Karlsruhe Duale Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe Stabilisierung der Europäischen Währungsunion und Implikationen für Private Geldanlage Der Euro als Risikofaktor – Szenariobetrachtungen und Implikationen für die Vermögensanlage Betreuender Hochschullehrer: Prof. Dr. Pay-Uwe Paulsen Studentische Teammitglieder: Julian Kreipl Sophia Läufer Nadine Schlagentweith Lisa Schopohl Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Wettbewerbsbeitrag Postbank Finance Award 2011 Der Euro als Risikofaktor Szenariobetrachtungen und Implikationen für die Vermögensanlage Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Inhaltsverzeichnis III Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ V Tabellenverzeichnis .................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. VI 1. Einleitung ........................................................................................................ 1 2. Die Anatomie der Krise .................................................................................... 4 2.1. Der innere und der äußere Wert des Euro waren nicht gefährdet ....................... 4 2.2. Verschuldungsprobleme und verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit ........... 7 2.3. Schlussfolgerungen für die weitere Analyse ........................................................ 11 3. Szenario 1: Die Auflösung der EWU ............................................................... 12 3.1. Einleitende Bemerkungen .................................................................................... 12 3.2. Die Rückkehr zur D‐Mark. Vorwärts in die Vergangenheit. ................................. 13 3.2.1. Eine politische Irrfahrt .................................................................................... 13 3.2.2. Die Wirtschaftlichen Folgen eines Euro‐Crash ............................................... 15 3.2.2.1. Die technische Abwicklung ....................................................................... 15 3.2.2.2. Flexible Wechselkurse treffen auf deutsche Exporte und Importe .......... 16 3.2.2.3. Auswirkungen auf die Finanzmärkte ........................................................ 17 3.3. Fazit ...................................................................................................................... 20 4. Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU ........................................ 21 4.1. Griechenlands unfreiwilliger Austritt ................................................................... 21 4.2. Deutschland zieht die Notbremse – ein mögliches Austrittsszenario ................. 24 4.3. Die Idee eines Nord‐ und eines Süd‐Euro ............................................................ 25 4.4. Fazit ...................................................................................................................... 26 5. Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU ................................... 27 5.1. Institutionelle „Aufweichung“: Der Weg in die Transferunion ............................ 28 5.1.1. Zielsetzungen der institutionellen Aufweichung ............................................ 29 5.1.2. Risiken der institutionellen Aufweichung ....................................................... 30 5.1.3. Rolle des SWP im Aufweichungsansatz .......................................................... 35 5.2. Institutionelle „Stärkung“: Eine Insolvenzordnung für die EWU ......................... 36 5.2.1. Zielsetzungen der institutionellen Stärkung ................................................... 37 5.2.2. Risiken der institutionellen Stärkung .............................................................. 38 Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Abbildungsverzeichnis IV 5.2.3. Rolle des SWP im Stärkungsansatz ................................................................. 43 5.2.4. Rolle der Rettungsfonds im Stärkungsansatz ................................................. 44 5.3. Fazit ...................................................................................................................... 45 6. Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit ........................................ 45 Literaturverzeichnis .................................................................................................. VII Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Abbildungsverzeichnis V Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Das Szenario D‐Mark .................................................................................. 14 Abbildung 2: Entwicklung der Zinssätze für 10jährige Staatsanleihen der Eurostaaten .......................................................................................................... 19 Abbildung 3: Forderungen ausländischer Banken gegenüber den Staaten Spanien, Griechenland, Portugal und Irland ...................................................................... 30 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Kennziffern zur Auswahl von Staatsanleihen (geschätzte Werte für 2010) ... 48 Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Abkürzungsverzeichnis VI Abkürzungsverzeichnis BIP Bruttoinlandsprodukt D‐Mark Deutsche Mark ESZB Europäisches System der Zentralbanken EU Europäische Union EWU Europäische Währungsunion EZB Europäische Zentralbank IW Institut der deutschen Wirtschaft Köln IWF Internationaler Währungsfonds Mrd. Milliarden ND Neä Drachmä OECD Organisation for Economic Co‐operation and Development p. a. per anno PPP Purchasing power parity ‐ Kaufkraftparität SWP Stabilitäts‐ und Wachstumspakt Wissenschaftlicher Beirat Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 1 Einleitung 1. 1 Einleitung Im Jahr 2010, in seinem zwölften Lebensjahr, ist der Euro in eine schwere Krise geraten. Noch bis weit in das Jahr 2009 hinein lautete die vorherrschende Einschätzung, dass das Projekt der europäischen Einheitswährung, insgesamt betrachtet, als solide Erfolgsgeschichte zu bewerten ist. Entgegen den Warnungen, die seine Einführung begleiteten, erwies sich der Euro als erstaunlich stabil. Die Inflationsrate lag im Durchschnitt bei 2 Prozent, die Senkung der Transaktionskosten erleichterte und intensivierte den Handel und die Mitgliedsländer blieben von den abrupten bilateralen Paritätsänderungen verschont, die im alten Europäischen Währungssystem immer als ein latenter Unsicherheitsfaktor angesehen wurden. Insbesondere während der Finanzmarktkrise wurde der Euro gerade in Deutschland als Glücksfall gepriesen, verhinderte er doch die starke Aufwertung gegenüber den europäischen Handelspartnern, mit der man bei Fortbestand der Deutschen Mark (D‐ Mark) hätte rechnen müssen. Die Zuspitzung der Griechenland‐Krise im März 2010 und die Ausweitung der Krise auf andere Peripherieländer haben diese Einschätzung grundlegend erschüttert. Alte Zweifel haben sich zurückgemeldet, dass das Vertragswerk schwere Mängel aufweist und überhaupt der Versuch einer Einheitswährung angesichts der Heterogenität der Mitgliedsländer langfristig zum Scheitern verurteilt ist. An die Stelle der zufriedenen Erfolgsgewissheit ist Besorgnis getreten. Direkt beobachtbar sind nur die Symptome der Krise. Das Rating von tatsächlichen oder vermeintlichen Krisenländern wird innerhalb weniger Monate um mehrere Stufen abgesenkt. Immer wieder ist die Rede von großangelegten spekulativen Attacken, die sich angeblich gegen einzelne Länder oder sogar gegen den Euro insgesamt richten. Das Ausmaß der Krise offenbarend sind die Reaktionen und Maßnahmen auf der Ebene der Politik. Internationale Hilfspakete werden zunächst, wie im Falle Griechenlands im März 2010, als unnötig und nicht geplant abgetan, um dann im April in einer Größenordnung von 110 Milliarden (Mrd.) Euro mit Einbindung des Internationalen Währungsfonds (IWF) realisiert zu werden. Im Mai 2010 einigen sich die Finanzminister der Europäischen Union (EU) auf einen 750 Mrd. Euro schweren Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 1 Einleitung 2 Rettungsschirm, ein Volumen, das die Finanzmärkte überrascht und das, wie es heißt, die Spekulation gegen den Euro abschrecken soll.1 Dieser wird zunächst mit einer zeitlichen Befristung (bis Mai 2013) versehen, aber schon im Dezember wird auf dem Gipfel der Staats‐ und Regierungschefs beschlossen, einen dauerhaften Krisenmechanismus im Lissabon‐Vertrag zu verankern, was faktisch die Aufhebung der zeitlichen Befristung bedeutet. Das bei der Einführung abgegebene und in unzähligen Sonntagsreden immer wieder beschworene Versprechen, dass jedes Land für seine Staatsfinanzierung selbst verantwortlich bleibt und nicht für die Schulden der anderen Länder einstehen wird, ist bei der ersten ernsthaften Bewährungsprobe gebrochen worden.2 Und auch eine weitere institutionelle Säule ist angekratzt worden, die der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie ist unverkennbar dazu gedrängt worden, Staatsanleihen von Krisenländern am Markt aufzukaufen und damit ‐ entgegen dem institutionellen Versprechen ‐ zumindest indirekt in die Finanzierung von Staaten eingebunden worden.3 Für die Finanzmärkte und für private und institutionelle Vermögensanleger sind die Auswirkungen gravierend, vielleicht sogar schwerwiegender als die der Finanzmarktkrise. Denn in den Stürmen der Finanzmarktkrise versprachen die Nationalstaaten Halt und Schutz, es schien sogar, als ob die Staaten gegenüber den Finanzmärkten ihre frühere Autorität wieder gewonnen hätten. Die vermeintlich sicheren Häfen der Staatsanleihen und die durch explizite und implizite staatliche Sicherungsversprechen begünstigten Anlageformen waren von der Krise kaum betroffen. Und als die Krise am Siedepunkt war, hat die Ausweitung des staatlichen Schutzes auf alle Bankeinlagen erheblich zu der Stabilisierung der Finanzmärkte beigetragen. Die neue Qualität der Bedrohung durch die Euro‐Krise ist entscheidend darin zu sehen, dass sie genau diese sicheren Häfen in Frage stellt. Das Misstrauen richtete sich zuerst gegen Griechenland, dann auch gegen Irland, Portugal und Spanien. Und es weitet sich aus. 1 Eine detaillierte Analyse der Rettungspakete und der möglichen Belastungen für Deutschland liefert Sinn (2010b), S. 3. 2 Zur Verletzung der No‐bail‐out‐Klausel vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 9f. 3 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 14. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 1 Einleitung 3 Selbst die Bonität der stärkeren Länder gerät angesichts des erreichten Standes ihrer Staatsverschuldung und der möglichen Belastungen aus den Garantieversprechen zunehmend in Zweifel, und mit dem Vertrauen in die Mitgliedsstaaten schwindet auch das Vertrauen in den Fortbestand der gemeinsamen Währung, in der gerechnet wird. Entgegen der häufig vorgetragenen Ansicht wird das Geschehen auf den Finanzmärkten keineswegs durch spekulative Transaktionen dominiert. Spektakuläre und möglicherweise unverantwortliche Spekulationen kommen vor und sind beliebter Gegenstand der Medienberichterstattung, insbesondere dann wenn sie scheitern. Den mit Abstand größten Marktanteil haben allerdings eindeutig die Transaktionen und Anlageformen, die den Beteiligten ein hohes Maß an Sicherheit versprechen.4 Dies verdeutlicht z.B. die Aufteilung des Geldvermögens der Privathaushalte, des Sektors, der sich gegenüber der öffentlichen Hand und den Unternehmen in der Gläubigerposition befindet. Für Deutschland zeigt die Statistik der Deutschen Bundesbank über die Jahre hinweg ein relativ konstantes Bild.5 Etwa 70 Prozent des Geldvermögens entfallen auf Bargeld, Bankeinlagen, Ansprüche gegen Versicherungen und Anwartschaften aus Pensionsrückstellungen. Der Anteil der verbrieften Kapitalmarktprodukte beträgt nur etwa 30 Prozent, und dahinter dürften sich zum größten Teil Anleihen der öffentlichen Hand, Pfandbriefe und sonstige Bankschuldverschreibungen verbergen, die direkt oder indirekt über Investmentfondsanteile gehalten werden. Insgesamt dürfte sich der Anteil der Geldanlagen der privaten Haushalte, der mit der Erwartung einer hohen Sicherheit getätigt wurde, auf deutlich über 80 Prozent belaufen. Wer auch immer Vermögensanlageentscheidungen zu treffen hat, er muss sich mit der neuartigen und möglicherweise dramatischen Bedrohungslage auseinandersetzen. Eine rationale Anlagestrategie würde jedoch voraussetzen, dass zunächst einmal die Risikosituation klar erkannt wird. Damit ist gemeint, dass der Entscheider die möglichen Ausgänge der Krise mit ihren konkreten Auswirkungen auf 4 Dies gilt selbst für den größten Teil der Kreditverbriefungen, die im Zuge der Finanzmarktkrise in Verruf geraten sind. Die Tranchierungen zielten ja im Kern darauf ab, einen hohen Anteil an Anleihen mit einem sehr guten Rating zu schaffen, weil nur diese breit am Markt zu platzieren waren. Dass es dabei zu Fehlern und Irrtümern kam und möglicherweise auch Betrügereien vorgekommen sind, steht auf einem anderen Blatt. 5 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011), S. 53*. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 4 Vermögenspositionen identifizieren und, wenn möglich, zumindest ungefähre Wahrscheinlichkeitseinschätzungen treffen kann. Davon kann in der aktuellen Situation sicher keine Rede sein. Um das Bild von den sicheren Häfen noch einmal aufzugreifen: Die meisten Beobachter und potentiell Betroffenen spüren die Ausläufer der Beben und sie ahnen die Bedrohung ihrer Schiffe in den Häfen, aber darüber hinaus herrscht doch weitgehende Ratlosigkeit. Und dies schon deshalb, weil die Euro‐ Krise vielfach nicht richtig eingeordnet und verstanden wird. Die vorliegende Arbeit setzt hier an. Sie enthält den Versuch, die diffuse Bedrohungslage in eine Risikosituation zu überführen und daraus Konsequenzen für die Anlageentscheidung abzuleiten. Die Vorgehensweise besteht darin, zunächst im zweiten Kapitel die eigentlichen Ursachen und die Beschaffenheit der Euro‐Krise zu erkennen. Ausgehend von diesem vertieften Verständnis wird in den Kapiteln drei bis fünf der Versuch unternommen, das Spektrum der möglichen Ausgänge der Krise abzustecken und in drei Szenarien zu klassifizieren. In jedem Szenario werden die Risiken für die wesentlichen Anlageklassen aufgezeigt. Dabei wird jeweils von einer fiktiven Ist‐Situation ausgegangen und die daraus entstehenden Folgen beschrieben. Die Zielsetzung des sechsten Kapitels ist es, aus den gewonnenen Einsichten begründete Handlungsempfehlungen für die Anlageentscheidung abzuleiten. Wir konzentrieren uns dabei auf die Situation des Privatanlegers, der in seinen Anlageentscheidungen weitgehend frei ist. Für Finanzunternehmen wie Geschäftsbanken und Versicherungen gelten zahlreiche gesetzliche Regelungen und sonstige Nebenbedingungen, deren Berücksichtigung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Gleichwohl können einige Einsichten auch für institutionelle Investoren von Belang sein. 2. Die Anatomie der Krise 2.1. Der innere und der äußere Wert des Euro waren nicht gefährdet Die aktuelle Krise, die die Länder des Euro‐Raums erfasst hat, wird vielfach in verkürzender Weise als Währungskrise bezeichnet. Auch wenn das Gesamtbild des Krisengeschehens nur verständlich wird vor dem Hintergrund der Implikationen der Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 5 Einheitswährung, so kann diese Einordnung dennoch irreführend sein. Denn sie erweckt den Eindruck, als ob der innere oder äußere Wert des Euro gefährdet sei oder die Krise in diesen Gefährdungen ihre Ursache hätte. Als Verantwortliche wären dann die EZB oder die anonymen Kräfte der Spekulation an den Finanzmärkten zu benennen. An der Geldpolitik der EZB ist jedoch nach nahezu einhelliger Meinung wenig auszusetzen. Dass sie für einige Mitgliedsländer, wie z.B. Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, eher etwas zu expansiv und für andere, wie z.B. Deutschland, eher etwas zu restriktiv war, wurde immer als eine unvermeidliche Begleiterscheinung einer Währungsunion akzeptiert. Die EZB kann eben nur eine Geldpolitik für den gesamten Währungsraum betreiben und muss sich dabei an Durchschnittswerten orientieren. Das ist ihr in der Vergangenheit gut gelungen. Sie hat ihr Ziel für die Inflationsrate per anno (p.a.) von knapp unter 2 Prozent über die Jahre im Durchschnitt erreicht.6 Und auch die jüngsten umstrittenen Maßnahmen, also die Ankaufsprogramme für Staatsanleihen der Krisenländer und die Herabsetzung der Bonitätsanforderungen für Wertpapiere bei den Refinanzierungsgeschäften, sind zweifellos Ausläufer der Krise und nicht deren Ursache.7 Sie bürden der EZB zwar erhebliche Adressenrisiken auf, aber sie stellen die Unabhängigkeit in der Geldmengensteuerung nicht notwendigerweise in Frage. Kritisiert wurde allenfalls das Verhalten der EZB in der Krise, aber sie ist zu Recht nie verantwortlich gemacht worden für die Entstehung der Krise. Dies gilt nicht für die Bewertung von tatsächlichen oder angeblichen Spekulationsaktivitäten an den Finanzmärkten. Das Vorhandensein derartiger Aktivitäten schien offensichtlich zu sein, denn in relativ kurzer Zeit traten erhebliche Kursverluste und damit einhergehende Renditesteigerungen bei den Staatsanleihen der Krisenländer auf und auch der Euro verzeichnete an den Devisenmärkten gegenüber den meisten anderen Währungen eine Abwertung. Das im Mai 2010 auf den Weg gebrachte 750 Mrd. Euro schwere Rettungspaket wurde denn auch von 6 Vgl. z.B. die Abbildung (Figure 3) in Sinn (2010b), S. 6. 7 Die Entscheidung für den Ankauf von Staatsanleihen ist im Mai 2010 im EZB‐Rat nicht einstimmig getroffen worden. Es ist bekannt geworden, dass der Präsident der Deutschen Bundesbank nicht zustimmte. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 6 Seiten der beteiligten Politiker als eine Verteidigungs‐ und Abschreckungsmaßnahme gegen Spekulanten gerechtfertigt. Bemerkenswerterweise ist jedoch nie dargelegt worden, welche Transaktionen, Transaktionsketten oder sonstigen Handlungen überhaupt gemeint sind und mit welcher Begründung diese als sozial schädlich und deshalb als abschreckenswert einzuordnen sind.8 Ein erster Versuch der Erklärung der Ereignisse in einem Gesamtbild zeigt schon, dass von der Plausibilität des ersten Anscheins wenig übrig bleibt. Unter Spekulation kann man das bewusste Eingehen von Risiken verstehen. Der Spekulant geht Risiken ein, weil ihm das erwartete Entgelt dafür, die Risikoprämie, ausreichend attraktiv erscheint. Das Gegenteil von Spekulation ist der Versuch, sich weitgehend von Risiken freizuhalten. Staatsanleihen von Ländern mit guter oder sehr guter Bonität, wie es ja noch bis Ende 2009 für alle Euro Mitgliedsländer der Fall war, gelten nicht als risikobehaftete Wertpapiere. Sie werden von den Investoren typischerweise gehalten, weil sie als weitgehend risikolos angesehen werden. Die sogenannte risikolose Rendite wird vielfach mit der Rendite von Staatsanleihen gleichgesetzt. Diese Anleihen entpuppten sich aber nun plötzlich vor dem Hintergrund der makroökonomischen Entwicklung als ausgesprochen risikobehaftet, angezeigt auch durch die drastischen Ratingherabstufungen. Sie wurden deshalb mit großem Volumen von risikoscheuen Investoren sofort zum Verkauf gestellt.9 Einige dürften zu diesen Verkäufen gezwungen gewesen sein, weil sie aufgrund von Vorschriften oder Vereinbarungen in ihren Veranlagungen ein bestimmtes Mindestrating gar nicht unterschreiten dürfen. Die Verkaufsorders trafen an den Anleihemärkten allerdings nur auf eine geringe Aufnahmebereitschaft, so dass es zu den erheblichen Kursverlusten kam. Der Kauf dieser Anleihen zu deutlich gesunkenen Kursen – in Kenntnis des Risikos – kann nun wieder als Spekulation bezeichnet werden, aber ihre Wirkung ist in diesem Gesamtbild eindeutig nützlich, weil sie stabilisierend wirkt. Risiken, die schon in der Welt sind oder 8 Das Bild von den großangelegten Spekulationsattacken gegen den Euro fand eine große Verbreitung in der Medienberichterstattung. Es ist von vielen Ökonomen abgelehnt worden, z.B. Issing (2010a), der darin ein „eklatantes Beispiel für die Verbiegung von Tatsachen“ sieht und für seinen Standpunkt die Überschrift wählte: „Die Mär von der Spekulation“. 9 So stellt denn auch Issing (2010a) die Frage: „Ist es Spekulation zu nennen, wenn Pensionsfonds und Lebensversicherungen versuchen, griechische Anleihen abzustoßen, um Schaden von ihren Versicherten abzuwenden?“. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 7 die es lohnt neu einzugehen, müssen auch getragen werden. Darin liegt die sozial nützliche Funktion, die die Spekulation in einer Marktwirtschaft grundsätzlich hat. Anhaltspunkte für eine destabilisierende Spekulation sind noch weniger zu finden, wenn es um den Wert des Euro an den Devisenmärkten geht. Die Abwertung, die der Euro im Mai 2010 gegenüber dem US‐Dollar erfahren hat, war mit etwa 10 Prozent keineswegs besonders dramatisch und konnte zudem als Korrektur einer Überbewertung gesehen werden.10 Gegenüber einigen anderen Währungen wie dem Japanischen Yen, dem Kanadischen Dollar, dem Austral‐Dollar und dem Schweizer Franken sind die Abwertungen zwar deutlicher ausgefallen, aber im Kontext eines Bestandsgleichgewichts unmittelbar plausibel.11 Finanzaktiva, die in Euro denominiert sind, werden von den Anlegern weltweit kritischer eingeschätzt, insbesondere vor dem Hintergrund der aufgekommenen Zweifel an der Stabilität der Einheitswährung. Die Folge ist, dass der Euro‐Anteil in der Währungsallokation gesenkt wird, was dann zu der Abwertung des Euro an den Märkten führt. Es handelt sich nicht um spekulative Exzesse, sondern um normale Vermögensallokationsentscheidungen. Besonders wichtig ist jedoch, dass diese Abwertungen die wirtschaftliche Lage der Euro‐Mitgliedsländer stabilisiert haben.12 Man kann schlecht argumentieren, dass Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland einer Abwertung bedürfen, und die tatsächlich eingetretenen Abwertungen als Besorgnis erregend einstufen. 2.2. Verschuldungsprobleme und verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit Die aktuelle Krise manifestiert sich am deutlichsten in den Verschuldungs‐ und Finanzierungsproblemen der Krisenländer. Deren Entstehung wurde jedoch maßgeblich begünstigt durch die Schaffung der Einheitswährung. Insoweit handelt es sich auch, wie zu begründen sein wird, um eine Krise des Euro. 10 Jedenfalls relativ zur OECD‐Kaufkraftparität. Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10 und Sinn (2010b), S. 6. 11 Zur Logik von Finanzmarktmodellen z.B. Branson (1977). 12 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 8 Die unmittelbare Folge der Einheitswährung war ein Integrationsschub für die Kapitalmärkte. Bei verschiedenen Wechselkursen impliziert eine länderübergreifende Kreditvergabe immer ein Währungsrisiko, entweder für den Kreditnehmer oder für den Kreditgeber. Nach der Einführung des Euro gab es in dieser Hinsicht keinen Unterschied mehr zwischen einer Kreditvergabe von Bayern nach Hessen und einer von Bayern nach Katalonien. Die zwingende Folge war die weitgehende Angleichung der Nominalzinssätze für Schuldner mit vergleichbarer Bonität. Für die heutigen Krisenländer bedeutete dies, einhergehend mit hohen Kapitalimporten, eine dramatische Senkung der Zinssätze, die belebend auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirkte. In Irland und Spanien wurde die ohnehin schon starke Nachfrage nach Immobilien weiter angeheizt. Verstärkt durch vielfältige Ausstrahl‐ und Multiplikatoreffekte verzeichneten Irland, Spanien und Griechenland innerhalb des Währungsraums im Zeitraum bis 2007 die höchsten Wachstumsraten. Die Kapitalgeberländer, allen voran Deutschland, wiesen die gegenteilige Entwicklung auf. Sie litten unter dem Kapitalentzug, auch wenn ein Teil der wirksamen Nachfrage zu ihnen über die Handelsverflechtung zurückfloss. Deutschland war in Europa über viele Jahre das Land mit dem niedrigsten Wachstum ‐ und gleichzeitig stiegen von Jahr zu Jahr die Leistungsbilanzüberschüsse.13 Da das Ausmaß der Integration der nationalen Arbeits‐ und Gütermärkte, insbesondere auch zwischen den betroffenen Peripherie‐ und den Kernländern, viel geringer ist als das der Kapitalmärkte, änderten sich im Währungsraum die relativen Knappheiten. Der Kreditnehmer entfaltet Güternachfrage, der Kreditgeber verzichtet darauf. Die in den Kapital importierenden Ländern nachgefragten Güter (und Arbeitskräfte) verknappten sich relativ zu denen auf den Märkten der Kapital exportierenden Länder. Folglich kam es zu überdurchschnittlich hohen Inflationsraten und Lohnkostensteigerungen in den Peripherieländern. Dieser Prozess wirkte zudem selbstverstärkend, weil bei weitgehend angeglichenen Nominalzinsen die Realzinsen in diesen Ländern damit niedriger waren als in den Kapital exportierenden Ländern, insbesondere wenn man die enormen Unterschiede in den Preisentwicklungen auf den Immobilienmärkten einrechnet. 13 Dieser Zusammenhang von Wachstumsschwäche und hohen Leistungsbilanzüberschüssen wird immer wieder von Hans‐Werner Sinn thematisiert, vgl. z. B. Sinn (2010b), S. 14ff. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 9 Der damit einsetzende Verlust an Wettbewerbsfähigkeit machte sich solange nicht schmerzhaft bemerkbar, wie der Kapitalzustrom und die Konjunkturbelebung anhielten. Mit dem 2007 einsetzenden Rückgang der Immobilienpreise und insbesondere wegen der Kontraktion der Finanzmärkte nach der Lehmann Pleite änderten sich die Bedingungen allerdings dramatisch. Die Vorzeichen kehrten sich um. Der konjunkturelle Absturz war noch heftiger als in den Kernländern. Die Arbeitslosigkeit stieg von 2007 bis 2009 in Griechenland von ohnehin schon hohen 8,3 Prozent auf 9,5 Prozent, in Spanien von 8,3 Prozent auf 18,0 Prozent und in Irland von 4,6 Prozent auf 11,9 Prozent. Abgesehen von der slowakischen Republik, die erst am 01.01.2009 dem Euro beigetreten ist, wiesen Griechenland, Spanien und Irland zusammen mit Portugal (9,6 Prozent) in 2009 im Jahresdurchschnitt die höchsten Arbeitslosenquoten im Euroraum auf. Diese vier Länder hatten für 2009, also noch vor dem Ausbruch der eigentlichen Euro‐Krise, ebenfalls die höchsten staatlichen Finanzierungsdefizite. Verglichen mit dem Durchschnitt der Europäischen Währungsunion (EWU) von ‐6,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betrug der Finanzierungssaldo für Griechenland ‐15,4 Prozent, für Spanien ‐11,1 Prozent, für Irland ‐14,4 Prozent und für Portugal ‐9,3 Prozent. Spanien und Irland hatten 2007 noch einen positiven beziehungsweise ausgeglichenen Finanzierungssaldo.14 Aus den Ländern mit hohen Wachstumsraten waren plötzlich Krisenländer geworden, die hohe Einbußen bei Einkommen und Beschäftigung zu verzeichnen hatten und die Finanzierungsdefizite aufwiesen, die mit einer soliden Haushaltsführung nicht zu vereinbaren sind. Dies führte zu dem Vertrauensverlust an den Finanzmärkten, beginnend mit Griechenland, das ohnehin schon unter einem sehr hohen Schuldenstand litt. Die Reaktion der Finanzmärkte setzte dann während des Jahres 2010 ebenfalls selbstverstärkend ein. Die Ausweitungen der Risikoaufschläge offenbarten die Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Finanzierung und sie vergrößerten diese Schwierigkeiten, weil die gestiegenen Zinsen die makroökonomische Verfassung und das Vertrauen in die langfristige Zahlungsfähigkeit der Länder weiter schwächten. 14 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011), S. 6*f. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 10 Die Einheitswährung hat nicht nur zur Entstehung dieser Problematik beigetragen, sie erschwert auch die Lösung. Da sich abzeichnet, dass sich die Richtung des Kapitalverkehrs weiter umkehrt, bedürfen diese Länder dringend einer realen Abwertung, um unnötig hohen Rückgängen bei Einkommen und Beschäftigung zu entgehen. Bei flexiblen Wechselkursen würden sich diese Abwertungen auch durch die intendierten Kapitalbewegungen realisieren, wahrscheinlich in heftiger Form. Im System der Einheitswährung gibt es nur zwei Wege der Anpassung, die für Griechenland und Irland auch bereits beschritten werden. Erstens wird die Aufrechterhaltung der Finanzierung der öffentlichen Haushalte der Länder durch die großvolumigen Rettungspakete organisiert, an die Stelle der sich zurückziehenden privaten Kapitalgeber treten öffentliche Institutionen. Damit soll Zeit gewonnen werden für eine geordnete Anpassung mit geringeren Kosten. Es verbleibt jedoch, wenn auch in abgemilderter Form, ein Abwertungsbedarf, der zweitens nur über den Weg der internen Abwertung, also durch die direkte Senkung der in Euro ausgedrückten Güterpreise und Lohnkosten, realisiert werden kann. Dieser Weg ist schwierig und mit hohen Wohlfahrtsverlusten verbunden. Ob er gelingen wird, ist eine offene Frage.15 Die aufgezeigte Problematik ist in der Monetären Außenwirtschaftstheorie wohlbekannt. Sie ist der Gegenstand der Theorie des optimalen Währungsraums. Die zentralen Ergebnisse können leicht zusammengefasst werden.16 Wenn Wirtschaftsräume (Länder oder Regionen) sich auf eine gemeinsame Währung einigen, dann entstehen daraus Erträge und Kosten. Die Erträge liegen hauptsächlich in der Verringerung von Transaktionskosten (z.B. Wegfall von Umtauschkosten und niedrigeren Informationskosten), der Beseitigung von Wechselkursunsicherheiten und der damit einhergehenden Handelsintensivierung. Es ist unmittelbar einsichtig, dass diese Erträge umso höher sind, je stärker die Güter‐ und Arbeitsmärkte integriert sind. Die Kosten einer Währungsunion sind abstrakter, aber jetzt anhand der Situationsschilderung der Krisenländer doch deutlich erkennbar. Sie resultieren aus 15 Vgl. Krugman (2011) (online). 16 In Anlehnung an Krugman und Obstfeld (2003), S. 791‐804. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 2 Die Anatomie der Krise 11 dem Verlust der geldpolitischen Autonomie und der Möglichkeit der Wechselkursänderung. Sie treten immer dann auf, wenn die Mitgliedsländer sich in unterschiedlichen Konjunktursituationen befinden, die eigentlich Wechselkursanpassungen und unterschiedliche Geldpolitiken erfordern würden. Auch diese Kosten sind abhängig vom Ausmaß der Integration der Güter‐ und Arbeitsmärkte. Mit steigendem Integrationsgrad nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine derartige Konstellation immer weiter ab. Bei niedriger Integration können und werden diese kostenträchtigen Situationen aber immer wieder auftreten. Aus alldem folgt, dass während z.B. die Vereinigten Staaten von Amerika zweifellos einen optimalen Währungsraum darstellen, dies für die EWU sehr zu bezweifeln ist, insbesondere wenn es um die Zugehörigkeit der Peripherieländer geht. Bei hoher Integration der Kapitalmärkte und vergleichsweise niedriger Integration der Güter‐ und Arbeitsmärkte droht den Peripherieländern immer ein schwer lösbares Stabilisierungsproblem. 2.3. Schlussfolgerungen für die weitere Analyse Aus den gewonnenen Einsichten in die Anatomie der Krise lassen sich die folgenden Einschätzungen begründet ableiten: 1) Ein völliges Auseinanderbrechen des Euro in die alten Währungen ist sehr unwahrscheinlich. Der politische Wille zur Aufrechterhaltung der Einheitswährung ist klar erkennbar. Die ökonomischen Vorteile der Einheitswährung für die Kernländer werden zudem durch die Krisenereignisse der letzten Jahre nicht in Frage gestellt. 2) Der Verbleib aller Krisenländer in der Währungsunion ist keineswegs sicher. Die Anpassungskosten aus der beabsichtigten internen Abwertung können sich als zu hoch erweisen. Für diesen Fall ist, möglicherweise begleitet von politischen Instabilitäten, mit einer Unterbindung des freien Kapitalverkehrs, einer Einstellung des Schuldendienstes und einem Austritt aus der Währungsunion zu rechnen. Weitere Zuspitzungen des Krisengeschehens sind durchaus wahrscheinlich. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 12 3) Die Regierungen der Euro‐Länder haben schon viel getan und werden noch mehr tun, um die Krisenländer in der Gemeinschaftswährung zu halten. Angesichts der Größenverhältnisse kann dies auch gelingen. Ein Fortbestand der Einheitswährung unter den alten institutionellen Rahmenbedingungen ist bereits hinfällig, die zentrale No‐bail‐out‐Klausel ist bereits außer Kraft gesetzt worden. Für die langfristige Stabilität der Einheitswährung wird es entscheidend sein, dass man sich auf institutionelle Regelungen einigt, die die beschriebene Verschuldungsdynamik verhindern. 3. Szenario 1: Die Auflösung der EWU 3.1. Einleitende Bemerkungen Alles in Europa ist in Bewegung, seitdem die Unruhen in Griechenland und Irland begonnen haben. Kein Szenario wird außer Acht gelassen. Die Prognosen reichen von einer Verschärfung des Stabilitätspaktes, der ständigen Überwachung der einzelnen Staatshaushalte, die Miteinbeziehung der Banken in das Schuldendilemma, die geordnete Insolvenz der Staaten, die Flucht in ein Zweiwährungssystem mit einem harten Euro für die stärkeren Staaten wie Deutschland und Skandinavien und einem weichen Euro für die Südländer bis hin zu einem Zusammenbruch des Euro mit katastrophalem Ausmaß.17 Da stellt sich nun die entscheidende Frage: Welchen dieser Wege wird Europa gehen? Wird es nicht gelingen die Probleme innerhalb der EU zu beheben, rutscht Europa immer weiter in die Euro‐Krise hinein und ein Zusammenbruch des Euro ist längerfristig nicht mehr aufzuhalten. Die anhaltenden Probleme spiegeln sich auch in der Meinung der Bundesbürger wider. Eine Umfrage von Infratest verdeutlicht den Unmut im Volk. Mehr als die Hälfte sieht sich durch den Euro benachteiligt und ist der Meinung, dass der Euro die nächsten Jahre an Stabilität verlieren wird. 57 Prozent der Befragten hätten sogar die D‐Mark beibehalten wollen.18 17 Vgl. Esterhazy et al. (2010), S. 20ff. 18 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 21. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 13 Es ist daher interessant zu durchleuchten, welche Auswirkungen ein möglicher Euro‐ Crash und die Rückkehr zur D‐Mark auf die Exporte und Importe sowie die Finanzmärkte haben, welche auch durch die Umstrukturierung der Wechselkurse und Währungen beeinflusst werden. Hinzu kommen politische Folgen, die Unruhen in Europa und der Welt herbeiführen. Dieser Teil der Arbeit untersucht dieses mögliche Katastrophen‐Szenario, in dem es zu einem Zusammenbruch der EWU kommt. Dabei wird vor allem die Situation Deutschlands betrachtet, in dessen Fall es zu einer Rückkehr zur D‐Mark kommen würde. 3.2. Die Rückkehr zur D‐Mark. Vorwärts in die Vergangenheit. Eine Rückkehr zur D‐Mark bedeutet, Deutschland sucht die Zukunft in der Vergangenheit. Technisch gesehen ist dieser Schritt machbar. Aus ökonomischer Sicht vertretbar. Doch scheinen politische Skrupel ein größeres Hindernis zu sein.19 3.2.1. Eine politische Irrfahrt Bereits Helmut Kohl stellte fest, dass eine Wirtschaftsunion nur dann bestehen kann, wenn sie sich auf eine politische Union stützen kann. Ist dies nicht der Fall, entstehen innerhalb eines gemeinsamen Währungsgebietes gefährliche Ungleichgewichte. Die produktiveren Länder exportieren mehr als sie einführen und die schwächeren Länder rutschen immer stärker ins Defizit. Genau diese Entwicklung war in den letzten Jahren innerhalb der EWU entstanden. Kommt es infolgedessen zu einem Zusammenbruch des Euro, wird der europäische Einigungsprozess um Jahrzehnte zurückgeworfen. Es werden neue Bündnisse geschlossen und eine der größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, der gemeinsame Binnenmarkt, ist bedroht.20 Bricht die Währungsunion, als Aushängeschild der EU zusammen, bröckelt deren Fassade erheblich. Die EU verliert bei einem Scheitern des Euro an politischem und ökonomischen Einfluss und Gewicht in der Welt. Die EZB, als eine der tragenden Säulen innerhalb der EU, ist überflüssig und wird abgeschafft. Darüber hinaus gerät die 19 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 20 Vgl. Fleischhauer et al. (2010), S. 18ff. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 14 EU im Wettstreit mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Asien und Lateinamerika noch stärker unter Druck. So bedeutet der Euro‐Crash nicht automatisch das Ende der EU, jedoch wird ihre Existenz auf eine noch größere Zerreißprobe als bisher gestellt.21 Für Deutschland entstehen politisch gesehen einige Vorteile. Die Bundesbank muss in ihren Zinsentscheidungen keine Rücksicht mehr auf andere Mitgliedsländer nehmen. Dadurch befindet sie sich in der Lage, in Deutschland eine auf die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse zugeschnittene Geldpolitik zu betreiben, die wiederum für stabile Preise sorgt. Darüber hinaus muss Deutschland keine Transfers mehr leisten, um andere Staaten vor einer Misere zu bewahren. Das Geld der deutschen Steuerzahler muss somit nicht mehr zur Sanierung anderer maroder Staatshaushalte verwendet werden, sondern kann hierzulande investiert werden. Die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum sind geschaffen. Aber Deutschland sieht sich auch mit Problemen konfrontiert. Nicht nur die EU wird sich in der Weltpolitik neu orientieren müssen. Auch Deutschland steht diese Aufgabe bevor. Deutschland ist mit seiner Währung nicht mehr an Europa gebunden und muss daher seine politischen Beziehungen neu ordnen.22 Die nachfolgende Darstellung impliziert die Wahrscheinlichkeit, inwieweit eine Rückkehr zur D‐Mark politisch machbar ist. Außerdem wird verdeutlicht, dass dieses Szenario durchaus positive Auswirkungen für Deutschland hat.23 Abbildung 1: Das Szenario D‐Mark [Quelle: Wirtschaftswoche Nr.50 vom 13.12.2010] 21 Vgl. Böschen et al. (2010), S. 20. 22 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 23 Vgl. Abbildung 1, S. 14. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 15 3.2.2. Die Wirtschaftlichen Folgen eines Euro‐Crash 3.2.2.1. Die technische Abwicklung Das Wissen und die institutionellen Voraussetzungen für eine Wiedereinführung der D‐ Mark sind gegeben.24 Die Bundesbank wickelt für die EZB die Offenmarktgeschäfte zur Liquiditätsversorgung der Banken ab und so kann sie problemlos die Wirtschaft mit Geld versorgen. Hinzu kommt, dass sie immer noch Zugriff auf die nationalen Währungsreserven hat. Bis es zur Ausgabe neuer D‐Mark‐Scheine und Münzen kommt kann das in Deutschland hergestellte Euro‐Bargeld als nationales Zahlungsmittel verwendet werden. Das von der Bundesbank hergestellte Euro‐Bargeld kann auf den Geldscheinen durch ein X vor der Seriennummer und auf den Münzen durch den Bundesadler identifiziert werden. Man muss sich nur einmal vorstellen, man steht an einer Kasse im Supermarkt und versucht die Geldscheine und Münzen zu identifizieren, ob irgendwo das besagte X auf dem Geldschein oder der Bundesadler auf der Münze zu finden ist. Genau diese absurde Situation ist doch für den normalen Bundesbürger im Alltag mit einem enormen Zeitaufwand verbunden und somit unvorstellbar.25 Die Überbrückungsphase bis zu einem flächendeckenden Einsatz der D‐Markt wird viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen. Durch hohe Transaktionskosten und die Absicherung von Währungsrisiken entsteht ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Es müssen nicht nur enorme Mengen an neuen Geldscheinen gedruckt oder neuen Münzen geprägt werden, auch der Umtausch von Euro zur neuen D‐Mark bedarf eines enormen logistischen Aufwands. Darüber hinaus muss das alte Euro‐Bargeld vernichtet werden.26 Experten schätzen, dass sich die Kosten hierfür zwischen 12 und 24 Mrd. Euro belaufen. Andererseits entfallen für Deutschland die Kosten für die Transferunion, die sich schätzungsweise auf rund 20 Mrd. Euro pro Jahr belaufen.27 Natürlich hatte man diese Probleme auch bei der Umstellung von D‐Mark zu Euro. Jedoch hatte man für dieses große Projekt über zehn Jahre Zeit. Nun muss dies in Rekordzeit geschehen. Nicht nur der Staat steht vor einer enormen organisatorischen 24 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 25 Vgl. Böschen et al. (2010), S. 20. 26 Vgl. Witte (2010), S. 1ff. 27 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 16 Aufgabe, auch die Bevölkerung muss sich erneut nach so kurzer Zeit wieder umstellen. Händler, Dienstleister und produzierende Unternehmen müssen ihre Preise neu auszeichnen. Rund 55.000 Geldautomaten28, zahlreiche Computer und Kassen müssen neu programmiert werden. Dies alles ist möglich, wird aber enorme Kosten verursachen.29 3.2.2.2. Flexible Wechselkurse treffen auf deutsche Exporte und Importe Sparkapital floss aus Deutschland ab und dadurch erschlaffte das Land. Es wurde nur noch wenig investiert. Dies hatte zur Folge, dass die Inflationsrate und Lohnsteigerungsrate gering waren und die Binnennachfrage erlahmte. Andererseits führte die Preiszurückhaltung zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie. Neben den vielen Belastungen, die der Euro für Deutschland brachte, waren auch positive Effekte vorhanden. Die hohen Exportüberschüsse der Industrie standen im krassen Gegensatz zu den rückläufigen Kapitalexporten.30 Zudem verbesserte die florierende Exportwirtschaft die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt erheblich.31 Kehrt Deutschland nun wieder zur D‐Mark zurück, kommt es zu massiven Kapitalzuflüssen aus dem Ausland. Die D‐Mark wertet auf und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exporteure verschlechtert sich.32 Das Ausland muss mehr der eigenen Währung aufbringen, um das aufgewertete Geld Deutschlands für den Warenkauf zu erhalten. Somit werden die Produkte für das Ausland zwangsläufig teurer, auch wenn sich am Preisniveau Deutschlands nichts ändert.33 Ein lang andauernder Einbruch ist jedoch eher unwahrscheinlich. Ökonomische Studien zeigen, dass der Wechselkurs nicht allein die entscheidende Einflussgröße auf die deutschen Exporte ist. Das liegt daran, dass heimische Unternehmen oft Weltmarktführer in Nischenmärkten sind. Diese vertreiben ihre Produkte vor allem über ihre hohe Qualität und den exakten Zuschnitt auf die variierenden 28 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2010), S. 21. 29 Vgl. Witte (2010), S. 1ff. 30 Vgl. Sinn (2010a), S. 7. 31 Vgl. Witterauf (2010), S. 5. 32 Vgl. Böschen et al. (2010), S. 20. 33 Vgl. Hannich (2009), S. 52. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 17 Kundenwünsche.34 Sollte es jedoch zu einem doch länger eintretenden Exporteinbruch kommen, erhält der Arbeitsmarkt einen heftigen Dämpfer. Unternehmen produzieren weniger und entlassen folglich zwangsläufig Arbeitnehmer. Die Arbeitslosenzahl nimmt zu. Auf Unternehmen kommen Kosten für Wechselkursabsicherungen zu, die sich in Milliardenhöhe befinden.35 Für die Importe hingegen hat die Aufwertung positive Auswirkungen. Für den Staat und die Unternehmen werden Importe attraktiver, da es ihnen möglich ist, im Ausland billiger einzukaufen.36 Rund 42 Prozent der deutschen Exporte bestehen aus importierten Vorleistungen. Durch die Aufwertung der D‐Mark können diese billiger bezogen werden. Die sinkenden Bezugskosten führen zu geringeren Produktionskosten. Die wechselkursbedingte Verteuerung der Produkte für den Export kann somit durch Preiskonzessionen ausgeglichen werden.37 Dadurch wird wiederum die Inflation gedämpft und das Realeinkommen gesteigert.38 3.2.2.3. Auswirkungen auf die Finanzmärkte Die Rückkehr zur D‐Mark ist das momentan unvorstellbarste Szenario für die Märkte weltweit. Zu den großen Verlierern zählen Besitzer von Auslandsvermögen. Aufgrund der hohen Leistungsbilanzüberschüsse in den vergangenen Jahren wurde Deutschland zum Nettoexporteur von Kapital.39 Das Nettovermögen der deutschen Bundesrepublik im Ausland betrug im Jahr 2009 895 Mrd. Euro.40 Zu den beliebtesten Assets zählen Wertpapiere, Immobilien und Beteiligungen. Für jedes dieser Assets, das nun in einer neuen Währung gehalten wird, muss der Wert neu definiert werden. Geht die entsprechende Währung gegenüber der D‐Mark auf Talfahrt, sinkt der Gegenwert des Auslandsvermögens in D‐Mark. 34 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 35 Vgl. Witte (2010), S. 5. 36 Vgl. Hannich (2009), S. 52. 37 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 38 Vgl. Fischer (2010) (online). 39 Vgl. Fischer (2010) (online). 40 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 18 Jedoch nicht nur in diesen Bereichen sondern in jeder weiteren Gläubiger‐Schuldner‐ Beziehung bedarf es einer neuen Definition.41 Hinzu kommt, dass die Finanzmärkte in ein Chaos stürzen. Banken geraten erneut ins Wanken und die Gefahr einer weiteren Finanz‐ und Wirtschaftskrise entsteht. Alle großen deutschen Banken halten Staatsanleihen anderer EU‐Staaten in Euro. Kehren alle Staaten zu ihrer ehemaligen nationalen Währung zurück, zahlen die Länder ihre Schulden in Drachme, Lira oder Peseta zurück. Dies ist ein ernsthaftes Problem für deutsche Banken. Denn für Investoren ist die D‐Mark attraktiv und infolgedessen kommt es an den Devisenmärkten zu einer starken Aufwertung der D‐Mark. Währungen wie die Drachme oder Lira sind dann deutlich weniger wert. Die Banken haben enorme Schuldenausfälle und kommen erneut ins Wanken. Fonds und Privatleute haben viel im Ausland investiert und müssen mit enormen Ausfällen rechnen. Versicherungsgesellschaften sind ebenfalls betroffen. Denn bei einer abgeschlossenen Lebensversicherung ist ebenfalls fraglich, in welcher Währung sie später ausbezahlt wird. Denn entscheidend ist dabei die Frage: Gilt nun die Währung des Gläubigers oder die des Schuldners? Nehmen wir an, eine deutsche Bank hat an ein italienisches Unternehmen einen Kredit vergeben. Wird dieser Kredit nun in D‐Mark geführt, ist dies für das italienische Unternehmen existenzbedrohend, da die D‐Mark, wie erwartet, stark aufwerten muss. Das italienische Unternehmen muss größere Beträge seiner eigenen Währung aufbringen um den Kredit in D‐Mark zurückbezahlen zu können. Dazu ist es jedoch nicht in der Lage. Für die deutsche Bank entsteht dadurch wiederum ein gewaltiges Ausfallproblem. Betrachtet man allerdings die entgegengesetzte Situation und der Kredit wird in Lira geführt, entsteht ein direkter Abwertungsbedarf bei der deutschen Bank. So wird deutlich, dass eine derartige Neudefinition der Gläubiger‐Schuldner‐Beziehung immer zu drastischen Nachteilen für eine der Parteien führt.42 41 Vgl. Fischer (2010) (online). 42 Vgl. Witte (2010), S. 4. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 19 Die Zinssituation für Deutschland verbessert sich. Jahrelang haben sich die Euro‐Länder der niedrigen Zinsen bedient, die ihnen eine scheinbar sichere Währungsunion bot. Nun werden für jedes Land wieder individuell die Zinsen bestimmt. Wie sich aus Abbildung 2 ableiten lässt, kehren für schwächere und instabilere Länder wieder höhere Zinsaufschläge zurück.43 Abbildung 2: Entwicklung der Zinssätze für 10jährige Staatsanleihen der Eurostaaten [Quelle: Sinn (2010b), S. 7] Deutschland hingegen kommt wieder in den Genuss niedrigerer Zinsen, denn in ein sicheres Land strömt viel Kapital. Das macht Kredite für Unternehmen und Privatleute günstiger. Unternehmen können Investitionen tätigen und Privatleute können sich mehr leisten und stärken dadurch die Kaufkraft.44 Für Spekulanten wird es durch die Rückkehr zu flexiblen Wechselkursen schwieriger, Wetten abzuschließen. Sie können sich nie sicher sein, ob es nicht doch zu einer Gegenbewegung kommt. Die Wechselkurse tragen somit zu mehr Gleichgewicht und Stabilität bei.45 43 Vgl. Sinn (2010a), S. 5. 44 Vgl. Nienhaus (2010), S. 4. 45 Vgl. Hannich (2010), S. 61. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 3 Szenario 1: Die Auflösung der EWU 20 3.3. Fazit Dieses Szenario ist das wohl unvorstellbarste von allen, die zur Auswahl stehen. Dementsprechend geht die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Zusammenbruchs der EWU gegen null. Die Politik mit ihren obersten politischen Führungskräften ist sich einig, dass das Großprojekt „Euro“ mit allen Mitteln gerettet werden muss. Prinzipiell ist eine Rückkehr zur D‐Mark technisch machbar und würde sicherlich auch vom Volk mitgetragen werden. Es wäre jedoch eine riesige Gefahr für die seit Jahrzehnten bestehende EU, wenn eines der stärksten Mitgliedsländer und womöglich als Kettenreaktion noch mehr Staaten aus dem Euro austräten. Deutschland muss für sich abwägen, ob ein Verbleib in der EWU für das eigene Land tragbar ist, wenn immer mehr Schuldenfälle hinzukämen und man als starker Mitgliedsstaat für diese Schulden mit aufkommen müsse. Der Brand in Europa muss gelöscht werden. Nur dann kann der Euro zur alten Stärke zurückgelangen und die Debatte über eine Rückkehr zur D‐Mark wird im Keim erstickt.46 Der in Kraft getretene Rettungsschirm scheint zunächst zu genügen. Einer erneuten Finanz‐ und Wirtschaftskrise mit Bankenzusammenbrüchen ist vorgebeugt. Schafft man es an den fiskalpolitischen Regeln der Euro‐Zone Veränderungen zu schaffen, ist die Rettung des Euro möglich und eine Rückkehr zur D‐Mark nicht mehr nötig.47 Beide Seiten bringen für Deutschland Vorteile. Durch den Euro entfällt das Wechselkursrisiko und bei Reisen in ein Euro‐Land der Währungsumtausch. Der Export profitiert durch den einheitlichen Währungsraum ebenfalls. Die D‐Mark würde Deutschland wieder ein Stück Unabhängigkeit zurückgeben. Es könnte seine Geld‐ und Zinspolitik durch die Bundesbank wieder selbst steuern. Trotz eines Dämpfers für die Exportbranche, durch die Aufwertung der D‐Mark kann dieses Defizit durch günstigere Importe ausgeglichen werden. Doch bleibt das Problem der neuen Definition einer Gläubiger‐Schuldner‐Beziehung. Legt man die Parität vor der Einführung des Euro fest oder kreiert man neue Paritäten? Dies ist eine entscheidende Frage und kann nicht ohne Weiteres beantwortet werden, da sie auf alle Beteiligten enorme Auswirkungen 46 Vgl. Fleichhauer et al. (2010), S. 1ff. 47 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 21 hätte. So bleibt festzuhalten, dass die Rückkehr zur D‐Mark ein absurdes und unvorstellbares Szenario mit katastrophalen Folgen ist, bei dem die Politik alles Menschenmögliche tun wird, um dieses zu vermeiden. 4. Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU Im Folgenden wird die Möglichkeit betrachtet, dass ein Land durch Austritt aus der Währungsunion den Euro als Währung verliert. Im ersten Fall wird beispielhaft für ein schwaches Land Griechenland betrachtet. Im zweiten Beispiel tritt Deutschland, als Beispiel für eines der starken Länder der Union, freiwillig aus und kehrt zu seiner alten Währung zurück. 4.1. Griechenlands unfreiwilliger Austritt Griechenland steht, wie viele weitere Mitglieder der Eurozone, vor immensen Zahlungsschwierigkeiten. Das Land weist ein hohes Leistungsbilanzdefizit und fehlendes Wirtschaftwachstum auf.48 Die Missstände können durch die Zugehörigkeit zum Euro nicht durch Abwertung ausgeglichen werden.49 Die No‐bail‐out‐Klausel sieht vor, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten der Währungsunion nicht gegenseitig für Schulden aufkommen.50 Da Griechenland nun aber in der Situation ist, dass es die vorhandenen Schulden in dieser Weise nicht weiter tragen kann und kein anderes Land dafür einstehen will, beziehungsweise darf, wird Griechenland aus der Währungsunion ausgeschlossen. Aufgrund der Verstöße gegen den Maastricht‐Vertrag51 sehen sich die Eurostaaten bemächtigt, diesen Schritt in Hinblick auf eine Stabilisierung und Rettung des Euro durchzusetzen. 48 Griechenland weist 2007 einen Leistungsbilanzsaldo von ‐32,4 Mrd. Euro auf; Deutschland im Vergleich 184,1 Mrd. Euro. Vgl. hierzu Eurostat (2009), S. 20. 49 Vgl. Meyer (2009a), S. 218. 50 Vgl. Meyer (2009b), S. 3. 51 Der Vertrag von Maastricht beinhaltet, dass ein Land eine Defizitquote unter 3 Prozent des BIP, eine Schuldenstandsquote unter 60 Prozent des BIP und eine Inflationsrate, die maximal 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der stabilsten drei Länder der Währungsunion liegt, haben muss. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 22 Den griechischen Bürgern ist bewusst, dass die Einführung eines Neä Drachmä52 (ND) eine große Abwertung gegenüber dem Euro mit sich bringen wird und sehen ihr Vermögen durch den Rücktausch der Währung in Gefahr.53 Um ihr Geld nicht zu verlieren, lässt sich die griechische Bevölkerung den Großteil ihres Geldes in Euro auszahlen, solange die neue Währung noch nicht eingeführt ist. Der immense Bank‐ Run nimmt unerwartet hohe Maße an und griechische Banken kommen in ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten. Das Finanzsystem kann dem Ansturm nicht standhalten und etwa ein Drittel der griechischen Banken steht vor der Insolvenz. Die griechische Zentralbank nimmt eine Ungleichbehandlung der Umtauschsätze in Abhängigkeit zur Art der Euroforderung vor. Staatsanleihen werden gegenüber Bargeld und Spareinlagen zu einem wesentlich geringeren Kurs umgetauscht, um die Regierung finanziell zu entlasten. Es wird nur wenig Geld in die neue Währung gewechselt, wodurch mehr Geld in der Eurozone verbleibt als vorgesehen war und der Inflationsdruck wächst. Dem Staat gelingt keine vollständige Tilgung der Schulden gegenüber dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) und die EZB behält im Gegenzug die griechischen Anteile.54 Griechenland gewinnt als Urlaubsland wieder an Attraktivität gegenüber der Türkei, da die Preise wieder erschwinglicher werden. Im Gegenzug dazu werden Importe für Griechenland zunehmend teurer und die Bevölkerung beschließt, mehr und mehr inländische Produkte zu konsumieren. Die inländische Ökonomie wird zusätzlich angekurbelt.55 Die griechische Regierung kündigt an, jegliche Auslandschulden zu annullieren, um einen Neustart erfolgreich anstreben zu können.56 Das insolvente Land will Schulden, die in Staatsanleihen verbrieft sind, nicht zurückzahlen und die Zinszahlungen einstellen. Finanzielle Verpflichtungen im griechischen Inland werden mit Hilfe des Umrechnungskurses verrechnet, wie es bei einer Währungsreform innerhalb eines Landes üblich ist. Forderungen zwischen In‐ und Ausländern, in diesem Fall zwischen Griechenland und der Eurozone, die bisher in Euro notierten, stehen vor dem Problem, dass es auf 52 Die Neä Drachmä bezeichnet hier eine fiktive, neu eingeführte Währung in Griechenland. 53 Vgl. Meyer (2009b), S. 5. 54 Vgl. Meyer (2009b), S. 5f. 55 Vgl. Elsässer (2010), S. 56. 56 Vgl. Elsässer (2010), S. 56. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 23 griechischer Seite eine neue Währung, den ND gibt, während auf der anderen Seite der Euro steht. Da hier aus griechischer Sicht ein Wechsel der Währung vorliegt, bleibt die Forderung weiter in Euro bestehen. Dies führt unweigerlich zu einem Fremdwährungskredit, beziehungsweise zu einer Anlage in Fremdwährung. Das daraus resultierende Währungsrisiko ist nicht unerheblich und der griechische Vertragspartner verzeichnet durch die enorme Abwertung des ND gegenüber dem Euro hohe Verluste. Zahlreiche Banken und Importeure kommen in 57 Liquiditätsschwierigkeiten, die sie letztendlich in die Insolvenz treiben. Nachdem Griechenland erfolgreich aus der EWU entlassen wurde, überlegen weitere Schwachwährungsländer wie Italien, Irland oder Portugal, ob es ihnen Vorteile verschaffen könnte, die Eurozone zu verlassen. Es folgen einige Austritte zahlungsschwacher Länder, was die gleichen Folgen wie im beschriebenen Beispiel Griechenlands mit sich zieht. Durch den Austritt jeglicher schwacher Länder bleibt ein harter Kern übrig. Die Zone, auch als Hartwährungs‐Eurozone zu bezeichnen, ist ausgezeichnet durch hohe Handelsüberschüsse und hat gute Chancen als stabile und angesehene Währung gegenüber Währungen wie dem Dollar zu bestehen.58 Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Austritt für Griechenland nicht die schlechteste Variante darstellt. Argentinien beispielsweise stand 2001/2002 vor einer ähnlichen Situation: Das Land war hoch überschuldet, während der Peso an den Dollar angebunden war. Das verhinderte eine eigene Wechselkursfestsetzung. Erst nachdem diese Verbindung gelöst wurde, gewannen argentinische Exporte wieder an Bedeutung, weil der Peso stark gegenüber dem Euro und dem Dollar abwertete und die argentinische Wirtschaft sich wieder erholen konnte.59 Für die verbleibenden Mitgliedsstaaten hat es sich in jedem Falle günstiger erwiesen, die Kosten des griechischen Ausschlusses zu tragen, als alternativ hohe Wohlfahrtsverluste verzeichnen zu müssen. Das wäre durch eine Fortführung der Währungsunion inklusive Griechenland eingetreten. Es stellt sich die Frage, ob es bei der Zusammenstellung der Eurozone überhaupt sinnvoll war, so unterschiedlich starke Volkswirtschaften vereinheitlichen zu wollen. Eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass die schwachen Länder wie Griechenland früher oder später dem Druck nachgeben müssen.60 57 Vgl. Meyer (2009b), S. 6. 58 Vgl. Elsässer (2010), S. 63. 59 Vgl. Elsässer (2010), S. 55f. 60 Vgl. Elsässer (2010), S. 57. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 24 4.2. Deutschland zieht die Notbremse – ein mögliches Austrittsszenario Die neu eingeführten Eurobonds, die einen einheitlichen Zins für alle Staatsanleihen der Eurozone aufweisen, verteuern die Staatsrefinanzierung für Deutschland. Der Bund muss für die Eurobonds einen wesentlich höheren Zinssatz bezahlen, als für die eigenen Bundesanleihen. Die Transferunion, in der starke Staaten, wie Deutschland, die finanziell schwachen unterstützen und mittragen,61 treibt die Regierung zu dem Entschluss, die Währungsunion zu verlassen. Zu stark ist der Druck der von Seiten der EU‐Nachbarn auf der deutschen Staatskasse lastet. In Deutschland setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass die eingetretenen institutionellen Aufweichungen (Transferunion, Eurobonds, Instrumentalisierung der EZB) eine Rückkehr zu einer soliden Haushaltspolitik nahezu unmöglich machen. Durch geeignete Maßnahmen gelingt es der Deutschen Bundesbank, den Umtausch von Bargeld und Einlagen auf die Gebietsansässigen zu beschränken.62 Die Bundesbank versorgt die Geschäftsbanken nach dem Austritt mit ausreichend Liquidität. Sie hat Zugriff auf nationale Währungsreserven von etwa 150 Mrd. Euro und schafft es, innerhalb kürzester Zeit die neuen D‐Mark‐Scheine zu drucken und die Münzen zu prägen. Die deutsche Bundesbank setzt eine geeignete Geldpolitik durch, die zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten im Land passt. Die Wirtschaft wird dadurch weiter gestärkt und Steuergelder werden nicht mehr wie bisher in der Eurozone verteilt, um andere Mitglieder zu unterstützen, sondern werden dazu verwendet, um die heimische Wirtschaft weiter anzukurbeln.63 Durch Rückgabe des Euro löst die Bundesbank inländische Verbindlichkeiten gegenüber der ESZB ab und überträgt diese auf sich. Die Anteile an der EZB gehen wieder auf die deutsche Institution über. Die verbleibenden Eurobestände werden am freien Kapitalmarkt angelegt, was für die verbleibende Union zu unangenehmen, inflationären Auswirkungen führt.64 Die D‐Mark wertet gegenüber dem Euro deutlich auf und die deutsche Exportleistung geht zurück. Der Einbruch verläuft jedoch nicht proportional zur Aufwertung des Außenwertes der Währung. Er beläuft sich nur auf etwa die Hälfte dessen, was die D‐ Mark aufwertet. Den deutschen Exporteuren kommt es zugute, dass sie Produkte auf 61 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 62 Vgl. Meyer (2009a), S. 220f. 63 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 64 Vgl. Meyer (2009a), S. 221. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 25 dem Markt haben, die auf Grund hoher Qualität und Kundenwunschnähe auch bei höheren Preisen exportiert werden können und konsumiert werden. Außerdem verbilligt die starke D‐Mark Importe, die zu einem großen Teil als Vorleistungen in Exportprodukte in Deutschland einfließen. Unternehmen haben damit die Möglichkeit, die Verteuerung ihrer Produkte bei Lieferung ins Ausland teilweise auszugleichen.65 Der Euro wertet nach dem Austritt Deutschlands aus der Eurozone ‐ als eines der tragenden Ländern ‐ gleichzeitig auch gegenüber wichtigen Währungen wie dem Dollar oder dem Yen gründlich ab. Die Exportzahlen in der bestehenden Währungsunion gehen nach oben und das BIP steigt. Die Chance für deutsche Unternehmen, ihre Produkte auf diesem Markt zu platzieren, erhöht sich, da der Wohlstand steigt. Während die allgemeine Stimmung im Land positiv wird, erleiden einige Bürger und Investoren einen unangenehmen Dämpfer: Jegliches Auslandvermögen verliert an Gegenwert, da Anlagen in der Eurozone weiterhin in Euro notiert bleiben. Das Währungsrisiko konkretisiert sich durch die starke Abwertung des Euro gegenüber der D‐Mark. Die Kosten für den Währungsumtausch und die Absicherung von Wechselkursrisiken belaufen sich auf 12 bis 24 Mrd. Euro, was immer noch etwa 6 Mrd. Euro unter den Kosten liegt, die Deutschland in einer fortbestehenden Transferunion hätte zahlen müssen.66 Ohne Zweifel bringt der Austritt aus der Währungsunion hohe Kosten für Deutschland mit sich. Jedoch stellt es sich für Deutschland in jedem Fall günstiger dar, die D‐Mark wieder einzuführen, anstatt die Eurozone in dieser Weise fortzuführen und dauerhaft andere Staaten über die EU und die EWU mitzufinanzieren.67 4.3. Die Idee eines Nord‐ und eines Süd‐Euro Die Möglichkeit, die lange in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Eurozone in eine starke und eine schwache Hälfte aufzuteilen, nämlich in einen Nord‐ und einen Süd‐ Euro, findet sich in den beiden Szenarien wieder. Zwar gibt es zweifellos jeweils nur einen Euro, da im Endeffekt nur eine Eurozone bestehen bleiben wird, jedoch lässt sich feststellen, dass sich die verbleibende Zone je nach Szenario unterscheidet. Im Falle des Ausscheidens von Griechenland und weiteren schwachen Ländern wie beispielsweise Irland oder Italien, verbleibt ein starker Euro, ein sogenannter Nord‐ Euro. Die Währungen der ausgeschiedenen Staaten werten demgegenüber ab, wie es 65 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 66 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 67 Vgl. Elsässer (2010), S. 64. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 4 Szenario 2: Der Austritt eines Landes aus der EWU 26 im Nord‐Süd‐Euro Fall zum Tragen käme. Nur das hier jede einzelne Währung abwertet. Im anderen Szenario, in dem starke Länder, allen voran Deutschland, austreten, weist der Euro typische Merkmale eines schwachen Süd‐Euros auf. Er wertet ab und die Währungen der freiwillig ausgetretenen Staaten verhalten sich wie der oben genannte Nord‐Euro. Die jeweils einhergehenden Konsequenzen auf Import und Export ergeben sich aus den Erläuterungen im Teil der Austrittsszenarien. 4.4. Fazit Die unüberschaubaren Risiken, die die beiden möglichen Austrittsszenarien in sich bergen, verdeutlichen, dass wahrscheinlich einiges unternommen werden wird, um dies zu verhindern. Dennoch kann der Eintritt dieses Szenarios nicht komplett ausgeschlossen werden. Die Frage danach, ob es überhaupt rechtmäßig ist, aus der EWU auszutreten, lässt sich mit Artikel 50 (1), EU‐Vertrag beantworten. Ein freiwilliger Austritt aus der EU und somit automatisch aus der EWU ist jederzeit möglich.68 Solange Griechenland und weitere schwache Länder in der Währungsunion sind, und deren Zinsen steigen, wodurch auch die Zinsen vieler weiterer Staaten der Union steigen, fließt vermehrt Kapital in die Eurozone. Die resultierende Aufwertung des Euro führt unweigerlich zu Exportschwierigkeiten. Man spricht hierbei von Wechselkurs‐ Crowding‐Out. Zu verhindern wäre dieser Trend durch den Ausschluss der nahezu insolventen Mitglieder, zum Schutz der Stabilität.69 Der Ökonom Volker Nitsch beobachtet, dass der Zusammenbruch von Währungsunionen meistens dann in Frage kommt, wenn der politische Konsens und der Wille zu einer gemeinsamen Währung nicht mehr bestehen. Seit Ende des 2. Weltkriegs kam es demnach bereits 69 Mal vor, dass ein Land eine Währungsunion verlassen hat.70 Sollte es den schwachen Mitgliedsstaaten einerseits nicht gelingen, ihre Haushalte in angemessener Zeit zu sanieren und wieder wettbewerbsfähig zu werden, oder auf der anderen Seite der finanzielle Druck auf die starken Mitglieder zumutbare Grenzen 68 Vgl. EU‐Vertrag von Lissabon, Artikel 50 (1). 69 Vgl. Meyer (2009b), S. 5. 70 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 27 überschreiten,71 ist es durchaus denkbar, dass es zu einem der dargelegten Szenarien kommen wird. 5. Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU Die Szenariobetrachtungen der beiden vorangegangenen Kapitel haben verdeutlicht, dass die Auflösung und der Austritt aus der EWU keine praktikablen Optionen darstellen, da mit beiden Varianten dramatische ökonomische Verwerfungen in Verbindung mit hohen Kosten für die gesamte EWU einhergingen.72 Doch nicht nur die Kapitulation vor den aufgezeigten Szenarien lässt die Euro‐Mitgliedsländer an der Gemeinschaftswährung festhalten. So konstatiert Sinn (2010), dass der Euro für Europa unersetzlich sei, und betont seine Bedeutung für die wirtschaftliche und politische Integration Europas.73 Allerdings sei die Konstruktion der Eurozone zu überdenken74 und das institutionelle Regelwerk der EWU anzupassen,75 um der erodierenden Wettbewerbsfähigkeit einzelner Staaten sowie der mangelnden Haushaltsdisziplin entgegenzutreten und so künftigen Krisen vorzubeugen. Von Seiten der Politik sowie seitens zahlreicher Ökonomen wird in diesem Rahmen eine Vielzahl von Vorschlägen zur Reformierung der Währungsunion zur öffentlichen Diskussion gestellt. Dabei reicht das Spektrum der Vorschläge von einer Insolvenzordnung für Staaten über Eurobonds bis hin zu einer dauerhaften Einrichtung der Rettungsfonds,76 um nur einige prominente Reformvorschläge zu nennen. Trotz der Vielfalt dieser Vorschläge, unterscheiden sich alle Reformvorschläge ohne Berücksichtigung der Details in zwei Grundtendenzen: • zum einen eine institutionelle „Aufweichung“ der Währungsunion, die durch eine Betonung des Transfergedankens und eine dadurch resultierende Solidarhaftung der Euro‐Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, und 71 Vgl. Fischer, Krumrey, Pickartz (2010), S. 20ff. 72 Vgl. auch Hüther (2010), S. 4; Meyer (2009a), S. 218‐221. 73 Vgl. Sinn (2010b), S. 1. 74 Vgl. Sinn (2010b), S. 1. 75 Vgl. Brüderle (2010), S. 3; vgl. Issing (2010b), S. 14. 76 Vgl. u.a. Fuest et al. (2010), S. 10; Hüther (2010), S. 6; Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 25. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU • 28 zum anderen eine institutionelle „Stärkung“ der EWU durch die Einführung einer Insolvenzordnung für Staaten mit einem erheblichen Forderungsverzicht für die Gläubiger der Schuldenstaaten in Verbindung mit einer Stärkung der fiskalischen Haushaltsdisziplin der Eurostaaten. In diesem Kapitel werden die zwei Reformtendenzen sowie die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken aufgezeigt. Dabei soll insbesondere die Rolle der Rettungsfonds und des Stabilitäts‐ und Wachstumspakts (SWP) herausgearbeitet und die Auswirkungen auf die Märkte dargestellt werden.77 Ziel dieses Kapitels ist es nicht, die spezifischen Reformvorschläge und ihre Variationen zu analysieren und zu bewerten. Auch soll keine Analyse der rechtlichen Durchführbarkeit der Reformen vorgenommen werden. 5.1. Institutionelle „Aufweichung“: Der Weg in die Transferunion Laut Otmar Issing (2010b) handelt es sich bereits unweigerlich um einen Transferfall, „wenn Kredite nicht angemessen verzinst beziehungsweise voll zurückgezahlt werden“78. Diese Definition zugrunde legend, sind die Kredite, die den Staaten Griechenland und Irland seitens der Mitgliedsländer der EWU gewährt wurden, bereits als Transferzahlungen zu klassifizieren, da die Verzinsung dieser Kredite deutlich unter den am freien Markt verlangten Zinsen liegt.79 Folglich befindet sich die EWU schon auf dem Weg in die Transferunion.80 Ob dieser Weg weiterhin bestritten wird, hängt davon ab, welche Folgeregelungen im Anschluss an das Auslaufen der Rettungsfonds im Mai 2013 getroffen werden. Viele der vor allem von der Politik geforderten Reformen beinhalten die Stärkung und Vertiefung der Hilfsmaßnahmen, die den Schuldenländern 77 Es wird darauf verzichtet, die Rolle der Rettungsfonds im Aufweichungsansatz als eigenes Unterkapitel zu behandeln, da die Rettungsfonds und ihre Stärkung bereits im Kapitel 5.1 thematisiert werden. 78 Vgl. Issing (2010b), S. 14. 79 Vgl. Oldag (2010) “Die Zinsen, die Irland für die Kredite zahlen muss, dürften um die fünf Prozent liegen. Das ist unterhalb der Marktzinsen, die Dublin gegenwärtig zahlen muss, und entspricht in etwa den Zinsen, die auch Griechenland jetzt für die EU‐Hilfe zahlt.“. 80 Vgl. hierzu auch Fahrholz (2011), S. 13. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 29 in den Krisenzeiten eingeräumt wurden.81 Die Umsetzung dieser Reformen, ohne eine begleitende Insolvenzordnung, würde die Solidarhaftung innerhalb der EWU und somit den Weg in die Transferunion perpetuieren.82 5.1.1. Zielsetzungen der institutionellen Aufweichung Die Motivation zur Implementierung einer Transferunion liegt in der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit der hoch verschuldeten Euroländer. Es soll gewährleistet werden, dass kein Gläubiger dieser Länder einen Zahlungsausfall verzeichnet. Ein Zahlungsausfall eines Eurostaates hätte zur Folge, dass dem zahlungsunfähigen Staat der Zugang zum Kapitalmarkt erschwert, wenn nicht gar vollständig verweigert würde, da die Marktteilnehmer nicht mehr bereit wären, dem Staat Kapital zur Verfügung zu stellen.83 Durch die finanziellen Hilfen sollen folglich der Kapitalmarktzugang und somit die Refinanzierungsmöglichkeiten des hoch verschuldeten Eurostaates gesichert werden. Gleichzeitig sollen die auseinander driftenden Zinsaufschläge für Anleihen solventer Euromitglieder, wie Deutschland, und Anleihen ihrer hoch verschuldeten Nachbarn, wie Irland und Griechenland, eingedämmt werden.84 Dies würde die Refinanzierungskosten für hoch verschuldete Staaten senken und ihre finanziell angespannte Lage entlasten. So soll eine Ausweitung der Krise auf andere, als unsolide geltende Mitgliedstaaten der EWU vermieden werden.85 Von Seiten der Politik, insbesondere von der französischen Regierung, wurden die Rettungspakete auch deshalb als notwendig erachtet, um eine Bankenkrise und ein 81 Dazu zählen u.a. der Vorschlag der EZB einer dauerhaften Institution für Krisenmanagement zur Bereitstellung von Krediten der letzten Zuflucht für insolvente Euroländer sowie die unbegrenzte Prolongation der bereits bestehenden europäischen Rettungsfonds, aber auch die Emission sogenannter Eurobonds. 82 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10; vgl. Issing (2010b), S. 14; vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 25. 83 Vgl. Berensmann (2010), S. 13; vgl. Willgerodt (2010), S. 22. 84 Vgl. Abbildung 3, S. 19. 85 Hier werden vor allem Portugal, Spanien und Italien gehandelt, die bereits merklich erhöhte Zinsaufschläge auf ihre Anleihen verzeichnen. Zwar werten Kühl und Ohr ein „Überschwappen der Vertrauenskrise“ auf diese Staaten als „nicht ökonomisch zwingend“; sie führen jedoch an, dass ein Anstieg der Risikoaversion in Kombination mit Umschichtungseffekten, bedingt durch einen Zahlungsausfall eines Eurolandes, die Situation in diesen Staaten deutlich verschärfen könnte, vgl. Kühl/Ohr (2010), S. 22. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 30 Erliegen des Interbankenmarktes zu vermeiden.86 Denn gerade französische und deutsche Banken halten große Bestände an griechischen und irischen Staatsanleihen87 und müssten bei einem Zahlungsausfall dieser Staaten erhebliche Abschreibungen auf diese Papiere vornehmen, was schlimmstenfalls zu Liquiditätsstörungen dieser Banken führen könnte.88 Des Weiteren argumentieren die Befürworter dieser Reformtendenz, dass durch eine kurzfristige Stabilisierung der Märkte und die durch die Zinssenkung bedingte Entlastung der hoch verschuldeten Staaten ein schnellerer Abbau ihrer Defizite ermöglicht89 und Zeit für strukturelle Reformen gewonnen würde. Abbildung 3: Forderungen ausländischer Banken gegenüber den Staaten Spanien, Griechenland, Portugal und Irland [Quelle: Sinn (2010b), S. 4] 5.1.2. Risiken der institutionellen Aufweichung Kritiker einer Transferunion halten jedoch dagegen, dass die Geschichte des IWF das Argument widerlege, dass die Entlastung durch die finanziellen Hilfen dazu genutzt werde, strukturelle Reformen einzuleiten. So führen Kämmerer und Schäfer (2010) an, 86 Vgl. Sinn (2010b), S. 4. 87 Vgl. Abbildung 4, S. 30. 88 Vgl. Kühl, Ohr (2010), S. 21. 89 Fuest et al. (2010) stellen diese Argumentation der Befürworter der Rettungspakete dar, vgl. S. 10. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 31 dass Kredite des IWF, die insolventen Staaten in der Vergangenheit gewährt wurden, „vielfach nicht zur Stabilisierung, sondern zum Herauspauken privater Gläubiger“90 verwandt wurden, und auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie („Wissenschaftlicher Beirat“) gibt zu bedenken, dass die Auflagen zur Durchführung struktureller Reformen, an die die finanziellen Hilfen für die hoch verschuldeten Staaten geknüpft wurden, meist nur in der akuten Krise eingehalten würden. Mittelfristig bestünde die Gefahr des Rückfalls in staatliches Fehlverhalten und Sorglosigkeit bei der privaten Geldanlage.91 Zahlreiche Ökonomen vertreten daher die These, dass der Weg in die Transferunion keine Lösung der Probleme der Schuldenländer darstelle und, entgegen der Intention der Rettungspakete, zu einer Abnahme der Finanzmarktstabilität führen würde.92 Im Folgenden soll die Begründung dieser These durch die mit einer Transferunion einhergehenden ökonomischen, geldpolitischen, sozialen und politischen Risiken aufgezeigt werden. Als größte Risiken innerhalb einer Transferunion werden das Moral Hazard und die dadurch implizierten negativen ökonomischen Folgen benannt.93 Dabei bezieht sich die Gefahr eines Moral Hazards bei einer Transferunion sowohl auf die Schuldnerseite, in diesem Fall die Staaten der EWU, als auch auf ihre privaten Gläubiger. Durch die Existenz einer Haftungsgemeinschaft würden sich die gestiegenen Zinsaufschläge für die bonitätsschwachen Euroländer zurückbilden und sich deren Zinskonditionen vergünstigen. Dies hätte zur Folge, dass in den Schuldenstaaten der Druck zur Konsolidierung der Haushalte schwinde und ein Anreiz für diese Staaten bestehe, sich noch exzessiver zu verschulden.94 Diese Fehlanreize würden auch in den bislang als solide angesehenen Eurostaaten die Tendenz zu unsolider Haushaltsführung befördern,95 da eine solide Haushaltsführung nicht belohnt, sondern vielmehr bestraft würde, indem die soliden Staaten den größten Teil der Hilfen aufbringen müssten. Sinn (2010) sieht durch die Prolongation und Stärkung der Rettungsfonds gar das Ende der 90 Kämmerer/Schäfer (2010), S. 12. 91 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 13. 92 Vgl. Paulus (2010), S. 9; vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 25. 93 Vgl. z.B. Blankart, Fasten (2010b), S. 762 oder Fuest et al. (2010), S. 10. 94 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10; vgl. Weber (2010), S. 559. 95 Vgl. Blankart, Fasten (2010b), S. 762; vgl. Issing (2010b), S. 14; vgl. Kühl, Ohr (2010), S. 22f. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 32 fiskalischen Haushaltsdisziplin gekommen.96 Aber auch die privaten Gläubiger würden innerhalb einer Transferunion zu Sorglosigkeit bei der Geldanlage angetrieben, da sie selbst bei der Investition in dubiose Schuldenstaaten keinen angemessenen Risikoaufschlag einpreisen müssten. Sie könnten sich darauf verlassen, dass durch die Solidarhaftung die anderen Eurostaaten für die Verbindlichkeiten der bonitätsschwachen Mitgliedsländer einstünden. Dies käme einer Kostenüberwälzung zulasten solider Mitgliedsländer und einer Sozialisierung des Ausfallrisikos der Schuldenstaaten gleich.97 Die Profiteure einer Transferunion sind somit, neben dem insolventen Staat, die Eigentümer seiner Staatsanleihen,98 insbesondere Banken, da sie trotz hohem Risiko keine Wertberichtigungen auf die Anleihen in ihrem Portfolio vornehmen müssten. In diesem Zusammenhang würde der Boden für enorme Spekulationsgewinne gelegt. Anleger, die vor der Verständigung auf eine Folgeregelung für die Zeit nach Auslaufen der Rettungspakete Anleihen der Schuldenstaaten zu einem niedrigen Kurs ankaufen, würden bei einer Vollabsicherung der Verbindlichkeiten dieser Staaten im Rahmen einer Transferunion erhebliche Vermögensgewinne erzielen.99 Die geschilderten Fehlanreize für bereits stark verschuldete Euroländer sowie für private Gläubiger hätten erhebliche Auswirkungen auf den Anleihemarkt für Staatsanleihen.100 Die Solidarhaftung würde die Höhe der Zinsaufschläge stärker angleichen. So würde der Schuldendienst für insolvente Eurostaaten vergünstigt, da die Gläubiger darauf vertrauen können, dass ihre Forderungen gegen diese Staaten im Zweifelsfall durch finanzielle Hilfen anderer Eurostaaten bedient würden. Gleichzeitig würde sich der Schuldendienst für solide Staaten, wie Deutschland, aus folgendem Grund verteuern.101 Mit der Gewährung von finanziellen Hilfen, z.B. über Bürgschaften, gingen die soliden Staaten das Risiko ein, aus dieser Verpflichtung in Anspruch genommen zu werden. Dieses erhöhte Risiko würden die Investoren über höhere 96 Vgl. Sinn (2010b), S. 20. 97 Vgl. Meyer (2009b), S. 4; vgl. Sinn (2010b), S. 20. 98 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 11. 99 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 4, vgl. Willgerodt (2010), S. 21. 100 Die folgende Darstellung bezieht sich auf Meyer (2009b), S. 5. 101 Vgl. hierzu auch Fahrholz (2011), S. 15 und Willgerodt (2010), S. 24. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 33 Zinsaufschläge berücksichtigen. Die Zinsnachteile würden in einem verteuerten Schuldendienst und somit höheren Staatsausgaben für diese soliden Staaten resultieren.102 Um zu eruieren, welche Konsequenzen sich aus den Kapitalmarktanpassungen für die Volkswirtschaften in der EWU ergeben, gilt es, die Kapitalströme zu betrachten, die sich in einer Transferunion einstellen würden. Laut Meyer (2009b) ergäben sich zwei Effekte auf die Kapitalströme innerhalb der EWU:103 • zum einen würde verstärkt Kapital in die bonitätsschwachen Eurostaaten fließen, da die vergünstigten Zinsaufschläge diesen eine höhere Verschuldung ermöglichen und die Anleger durch die Solidarhaftung keinen Ausfall befürchten würden; • zum anderen geht damit eine Verdrängung privater Investoren aus den soliden Staaten und somit ein Kapitalabfluss einher, da das gestiegene Risiko die Höhe des Engagements vor allem von konservativen Anlegern begrenzen würde und durch den verteuerten Schuldendienst die Höhe der Neuverschuldung reduziert würde. Aufgrund der relativ niedrigen Zinsen flösse Ländern wie Griechenland, Irland und Spanien sowie Portugal verstärkt Kapital zu.104 Das zur Verfügung stehende Kapital würde die ohnehin lockeren Budgetbeschränkungen und die risikoreiche Kreditvergabe in diesen Staaten verstärken. Es würde vermehrt zu Investitionen sowohl im staatlichen und gewerblichen Sektor als auch im privaten Immobiliensektor kommen. Somit ginge mit dem Zustrom von Kapital eine Verlagerung der Produktionskapazitäten und der Güternachfrage in diese Länder einher. Die durch diese wirtschaftlichen Entwicklungen zu erwartenden steigenden Einkommen würden die Importe in die Schuldenstaaten weiterhin befördern, gleichzeitig aber auch in Verbindung mit einem allgemeinen Preisanstieg zu sinkender preislicher Wettbewerbsfähigkeit führen. Dies dürfte die Exporte dieser Länder dämpfen und die Defizite in der Außenhandelsbilanz erhöhen. 102 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 5. 103 Vgl. hierzu Meyer (2009b), S. 5. 104 Die folgende Darstellung der wirtschaftlichen Konsequenzen der Kapitalströme bezieht sich auf die Ausführungen von Carstensen und Sinn (2010), S. 6f. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 34 In soliden Staaten wie Deutschland würde sich die Wirtschaft aufgrund des mangelnden Kapitalzustroms spiegelbildlich entwickeln. Der wirtschaftliche Aufschwung, den Deutschland nach der Finanz‐ und Wirtschaftskrise der Jahre 2007 bis 2009 verzeichnet, würde sich wieder abflachen und in einer anhaltenden Wirtschaftsflaute münden.105 Durch den Mangel an Kapital und damit einhergehender gedämpfter Investitionstätigkeit bestünden für Deutschland geringe langfristige Wachstumspotenziale. Um dennoch wettbewerbsfähig zu bleiben, sähe sich Deutschland zu einer realen Preisabwertung über Preissenkungen und Verzicht auf Lohnsteigerungen gezwungen. Die Verlagerung von Produktionskapazitäten ins europäische Ausland und die rückläufige Investitionstätigkeit dürften zudem die Arbeitslosigkeit in Deutschland befördern. Eine derartige Entwicklung der Kapitalströme von den soliden Eurostaaten hin zu den Peripheriestaaten der EWU war nach der Euroeinführung zu beobachten. So wurde Deutschland seit 1995 zu einem der größten Nettokapitalexporteure, obwohl vor allem in den neuen Bundesländern Kapitalbedarf bestand. Staaten wie Griechenland, Irland, Spanien und teilweise auch Portugal konnten hingegen einen erheblichen Kapitalimport verzeichnen.106 Falls sich diese ökonomischen Entwicklungen durch die Etablierung der Transferunion fortsetzten, würden die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit und die Überschuldung dieser Staaten befördert. Dies würde zu einer Überhitzung der Schuldenkrise beitragen. Eine sich durch diese Entwicklung abzeichnende Schwächung der bonitätsstarken Euromitgliedsländer hätte Konsequenzen für den Außenwert des Euro. Langfristig wäre mit einer Abwertung des Euro zu rechnen.107 Zahlreiche Anleger würden aus der bis dato als stabil geltenden Währung aussteigen, weil sie durch die Transferunion die Stabilität der EWU und somit des Euro in Gefahr sähen. Ein weiteres Risikopotenzial innerhalb einer Transferunion dürfte in der Stellung der EZB und somit der Wahrung der Geldwertstabilität liegen.108 Besonders der verstärkte 105 Vgl. auch Weber (2010), S. 559. 106 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 6. 107 Vgl. Weber (2010), S. 559. 108 Vgl. u.a. Willgerodt (2010), S. 20, 24. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 35 Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB am offenen Markt wird von zahlreichen Ökonomen kritisch gesehen. So befürchtet der Wissenschaftliche Beirat (2010), dass in Zukunft andere Mitgliedstaaten Druck auf die EZB ausüben könnten, über den Ankauf von Staatsanleihen ihre Defizite zu finanzieren. Zudem stelle die generell expansive Geldpolitik der EZB seit Ausbruch der Finanzkrise ein Signal für Inflationserwartungen dar.109 Kühl und Ohr (2010) befürchten gar, dass die Gefahr einer „kontrollierten Inflation“ zur Reduktion des Realwerts der Staatsverschuldung bestünde, sollte es den Ländern der EWU nicht gelingen, mittelfristig ihre Staatsverschuldung zu reduzieren.110 Weiterhin sehen einige Ökonomen neben dem wirtschaftlichen Auseinanderdriften der EWU durch die Betonung des Transfergedankens einen Nährboden gelegt für soziale und politische Konflikte zwischen den Eurostaaten, die die politische Integration Europas gefährden könnten. Insbesondere Issing (2010) warnt vor „der Erpressung der solideren Länder durch Mitgliedstaaten mit hoher Verschuldung“. Er erinnert daran, dass die Zustimmung des Bundestags und Bundesrats zu den Rettungsfonds nur unter hohem politischem Druck erteilt wurde, und warnt bei einer „schleichende[n] Ausdehnung des innergemeinschaftlichen Transfers“ vor dem „höchsten denkbaren Risiko […] – der Verweigerung der Bürger“.111 Ein offener Konflikt zwischen den bonitätsstarken und ‐schwachen Ländern, beziehungsweise den Geber‐ und Nehmerländern, würde zu einer politischen Destabilisierung Europas führen und eine soziale Kluft zwischen diesen Staaten begründen.112 5.1.3. Rolle des SWP im Aufweichungsansatz Um solche Fehlanreize und die ungewünschten Kapitalströme zu verhindern, müsste der SWP in zweierlei Hinsicht reformiert werden. Zum einen müsste die Gewährung finanzieller Hilfen mit Auflagen zu erheblichen Konsolidierungsanstrengungen und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einhergehen. Dies würde vor allem den Geberländern, die den größten Teil der Transferzahlungen finanzieren, signalisieren, dass die Schuldenstaaten auf die Wiederherstellung ihrer Zahlungsfähigkeit 109 Vgl. hierzu Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 14f. 110 Vgl. Kühl, Ohr (2010), S. 23. 111 Issing (2010), S. 14. 112 Vgl. Konrad (2010), S. 12. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 36 hinarbeiten und nicht auf dauerhafte Transferzahlungen spekulieren. Zum anderen müssten die aus der Transferunion resultierenden Fehlanreize zu unsolider Haushaltsführung relativiert werden, um zukünftige Schuldenkrisen in Staaten zu vermeiden.113 In einer Transferunion würde der SWP folglich als Mittel zur Abwendung von mittel‐ bis langfristigen Fehlentwicklungen eingesetzt und nicht als existentieller Bestandteil der Reformtendenz angesehen. 5.2. Institutionelle „Stärkung“: Eine Insolvenzordnung für die EWU Den Gegenpart zur Transferunion stellt die Forderung nach einer institutionellen Stärkung der EWU dar. Diese umfasst zum einen die Einführung einer Insolvenzordnung für Staaten, deren Kern ein erheblicher Forderungsverzicht der privaten Gläubiger bildet.114 Zum anderen werden eine stärkere fiskalische Koordinierung sowie eine konsequentere Durchsetzung der Begrenzung von Schulden und Defiziten gefordert im Rahmen einer Verschärfung des SWP.115 Auf die Verschärfung des SWP wird im Kapitel 5.2.3 „Rolle des SWP“ im Detail eingegangen. In Bezug auf eine Insolvenzordnung für Staaten soll ein einfaches, transparentes und regelgebundenes Verfahren die Restrukturierung öffentlicher Schulden verbindlich festlegen.116 Dies ist insofern neu, als dass bislang in der öffentlichen Diskussion nur für Entwicklungs‐ und Schwellenländer Insolvenzverfahren systematisiert wurden,117 nicht jedoch für entwickelte Länder wie die Staaten der EWU. Herrscht bei zahlreichen Ökonomen Einigkeit darüber, dass die privaten Gläubiger bei zukünftigen Zahlungsstörungen von Staaten beteiligt werden sollen, ist man sich jedoch uneins über die Ausgestaltung und den Umfang des Forderungsverzichts der Gläubiger. Neben Ökonomen, die eine Insolvenzordnung für Staaten fordern, die sehr stark an der Insolvenzordnung für gewerbliche Unternehmen angelehnt ist,118 besteht der Ansatz der Eurogruppe darin, eine „collective action clause“ in sämtliche neue 113 Vgl. Issing (2010), S. 14; vgl. Weber (2010), S. 559; vgl. Wihlborg, Willett, Zhang (2010), S. 73f. 114 Vgl. u.a. Fuest et al. (2010), S. 10; Carstensen, Sinn (2010); Paulus (2010); Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 17‐23. 115 Vgl. Task Force (2010), S. 2; vgl. Wihlborg, Willett, Zhang (2010), S. 74. 116 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10. 117 Vgl. Hüther (2010) S. 6. 118 Vgl. u.a. Carstensen, Sinn (2010); Paulus (2010). Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU Anleiheverträge der Eurostaaten einzuführen119. 37 Diese standardisierte Umschuldungsklausel wird zukünftig regeln, in welchem Maße private Gläubiger an der Schuldenrestrukturierung des Schuldnerstaates beteiligt werden, und wird den formalen Akt bei Zahlungsunfähigkeit eines Staates vorgeben.120 Sie ist als erster Schritt in Richtung Insolvenzordnung zu verstehen; zeichnet sich jedoch durch eine stark konditionierte Einbindung der Gläubiger aus, da sie nur die Gläubiger von Anleihen einbindet.121 5.2.1. Zielsetzungen der institutionellen Stärkung Ziel einer Insolvenzordnung mit Forderungsverzicht der privaten Gläubiger, unabhängig von der genauen Ausgestaltung, ist die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Schuldnerstaates, indem die bestehenden Schulden restrukturiert statt neue aufgebaut werden.122 Als zusätzlicher Effekt würde den Gläubigern sowie den potentiellen Anlegern die Erkenntnis vermittelt, dass keine Homogenität des Risikos in der EWU besteht, sondern sich die EWU aus bonitätsstarken und bonitätsschwachen Mitgliedern zusammensetzt.123 Betrachtet man die Entwicklung der Zinsaufschläge, so liegt der Schluss nahe, dass die Anleger nach der Euroeinführung von einer homogenen Risikostruktur innerhalb der EWU ausgegangen sind, da sich die Risikoaufschläge der Eurostaaten stark angeglichen haben.124 Die mit den Zahlungsschwierigkeiten Griechenlands und Irlands einhergegangene Sensibilisierung der Anleger für die heterogene Risikoverteilung innerhalb der EWU würde durch die Einführung der Insolvenzordnung verstärkt. Dies würde sich in zweierlei Hinsicht positiv niederschlagen. Erstens würde das gesteigerte Risikobewusstsein der Gläubiger zu 119 Vgl. Eurogroup (2010), S. 2 “[…] standardized and identical collective action clauses (CACs) will be included, in such a way as to preserve market liquidity, in the terms and conditions of all new euro area government bonds starting in June 2013.”. 120 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 21. 121 Vgl. Hüther (2010), S. 6. 122 Vgl. Paulus (2010), S. 8. 123 Vgl. Wihlborg, Willett, Zhang (2010), S. 57. 124 Vgl. Abbildung 3, S. 19. Ein weiterer Grund für die rückläufigen Zinsaufschläge im Rahmen der Euroeinführung kann aber auch in der Erfüllung der Konvergenzkriterien als Beweis für eine solide Haushaltspolitik liegen. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 38 einer besseren Überwachung der Schuldner durch die privaten Gläubiger führen.125 Über ein geringeres Engagement der Gläubiger bei hoch verschuldeten Staaten und höhere Zinsaufschläge würden die Gläubiger unsolide Haushaltspolitik sanktionieren sowie fruchtende Konsolidierungsanstrengungen über sinkende Zinsaufschläge honorieren. Zweitens böten die höheren Zinsaufschläge, die ein bonitätsschwacher Staat am Kapitalmarkt zahlen müsste, ihm einen Anreiz zu finanzpolitischer Disziplin und zur Konsolidierung der Schulden.126 Eine Überhitzung in den Schuldenländern dürfte aufgrund dieser Effekte eingegrenzt werden.127 Sollte ein Staat trotz automatischer Sanktionierung von unsolider Haushaltspolitik doch an den Punkt kommen, an dem er seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann, so würde durch die Insolvenzordnung ein regelgebundenes juristisches Verfahren bestehen, nach dem die Restrukturierung der Schulden dieses Staates vollzogen würde. Folglich müssten die Gläubiger dieser Staaten keinen hektischen Aktionismus der Politik im Rahmen von Ad‐hoc‐Maßnahmen befürchten oder gar eine Benachteiligung ihrer Gläubigergruppe, sondern sie könnten sich auf den formalen Ablauf der Insolvenzordnung berufen.128 5.2.2. Risiken der institutionellen Stärkung Die Implementierung einer Insolvenzordnung verspricht jedoch nicht nur Chancen, sondern sie birgt auch Risiken in ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht. Als ökonomisches Risiko ist zunächst einmal die Unsicherheit über die Höhe des Forderungsverzichts der Gläubiger zu nennen. Gemäß einer Studie von Moody’s (2009), in deren Rahmen 13 staatliche Zahlungsausfälle zwischen den Jahren 1998 und 2008 untersucht wurden, schwankt die Höhe des Forderungsabschlags für die Gläubiger bei den unterschiedlichen Zahlungsausfällen erheblich.129 Durchschnittlich lässt sich jedoch ein Abschlag von 50 Prozent des Nennwertes der Forderungen 30 Tage nach dem Zahlungsverzug feststellen. Dass der Forderungsverzicht jedoch auch 125 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 17, 22. 126 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 14; vgl. Wihlborg, Willett, Zhang (2010), S. 5; vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 17,22. 127 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10. 128 Vgl. Berensmann (2010), S. 12; Paulus (2010), S. 9. 129 Vgl. Moody’s (2009), S. 10. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 39 deutlich höher ausfallen kann, beweisen die Insolvenzfälle der Staaten Argentinien und Russland. 30 Tage nach Zahlungsverzug verzeichneten die argentinischen Anleihen einen Abschlag von durchschnittlich 73 Prozent des Nennwerts. Die Gläubiger russischer Anleihen mussten einen noch höheren Verlust hinnehmen. Hier betrug der Abschlag im Durchschnitt 82 Prozent des Nominalwerts der Anleihen. An dieser Stelle ist jedoch hervorzuheben, dass es sich bei den im Rahmen der Studie betrachteten Staaten um Schwellen‐ und Entwicklungsländer handelt. Inwiefern sich aus diesen Daten daher Rückschlüsse auf die Höhe eines Forderungsabschlags bei der Zahlungsunfähigkeit eines Eurostaates im Rahmen einer geregelten Schuldenrestrukturierung ziehen lassen, ist fraglich. Um die Unsicherheit über die Höhe des Forderungsabschlags zu mindern, wurde von einigen Ökonomen eine Deckelung des Verlusts der Gläubiger gefordert.130 Insbesondere, wenn der Forderung von Carstensen und Sinn (2010) nachgekommen würde, welche für die Festsetzung eines maximalen Abschlags auf die Forderungshöhe im Rahmen der Insolvenzordnung plädieren, hätten die Marktteilnehmer sogar eine Kalkulationsgrundlage für die Höhe ihres maximalen Verlustes.131 Unabhängig davon, wie hoch der Forderungsabschlag für die Gläubiger im Rahmen der Insolvenzordnung ausfiele, würde die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegenüber einem Staat aller Voraussicht nach dazu führen, dass dem insolventen Staat der Zugang zu den internationalen Kreditmärkten, insbesondere den Kapitalmärkten, für längere Zeit verwehrt bliebe.132 Dies wird auch dadurch belegt, dass Argentinien und Russland bis dato keine neuen Anleihen am Kapitalmarkt platziert haben. Der betroffene Staat ist folglich auf die Hilfe anderer Staaten und Institutionen angewiesen, um sich zu refinanzieren. Neben den Gefahren, die unmittelbar für den betroffenen Staat bei Einleitung einer Insolvenz bestehen, warnen einige Ökonomen vor den Auswirkungen einer Staateninsolvenz auf die Finanzwirtschaft sowie die übrigen Eurostaaten. So wird das Risiko ausgemacht, dass jeglicher Forderungsverzicht der Gläubiger zu einer Gefahr für 130 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 9; vgl. Fuest et al. (2010), S. 10. 131 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 14. 132 Vgl. Berensmann (2010), S. 13; vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 25. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 40 das europäische Bankensystem führe. Da sich die Banken und Finanzmärkte nach der schweren Finanzkrise in einem fragilen Zustand befinden,133 wird daher befürchtet, dass einige Banken durch einen möglicherweise enormen Abschreibungsbedarf überfordert wären,134 was in einer Gefahr für die Stabilität des Bankensystems im Allgemeinen gipfeln könnte. Zudem könnte es als Reaktion auf den Forderungsverzicht zu einem „Überschwappen der Vertrauenskrise“135 und den vielfach beschworenen „Ansteckungseffekten“136 auf andere als bonitätsschwach angesehene EU‐Staaten kommen, wie Portugal, Spanien und möglicherweise sogar Italien.137 Eine wachsende Skepsis und ein Anstieg der Risikoaversion der Gläubiger gegenüber den Anleihen dieser Staaten könnten einen vermehrten Verkauf der Anleihen durch die bereits in diesen Staaten engagierten Investoren bedingen.138 Dieses Verhalten der Gläubiger, welches in der Literatur als „Rush to the Exit“ bezeichnet wird, würde in einem erheblichen Kursverfall dieser Anleihen enden.139 Darüber hinaus sähen sich die betroffenen Staaten Schwierigkeiten gegenüber, neue Anleihen auf dem Kapitalmarkt zu platzieren, da gerade konservative, risikoscheue Investoren vor einer Anlage in diese als risikoreich eingeschätzten Anleihen zurückschrecken würden. Um sich dennoch am Kapitalmarkt refinanzieren zu können, müssten diese Staaten erhebliche Zinsaufschläge auf ihre Anleihen zahlen. Die so erheblich gestiegenen Refinanzierungskosten der bonitätsschwachen Staaten würden zu einer weiteren Zuspitzung der ohnehin schwierigen finanziellen Situation der Schuldnerstaaten führen.140 Im Extremfall könnte diese Entwicklung in einer „Welle von Liquiditätsstörungen“141 der Staaten im Euroraum gipfeln. 133 Vgl. Fuest (2011), S. 10. 134 Vgl. IW‐Forschungsgruppe Konjunktur (2010), S. 73. 135 Kühl, Ohr (2010), S. 22. 136 Vgl. u.a. Blankart, Fasten (2010a), S. 6; Weber (2010), S. 559. 137 Issing (2010b) weist in diesem Zusammenhang explizit daraufhin, dass es sich nicht um Ansteckungseffekte handele, da dies impliziere, dass die so betroffenen Staaten unverschuldet in diese Krise hineingezogen würden, vielmehr hätten die bedrohten Staaten bereits vor Ausbruch der Krise eine unsolide Haushaltsführung und eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit aufgewiesen; vlg. Issing (2010b), S. 14. 138 Vgl. Weber (2010), S. 559. 139 Vgl. Berensmann (2010), S. 12f. 140 Vgl. Berensmann (2010), S. 12f.; vgl. Weber (2010), S. 559. 141 Meyer (2009a), S. 221; vgl. auch Fuest (2011), S. 11. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 41 Die geschilderten Entwicklungen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Kapitalströme innerhalb der EWU und somit auf die Wachstumspotenziale der einzelnen Eurostaaten.142 Das gestiegene Risikobewusstsein der Anleger würde zu einem Kapitalabfluss aus den als bonitätsschwach geltenden Eurostaaten führen. Mit dem Kapitalabfluss ginge ein Verlust an Investitionstätigkeit einher mit der Konsequenz, dass die Arbeitslosigkeit in diesen Staaten stark anstiege. Dies würde in ansteigenden Sozialausgaben und somit in enormen Defiziten in den Sozialhaushalten dieser Staaten resultieren, welche aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage nicht durch zusätzliche Einnahmen ausgeglichen würden. Die angespannte Haushaltslage dieser Staaten würde sich verschärfen. Als Folge all dieser Entwicklungen verfielen die Volkswirtschaften dieser Staaten in eine scharfe Rezession. Die Reaktion eines Staates außerhalb eines Staatenverbundes auf eine derart angespannte ökonomische Lage wäre die Abwertung seiner Währung, um so seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und Anreize für Exporte zu schaffen. Da die Währungsabwertung als Mitglied der EWU nicht möglich ist, bliebe dem betroffenen Staat zur Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit nur der Weg der realen Abwertung über Preis‐ und Lohnkürzungen.143 Insbesondere für die Bürger der betroffenen Staaten wäre ein Lohnverzicht jedoch ein weiterer schmerzlicher Einschnitt. Auch könnten die Preis‐ und Lohnkürzungen zu deflationären Effekten in den Krisenstaaten führen,144 was in einer Destabilisierung der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Gefüges münden könnte. Mit dem Kapitalabfluss aus den Schuldenstaaten der EWU ginge jedoch auch ein Kapitalzufluss in andere Anlageformen einher. Entscheidend ist nun, welche Volkswirtschaften und Assetklassen von diesem verstärkten Kapitalzufluss profitieren würden. Sinn und Carstensen (2010) legen dar, dass gerade nach der Finanzkrise Banken und Kapitalsammelstellen vermehrt in die bonitätsstarken Staaten des Euroraums, wie Deutschland, investiert hätten, was in einem Kursanstieg ihrer Anleihen und sinkenden Zinsaufschlägen resultierte.145 Sinn (2010b) prognostiziert als 142 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Meyer (2009a), S. 218f. 143 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 5. 144 Vgl. Wihlborg, Willett, Zhang (2010), S. 75. 145 Vgl. Carstensen, Sinn (2010), S. 8. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 42 ökonomische Konsequenz dieses Kapitalzuflusses einen anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung für Deutschland mit zunehmender Investitionstätigkeit in die heimische Wirtschaft, sinkender Arbeitslosigkeit sowie Preis‐ und Lohnsteigerungen, sollte sich diese Entwicklung fortsetzen.146 Mit Blick auf die gesamte EWU käme es durch die geänderten Kapitalströme folglich zunächst zu einer Verlagerung der Nachfrage‐ und Wachstumseffekte von den bonitätsschwachen zu den bonitätsstarken Staaten, so Sinn. Profiteure einer derartigen Entwicklung wären die Wirtschaft der bonitätsstarken Staaten sowie deren Arbeitsnehmer, die über Lohnsteigerungen an dem Wirtschaftswachstum beteiligt würden. Ob sich die bonitätsstarken Eurostaaten, insbesondere Deutschland, jedoch tatsächlich als Profiteure des Kapitalabflusses aus den Eurostaaten der südwestlichen Peripherie erweisen, darf zumindest bezweifelt werden. Die Kapitalsammelstellen und Banken könnten sich als Folge der Krise von der EWU abwenden und in Staaten außerhalb der EWU oder in andere Assetklassen investieren. Außerdem ist vor allem Deutschland durch seine starken Exporte ins europäische Ausland abhängig von der wirtschaftlichen Situation seiner europäischen Nachbarn. So erwirtschaftet Deutschland mehr als 60 Prozent seiner Exportleistung in Europa, wobei sich allein 43,3 Prozent des deutschen Warenexports auf die EWU konzentrieren.147 Sollten sich einige EU‐Staaten aufgrund ihrer Reformanstrengungen und der finanziell angespannten Lage in einem wirtschaftlichen Abschwung befinden, so dürfte dies schnell über zurückgehende Auftragseingänge in der deutschen Exportwirtschaft zu spüren sein und den wirtschaftlichen Aufschwung dämpfen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Konsequenzen eine Staateninsolvenz und die damit einhergehenden ökonomischen Folgen für den Außenwert des Euros hätten. Meyer argumentiert, dass es mit der Insolvenz eines Eurostaates zu einer dauerhaften Schwächung des Euro käme, bedingt durch die damit einhergehenden Kosten für alle Mitgliedstaaten.148 146 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Sinn (2010b), S. 19f. 147 Vgl. IW‐Forschungsgruppe Konjunktur (2010), S. 75. 148 Vgl. Meyer (2009a), S. 221 und Meyer (2009b), S. 4. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU 43 Neben den ökonomischen Risiken könnte die institutionelle Stärkung der EWU auch Gefahren für die politische und soziale Stabilität innerhalb der EWU bergen. So hängt der Erfolg der Reformen der bonitätsschwachen Staaten sowohl von der Bereitschaft ihrer Bevölkerung ab, drastische soziale und finanzielle Einschnitte zu akzeptieren, als auch von der Bereitschaft der Politik, diese Einschnitte und Kürzungen umzusetzen. Insbesondere Blankart und Fasten (2010a) weisen daraufhin, dass zusätzliche Ausgabenkürzungen bei Staaten mit ohnehin niedrigem Lebensstandard, wie dies z.B. bei Griechenland der Fall ist, auf erhebliche Proteste aus der Bevölkerung stoßen würden.149 Als Beleg für diese These sind die gewaltsamen Proteste der griechischen Bevölkerung gegen den verordneten Sparkurs anzuführen, welche mehrere Todesopfer gefordert haben.150 Vor diesem Hintergrund bestünde die Gefahr, dass die Konsolidierungsanstrengungen von Seiten der nationalen Politik verwässert würden, so Blankart und Fasten. 5.2.3. Rolle des SWP im Stärkungsansatz Die aufgezeigten Risiken einer Staateninsolvenz, insbesondere die potentiellen Turbulenzen an den Kapitalmärkten, verdeutlichen, dass eine Insolvenz mit allen Mitteln verhindert werden muss. Aus diesem Grund stellt eine deutliche Verschärfung des SWP die zweite entscheidende Säule des Stärkungsansatzes dar. Diese Verschärfung würde folgende Punkte umfassen: • die Modifikation der Defizit‐ und Schuldenstandskriterien des SWP mit verstärkter Betrachtung der Schuldenquote;151 • die frühzeitige und zielgerichtete Ausweitung der Überwachung der Haushaltsdisziplin der Eurostaaten;152 • frühzeitige, automatische Sanktionen bei Verstoß gegen die Regeln zur Vermeidung von „politischer Verhandelbarkeit der Anwendung von Regeln“153 sowie 149 Vgl. Blankart, Fasten (2010a), S. 6‐8. 150 Vgl. FAZ.NET (2010) (online). 151 Vgl. Fuest et al. (2010), S. 10; vgl. Task Force (2010), S. 4; vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 29. 152 Vgl. Ulbrich (2011), S. 24; vgl. Weber (2010), S. 560. 153 Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 29; vgl. auch Brüderle (2010), S. 5; vgl. Fuest et al. (2010), S. 10; vgl. Kühl, Ohr (2010), S. 22; vgl. Task Force (2010), S. 6; vgl. Weber (2010), S. 560. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 5 Szenario 3: Die institutionelle Reformierung der EWU • 44 eine konsequente Konsolidierung und Reformen in allen Eurostaaten154. Diese Anpassungen sind im Stärkungsansatz aus den folgenden Gründen notwendig. Erstens könnte sich nur so die disziplinierende Wirkung der Kapitalmarktkonditionen entfalten. Denn nur wenn die Marktteilnehmer umfassend über die wirtschaftliche Lage der einzelnen Eurostaaten informiert wären, könnten sie die Angemessenheit der aktuellen Haushaltslage beurteilen.155 Zweitens befürchten einige Ökonomen auch im Rahmen einer institutionellen Stärkung der EWU ein Schuldner‐Moral‐Hazard.156 So könnte eine klar geregelte Insolvenzordnung als Anreiz dienen, sich durch einfaches Einleiten der Schuldenrestrukturierung lästiger Schulden zu entledigen. Durch einen strikten Sanktionsmechanismus für unsolide Haushaltspolitik würde ein exzessives Anhäufen von Schulden jedoch schon im frühen Stadium eingedämmt.157 Und drittens dürfte sich auf lange Sicht die divergierende Wettbewerbsfähigkeit zwischen den bonitätsstarken und –schwachen Eurostaaten relativieren, da die bonitätsschwachen Staaten aufgrund ihrer Konsolidierungsanstrengungen an Konkurrenzfähigkeit gewinnen würden.158 5.2.4. Rolle der Rettungsfonds im Stärkungsansatz Darüber hinaus muss stets gewährleistet bleiben, dass der Staat seine staatlichen Funktionen noch ausreichend wahrnehmen und seine laufenden Ausgaben leisten kann.159 Da der insolvente Staat jedoch von den internationalen Kreditmärkten abgeschnitten wäre,160 wäre er von finanziellen Hilfen anderer Staaten und Institutionen abhängig. Im Gegensatz zur Transferunion, in der die Möglichkeit für finanzielle Hilfen als dauerhafte Institution installiert würde, wären finanzielle Hilfen im Rahmen einer Insolvenzordnung nur als Anstoßhilfen und Überbrückungslösungen vorgesehen, die Zeit für strukturelle Reformen verschaffen.161 Die Gewährung dieser 154 Vgl. Weber (2010), S. 559. 155 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 33. 156 Vgl. Berensmann (2010), S. 13. 157 Vgl. Weber (2010), S. 560. 158 Vgl. Sinn (2010), S. 19f. 159 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 20. 160 Vgl. Berensmann (2010), S. 13; vgl. Weber (2010), S. 558; vgl. Willgerodt (2010), S. 22. 161 Vgl. Hüther (2010), S. 4; vgl. Weber (2010), S. 559. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 6 Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit 45 finanziellen Hilfen dürfte jedoch nur in Verbindung mit großen, eigenen Anstrengungen des Schuldenstaates einhergehen, um die Gefahr von Fehlanreizen für die Haushaltspolitik in der EWU zu reduzieren.162 5.3. Fazit Welcher Grundtendenz die zukünftige Reformierung der EWU folgen wird, wird die Zukunft zeigen. Zu erwarten ist jedoch, dass eine der beiden vorgestellten Grundtendenzen nicht in ihrer Reinform umgesetzt wird, da die heterogenen Interessen innerhalb der EWU gegen einen dafür notwendigen politischen Konsens sprechen.163 Deutlich ist, dass beide Grundtendenzen durch die ihnen inhärenten Chancen und Risiken sowohl Vorteile als auch Nachteile bergen. Über eine Kombination von Maßnahmen beider Tendenzen164 könnte versucht werden, möglichst viele Vorteile zu nutzen und hierbei etwaige Nachteile zu minimieren. Dabei müssen die politischen Entscheidungsträger jedoch bedenken, dass der Erfolg der Reformen und, damit einhergehend, die Stabilität der EWU von der Verlässlichkeit und Transparenz der beschlossenen Maßnahmen abhängen.165 Werten die Marktteilnehmer die beschlossenen Reformen als unglaubwürdig und intransparent, so bleibt die Zukunft der EWU ungewiss. 6. Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit Die Szenarioanalysen der vorangegangenen Kapitel haben eine Vielzahl von Risiken aufgezeigt, mit denen sich Anleger bei ihren Entscheidungen über die Vermögensallokation auseinander setzen müssen. Eine detaillierte Analyse, wie sich etwa das Eintreten bestimmter Szenarien auf einzelne Anlageklassen oder Branchen auswirkte, würde sehr schnell einen hohen Komplexitätsgrad erreichen und bliebe am Ende doch unbefriedigend. Sie wäre auch sachfremd. 162 Vgl. Weber (2010), S. 560. 163 Vgl. Fuest (2011), S. 13. 164 Vgl. z.B. Fuest (2011), S. 11. 165 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat (2010), S. 20. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 6 Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit 46 Natürlich kann man argumentieren, dass z.B. für Banken zahlreiche Risiken erkennbar sind. Sie können direkte Forderungsverluste z.B. gegenüber Griechenland erleiden oder durch erneute Ausfälle von Kreditgeschäften, ausgelöst durch realwirtschaftliche Verwerfungen oder durch ein Wiederabtauchen in die Rezession, in Mitleidenschaft gezogen werden. Andererseits können etwa Automobil‐ und Maschinenbauunternehmen von der Abwertung des Euro möglicherweise profitieren. Nun zeigt ein Blick auf die Aktiennotierungen, dass diese naheliegenden Informationen längst in den Kursen enthalten sind. Oder anders gewendet: die Argumentation darf die Effizienzmarkthypothese166 nicht ignorieren. Als Ausgangspunkt für eine systematische Analyse bietet sich das Tobin‐Separations‐ Theorem an. „Es besagt, dass ein rational handelnder Investor die Zusammensetzung eines Portfolios risikobehafteter Wertpapiere (Aktienportfolio) unabhängig von seiner Risikoneigung vornimmt. Die Risikoneigung des Investors bestimmt nur, welchen Teil seines Vermögens er auf ein Marktportfolio mit risikobehafteten Wertpapieren und welchen Teil er in einer risikolosen Anlageform (z.B. Staatsanleihen) anlegt. Je risikoscheuer der Investor ist, desto höher (geringer) wird der Anteil sein, den er bereit ist, risikolos (risikoreich) anzulegen.“167 In verkürzter Form: Risiko übernimmt man in effizienter Weise, indem man das Marktportfolio kauft. Bei der Umsetzung dieser zentralen Regel für den einzelnen Investor werden vor allem zwei Probleme diskutiert: • erstens: welchen Anteil seines Vermögens soll der Anleger in Abhängigkeit von seiner Risikopräferenz in das Marktportfolio investieren und • zweitens: wie realisiert er überhaupt das Marktportfolio? Vor allem die praktische Lösung des zweiten Problems ist nicht einfach, denn von der Idee her sollte das Marktportfolio sämtliche weltweit existierenden risikobehafteten Vermögensanlagen enthalten. Die Vorschläge zur praktischen Umsetzung laufen 166 Märkte sind effizient, falls alle Informationen bereits im Wertpapierkurs eingepreist sind; vgl. Fama (1970), S. 383. 167 Wirtschaftslexikon (2010) (online). Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 6 Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit 47 darauf hinaus, einen Korb von passiv gemanagten Indexfonds, der die globalen Wirtschaftsräume und Aktivitäten ungefähr adäquat abbildet, zusammenzustellen.168 Für unsere Fragestellung ist jedoch wichtig, dass die Eurokrise keinen direkten Berührungspunkt zu dem Problem hat, wie das Marktportfolio praktisch zu realisieren ist. Sie ist allenfalls ein weiterer Anstoß, die Idee des weltweiten Marktportfolios wirklich ernst zu nehmen und sich von der noch immer vorherrschenden Heimatlastigkeit auch im Risikoanteil des Vermögens zu verabschieden.169 Die Eurokrise hat gravierende Auswirkungen auf die Gestaltung der risikofreien Geldanlage. Die üblichen Vorschläge laufen darauf hinaus, Anlageformen zu wählen, die in expliziter oder impliziter Form vom Staat geschützt werden. Die Szenarioanalysen haben jedoch erkennen lassen, dass der Nimbus der fast absoluten Sicherheit auch für die relativ soliden Länder der Eurogruppe, wie z.B. Deutschland, Österreich, Niederlande, Finnland und Frankreich, nicht mehr zu rechtfertigen ist. In dem Szenario mit der vermutlich höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit (Fortbestand der EWU mit institutioneller Aufweichung) zeichnet sich der Weg in die Transferunion mit einer Schwächung der Anreize zu einer soliden Haushaltsführung ab. Und in den anderen Szenarien drohen realwirtschaftliche Verwerfungen, die in neue erhebliche Belastungen für die Staatshaushalte einmünden können. Und auch ohne die Belastungen aus der Euromitgliedschaft zeichnet sich für Deutschland die Möglichkeit der Überforderung der öffentlichen Haushalte ab, resultierend aus der demographischen Entwicklung und der hohen impliziten Staatsverschuldung. Aus diesen Überlegungen folgt die zentrale Handlungsempfehlung, den risikofreien Anteil des Portfolios durch eine diversifizierende Anlage in Staatsanleihen von Ländern, die unverändert ein hohes Maß an Sicherheit versprechen, zu realisieren. Eine detaillierte Länderanalyse ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, aber eine mögliche 168 Ein Vorschlag zur Gestaltung hierfür liefert z.B. Jacobs, Müller und Weber (2008), S. 8‐10, indem die Gewichtung nach dem Anteil einer Region am globalen BIP erfolgt. 169 Es ist bekannt, dass Anleger dazu neigen, einen viel zu großen Anteil ihres Vermögens in heimische Werte zu investieren und damit Diversifikationsgewinne zu verschenken. Dieses Phänomen wird auch als „Home Bias“ bezeichnet. Vgl. Weber(2007), S.125‐140 Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 6 Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit 48 Vorgehensweise und Argumentation kann zumindest skizziert werden.170 Die Kriterien, nach denen die Auswahl erfolgen sollte, dürften weitgehend unstrittig sein. Zunächst kommen nur Länder in Betracht, die ein hohes Maß an Rechtssicherheit und politischer Stabilität aufweisen. In Tabelle 1 werden nur Länder betrachtet, die diese zentralen Voraussetzungen erfüllen. Verschuldung des Verschuldung des Arbeits‐ Staates (brutto) Staates (netto) BIP pro Kopf Inflation losigkeit Land / BIP [%] / BIP [%] (PPP) [USD] [%] [%] Australien 21,9 5,4 39.692 3,0 5,2 Dänemark 44,2 0,3 36.764 2,0 4,2 Deutschland 75,3 58,7 35.930 1,3 7,1 Großbritannien 76,7 68,8 35.053 3,1 7,9 Japan 225,9 120,74 33.828 ‐1,0 5,1 Kanada 81,7 32,2 39.034 1.8 8,0 Norwegen 54,3 ‐152,3 52.239 2,5 3,5 Schweden 41,7 ‐12,7 37.775 1,8 8,2 Schweiz 39,5 37.8 41.765 0,7 3,6 USA 92,7 65,8 47.132 1,4 9,7 Tabelle 1: Kennziffern zur Auswahl von Staatsanleihen (geschätzte Werte für 2010) [Quelle: IMF, World Economic Outlook Database, October 2010] Weitere wichtige Kriterien sind die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (gemessen am Pro‐Kopf‐Einkommen), niedrige (aber positive) Inflationsraten, eine nicht zu hohe Arbeitslosigkeit und eine niedrige Staatsverschuldung. Die entsprechenden Werte für die ausgewählten Länder sind aufgeführt in Tabelle 1, es handelt sich um Schätzwerte 170 Man könnte natürlich einfach auf das Rating der Länder verweisen. Tatsächlich weisen alle Länder (Stand 8. März 2011) ein AAA‐Rating aus, mit Ausnahme von Japan, das nur noch ein AA‐ vorweisen kann. Vgl. Standard & Poor´s (2011). Die Ereignisse der letzten Jahre lassen jedoch bezweifeln, dass die Rating‐Agenturen große systemische Risiken korrekt einschätzen. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 6 Implikationen für die Vermögensanlage ‐ ein Fazit 49 für das Jahr 2010. Darüber hinaus gibt es zwei wichtige Kriterien, deren Erfüllung nicht direkt quantifizierbar ist. Es geht erstens um das Ausmaß der realwirtschaftlichen Integration mit den Euro‐Ländern, eine hohe Integration ist als nachteilig zu werten. Und zweitens hat es natürlich eine hohe Aussagekraft, wie ein Land mit seinem Bankensystem den tatsächlichen Stresstest der Krisen der letzten Jahre überstanden hat. Betrachtet man sämtliche Kriterien, dann erscheinen insbesondere die Staatsanleihen von Australien, Kanada und Norwegen als besonders empfehlenswert. Aber auch die Anleihen von Dänemark, Schweden, Schweiz, Großbritannien und USA können mit kleineren Gewichten berücksichtigt werden. Wenn man die naheliegende Aufteilung wählt, etwa die Hälfte des zuvor risikofreien Anteils des Portfolios diversifiziert in die vorgeschlagenen ausländischen Staatsanleihen zu investieren, dann sollte man diese Anleihen in der Währung des entsprechenden Landes kaufen und das Währungsrisiko tragen. Für das gesamte Portfolio ist mit einem erheblichen Diversifikationsgewinn zu rechnen. Beitrag zum Postbank Finance Award 2011 Literaturverzeichnis VII Literaturverzeichnis Berensmann, Kathrin (2010): Braucht Europa eine Insolvenzordnung für Staaten?; ifo Schnelldienst, 63. Jg., Nr. 23, S. 11‐15. Blankart, Charles B.; Fasten, Erik R. 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