Konkrete Poesie und der Versuch der Etablierung einer Sprache poetischer Universalität (Beatrice Nickel, Universität Stuttgart) Noch bevor das aktuelle Globalitätsdenken allgemeine Verbreitung gefunden hat, finden wir schon ab Mitte des 20. Jahrhunderts im Bereich der Dichtung ein hoch entwickeltes Konzept von einer globalen Konstitution und Wirksamkeit der Dichtkunst: die Konkrete Poesie. In der Konkreten Poesie, die von Anfang an als internationales poetisches ‘Projekt’ angelegt war, ging es vor allem darum, poetische Ausdrucksformen zu finden, die jenseits des Konzeptes von Nationaldichtungen anzusiedeln waren. Einer der Gründungsväter der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, hat die Konstellation als die ihm eigene poetische Form explizit in den Kontext des Strebens nach Internationalität gestellt, wenn er sie als den Versuch einer universalen Gemeinschaftssprache konzipiert hat. Analog hat Pierre Garnier – sogar in einem eigenen Manifest – dazu aufgerufen, in der Dichtung eine langue supranationale zu verwenden bzw. durch die Dichtung eine solche zu etablieren. Eine Überwindung nationaler linguistischer Codes sollte vornehmlich durch den Rückgriff auf pikturale und akustische Zeichenbestände jenseits nationaler lexikalischer Zeichenreservoirs erzielt werden. Das erklärt, warum sowohl der Bereich der visuellen Poesie als auch derjenige der Lautpoesie in der Konkreten Poesie eine große Rolle spielten. Selbst wenn wir in den Gedichten der Konkreten Poesie auf verbal-skripturales Zeichenmaterial stoßen, so muss dies keinen Widerspruch zur Suche nach einer Universalsprache bedeuten, denn dieses wird in einer solch extremen Reduktion vorgeführt, dass vornehmlich ästhetische Informationen präsentiert werden. Diese erfordern in den meisten Fällen keine bzw. keine gute Kenntnis der jeweiligen Sprache, die der Dichter gewählt hat, sondern ein Glossar genügt für die Rezeption. Dafür spricht auch, dass im Bereich der Konkreten Poesie zahlreiche Gedichtsammlungen produziert wurden, die aus der Zusammenarbeit von Dichtern unterschiedlicher Herkunftsländer und Sprachgemeinschaften entstanden sind. Im Vortrag soll es darum gehen, Möglichkeiten der poetischen Universalität oder Supranationalität aufzuzeigen, die in der Konkreten Poesie genutzt wurden.