www.christ-in-der-gegenwart.de 1 Bücher der Gegenwart Frühjahr 2006 Religiöstheologische Neuerscheinungen Wer Gott erfahren hat, schweigt nicht Mystiker als Kirchenkritiker: Im Mittelalter und in der Neuzeit Von Christian Heidrich Sie kommt nicht von „links“ oder von „rechts“, sondern aus der Mitte des christlichen Glaubens: die Kirchenkritik der Mystiker. Es ist eine Kritik von Gottbegeisterten, ja Gotterfahrenen. Denn so lassen sich wohl die höchst umstrittenen Begriffe „Mystik“ und „Mystiker“ am fruchtbarsten bestimmen. Es geht um ein intensives Gebetsleben, um die Erfahrung, daß Gott berührbar ist und selbst berührt, daß er den Einzelnen herausruft und ihm zur Mitte der Existenz werden kann. Mystik ist hier nicht so sehr mit außergewöhnlichen Phänomenen verbunden, vielmehr mit dem konsequenten Abschreiten des christlichen Wegs, mit dem im Gebet und in der Kontemplation erspürten Wehen des Geistes. So gesehen gibt es auch eine „Mystik des Alltags“ (Karl Rahner), und es ist dieser „weite“ Mystik-Begriff, mit dem die Herausgeber der hier zu besprechenden Bände arbeiten, um Hildegard von Bingen und Thomas von Aquin, Teresa von Avila und Blaise Pascal, Alfred Delp und Simone Weil, Madeleine Delbrêl und Franz König... zu umfassen. Auch das zweite Hauptwort des Werkes läßt sich mit wenigen Überlegungen klären. Mag Kirchenkritik durch alle Jahrhunderte hindurch eine fleißige Übung gewesen sein und es mit guten Fußball-„Magie“ In wenigen Tagen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Dann werden wir wieder gehäuft Ballkünstler bewundern, die beim Betreten und Verlassen des „heiligen“ Rasens mit der Hand den Boden berühren, sich bekreuzigen oder nach einem Tor religiös anmutende Signale auf die Zuschauer-Ränge oder gleich in den Himmel senden. Nichts als Psycho-Rituale, nichts als säkulare „Magie“, Aberglauben ohne Glauben? Es ist schon eigenartig, daß in dem Maße, in dem christliche Symbolik aus dem öffentlichen Leben entfernt wurde und dort nur noch peinlich wirkt, sie bei der Milliarden-Inszenierung Sport als Geste – oder zumindest als Erinnerung an Gesten – und weniger guten Gründen auch bleiben, so weist die Kritik der Mystiker doch einige Besonderheiten auf. Sie ist vor allem eine Kritik aus dem Innenraum, ein Leiden an der „eigenen“ Kirche. Mit ihr identifiziert sich der Mystiker grundsätzlich, auch wenn der Wunden viele sind und, ja, auch die lach- und wahnhaften Seiten nicht übersehen werden können. An der Seite der Armen Der großangelegte Durchgang beginnt im 12. Jahrhundert (die Herausgeber schulden uns hier leider eine genauere Begründung), und das gleich mit einer Überraschung. Denn mit dem Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (1090– 1153), der den Reigen der rund sechzig Porträts anführt, mag der Leser eher den schillernden Propagandisten des zweiten Kreuzzugs oder den zügellosen Polemiker im Streit um die „neue“ Theologie des Petrus Abaelard verbinden, kaum aber einen „Kirchenkritiker“. Dominik Terstriep, der Autor der Bernhard-Studie, weiß natürlich um diese Klippen. Er führt an, daß der Zisterzienser an keinem Punkt seines stattlichen Werks die grundlegenden Strukturen der Kirche in Frage stelle, dies einem mittelalterlichen Mönch im wiederkehrt. Das Publikum scheint sich für die Bedeutung dieser Zeichen auf dem Platz noch wenig zu interessieren, ist irritiert. Die Reporter wiederum verstummen verschämt, haben Hemmungen, den individuellen „Geheimnissen“ und Zeichen nachzubohren, die Athleten um Erklärung für ihr seltsames Tun zu bitten. Handelt es sich um eine Zwangshandlung? Oder sucht da ein versteckter Glaube fast beiläufig Ausdruck, vor aller Augen? Die religiöse Frage meldet sich, mehr noch als in der Fußballarena auf dem Buchmarkt: für die nachdenklich Beobachtenden wie für die nachdenklich Praktizierenden der Religion. Eine spannende Auswahl neuer Publikationen beurteilt diese CiG-Buchbeilage. rö. übrigen auch gar nicht möglich war: „Die Welt war die Kirche und die Kirche die Welt, es gab kein Außen.“ Wenn sich Bernhard dennoch an vielen Stellen kirchenkritisch äußert, dann richtet sich seine Kritik nach innen, auf einzelne Personen und Mißstände. Auch hier kann er zu einem Meister der Polemik werden. So kritisiert Bernhard in einem überraschend „neuzeitlichen“ Konzept von den allen Menschen zukommenden gleichen Rechten die ungerechte Verteilung der Lebensgüter. „Bernhard erreicht den Gipfel der durch den Mund der Armen vorgebrachten Anklage, indem er den Prälaten letztlich Mord bescheinigt, den sie durch ihr Schwelgen im Überfluß und durch die Mißachtung des ius humanitatis begehen.“ Etwas gedämpfter kann der Mönch auch von Papst Eugen III., seinem ehemaligen Schüler, einen vorbildhaften Lebenswandel einfordern. Die Frage nach dem Ausgleich zwischen Arm und Reich zieht sich wie ein roter Faden durch die Kirchengeschichte. Aus der neuesten Epoche sei auf Oscar Romero (1917–1980) verwiesen. „Sentir con la iglesia“ – „Mit der Kirche fühlen“. Für diesen Wahlspruch hat sich der El Salvadorianer bei seiner Bischofsweihe 1970 entschieden. Die so ausgedrückte Intimität freilich wurde in dem Jahrzehnt des bischöflichen Wirkens einer bedrückenden Prüfung unterworfen. Denn mit der Kirche zu fühlen, bedeutete für Romero sehr bald, mit den Armen zu fühlen. Seine radikale Hinwendung zu den Elenden und sein daraus resultierender Konflikt mit der (im Zweifelsfall „gut katholischen“) Oberschicht stießen aber sowohl bei etlichen seiner bischöflichen Mitbrüder als auch bei vielen einflußreichen Stellen im Vatikan auf verdeckte oder offene Feindschaft. In der Darstellung des Konflikts weiß Martin Maier zu differenzieren, vermag er Romeros Tragik sowohl aus der Perspektive der damaligen Jahrzehnte wie der ignatianischen Spiritualität zu analysieren, von der der Bischof geprägt war. Spezialistinnen des Unerhörten Eine weitere so dramatische wie immergrüne Spur kann der Leser in den Beiträgen entdecken, die sich mit der Stellung der Frau in der Kirche beschäftigen. „Was bewegt eine Frau im 13. Jahr- hundert dazu, nach langem Ringen zur Feder zu greifen und ein Werk über die Gottesfrage zu schreiben?“ Mit dieser Frage setzt Hildegund Keuls Artikel an, der sich mit Mechthild von Magdeburg (um 1208 –1282) beschäftigt, der Verfasserin von „Das fließende Licht der Gottheit“, einem epochalen Werk der Frauenmystik. Die Beweggründe, die Hildegund Keul anführt, weisen Mechthild als Avantgardistin aus. Denn für die Begine (Angehörige eines ordensähnlichen Standes) war es selbstverständlich, eine „kontextuelle“ Theologie zu erproben, in der Gottesfrage nicht so sehr auf scholastische Feinheiten zu achten, sich vielmehr den Fragen der Armen und Sterbenden auszusetzen. Eine solche Berufung zur Theologie und zur Sprache des Volkes stößt bei den Inhabern des Monopols auf die Gottesrede auf harsche Ablehnung. Unerhört erscheint ihnen der Gebrauch der Gemeinsprache und nicht des Lateinischen, der Sakralsprache. Unerhört auch der Vorstoß einer Frau auf das Gebiet einer bis dahin männlichen Domäne. Und doch ist es eine Frau, die ein Gespür für das wahrhaft Unerhörte entwickelt, für die „neuen“ Fragen der städtischen Unterschichten, die einer Antwort aus dem Geist der christlichen Spiritualität harren. Sie weiß: „Das Wort Gottes stärkt nicht die Herrschenden in ihrer Herrschaft, sondern es eilt denen zu Hilfe, die in Ohnmacht und Nichtigkeit versinken.“ Auch bei Gertrud von Helfta (1256– 1302) oder bei der mexikanischen Ordensfrau und Dichterin Sor Juana Inés de la Cruz (1648–1695) kann der Leser ein feines Gespür für das noch Unerhörte wahrnehmen, für eine Sakramentalität des Lebens beispielsweise, die geistliche Aufgaben wie Trost oder Schuldvergebung nicht unbedingt an ein „Amt“ bindet, sie vielmehr im „allgemeinen Priestertum“, im Wirken des Heiligen Geistes verankert sieht. Aus der Mitte heraus Der Gang durch die acht Jahrhunderte der „Kirchenkritik der Mystiker“ ist lehrreich und anregend. Mehr noch: In vielen der Beiträge lassen sich wesentliche Elemente der Spiritualität der Porträtierten wahrnehmen. Etliche wahrhaft überraschende Entdeckungen kann der Leser so machen, etliche Weitungen der eigenen, stets zeitgemäß-eingeschränkten Perspektive erfahren. Daß einige Autoren der Versuchung des universitären Jargons nicht widerstehen konnten, manche lateinischen Zitate unübersetzt blieben und viele groteske Worttrennungen den Lesefluß hemmen, sind nur Schönheitsfehler eines großen Sammelwerkes. Zu seinem Kern stößt der Leser vor, wenn er darin nach Spuren der eigenen Spiritualität Ausschau hält. Die Mystik, auf die man dabei setzen soll, ist eine nur scheinbar paradoxe „Mystik der offenen Augen“. Mit den Worten Alfred Delps: „Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben.“ Mariano Delgado, Gotthard Fuchs (Hg.) „Die Kirchenkritik der Mystiker“ Prophetie aus Gotteserfahrung. Reihe „Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte“, Bd. 1: Mittelalter (326 S., 37,20 €, 2004); Bd. 2: Frühe Neuzeit (403 S., 40,– €, 2005); Bd. 3: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart (608 S., 58,– €, 2005; Academic Press/Paulusverlag, Fribourg, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart). 2 Das Menschsein des Gottessohnes Neues Buch von Thomas Söding Das vorliegende Werk von Thomas Söding, eine überarbeitete und erweiterte Fassung seiner Artikelserien in „Christ in der Gegenwart“, widmet sich der Frage nach dem Verhältnis von Christologie (Christusverständnis) und Menschsein Jesu: Führt das Bekenntnis zu Jesus als Gottessohn schon im Neuen Testament dazu, daß Person und Botschaft Jesu verdrängt werden? Daß diese Frage begründet zu verneinen ist, zeigt der Autor in einem zweifachen Durchgang durch die neutestamentlichen Zeugnisse. Zunächst wird in einer beeindruckend breit angelegten Analyse das fundamentale Interesse der verschiedenen Schriften des Neuen Testaments am Menschsein Jesu aufgewiesen. Klar wird der innere Zusammenhang von Christologie und Geschichte Jesu herausgestellt: Vom Auferweckten kann nicht am Gekreuzigten vorbeigesprochen werden. Bekennt man sich zum Präexistenten, „muß seine Menschwerdung und muß dann auch sein Menschsein radikal ernstgenommen werden“. Der zweite Durchgang widmet sich den christologischen Traditionen und verfolgt so die Spur bis zu den frühesten For- men des Bekenntnisses zu Jesus Christus: von den Ostererzählungen über die Reden der Apostelgeschichte und die Hoheitstitel bis zu den Formeln, die sich aus den Briefen als vorgegebene Tradition herauslösen lassen. Die Bedeutung des Menschseins Jesu für die neutestamentliche Christologie weist Söding überzeugend auf. Kontroverser dürfte dagegen die Frage diskutiert werden, inwiefern in den verschiedenen christologischen Konzepten Kontinuität zum historischen Jesus besteht. Söding betont die verbindenden Elemente wesentlich stärker als die Unterschiede, zum Beispiel zum Messias- und Kyrios-Titel oder zur Deutung des Todes Jesu. Diese pointierte Position wird weitere exegetische Diskussion herausfordern. Diese Anfragen nehmen jedoch dem mit großer Sprach- und Darstellungskraft geschriebenen Buch nicht seinen Wert, der neben der systematischen Verortung der Fragestellung vor allem in der klaren Präsentation auch schwieriger christologischer Konzepte zu sehen ist. Gerd Häfner Thomas Söding „Der Gottessohn aus Nazaret“ Das Menschsein Jesu im Neuen Testament (Verlag Herder, Freiburg 2006, 383 S., 24,90 €). Die bunten Anfänge mit ernsten Fragen Christliches Dogma und Leben Ist das Christentum eigentlich die „monotheistische“ Religion, als die es sich selbst versteht? Angesichts seines Bekenntnisses zum „drei-einen“ Gott konnte und kann diese Frage immer wieder gestellt werden. Franz Dünzl führt die Antworten vor, die in der Alten Kirche gegeben wurden. Ihm geht es darum, die Dynamik des menschlichen und theologischen Ringens um das wahre Gottesbild anschaulich zu machen und Verständnis für die historische Vielfalt der theologischen Entwürfe zu wecken. Mit seiner genauen Nachzeichnung der komplexen Entwicklungen bis zur Formung des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses von 381 gelingt Dünzl eine wunderbar verständliche Einführung, in der ohne billige Vereinfachung die elementaren Zusammenhänge transparent werden. Kritisch anmerken könnte man allenfalls, daß die Darstellung der Debatte im vierten Jahrhundert in konventioneller Weise auf die Bekenntnistexte ausgerichtet ist, wogegen die zugrundeliegenden denkerischen Probleme – die wesentlich philosophische sind – kaum zur Sprache kommen. Daß es mitunter schwerfällt, im Durcheinander der kirchenpolitischen Ränkespiele nicht die theologische Fragestellung aus dem Blick zu verlieren, gibt der Autor selbst zu. Nach zwei Auflagen unter dem poeti- Drei-einer Gott Die Rede von Gott, der in sich lebendige Gemeinschaft – Communio – ist, wird in der jüngeren Theologie wiederentdeckt. Doch reißt die Vorstellung von der Dreifaltigkeit / Dreieinigkeit Gottes im interreligiösen Dialog schier unüberwindliche Gräben auf. Der aus einer Tagung der Gesellschaft für evangelische Theologie hervorgegangene Sammelband zeichnet kein einheitliches Bild der „Spuren trinitarischen schen Titel „Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums“ legt Christoph Markschies seine süffig geschriebene Darstellung des frühen Christentums nahezu unverändert unter einem neuen Titel vor. Das Büchlein bietet an sich bekannte Themen, präsentiert diese aber in neuer Zusammenstellung und vermittelt dadurch ungewöhnliche Einsichten. Nach einem Überblick über den geographischen Raum und die Zeit schildert es das Christsein vom Individuum über die Lebensformen bis zur Gemeinschaft. Den Abschluß bildet eine kleine Reflexion über die Gründe für den Erfolg des Christentums in der Spätantike. Die Stärke der Darstellung liegt im direkten Bezug auf die Quellen aller Art. Das Buch lenkt den Blick auf die christliche Existenz „zwischen den Welten“, das Leben in „dieser“ Welt und die „eigentliche“ Heimat im „Himmel“. Markschies zeichnet ein plastisches Bild vom antiken Christentum samt seiner Buntheit und inneren Gegensätzlichkeit. Alfons Fürst Franz Dünzl „Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche“ (Verlag Herder, Freiburg 2006, 160 S., 9,90 €). Christoph Markschies „Das antike Christentum“ Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen (Verlag C. H. Beck, München 2006, 271 S., 12,90 €). Denkens“ und vereinigt widersprüchliche Positionen in sich. Die Stärke aber liegt in der Vielgestaltigkeit der Perspektiven, die von den Anfängen trinitarischer Rede in der Bibel über die Auseinandersetzung im Gespräch mit Judentum und Islam bis hin zu den ethischen reichen. Matthias Mühl Rudolf Weth (Hg.) „Der lebendige Gott“ Auf den Spuren neueren trinitarischen Denkens (Neukirchener Verlag, NeukirchenVluyn 2005, 327 S., 24,90 €). Mose über 3000 Jahre Eckart Otto legt eine sehr komprimierte Einführung in Leben, Bedeutung und Rezeption des Mose vor, der zu einer der zentralen Figuren der jüdischen, christlichen und islamischen Religion zählt. Der Autor faßt den Inhalt der MoseÜberlieferung in der Bibel, genauer: den „fünf Büchern Mose“, knapp zusammen und vermittelt eine erste biblische Orientierung. Es folgt ein Überblick über die Forschungsgeschichte mit dem Ergebnis, daß der historische Mose nicht rekonstruiert werden kann. Der Großteil befaßt sich mit der Wirkungsgeschichte des Mose in der Literatur der letzten 3000 Jahre. Der Autor geht unter anderem der Frage nach, aus welchen Motiven die Mose-Gestalt in Erzählungen des Alten Testaments Eingang gefunden hat und so zum Kristallisationskern jüdischer Identität werden konnte. Das Buch erscheint in einer etablierten Reihe wissenschaftlicher Einführungen. Jedoch wurde die Darstellung so zusammengedrängt, daß sie für den wenig kundigen Leser wohl zu voraussetzungsreich ist. Wünschenswert wäre eine gewichtige, aber zugleich weniger gedrängte Darstellung. Thomas Nahrmann Eckart Otto „Mose“ Geschichte und Legende (Verlag C.H. Beck, München 2006, 129 S., 7,90 €). Philosophievergessene Theologie? Ringen um das wahre Gottesbild Klaus Müller stellt sich anspruchsvoll und selbstbewußt den denkerischen Verpflichtungen, die sich im Zusammenhang gegenwärtiger Politik, Poesie und Philosophie aus dem Anspruch christlicher Gottesrede ergeben. Nicht zum ersten Mal findet momentan eine „philosophische Rechenschaftsverweigerung“ eines „beträchtlichen Teils des Theologiebetriebes“ statt. Das, so Müller, sei aber nichts Neues, vielmehr schon einmal der Fall gewesen – und zwar just zu der Zeit, in der die Moderne in Deutschland ihr Gesicht gewonnen hat, in den Jahren zwischen dem Tod Lessings (1781) und dem Tod Hegels und Goethes (1831/32). Was in jenen entscheidenden Jahren denkerisch geschehen sei, daran habe die Theologie keinen wirklichen Anschluß gefunden. Und genau das räche sich noch heute. Müller meint, daß in einer „produktiven Auseinandersetzung mit den damals freigesetzten philosophischen und theologischen Potentialen“ für die gegenwär- tige denkerische Situation weiterführende Perspektiven freigesetzt werden können. Und dann beginnt mit Müller einer zu denken, der es kann. Es ist faszinierend, ihm zu folgen, sei es auch im Widerspruch. Auf eine brillante „Gegenwartsdiagnostik“ folgt eine Analyse der „Formationsbedingungen“ der aktuellen Lage. Daraus hervorgehend entwickeln sich die großen Themen vor den Augen des Lesers: die Problematik des Monotheismus und seiner möglicherweise ihm innewohnenden Nähe zur Gewalt, eine neue, weiterführende Sicht der Pantheismus-Diskussion, die falsche, weil zu enge und ängstliche Grenzziehungen in Frage stellt, Überlegungen zur Freiheit und erhellende Ausführungen zur Subjekttheorie. Der Münsteraner Philosoph und Theologe lädt ein zu einem anspruchsvollen Denkweg. Es lohnt sich. Arno Zahlauer Klaus Müller „Streit um Gott“ Politik, Poetik und Philosophie im Ringen um das wahre Gottesbild (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2006, 288 S., 34,90 €). So viele Religionen, ein Jesus Fragen der Religionstheologie werden unter dem Eindruck eines extremistischen Islam mit besonderer Intensität diskutiert. Gibt es verschiedene Heilswege? Wer war Jesus Christus? Muß man an ihn glauben? Gibt es „anonyme Christen“? Wie kann man angesichts der Vielfalt der Religionen überzeugt Christ sein? Elmar Klinger bemüht sich darum, nicht nur zu den anderen Religionen zu sprechen, sondern diese in ihrem Anspruch und Anderssein ernstzunehmen. Der Verfasser schreibt verständlich und weicht kritischen Überlegungen – etwa zum Verhältnis von Christusverständnis und Feminismus – nicht aus. Seine zahlrei- chen Anregungen sind freilich auch selbst zu befragen, wenn etwa eine „Theologie des Zusammenwachsens der Religionen, für das man den Ausdruck Synkretismus zutreffend verwenden kann“, gefordert wird. Von besonderem Interesse sind die Gedanken zum Verhältnis von „Dominus Jesus“, der vatikanischen Erklärung über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi, und dem Konzil oder seine Auseinandersetzung mit dem Weltethos. Holger Zaborowski Das Herz durch die Antike, die Welt der Bibel – bis zur Aufklärung. Auch wird das Herz in Literatur und Philosophie bedacht – im Abendland wie in der islamischen Zivilisation. Einziger Wermutstropfen bei dieser äußerst fruchtbaren Tour d’horizon ist die zwar gut verständliche, aber angesichts des Themas doch hier und da etwas „blutleer“ geratene Sprache. Elena A. Griepentrog Wir nehmen uns etwas zu Herzen, wir verlieren unser Herz an jemanden, oder tragen das Herz auf der Zunge. Wie kein anderes Organ vereint das Herz seelische, körperliche und spirituelle Bedeutungen. Doch nicht nur in Mitteleuropa hat das Herz diese zentrale Bedeutung, weist der norwegische Kulturwissenschaftler Ole Martin Hoystad nach. Kenntnisreich führt er uns quer durch Kulturen – ob Sumerer oder Azteken – und Epochen, Elmar Klinger „Jesus und das Gespräch der Religionen“ Das Projekt des Pluralismus (Echter Verlag, Würzburg 2006, 126 S., 12,80 €). Ole Martin Hoystad „Kulturgeschichte des Herzens“ Von der Antike bis zur Gegenwart (Böhlau Verlag, Köln 2006, 231 S., 24,90 €). 3 Wie der Mensch schreiben lernte Kulturgeschichte als Lese-Geschichte Auch in unserer Zeit der elektronischen Massenmedien können neu entdeckte oder entzifferte Handschriften noch eine Sensation sein und der Brand einer Bibliothek eine Katastrophe. Schrift und Schrifttum sind – und bleiben! – ein prägender Teil unserer Kultur. Der Kulturwissenschaftler Peter Stein stellt die Geschichte des Schreibens und Lesens von den Vorformen in der Altsteinzeit bis in die Medienvielfalt unserer Tage dar. Er schreibt mit wissenschaftlichem Anspruch und bezieht Position. Dabei wendet er sich insbesondere dagegen, die Entwicklung der schriftzentrierten Kultur in ihrer europäischen Ausprägung schlichtweg zum Maßstab für Fortschritt zu machen und schriftlose andere Kulturen abzuwerten. Allzu plakative Formeln werden kritisch befragt, etwa: ohne Buchdruck hätte es keine Reformation gegeben; oder: die Alphabetisierung breiter Volksschichten im 19. Jahrhundert habe zu einer Demokratisierung der Gesellschaft geführt. Die Schriftkultur wird in die allgemeine (Kultur-)Geschichte eingebettet. Dabei wird beispielsweise deutlich, daß die Ausbildung der Schriftkultur immer wieder Impulse von politisch-wirtschaftlichen Herrschaftsinteressen empfangen hat. Der Autor entfaltet ein breites Spektrum an Informationen zur Entwicklung der Schrift und der Beschreibstoffe sowie der Schreib- und Druckgeräte, zu den Problemen des Entzifferns und Übersetzens, zur Entstehung der Schulen und der Wissenschaften, zu Buchdruck, Buchhandel, Bibliotheken und Pressewesen, zur Zensur und zur Herausbildung der Autoren-Rolle, zum Leseverhalten und zur Entwicklung des privaten Lesens und Schreibens bis hin zu Lesehilfen, Lesemöbeln und Lese-Bekleidung. Die Bedeutung der Schrift für die Religion, insbesondere für die Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam mit ihrem jeweiligen Spannungsverhältnis von mündlicher Überlieferung und heiligen Schriften, ist in einem eigenen Kapitel dargestellt. Josef Epping Peter Stein „Schriftkultur“ Eine Geschichte des Schreibens und Lesens (Primus Verlag, Darmstadt 2006, 349 S., mit 45 sw.-Abb., 34,90 €). Glaubensgeschichte in Bewegung lenderreformen nicht vertrieben worden sind. Daneben sind zwei unserer Monatsnamen nach römischen Kaisern benannt, einige andere tragen römische Zahlen. Das Buch führt aber auch zu den christlichen Festen, dem Heiligenkalender. Es berichtet von den Versuchen, andere Wochenrhythmen einzuführen, was regelmäßig scheiterte. Der Gang durch Zeiten und Kulturen macht deutlich, welche Wandlungen im Zeit- und Festverständnis vor sich gegangen sind, wie zäh aber auch manche Elemente sich behauptet haben. Otto Betz reichen anschaulich bis zu Felix Nussbaums „Die Gerippe spielen zum Tanz“ aus dem Jahr 1944. Immer handelt es sich um Tänze der Toten mit den Lebenden, und immer tanzen nur die Toten, die Lebenden jedoch nicht. Wer bringt die Toten zum Tanz? Nach welcher Melodie bewegen sie sich? Wer spielt ihnen auf? Welche Erotik geht vom Tod aus? Und welchen Tod sterben die Liebenden? Theo Sundermeier wagt im zweiten Teil den interkulturellen wie interreligiösen Vergleich. Detailreich zeigt der Autor afrikanische und vor allem indische und indonesische Tanzkulturen und ihre Darstellungsweisen in der Kunst auf und fragt nach ihrer – nicht nur symbolischen – Bedeutung für den christlichen Glauben und die Liturgie der Kirche. Wie ist es dazu gekommen, daß religiöse Tanz-Traditionen im Inkulturationsprozeß zwar anfänglich erlaubt, dann aber radikal ausgemerzt wurden? Wie ist diese Verarmung (bis heute) zu beurteilen? Die Ausführungen der beiden Autoren treffen sich in der Entdeckung des tanzenden Christus, der das göttliche Ja zur Welt ohne Nein, eine Schöpfung ohne Vernichtung und schließlich ein Leben ohne Tod versinnbildlicht. Die „traditionell sitzende Erstarrung in unseren Gottesdiensten zu überwinden“, nach ganzheitlichen Formen der Verkündigung, der Klage und des Lobes zu suchen, daran zu arbeiten, ist auch eine der wichtigsten liturgischen Aufgaben der Gegenwart. Vera Krause Jörg Rüpke „Zeit und Fest“ Eine Kulturgeschichte des Kalenders (Verlag C. H. Beck, München 2006, 256 S., 22,90 €). Jürgen Moltmann, Theo Sundermeier „Totentänze – Tanz des Lebens“ (Verlag Otto Lembeck, Frankfurt am Main 2006, 84 S., zahlr. farbige Abb., 19,80 €). Der Tod läßt erstarren. Der Tanz ist demgegenüber Inbegriff von Bewegung – mehr noch: von Lebendigkeit und Lebenslust. Es lassen sich kaum größere Gegensätze denken. Jürgen Moltmann und Theo Sundermeier führen in ihrem reich bebilderten Buch über sakrale Tanzkulturen dieses Gegensatzpaar in überzeugender Weise zusammen. Ausgehend von der antiken Mementomori-Weisheit widmet sich Jürgen Moltmann in einem ersten Teil den denkwürdigen Totentanz-Traditionen des Mittelalters, die sich von Paris aus über ganz Europa ausbreiteten. Die Ausführungen Vergessene Zeit, lebendige Zeit Der Kalender Schon vor Jahrtausenden bauten sich die Menschen riesige Steinkreise, um den exakten Sonnenstand berechnen zu können. Der Kalender entstand, weil die Menschen die Zeit in Rhythmen erleben und erfahren wollten, wie sie den Ablauf des Lebens strukturieren können: Was wiederholt sich in jedem Jahr, was muß „begangen“ und darf nicht vergessen werden? Der Kalender erinnert, setzt Zeichen, mahnt, bringt Vergangenes wieder herauf. Jörg Rüpke wandert durch die lange Geschichte des Kalenders, zeigt die antiken Wurzeln auf. Wer macht sich schon klar, daß sich etliche antike Götter in der Bezeichnung unserer Wochentage eingenistet haben und daß sie trotz vieler Ka- Nachdenken über Fragen wie zum Beispiel, ob Christus der Anfang der christlichen Theologie sei, ob der Glaube aus einer freien Entscheidung bestehe, ob Theologie als Glaubenswissenschaft definiert werde solle und ob Zufriedenheit ein christliches Ideal repräsentiere, kennzeichnet dieses Buch. Daß es Gotteserfahrung und Gottesbegriffe gebe, daß Christen an die Kirche glauben, daß das Konkrete mehr Realität als das Abstrakte besitze sowie daß der Praxis der Vorrang vor der Theorie zukomme, sind Annahmen, die eine Infragestellung verdienen. Es handelt sich beispielsweise um eine unscharfe Fokussierung, wenn Glaubenswahrheit von Glaubenswahrheiten nicht unterschieden oder wenn Gott als eine Wirklichkeit statt als die Wirklichkeit angesehen oder wenn zwischen Wahrheit und Wahrheiten nicht differenziert wird. Die in der Umgangssprache versteckte Theologie hat manchmal den besseren Durchblick. Ein neuer Gedanke in der Theologie ist häufig ein Mißverständnis. Ihre Hauptarbeit besteht in der Bereinigung solcher Sichtbehinderungen. In diesem Buch richtet der Fensterputzer sein Augenmerk auf kaum bemerkte theologische Denkfehler, die zur Zeit im Ansehen stehen. William Hoye Liebgewordene theologische Denkfehler 2006, 192 Seiten, Klappenbroschur, 14,80 d / sFr 26,60 ISBN 3-402-00220-5 ASCHENDORFF VERLAG www.aschendorff.de/buchverlag Wer, was bringt die Toten zum Tanzen? Faszination und Herausforderung Johannes Oeldemann Peter Lüning Die Kirchen des christlichen Ostens Ökumene an der Schwelle zum dritten Jahrtausend Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen Topos plus, 168 S., kart. € (D) 8,90, ISBN 3-7867-8357-8 Topos plus positionen, 232 S., kart. € (D) 10,90, ISBN 3-7867-8577-5 Eine fundierte und allgemein verständliche Einführung in den Begriff der Ökumene, die Geschichte der ökumenischen Bewegung und in die kontroversen Themen. Ein solider und hochinteressanter Einblick in Geschichte, Verbreitung, Strukturen, Glaubenslehren und Riten der östlichen Kirchen. www.pustet.de Verlag Friedrich Pustet 4 Gesundheit und Religion Analyse einer vernachlässigten Beziehung / Ein Literaturbericht Von Hildegard Kaulen Gesundheit und Heil sind zwei Begriffe, die eng zusammengehören. Gesundheit wird heute als Aufgabe der Medizin, Heil als Aufgabe der Religionen betrachtet. Die ursprüngliche Verbindung zwischen beiden scheint kaum noch wahrgenommen zu werden. In der Antike betrachtete man Gesundheit als eine Tugend der Seele. Gesund war derjenige, bei dem Leib und Seele in Einklang waren. Im Mittelalter stand die heilsgeschichtliche Bedeutung von Gesundheit und Krankheit im Vordergrund. Das Kranke nahm teil am Leiden Christi, der diesen Prozeß als Arzt, als Christus medicus, begleitete. Mit Descartes, der den Begriff der Seele auf den des Geistes und damit auf Bewußtsein und Selbstbewußtsein reduzierte, ging die Sicht von der Einheit aus Seele und Leib endgültig verloren. Es entwickelte sich ein kausales Verständnis von Gesundheit und Krankheit, das noch heute vorherrscht. Gesundheit wird nicht mehr in erster Linie als Lebensaufgabe betrachtet, sondern als ein auf molekularen Prozessen beruhendes StoffwechselGeschehen. Daraus erwuchs die Ansicht, daß Gesundheit machbar und beliebig steigerbar ist. Was ist Krankheit ? Warum sind diese Zusammenhänge, mit denen sich immer mehr Bücher beschäftigen, bedeutsam? Weil sie offenkundig Auswirkungen auf unsere Lebenswirklichkeit haben. Das zeigen die gesellschaftlichen Realitäten. Unsere Krankenversorgung steht vor dem Kollaps. Gesundheit ist zur Ersatzreligion geworden. Immer mehr verzweifelte Kranke wenden sich dubiosen Heilern zu und scheuen dabei keine Kosten und Mühen. Unter dem Begriff Heilung entsteht eine neue Branche selbsternannter Therapeuten. Auch die traditionelle Medizin erfindet neue Krankheiten und „pathologisiert“ so immer größere Bereiche unseres Lebens. Außerdem fehlt es an Rollen für chronisch kranke Menschen, obwohl dieses Schicksal heute eher die Regel als die Ausnahme ist. Was Gesundheit tatsächlich ist und was die Religion dazu beitragen kann, scheint kaum mehr zur Debatte zu stehen. Die Professorin für evangelische Theologie und Studienleiterin an der Evangelischen Akademie im Rheinland Sung-Hee Lee-Linke bietet einen sehr guten Einstieg in diese Thematik (1). Das Buch knüpft an zwei Veranstaltungen in der dortigen Akademie an, definiert Ge(1) Sung-Hee Lee-Linke (Hg.) „Heil und Heilung“ Erfahrung im Glauben und Leben (Verlag Otto Lembeck, Franfurt a. M. 2006, 198 S., 16,– €). (2) Kay Peter Jankrift „Mit Gott und Schwarzer Magie“ Medizin im Mittelalter (Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2005, 173 S., 36,– €). (3) Werner H. Ritter, Bernhard Wolf „Heilung – Energie – Geist“ Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, 284 S., 21,90 €). (4) Monika Dörflinger „Wege der Heilung?“ Alternative Diagnose- und Therapieverfahren aus christlicher Sicht. (D&D Medien Verlag, Ravensburg 2003, 158 S., 10,90 €). sundheit und Krankheit, stellt Heilungsrituale verschiedener Kulturen und Epochen vor und schließt mit einem Vorschlag für einen Heilungsgottesdienst ab. Die Weltgesundheitsorganisation geht von einer umfassenden Definition von Gesundheit aus und sieht darin das vollständige Wohlbefinden von Leib und Seele. Sprachgeschichtlich hat Gesundheit etwas mit „geschwind, stark, streng, hart und klug“ zu tun, bezeichnet also einen Lebensstil. In verschiedenen Beiträgen wird Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung gesehen, sondern als Kraft, damit zu leben. An diese Kraft knüpft der Heilungsgottesdienst an. Energie – Geist – Gen Einen Blick auf die Medizin des Mittelalters eröffnet der am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart tätige Historiker und Philologe Kay Peter Jankrift (2). Das Mittelalter ist die Zeit, in der die Erkenntnisse der arabischen Medizin und anderer Hochkulturen noch nicht verfügbar waren und es noch keine auf der Anatomie begründete Medizin gab. Krankheiten galten als Strafe Gottes oder als Auswirkungen des Bösen. Der Begriff des Hexenschusses etwa geht auf diese Vorstellung zurück. Heilung war demzufolge nur mit Gottes Hilfe möglich. Allerdings hatten auch Aberglaube und Astrologie ihren Platz. Jankrifts Buch ist ein reich bebildertes Lesebuch über die Weltbilder und Praktiken dieser Zeit, in der es einen fließenden Übergang zwischen Hospitälern und Armenhäusern gab. In vielen zeitgeschichtlichen Quellen führt er dem Leser das Leben und Sterben der Menschen im Mittelalter und ihre Suche nach dem Heil in Christus vor Augen. Werner H. Ritter, Professor für Religionspädagogik an der Universität Bayreuth, und Bernhard Wolf, Pfarrer und Leiter des dortigen Forschungs- und Informationszentrums für Neue Religiosität, rücken das Thema Heilung in das Spannungsfeld von Energie und Geist und lassen verschiedene Fachrichtungen zu Wort kommen (3). Das Spektrum reicht von den biblischen Wurzeln der Heilung bis hin zur Heilung durch Geister und Energien. Weil viele alternative Therapieverfahren ihre Wirkung auf eine Lebensenergie zurückführen und diese mit dem Energieerhaltungssatz der Thermodynamik begründen, geht der Physiker Martin Lambert darauf ein. Er macht deutlich, daß die Energie, mit der sich die (5) Matthias Beck „Der Krebs und die Seele“ Gen – Geist – Gehirn – Gott. (Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2004, 261 S., 24,90 €). (6) Klaus Dörner „Das Gesundheitsdilemma“ Woran unsere Medizin krankt. Zwölf Thesen zu ihrer Heilung (Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin 2004, 201 S., 7,95 €). (7) Michael Schünke, Erik Schulte, Udo Schumacher, Markus Voll, Karl Wesker „Prometheus-Lernatlas der Anatomie“ Bd.1: Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem (Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2004, 542 S., 64,95 €); Bd.2: Hals und Innere Organe (2005, 371 S., 39,95 €); Bd.3: Kopf und Neuroanatomie (2006, 420 S., 49,95 €). Physik beschäftigt, nichts mit der Lebensenergie der alternativen Medizin zu tun hat und daß dieser Begriff nur versucht, seine Glaubwürdigkeit aus der Physik abzuleiten. Eine Fern- oder Geistheilung, die nicht auf einem direkten Informationsaustausch zwischen dem Heilenden und dem Geheilten beruht, hält Lambert für unmöglich. Klaus Berger, Professor für Neues Testament an der Universität Heidelberg, plädiert dafür, die Berichte über die Wunderheilungen der Bibel genauer in den Blick zu nehmen, weil sie den Sinn der christlichen Botschaft schärfen. Die zentrale Grundlage für Gesundheit ist ein lebendiger Glaube, der nicht nur subjektives Vertrauen schenkt, sondern auch Teilhabe an der lebendig ordnenden Festigkeit Gottes gewährt. Monika Dörflinger, Physiotherapeutin und Heilpraktikerin, hat einen Therapieführer vorgelegt (4). Sie beschreibt alle alternativen Verfahren, von der weithin anerkannten Homöopathie bis hin zur dubiosen Geistheilung und kommentiert sie aus ihrer Sicht als Therapeutin und Christin. Die Texte zeugen von profunden Kenntnissen und sind sehr informativ. Allerdings kommen die Bewertungen oft plakativ und knapp daher, was nicht heißen soll, daß Monika Dörflinger mit ihren Einschätzungen im Unrecht ist. Eine differenziertere Betrachtung wäre aber mitunter angebracht gewesen. Mit der Suche nach den tieferen Hintergründen einer Krebserkrankung beschäftigt sich Matthias Beck (5). Er ist Mediziner und Theologe und zeigt, daß Krebs zwar auf dem Wirken von Genen beruht, daß diese aber eine zerbrechlich schwebende Mitte zwischen innerer Formung und äußerer Beeinflussung darstellen und unmittelbar mit dem geistiggeistlichen Innenleben des Menschen zu tun haben und davon beeinflußt werden. Krebszellen haben aufgrund einer Schädigung ihrer verletzlichen Erb-Strukturen ihre Form, ihr Ziel und ihre Dialogfähigkeit im Körper verloren. Für Beck hat dieser Verlust tiefere existentielle Hintergründe, die mit dem Gottesverhältnis des Menschen zu tun haben. Ein von Gott abhängiger, zu sich selbst erwachter Mensch, der aus der Quelle seiner inneren Mitte schöpft, wird seine innere Stimmigkeit finden. Beck: „Manche Krankheit kann aber als Lebenskorrektiv Ausdruck der Güte Gottes sein, damit der Einzelne sein Leben und seine tiefste Identität nicht verfehlt. Es gibt ein Leiden das zum Leben führt und eines, das zum Tode gereicht.“ Marktwirtschaft Medizinbetrieb Klaus Dörner ist Arzt und Historiker. Ein wesentliches Problem besteht seiner Ansicht nach darin, daß das Gesundheitssystem nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet worden ist (6). Dies führt zwar zu einer Kostensenkung, hat aber auch eine ständige Expansion zur Folge. Ein marktwirtschaftlich orientierter Medizinbetrieb sucht förmlich nach neuen Patienten. Folglich müssen mehr und mehr Gesunde zu Kranken gemacht werden. Auch die gesellschaftliche „Entmischung“ hält Dörner für ein großes Problem. Kranke, geistig Behinderte, Körperbehinderte, psychisch Kranke und Altersverwirrte sind aus den Familien herausgenommen worden und werden heute in Spezialeinrichtungen betreut. Die Ärzte müßten wieder lernen, vom Letzten, vom Schwächsten her zu denken. Sie sollten sich nicht als Heiler fühlen, sondern als Begleiter, der auch einen Blick für die Angehörigen hat. Die Medizin muß wieder lernen, sich den an sie herangetragenen Wünschen zu widersetzen. Medizin ist keine Dienstleistung. Der Kranke kein Nutzer oder Konsument. Er ist ein in Not geratener Mensch, der das Vertrauen des Arztes sucht. Der Arzt soll in seiner Verantwortung zwar belangbar, aber im Kern frei und unverfügbar für diese Aufgabe sein. Wer einen „Beweis“ für das Wirken Gottes sucht, kann ihn in der Erhabenheit des menschlichen Körpers finden. Der von Michael Schünke, Erik Schulte, Udo Schumacher, Markus Voll und Karl Wesker herausgegebene „PrometheusLernatlas der Anatomie“ (7) präsentiert das Wissen in einer nie dagewesenen Schönheit. Auf den vielen vom Computer erzeugten Bildern wird jede Körperregion zuerst vom Skelett her betrachtet und dann nach und nach um Muskeln, Gefäße und Nervenbahnen ergänzt. So baut sich von Seite zu Seite ein fast hyperrealistischer Körper auf, den man durch Vor- und Zurückblättern immer wieder von innen nach außen oder außen nach innen studieren kann. Nach der Lektüre kann man sich vor diesem Wunder „Mensch“ nur verneigen. Was wissen Schimpansen . . . . . . über das Sterben? Wenn der Neurologe und Psychiater Winfried Rorarius vom verlorenen Posten wissenschaftlicher Forschungsmethoden spricht, von den „Verlegenheiten“ und dem „Ärgernis“ für Wissenschaftler, so meint er damit den sich selbst bewußt seienden menschlichen Geist. In seinem Werk „Was macht uns einzigartig?“ finden sich für dieses Phänomen viele Begriffe, aber der Autor sieht darin den unhintergehbaren Grund für die Sonderstellung des Menschen, die er gegen jede aktuelle philosophische „Political correctness” selbstbewußt voraussetzt. Das Buch beginnt mit einem knappen philosophisch-historischen Abriß der Diskussion und endet mit der Frage nach dem möglichen Weiterleben eben dieses einzigartigen Geistes nach dem Tod, wofür die sehr facettenreichen Beobachtungen aus der Überlebensforschung dargestellt werden. Im Hauptund Mittelteil dieses gegen die modernen „miesmacherischen“ Philosophierichtungen anschreibenden Buches setzt sich Rorarius mit den Wissenschaften – von Physik über Biologie bis zu Psychologie und Soziologie – auseinander, um die Argumente für die Einzigartigkeit des menschlichen Geistes herauszudestillieren. Am überzeugendsten gelingt ihm dies auf vertrautem Terrain, in der Neurologie, die ihm zahlreiche Duellierfelder bietet, um gegen die reine Gleichheitsformel von „Geist ist nur Gehirn und sonst nichts“ anzufechten. Etwa da, wo er sich den Sprache-Geist Verflechtungen im menschlichen Gespräch widmet. Die Dualismus-Debatte wird auch Rorarius natürlich nicht beenden. Aber man findet in diesem neuesten Beitrag dazu nicht zuletzt so interessante Hinweise wie den auf die Frage, ob Schimpansen wissen, was der Tod bedeutet. Martina Lenzen-Schulte Winfried Rorarius „Was macht uns einzigartig?“ Zur Sonderstellung des Menschen (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 312 S., 57,90 €). 5 Wie verläßlich ist der Kosmos? Weltformel-Träume Als wohltuend ernüchternd erweist sich das vorliegende Buch im Blick auf den Traum von einer „Weltformel“, woran schon Werner Heisenberg und Stephen Hawking gescheitert sind. Vor allem die Entfaltung der „Quantentheorie“ schied „streng zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Demnach ist „die Zukunft nicht vollständig erkennbar“. Alle Berechnungen in diesem Bereich gelten als rein statistisch und bloß „wahrscheinlich“ und stehen immer unter dem Vorbehalt der Beobachtung. Schlicht und einfach lautet daher die These des Autors: „Wer sich auf die Natur verläßt, ist verlassen.“ Der erste Teil gibt dem Leser einen Einblick in die Evolutionsgeschichte der Was ist denn schlecht an der Sünde? Kosmologie. Der zweite Teil befaßt sich vor allem mit abendländischen Grenzdenkern wie Sokrates, Augustinus und mit dem Kampf zwischen Religion und Wissenschaften. Im dritten Teil geht es um das „Ergriffenwerden durch Gott“, um Ethik und Freiheit. Hier beschreibt Hattrup die Freiheit als „Schattenspiel von Zufall und Notwendigkeit“, was allerdings unter den Begriffen „Ordnung“ und „Kreativität“ schon in Whiteheads „Prozeßtheologie“ eine wichtige Rolle spielte, indem er das Universum als „kreatives Abenteuer Gottes“ bezeichnete. Hans-Joachim Rennkamp Dieter Hattrup „Der Traum von der Weltformel oder Warum das Universum schweigt“ (Verlag Herder, Freiburg 2006, 296 S., 19,90 €). Wahrheit durch Reden – fürs Leben Philosophische Dialoge Wirkliches Philosophieren geschieht dialogisch, im Gespräch mit Freunden, in der Kommunikation, aber auch in der existentiellen Selbstvergewisserung des Individuums. Vittorio Hösle legt eine Geschichte des „philosophischen Dialogs“ von der Antike bis zur Gegenwart vor. Ungemein kenntnisreich, differenziert und sehr anspruchsvoll erörtert der Philosoph die Wege dieser Verständigung, die nichts mit der allgegenwärtigen Selbstpräsentation in Talkshows, abfragbarem Wissen oder ungehemmter Debattierlust zu tun hat. Wer an einem Dia- Wegweisend Die Enzyklika „Deus caritas est“ log teilnimmt, sucht nach der Wahrheit, vielleicht sogar nach jener Wahrheit, die das Leben trägt und hält. Im philosophischen Gespräch mit den Mitmenschen kann, oft ganz unbemerkt, ein Prozeß der Selbsterkenntnis beginnen. Hösles Werk ist reich an Material. Aber es hat auch Mängel, zumal bedeutende Positionen aus der Philosophie des 20. Jahrhunderts, darunter Martin Buber und Karl Jaspers, unbegreiflicherweise nicht bedacht werden. Zudem will der Autor zuviel: Zugleich sollen die Grundsätze dialogischen Denkens erörtert, die Verstehenshorizonte (Hermeneutik) diskutiert und kritisiert und eine Geschichte des philosophischen Gesprächs geboten werden. Leser, die nicht mit der Fach-Begrifflichkeit der zeitgenössischen Universitätsphilosophie vertraut sind, werden dieses zwar interessante, doch ebenso komplexe wie komplizierte Werk nur bedingt mit Gewinn lesen. Thorsten Paprotny Sicht, die Sünde moralfrei denke – als Gottesferne: Nur aus Gnade, allein durch Glauben werde der Mensch gerecht. Solche magiefreie Vorstellung mache Gott nicht mehr zum Erfüllungsgehilfen menschlich guter Taten (Leistungsgerechtigkeit): Glauben statt Moral. Heftig kritisiert der Autor säkulare Bestrebungen, die – wie der Diätwahn oder Antiraucher-Kampagnen – eigene „Todsünden“ kreieren und Schuldgefühle erzeugen, nur ohne Gott. Das „schöne Leben“ dürfe man sich nicht rauben lassen. Der Autor ist optimistisch: Die Gesellschaft sei keinesfalls so morallos, wie Wertedebatten ihr unterstellen. Die Moral der Aufklärung reiche aus und sei zu verteidigen. Trotz aller Übertreibungen und seiner Einseitigkeit handelt es sich um ein interessantes Buch, was die Abrechnung mit einem magischen Religionsverständnis und die Moralisierung des Glaubens anbelangt. Angesichts der neuen politischpsychologischen Nachdenklichkeit über die Macht des Bösen und die „Rückkehr“ des Hasses als „elementarer Gewalt“ (André Glucksmann) wirkt die Stoßrichtung allerdings naiv, realitätsblind. Die alten Sünden, mit denen der Einzelne sich und anderen schadet, gibt es ja weiterhin – genauso wie Reue, Sühne, Vergebung. Auf die christliche Lebenskunst der „Mitte“ und die natürliche „katholisch“sinnliche Heiterkeit der Erlösungshoffnung geht Schulze leider nicht ein. Johannes Röser Vittorio Hösle „Der philosophische Dialog“ Eine Poetik und Hermeneutik (Verlag C. H. Beck, München 2006, 494 S., 34,90 €). Gerhard Schulze „Die Sünde“ Das schöne Leben und seine Feinde (Carl Hanser Verlag, München 2006, 288 S., 21,50 €). Anfragen eines Soziologen Der Soziologe Gerhard Schulze legt alte Kritik neu auf: daß das Christentum das schöne Leben vermiese, daß es das Projekt der Aufklärung und Selbstverwirklichung durch seine Sünden-Besessenheit zunichte mache. Was eigentlich sei schlecht an einem lustvollen Dasein? Der Autor greift die „Todsünden“ auf und deutet sie modernitätstauglich um. Was als Völlerei gebrandmarkt wurde, sei positiv genußvolles Essen, Trägheit die notwendige Entspannung bei Streß, Habgier gesunder Ehrgeiz, Hoffart (Stolz) sinnvolle Selbstsicherheit, Raserei (Zorn) ein wichtiger Gefühlsausbruch zur Ausbalancierung des Seelen-Haushalts. Unkeuschheit versteht Schulze als sexuelle Selbstbestimmung und Neid als gesunden Konkurrenzkampf. Leider seien die Christen an einem antiquierten Verständnis von Sünde als Beleidigung Gottes hängengeblieben. Dagegen lobt Schulze die protestantisch-lutherische Einsatz Edward Schillebeeckx »Der religiöse Glaube wird unweigerlich vom Zweifel und der Suche begleitet.« für Gerechtigkeit Edward Schillebeeckx Ich höre nicht auf, an den lebendigen Gott zu glauben Edward Schillebeeckx im Gespräch mit Francesco Strazzari Zum 2006 entag n k i l o h t e Ka rbrück in Saa 96 Seiten, Broschur, ISBN 3-429-02765-9 € 9,90 (D) | 18.10 CHF | € 10,20 (A) Das Buch erhalten Sie in Ihrer Buchhandlung. www.echter-verlag.de Benedikt XVI. Gott ist die Liebe Die Enzyklika „Deus caritas est“ – Ökumenisch kommentiert von Bischof Wolfgang Huber, Metropolit Augoustinos Labardakis, Karl Kardinal Lehmann 144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Leseband Y 9,90 /SFr 18.10 /l[A] 10,20 ISBN 3-451-29191-6 Zum 450. Todestag am 31.7.2006: Reinhard Marx (Hg.) Cándido de Dalmases Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht Ignatius von Loyola Versuch einer Gesamtbiographie Die aktualisierte und erweiterte Neuausgabe der großen Ignatius-Biographie. Mit Zeittafel, Quellenund Literaturverzeichnis und Illustrationen. Benedikt XVI. hat die Welt überrascht mit einem Schreiben über die Liebe, das selbst bei seinen Kritikern Zustimmung hervorrief. „Bei aller Sachlichkeit mitreißend geschrieben. Eine innerlich bereichernde Begegnung mit dem oft verkannten Ignatius“ (P. Johannes Wrba SJ). Worte, die weiterführen 128 Seiten, Paperback E 3,95 /SFr 7.40 /a[A] 4,10 ISBN 3-451-29064-2 Namhafte Autorinnen und Autoren stellen sich der Herausforderung, Gerechtigkeit als verlässliches Fundament des Zusammenlebens zu erschließen. In jeder Buchhandlung ! 304 Seiten, gebunden, ISBN 3-87996-679-6, EUR 22,- In jeder Buchhandlung ! www.herder.de VERLAG NEUE STADT www.herder.de Münchener Str. 2, D- 85667 Oberpframmern, Tel. 08093 2091 E-Mail: [email protected] www.neuestadt.com 6 Was macht den Kapitalismus human? Und falls der Glaube doch zurückkehrt? Über eucharistische Wandlung und weltliches Wirtschaften Das Christentum, die Moderne und zweierlei Kritik Der Dortmunder Theologe Thomas Ruster ist ein origineller Denker mit einem gewissen Hang zu kühnen, ja „steilen“ Thesen. Wortgewaltig ist er in früheren Werken gegen die Religion des Geldes zu Felde gezogen. Nun möchte er zeigen, daß es einen inneren Zusammenhang gibt zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und den religiös-konfessionellen Vorstellungen von „Wandlung“ in Eucharistie und Abendmahl. Der Traktat beginnt mit einer furiosen Kapitalismuskritik. Alles drehe sich heute nur um Wachstum, Beschleunigung, Effizienz und Gewinnmaximierung. Doch dieses Denken führe ständig neu zu Kampf und Ausbeutung, geradewegs „in den Untergang“. Im zweiten Teil erläutert Ruster die unterschiedlichen theologischen Verstehensmodelle von Wandlung. Extrem vereinfacht und verkürzt läßt sich nach Ruster sagen: Das katholische Denken geht von einer echten Wesensverwandlung (Transsubstantiation) aus. Brot und Wein werden in der Messe dauerhaft – substantiell – verwandelt in Leib und Blut Christi. Das evangelische Denken dagegen sieht die Wandlung eher symbolisch im Sinne einer Consubstantiation: Brot bleibt Brot, Wein bleibt Wein – doch die Substanz des Leibes Christi tritt für den Glaubenden real hinzu. Das habe in der Konsequenz dazu geführt, daß evangelische Christen viel stärker eine ZweiReiche-Lehre entwickelt haben: hier die reale, natürliche, materielle Welt, dort die hinzutretende geistliche Wirklichkeit des Reiches Gottes im religiösen Bewußtsein. Was haben diese theologischen Denkmodelle nun mit der Wirtschaft zu tun? Nach Ruster sehr viel. Denn Katholiken drängen aufgrund ihres Eucharistieverständnisses auf eine wirkliche Wandlung, eine Verwandlung der Welt im Sinne einer sakralen und sakramentalen Durchdringung, ja Heiligung des Irdischen, auch der Wirtschaft. Evangelische Christen sehen das „irdisch Ding“ Kapitalismus stärker in seiner autonomen Eigenständigkeit neben der privaten Religiosität, die „äußerlich“ dazukommt, aber nicht „wandelt“. Für Ruster ist der Kapitalismus „gottlos“, eine Macht des Bösen. So legt er Vorschläge vor, wie eine christliche Alternativgesellschaft aussehen könnte, die sich dem Medium Geld verweigert. Dies kann jedoch ebenso wie die romantische Verklärung der mittelalterlichen, ständischen Gesellschaft mit ihrer „humanen Wirtschaft“ – „die Umwandlung von Selbsterhaltung in Schönheit und Gerechtigkeit war gelungen“ – nicht überzeugen. Ein anregendes und leidenschaftliches Buch, das aber jede Menge Fragen offenläßt. Michael Schrom Thomas Ruster „Wandlung“ Ein Traktat über Eucharistie und Ökonomie (Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2006, 184 S., 18,80 €). Die Zweifel am Megatrend Differenziert und ernüchternd hält Ulrich H. J. Körtner dem vermeintlichen „Megatrend Religion“ den tatsächlichen „Megaexodus“ aus den christlichen Kirchen entgegen. Die neue Religiosität entpuppt sich für den Wiener Theologen als doppeldeutiges Phänomen. Eine mediengerechte Inszenierung christlicher Megatrends und Megaevents erscheint ihm als zweifelhaftes Instrument, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Nach einer eindrücklichen Standortbeschreibung und geschichtlichen Grundlegung des Begriffs „Religion“ untersucht Körtner dessen theologischen Gehalt. Im Anschluß zeigt er betont christliche Formen von Spiritualität auf. Wie eine solche christliche Spiritualität für außerchristliche Kreise fruchtbar gemacht werden kann, kommt in dem Buch leider nicht zur Sprache. So differenziert der Autor die Situation postmoderner Gesellschaft analysiert, so vage bleiben seine Versuche, re- ligiöse Aufbrüche anzuregen. Er ermutigt zwar dazu, im Pluralismus der Religionen „dialogisch Rechenschaft über den eigenen Glauben“ zu geben und warnt bei der interreligiösen Begegnung sowohl vor Indifferenz als auch vor Gewalt. Zudem appelliert Körtner, ausgehend von der lutherischen Erkenntnis der Verborgenheit Gottes, an eine besondere christliche Toleranz, die die konkurrierenden Wahrheitsansprüche der verschiedenen Religionen in ihrer Widersprüchlichkeit annimmt und erträgt. Wie beziehungsweise ob eine christlich-kirchliche Wiederkehr der Religion in der heutigen Welt überhaupt möglich sei, wird allerdings nicht näher bestimmt. Regina Rieger Weitaus exakter und insofern lauterer arbeitet sich der evangelische Theologe Herbert Koch kritisch an „den Kirchen und ihren Tabus“ ab. Auch ihm geht es um das Verhältnis von Religion und Moderne, genauer gesagt um die Verweigerung der Moderne durch die Kirchen – hier jedoch aus innerkirchlicher Perspektive und aus einem grundsätzlich positiv gerichteten Impuls. In sechs Themenkreisen – vom Credo über den Gottesdienst, das Evangelium bis hin zu den Bereichen Demokratie, Sexualität und Ökumene – weist Herbert Koch engagiert die „Verweigerung der Moderne“ durch die Kirchen (insbesondere an Beispielen aus Deutschland) auf. Auch Enttäuschung, wenn nicht Bitterkeit angesichts vieler verpaßter Chancen meint man bei der Lektüre zu spüren. Dennoch, und darin liegt der Gewinn, will der Autor die Christen antreiben. Er legt den Finger in Wunden, um Lösungen anzumahnen. Herbert Kochs Fazit lautet: „Religion – christliche! – ist gefragt. Theologie ist herausgefordert!“ Und dies gilt auch, wenn sich die These einer „Rückkehr der Religion“ trotz aller momentanen Skepsis als richtig erweisen sollte. Norbert Schwab Michel Onfray „Wir brauchen keinen Gott“ Warum man jetzt Atheist sein muß (Piper Verlag, München 2005, 320 S., 14,– €). Herbert Koch „Die Kirchen und ihre Tabus“ Die Verweigerung der Moderne (Patmos Verlag, Düsseldorf 2006, 230 S., 18,– €). Standpunkte Zum 70. Geburtstag von Karl Kardinal Lehmann Ulrich H. J. Körtner „Wiederkehr der Religion?“ Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit (Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, 173 S., 16,95 €). Christlicher Osten – für den Westen „Fremd und faszinierend“ – das empfinden die meisten Menschen im christlichen Westen, wenn sie den Kirchen des christlichen Ostens begegnen. Johannes Oeldemann, ein Kenner der Orthodoxie, hat ein dichtes Kompendium geschichtlich-theologischer Fragen zur Vielfalt des christlichen Ostens zusammengestellt, kompetent, detailreich, überzeugend. Für über dreißig östliche Kirchen bietet der Autor einen informativen und anschaulichen Einblick in Geschichte, Verbreitung, Strukturen, Frömmigkeit und Riten. Als Orientierungshilfe aus der verwirrenden Vielfalt der orthodoxen Traditionen werden die wichtigsten In- Sind Religion und Moderne am Ende doch unvereinbar? Angesichts der vielfach beschworenen „Rückkehr der Religion“ mag mancher die kritischen Anfragen beiseitegelegt haben. Dennoch gibt es sie – und zwar weitaus radikaler als innerhalb der Kirchen oft wahrgenommen. Dies belegt etwa ein Buch des französischen Philosophen Michel Onfray, das in Frankreich den Sprung in die Bestsellerlisten schaffte und nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt und hierzulande bereits starke Resonanz gefunden hat. Der Autor qualifiziert Religion grundsätzlich als überflüssig, der Freiheit des Menschen entgegengesetzt und mit rein negativen Konsequenzen für den Einzelnen und die gesellschaftliche Entwicklung. Gott und ein Leben nach dem Tod sind für ihn nichts weiter als Erfindungen angesichts von Endlichkeit und Sterblichkeit; Religionen dagegen dienten dem Machterhalt der Religionsführer, die den Gläubigen in Unwissenheit und unter Kontrolle halten. Indem auch der Atheismus nur als Negativfolie der Religion existiert – für den geradezu religionsallergischen Onfray ein unerträglicher Zustand –, fordert er einen „postchristlichen, also militant atheistischen Laizismus“, der sich darauf besinnt, „diese einzige tatsächlich existierende Welt zu nutzen und zu genießen“. Leider gleicht das Buch Onfrays eher einer Provokation denn einer fundierten Religionskritik, was nicht heißt, daß die Religionen sich mit den vorgetragenen Argumenten nicht auseinanderzusetzen hätten. formationen – Ritus, Liturgiesprache, Kirchenkalender, Anzahl der Gläubigen, Titel und Sitz des Ersthierarchen, Anzahl der Diözesen und deren Präsenz in Deutschland – in Schaukästen zusammengefaßt. Ein Anhang mit tabellarischen Übersichten, Karten und weiterführender Literatur vervollständigt das zuverlässige Nachschlagewerk. Zoran Andric Johannes Oeldemann „Die Kirchen des christlichen Ostens“ Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Ostkirchen (Verlagsgemeinschaft Topos plus, Kevelaer 2006, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 230 S., 10,90 €). Wir Nachbarn des Himmels Karl Kardinal Lehmann Erfahrungen und Begegnungen mit Karl Kardinal Lehmann Hg. von Karl Jüsten und Hans Langendörfer 192 Seiten, geb. mit Schutzumschlag X19,90 /SFr 34.90 /k[A] 20,50 ISBN 3-451-29069-3 Zuversicht aus dem Glauben Ein Lesebuch über Begegnungen mit Karl Lehmann – von Menschen, deren persönliche Geschichten höchst verschieden sind, die aber alle mit dem Kardinal in Verbindung stehen. Ein faszinierendes Kompendium der wichtigsten Themen der letzten zwei Jahrzehnte, ergänzt um eine Chronik kirchlicher und politischer Ereignisse. www.herder.de Die Grundsatzreferate des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz 576 Seiten, geb. mit Schutzumschlag Z 35,– /SFr 60.50 /m[A] 36,– ISBN 3-451-28940-7 7 Im „Jesuitenjahr“ 2006 hat der Historiker und Sachbuch-Autor Helmut Feld ein sehr „persönliches“ Buch geschrieben, das auf einen Radio-Essay zurückgeht und diesen Charakter übernommen hat. Die Hälfte des Werks beschäftigt sich mit dem Wirken der Gesellschaft Jesu bis in die Gegenwart hinein. Daß darin nicht mehr als Pinselstriche angeboten werden können, versteht sich von selbst. So erhält etwa die „Weltmission“ in Asien, Afrika und Lateinamerika nur sechs Seiten. In zwei wichtigen Kapiteln werden je zwei bis drei Seiten großen Gestalten des „alten“ Ordens (Francisco Javier, Petrus Canisius, Francisco Suárez, Robert Bellarmin, Matteo Ricci,Athanasius Kircher, Baltasar Gracián, Friedrich Spee) beziehungsweise bedeutenden Jesuiten des „neuen“ Ordens (Hartmann Grisar, Pierre Teilhard de Chardin, Hans Urs Balthasar, Henri de Lubac, Jean Daniélou, Bernard Lonergan,Augustin Bea, Stanislas Lyonnet, Karl Rahner, Gustav Grundlach, Oswald von Nell-Breuning, Wilhelm Klein) gewidmet. Einige aus der letzten Gruppe waren Lehrer des Autors, was nicht zuletzt die deutsch-zentrierte Auswahl erklären dürfte. Der Abschnitt über Rahner gerät dabei zu einer unschönen Abrechnung über seine Theologie und seinen Charakter: Von „menschlicher Gefühllosigkeit“, „eitlem Gebaren“ und einer „jahrzehntelangen Doppelexistenz“ ist die Rede (Affäre Luise Rinser). Vermerkt wird, daß einige seiner Schriften „von tiefsinnig klingenden Allgemeinplätzen“ strotzen. Vorher wurde Hans Urs von Balthasar vorgehalten, oft einen „ideologischen Brei“ zu produzieren und dem „pseudotheologischen und pseudoreligiösen“ Schwachsinn der Adrienne von Speyr erlegen zu sein. Und Ignatius? Auf den ersten 240 Seiten wird die Biographie des „Pilgers“, „Exerzitienmeisters“ und „Ordensgründers“, der vor 450 Jahren starb, mit vielen „persönlichen“ Beobachtungen leicht lesbar erzählt. Abschließend werden einige Ratschläge gegen den „unaufhaltsamen Zerfall“ der Gesellschaft Jesu erteilt: Beseitigung krankhafter Elemente (Ideologie des blinden Kadavergehorsams, Jungfräulichkeits- und Zölibatsideologie, Beichtzwang, Dogmatismus in Theologie und Moral). Die individuelle kultur- und religionsgeschichtliche Bedeutung des Ignatius besteht für den Autor in der Entdeckung der „Seele“, die als „Ort Gottes“ von größerer Bedeutung als das „Wort Gottes“ für ihn gewesen sei, denn er fand in den Texten der Bibel, „was er vorher schon in seiner Seele entdeckt hat“. Nicht jeder wird dies unterschreiben, denn Mystiker sind „Hörer des Wortes“, das in ihrem Seelengrund erwacht, weil sie ihm darin eine Wohnung bereitet haben. Mariano Delgado Helmut Feld „Ignatius von Loyola“ Gründer des Jesuitenordens (Böhlau Verlag, Köln 2006, 483 S., 29,90 €). Zensiert! Der Vatikan und die Bücher Seit 1998 ist es der historischen Forschung zugänglich: das Archiv der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre. Der Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf hat schon früher Einsicht in die römischen Prozeßakten bekommen. Das von ihm geleitete großangelegte Forschungsprojekt „Römische Inquisition und Indexkongregation“ untersucht die gesamte römische Buchzensur von 1542 (das durch die Reformation ausgelöste Gründungsjahr der römischen Inquisition) bis 1966 (Ende des Index). Als Nebenprodukt liegt nun das gut lesbare und unterhaltsame Buch „Index“ vor, das außer einer Einführung in die Geschichte des kurialen Bücherverbots neun Zensurfälle im Detail darstellt. Darunter sind Überraschungen wie „Onkel Toms Hütte“ von der methodistischen Autorin Harriet Beecher Stowe und die Bücher des Protestanten Karl May, die vor allem wegen der nicht-katholischen Verfasserschaft in Verruf geraten waren und letztlich doch nicht auf den Index kamen. Darunter sind auch bekanntere Indizierungen wie die Heinrich Heines und Leopold von Rankes. Spannend ist die Liste der verbotenen Bücher von 1948 (mit Einlegeblatt von 1954) im Anhang, darunter zum Beispiel das Verbot aller Werke Jean Paul Sartres. Es fällt auf, daß Wolf sich in „Index“ vornehmlich auf Kuriositäten verlegt hat. Mit BENEDICTUS neue Lieder singen … … bei Gottesdiensten und Treffen der Gemeinde, in Singkreisen, in der Schule und in der Familie … Wurzeln des Christentums Rudolf Pesch GOTT IST GEGENWÄRTIG Die Tradition der Versammlung des Gottesvolkes bei Juden und Christen steht im Zentrum des neuen Buches von Rudolf Pesch. Mit einem Geleitwort von Jean-Marie Kardinal Lustiger. ANTISEMITISMUS IN DER BIBEL? CD 1 LIEDERBUCH 192 Seiten, geb., Zeichenband ISBN 3-932857-70-4 19,90 € (Staffelpreise ab 5 Expl.) VERLAG URFELD Hubert Wolf „Index“ Der Vatikan und die verbotenen Bücher (Verlag C. H. Beck, München 2006, 303 S., 22,90 €). BUCH BENEDICTUS Neue Lieder für das Gottesvolk CD 1 „Lobe den Herrn, meine Seele“ Chor und Instrumental-Ensemble der Katholischen Integrierten Gemeinde TT = 29:43 ISBN 3-932857-71-2 9,80 € Sechs der neun Fälle wurden nicht zensiert. So mag im Blick auf die unterdrückerische und Opfer fordernde Geschichte römischer Zensur am Ende der Eindruck entstehen: Alles halb so schlimm. Anders gesagt: Das Buch hat, schwäbisch gesprochen,„ein Gschmäckle“. Irene Leicht Jeder Band EUR 14,90 Gewidmet Georg und Joseph Ratzinger 0 80 41 - 74 09 29 www.verlag-urfeld.de Jetzt überall im Buchhandel! SANKT ULRICH VERLAG Über den Gründer der Jesuiten und die Gesellschaft Jesu Mehdi Bazargan „Und Jesus ist sein Prophet“ Der Koran und die Christen (Verlag C. H. Beck, München 2006, 108 S., 14,90 €). S. 450 Jahre nach Ignatius Katajun Amirpur, Ludwig Ammann (Hg.) „Der Islam am Wendepunkt“ Liberale und konservative Reformer (Verlag Herder, Freiburg 2006, 219 S., 9, 90 €). 76 Peter Hersche „Muße und Verschwendung“ Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bde. (Verlag Herder, Freiburg 2006, 1206 S., 78,– €). Die Iran-Wissenschaftlerin Katajun Amirpur und der Islamwissenschaftler Ludwig Amman stellen ein Spektrum islamischer Reformer vor. Nach einer programmatischen Einleitung werden neunzehn Personen von verschiedenen Autoren der jüngeren Generation porträtiert. Jeder Beitrag endet mit Hinweisen auf Literatur und Internet-Quellen. Die Reformer spiegeln eine schöne Bandbreite: durch ihre Herkunft aus Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Indonesien; durch ihre Standpunkte, die liberal oder konservativ, befreiungstheologisch oder feministisch ausfallen, die aus dem Koran schöpfen oder die Scharia aktualisieren, um Gegenwartsfragen zu lösen. Auch wenn man sich über manche Einschätzung streiten kann, ist die Lektüre anregend. Das von Navid Kermani herausgegebene und eingeleitete Buch des 1995 verstorbenen Mehdi Bazargans, des Führers der iranischen Freiheitsbewegung, bietet einen interessanten Zugang zu den teil- ., 1 Auf mehr als tausend Seiten, aufgeteilt in zwei dicke Bände, legt der Berner Historiker Peter Hersche eine umfassende Darstellung des Barockzeitalters vor. Das Werk ist auf der einen Seite ein Forschungsbericht in ständiger Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskussion, auf der anderen Seite eine bis ins Detail gehende Darstellung jener Zeit zwischen 1550 und 1750, in der der katholisch gebliebene Teil Europas im Unterschied zum protestantischen Norden eine eigene Kultur entwickelte. Es geht also nicht nur um die großartige Kunst des Barock, die wir heute noch bewundern, sondern vor allem auch um Sozial-, Wirtschafts-, Konfessionsund Mentalitätsgeschichte, wobei der Autor sich betont – unter Hinzuziehung vielfältiger Sekundärliteratur – um eine sehr genaue Fundierung in der Realität bemüht. Besonders dankbar ist man für die jeweils zusammenfassenden kleingedruckten Übersichten zum jeweiligen Forschungsstand, in denen auch Kontroverses deutlich zur Sprache kommt. Ausgangspunkt ist die berühmte These Max Webers über die Entstehung der Moderne aus dem Geist des calvinistischen Protestantismus, während im Barock nun der Geist des Katholizismus als eine Art Anti-Moderne wirksam wird, sei es religiös, soziologisch oder wirtschaftlich. Für diese „intendierte Rückständigkeit“, welche nicht an „Fortschritt“ interessiert ist, führt der Autor die Leitbegriffe „Muße und Verschwendung“ ein, die dem katholischen Barockmenschen wichtiger gewesen seien als Arbeitsethos und Profit. Trotz aller gründlichen Wissenschaftlichkeit ist das Werk durchaus leicht lesbar, kann es auch der Laie als historisches Lesebuch benutzen. Zugleich ist es als Handbuch zum Nachschlagen und Weiterstudieren für jeden Interessierten geeignet. Etwa 2500 Titel enthält allein das Literaturverzeichnis (108 Seiten). Natürlich wird diese Arbeit auch die wissenschaftliche Diskussion anregen und zum Teil Widerspruch hervorrufen. So sind zum Beispiel die Ausführungen über das katholische „Neobarock“ im 19. und 20. Jahrhundert wie auch die Beurteilung des Zweiten Vatikanischen Konzils mehr als eigenartig. Manfred Plate weise sehr konfrontativen Koranversen über Jesus und die Christen. Nach knappen Vorbemerkungen des Autors sind die Verse gemäß der islamischen Auslegungstradition in der chronologischen Reihenfolge der Offenbarungsgeschichte abgedruckt und mit kurzen Kommentaren versehen. Im Kontext der historischen Auseinandersetzungen Mohammeds lesen sich die Verse anders, als wenn man sie zu überzeitlichen Aussagen hochstilisiert. Bazargan versteht den Islam nicht als Ablösung des Christentums, sondern sieht im Koran eine auch an Christen adressierte Botschaft, welche diese an ihre eigenen Glaubensgrundlagen erinnert. Beide Bücher sind ein Beleg für die Wandelbarkeit des Islam. Hansjörg Schmid Geb Ein anregendes Handbuch Reform-Islam Geb., 160 S. Das Zeitalter des Barock 8 Schillebeeckx: sein Lebenszeugnis „Ich höre nicht auf, mit Vernunft und Gefühl an den lebendigen Gott zu glauben.“ – Mut und Leidenschaft sprechen aus diesem Satz des bedeutenden Theologen Edward Schillebeeckx, der im Gespräch engagiert und offen von seiner religiösen Suche erzählt, von reflektierter kritischer Forschung und gelebtem Glauben. Anläßlich seines neunzigsten Geburtstags erhält der Leser zunächst Einblick in seinen theologischen Werdegang. Mehrfach wurde er kritisch von der Glaubenskongregation befragt, ein Zeichen für seine Sprengkraft. Schillebeeckx geht von einer „natürlichen Offenheit“ des Menschen aus, durchdrungen von einer Sehnsucht nach absoluter Transzendenz. Jesus von Naza- reth, Thomas von Aquin, Johannes vom Kreuz und Katharina von Siena werden ihm zu Weggefährten und Quellen christlichen Denkens und Handelns. Schillebeeckx beeindruckt durch seine klare verständliche Sprache, seine fundierte Kenntnis der christlichen Tradition und seine Geisteskraft, die Glaubenstradition fürs Heute zu durchdringen, auch in sozialer Verantwortung. Katharina Nast Edward Schillebeeckx „Ich höre nicht auf, an den lebendigen Gott zu glauben“ Edward Schillebeeckx im Gespräch mit Francesco Strazzari (Echter Verlag, Würzburg 2006, 93 S., 9,90 €). Dorothee Sölle: Das Gesamtwerk Dorothee Sölle war die meistgelesene theologische Autorin des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Nun wird in zwölf Bänden ihr Gesamtwerk von ihrem Mann Fulbert Steffensky und Ursula Baltz-Otto herausgegeben. Die Theologin, Frauenrechtlerin und geistliche Schriftstellerin hat kein systematisch geschlossenes Denkgebäude hinterlassen. Sie wählte oft das Bruchstückhafte, Fragmentarische. Hoch aktuell bleiben die Fragestellungen: Wie läßt sich überhaupt noch sinnvoll von Gott reden und zu ihm sprechen? Das Wort Theodor Adornos aufnehmend, wonach man nach Auschwitz nicht mehr beten könne, wagte Dorothee Sölle dennoch den Entwurf einer negativen Theologie, die von Gott mehr sagen könne, was er nicht ist, als was er ist. Widerstand, Solidarität, Gerechtigkeit: Diesem biblisch-prophetischen Interesse Gottes am Menschen ist der erste Band gewidmet. Darin sind vor allem Texte politischer Theologie versammelt – einschließlich der leidenschaftlichen Auseinandersetzung von 1971 mit der Existentialphilosophie Rudolf Bultmanns. Der ganze Band atmet überdies die Atmosphäre jener angespannten Zeit im Kalten Krieg, in der es der Mitbegründerin des Politischen Nachtgebets in Köln darum ging, den Gott Jesu Christi als Befreier in die Welt hineinzurufen. Ursula Baltz-Otto hat als langjährige Wegbegleiterin eine kurze prägnante Einführung in Leben Große Theologen . . . in theologischer Entwicklung Für den Sammelband wurden von Christian Danz die wichtigsten Repräsentanten der bedeutendsten theologischen Strömungen von der Zeit der Kirchenväter bis ins 20. Jahrhundert ausgewählt. Epochen- und konfessionsübergreifend sind in großen Linien Leben und Werke unter anderen von Origenes, Augustinus, Thomas von Aquin, Martin Luther, Friedrich Schleiermacher, Rudolf Bultmann, Karl Rahner vorgestellt. Sicher wird man einige Namen vermissen, und der weitreichende Einfluß sowie die Fülle und Komplexität der Werke dieser Denker machen es den Autoren schwer, alles auf die erforderliche „dürre Skizze der wichtigsten Grundlinien“ zu reduzieren. Das Buch ist jedoch als Einstiegs- und Überblickswerk entworfen. Als solches und Werk geschrieben, leider aber die kritischen Anfragen ausgeklammert. Ganz anders – poetisch, gefühlvoll, literarisch – der zweite Band. Er enthält etliche Aufsätze, spirituelle Erfahrungsberichte, einige Gedichte und Predigten, in denen Dorothee Sölle Stellung bezieht zur zerbrechlichen religiösen Erfahrung der Moderne. Jürgen Springer Dorothee Sölle „Gesammelte Werke“ Band 1: Sprache der Freiheit (315 S.); Band 2: Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden (353 S., Kreuz Verlag, Stuttgart 2006; jeweils 24,95 €, Subskriptionspreis 20,95 €). Sinnlich Mut zur Religion Wie fühlt sich der Glaube an? Wellness, Religion, Gott Farbiges Themenheft, 36 S., kartoniert, ISBN 3-451-00355-4, T 5,90 (Mengenpreise) Es ist Zeit für Gefühle. Das aktuelle Themenheft der Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“ über die körperlich-seelische Seite des Glaubens. Mit Beiträgen von Elisabeth Moltmann-Wendel, Leonardo Boff, Ulrich H. J. Körtner, Anselm Grün, Peter Eicher, Christian Nürnberger u.a. bietet es eine gute Grundlage für die Einordnung der einzelnen Theologen in einen geschichtlichen Zusammenhang, der, ohne sich in Details zu verlieren, den Blick auf das Wesentliche richtet. Und darauf, wie sich Theologie immer in Auseinandersetzungen weiterentwickelt. Christina Herzog Christian Danz (Hg.) „Große Theologen“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 296 S., 39,90 €). Einfach schwierig: die Liebe „Nichts ist so wenig selbstverständlich wie die Liebe“. Diesem Wenig-Selbstverständlichen geht Umberto Galimberti als Anthropologe, Psychoanalytiker und Philosoph in den neunzehn Kapiteln seiner Gebrauchsanweisung für die Liebe nach. „Liebe und Transzendenz“, „Liebe und Sakralität“, „Liebe und Wahnsinn“... Der Psychoanalytiker ist vertraut mit den Abgründen der Seele, aus denen Eros als Gott der Liebe aufsteigt. Und so zeigt der Autor die hintergründigen Triebkräfte der Liebe auf und macht verständlich, wie ohne Kontakt zu ihnen die Liebe leidenschafts- und damit kraftlos wird. Einfach schwierig: die Liebe. Gerade weil die Überlegungen anspruchsvoll und anregend sind, ist das Buch keine Gebrauchsanweisung im alltäglichen Verständnis. Otto-Paul Hessel Umberto Galimberti „Liebe“ Eine Gebrauchsanweisung (C. H. Beck Verlag, München 2006, 224 S., 14,90 €). Das Herz des Universums Einstein und die Frage nach Gott Themenheft, 36 S., kartoniert, ISBN 3-451-00354-6, T 5,90 (Mengenpreise) Wie kann man glauben, wenn traditionelle Gottesbilder unter dem Druck der modernen Welterfahrung, im Horizont der Wissenschaft zerbrechen? Johannes Röser Mut zur Religion Erziehung, Werte und die neue Frage nach Gott 160 S., kartoniert, ISBN 3-451-05602-X, T 8,90 Religion ist auch eine Bildungsfrage. Zur Debatte über den Erziehungsnotstand. „Wertvolle Denkanstöße.“ (Familienministerin Ursula von der Leyen) „Mit Verstand und Herzblut geschrieben.“ (Psychoanalytiker Tilmann Moser) Erhältlich im Buchhandel oder direkt bei: Verlag Herder, Kundenservice, 79080 Freiburg, Fax 0761/2717-249, Tel. 0761/2717-422, E-Mail [email protected], www.christ-in-der-gegenwart.de. www.herder.de