1 Dirk Bange/Günther Deegener Sexueller Missbrauch an Kindern

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Dirk Bange/Günther Deegener
Sexueller Missbrauch an Kindern – Ausmaß, Hintergründe, Folgen
Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1996
1. Geschichtlicher Überblick
-Freud Theorien
2. Ausmaß, Umstände und Hintergründe sexuellen Missbrauchs
-Wissenschaftler in Deutschland haben lange Zeit überwiegend zur Verschleierung
der sexuellen Gewalt gegen Kinder beigetragen
-meist wurden Theorien entwickelt, die entweder die realen Gewalterfahrungen der
Opfer in die Phantasie verlegten, den betroffenen Kindern die Verantwortung
zuschrieben oder deren Glaubwürdigkeit in Frage stellten
-in dieses Bild passt auch, dass in Deutschland bis Anfang der 90er Jahre keine
größere Untersuchung über die Häufigkeit, die Umstände und die Hintergründe
sexueller Gewalt gegen Kinder durchgeführt worden ist
-mittlerweile (1996) liegen fünf größere Befragungen zum Ausmaß vor
2.1 Wie viele Kinder werden sexuell missbraucht?
-1984 (Kavemann/Lohstöter): jährlich 300000 Kinder in den alten Bundesländern
-wurde später als zu hoch bewertet
-Michael Baurmann (1990) 50000 bis 60000 Opfer
-Alles in allem erscheint es deshalb realistisch, dass in Deutschland etwa jedes vierte
bis fünfte Mädchen und jeder zwölfte Junge sexuelle Gewalt erlebt
2.2 Umstände
-entgegen der lange Zeitherrschenden Meinung, dass Kinder meist durch Fremde
sexuell missbraucht werden, zeigen die vorliegenden Dunkelfelduntersuchungen ,
dass der überwiegende Teil der Kinder die Täter bereits vor dem sexuellen
Missbrauch kennt
-Mädchen werden danach zu etwa einem Viertel durch Familienangehörige, zur
Hälfte von Bekannten und zu 15 bis 25% durch Fremde sexuell missbraucht
-bei den Jungen kommen die Täter mit zehn bis 20% etwas seltener aus der Familie
– dafür werden sie häufiger als Mädchen Opfer von Tätern aus dem außerfamilialen
Nahraum und von Fremden sexuell missbraucht
-relativ unklar, wie viele der sexuell missbrauchten Kinder anal, oral oder vaginal
vergewaltigt werden, wie viele von ihnen genitale Manipulationen erdulden müssen
und wie häufig der sexuelle Missbrauch aus erzwungenen Zungenküssen, Anfassen
an der Brust u.ä. besteht
-bei 55% der befragten Kinder einer Studie (Beverly Gomes-Schwartz u.a.) wurde
von den Tätern körperliche Gewalt oder Drohungen benutzt, um die Kinder gefügig
zu machen
-von den anderen Tätern verlassen sich die meisten auf die bestehende emotionale
Abhängigkeit des Kindes oder setzen auf manipulative Strategien wie
Geldgeschenke
-ein Mythos, der bis heute das Denken vieler Menschen über sexuellen Missbrauch
an Kindern bestimmt, lautet, dass nur Mädchen im „Lolitaalter“ sexuell ausgebeutet
werden
-in Wirklichkeit sind aber Mädchen und Jungen jeden Alters betroffen
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-Kinder werden im Säuglings- und im Kleinkindalter, im Kindergarten- und
Grundschulalter sowie in der Pubertät sexuell missbraucht
-die Dunkelfelduntersuchungen belegen, dass sexueller Kindesmissbrauch oft lange
vor der Pubertät anfängt (Jungen 9,8 bis 12 Jahre, Mädchen 9,6 und 11,4 Jahre)
-hinsichtlich der Altersstruktur der Täter zeigen die Studien, dass etwa ein Drittel der
Täter selbst noch Kinder oder Jugendliche und nur etwa ein Zehntel über 50 Jahre
alt sind
-der überwiegende Teil der Täter ist zwischen 19 und 50 Jahre alt
-daraus ergibt sch, dass viele Kinder und Jugendliche durch Gleichaltrige sexuell
missbraucht werden
-Zahl der Täterinnen steigen an bzw. wird nicht mehr tabuisiert
-Jungen werden nach den US-amerikanischen Studien häufiger von Frauen sexuell
missbraucht als Mädchen
-Problem: Übergriffe durch Frauen wurde von den Jungen sehr häufig nicht als
sexueller Missbrauch erlebt
-Jungen bewerten sexuelle Handlungen, de ältere Frauen mit ihnen vornehmen,
vielfach eher als Einführung in die Sexualität denn als sexuellen Missbrauch
-Jungen sind in dieser Hinsicht durch die Sozialisation geprägt, die ihnen eine solche
Interpretation nahe legt
2.3 Soziale Hintergründe
-über die sozialen Hintergründe sexuellen Missbrauchs an Kindern gibt es bisher
kaum empirische Untersuchungen
-ausgehend von feministischen Überlegungen werden häufig patriarchale
Gesellschaftsstrukturen als sozialer Ausgangspunkt sexueller Gewalt angesehen
-den feministischen Erklärungen widersprechen zumindest teilweise die Autoren, die
sexuellen Missbrauch als durch soziale Deklassierung, beengte Wohnsituation,
Arbeitslosigkeit und soziale Isolation der Familie mitbedingt sehen
-für sie ist sexueller Missbrauch ein Unterschichtphänomen, das nicht in erster Linie
durch das Geschlechterverhältnis, sondern durch soziale Ungerechtigkeit verursacht
wird
-ob sexueller Missbrauch an Kindern ein über alle sozialen Schichten gleichmäßig
verteiltes Problem ist oder nicht, ist eine heiß umstrittene Frage
-sie lässt sich nicht eindeutig beantworten – sicher ist, dass sexueller Missbrauch in
allen sozialen Schichten sehr häufig vorkommt
2.4 Familiäre Hintergründe
-von den Theoretikern dieses familiendynamischen Ansatzes werden die Familien, in
denen es zur sexuellen Gewalt kommt, als „dysfunktional“, „desorganisiert“ und
„zerrüttet“ bezeichnet
-sexueller Missbrauch ist für sie ein Überlebensmechanismus der gesamten Familie
-die Familie droht schon vor dem Missbrauch auseinanderzubrechen
-verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die sexuell missbrauchten Kinder
häufiger als die nicht missbrauchten aus so genannten „broken homes“ kommen
-Kinder, die den Tod eines Elternteils oder die Scheidung ihrer Eltern erleben oder
eine Zeitlang ohne ihre Mütter oder Väter aufwachsen, sind gefährdeter als andere
Kinder, sexuell missbraucht zu werden
-doch sind viele Familien von sexuell missbrauchten Kindern nicht nur strukturell
beeinträchtigt, sehr häufig scheint auch das emotionale Familienklima gespannt zu
sein
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Erklärungen:
- ein belastetes Familienklima führt oft zu emotionalen Defiziten bei den
Kindern. Emotional bedürftige Kinder sind nach allgemeiner Einschätzung
besonders gefährdet, sexuell missbraucht zu werden (Finkelhor). Denn zum
einen sind sie auf Zuneigung angewiesen, zum anderen deutlich weniger in
der Lage, sich effektiv zu wehren, da ihr Selbstbewusstsein oft nicht sehr
ausgeprägt ist. Außerdem ist denkbar, dass das Vertrauensverhältnis zu den
Eltern belastet ist
- obwohl Kinder aus „broken homes“ nicht notwendigerweise emotional
bedürftiger als andere Kinder sind, erwächst aus dem Stress und der
gefühlsmäßigen Unsicherheit nach Scheidung, Verlust etc. ein besonderes
Bedürfnis nach Nähe. Außerdem könnte jede Veränderung der
Familienkonstellation dazu führen, dass die Kinder weniger beaufsichtigt
werden
- viele Täter sind offenbar sehr geschickt darin, emotional bedürftige Kinder zu
erkennen, gehen dann systematisch vor das Vertrauen zu gewinnen
-allerdings muss hier vor Verallgemeinerungen gewarnt werden
-es sind nicht nur emotional deprivierte Kinder, die im außerfamilialen Nahraum
missbraucht werden, sondern manche Täter gehen auch auf offene und freundliche
Kinder zu
-hier setzen sie auf die Vertrauensseligkeit dieser Kinder gegenüber Erwachsenen
-fast alle Untersuchungen fanden zudem, dass es neben dem belasteten
Familienklima eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Familien gibt, in denen es
zu sexueller Gewalt kommt: es handelt sich meist um Familien mit traditioneller
Rollenverteilung
Täter:
-nach außen oft „starke“ Männer, jedoch Untersuchungen zeigen, dass sie zumindest
auf emotionaler Ebene eher unsicher, ängstlich und depressiv sind
-sie fühlen sich häufig isoliert und haben Sorge zu versagen
-deshalb könnte man sagen, dass es emotional bedürftige Männer sind, die sich
gezielt Kinder suchen, um ihre eigene Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle, ihre
eigenen Ängste und Minderwertigkeitgefühle, ihren Hass und ihre Wut auf Kosten
der Kinder befriedigen
3. Die Folgen sexuellen Missbrauchs
3.1 Methodische Probleme der Folgenforschung
-Problem enge/weite Definition
-eine enge Definition erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass bei den Befragten massive
psychische Probleme festgestellt werden
-bei der Verwendung einer weiten Definition besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse
„verwässert“ werden
-so können Folgen von sexuellem Missbrauch im Durchschnitt harmloser erscheinen
3.2 Besondere Fragestellungen der Folgenforschung
3.2.1 Traumatisierungsfaktoren
-es gibt Missbrauchsopfer, die ihr Leben lang unter schwersten Folgen leiden
während für andere die sexuelle Gewalterfahrung nicht so beeinträchtigend ist oder
war
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Primäre Traumatisierungsfaktoren
- Opfer-Täter-Beziehung (je enger und vertrauter …)
- „Intensität“ des sexuellen Missbrauchs
- Zwang und Gewalt
- Dauer und Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs (hier kein Unterschied!)
- Alter des Opfers zu Beginn des sexuellen Missbrauchs (kritisch)
- Alter des Täters – Altersunterschied zwischen Täter und Opfer (je älter der
Täter ist, Trauma wächst mit Altersunterschied)
- Geschlecht des Täters (Jungen erleben Missbrauch durch einen Mann
negativer als durch eine Frau)
Sekundäre Traumatisierungsfaktoren
- erzählt oder nicht erzählt (signifikante Korrelation)
- Elternreaktion
- Institutionelle Reaktionen (wenige Untersuchungen)
- Therapie (keine Therapie überzeugte bisher)
Antezendente Faktoren
- Situation des Kindes (psychische Ausgangslage des Kindes, Charakter…)
3.2.2 Sexueller Missbrauch kann an sich traumatisch sein
-es ist nicht daran zu rütteln, dass sexueller Missbrauch unabhängig von anderen
Faktoren schädigend wirkt
-dennoch sind die beobachteten psychischen und sozialen Auffälligkeiten nicht
ausschließlich als Folge der sexuellen Ausbeutung zu sehen
-vielmehr sind sie häufig durch damit einhergehende Faktoren wie beispielsweise
emotionale Vernachlässigung oder körperliche Misshandlung mitbedingt
3.2.3 Opfer ohne Symptome
-es gibt Opfer, bei denen kaum oder keine Symptome nach einem sexuellen
Missbrauch zu beobachten waren
-Vermutung: befanden sich während der Untersuchung in einer Phase, in der sich
Auswirkungen nicht bemerkbar machten oder haben den Missbrauch „weniger
intensiv“ erlebt
3.2.4 Geschlechtspezifische Unterschiede
-lange Zeit kaum Untersuchungen über die Auswirkungen von sexuellem Missbrauch
auf Jungen
-heute weiß man, dass Jungen ähnlich wie Mädchen unter bedeutenden kurz-, mittelund langfristigen Folgen leiden (Finkelhor)
-die Auswirkungen sexueller Ausbeutung unterscheiden sich nur wenig von denen
des sexuellen Mädchenmissbrauchs
-in den meisten Fällen kommt nur das Stigma der Homosexualität hinzu
-Jungen neigen mehr zu nach außen gerichteten Verarbeitungsformen als Mädchen
3.3 Die Folgen für die Kinder
3.3.1 körperliche Verletzungen
-längst nicht jeder sexuelle Missbrauch hinterlässt körperliche Verletzungen
(bei 2/3 etwa keine körperlichen Befunde)
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-wenn keine körperlichen Symptome vorhanden sind, darf dies deshalb nicht als
Beweis dafür gelten, dass kein sexueller Missbrauch stattgefunden hat
-allerdings Reihe physischer Verletzungen und Symptome
-Indikatoren für einen sexuellen Missbrauch können die folgenden körperlichen
Verletzungen sein: Verletzungen im Genital- und Analbereich (z.B.
unerklärliches Bluten, Hämatome, Scheiden- oder Analrisse, Fremdkörper in
der Scheide oder im After) und Geschlechtskrankheiten (z.B. Pilze, Herpes,
Gonorrhoe, AIDS)
-ein wichtiger Hinweis auf sexuellen Missbrauch kann die Schwangerschaft eines
jungendlichen Mädchens sein (über 50% der untersuchten schwangeren
Jugendlichen in einer Studie wurden sexuell missbraucht)
-für dieses Phänomen sind folgende vier Erklärungen denkbar:
1) viele sexuell missbrauchte Mädchen verlassen früher als andere Mädchen das
Elternhaus und suchen sich ältere Partner, um aus dem Elternhaus raus zu
kommen – ihm erfüllen sie den Wunsch nach einem Kind
2) viele Studien fanden Zusammenhang zwischen früher Schwangerschaft und
Drogenmissbrauch (autoaggressive Tendenz)
3) versuchen durch die Schwangerschaft ihr Selbstbewusstsein wieder
aufzubauen
4) werden durch den Missbrauch schwanger
3.3.2 Psychosomatische Symptome
-durch Kopf-, Hals-, Magen- und Unterleibschmerzen ohne erkennbare
organische Ursachen, durch Essstörungen, Schlafstörungen,
Erstickungsanfälle und Sprachstörungen bringen sie ihre leidvollen Erfahrungen
zum Ausdruck
-leiden häufiger unter Schlafstörungen und Alpträumen
-Konzentrationsstörungen
3.3.3 Psychische Probleme
-der sexuelle Missbrauch wird von allen Kindern als demütigend erlebt
-sie fühlen sich schuldig und schmutzig
-sie haben oft ein niedriges Selbstwertgefühl und wenig Vertrauen in ihre eigenen
Fähigkeiten
-depressive Reaktionen werden oft symptomatisch betrachtet
-die Kinder sind enttäuscht, dass sie sich nicht aus der Situation befreien könnem
-die Untersuchungen zeigen also, dass zwischen sexuellem Missbrauch und
depressiven Verhaltensweisen von Kindern häufig eine Beziehung besteht
-gleichzeitig weisen sie aber auch nach, dass längst nicht jedes sexuell missbrauchte
Kind depressiv reagiert und nicht notwendigerweise hinter jeder kindlichen
Depression ein sexueller Missbrauch steckt
-es ist deshalb nicht korrekt, wenn ohne weitere Informationen vom Symptom
„Depression“ auf einen sexuellen Missbrauch rückgeschlossen wird
-der Forschung ist es bisher nicht gelungen, ein für den sexuellen Missbrauch
spezifisches Syndrom zu beschreiben
-ein großer Teil der Kinder entwickeln infolge des sexuellen Missbrauchs massive
Angstgefühle
-die Kinder haben zum einen die sehr realistischen Ängste, erneut missbraucht zu
werden
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-sie fürchten sich davor, dass der Täter seine Drohungen wahr macht und sie schlägt
oder gar tötet, wenn sie etwas verraten
-auch Befürchtungen, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie von den Eltern und
Geschwistern getrennt werden und das sie in der Schule und von Freunden
verspottet werden, wenn der sexuelle Missbrauch entdeckt wird, sind häufig
-einige Kinder zeigen plötzlich eine für ihre Umwelt unerklärliche Angst vor
Menschen, die sie durch ihre Stimme, ihren Tonfall, einen Bart oder die Statur an
den Täter erinnern
-manchmal kommt es sogar zu panikartigen Reaktionen
-ähnliches gilt für bestimmte Situationen oder Räume
-die Untersuchungen bestätigen den Zusammenhang von Ängsten und sexuellem
Missbrauch eindrucksvoll
-bei den Jungen kommen zu den beschriebenen Ängsten noch zwei
geschlechtsspezifische hinzu (Homosexualität bei Missbrauch durch einen Mann,
aber auch bei Frauen – fürchtet sich vor ihnen, nicht erregt, denkt er sei schwul)
-bei Frauen/Mädchen und Ängste wegen Homosexualität noch keine Erkenntnis
-vor allem kleinere Kinder zeigen infolge eines sexuellen Missbrauchs repressive
Verhaltensweisen
-sie möchten plötzlich wieder auf den Schoß der Mutter oder in den Arm genommen
werden
-auch lutschen sie plötzlich wieder am Daumen oder machen ins Bett
-manchmal fallen sie in kindlicheres Sprechen und Spielen zurück
-sehr viel häufiger Rückzugsverhalten
-psychotische Verhaltensweisen
3.3.4 Soziale Auffälligkeiten
-zeigen nach außen überdurchschnittlich oft Verhaltensauffälligkeiten und
Schulprobleme
-reagieren sowohl mit Leistungsverweigerung als auch mit extremer
Leistungsbereitschaft (Erfolg in der Schule gibt Sicherheit, Ängste anders als die
anderen zu sein, Anerkennung…)
-strengen sich auch an, um Schulabschluss und möglichst schnell Geld zu
verdienen, um ausziehen zu können
-jedoch auch oft Schulprobleme – durch Konzentrationsstörungen mitbedingt (oder
hyperaktives Verhalten)
-Gefühl der Ohnmacht passt nicht in das von der Gesellschaft gemachte Jungenbildsie wollen ihre Männlichkeit zurückgewinnen und begeben sich oft in die Rolle des
Aggressors – zeigen aggressive Verhaltensweisen, um Hassgefühle gegen den
Täter ausleben zu können
-Jungen reagieren also eher mit aggressiven und dissozialen Verhaltensweisen,
während Mädchen eher zu depressiven und gegen sich selbst gerichtete
Aggressionen neigen
-nur ein Teil der Opfer delinquentes Verhalten
-Ausreißer (Kempe/Kempe, über 50% aller Ausreißer sexuell missbraucht)
-äußern häufiger Ängste und Suizidgedanken
-bei Mädchen: höhere Tendenz zu Promiskuität, Prostitution und kriminellem
Verhalten
-Jungen: mehr körperliche Verletzungen und Krankheiten sowie Angst vor
erwachsenen Männern
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-autoaggressive Verhaltensweisen/Suizidgedanken
-bewusste Selbstverletzungen
3.3.5 Auffälliges Sexualverhalten
-sexuell missbrauchte Kinder fallen häufig durch ein altersunangemessenes
Sexualverhalten auf
-auffälliges sexualisiertes Verhalten bzw. Sprachverhalten
-Angst vor sexuellen Dingen
-verschiedene Arten von sexueller Dysfunktionen (z.B. gehemmte Libido, vorzeitige
oder ausbleibende Ejakulation)
-es ist vor Überinterpretation gewarnt!
-„Doktorspiele“, Zeichnungen von Genitalien etc. finden sich auch bei nicht
missbrauchten Kindern
-auch nicht alle missbrauchten Kinder zeigen sich auffällig
3.3.6 Posttraumatische Belastungsstörungen
-charakteristische Symptome: Wiedererleben des traumatischen Ereignisses,
Vermeidung von Stimuli, die mit dem Ereignis im Zusammenhang stehen,
erstarrende allgemeine Reagibilität und ein erhöhtes Erregungsniveau
Insgesamt: es gibt weder ein für sexuellen Missbrauch spezifisches
Symptom noch ein spezifisches Syndrom
4. Definition: Was ist sexueller Missbrauch?
-enge/weite Definition – beeinflussen die Häufigkeit
4.1 Die Definitionskriterien
4.1.1 „Wissentliches Einverständnis“
-bei Erwachsenen ist nach geltendem Recht eine Straftat gegen die sexuelle
Selbstbestimmung dann gegeben, wenn eine Person an einer anderen Person ohne
deren Zustimmung sexuelle Handlungen ausführt
-die zwei wesentlichen Voraussetzungen des wissentlichen Einverständnisses sind
bei Kindern nicht erfüllt:
1) nicht den gleichen Informationsstand wie Erwachsene
2) sind die auf Liebe und Zuneigung Erwachsener angewiesen (strukturelles
Machtgefälle)
-Täter nutzen Macht und Überlegenheit aus und benutzen die Kinder als
Sexualobjekte
-demnach ist jeder sexuelle Kontakt zwischen Kindern und Erwachsenen sexueller
Missbrauch (Finkelhor)
4.1.2 Folgen als Definitionskriterium
-jeder Missbrauch traumatisch
4.1.3 Missachtung des kindlichen Willens
-sexuelle Handlungen werden gegen den Willen des Kindes ausgeführt
-nicht wehren – psychischer Schutzmechanismus (ambivalent)
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-Überlebensstrategie der Kinder – dem Täter kommt dies entgegen (Übergriffe
werden „intensiver“, je weniger Widerstand das Kind zeigte (Herman))
4.1.4 Sich missbraucht fühlen
-sexueller Missbrauch kann stattfinden, auch wenn das Opfer sich nicht missbraucht
oder geschädigt fühlt (Finkelhor)
-viele Menschen lehnen es strikt ab, sich als Opfer sexueller Gewalt zu bezeichnen
-vor allem Männer begeben sich nicht gerne in die Opferrolle
-ob jemand sich missbraucht fühlt, bestimmen nicht nur die tatsächlichen
Begebenheiten, sondern auch das eigene Selbstbild und die darin enthaltenen
gesellschaftlichen Normen und Werte
4.1.5 Sexueller Missbrauch durch Blicke und Worte
-auch sie sind eindeutig als sexuelle Gewalt zu betrachten
4.1.6 Altersunterschied zwischen Opfer und Täter
-jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Kind und einer mindestens fünf Jahre älteren
Person wird als sexueller Missbrauch definiert
-Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, ein wissentliches Einverständnis seitens der
jüngeren Person sei aufgrund der Macht- und Wissensunterschiede nicht möglich
-an diesem Kriterium wird bemängelt, dass es sexuellen Missbrauch unter
Gleichaltrigen ausschließt (Russel 1986)
-nach neueren amerikanischen Untersuchungen fangen viele der erwachsenen
Sexualstraftäter bereits in ihrer Kindheit und Jugend an, andere sexuell auszubeuten
4.1.7 Zwang und Gewalt
-körperliche Gewalt oder offene Drohungen zum allgemeinen Definitionskriterium zu
machen, schließlich viele Fälle von sexueller Gewalt aus
Insgesamt: ein einzelnes Definitionskriterium reicht nicht aus, um alle Fälle
sexueller Gewalt zu erfassen. Eine Kombination verschiedener Ansätze ist
notwendig!
4.2 Die Definition sexuellen Missbrauchs in dieser Untersuchung
-die verwendete Definition stützt sich auf folgende Argumente: die sexuelle Handlung
fand entweder gegen den Willen des Kindes statt, oder das Kind war nicht in der
Lage, den sexuellen Handlungen wissentlich zuzustimmen. Ein Altersunterschied
zwischen Opfer und Tätrer ist ebenso wenig Definitionskriterium wie negative Folgen
Definition Bange/Deegener:
Sexueller Missbrauch an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder von
einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder
der das Kind augrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher
Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Machtund Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des
Kindes zu befriedigen.
4.2.1 Altersbegrenzung
-in den meisten Studien Grenze zwischen Kindes- und Erwachsenenalter bei 16
Jahren
-Gesetz BRD: bis 14 Jahre Kind
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5. Die Forschungskonzeption
5.4 Die Stichprobenauswahl
-trotz der Einschränkung, dass Auszubildende und Studenten keinen repräsentativen
Bevölkerungsquerschnitt darstellen, ist zusammenfassend festzustellen, dass sie
unter Berücksichtigung der Motivation, des Erinnerungsvermögens an ihre Kindheit
und der Rücklaufquote eine relativ gute Untersuchungsgruppe bilden
6. Das Ausmaß
-die häufigste Annahme, dass in Deutschland etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen
und jeder zwölfte bis vierzehnte Junge sexuell missbraucht würden, ist nach den
Ergebnissen der beiden vorliegenden Untersuchungen realistisch
6.1 Erzählt oder nicht erzählt?
-etwa jeweils 1/3 der befragten Frauen und 50% der Männer haben noch nie mit
jemandem darüber geredet
-innerfamilialer sexueller Missbrauch ist am stärksten tabuisiert
-Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Kinder umso wahrscheinlicher über den
sexuellen Missbrauch sprechen, je weniger sie sich dem Täter loyal verbunden
fühlen
-dieses Resultat verdeutlicht, wie hoch das Dunkelfeld (gerade) im Bereich des
sexuellen Missbrauchs durch Angehörige und Bekannte ist
-wenn doch erzählen: als Ansprechpartner sind für die Betroffenen
Familienmitglieder, Partner und Freunde viel wichtiger, als Beratungsstellen etc.
-diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig die Elternarbeit ist
-Mütter und Väter müssen über sexuellen Missbrauch aufgeklärt werden, damit sie
angemessen reagieren können, wenn ihre Kinder sich ihnen anvertrauen
-muss unbedingt in den Schulen thematisiert werden, damit die ins Vertrauen
gezogenen Freunde die Problematik kennen und unterstützend reagieren können
-also nicht nur Prävention, sondern auch Folgen etc. thematisieren
7. Die Umstände
7.1 Innerfamilialer und außerfamilialer sexueller Missbrauch
-die Mehrzahl der Täter ist den Teilnehmern bekannt gewesen
-die früher vielfach geäußerte Behauptung, dass es meist Fremde seien, die Kinder
sexuell ausbeuten, ist eindeutig falsch
-fremde Täter sind etwa für ein Drittel des Missbrauchs verantwortlich
-ebenso falsch ist es allerdings, überwiegend „Väter als Täter“ vor Augen zu haben
-Familienagehörige machen „nur“ etwa ¼ bis 1/5 der Täter aus
-einige der Täter aus dem Bekanntenkreis waren für die Kinder Vaterfiguren – daher
hier Machtverhältnis und emotionale Abhängigkeit (kommt Familienangehörigen
gleich)
-die Grenzen zwischen innerfamilialer und außerfamilialer sexueller Ausbeutung sind
also je nach der emotionalen Intensität der Beziehung zwischen Täter und Opfer
sowie der Machtverteilung fließend
-viele Täter nicht immer nur ein Kind, sondern wechseln auch
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7.2 Häufigkeit und Dauer
-sexueller Missbrauch beschränkt sich in vielen Fällen auf einen einzigen sexuellen
Übergriff
-differenziert nach Bekanntschaftsgrad zwischen Täter und Opfer zeigt sich, dass
Fremde ihre Opfer in der Regel nur einmal missbrauchen
-kommt der Täter aus dem Bekannten- oder Freundeskreis der Familie, handelt es
sich nur noch zu etwa 2/3 der Fälle um einmaligen sexuellen Missbrauch
-innerhalb der Familie werden dagegen ¾ der Opfer wiederholt sexuell missbraucht
-Vater-Tochter-Missbrauch beschränkt sich in der Regel nicht auf einen einzigen
sexuellen Übergriff
7.3 Art des sexuellen Missbrauchs
-intensive bis weniger intensive Formen
7.4 Täterstrategien
7.4.1 Gewalt und Drohungen
-viele Täter nutzen die emotionale Bedürftigkeit der Kinder aus, um sie ausbeuten zu
können
-sie lügen den Kindern falsche sexuelle Normen vor oder versuchen sie durch Geld
und Geschenke gefügig zu machen
-damit sind manipulative Strategien mindestens ebenso bedeutsam wie körperliche
Gewalt und Drohungen
-nutzen die Neugier der Kinder aus
-Täter aus dem Bekannten- und Freundeskreis müssen mehr Gewalt anwenden als
Angehörige der Familie, um das Kind zum Schweigen zu bringen – daher
unterschiedliche Täterstrategien
7.4.2 Das Schweigegebot
-ein großer Teil der Täter hat es gar nicht nötig, das Kind ausdrücklich zur
Geheimhaltung zu verpflichten
1) kleinen Kindern fehlt das Vokabular
2) Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder dass ihnen die Schuld gegeben
wird
3) Jungen haben Angst vor Homosexualität und Beschimpfungen
4) Schamgefühle, Schuldgefühle und emotionale Abhängigkeit
-„Geheimnis“, Drohungen, Geld (Abhängigkeit, Schuldgefühle)
7.5 Alter der Opfer
-Durchschnitt der Studie bei 11 Jahren
-finden oft keinen Zugang zu Erfahrungen aus der frühen Kindheit
7.6 Alter der Täter
-Mythos, dass Kindesmissbraucher „widerliche alte Männer“ sind, ist widerlegt
-Männer über 50 machen nur etwa 1/10 der Täter aus
-zu jeweils 1/3 sind die Täter selbst noch Kinder oder Jugendliche
-50% aller Täter sind zwischen 19 und 50 Jahre alt
7.7 Altersunterschied zwischen Opfer und Täter
-viele Studien zählen Missbrauch, bei dem der Altersunterschied weniger als 5 Jahre
war, nicht mit; d.h. jeder vierte sexuelle Missbrauch an Mädchen und jeder dritte an –
Jungen wird übersehen
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-viele Täter begangen ihre „Karriere“ bereits in der Kindheit/im Jugendalter
7.8 Geschlecht der Täter
-hauptsächlich durch Männer
8. Soziale Hintergründe
8.1 Schichtzugehörigkeit
-Mythos, sexueller Missbrauch sei besonderes Problem der unteren sozialen
Schichten
-Studie widerlegt das
-innerfamilialer Missbrauch scheint in formal weniger gebildeten Familien häufiger zu
sein („broken homes“)
-jedoch auch in oberen Schichten ein weit verbreitetes Problem
8.2 Religionszugehörigkeit und religiöse Erziehung
-hat keinen Einfluss auf die Häufigkeit
-Finkelhor: sieht als in Bedingungsfaktor, das Tabu der außerehelichen Affären –
daher Kinder
8.3 Regionale Herkunft
-Theorie der Isolation
-ländlich: patriarchalische Familienstrukturen
-Gegenargument: soziale und kulturelle Isolation muss nicht notwendigerweise
geografisch bedingt sein
-Anonymität der Städte
-soziale Kontrolle durch Nachbarn etc. in der Stadt leichter zu umgehen als auf dem
Land
9. Familiäre Hintergründe
9.1 „Heile Familie“ – „broken homes“
-statistisch kaum signifikante Unterschiede
9.2 Familienklima
-Beziehung zu den Eltern unglücklich
-für das Phänomen, dass nicht nur sehr viele der innerfamilial missbrauchten Kinder
aus „broken homes“ kommen oder in einem gespannten Klima aufwachsen, sondern
auch ein erheblicher Teil der durch Bekannte sexuell ausgebeuteten, gibt es
folgende Erklärungen: obwohl die Kinder nicht notwendigerweise emotional
bedürftiger sind, erwachsenen aus dem Stress gefühlsmäßige Unsicherheiten
(Scheidung, Tod etc.)- Täter nutzen dies aus, bauen Vertrauen auf etc.
-es muss jedoch vor einer Verallgemeinerung gewarnt werden!
10. Die Folgen
-die ausgelösten Gefühle müssen von den Kindern irgendwie abgewhrt und
verarbeitet werden
10.1 erste emotionale Reaktion
-hilflos, verwirrt, sprachlos, schämen sich, Hass, Trauer, Wut
-Hilflosigkeit und später Schuldgefühle
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10.2 Psychosomatische Folgen
- Kopf-, Hals-, Ohren-, Magen- und Unterleibsbeschwerden
- Essstörungen
- Ablehnen des eigenen Körpers
- Erstickungsanfälle
- Schlafstörungen
- Sprachstörungen (Druck nicht sprechen zu dürfen)
10.3 Psychische und soziale Folgen
- Psychotische Symptome (Wahnvorstellungen…)
- Borderline-Persönlichkeitsstörung (durchgängiges Muster von Instabilität des
Selbstbildes, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Stimmung)
- Dissoziation (Schutzmechanismus)
- Multiple Persönlichkeitsstörung
- Posttraumatische Belastungsstörungen
- Zwanghaftes Verhalten
- Ängste
- Depressionen
- Misstrauen, Beziehungsschwierigkeiten
10.4 Autoaggressionen
- Suizidgedanken und –versuche
- bewusste Selbstverletzung
- Alkohol- und Drogenkonsum
10.5 Folgen für die Sexualität
- Gefährdung bezüglich erneuter sexueller Ausbeutung
- Sexualisieren von sozialen Beziehungen
- Prostitution
- sexuell aggressives Verhalten
- sexuelle Phantasien mit Kindern
- Probleme mit der Sexualität
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