und individualisierter Weise die Risikofaktoren, die zu einem dissozialen Verhalten führen können, auf. Die Bezugspersonen werden als Schlüsselpersonen für einen langfristigen Behandlungserfolg betrachtet. Eine geringe Fallzahl (4 bis 6 Familien pro Team) sowie eine kurze Behandlungsdauer (3 bis 5 Monate) fördern die Intensivität und Effizienz der Behandlung. Die Therapeuten sind an 7 Tagen in der Woche und täglich rund um die Uhr für den Jugendlichen und dessen Familie erreichbar. Die MST-Therapeuten unterstützen die Familien in einer nicht stigmatisierenden und auf die Stärken und Ressourcen fokussierenden Haltung. Mai 2010 MST: US-amerikanische Wurzeln,weltweit ca. 440 Teams, die meisten in den USA, weitere Teams in Australien und Neuseeland. In Europa: steigende Anzahl von Ländern, die mit der MST arbeiten: u.a. Großbritannien, Schottland, Irland, sämtliche skandinavische Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen und Island). In Zentraleuropa ist MST in Holland und der Schweiz implementiert. In Deutschland wird MST bisher noch nicht angewendet!! Hintergrund: Gesundheitspolitische Gründe, Vernetzung der diversen Institutionen bürokratisch schwierig (Mischfinanzierung wäre sinnvoll/notwendig: Medizin, Schulsystem, Jugendhilfe, Justizsystem, Polizei) Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Störungen des Sozialverhaltens Multisystemische Therapie - MST Wo wird mit MST gearbeitet? Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen andere Sozialverhaltensprobleme Schwer eingruppierbar im ICD 10 sind Sozialverhaltensstörungen“, welche weniger in die aggressive Richtung gehen, sondern im Bereich sozialer Inkompetenz i. S. von „ungeschickt“ im Knüpfen von sozialen Kontakten liegen. Diese fehlende Ressource führt häufig zu Ausgrenzung, Außenseiterdasein, Mobbingerfahrungen Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 42 7 Fallbeispiel Krisenintervention Fallbeispiel Krisenintervention 13-jh. Junge wird von 2 Polizisten in Klinik gebracht nach Anruf der Eltern bei Polizei. Im Rahmen eines Streits hatte der Junge seinen Stiefvater mit einem Küchenmesser bedroht, dann auch die Mutter, als sie die Polizei rief. Anlass für die Eskalation war, dass der Stiefvater ihm einen Wunsch ausschlug: er wollte abends auf ein Konzert gehen und wollte Geld hierfür von den Eltern. Mit dem Stiefvater war der Junge ambivalent verbunden (Art Hassliebe): Einerseits genoss er gemeinsame Aktivitäten wie Fussball spielen mit ihm, andererseits zeigte er gegenüber/mit dem Stiefvater immer wieder aggressive und ablehnende Verhaltensmuster (er fühlte sich abgelehnt). Seit längerer Zeit ließ er sich vom Stiefvater und auch der Mutter nichts mehr sagen, ließ sich kaum mehr Grenzen setzen. Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Mai 2010 43 Er war ein ungeplantes Kind. Seine Eltern hatten sich früh getrennt, u.a. wegen Alkoholproblem des leiblichen Vaters und Aggressivität unter Alkohol gegenüber Frau und Sohn. Der Vater hatte nur wenig Kontakt zum Sohn aufrecht gehalten (→ Umgangsrecht- und Pflicht!), hatte sein Sorgerecht (→gemeinsames Sorgerecht als Regelfall) kaum ausgeübt. Mit seiner 5 Jahre jüngeren Halbschwester (von seiner Mutter mit dem Stiefvater) verbindet ihn eine rivalisierende Beziehung seit langem, er fühlt sich benachteiligt. Übergriffige Streitmuster zwischen den beiden Halbgeschwistern (Schreien, Schlagen, Sachen wegnehmen etc.) Mai 2010 Fallbeispiel Krisenintervention Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 45 kurze stationäre Krisenintervention (2 Nächte), dann wieder Entlassung nach Hause (nach Beruhigung & Wunsch/Forderung nach Hause zu dürfen, Beteuerung von Besserung etc.) Beratung, Appelle an ihn + die Eltern, die Situation ernst zu nehmen und Hilfe zu suchen Jugendhilfe empfohlen Familientherapie, ambulante Therapie Medikation erörtert Mai 2010 Fallbeispiel Krisenintervention - Verlauf 44 Fallbeispiel Krisenintervention - Verlauf In der Schule zeigte er schon in der Grundschule oppositionelle und aggressive Verhaltensmuster, in den letzten Monaten vermehr Schule schwänzen. Mehrfach Erpressungsversuche bei Mitschülern und Verprügeln von schwächeren Mitschülern, dabei auch Versuch, andere Mitschüler dazu zu verleiten. Leistungsprobleme in der Schule (Hauptschule): Versetzungsgefährdet und drohender Schulausschluss. In den letzten Jahren immer mal wieder kleinere Diebstähle und Sachbeschädigungen. Polizeiliches Erwischtwerden hatte für ihn keine Konsequenzen (→ strafunmündig, da erst 13 Jahre alt). Den Grenzsetzungsversuchen der Eltern widersetzte er sich, bei den körperlichen Züchtigungen schlug er zurück. Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Prognose???? Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen © Dr. Stösser KJP Tübingen Mai 2010 Mai 2010 Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen 48 8