Quellen - Christ in der Gegenwart

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1
Bücher der Gegenwart
Frühjahr 2006
Religiöstheologische
Neuerscheinungen
Wer Gott erfahren hat, schweigt nicht
Mystiker als Kirchenkritiker: Im Mittelalter und in der Neuzeit
Von Christian Heidrich
Sie kommt nicht von „links“ oder von
„rechts“, sondern aus der Mitte des christlichen Glaubens: die Kirchenkritik der
Mystiker. Es ist eine Kritik von Gottbegeisterten, ja Gotterfahrenen. Denn so lassen
sich wohl die höchst umstrittenen Begriffe
„Mystik“ und „Mystiker“ am fruchtbarsten bestimmen. Es geht um ein intensives
Gebetsleben, um die Erfahrung, daß Gott
berührbar ist und selbst berührt, daß er
den Einzelnen herausruft und ihm zur
Mitte der Existenz werden kann. Mystik ist
hier nicht so sehr mit außergewöhnlichen
Phänomenen verbunden, vielmehr mit
dem konsequenten Abschreiten des
christlichen Wegs, mit dem im Gebet und
in der Kontemplation erspürten Wehen
des Geistes. So gesehen gibt es auch eine
„Mystik des Alltags“ (Karl Rahner), und es
ist dieser „weite“ Mystik-Begriff, mit dem
die Herausgeber der hier zu besprechenden Bände arbeiten, um Hildegard von
Bingen und Thomas von Aquin, Teresa
von Avila und Blaise Pascal, Alfred Delp
und Simone Weil, Madeleine Delbrêl und
Franz König... zu umfassen.
Auch das zweite Hauptwort des Werkes läßt sich mit wenigen Überlegungen
klären. Mag Kirchenkritik durch alle
Jahrhunderte hindurch eine fleißige
Übung gewesen sein und es mit guten
Fußball-„Magie“
In wenigen Tagen beginnt die
Fußball-Weltmeisterschaft.
Dann werden wir wieder
gehäuft Ballkünstler bewundern,
die beim Betreten und Verlassen
des „heiligen“ Rasens mit der
Hand den Boden berühren, sich
bekreuzigen oder nach einem
Tor religiös anmutende Signale
auf die Zuschauer-Ränge oder
gleich in den Himmel senden.
Nichts als Psycho-Rituale,
nichts als säkulare „Magie“,
Aberglauben ohne Glauben?
Es ist schon eigenartig, daß in
dem Maße, in dem christliche
Symbolik aus dem öffentlichen
Leben entfernt wurde und dort
nur noch peinlich wirkt, sie bei
der Milliarden-Inszenierung
Sport als Geste – oder zumindest als Erinnerung an Gesten –
und weniger guten Gründen auch bleiben, so weist die Kritik der Mystiker doch
einige Besonderheiten auf. Sie ist vor allem eine Kritik aus dem Innenraum, ein
Leiden an der „eigenen“ Kirche. Mit ihr
identifiziert sich der Mystiker grundsätzlich, auch wenn der Wunden viele sind
und, ja, auch die lach- und wahnhaften
Seiten nicht übersehen werden können.
An der Seite der Armen
Der großangelegte Durchgang beginnt
im 12. Jahrhundert (die Herausgeber
schulden uns hier leider eine genauere
Begründung), und das gleich mit einer
Überraschung. Denn mit dem Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (1090–
1153), der den Reigen der rund sechzig
Porträts anführt, mag der Leser eher den
schillernden Propagandisten des zweiten
Kreuzzugs oder den zügellosen Polemiker
im Streit um die „neue“ Theologie des Petrus Abaelard verbinden, kaum aber einen „Kirchenkritiker“. Dominik Terstriep,
der Autor der Bernhard-Studie, weiß
natürlich um diese Klippen. Er führt an,
daß der Zisterzienser an keinem Punkt
seines stattlichen Werks die grundlegenden Strukturen der Kirche in Frage stelle,
dies einem mittelalterlichen Mönch im
wiederkehrt. Das Publikum
scheint sich für die Bedeutung
dieser Zeichen auf dem Platz
noch wenig zu interessieren, ist
irritiert. Die Reporter wiederum
verstummen verschämt, haben
Hemmungen, den individuellen
„Geheimnissen“ und Zeichen
nachzubohren, die Athleten um
Erklärung für ihr seltsames Tun
zu bitten. Handelt es sich um
eine Zwangshandlung? Oder
sucht da ein versteckter Glaube
fast beiläufig Ausdruck, vor aller
Augen?
Die religiöse Frage meldet sich,
mehr noch als in der Fußballarena auf dem Buchmarkt: für
die nachdenklich Beobachtenden wie für die nachdenklich
Praktizierenden der Religion.
Eine spannende Auswahl neuer
Publikationen beurteilt diese
CiG-Buchbeilage.
rö.
übrigen auch gar nicht möglich war: „Die
Welt war die Kirche und die Kirche die
Welt, es gab kein Außen.“ Wenn sich
Bernhard dennoch an vielen Stellen kirchenkritisch äußert, dann richtet sich
seine Kritik nach innen, auf einzelne Personen und Mißstände. Auch hier kann er
zu einem Meister der Polemik werden. So
kritisiert Bernhard in einem überraschend „neuzeitlichen“ Konzept von den
allen Menschen zukommenden gleichen
Rechten die ungerechte Verteilung der Lebensgüter. „Bernhard erreicht den Gipfel
der durch den Mund der Armen vorgebrachten Anklage, indem er den Prälaten
letztlich Mord bescheinigt, den sie durch
ihr Schwelgen im Überfluß und durch die
Mißachtung des ius humanitatis begehen.“ Etwas gedämpfter kann der Mönch
auch von Papst Eugen III., seinem ehemaligen Schüler, einen vorbildhaften Lebenswandel einfordern.
Die Frage nach dem Ausgleich zwischen Arm und Reich zieht sich wie ein
roter Faden durch die Kirchengeschichte.
Aus der neuesten Epoche sei auf Oscar
Romero (1917–1980) verwiesen. „Sentir
con la iglesia“ – „Mit der Kirche fühlen“.
Für diesen Wahlspruch hat sich der El
Salvadorianer bei seiner Bischofsweihe
1970 entschieden. Die so ausgedrückte
Intimität freilich wurde in dem Jahrzehnt
des bischöflichen Wirkens einer bedrückenden Prüfung unterworfen. Denn
mit der Kirche zu fühlen, bedeutete für
Romero sehr bald, mit den Armen zu
fühlen. Seine radikale Hinwendung zu
den Elenden und sein daraus resultierender Konflikt mit der (im Zweifelsfall „gut
katholischen“) Oberschicht stießen aber
sowohl bei etlichen seiner bischöflichen
Mitbrüder als auch bei vielen einflußreichen Stellen im Vatikan auf verdeckte
oder offene Feindschaft. In der Darstellung des Konflikts weiß Martin Maier zu
differenzieren, vermag er Romeros Tragik sowohl aus der Perspektive der damaligen Jahrzehnte wie der ignatianischen
Spiritualität zu analysieren, von der der
Bischof geprägt war.
Spezialistinnen des Unerhörten
Eine weitere so dramatische wie immergrüne Spur kann der Leser in den
Beiträgen entdecken, die sich mit der
Stellung der Frau in der Kirche beschäftigen. „Was bewegt eine Frau im 13. Jahr-
hundert dazu, nach langem Ringen zur
Feder zu greifen und ein Werk über die
Gottesfrage zu schreiben?“ Mit dieser
Frage setzt Hildegund Keuls Artikel an,
der sich mit Mechthild von Magdeburg (um 1208 –1282) beschäftigt, der
Verfasserin von „Das fließende Licht der
Gottheit“, einem epochalen Werk der
Frauenmystik. Die Beweggründe, die
Hildegund Keul anführt, weisen Mechthild als Avantgardistin aus. Denn für die
Begine (Angehörige eines ordensähnlichen Standes) war es selbstverständlich,
eine „kontextuelle“ Theologie zu erproben, in der Gottesfrage nicht so sehr auf
scholastische Feinheiten zu achten, sich
vielmehr den Fragen der Armen und
Sterbenden auszusetzen.
Eine solche Berufung zur Theologie
und zur Sprache des Volkes stößt bei den
Inhabern des Monopols auf die Gottesrede auf harsche Ablehnung. Unerhört
erscheint ihnen der Gebrauch der Gemeinsprache und nicht des Lateinischen,
der Sakralsprache. Unerhört auch der
Vorstoß einer Frau auf das Gebiet einer
bis dahin männlichen Domäne. Und
doch ist es eine Frau, die ein Gespür für
das wahrhaft Unerhörte entwickelt, für
die „neuen“ Fragen der städtischen Unterschichten, die einer Antwort aus dem
Geist der christlichen Spiritualität harren.
Sie weiß: „Das Wort Gottes stärkt nicht
die Herrschenden in ihrer Herrschaft,
sondern es eilt denen zu Hilfe, die in
Ohnmacht und Nichtigkeit versinken.“
Auch bei Gertrud von Helfta (1256–
1302) oder bei der mexikanischen Ordensfrau und Dichterin Sor Juana Inés de
la Cruz (1648–1695) kann der Leser ein
feines Gespür für das noch Unerhörte
wahrnehmen, für eine Sakramentalität
des Lebens beispielsweise, die geistliche
Aufgaben wie Trost oder Schuldvergebung nicht unbedingt an ein „Amt“ bindet, sie vielmehr im „allgemeinen Priestertum“, im Wirken des Heiligen Geistes
verankert sieht.
Aus der Mitte heraus
Der Gang durch die acht Jahrhunderte der „Kirchenkritik der Mystiker“ ist
lehrreich und anregend. Mehr noch: In
vielen der Beiträge lassen sich wesentliche Elemente der Spiritualität der Porträtierten wahrnehmen. Etliche wahrhaft
überraschende Entdeckungen kann der
Leser so machen, etliche Weitungen der
eigenen, stets zeitgemäß-eingeschränkten Perspektive erfahren. Daß einige Autoren der Versuchung des universitären
Jargons nicht widerstehen konnten,
manche lateinischen Zitate unübersetzt
blieben und viele groteske Worttrennungen den Lesefluß hemmen, sind nur
Schönheitsfehler eines großen Sammelwerkes. Zu seinem Kern stößt der Leser
vor, wenn er darin nach Spuren der eigenen Spiritualität Ausschau hält.
Die Mystik, auf die man dabei setzen
soll, ist eine nur scheinbar paradoxe
„Mystik der offenen Augen“. Mit den
Worten Alfred Delps: „Damit meine ich
das Nachgehen und Nachwandern auch
in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm
zu sein genau und gerade dann, wenn
ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben.“
Mariano Delgado, Gotthard Fuchs (Hg.)
„Die Kirchenkritik der Mystiker“
Prophetie aus Gotteserfahrung. Reihe „Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte“, Bd. 1: Mittelalter (326 S., 37,20 €,
2004); Bd. 2: Frühe Neuzeit (403 S., 40,– €,
2005); Bd. 3: Von der Aufklärung bis zur
Gegenwart (608 S., 58,– €, 2005; Academic
Press/Paulusverlag, Fribourg, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart).
2
Das Menschsein des Gottessohnes
Neues Buch von Thomas Söding
Das vorliegende Werk von Thomas
Söding, eine überarbeitete und erweiterte
Fassung seiner Artikelserien in „Christ in
der Gegenwart“, widmet sich der Frage
nach dem Verhältnis von Christologie
(Christusverständnis) und Menschsein
Jesu: Führt das Bekenntnis zu Jesus als
Gottessohn schon im Neuen Testament
dazu, daß Person und Botschaft Jesu verdrängt werden? Daß diese Frage begründet zu verneinen ist, zeigt der Autor in einem zweifachen Durchgang durch die
neutestamentlichen Zeugnisse.
Zunächst wird in einer beeindruckend
breit angelegten Analyse das fundamentale Interesse der verschiedenen Schriften
des Neuen Testaments am Menschsein
Jesu aufgewiesen. Klar wird der innere
Zusammenhang von Christologie und
Geschichte Jesu herausgestellt: Vom Auferweckten kann nicht am Gekreuzigten
vorbeigesprochen werden. Bekennt man
sich zum Präexistenten, „muß seine
Menschwerdung und muß dann auch sein
Menschsein radikal ernstgenommen werden“. Der zweite Durchgang widmet sich
den christologischen Traditionen und verfolgt so die Spur bis zu den frühesten For-
men des Bekenntnisses zu Jesus Christus:
von den Ostererzählungen über die Reden
der Apostelgeschichte und die Hoheitstitel
bis zu den Formeln, die sich aus den Briefen als vorgegebene Tradition herauslösen
lassen. Die Bedeutung des Menschseins
Jesu für die neutestamentliche Christologie weist Söding überzeugend auf.
Kontroverser dürfte dagegen die Frage
diskutiert werden, inwiefern in den verschiedenen christologischen Konzepten
Kontinuität zum historischen Jesus besteht. Söding betont die verbindenden
Elemente wesentlich stärker als die Unterschiede, zum Beispiel zum Messias- und
Kyrios-Titel oder zur Deutung des Todes
Jesu. Diese pointierte Position wird weitere exegetische Diskussion herausfordern. Diese Anfragen nehmen jedoch
dem mit großer Sprach- und Darstellungskraft geschriebenen Buch nicht seinen Wert, der neben der systematischen
Verortung der Fragestellung vor allem in
der klaren Präsentation auch schwieriger
christologischer Konzepte zu sehen ist.
Gerd Häfner
Thomas Söding
„Der Gottessohn aus Nazaret“
Das Menschsein Jesu im Neuen Testament
(Verlag Herder, Freiburg 2006, 383 S., 24,90 €).
Die bunten Anfänge mit ernsten Fragen
Christliches Dogma und Leben
Ist das Christentum eigentlich die
„monotheistische“ Religion, als die es sich
selbst versteht? Angesichts seines Bekenntnisses zum „drei-einen“ Gott konnte
und kann diese Frage immer wieder gestellt werden. Franz Dünzl führt die Antworten vor, die in der Alten Kirche gegeben wurden. Ihm geht es darum, die
Dynamik des menschlichen und theologischen Ringens um das wahre Gottesbild
anschaulich zu machen und Verständnis
für die historische Vielfalt der theologischen Entwürfe zu wecken.
Mit seiner genauen Nachzeichnung der
komplexen Entwicklungen bis zur Formung des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses von 381 gelingt Dünzl eine wunderbar verständliche
Einführung, in der ohne billige Vereinfachung die elementaren Zusammenhänge
transparent werden. Kritisch anmerken
könnte man allenfalls, daß die Darstellung
der Debatte im vierten Jahrhundert in
konventioneller Weise auf die Bekenntnistexte ausgerichtet ist, wogegen die zugrundeliegenden denkerischen Probleme – die
wesentlich philosophische sind – kaum
zur Sprache kommen. Daß es mitunter
schwerfällt, im Durcheinander der kirchenpolitischen Ränkespiele nicht die
theologische Fragestellung aus dem Blick
zu verlieren, gibt der Autor selbst zu.
Nach zwei Auflagen unter dem poeti-
Drei-einer Gott
Die Rede von Gott, der in sich lebendige Gemeinschaft – Communio – ist,
wird in der jüngeren Theologie wiederentdeckt. Doch reißt die Vorstellung von der
Dreifaltigkeit / Dreieinigkeit Gottes im interreligiösen Dialog schier unüberwindliche Gräben auf.
Der aus einer Tagung der Gesellschaft
für evangelische Theologie hervorgegangene Sammelband zeichnet kein einheitliches Bild der „Spuren trinitarischen
schen Titel „Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums“ legt Christoph Markschies seine süffig geschriebene Darstellung des frühen
Christentums nahezu unverändert unter
einem neuen Titel vor. Das Büchlein bietet
an sich bekannte Themen, präsentiert
diese aber in neuer Zusammenstellung
und vermittelt dadurch ungewöhnliche
Einsichten. Nach einem Überblick über
den geographischen Raum und die Zeit
schildert es das Christsein vom Individuum über die Lebensformen bis zur Gemeinschaft. Den Abschluß bildet eine
kleine Reflexion über die Gründe für den
Erfolg des Christentums in der Spätantike.
Die Stärke der Darstellung liegt im direkten Bezug auf die Quellen aller Art.
Das Buch lenkt den Blick auf die christliche Existenz „zwischen den Welten“, das
Leben in „dieser“ Welt und die „eigentliche“ Heimat im „Himmel“. Markschies
zeichnet ein plastisches Bild vom antiken
Christentum samt seiner Buntheit und
inneren Gegensätzlichkeit.
Alfons Fürst
Franz Dünzl
„Kleine Geschichte des trinitarischen
Dogmas in der Alten Kirche“
(Verlag Herder, Freiburg 2006, 160 S., 9,90 €).
Christoph Markschies
„Das antike Christentum“
Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen
(Verlag C. H. Beck, München 2006, 271 S.,
12,90 €).
Denkens“ und vereinigt widersprüchliche Positionen in sich. Die Stärke aber
liegt in der Vielgestaltigkeit der Perspektiven, die von den Anfängen trinitarischer Rede in der Bibel über die Auseinandersetzung im Gespräch mit Judentum
und Islam bis hin zu den ethischen reichen.
Matthias Mühl
Rudolf Weth (Hg.)
„Der lebendige Gott“
Auf den Spuren neueren trinitarischen Denkens (Neukirchener Verlag, NeukirchenVluyn 2005, 327 S., 24,90 €).
Mose über 3000 Jahre
Eckart Otto legt eine sehr komprimierte Einführung in Leben, Bedeutung
und Rezeption des Mose vor, der zu einer
der zentralen Figuren der jüdischen,
christlichen und islamischen Religion
zählt. Der Autor faßt den Inhalt der MoseÜberlieferung in der Bibel, genauer: den
„fünf Büchern Mose“, knapp zusammen
und vermittelt eine erste biblische Orientierung. Es folgt ein Überblick über die
Forschungsgeschichte mit dem Ergebnis,
daß der historische Mose nicht rekonstruiert werden kann.
Der Großteil befaßt sich mit der Wirkungsgeschichte des Mose in der Literatur
der letzten 3000 Jahre. Der Autor geht unter anderem der Frage nach, aus welchen
Motiven die Mose-Gestalt in Erzählungen
des Alten Testaments Eingang gefunden
hat und so zum Kristallisationskern jüdischer Identität werden konnte.
Das Buch erscheint in einer etablierten Reihe wissenschaftlicher Einführungen. Jedoch wurde die Darstellung so zusammengedrängt, daß sie für den wenig
kundigen Leser wohl zu voraussetzungsreich ist. Wünschenswert wäre eine gewichtige, aber zugleich weniger gedrängte Darstellung.
Thomas Nahrmann
Eckart Otto
„Mose“
Geschichte und Legende (Verlag C.H. Beck,
München 2006, 129 S., 7,90 €).
Philosophievergessene Theologie?
Ringen um das wahre Gottesbild
Klaus Müller stellt sich anspruchsvoll
und selbstbewußt den denkerischen Verpflichtungen, die sich im Zusammenhang gegenwärtiger Politik, Poesie und
Philosophie aus dem Anspruch christlicher Gottesrede ergeben.
Nicht zum ersten Mal findet momentan eine „philosophische Rechenschaftsverweigerung“ eines „beträchtlichen Teils
des Theologiebetriebes“ statt. Das, so
Müller, sei aber nichts Neues, vielmehr
schon einmal der Fall gewesen – und
zwar just zu der Zeit, in der die Moderne
in Deutschland ihr Gesicht gewonnen
hat, in den Jahren zwischen dem Tod Lessings (1781) und dem Tod Hegels und
Goethes (1831/32). Was in jenen entscheidenden Jahren denkerisch geschehen sei, daran habe die Theologie keinen
wirklichen Anschluß gefunden. Und genau das räche sich noch heute.
Müller meint, daß in einer „produktiven Auseinandersetzung mit den damals
freigesetzten philosophischen und theologischen Potentialen“ für die gegenwär-
tige denkerische Situation weiterführende Perspektiven freigesetzt werden
können. Und dann beginnt mit Müller
einer zu denken, der es kann. Es ist faszinierend, ihm zu folgen, sei es auch im
Widerspruch. Auf eine brillante „Gegenwartsdiagnostik“ folgt eine Analyse der
„Formationsbedingungen“ der aktuellen
Lage. Daraus hervorgehend entwickeln
sich die großen Themen vor den Augen
des Lesers: die Problematik des Monotheismus und seiner möglicherweise ihm
innewohnenden Nähe zur Gewalt, eine
neue, weiterführende Sicht der Pantheismus-Diskussion, die falsche, weil zu enge
und ängstliche Grenzziehungen in Frage
stellt, Überlegungen zur Freiheit und erhellende Ausführungen zur Subjekttheorie. Der Münsteraner Philosoph und
Theologe lädt ein zu einem anspruchsvollen Denkweg. Es lohnt sich.
Arno Zahlauer
Klaus Müller
„Streit um Gott“
Politik, Poetik und Philosophie im Ringen um
das wahre Gottesbild (Verlag Friedrich Pustet,
Regensburg 2006, 288 S., 34,90 €).
So viele Religionen, ein Jesus
Fragen der Religionstheologie werden
unter dem Eindruck eines extremistischen Islam mit besonderer Intensität
diskutiert. Gibt es verschiedene Heilswege? Wer war Jesus Christus? Muß man
an ihn glauben? Gibt es „anonyme Christen“? Wie kann man angesichts der Vielfalt der Religionen überzeugt Christ sein?
Elmar Klinger bemüht sich darum, nicht
nur zu den anderen Religionen zu sprechen, sondern diese in ihrem Anspruch
und Anderssein ernstzunehmen.
Der Verfasser schreibt verständlich und
weicht kritischen Überlegungen – etwa
zum Verhältnis von Christusverständnis
und Feminismus – nicht aus. Seine zahlrei-
chen Anregungen sind freilich auch selbst
zu befragen, wenn etwa eine „Theologie
des Zusammenwachsens der Religionen,
für das man den Ausdruck Synkretismus
zutreffend verwenden kann“, gefordert
wird. Von besonderem Interesse sind die
Gedanken zum Verhältnis von „Dominus
Jesus“, der vatikanischen Erklärung über
die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu
Christi, und dem Konzil oder seine Auseinandersetzung mit dem Weltethos.
Holger Zaborowski
Das Herz
durch die Antike, die Welt der Bibel – bis
zur Aufklärung. Auch wird das Herz in
Literatur und Philosophie bedacht – im
Abendland wie in der islamischen Zivilisation. Einziger Wermutstropfen bei dieser äußerst fruchtbaren Tour d’horizon
ist die zwar gut verständliche, aber angesichts des Themas doch hier und da etwas
„blutleer“ geratene Sprache.
Elena A. Griepentrog
Wir nehmen uns etwas zu Herzen, wir
verlieren unser Herz an jemanden, oder
tragen das Herz auf der Zunge. Wie kein
anderes Organ vereint das Herz seelische,
körperliche und spirituelle Bedeutungen.
Doch nicht nur in Mitteleuropa hat das
Herz diese zentrale Bedeutung, weist der
norwegische Kulturwissenschaftler Ole
Martin Hoystad nach. Kenntnisreich
führt er uns quer durch Kulturen – ob
Sumerer oder Azteken – und Epochen,
Elmar Klinger
„Jesus und das Gespräch der Religionen“
Das Projekt des Pluralismus (Echter Verlag,
Würzburg 2006, 126 S., 12,80 €).
Ole Martin Hoystad
„Kulturgeschichte des Herzens“
Von der Antike bis zur Gegenwart (Böhlau
Verlag, Köln 2006, 231 S., 24,90 €).
3
Wie der Mensch schreiben lernte
Kulturgeschichte als Lese-Geschichte
Auch in unserer Zeit der elektronischen Massenmedien können neu entdeckte oder entzifferte Handschriften
noch eine Sensation sein und der Brand
einer Bibliothek eine Katastrophe. Schrift
und Schrifttum sind – und bleiben! – ein
prägender Teil unserer Kultur. Der Kulturwissenschaftler Peter Stein stellt die
Geschichte des Schreibens und Lesens
von den Vorformen in der Altsteinzeit bis
in die Medienvielfalt unserer Tage dar.
Er schreibt mit wissenschaftlichem Anspruch und bezieht Position. Dabei wendet er sich insbesondere dagegen, die Entwicklung der schriftzentrierten Kultur in
ihrer europäischen Ausprägung schlichtweg zum Maßstab für Fortschritt zu machen und schriftlose andere Kulturen
abzuwerten. Allzu plakative Formeln werden kritisch befragt, etwa: ohne Buchdruck hätte es keine Reformation gegeben; oder: die Alphabetisierung breiter
Volksschichten im 19. Jahrhundert habe
zu einer Demokratisierung der Gesellschaft geführt.
Die Schriftkultur wird in die allgemeine (Kultur-)Geschichte eingebettet.
Dabei wird beispielsweise deutlich, daß
die Ausbildung der Schriftkultur immer
wieder Impulse von politisch-wirtschaftlichen Herrschaftsinteressen empfangen
hat. Der Autor entfaltet ein breites Spektrum an Informationen zur Entwicklung
der Schrift und der Beschreibstoffe sowie
der Schreib- und Druckgeräte, zu den
Problemen des Entzifferns und Übersetzens, zur Entstehung der Schulen und der
Wissenschaften, zu Buchdruck, Buchhandel, Bibliotheken und Pressewesen, zur
Zensur und zur Herausbildung der Autoren-Rolle, zum Leseverhalten und zur
Entwicklung des privaten Lesens und
Schreibens bis hin zu Lesehilfen, Lesemöbeln und Lese-Bekleidung. Die Bedeutung der Schrift für die Religion, insbesondere für die Buchreligionen Judentum,
Christentum und Islam mit ihrem jeweiligen Spannungsverhältnis von mündlicher
Überlieferung und heiligen Schriften, ist
in einem eigenen Kapitel dargestellt.
Josef Epping
Peter Stein
„Schriftkultur“
Eine Geschichte des Schreibens und Lesens
(Primus Verlag, Darmstadt 2006, 349 S., mit
45 sw.-Abb., 34,90 €).
Glaubensgeschichte in Bewegung
lenderreformen nicht vertrieben worden
sind. Daneben sind zwei unserer Monatsnamen nach römischen Kaisern benannt,
einige andere tragen römische Zahlen.
Das Buch führt aber auch zu den christlichen Festen, dem Heiligenkalender. Es
berichtet von den Versuchen, andere Wochenrhythmen einzuführen, was regelmäßig scheiterte. Der Gang durch Zeiten
und Kulturen macht deutlich, welche
Wandlungen im Zeit- und Festverständnis vor sich gegangen sind, wie zäh aber
auch manche Elemente sich behauptet
haben.
Otto Betz
reichen anschaulich bis zu Felix Nussbaums „Die Gerippe spielen zum Tanz“
aus dem Jahr 1944. Immer handelt es sich
um Tänze der Toten mit den Lebenden,
und immer tanzen nur die Toten, die Lebenden jedoch nicht. Wer bringt die Toten
zum Tanz? Nach welcher Melodie bewegen sie sich? Wer spielt ihnen auf? Welche
Erotik geht vom Tod aus? Und welchen
Tod sterben die Liebenden?
Theo Sundermeier wagt im zweiten
Teil den interkulturellen wie interreligiösen Vergleich. Detailreich zeigt der Autor
afrikanische und vor allem indische und
indonesische Tanzkulturen und ihre Darstellungsweisen in der Kunst auf und fragt
nach ihrer – nicht nur symbolischen – Bedeutung für den christlichen Glauben und
die Liturgie der Kirche. Wie ist es dazu gekommen, daß religiöse Tanz-Traditionen
im Inkulturationsprozeß zwar anfänglich
erlaubt, dann aber radikal ausgemerzt
wurden? Wie ist diese Verarmung (bis
heute) zu beurteilen?
Die Ausführungen der beiden Autoren
treffen sich in der Entdeckung des tanzenden Christus, der das göttliche Ja zur
Welt ohne Nein, eine Schöpfung ohne
Vernichtung und schließlich ein Leben
ohne Tod versinnbildlicht. Die „traditionell sitzende Erstarrung in unseren Gottesdiensten zu überwinden“, nach ganzheitlichen Formen der Verkündigung, der
Klage und des Lobes zu suchen, daran zu
arbeiten, ist auch eine der wichtigsten liturgischen Aufgaben der Gegenwart.
Vera Krause
Jörg Rüpke
„Zeit und Fest“
Eine Kulturgeschichte des Kalenders (Verlag
C. H. Beck, München 2006, 256 S., 22,90 €).
Jürgen Moltmann, Theo Sundermeier
„Totentänze – Tanz des Lebens“
(Verlag Otto Lembeck, Frankfurt am Main
2006, 84 S., zahlr. farbige Abb., 19,80 €).
Der Tod läßt erstarren. Der Tanz ist
demgegenüber Inbegriff von Bewegung –
mehr noch: von Lebendigkeit und Lebenslust. Es lassen sich kaum größere Gegensätze denken. Jürgen Moltmann und
Theo Sundermeier führen in ihrem reich
bebilderten Buch über sakrale Tanzkulturen dieses Gegensatzpaar in überzeugender Weise zusammen.
Ausgehend von der antiken Mementomori-Weisheit widmet sich Jürgen
Moltmann in einem ersten Teil den denkwürdigen Totentanz-Traditionen des Mittelalters, die sich von Paris aus über ganz
Europa ausbreiteten. Die Ausführungen
Vergessene Zeit, lebendige Zeit
Der Kalender
Schon vor Jahrtausenden bauten sich
die Menschen riesige Steinkreise, um den
exakten Sonnenstand berechnen zu können. Der Kalender entstand, weil die Menschen die Zeit in Rhythmen erleben und
erfahren wollten, wie sie den Ablauf des
Lebens strukturieren können: Was wiederholt sich in jedem Jahr, was muß „begangen“ und darf nicht vergessen werden?
Der Kalender erinnert, setzt Zeichen,
mahnt, bringt Vergangenes wieder herauf.
Jörg Rüpke wandert durch die lange
Geschichte des Kalenders, zeigt die antiken Wurzeln auf. Wer macht sich schon
klar, daß sich etliche antike Götter in der
Bezeichnung unserer Wochentage eingenistet haben und daß sie trotz vieler Ka-
Nachdenken über Fragen wie zum
Beispiel, ob Christus der Anfang der
christlichen Theologie sei, ob der
Glaube aus einer freien Entscheidung
bestehe, ob Theologie als Glaubenswissenschaft definiert werde solle
und ob Zufriedenheit ein christliches
Ideal repräsentiere, kennzeichnet
dieses Buch. Daß es Gotteserfahrung
und Gottesbegriffe gebe, daß Christen an die Kirche glauben, daß das
Konkrete mehr Realität als das Abstrakte besitze sowie daß der Praxis
der Vorrang vor der Theorie zukomme, sind Annahmen, die eine
Infragestellung verdienen. Es handelt sich beispielsweise um eine unscharfe Fokussierung, wenn Glaubenswahrheit von Glaubenswahrheiten nicht unterschieden oder
wenn Gott als eine Wirklichkeit statt als die Wirklichkeit
angesehen oder wenn zwischen Wahrheit und Wahrheiten nicht differenziert
wird. Die in der Umgangssprache versteckte Theologie hat manchmal den
besseren Durchblick. Ein neuer Gedanke in der Theologie ist häufig ein Mißverständnis. Ihre Hauptarbeit besteht in der Bereinigung solcher Sichtbehinderungen. In diesem Buch richtet der Fensterputzer sein Augenmerk auf
kaum bemerkte theologische Denkfehler, die zur Zeit im Ansehen stehen.
William Hoye
Liebgewordene theologische Denkfehler
2006, 192 Seiten, Klappenbroschur, 14,80 d / sFr 26,60
ISBN 3-402-00220-5
ASCHENDORFF VERLAG
www.aschendorff.de/buchverlag
Wer, was bringt die Toten zum Tanzen?
Faszination und
Herausforderung
Johannes Oeldemann
Peter Lüning
Die Kirchen des
christlichen Ostens
Ökumene an der Schwelle
zum dritten Jahrtausend
Orthodoxe, orientalische und
mit Rom unierte Ostkirchen
Topos plus, 168 S., kart.
€ (D) 8,90, ISBN 3-7867-8357-8
Topos plus positionen, 232 S., kart.
€ (D) 10,90, ISBN 3-7867-8577-5
Eine fundierte und allgemein verständliche Einführung in den Begriff
der Ökumene, die Geschichte der
ökumenischen Bewegung und in die
kontroversen Themen.
Ein solider und hochinteressanter
Einblick in Geschichte, Verbreitung,
Strukturen, Glaubenslehren und Riten
der östlichen Kirchen.
www.pustet.de
Verlag Friedrich Pustet
4
Gesundheit und Religion
Analyse einer vernachlässigten Beziehung / Ein Literaturbericht
Von Hildegard Kaulen
Gesundheit und Heil sind zwei Begriffe, die eng zusammengehören. Gesundheit wird heute als Aufgabe der Medizin, Heil als Aufgabe der Religionen
betrachtet. Die ursprüngliche Verbindung zwischen beiden scheint kaum
noch wahrgenommen zu werden. In der
Antike betrachtete man Gesundheit als
eine Tugend der Seele. Gesund war derjenige, bei dem Leib und Seele in Einklang
waren. Im Mittelalter stand die heilsgeschichtliche Bedeutung von Gesundheit
und Krankheit im Vordergrund. Das
Kranke nahm teil am Leiden Christi, der
diesen Prozeß als Arzt, als Christus medicus, begleitete.
Mit Descartes, der den Begriff der
Seele auf den des Geistes und damit auf
Bewußtsein und Selbstbewußtsein reduzierte, ging die Sicht von der Einheit aus
Seele und Leib endgültig verloren. Es entwickelte sich ein kausales Verständnis
von Gesundheit und Krankheit, das noch
heute vorherrscht. Gesundheit wird nicht
mehr in erster Linie als Lebensaufgabe
betrachtet, sondern als ein auf molekularen Prozessen beruhendes StoffwechselGeschehen. Daraus erwuchs die Ansicht,
daß Gesundheit machbar und beliebig
steigerbar ist.
Was ist Krankheit ?
Warum sind diese Zusammenhänge,
mit denen sich immer mehr Bücher beschäftigen, bedeutsam? Weil sie offenkundig Auswirkungen auf unsere Lebenswirklichkeit haben. Das zeigen die
gesellschaftlichen Realitäten. Unsere
Krankenversorgung steht vor dem Kollaps. Gesundheit ist zur Ersatzreligion geworden. Immer mehr verzweifelte
Kranke wenden sich dubiosen Heilern zu
und scheuen dabei keine Kosten und
Mühen. Unter dem Begriff Heilung entsteht eine neue Branche selbsternannter
Therapeuten. Auch die traditionelle Medizin erfindet neue Krankheiten und „pathologisiert“ so immer größere Bereiche
unseres Lebens. Außerdem fehlt es an
Rollen für chronisch kranke Menschen,
obwohl dieses Schicksal heute eher die
Regel als die Ausnahme ist. Was Gesundheit tatsächlich ist und was die Religion
dazu beitragen kann, scheint kaum mehr
zur Debatte zu stehen.
Die Professorin für evangelische
Theologie und Studienleiterin an der
Evangelischen Akademie im Rheinland
Sung-Hee Lee-Linke bietet einen sehr
guten Einstieg in diese Thematik (1). Das
Buch knüpft an zwei Veranstaltungen in
der dortigen Akademie an, definiert Ge(1) Sung-Hee Lee-Linke (Hg.)
„Heil und Heilung“
Erfahrung im Glauben und Leben (Verlag Otto
Lembeck, Franfurt a. M. 2006, 198 S., 16,– €).
(2) Kay Peter Jankrift
„Mit Gott und Schwarzer Magie“
Medizin im Mittelalter (Konrad Theiss Verlag,
Stuttgart 2005, 173 S., 36,– €).
(3) Werner H. Ritter, Bernhard Wolf
„Heilung – Energie – Geist“
Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und
Geschäft (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2005, 284 S., 21,90 €).
(4) Monika Dörflinger
„Wege der Heilung?“
Alternative Diagnose- und Therapieverfahren
aus christlicher Sicht. (D&D Medien Verlag,
Ravensburg 2003, 158 S., 10,90 €).
sundheit und Krankheit, stellt Heilungsrituale verschiedener Kulturen und Epochen vor und schließt mit einem Vorschlag für einen Heilungsgottesdienst ab.
Die Weltgesundheitsorganisation geht
von einer umfassenden Definition von
Gesundheit aus und sieht darin das vollständige Wohlbefinden von Leib und
Seele. Sprachgeschichtlich hat Gesundheit etwas mit „geschwind, stark, streng,
hart und klug“ zu tun, bezeichnet also einen Lebensstil. In verschiedenen Beiträgen wird Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung
gesehen, sondern als Kraft, damit zu leben. An diese Kraft knüpft der Heilungsgottesdienst an.
Energie – Geist – Gen
Einen Blick auf die Medizin des Mittelalters eröffnet der am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch
Stiftung in Stuttgart tätige Historiker
und Philologe Kay Peter Jankrift (2). Das
Mittelalter ist die Zeit, in der die Erkenntnisse der arabischen Medizin und
anderer Hochkulturen noch nicht verfügbar waren und es noch keine auf
der Anatomie begründete Medizin gab.
Krankheiten galten als Strafe Gottes oder
als Auswirkungen des Bösen. Der Begriff
des Hexenschusses etwa geht auf diese
Vorstellung zurück. Heilung war demzufolge nur mit Gottes Hilfe möglich. Allerdings hatten auch Aberglaube und Astrologie ihren Platz. Jankrifts Buch ist ein
reich bebildertes Lesebuch über die Weltbilder und Praktiken dieser Zeit, in der es
einen fließenden Übergang zwischen
Hospitälern und Armenhäusern gab. In
vielen zeitgeschichtlichen Quellen führt
er dem Leser das Leben und Sterben der
Menschen im Mittelalter und ihre Suche
nach dem Heil in Christus vor Augen.
Werner H. Ritter, Professor für Religionspädagogik an der Universität Bayreuth, und Bernhard Wolf, Pfarrer und
Leiter des dortigen Forschungs- und Informationszentrums für Neue Religiosität, rücken das Thema Heilung in das
Spannungsfeld von Energie und Geist
und lassen verschiedene Fachrichtungen
zu Wort kommen (3). Das Spektrum
reicht von den biblischen Wurzeln der
Heilung bis hin zur Heilung durch Geister und Energien. Weil viele alternative
Therapieverfahren ihre Wirkung auf eine
Lebensenergie zurückführen und diese
mit dem Energieerhaltungssatz der Thermodynamik begründen, geht der Physiker Martin Lambert darauf ein. Er macht
deutlich, daß die Energie, mit der sich die
(5) Matthias Beck
„Der Krebs und die Seele“
Gen – Geist – Gehirn – Gott. (Ferdinand
Schöningh Verlag, Paderborn 2004, 261 S.,
24,90 €).
(6) Klaus Dörner
„Das Gesundheitsdilemma“
Woran unsere Medizin krankt. Zwölf Thesen
zu ihrer Heilung (Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2004, 201 S., 7,95 €).
(7) Michael Schünke, Erik Schulte,
Udo Schumacher, Markus Voll,
Karl Wesker
„Prometheus-Lernatlas der Anatomie“
Bd.1: Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem (Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2004,
542 S., 64,95 €); Bd.2: Hals und Innere Organe
(2005, 371 S., 39,95 €); Bd.3: Kopf und Neuroanatomie (2006, 420 S., 49,95 €).
Physik beschäftigt, nichts mit der Lebensenergie der alternativen Medizin zu tun
hat und daß dieser Begriff nur versucht,
seine Glaubwürdigkeit aus der Physik abzuleiten. Eine Fern- oder Geistheilung,
die nicht auf einem direkten Informationsaustausch zwischen dem Heilenden
und dem Geheilten beruht, hält Lambert
für unmöglich. Klaus Berger, Professor
für Neues Testament an der Universität
Heidelberg, plädiert dafür, die Berichte
über die Wunderheilungen der Bibel genauer in den Blick zu nehmen, weil
sie den Sinn der christlichen Botschaft
schärfen. Die zentrale Grundlage für Gesundheit ist ein lebendiger Glaube, der
nicht nur subjektives Vertrauen schenkt,
sondern auch Teilhabe an der lebendig
ordnenden Festigkeit Gottes gewährt.
Monika Dörflinger, Physiotherapeutin
und Heilpraktikerin, hat einen Therapieführer vorgelegt (4). Sie beschreibt alle
alternativen Verfahren, von der weithin
anerkannten Homöopathie bis hin zur
dubiosen Geistheilung und kommentiert
sie aus ihrer Sicht als Therapeutin und
Christin. Die Texte zeugen von profunden Kenntnissen und sind sehr informativ. Allerdings kommen die Bewertungen
oft plakativ und knapp daher, was nicht
heißen soll, daß Monika Dörflinger mit
ihren Einschätzungen im Unrecht ist.
Eine differenziertere Betrachtung wäre
aber mitunter angebracht gewesen.
Mit der Suche nach den tieferen Hintergründen einer Krebserkrankung beschäftigt sich Matthias Beck (5). Er ist
Mediziner und Theologe und zeigt, daß
Krebs zwar auf dem Wirken von Genen
beruht, daß diese aber eine zerbrechlich
schwebende Mitte zwischen innerer Formung und äußerer Beeinflussung darstellen und unmittelbar mit dem geistiggeistlichen Innenleben des Menschen zu
tun haben und davon beeinflußt werden.
Krebszellen haben aufgrund einer Schädigung ihrer verletzlichen Erb-Strukturen ihre Form, ihr Ziel und ihre Dialogfähigkeit im Körper verloren. Für Beck
hat dieser Verlust tiefere existentielle
Hintergründe, die mit dem Gottesverhältnis des Menschen zu tun haben. Ein
von Gott abhängiger, zu sich selbst erwachter Mensch, der aus der Quelle seiner inneren Mitte schöpft, wird seine innere Stimmigkeit finden. Beck: „Manche
Krankheit kann aber als Lebenskorrektiv
Ausdruck der Güte Gottes sein, damit der
Einzelne sein Leben und seine tiefste
Identität nicht verfehlt. Es gibt ein Leiden
das zum Leben führt und eines, das zum
Tode gereicht.“
Marktwirtschaft Medizinbetrieb
Klaus Dörner ist Arzt und Historiker.
Ein wesentliches Problem besteht seiner
Ansicht nach darin, daß das Gesundheitssystem nach marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten ausgerichtet worden ist
(6). Dies führt zwar zu einer Kostensenkung, hat aber auch eine ständige Expansion zur Folge. Ein marktwirtschaftlich orientierter Medizinbetrieb sucht
förmlich nach neuen Patienten. Folglich
müssen mehr und mehr Gesunde zu
Kranken gemacht werden. Auch die
gesellschaftliche „Entmischung“ hält Dörner für ein großes Problem. Kranke, geistig Behinderte, Körperbehinderte, psychisch Kranke und Altersverwirrte sind
aus den Familien herausgenommen worden und werden heute in Spezialeinrichtungen betreut. Die Ärzte müßten wieder
lernen, vom Letzten, vom Schwächsten
her zu denken. Sie sollten sich nicht als
Heiler fühlen, sondern als Begleiter, der
auch einen Blick für die Angehörigen hat.
Die Medizin muß wieder lernen, sich den
an sie herangetragenen Wünschen zu
widersetzen. Medizin ist keine Dienstleistung. Der Kranke kein Nutzer oder
Konsument. Er ist ein in Not geratener
Mensch, der das Vertrauen des Arztes
sucht. Der Arzt soll in seiner Verantwortung zwar belangbar, aber im Kern
frei und unverfügbar für diese Aufgabe
sein.
Wer einen „Beweis“ für das Wirken
Gottes sucht, kann ihn in der Erhabenheit des menschlichen Körpers finden.
Der von Michael Schünke, Erik Schulte,
Udo Schumacher, Markus Voll und Karl
Wesker herausgegebene „PrometheusLernatlas der Anatomie“ (7) präsentiert
das Wissen in einer nie dagewesenen
Schönheit. Auf den vielen vom Computer erzeugten Bildern wird jede Körperregion zuerst vom Skelett her betrachtet
und dann nach und nach um Muskeln,
Gefäße und Nervenbahnen ergänzt. So
baut sich von Seite zu Seite ein fast hyperrealistischer Körper auf, den man durch
Vor- und Zurückblättern immer wieder
von innen nach außen oder außen nach
innen studieren kann. Nach der Lektüre
kann man sich vor diesem Wunder
„Mensch“ nur verneigen.
Was wissen
Schimpansen . . .
. . . über das Sterben?
Wenn der Neurologe und Psychiater
Winfried Rorarius vom verlorenen Posten
wissenschaftlicher Forschungsmethoden
spricht, von den „Verlegenheiten“ und
dem „Ärgernis“ für Wissenschaftler, so
meint er damit den sich selbst bewußt
seienden menschlichen Geist. In seinem
Werk „Was macht uns einzigartig?“ finden sich für dieses Phänomen viele Begriffe, aber der Autor sieht darin den
unhintergehbaren Grund für die Sonderstellung des Menschen, die er gegen jede
aktuelle philosophische „Political correctness” selbstbewußt voraussetzt.
Das Buch beginnt mit einem knappen philosophisch-historischen Abriß
der Diskussion und endet mit der Frage
nach dem möglichen Weiterleben eben
dieses einzigartigen Geistes nach dem
Tod, wofür die sehr facettenreichen Beobachtungen aus der Überlebensforschung dargestellt werden. Im Hauptund Mittelteil dieses gegen die modernen „miesmacherischen“ Philosophierichtungen anschreibenden Buches setzt
sich Rorarius mit den Wissenschaften –
von Physik über Biologie bis zu Psychologie und Soziologie – auseinander, um
die Argumente für die Einzigartigkeit
des menschlichen Geistes herauszudestillieren.
Am überzeugendsten gelingt ihm dies
auf vertrautem Terrain, in der Neurologie, die ihm zahlreiche Duellierfelder bietet, um gegen die reine Gleichheitsformel
von „Geist ist nur Gehirn und sonst
nichts“ anzufechten. Etwa da, wo er sich
den Sprache-Geist Verflechtungen im
menschlichen Gespräch widmet. Die
Dualismus-Debatte wird auch Rorarius
natürlich nicht beenden. Aber man findet in diesem neuesten Beitrag dazu
nicht zuletzt so interessante Hinweise wie
den auf die Frage, ob Schimpansen wissen, was der Tod bedeutet.
Martina Lenzen-Schulte
Winfried Rorarius
„Was macht uns einzigartig?“
Zur Sonderstellung des Menschen (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006,
312 S., 57,90 €).
5
Wie verläßlich ist der Kosmos?
Weltformel-Träume
Als wohltuend ernüchternd erweist
sich das vorliegende Buch im Blick auf
den Traum von einer „Weltformel“,
woran schon Werner Heisenberg und
Stephen Hawking gescheitert sind. Vor
allem die Entfaltung der „Quantentheorie“ schied „streng zwischen Wunsch
und Wirklichkeit“. Demnach ist „die Zukunft nicht vollständig erkennbar“. Alle
Berechnungen in diesem Bereich gelten
als rein statistisch und bloß „wahrscheinlich“ und stehen immer unter
dem Vorbehalt der Beobachtung.
Schlicht und einfach lautet daher die
These des Autors: „Wer sich auf die Natur verläßt, ist verlassen.“
Der erste Teil gibt dem Leser einen
Einblick in die Evolutionsgeschichte der
Was ist denn schlecht an der Sünde?
Kosmologie. Der zweite Teil befaßt sich
vor allem mit abendländischen Grenzdenkern wie Sokrates, Augustinus und
mit dem Kampf zwischen Religion und
Wissenschaften. Im dritten Teil geht es
um das „Ergriffenwerden durch Gott“,
um Ethik und Freiheit. Hier beschreibt
Hattrup die Freiheit als „Schattenspiel
von Zufall und Notwendigkeit“, was allerdings unter den Begriffen „Ordnung“
und „Kreativität“ schon in Whiteheads
„Prozeßtheologie“ eine wichtige Rolle
spielte, indem er das Universum als
„kreatives Abenteuer Gottes“ bezeichnete.
Hans-Joachim Rennkamp
Dieter Hattrup
„Der Traum von der Weltformel oder
Warum das Universum schweigt“
(Verlag Herder, Freiburg 2006, 296 S., 19,90 €).
Wahrheit durch Reden – fürs Leben
Philosophische Dialoge
Wirkliches Philosophieren geschieht
dialogisch, im Gespräch mit Freunden, in
der Kommunikation, aber auch in der
existentiellen Selbstvergewisserung des
Individuums. Vittorio Hösle legt eine Geschichte des „philosophischen Dialogs“
von der Antike bis zur Gegenwart vor.
Ungemein kenntnisreich, differenziert
und sehr anspruchsvoll erörtert der Philosoph die Wege dieser Verständigung,
die nichts mit der allgegenwärtigen
Selbstpräsentation in Talkshows, abfragbarem Wissen oder ungehemmter Debattierlust zu tun hat. Wer an einem Dia-
Wegweisend
Die Enzyklika „Deus caritas est“
log teilnimmt, sucht nach der Wahrheit,
vielleicht sogar nach jener Wahrheit, die
das Leben trägt und hält. Im philosophischen Gespräch mit den Mitmenschen
kann, oft ganz unbemerkt, ein Prozeß der
Selbsterkenntnis beginnen.
Hösles Werk ist reich an Material.
Aber es hat auch Mängel, zumal bedeutende Positionen aus der Philosophie des
20. Jahrhunderts, darunter Martin Buber
und Karl Jaspers, unbegreiflicherweise
nicht bedacht werden. Zudem will der
Autor zuviel: Zugleich sollen die
Grundsätze dialogischen Denkens erörtert, die Verstehenshorizonte (Hermeneutik) diskutiert und kritisiert und eine
Geschichte des philosophischen Gesprächs geboten werden. Leser, die nicht
mit der Fach-Begrifflichkeit der zeitgenössischen Universitätsphilosophie vertraut sind, werden dieses zwar interessante, doch ebenso komplexe wie
komplizierte Werk nur bedingt mit Gewinn lesen.
Thorsten Paprotny
Sicht, die Sünde moralfrei denke – als
Gottesferne: Nur aus Gnade, allein durch
Glauben werde der Mensch gerecht. Solche magiefreie Vorstellung mache Gott
nicht mehr zum Erfüllungsgehilfen
menschlich guter Taten (Leistungsgerechtigkeit): Glauben statt Moral.
Heftig kritisiert der Autor säkulare
Bestrebungen, die – wie der Diätwahn
oder Antiraucher-Kampagnen – eigene
„Todsünden“ kreieren und Schuldgefühle erzeugen, nur ohne Gott. Das
„schöne Leben“ dürfe man sich nicht
rauben lassen. Der Autor ist optimistisch:
Die Gesellschaft sei keinesfalls so morallos, wie Wertedebatten ihr unterstellen.
Die Moral der Aufklärung reiche aus und
sei zu verteidigen.
Trotz aller Übertreibungen und seiner
Einseitigkeit handelt es sich um ein interessantes Buch, was die Abrechnung mit
einem magischen Religionsverständnis
und die Moralisierung des Glaubens anbelangt. Angesichts der neuen politischpsychologischen Nachdenklichkeit über
die Macht des Bösen und die „Rückkehr“
des Hasses als „elementarer Gewalt“
(André Glucksmann) wirkt die Stoßrichtung allerdings naiv, realitätsblind. Die
alten Sünden, mit denen der Einzelne
sich und anderen schadet, gibt es ja weiterhin – genauso wie Reue, Sühne, Vergebung. Auf die christliche Lebenskunst der
„Mitte“ und die natürliche „katholisch“sinnliche Heiterkeit der Erlösungshoffnung geht Schulze leider nicht ein.
Johannes Röser
Vittorio Hösle
„Der philosophische Dialog“
Eine Poetik und Hermeneutik (Verlag C. H.
Beck, München 2006, 494 S., 34,90 €).
Gerhard Schulze
„Die Sünde“
Das schöne Leben und seine Feinde (Carl Hanser Verlag, München 2006, 288 S., 21,50 €).
Anfragen eines Soziologen
Der Soziologe Gerhard Schulze legt
alte Kritik neu auf: daß das Christentum das schöne Leben vermiese, daß es
das Projekt der Aufklärung und Selbstverwirklichung durch seine Sünden-Besessenheit zunichte mache. Was eigentlich sei schlecht an einem lustvollen
Dasein?
Der Autor greift die „Todsünden“ auf
und deutet sie modernitätstauglich um.
Was als Völlerei gebrandmarkt wurde, sei
positiv genußvolles Essen, Trägheit die
notwendige Entspannung bei Streß,
Habgier gesunder Ehrgeiz, Hoffart
(Stolz) sinnvolle Selbstsicherheit, Raserei
(Zorn) ein wichtiger Gefühlsausbruch
zur Ausbalancierung des Seelen-Haushalts. Unkeuschheit versteht Schulze als
sexuelle Selbstbestimmung und Neid als
gesunden Konkurrenzkampf. Leider
seien die Christen an einem antiquierten
Verständnis von Sünde als Beleidigung
Gottes hängengeblieben. Dagegen lobt
Schulze die protestantisch-lutherische
Einsatz
Edward Schillebeeckx
»Der religiöse Glaube wird
unweigerlich vom Zweifel
und der Suche begleitet.«
für Gerechtigkeit
Edward Schillebeeckx
Ich höre nicht auf, an den lebendigen Gott zu glauben
Edward Schillebeeckx im Gespräch mit Francesco Strazzari
Zum
2006
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Benedikt XVI.
Gott ist die Liebe
Die Enzyklika „Deus caritas est“ –
Ökumenisch kommentiert
von Bischof Wolfgang Huber,
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Cándido de Dalmases
Gerechtigkeit
vor Gottes Angesicht
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Benedikt XVI. hat die Welt überrascht mit einem Schreiben über
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Kritikern Zustimmung hervorrief.
„Bei aller Sachlichkeit mitreißend geschrieben. Eine
innerlich bereichernde Begegnung mit dem oft verkannten Ignatius“ (P. Johannes Wrba SJ).
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6
Was macht den Kapitalismus human?
Und falls der Glaube doch zurückkehrt?
Über eucharistische Wandlung und weltliches Wirtschaften
Das Christentum, die Moderne und zweierlei Kritik
Der Dortmunder Theologe Thomas
Ruster ist ein origineller Denker mit einem gewissen Hang zu kühnen, ja „steilen“ Thesen. Wortgewaltig ist er in früheren Werken gegen die Religion des Geldes
zu Felde gezogen. Nun möchte er zeigen,
daß es einen inneren Zusammenhang
gibt zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und den religiös-konfessionellen Vorstellungen von „Wandlung“ in
Eucharistie und Abendmahl. Der Traktat
beginnt mit einer furiosen Kapitalismuskritik. Alles drehe sich heute nur um
Wachstum, Beschleunigung, Effizienz und
Gewinnmaximierung. Doch dieses Denken führe ständig neu zu Kampf und Ausbeutung, geradewegs „in den Untergang“.
Im zweiten Teil erläutert Ruster die
unterschiedlichen theologischen Verstehensmodelle von Wandlung. Extrem
vereinfacht und verkürzt läßt sich nach
Ruster sagen: Das katholische Denken
geht von einer echten Wesensverwandlung (Transsubstantiation) aus. Brot und
Wein werden in der Messe dauerhaft –
substantiell – verwandelt in Leib und
Blut Christi. Das evangelische Denken
dagegen sieht die Wandlung eher symbolisch im Sinne einer Consubstantiation:
Brot bleibt Brot, Wein bleibt Wein – doch
die Substanz des Leibes Christi tritt für
den Glaubenden real hinzu. Das habe in
der Konsequenz dazu geführt, daß evangelische Christen viel stärker eine ZweiReiche-Lehre entwickelt haben: hier die
reale, natürliche, materielle Welt, dort die
hinzutretende geistliche Wirklichkeit des
Reiches Gottes im religiösen Bewußtsein.
Was haben diese theologischen Denkmodelle nun mit der Wirtschaft zu tun?
Nach Ruster sehr viel. Denn Katholiken
drängen aufgrund ihres Eucharistieverständnisses auf eine wirkliche Wandlung,
eine Verwandlung der Welt im Sinne einer
sakralen und sakramentalen Durchdringung, ja Heiligung des Irdischen, auch der
Wirtschaft. Evangelische Christen sehen
das „irdisch Ding“ Kapitalismus stärker in
seiner autonomen Eigenständigkeit neben
der privaten Religiosität, die „äußerlich“
dazukommt, aber nicht „wandelt“.
Für Ruster ist der Kapitalismus „gottlos“, eine Macht des Bösen. So legt er Vorschläge vor, wie eine christliche Alternativgesellschaft aussehen könnte, die sich
dem Medium Geld verweigert. Dies kann
jedoch ebenso wie die romantische Verklärung der mittelalterlichen, ständischen
Gesellschaft mit ihrer „humanen Wirtschaft“ – „die Umwandlung von Selbsterhaltung in Schönheit und Gerechtigkeit
war gelungen“ – nicht überzeugen. Ein
anregendes und leidenschaftliches Buch,
das aber jede Menge Fragen offenläßt.
Michael Schrom
Thomas Ruster
„Wandlung“
Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie
(Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2006,
184 S., 18,80 €).
Die Zweifel am Megatrend
Differenziert und ernüchternd hält
Ulrich H. J. Körtner dem vermeintlichen
„Megatrend Religion“ den tatsächlichen
„Megaexodus“ aus den christlichen Kirchen entgegen. Die neue Religiosität entpuppt sich für den Wiener Theologen als
doppeldeutiges Phänomen. Eine mediengerechte Inszenierung christlicher Megatrends und Megaevents erscheint ihm als
zweifelhaftes Instrument, um verlorenes
Terrain zurückzugewinnen.
Nach einer eindrücklichen Standortbeschreibung und geschichtlichen Grundlegung des Begriffs „Religion“ untersucht
Körtner dessen theologischen Gehalt. Im
Anschluß zeigt er betont christliche Formen von Spiritualität auf. Wie eine solche
christliche Spiritualität für außerchristliche Kreise fruchtbar gemacht werden
kann, kommt in dem Buch leider nicht
zur Sprache. So differenziert der Autor die
Situation postmoderner Gesellschaft analysiert, so vage bleiben seine Versuche, re-
ligiöse Aufbrüche anzuregen. Er ermutigt
zwar dazu, im Pluralismus der Religionen
„dialogisch Rechenschaft über den eigenen Glauben“ zu geben und warnt bei der
interreligiösen Begegnung sowohl vor
Indifferenz als auch vor Gewalt. Zudem
appelliert Körtner, ausgehend von der
lutherischen Erkenntnis der Verborgenheit Gottes, an eine besondere christliche
Toleranz, die die konkurrierenden Wahrheitsansprüche der verschiedenen Religionen in ihrer Widersprüchlichkeit annimmt und erträgt. Wie beziehungsweise
ob eine christlich-kirchliche Wiederkehr
der Religion in der heutigen Welt überhaupt möglich sei, wird allerdings nicht
näher bestimmt.
Regina Rieger
Weitaus exakter und insofern lauterer
arbeitet sich der evangelische Theologe
Herbert Koch kritisch an „den Kirchen
und ihren Tabus“ ab. Auch ihm geht es
um das Verhältnis von Religion und Moderne, genauer gesagt um die Verweigerung der Moderne durch die Kirchen –
hier jedoch aus innerkirchlicher Perspektive und aus einem grundsätzlich positiv
gerichteten Impuls.
In sechs Themenkreisen – vom Credo
über den Gottesdienst, das Evangelium
bis hin zu den Bereichen Demokratie, Sexualität und Ökumene – weist Herbert
Koch engagiert die „Verweigerung der
Moderne“ durch die Kirchen (insbesondere an Beispielen aus Deutschland) auf.
Auch Enttäuschung, wenn nicht Bitterkeit angesichts vieler verpaßter Chancen
meint man bei der Lektüre zu spüren.
Dennoch, und darin liegt der Gewinn,
will der Autor die Christen antreiben. Er
legt den Finger in Wunden, um Lösungen
anzumahnen.
Herbert Kochs Fazit lautet: „Religion
– christliche! – ist gefragt. Theologie ist
herausgefordert!“ Und dies gilt auch,
wenn sich die These einer „Rückkehr der
Religion“ trotz aller momentanen Skepsis als richtig erweisen sollte.
Norbert Schwab
Michel Onfray
„Wir brauchen keinen Gott“
Warum man jetzt Atheist sein muß (Piper
Verlag, München 2005, 320 S., 14,– €).
Herbert Koch
„Die Kirchen und ihre Tabus“
Die Verweigerung der Moderne (Patmos Verlag, Düsseldorf 2006, 230 S., 18,– €).
Standpunkte
Zum 70. Geburtstag von Karl Kardinal Lehmann
Ulrich H. J. Körtner
„Wiederkehr der Religion?“
Das Christentum zwischen neuer Spiritualität
und Gottvergessenheit (Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, 173 S., 16,95 €).
Christlicher Osten – für den Westen
„Fremd und faszinierend“ – das empfinden die meisten Menschen im christlichen Westen, wenn sie den Kirchen des
christlichen Ostens begegnen. Johannes
Oeldemann, ein Kenner der Orthodoxie,
hat ein dichtes Kompendium geschichtlich-theologischer Fragen zur Vielfalt des
christlichen Ostens zusammengestellt,
kompetent, detailreich, überzeugend.
Für über dreißig östliche Kirchen bietet der Autor einen informativen und
anschaulichen Einblick in Geschichte,
Verbreitung, Strukturen, Frömmigkeit
und Riten. Als Orientierungshilfe aus der
verwirrenden Vielfalt der orthodoxen
Traditionen werden die wichtigsten In-
Sind Religion und Moderne am Ende
doch unvereinbar? Angesichts der vielfach beschworenen „Rückkehr der Religion“ mag mancher die kritischen Anfragen beiseitegelegt haben. Dennoch
gibt es sie – und zwar weitaus radikaler
als innerhalb der Kirchen oft wahrgenommen. Dies belegt etwa ein Buch des
französischen Philosophen Michel Onfray, das in Frankreich den Sprung in die
Bestsellerlisten schaffte und nun auch in
deutscher Übersetzung vorliegt und
hierzulande bereits starke Resonanz gefunden hat.
Der Autor qualifiziert Religion grundsätzlich als überflüssig, der Freiheit des
Menschen entgegengesetzt und mit rein
negativen Konsequenzen für den Einzelnen und die gesellschaftliche Entwicklung.
Gott und ein Leben nach dem Tod sind für
ihn nichts weiter als Erfindungen angesichts von Endlichkeit und Sterblichkeit;
Religionen dagegen dienten dem Machterhalt der Religionsführer, die den Gläubigen in Unwissenheit und unter Kontrolle
halten.
Indem auch der Atheismus nur als Negativfolie der Religion existiert – für den
geradezu religionsallergischen Onfray ein
unerträglicher Zustand –, fordert er einen
„postchristlichen, also militant atheistischen Laizismus“, der sich darauf besinnt,
„diese einzige tatsächlich existierende Welt
zu nutzen und zu genießen“. Leider gleicht
das Buch Onfrays eher einer Provokation
denn einer fundierten Religionskritik, was
nicht heißt, daß die Religionen sich mit
den vorgetragenen Argumenten nicht auseinanderzusetzen hätten.
formationen – Ritus, Liturgiesprache,
Kirchenkalender, Anzahl der Gläubigen,
Titel und Sitz des Ersthierarchen, Anzahl
der Diözesen und deren Präsenz in
Deutschland – in Schaukästen zusammengefaßt. Ein Anhang mit tabellarischen Übersichten, Karten und weiterführender Literatur vervollständigt das
zuverlässige Nachschlagewerk.
Zoran Andric
Johannes Oeldemann
„Die Kirchen des christlichen Ostens“
Orthodoxe, orientalische und mit Rom
unierte Ostkirchen (Verlagsgemeinschaft Topos plus, Kevelaer 2006, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 230 S., 10,90 €).
Wir Nachbarn des Himmels
Karl Kardinal Lehmann
Erfahrungen und Begegnungen
mit Karl Kardinal Lehmann
Hg. von Karl Jüsten und Hans Langendörfer
192 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
X19,90 /SFr 34.90 /k[A] 20,50
ISBN 3-451-29069-3
Zuversicht aus dem Glauben
Ein Lesebuch über Begegnungen mit
Karl Lehmann – von Menschen, deren
persönliche Geschichten höchst verschieden sind, die aber alle mit dem Kardinal
in Verbindung stehen.
Ein faszinierendes Kompendium der
wichtigsten Themen der letzten zwei
Jahrzehnte, ergänzt um eine Chronik
kirchlicher und politischer Ereignisse.
www.herder.de
Die Grundsatzreferate des Vorsitzenden
der Deutschen Bischofskonferenz
576 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
Z 35,– /SFr 60.50 /m[A] 36,–
ISBN 3-451-28940-7
7
Im „Jesuitenjahr“ 2006 hat der Historiker und Sachbuch-Autor Helmut Feld ein
sehr „persönliches“ Buch geschrieben, das
auf einen Radio-Essay zurückgeht und
diesen Charakter übernommen hat. Die
Hälfte des Werks beschäftigt sich mit dem
Wirken der Gesellschaft Jesu bis in die Gegenwart hinein. Daß darin nicht mehr als
Pinselstriche angeboten werden können,
versteht sich von selbst. So erhält etwa
die „Weltmission“ in Asien, Afrika und
Lateinamerika nur sechs Seiten. In zwei
wichtigen Kapiteln werden je zwei bis drei
Seiten großen Gestalten des „alten“ Ordens (Francisco Javier, Petrus Canisius,
Francisco Suárez, Robert Bellarmin, Matteo Ricci,Athanasius Kircher, Baltasar Gracián, Friedrich Spee) beziehungsweise bedeutenden Jesuiten des „neuen“ Ordens
(Hartmann Grisar, Pierre Teilhard de
Chardin, Hans Urs Balthasar, Henri de Lubac, Jean Daniélou, Bernard Lonergan,Augustin Bea, Stanislas Lyonnet, Karl Rahner,
Gustav Grundlach, Oswald von Nell-Breuning, Wilhelm Klein) gewidmet. Einige aus
der letzten Gruppe waren Lehrer des Autors, was nicht zuletzt die deutsch-zentrierte Auswahl erklären dürfte.
Der Abschnitt über Rahner gerät dabei
zu einer unschönen Abrechnung über
seine Theologie und seinen Charakter:
Von „menschlicher Gefühllosigkeit“, „eitlem Gebaren“ und einer „jahrzehntelangen Doppelexistenz“ ist die Rede (Affäre
Luise Rinser). Vermerkt wird, daß einige
seiner Schriften „von tiefsinnig klingenden Allgemeinplätzen“ strotzen. Vorher
wurde Hans Urs von Balthasar vorgehalten, oft einen „ideologischen Brei“ zu produzieren und dem „pseudotheologischen
und pseudoreligiösen“ Schwachsinn der
Adrienne von Speyr erlegen zu sein.
Und Ignatius? Auf den ersten 240 Seiten wird die Biographie des „Pilgers“,
„Exerzitienmeisters“ und „Ordensgründers“, der vor 450 Jahren starb, mit vielen
„persönlichen“ Beobachtungen leicht
lesbar erzählt. Abschließend werden einige Ratschläge gegen den „unaufhaltsamen Zerfall“ der Gesellschaft Jesu erteilt:
Beseitigung krankhafter Elemente (Ideologie des blinden Kadavergehorsams,
Jungfräulichkeits- und Zölibatsideologie,
Beichtzwang, Dogmatismus in Theologie
und Moral). Die individuelle kultur- und
religionsgeschichtliche Bedeutung des
Ignatius besteht für den Autor in der Entdeckung der „Seele“, die als „Ort Gottes“
von größerer Bedeutung als das „Wort
Gottes“ für ihn gewesen sei, denn er fand
in den Texten der Bibel, „was er vorher
schon in seiner Seele entdeckt hat“. Nicht
jeder wird dies unterschreiben, denn Mystiker sind „Hörer des Wortes“, das in
ihrem Seelengrund erwacht, weil sie ihm
darin eine Wohnung bereitet haben.
Mariano Delgado
Helmut Feld
„Ignatius von Loyola“
Gründer des Jesuitenordens (Böhlau Verlag,
Köln 2006, 483 S., 29,90 €).
Zensiert! Der Vatikan und die Bücher
Seit 1998 ist es der historischen
Forschung zugänglich: das Archiv der
vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre. Der Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf hat schon früher
Einsicht in die römischen Prozeßakten bekommen. Das von ihm geleitete großangelegte Forschungsprojekt „Römische Inquisition und Indexkongregation“ untersucht
die gesamte römische Buchzensur von
1542 (das durch die Reformation ausgelöste Gründungsjahr der römischen Inquisition) bis 1966 (Ende des Index). Als
Nebenprodukt liegt nun das gut lesbare
und unterhaltsame Buch „Index“ vor, das
außer einer Einführung in die Geschichte
des kurialen Bücherverbots neun Zensurfälle im Detail darstellt.
Darunter sind Überraschungen wie
„Onkel Toms Hütte“ von der methodistischen Autorin Harriet Beecher Stowe
und die Bücher des Protestanten Karl
May, die vor allem wegen der nicht-katholischen Verfasserschaft in Verruf geraten waren und letztlich doch nicht auf
den Index kamen. Darunter sind auch
bekanntere Indizierungen wie die Heinrich Heines und Leopold von Rankes.
Spannend ist die Liste der verbotenen
Bücher von 1948 (mit Einlegeblatt von
1954) im Anhang, darunter zum Beispiel
das Verbot aller Werke Jean Paul Sartres.
Es fällt auf, daß Wolf sich in „Index“ vornehmlich auf Kuriositäten verlegt hat.
Mit BENEDICTUS neue Lieder singen …
… bei Gottesdiensten und Treffen der
Gemeinde, in Singkreisen, in der Schule
und in der Familie …
Wurzeln
des Christentums
Rudolf Pesch
GOTT IST GEGENWÄRTIG
Die Tradition der Versammlung
des Gottesvolkes bei Juden und
Christen steht im Zentrum des
neuen Buches von Rudolf Pesch.
Mit einem Geleitwort von
Jean-Marie Kardinal Lustiger.
ANTISEMITISMUS IN DER BIBEL?
CD 1
LIEDERBUCH
192 Seiten, geb., Zeichenband
ISBN 3-932857-70-4
19,90 € (Staffelpreise ab 5 Expl.)
VERLAG URFELD
Hubert Wolf
„Index“
Der Vatikan und die verbotenen Bücher (Verlag C. H. Beck, München 2006, 303 S., 22,90 €).
BUCH
BENEDICTUS
Neue Lieder für das Gottesvolk
CD 1 „Lobe den Herrn, meine Seele“
Chor und Instrumental-Ensemble der
Katholischen Integrierten Gemeinde
TT = 29:43 ISBN 3-932857-71-2 9,80 €
Sechs der neun Fälle wurden nicht zensiert. So mag im Blick auf die unterdrückerische und Opfer fordernde Geschichte römischer Zensur am Ende
der Eindruck entstehen: Alles halb so
schlimm. Anders gesagt: Das Buch hat,
schwäbisch gesprochen,„ein Gschmäckle“.
Irene Leicht
Jeder Band
EUR 14,90
Gewidmet
Georg und Joseph Ratzinger
0 80 41 - 74 09 29
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SANKT ULRICH VERLAG
Über den Gründer der Jesuiten und die Gesellschaft Jesu
Mehdi Bazargan
„Und Jesus ist sein Prophet“
Der Koran und die Christen (Verlag C. H.
Beck, München 2006, 108 S., 14,90 €).
S.
450 Jahre nach Ignatius
Katajun Amirpur, Ludwig Ammann (Hg.)
„Der Islam am Wendepunkt“
Liberale und konservative Reformer (Verlag
Herder, Freiburg 2006, 219 S., 9, 90 €).
76
Peter Hersche
„Muße und Verschwendung“
Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bde. (Verlag Herder, Freiburg
2006, 1206 S., 78,– €).
Die Iran-Wissenschaftlerin Katajun
Amirpur und der Islamwissenschaftler
Ludwig Amman stellen ein Spektrum islamischer Reformer vor. Nach einer programmatischen Einleitung werden neunzehn Personen von verschiedenen Autoren
der jüngeren Generation porträtiert. Jeder
Beitrag endet mit Hinweisen auf Literatur
und Internet-Quellen. Die Reformer spiegeln eine schöne Bandbreite: durch ihre
Herkunft aus Europa, dem Nahen Osten,
Afrika und Indonesien; durch ihre Standpunkte, die liberal oder konservativ, befreiungstheologisch oder feministisch ausfallen, die aus dem Koran schöpfen oder die
Scharia aktualisieren, um Gegenwartsfragen zu lösen. Auch wenn man sich über
manche Einschätzung streiten kann, ist die
Lektüre anregend.
Das von Navid Kermani herausgegebene und eingeleitete Buch des 1995 verstorbenen Mehdi Bazargans, des Führers
der iranischen Freiheitsbewegung, bietet
einen interessanten Zugang zu den teil-
., 1
Auf mehr als tausend Seiten, aufgeteilt
in zwei dicke Bände, legt der Berner Historiker Peter Hersche eine umfassende Darstellung des Barockzeitalters vor. Das
Werk ist auf der einen Seite ein Forschungsbericht in ständiger Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskussion, auf der
anderen Seite eine bis ins Detail gehende
Darstellung jener Zeit zwischen 1550 und
1750, in der der katholisch gebliebene Teil
Europas im Unterschied zum protestantischen Norden eine eigene Kultur entwickelte. Es geht also nicht nur um die
großartige Kunst des Barock, die wir heute
noch bewundern, sondern vor allem auch
um Sozial-, Wirtschafts-, Konfessionsund Mentalitätsgeschichte, wobei der
Autor sich betont – unter Hinzuziehung
vielfältiger Sekundärliteratur – um eine
sehr genaue Fundierung in der Realität
bemüht. Besonders dankbar ist man für
die jeweils zusammenfassenden kleingedruckten Übersichten zum jeweiligen Forschungsstand, in denen auch Kontroverses deutlich zur Sprache kommt.
Ausgangspunkt ist die berühmte
These Max Webers über die Entstehung
der Moderne aus dem Geist des calvinistischen Protestantismus, während im
Barock nun der Geist des Katholizismus
als eine Art Anti-Moderne wirksam wird,
sei es religiös, soziologisch oder wirtschaftlich. Für diese „intendierte Rückständigkeit“, welche nicht an „Fortschritt“ interessiert ist, führt der Autor
die Leitbegriffe „Muße und Verschwendung“ ein, die dem katholischen Barockmenschen wichtiger gewesen seien als
Arbeitsethos und Profit.
Trotz aller gründlichen Wissenschaftlichkeit ist das Werk durchaus leicht lesbar, kann es auch der Laie als historisches
Lesebuch benutzen. Zugleich ist es als
Handbuch zum Nachschlagen und Weiterstudieren für jeden Interessierten geeignet. Etwa 2500 Titel enthält allein das
Literaturverzeichnis (108 Seiten). Natürlich wird diese Arbeit auch die wissenschaftliche Diskussion anregen und zum
Teil Widerspruch hervorrufen. So sind
zum Beispiel die Ausführungen über das
katholische „Neobarock“ im 19. und
20. Jahrhundert wie auch die Beurteilung
des Zweiten Vatikanischen Konzils mehr
als eigenartig.
Manfred Plate
weise sehr konfrontativen Koranversen
über Jesus und die Christen. Nach knappen Vorbemerkungen des Autors sind die
Verse gemäß der islamischen Auslegungstradition in der chronologischen
Reihenfolge der Offenbarungsgeschichte
abgedruckt und mit kurzen Kommentaren versehen. Im Kontext der historischen
Auseinandersetzungen Mohammeds lesen sich die Verse anders, als wenn man
sie zu überzeitlichen Aussagen hochstilisiert. Bazargan versteht den Islam nicht
als Ablösung des Christentums, sondern
sieht im Koran eine auch an Christen
adressierte Botschaft, welche diese an ihre
eigenen Glaubensgrundlagen erinnert.
Beide Bücher sind ein Beleg für die Wandelbarkeit des Islam.
Hansjörg Schmid
Geb
Ein anregendes Handbuch
Reform-Islam
Geb., 160 S.
Das Zeitalter des Barock
8
Schillebeeckx: sein Lebenszeugnis
„Ich höre nicht auf, mit Vernunft und
Gefühl an den lebendigen Gott zu glauben.“ – Mut und Leidenschaft sprechen
aus diesem Satz des bedeutenden Theologen Edward Schillebeeckx, der im Gespräch
engagiert und offen von seiner religiösen
Suche erzählt, von reflektierter kritischer
Forschung und gelebtem Glauben. Anläßlich seines neunzigsten Geburtstags erhält
der Leser zunächst Einblick in seinen theologischen Werdegang. Mehrfach wurde er
kritisch von der Glaubenskongregation
befragt, ein Zeichen für seine Sprengkraft.
Schillebeeckx geht von einer „natürlichen Offenheit“ des Menschen aus,
durchdrungen von einer Sehnsucht nach
absoluter Transzendenz. Jesus von Naza-
reth, Thomas von Aquin, Johannes vom
Kreuz und Katharina von Siena werden
ihm zu Weggefährten und Quellen
christlichen Denkens und Handelns.
Schillebeeckx beeindruckt durch seine
klare verständliche Sprache, seine fundierte Kenntnis der christlichen Tradition und seine Geisteskraft, die Glaubenstradition fürs Heute zu durchdringen,
auch in sozialer Verantwortung.
Katharina Nast
Edward Schillebeeckx
„Ich höre nicht auf, an den lebendigen
Gott zu glauben“
Edward Schillebeeckx im Gespräch mit Francesco Strazzari (Echter Verlag, Würzburg
2006, 93 S., 9,90 €).
Dorothee Sölle: Das Gesamtwerk
Dorothee Sölle war die meistgelesene
theologische Autorin des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Nun
wird in zwölf Bänden ihr Gesamtwerk
von ihrem Mann Fulbert Steffensky und
Ursula Baltz-Otto herausgegeben. Die
Theologin, Frauenrechtlerin und geistliche Schriftstellerin hat kein systematisch
geschlossenes Denkgebäude hinterlassen.
Sie wählte oft das Bruchstückhafte, Fragmentarische.
Hoch aktuell bleiben die Fragestellungen: Wie läßt sich überhaupt
noch sinnvoll von Gott reden und zu
ihm sprechen? Das Wort Theodor Adornos aufnehmend, wonach man nach
Auschwitz nicht mehr beten könne,
wagte Dorothee Sölle dennoch den Entwurf einer negativen Theologie, die von
Gott mehr sagen könne, was er nicht ist,
als was er ist.
Widerstand, Solidarität, Gerechtigkeit: Diesem biblisch-prophetischen Interesse Gottes am Menschen ist der erste Band gewidmet. Darin sind vor
allem Texte politischer Theologie versammelt – einschließlich der leidenschaftlichen Auseinandersetzung von
1971 mit der Existentialphilosophie Rudolf Bultmanns. Der ganze Band atmet
überdies die Atmosphäre jener angespannten Zeit im Kalten Krieg, in der es
der Mitbegründerin des Politischen
Nachtgebets in Köln darum ging, den
Gott Jesu Christi als Befreier in die Welt
hineinzurufen. Ursula Baltz-Otto hat
als langjährige Wegbegleiterin eine
kurze prägnante Einführung in Leben
Große Theologen
. . . in theologischer Entwicklung
Für den Sammelband wurden von
Christian Danz die wichtigsten Repräsentanten der bedeutendsten theologischen Strömungen von der Zeit der
Kirchenväter bis ins 20. Jahrhundert ausgewählt. Epochen- und konfessionsübergreifend sind in großen Linien Leben
und Werke unter anderen von Origenes,
Augustinus, Thomas von Aquin, Martin
Luther, Friedrich Schleiermacher, Rudolf
Bultmann, Karl Rahner vorgestellt.
Sicher wird man einige Namen vermissen, und der weitreichende Einfluß
sowie die Fülle und Komplexität der
Werke dieser Denker machen es den Autoren schwer, alles auf die erforderliche
„dürre Skizze der wichtigsten Grundlinien“ zu reduzieren.
Das Buch ist jedoch als Einstiegs- und
Überblickswerk entworfen. Als solches
und Werk geschrieben, leider aber die
kritischen Anfragen ausgeklammert.
Ganz anders – poetisch, gefühlvoll, literarisch – der zweite Band. Er enthält etliche Aufsätze, spirituelle Erfahrungsberichte, einige Gedichte und Predigten, in
denen Dorothee Sölle Stellung bezieht
zur zerbrechlichen religiösen Erfahrung
der Moderne.
Jürgen Springer
Dorothee Sölle
„Gesammelte Werke“
Band 1: Sprache der Freiheit (315 S.);
Band 2: Und ist noch nicht erschienen, was
wir sein werden (353 S., Kreuz Verlag, Stuttgart 2006; jeweils 24,95 €, Subskriptionspreis
20,95 €).
Sinnlich
Mut zur Religion
Wie fühlt sich der
Glaube an?
Wellness, Religion, Gott
Farbiges Themenheft, 36 S.,
kartoniert, ISBN 3-451-00355-4,
T 5,90 (Mengenpreise)
Es ist Zeit für Gefühle. Das aktuelle
Themenheft der Wochenzeitschrift
„Christ in der Gegenwart“ über die
körperlich-seelische Seite des
Glaubens. Mit Beiträgen von Elisabeth Moltmann-Wendel, Leonardo
Boff, Ulrich H. J. Körtner, Anselm
Grün, Peter Eicher, Christian Nürnberger u.a.
bietet es eine gute Grundlage für die Einordnung der einzelnen Theologen in einen geschichtlichen Zusammenhang,
der, ohne sich in Details zu verlieren, den
Blick auf das Wesentliche richtet. Und
darauf, wie sich Theologie immer in Auseinandersetzungen weiterentwickelt.
Christina Herzog
Christian Danz (Hg.)
„Große Theologen“
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 296 S., 39,90 €).
Einfach schwierig:
die Liebe
„Nichts ist so wenig selbstverständlich
wie die Liebe“. Diesem Wenig-Selbstverständlichen geht Umberto Galimberti als
Anthropologe, Psychoanalytiker und Philosoph in den neunzehn Kapiteln seiner
Gebrauchsanweisung für die Liebe nach.
„Liebe und Transzendenz“, „Liebe und
Sakralität“, „Liebe und Wahnsinn“... Der
Psychoanalytiker ist vertraut mit den Abgründen der Seele, aus denen Eros als
Gott der Liebe aufsteigt. Und so zeigt der
Autor die hintergründigen Triebkräfte
der Liebe auf und macht verständlich, wie
ohne Kontakt zu ihnen die Liebe leidenschafts- und damit kraftlos wird. Einfach
schwierig: die Liebe.
Gerade weil die Überlegungen anspruchsvoll und anregend sind, ist das
Buch keine Gebrauchsanweisung im alltäglichen Verständnis.
Otto-Paul Hessel
Umberto Galimberti
„Liebe“
Eine Gebrauchsanweisung (C. H. Beck Verlag,
München 2006, 224 S., 14,90 €).
Das Herz des
Universums
Einstein und die Frage
nach Gott
Themenheft, 36 S., kartoniert,
ISBN 3-451-00354-6,
T 5,90 (Mengenpreise)
Wie kann man glauben, wenn
traditionelle Gottesbilder unter
dem Druck der modernen Welterfahrung, im Horizont der
Wissenschaft zerbrechen?
Johannes Röser
Mut zur Religion
Erziehung, Werte und die
neue Frage nach Gott
160 S., kartoniert,
ISBN 3-451-05602-X, T 8,90
Religion ist auch eine Bildungsfrage.
Zur Debatte über den Erziehungsnotstand.
„Wertvolle Denkanstöße.“
(Familienministerin Ursula von der Leyen)
„Mit Verstand und Herzblut geschrieben.“
(Psychoanalytiker Tilmann Moser)
Erhältlich im Buchhandel oder direkt bei:
Verlag Herder, Kundenservice, 79080 Freiburg, Fax 0761/2717-249, Tel. 0761/2717-422, E-Mail [email protected], www.christ-in-der-gegenwart.de.
www.herder.de
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