Erosion und Abrasion von Zahnhart - Zahnarzt Dr. Detlef Schmidt in

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Kolumnentitel
1
Priv.-Doz. Dr. Thomas Attin
Geboren 25. 2. 1963 in Essen, Studium der
Zahnheilkunde in Marburg, 1989 Staatsexamen, 1989 –1990 Assistent in der Abteilung
für Zahnerhaltung und Parodontologie der Universität Heidelberg, 1990 –1991 Assistent in
zahnärztlicher Praxis in Eberbach/Neckar, 1991
Promotion, 1991–1993 Assistent in der Abteilung für Zahnerhaltung der Universität zu
Köln, seit 1993 Oberarzt in der Abteilung Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie
der Universität Freiburg i. Brsg., 1997 Habilitation.
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz – Einflußfaktoren, Pathogenese
und Therapie
Von T. Attin, Freiburg i. Brsg.
Einleitung
In vielen Industrienationen wird ein Rückgang der Kariesinzidenz
verzeichnet. Aus diesem Grunde ist eine zunehmend größere Anzahl an Zähnen dem Risiko ausgesetzt, an anderen, d. h. nichtkariösen Zahnhartsubstanzdefekten zu erkranken. Dabei werden
vermehrt Erosionen und Abrasionen von Zahnhartsubstanz beobachtet, die sich in ihrem klinischen Erscheinungsbild aber nicht
immer eindeutig voneinander unterscheiden lassen. Leider gibt es
nur wenige kontrollierte Studien zur Häufigkeit des Auftretens
von Erosionen, so daß Aussagen über eine Veränderung der Inzidenz noch nicht getroffen werden können. So liegen auch z. Zt.
keine aktuellen Daten zur Prävalenz von Erosionen aus Deutschland vor. Im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik wurden allerdings 1989 bei 4% der 16- bis 35jährigen
Untersuchten Erosionen beobachtet [72]. In anderen Ländern
(Finnland, Großbritannien) werden ähnliche Prävalenzraten ver-
Zahnerhaltung
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T. Attin
zeichnet [46, 77]. In der Schweiz hingegen wurden von Lussi et
al. [59] höhere Prävalenzraten notiert. Dort lagen bei 7,7% der
jüngeren (26 bis 30 Jahre) und 13,2% der älteren Untersuchten
(46 bis 50 Jahre) vestibulär gelegene Erosionen vor. Linguale
Zahnflächen waren bei 3,6% der jüngeren und 6% der älteren
Probanden betroffen. Im Bereich der Okklusalflächen lagen sogar
bei 29,9% der jüngeren und 42,6% der älteren Untersuchten
Erosionen vor, bei denen Dentin exponiert war. Die Autoren
stellten fest, daß der Schweregrad der erosiven Läsionen mit
zunehmendem Alter anstieg. Aber auch bei jüngeren Patienten
können nichtkariöse Zahnhartsubstanzdefekte beobachtet werden. So zeigte eine bei Kindern und Jugendlichen in Großbritannien durchgeführte Studie, daß bereits bei 57% der Untersuchten Zahnhartsubstanzdefekte zu verzeichnen waren, die
allerdings sowohl erosiver als auch abrasionsbedingter Genese
waren [13].
Obwohl also zu erkennen ist, daß Erosionen und Abrasionen
bei epidemiologischen Studien häufig beobachtet werden konnten, liegen noch keine allgemein anerkannten Konzepte zur Verhinderung der Entstehung und Progression von Erosionen bzw.
Abrasionen vor [42]. Das folgende Übersichtsreferat soll daher
vor allem auf die Ursachen von Erosionen und Abrasionen (insbesondere Bürstabrasionen) hinweisen, um den Blick des Behandlers für das Vorhandensein ätiologischer Faktoren von nichtkariösen Zahnhartsubstanzdefekten zu schärfen, damit eine
adäquate Beratung des Patienten erfolgen kann.
Definitionen nicht kariöser Zahnhartsubstanzdefekte
Verschiedene destruktive Prozesse können neben der bakteriell
bedingten Zahnkaries und traumatischen Ereignissen zu einem
Zahnhartsubstanzverlust führen. Diese Prozesse werden in der
Literatur zumeist als Abrasion, Attrition, Demastikation, Abfraktion oder Erosion klassifiziert [43]. Es muß festgehalten werden,
daß sich diese Prozesse überlagern können, so daß eine eindeutige
ätiologische Zuweisung klinisch oftmals nicht möglich ist.
Unter Abrasion versteht man einen mechanisch verursachten
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
3
Zahnhartsubstanzverlust. Der Zahnabrieb wird dabei durch ein
weiteres Medium (z. B. Partikel aus Zahnpasta, Staub oder Nahrungsbestandteilen) hervorgerufen [39, 53]. Den Abtrag an
Zahnhartsubstanz, der speziell durch Nahrungszerkleinerung
ausgelöst wird, bezeichnet man als Demastikation. Die Ausprägung des Zahnhartsubstanzverlustes wird dabei vor allem durch
die Abrasivität der Nahrung beeinflußt. Zahnabrasionen im zervikalen Zahnbereich werden meist einer intensiven Zahnpflege
mit zu kräftiger Anwendung der Zahnbürste zugeschrieben [53]
(Abb. 1). Im Interdentalbereich kann eine Abrasion durch den
übermäßigen Gebrauch von Zahnzwischenraumbürsten oder
Zahnstochern hervorgerufen werden. Zahnabrasionen stellen
sich häufig als konkave Vertiefungen mit einer glatten Oberfläche dar.
Der Begriff Attrition beschreibt einen Verlust von Zahnhartsubstanz, der durch direkten Zahn-zu-Zahn-Kontakt hervorgerufen wird. Eine Attrition der Zahnhartsubstanz tritt bei heftigem Zahnpressen und -knirschen (Bruxismus), aber auch beim
Zahnkontakt während des Schluckens und Sprechens auf. Zahnattritionen stellen sich als scharf begrenzte flache Oberflächendefekte dar. Sie werden im Bereich der Inzisalkanten und Okklusalflächen in beiden antagonistischen Zahnreihen beobachtet
(Abb. 2).
Mit dem Begriff der Abfraktion wird das klinische Bild eines
keilförmigen Defektes im Bereich der Schmelz-Zement-Grenze
beschrieben. Die keilförmigen Defekte sind meist am vestibulären
Zahnhals lokalisiert und weisen eine scharfkantige Grenze auf
(Abb. 3). Die Ätiologie keilförmiger Defekte ist noch nicht hinrei-
Abb. 1 Zervikale Läsion,
bei der deutlich Bürstspuren im freigelegten Dentin zu erkennen sind
Zahnerhaltung
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Abb. 2 Attritionserscheinungen an den Frontzähnen bei einem 57jährigen
Patienten
chend geklärt. Als Ursache dieser Läsionen wird eine exzentrische
Zahnüberbelastung diskutiert. Durch diese Überbelastung wird
der Zahn im Bereich des Zahnhalses gestaucht, wodurch
Mikrofrakturen innerhalb des Zahnschmelzes und Dentins ausgelöst werden. Es wird angenommen, daß es bei weiterer Belastung oder auch beim Zähnebürsten zu einem Herauslösen von
Zahnhartsubstanzfragmenten kommt [52].
Erosionen werden als das „Resultat eines pathologischen,
chronischen und lokalisierten Zahnhartsubstanzverlusts“ definiert, „der durch chemischen Einfluß von Säuren oder Chelatbildnern an der Zahnoberfläche ohne Beteiligung von Mikroorganismen entstanden ist“ [87]. Erosionen entwickeln sich unter
dem Einfluß von Säuren, die extrinsischer (z. B. Nahrung) oder
intrinsischer (z. B. Magensäure) Herkunft sein können. Der damit
verbundene Zahnhartsubstanzverlust tritt als schüsselförmige,
nichtverfärbte, flache Vertiefung mit abgerundeten Begrenzungen
auf (Abb. 4). Er kann je nach Ätiologie der Läsion sowohl auf
Abb. 3 Typischer, keilförmiger Defekt mit
scharfkantiger Begrenzung
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
5
Abb. 4 Erosive Defekte
bei einer 31jährigen Patientin, die anamnestisch
über einen häufigen Konsum von Erfrischungsgetränken berichtete
oralen, als auch auf vestibulären freien Zahnoberflächen beobachtet werden. In seltenen Fällen können die Läsionen auch subgingival liegen. Der durch Erosionen bedingte Zahnhartsubstanzverlust schwankt zwischen verschiedenen Individuen stark. So
registrierten Bartlett et al. [12] in einem Zeitraum von 6 Wochen
einen Zahnhartsubstanzverlust, der je nach Patient zwischen 17,6
und 108,2 µm lag. Dies entsprach einem mittleren Verlust von ca.
0,8 µm pro Tag. Eine Patientenkontrollgruppe ohne Erosionen
wies im gleichen Zeitraum einen um 90% geringeren Verlust von
nur ca. 0,08 µm pro Tag auf.
Die beschriebenen Zahnhartsubstanzdefekte finden zunächst
im Bereich des Zahnschmelzes statt und sind während dieser Zeit
für den Patienten schmerzlos. Bei entsprechend langer Wirkdauer
der ätiologischen Faktoren kann der Zahnschmelz aber vollständig entfernt werden. Die Zahnhartsubstanzdefekte greifen dann
auf das Zahndentin über. Erosionen und Abrasionen können
anschließend zu einem raschen Verlust an Dentin, bis hin zu einer
Abb. 5 Freiliegender
Wurzelbereich, bei dem
es wahrscheinlich durch
exzessiv durchgeführte
Mundhygienemaßnahmen zu einer Eröffnung
des Wurzelkanals kam
Zahnerhaltung
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Pulpaexposition, führen (Abb. 5). Erst wenn das Dentin betroffen
ist, klagen viele Patienten bei schnell fortschreitenden Erosionen
oder Abrasionen über Hypersensitivitäten.
Pathologie säureinduzierter, erosiver Zahnhartsubstanzdefekte
Bei einer Erosion wird die Zahnoberfläche von einer Säure angegriffen. Dabei geht die oberste Schmelzschicht verloren. Die
Größe dieses irreversiblen Substanzverlustes hängt von der Stärke
und Einwirkzeit der Säure ab. So kann man bei 4stündiger Exposition von Schmelzproben in Orangensaft einen Substanzverlust von 14 µm beobachten [81]. Die Säure dringt aber auch entlang der Diffusionswege in die Tiefe des Schmelzes und führt dort
zu einer Zerstörung der Prismenstrukturen. Dadurch resultiert
eine Tiefendemineralisation des Schmelzes. Eigene Untersuchungen führten zu einer ca. 20 µm tiefen Demineralisation nach
15minütigem Einlegen von Schmelzproben in ein saures Getränk
[8]. Diese Demineralisation führt zu einer deutlichen Erweichung
der Schmelzoberfläche [58]. Bei einem erosiven Schmelzdefekt
kann polarisationsmikroskopisch im Gegensatz zur initialen
kariösen Läsion aber keine pseudointakte Oberflächenschicht
beobachtet werden [8]. Somit entspricht eine Erosion dem von
Arends und Christoffersen [2] beschriebenen frühen Stadium
einer initialen kariösen Schmelzläsion.
Schmelzapatit steht mit den Kalzium- und Phosphationen des
umgebenden Speichels in einem chemischen Gleichgewicht. Bei
einem neutralen pH-Wert gilt Speichel als eine an Hydroxylapatit
übersättigte Lösung. Sinkt der pH-Wert der Umgebung aber z. B.
auf den pH-Wert 5, so finden sich im Speichel nur noch geringste
Anteile von freien, nicht protonisierten Phosphationen. Der Speichel gilt daher ab einem sauren pH-Wert von 5,5 als eine an
Hydroxylapatit untersättigte Lösung. Folglich kommt es entsprechend dem Diffusionsgradienten zur Wanderung von Kalziumund Phosphationen aus dem Zahnschmelz in den Speichel. Bei
einer Erosion greifen die Protonen der in den Schmelz eindringenden Säuren z. B. an den tertiären Orthophosphaten, Karbonaten oder Hydroxylionen des Apatits an. Es entstehen protoni-
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
7
sierte Phosphat- bzw. Karbonationen oder Wasser. Dies führt zu
einer Destabilisierung des Ionengleichgewichts innerhalb der
Apatitkristalle und zu einem Freiwerden der Kalziumionen. Die
protonisierten Phosphat- und Karbonationen gehen als Anionen
in Lösung. Dadurch werden die Kristalloberflächen negativ geladen. Zur Aufrechterhaltung der Elektroneutralität wandern nun
Kalziumionen in die umgebende Lösung der Kristalle. Liegen
komplexbildende Bestandteile wie z. B. Zitronensäure oder Karbonate in einer Lösung vor, ist die demineralisierende Wirkung
der Lösung zusätzlich gesteigert. Komplexbildner können Kalzium binden. Somit wird z. B. bei Anwesenheit von Zitronensäure
freies Kalzium aus dem den Schmelz umgebenden Speichel entfernt. Die Anwesenheit der Zitronensäure bewirkt dabei, daß sich
der Speichel schneller zu einer an Hydroxylapatit untersättigten
Lösung verändert. Entsprechend dem Massenwirkungsgesetz
führt die Untersättigung des Speichels an Hydroxylapatit zu einer
weiteren Freisetzung von Kalzium- oder Phosphationen aus dem
Schmelz heraus. Dabei dauert es nach dem Konsum einer 2%igen
Zitronensäurelösung ca. 15 Minuten, bis sich der Sättigungsgrad
wieder auf das vor Aufnahme der Säure bestehende Niveau regeneriert hat (Abb. 6). Dieser Einfluß von Zitronensäure auf das
Sättigungsverhalten von Hydroxylapatit im Speichel ist je nach
Person stark unterschiedlich ausgeprägt [16].
Die Demineralisation des Schmelzes findet bevorzugt in den
interprismatischen Räumen statt, so daß nach längerer Einwirk-
Abb. 6 Zeitlicher Verlauf des Sättigungsgrads an Hydroxylapatit im Speichel nach Spülen des Mundes mit 2%iger Zitronensäure oder Wasser (rote
Linie) (nach [16])
Zahnerhaltung
8
T. Attin
Abb. 7 Rasterelektronenmikroskopische Darstellung von Rinderschmelz
(Vergrößerung 3000 fach)
nach abwechselnder Exposition in einem sauren
Erfrischungsgetränk und
künstlichem Speichel.
Deutlich ist ein Ätzmuster
zu erkennen, bei dem die
Prismenzentren herausgelöst sind
zeit eines sauren Getränks rasterelektronenmikroskopisch eine
deutliche Auflösung der interprismatischen Substanz beobachtet
werden kann [63]. Es kann aber auch ein Ätzmuster entstehen,
bei dem bevorzugt die Prismenzentren herausgelöst sind (Abb. 7).
Diese Aufrauhungen einer erodierten Zahnschmelzoberfläche lassen sich durch Kontakt der Oberfläche mit Speichel wieder rasch
glätten. Noack [74] nimmt an, daß es sich dabei um Rekristallisationsprozesse handelt. Es wird auch vermutet, daß es sich bei
der Regenerierung einer erodierten Schmelzoberfläche um Präzipitationen von verschiedenen Kalzium-Phosphat-Salzen in den
porösen Zahnschmelz handelt [42]. Vor allem schwer in Säure
lösliche Kristalle wie Brushit oder Dikalziumphosphat werden für
die Reparatur des Schmelzes verantwortlich gemacht. Somit
kommt es nach Ansicht von Imfeld [42] nicht zu einer Remineralisation der Erosion im Sinne einer restitutio ad integrum mit
einem Wachstum von säuregeschädigten Apatitkristallen, sondern
nur zu einer Reparatur.
Klassifikationen von Zahnerosionen
Zur Untersuchung, Beurteilung und Klassifikation von Erosionen
werden neben ätiologischen Faktoren vor allem der Schweregrad
der Ausprägung an der Zahnhartsubstanz herangezogen. Spezifischere Bestimmungen von Erosionsdefekten sind mit den Klassifikationen von Eccles [26] (Tab. 1) und Lussi et al. [59] möglich.
Um Zahnhartsubstanzdefekte ätiologisch eindeutig als Erosionen
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
Tab. 1
9
Klassifikation von Erosionen nach Eccles [26]
Klasse I
Oberflächliche, ausschließlich im Schmelz gelegene
Läsion
Klasse II Lokalisierte Läsionen mit freiliegendem Dentin bei bis
zu einem Drittel der Oberfläche
Klasse III Generalisierte Läsionen mit freiliegendem Dentin bei
mehr als einem Drittel der Oberfläche
einstufen zu können, sind darüber hinaus detaillierte anamnestische Untersuchungen des Patienten notwendig [56].
Neben der Ausprägung und Ausdehnung der erosiven Läsion
ist es noch möglich, Erosionen entsprechend ihrer Aktivität, d. h.
in manifeste und latente Defekte einzuordnen. Manifeste Erosionen unterliegen einem progressiv destruktiven Prozeß. Sie weisen
eine dünne Schmelzschicht im Übergangsbereich zum exponierten
Dentin auf. Latente, inaktive Läsionen hingegen zeigen eine verdickte Schmelzleiste an der Grenze zwischen Schmelz und evtl.
freigelegtem Dentin (Abb. 8).
Ätiologie von Zahnerosionen
Zahnerosionen müssen als eine multifaktoriell bedingte Erkrankung der Zahnhartsubstanz betrachtet werden. Die ätiologischen
Faktoren lassen sich in intrinsische und extrinsische Faktoren
einteilen, die beide zu einem übermäßigen Kontakt der Zahn-
Abb. 8 Inaktive erosive
Läsion mit typischer wulstiger Verdickung im Randbereich
Zahnerhaltung
10
T. Attin
substanz mit einer sauren Flüssigkeit führen (Abb. 9). Daneben
kann die Ausprägung von Erosionen aber auch durch modifizierende Parameter, wie z. B. die Speichelzusammensetzung oder
Speichelfließrate, beeinflußt werden. Daher ist der gesamte Komplex der Ätiologie von Erosionen noch nicht hinreichend geklärt
[93].
Bei den intrinsischen, d. h. endogenen Säuren, die Zahnerosionen auslösen können, handelt es sich um Magensäuren oder säurehaltige Mageninhalte, die in die Mundhöhle als Folge von
Erbrechen, Regurgitation, gastroösophagalem Reflux oder Rumination gelangen [83]. Es wird angenommen, daß ca. 1 / 4 der
beobachteten Erosionen auf den Einfluß von Magensäure zurückzuführen sind [46]. Magensäure besitzt einen pH-Wert von 1 bis
1,5, der deutlich unter dem kritischen pH-Wert von 5,5 liegt, bei
dem Zahnhartsubstanz aufgelöst wird. Viele der Erkrankungen,
die zum wiederholten Kontakt von Magensäure mit den Zähnen
führen, sind psychogener Ursache und werden daher dem Arzt
vom Patienten häufig nicht mitgeteilt. Oft ist der Zahnarzt der
erste, der anhand der Zahnerosionen diese Erkrankungen diagnostiziert.
Das häufige Erbrechen kann durch zahlreiche Ursachen hervorgerufen werden. So können z. B. gastrointestinale Probleme
verminderte Speichelpufferkapazität
saure Medikamente
Vitamin C
Acetylsalicylsäure
Eisenpräparate
Azida
säurehaltige
Nahrungsmittel
saure Getränke
Früchte
Joghurt
Essig
Säuredämpfe
berufliche Exposition
Magensäure
Reflux
Regurgitation
Rumination
chronisches Erbrechen
reduzierter Speichelfluß
Zahnerhaltung
Abb. 9 Ätiologische Faktoren für
Erosionen (nach
[49])
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
11
bzw. Erkrankungen, chronischer Alkoholabusus, Nebenwirkungen von Medikamenten, metabolische bzw. endokrine Funktionsstörungen oder zentralnervöse Erkrankungen chronisches Erbrechen zur Folge haben. Daneben sind vor allem psychogene
Eßstörungen wie Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Ursache
eines Zahnkontakts mit Magensäure. Diese Erkrankungen sind
im Zusammenhang mit der Entstehung und Prävalenz von Erosionen von besonderem Interesse, da sie in westlichen Industrienationen in zunehmendem Maße beobachtet werden. Sie besitzen
in diesen Ländern eine Prävalenz von ca. 5% [22]. Der überwiegende Teil der erkrankten Patienten sind junge Frauen im Alter
zwischen 12 und 30 Jahren. Die Anorexia nervosa kann gleichzeitig mit einer Bulimie auftreten, die dann als bulimische Anorexia nervosa bezeichnet wird. Bei einer bulimischen Anorexia
nervosa sind die oralen klinischen Symptome verstärkt. Bei der
restriktiven Anorexia nervosa wird der Zahnhartsubstanzverlust
vornehmlich durch diätetisch zugeführte Säuren hervorgerufen.
Die Zahnhartsubstanzdefekte finden sich bei Patienten mit einer
restriktiven Anorexia nervosa vornehmlich an den vestibulären
Flächen der Zähne. Studien zeigen, daß ca. 20% der Patienten
mit restriktiver Anorexia nervosa und bis zu 90% der Patienten
mit Bulimia nervosa oder bulimischer Anorexia nervosa
Zahnerosionen aufweisen [82, 83]. Patienten mit Bulimie weisen
darüber hinaus eine höhere Kariesprävalenz auf [48]. Für die
gleichzeitig erhöhte Kariesprävalenz wird die übermäßige Aufnahme fermentierbarer Kohlenhydrate während der Eßphasen
und ein verminderter Speichelfluß diskutiert. Darüber hinaus
sinkt während des Fastens die Phosphatkonzentration im Speichel
und es ist eine vermehrte Plaquebildung zu beobachten. Dadurch
scheint der durch den Säureangriff demineralisierte Schmelz empfindlicher gegenüber kariogenen Noxen zu sein [48].
Deutliche klinische Symptome von Zahnerosionen, die durch
häufiges Erbrechen hervorgerufen werden, können erst nach 1 bis
2 Jahren beobachtet werden [30]. Es finden sich dann vor allem
an den palatinalen und okklusalen Zahnflächen ausgeprägte
Zahnhartsubstanzverluste (Abb. 10). Diese können mit einer
Exposition des Dentins bzw. der Pulpa, starken Hypersensitivitäten, einem Dünnerwerden der Inzisalkanten und letztendlich mit
einem Verlust der vertikalen Dimension der Kiefer zueinander
Zahnerhaltung
12
T. Attin
Abb. 10 Durch chronisches Erbrechen (seit ca.
2 Jahren) ausgelöste erosive Defekte bei einem
jugendlichen Patienten
einhergehen [20, 87]. Der progrediente Zahnhartsubstanzverlust
kann dazu führen, daß Ränder von Restaurationen über das
Zahnniveau erhoben sind (Abb. 11). Häufig putzen sich die Patienten nach dem Erbrechen die Zähne. Beim Zähnebürsten wird
die durch die Säuren erweichte Zahnoberfläche verstärkt abgetragen, so daß der Zahnhartsubstanzverlust dadurch zusätzlich
beschleunigt wird [23]. Andere Maßnahmen, die vom Patienten
nach dem Erbrechen durchgeführt werden, können die Säurewirkung aber auch vermindern. So kann die Säure z. B. durch das
Ausspülen des Mundes mit Wasser verdünnt oder die Auflösung
der Zahnhartsubstanz durch das Trinken von Milch vermindert
werden [20].
Zero [93] unterteilt die extrinsischen Faktoren, die eine Entstehung von erosiven Zahndefekten begünstigen, in 4 Gruppen. So
können Zahnerosionen durch Umwelteinflüsse, Nahrung, Medikamente oder den Lebensstil einer Person ausgelöst werden.
Zahnerosionen, die durch extrinsische Faktoren ausgelöst wer-
Abb. 11 Patient wie auf
Abb. 10. Durch die chronische Einwirkung der
Magensäure ist es zu
einem drastischen Zahnhartsubstanzverlust
gekommen, so daß die
Füllungsränder über das
Zahnniveau erhoben sind
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
13
den, führen überwiegend zu einem Verlust an Zahnhartsubstanz
im Bereich der vestibulären Flächen der Oberkieferfrontzähne
[56]. Zahnhartsubstanzverluste im Bereich der okklusalen oder
lingualen Zahnflächen von Patienten mit übermäßiger extrinsischer Säureexposition werden mit anderen ätiologischen Faktoren (kräftiges Zähnebürsten, chronisches Erbrechen, etc.) assoziiert [56].
Zu den Umwelteinflüssen, die Erosionen auslösen können,
werden auch beruflich bedingte Säureexpositionen gezählt. Die
in der Literatur genannten Umwelteinflüsse können aber durch
verantwortungsbewußtes Handeln und Arbeitsschutzmaßnahmen nahezu ausgeschaltet werden. Miller [67] konnte schon zu
Beginn des Jahrhunderts beobachten, daß Arbeiter, die schwefelbzw. salpetersäurehaltigen Dämpfen ausgesetzt waren, vermehrt
Zahnerosionen und Zahnhartsubstanzverluste aufwiesen. Diese
frühen Beobachtungen der Korrelation von säurehaltigen Dämpfen mit Zahnerosionen konnten in neueren Studien bestätigt werden [75, 88]. Aber auch in anderen Berufen können durch Säurekontakt hervorgerufene Schmelzerosionen beobachtet werden. So
lassen sich z. B. bei professionellen Weinkostern und Chemielaboranten, die möglicherweise beim Pipettieren mit dem Mund Säuren aufnehmen, Zahnerosionen feststellen [62, 91]. In anderen
Untersuchungen konnte beobachtet werden, daß auch bei (Wettkampf-)schwimmern verstärkt Erosionen auftreten [21]. Die Ursache für die Erosionsdefekte lag dabei in einem zum Teil sehr
niedrigen pH-Wert von 2,7 des Schwimmbadwassers begründet.
Die Empfehlung für öffentliche Bäder schreibt einen pH-Wert
von 7,2 bis 8,0 vor. Bei Verwendung von Chlorgas zur Wasserdesinfektion entwickelt sich aus dem Chlorgas Hypochlorsäure
und Salzsäure. Der Kontakt mit zu stark chloriertem, ungepuffertem Wasser führt dann zu einem säureinduzierten Zahnschmelzverlust (Abb. 12).
Der Einfluß von Nahrung auf die Entstehung von Zahnerosionen ist der in der Literatur am ausführlichsten beschriebene
extrinsische Ursachenkomplex. Beginnend mit ersten Berichten
aus der Zeit der Jahrhunderwende [67] wurden zahlreiche weitere Fallberichte dokumentiert, in denen gezeigt wurde, daß übermäßiger Genuß saurer Nahrungsmittel und Getränke zu
Zahnerosionen führen kann [93]. Dabei wurden für die Zahnde-
Zahnerhaltung
14
T. Attin
Abb. 12 Großflächige,
erosive Zahndefekte bei
einem Wettkampfschwimmer in Indonesien. Das
Wasser im Schwimmbecken war stark chloriert
und ungepuffert
fekte unter anderem Fruchtsaftgetränke, stark kohlensäurehaltige
Getränke, Erfrischungsgetränke, bestimmte Teesorten, aber auch
saure Früchte, Joghurt, Essig oder saure Drops verantwortlich
gemacht [38]. In manchen Fällen wurden Konzentrate von
Getränken nicht den Herstellerangaben entsprechend verdünnt.
Grund für die beobachteten Läsionen waren neben der Menge an
aufgenommener saurer Nahrung auch spezielle Eß-und Trinkgewohnheiten. So besaßen manche Patienten die Gewohnheit,
kohlensäurehaltige Cola oder orangensafthaltige Fruchtsaftkonzentrate vor dem Schlucken im Munde durch die Zahnzwischenräume zu ziehen. Andere Patienten saugten saure Getränke
so mit einem Strohhalm ein, daß die Flüssigkeit im Mundvorhof
an den vestibulären Flächen der Oberkieferzähne gesammelt
wurde. Wieder andere Patienten, bei denen Erosionen beobachtet
wurden, bevorzugten die Aufnahme von sauren Getränken unmittelbar vor dem Zubettgehen [70]. Auch bei Kleinkindern
nimmt das Ausmaß an Erosionen nach Verabreichen von
Fruchtsäften zur nächtlichen Beruhigung zu [38]. Nachts ist der
Speichelfluß reduziert, so daß die Remineralisation durch den
Speichel eingeschränkt ist und säurehaltige Nahrungsmittel verstärkt Erosionen auslösen können. Milchzahnschmelz reagiert
zudem sehr empfindlich auf erosive Angriffe [31]. Auch in epidemiologischen Studien wurde eine positive Korrelation zwischen
dem übermäßigen Konsum säurehaltiger Nahrung bzw. Getränke
und dem Auftreten von Erosionen beobachtet [47, 59, 70]. Dabei
konnte auch gezeigt werden, daß laktovegetarische Kost ebenfalls
das Auftreten von Erosionen fördert [54].
Nur wenige experimentelle klinische Studien am Menschen
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
15
befassen sich mit dem Erosionspotential von sauren Getränken.
Thomas [88] bestimmte das Auftreten von Erosionen bei Probanden, die über mehrere Wochen freiwillig eine definierte Menge
saurer Getränke konsumierten. Dabei beobachtete er, daß die
Aufnahme eines verdünnten Orangensaftkonzentrates nicht zur
Ausbildung makroskopisch sichtbarer Erosionen führte. Dagegen
traten nach dem täglichen Konsum größerer Mengen an Grapefruitsaft oder Coca-Cola lichtmikroskopisch sichtbare Zahnschmelzveränderungen auf. Da die Ausprägung und Lokalisation
der Erosionen bei den verschiedenen Probanden variierte, ging
der Autor davon aus, daß nicht nur die Menge und Art der aufgenommenen Säuren, sondern weitere individuelle Parameter
einen Einfluß auf die Entstehung von Erosionen haben. In neuerer Zeit werden zur Untersuchung von Erosionen am Menschen
aus ethischen Gründen in-situ-Modellen gegenüber in-vivoModellen der Vorzug gegeben. In in-situ-Studien konnte unter
anderem unterstrichen werden, daß der Genuß von Coca-Cola zu
einer Erweichung von Zahnschmelz führt [29]. Diese Erweichung
ist unter anderem auf den pH-Wert-Abfall im Speichel nach dem
Genuß saurer Getränke zurückzuführen. So sinkt nach dem Ausspülen des Mundes mit 2% Zitronensäure der pH-Wert im Speichel auf ca. 6,46 [16]. Erst nach 15 Minuten ist der normale
pH-Wert des Ruhespeichels wieder erreicht. Aber selbst nach
15 Minuten kann noch vermehrt Zitronensäure im Speichel nachgewiesen werden [15]. Der Verzehr von zuckerfreien Fruchtbonbons führt ebenfalls zu einem deutlichen pH-Wert-Abfall im Speichel während des Bonbonverzehrs [25]. Nach dem Genuß von
1% Zitronensäure bleibt der pH-Wert an der Schmelzoberfläche
für ca. 8 Minuten unterhalb des kritischen pH-Wertes von 5,5,
bei dem Zahnschmelz in Lösung geht [68]. Der Konsum saurer
Getränke oder Lebensmittel führt auch zu einem raschen Absinken des pH-Wertes in der Plaque [19]. Es ist möglich, daß
dadurch das Kariesrisiko zusätzlich erhöht wird. Der Genuß von
sauren Getränken führt aber nur zu einem kurzzeitigen Absinken
des pH-Werts auf dem Zungenrücken [66]. Es ist daher unwahrscheinlich, daß durch den Konsum saurer Getränke Erosionen
der lingualen Zahnflächen induziert werden.
Neben klinischen und tierexperimentellen Studien [71, 86]
haben sich auch verschiedene in-vitro-Studien mit der Erosivität
Zahnerhaltung
16
T. Attin
von Getränken und Nahrungsmitteln befaßt. Dabei wurden zahlreiche wichtige Mechanismen in bezug auf die Erosivität bestimmter Substanzen herausgearbeitet. So zeigte sich, daß
Getränke mit pH-Wert > 4, wie z. B. Bier, Buttermilch, Kaffee und
Mineralwasser, nicht in der Lage sind, erosive Schmelzveränderungen zu initiieren. Dahingegen lösen Produkte mit einem pHWert < 4 deutliche Erosionen aus (Cola, Orangensaft) [81]. DiätCola führt vermutlich aufgrund des höheren Kalziumgehaltes zu
einer geringeren Demineralisation im Vergleich zu herkömmlichen Cola-Getränken [33]. Auch saure Früchte konnten in invitro-Versuchen erhebliche Destruktionen des Zahnschmelzes
auslösen. Dabei sollte aber berücksichtigt werden, daß saure
Nahrungsmittel gleichzeitig einen erhöhten Speichelfluß hervorrufen. Dadurch werden die Säuren beschleunigt aus dem Mund entfernt. Daher ist es wahrscheinlich, daß in vitro beobachtete
Schmelzdestruktionen durch saure Nahrungsmittel erheblich
deutlicher ausgeprägt sind als in vivo.
Anhand chemischer Analysen läßt sich das erosive Potential
eines Getränks rechnerisch näherungsweise bestimmen [57]. Analysen zeigten, daß die pH-Werte von sauren Erfrischungsgetränken bzw. Fruchtsaftgetränken zwischen 2,5 und 3,9 variieren [6,
58, 32]. Es konnte allerdings nachgewiesen werden, daß nicht der
pH-Wert eines Getränks, sondern die Menge an titrierbarer Säure
und der pK-Wert, d. h. die Stärke der enthaltenen Säuren entscheidend für das erosive Potential sind [32]. Auch der Säuretyp
in dem jeweiligen Getränk oder der jeweiligen Frucht hat einen
Einfluß auf die Entstehung einer Erosion. So hat sich bestätigt,
daß Zitronensäure im Vergleich zu anderen Säuren (Phosphorsäure, Maleinsäure, Äpfelsäure) am stärksten erosiv wirksam ist
[64], wohingegen die in Rhabarber enthaltene Oxalsäure den
Zähnen durch Ausbildung eines Kalziumoxalat-Präzipitats sogar
einen gewissen Schutz verleiht. Wie oben beschrieben, besitzt
Zitronensäure die Möglichkeit, Chelat-Komplexe mit Kalzium
einzugehen. Dadurch wird der Demineralisationsprozeß zusätzlich gefördert. Neben der Art der Säure besitzt auch der (natürliche) Fluoridgehalt von Getränken einen Einfluß auf die erosive
Kraft eines Getränks. So ist der Fluoridgehalt in Fruchtsäften und
Erfrischungsgetränken mit der erosiven Kraft des Getränks negativ korreliert [57]. Ferner besitzen der Phosphat- bzw. Kalzium-
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
17
gehalt und die Pufferkapazität der Getränke einen Einfluß auf die
Ausprägung der Schmelzdemineralisation [32, 57]. Dabei ist die
erosive Kraft eines Getränks um so geringer, je höher der Gehalt
an Mineralien und die Pufferkapazität des Getränks ist. Früchte
und Getränke stellen an Hydroxyl- und Fluorapatit untersättigte
Lösungen dar, wodurch sich der erosive, apatitlösende Effekt dieser Nahrungsmittel erklären läßt.
Es gibt zahlreiche Hinweise, daß durch oral zugeführte Medikamente mit niedrigem pH-Wert Erosionen ausgelöst werden
können. So weisen z. B. verschiedene eisenhaltige Medikamente
teilweise einen sehr niedrigen pH-Wert (bis zu 1,5) auf [45]. Da
auch Vitamin-C-Präparate zum Teil einen pH-Wert < 5,5 aufweisen, kann ebenso der direkte Kontakt von Vitamin C (L-Ascorbinsäure) mit Zahnhartsubstanz Erosionen auslösen [55]. Klinisch führt der Konsum von Vitamin-C-haltigen Präparaten
allerdings nur in Ausnahmefällen zu Erosionen. Das Auftreten
von Erosionen muß dann befürchtet werden, wenn Vitamin-Chaltige Präparate im Übermaß konsumiert werden oder es zu
einem sehr langdauernden direkten Kontakt zwischen den Präparaten und den Zähnen kommt. Auch durch Acetylsalicylsäure
(Aspirin®) können Erosionen der Zähne ausgelöst werden. Dabei
führen vor allem Kautabletten zu ungewünschten Effekten in der
Mundhöhle. Acetylsalicylsäure ruft eine dosisabhängige Erosion
von Zahnschmelz hervor [37]. Aber auch Mundhygieneprodukte,
die z.B. Äthylendiamintetraessigsäure (EDTA) enthalten, können
erosiv wirksam sein [80]. Dieser Effekt kann der Eigenschaft des
EDTA zugeschrieben werden, Kalzium in Form eines Chelatkomplexes zu binden. Auch die Verwendung von Zahnpasten mit
zahnsteinauflösenden Diglykolaten oder Pyrophosphaten kann
die Entstehung von oberflächlichen Erweichungen des Zahnschmelzes begünstigen.
Der Lebensstil der Patienten spielt insoweit eine Rolle, als daß
durch ihn die Art der konsumierten Nahrung, die Häufigkeit und
der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme beeinflußt wird. So müssen zum Beispiel sportlich aktive Menschen häufig einen großen
Flüssigkeitsverlust ausgleichen. Um diesen Verlust zu kompensieren, trinken Sportler nicht selten angesäuerte Sportgetränke,
Fruchtsäfte oder andere kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke.
Zudem ist die Speichelfließrate nach einer sportlichen Aktivität
Zahnerhaltung
18
T. Attin
deutlich herabgesetzt. Daher besitzen Sportler ein erhöhtes
Risiko, Zahnerosionen aufgrund des Genusses saurer Getränke
zu entwickeln. Eine gesunde Lebensweise schließt bei vielen Menschen den häufigen Genuß von Früchten oder Gemüse ein. Wie
schon beschrieben, leiden in diesem Zusammenhang auch Laktovegetarier vermehrt unter Zahnerosionen [54]. Auch der Gebrauch von Drogen, wie z. B. „Ecstasy“, kann zu Zahnschäden
beitragen. Dabei kommt es, wie bei Sportlern, zu einem Zusammentreffen einer durch die Droge ausgelösten stark verringerten
Speichelfließrate und einem demzufolge übermäßigen Konsum
von Erfrischungsgetränken. Zum Lebensstil, der die Ausbildung
von Erosionen beeinflussen kann, zählen auch bestimmte Mundhygienemaßnahmen, die mit forcierter Kraftanwendung durchgeführt werden. Es ist auffällig, daß erosive Zahnveränderungen
überwiegend an plaquefreien Zahnflächen beobachtet werden.
Plaque verfügt über eine deutlich höhere Pufferkapazität als Speichel. Es wird daher vermutet, daß Plaque die Zahnoberfläche vor
Säuren nichtbakterieller Herkunft schützen kann [93]. Werden
bei der Zahnpflege stark abrasive Materialien verwendet, kann es
darüberhinaus zum Abtrag oberflächlichster Schmelzschichten
kommen. Die oberflächliche Schmelzschicht weist einen größeren
Fluoridgehalt auf als tieferliegende Schichten und ist somit
unempfindlicher gegenüber Säureangriffen. Durch einen Abtrag
der oberflächlichen Schicht wird demzufolge die Säureanfälligkeit
der Zähne erhöht.
Modifizierender Einfluß biologischer Faktoren auf
Zahnerosionen
Verschiedene biologische Faktoren können einen modifizierenden
Einfluß auf die Ausprägung von Erosionen haben. Zu diesen Faktoren zählen die Stellung der Zähne im Zahnbogen, individuelle
Eigenschaften der Zahnhartsubstanz oder die Anatomie der
Weichgewebe. So wird ein Zahn mit einer prominenten Stellung
im Zahnbogen vermehrt einem Säureangriff beim Trinken saurer
Getränke ausgesetzt. Durch Bewegungen der Zunge und Wangen
oder bei der Okklusion kann es zu einem Abtrag der erodierten
Zahnoberfläche kommen. Dadurch wird der durch die Erosion
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
19
induzierte Zahnhartsubstanzverlust zusätzlich beschleunigt. Experimentelle klinische Studien zeigen, daß die Ausprägung von
Erosionsdefekten sowohl inter- bzw. intraindividuell als auch je
nach Zahntyp bzw. -oberfläche unterschiedlich sind [74, 89].
Dies läßt auf einen Einfluß der individuellen Zusammensetzung
der Zahnhartsubstanz auf die Säureresistenz von Zähnen
schließen.
Einfluß von Speichel auf Zahnerosionen
Speichel besitzt einen modifizierenden Einfluß bei der Ausprägung von Erosionen. Vor allem der Speichelmenge und -qualität
wird ein großer Einfluß auf die Entstehung und Vermeidung von
Erosionen nachgesagt. Es wird darüber hinaus angenommen, daß
auch der pH-Wert und die Pufferkapazität des Speichels die Ausprägung von Erosionen beeinflussen können. Widersprüchlich
wird diskutiert, ob Muzin eine erosionsfördernde Eigenschaft
besitzt, indem es die Präzipitation von Kalzium bzw. Phosphat
während der Remineralisation verhindert [6, 61].
Der Mineralgehalt im Speichel ist für chemische Umstrukturierungen des Zahnschmelzes, d. h. für Remineralisations- und Demineralisationsvorgänge entscheidend. Speichel besitzt einen
hohen Gehalt an anorganischen Bestandteilen, wie z. B. Natrium,
Kalium, Kalzium, Magnesium, Fluorid und Phosphaten. Dabei ist
der Gehalt an gelöstem Kalzium und Phosphat relativ gering.
Speichel stellt aber eine an Kalzium-Phosphat-Verbindungen (z. B.
Apatit) übersättigte Lösung dar, die eine Stabilität des Zahnschmelzes bei neutralen pH-Werten garantiert. Der Speichelfluß
sorgt also dafür, daß der Zahnschmelz ausreichend mit Mineralien versorgt wird und ermöglicht somit Remineralisationsvorgänge an säureinduzierten Defekten. Daneben besitzt Speichel
eine Spülfunktion, die zur raschen Clearance von sauren Substanzen aus der Mundhöhle beiträgt [15]. Ein geringer Speichelfluß
wird daher ebenfalls mit der Entstehung von Erosionen in
Zusammenhang gebracht [47]. Ein verminderter Speichelfluß
wird z. B. bei Speicheldrüsenerkrankungen, der Einnahme bestimmter Medikamente (z.B Antihypertonika, Antidepressiva)
oder Patienten nach Radiatiotherapie beobachtet.
Zahnerhaltung
20
T. Attin
Die Pufferkapazität des Speichels hat einen weiteren wichtigen
Einfluß bei der Wirkung von sauren Substanzen auf Zahnschmelz. Die Fähigkeit, Säuren im Mund abzupuffern, ist individuell unterschiedlich. Patienten mit Erosionen weisen eine niedrigere Speichelpufferkapazität auf als Personen ohne Erosionen
[27]. Die Menge an stimuliertem Speichel korreliert mit der Pufferkapazität des Speichels, da die Menge an Karbonatpuffer im
Speichel mit der Sekretionsrate steigt. Dies bedeutet, daß Patienten mit einer höheren Speichelfließrate Säuren besser abpuffern
können als Personen mit einer niedrigen Menge stimulierten Speichels. Ferner steigt die Pufferkapazität durch Stimulation des
Speichelflusses. Durch saure Nahrung wird der Speichelfluß
reflektorisch angeregt. Dadurch kann Säureangriffen direkt bei
der Nahrungsaufnahme entgegengewirkt werden.
Eine weitere wichtige Funktion des Speichels im Hinblick auf
die Entstehung von Erosionen liegt in der Bildung der Pellikelschicht und dem Vorhandensein bestimmter Speichelproteine
[50]. Auf der Zahnoberfläche bildet sich durch die selektive
Adsorption von Proteinen und anderen Makromolekülen aus
dem Speichel eine Biopolymerschicht. Diese Schicht wird als
erworbenes Schmelzoberhäutchen, Pellikel oder „acquired pellicle“ bezeichnet. Die Pellikelschicht ist je nach Lokalisation am
Zahn und Reifungszustand von wenigen Nanometern bis zu mehreren Mikrometern dick [36]. Sie wird auf sauberen Zahnflächen
rasch gebildet, so daß innerhalb von 2 Stunden eine ca. 100 nm
dicke Schicht entsteht, die während 48 Stunden bis zu 500 nm
dick werden kann. Sie wird bei einer gründlichen, professionellen
Zahnreinigung sowie beim Zähneputzen mit abrasiven Pasten
weitgehend abgetragen [35]. Daher finden sich auf Zahnflächen,
die der Selbstreinigung gut zugänglich sind, oftmals nur sehr
dünne Pellikelschichten. Während der Reifung wird die Pellikelschicht durch Einlagerung von Lipiden und Kohlenhydraten
zunehmend dichter und kompakter. Mit zunehmender Reifung
nimmt der Anteil an Speichelmuzinen in der Pellikelschicht zu.
Muzin wird als Bestandteil der Pellikelschicht eine protektive
Funktion bei der Demineralisation von Zahnschmelz zugesprochen [73]. Die Pellikel verhindert als semipermeable Membran
die Ionenmobilität an der Schmelzoberfläche. Insbesondere die
Mobilität von Kalzium- und Phosphationen wird durch die Pelli-
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
21
kel reduziert. Wasser kann die Membran ungehindert passieren,
wohingegen die Diffusion von Säuren durch die Pellikel behindert
ist. So läßt sich möglicherweise erklären, daß die Anwesenheit
einer organischen Pellikel dem Zahnschmelz einen Schutz gegenüber Säureangriffen bietet [63].
Abrasion von erodierter Zahnhartsubstanz
Es wird angenommen, daß Zahnhartsubstanzverluste durch Erosionen die Folge von 3 aufeinanderfolgenden, wiederkehrenden
Schritten sind:
1. Fehlen der schützenden Pellikel auf der Zahnoberfläche;
2. Mineralverluste an der Zahnoberfläche durch Einwirken einer
sauren Noxe;
3. Abtrag der erodierten oberflächlichen Zahnschicht durch biomechanische und biophysikalische Einflüsse oder mechanische
Reibung, z. B. durch Lippen, Wangen, Zunge, Nahrung und
Zahnbürste [84].
Vor allem dem Abtrag der oberflächlich erweichten Schicht durch
das Zähnebürsten wird große Bedeutung beigemessen. Für diese
Läsionen wird in der Literatur der Begriff Erosio-Abrasion oder
erosionsinduzierte Abrasion verwendet. Mit steigender Häufigkeit des täglichen Zähnebürstens ist zwar eine Verringerung der
Anzahl kariöser Läsionen zu verzeichnen. Gleichzeitig kann aber
auch eine Zunahme an erosiv-abrasiven Defekten beobachtet
werden (Abb. 13). Klinische Untersuchungen zum Auftreten von
Bürstabrasionen ergaben daher eine Prävalenz von bis zu 85%
[18]. Es läßt sich in vielen Untersuchungen aber nur sehr schwierig klären, ob es vor der Abrasion zu einem regelmäßigen Kontakt der Zähne mit einer sauren Substanz kam. Oberflächlich
durch Erosion erweichter Schmelz wird deutlich leichter abradiert
als gesunder Schmelz [23]. Mit zunehmender Dauer der Säureexposition nimmt die Oberflächenmikrohärte des Schmelzes ab und
der Substanzabtrag durch das Bürsten zu. Dabei führt die zunehmende Erweichung zu einem tendenziell überproportionalen
Abtrag des Schmelzes [8]. Diese überproportionale Zunahme des
Abtrags kann möglicherweise damit erklärt werden, daß sich
Zahnerhaltung
22
T. Attin
Abb. 13 Zusammenhang zwischen der Anzahl gesunder, erodiert/abradierter oder kariöser Wurzeloberflächen in Abhängigkeit von der Häufigkeit
des pro Tag durchgeführten Zähnebürstens (nach [49])
Schmelz bei der Abrasion wie ein sprödes Material verhält. Die
Abrasion von duktilen Materialien, wie z. B. Metallen, führt zu
einem gleichmäßigen und gleichförmigen Substanzverlust. Bei
spröden, kristallinen Materialien wie Schmelz hingegen, kann es
zunehmend zu einem verstärkten Herausbrechen von Schmelzpartikeln kommen [92]. Abrasive Partikel der Zahnpasten schneiden wie ein Pflug Schmelzanteile aus der Oberfläche heraus. Mit
zunehmendem Einwirken kommt es dann zu einer Ermüdung des
Schmelzgefüges und dem Auftreten von Mikrorissen im Schmelz.
Dies kann zu einem Herauslösen größerer Schmelzanteile führen
[60].
Einflußfaktoren auf die Bürstabrasion von Zahnhartsubstanzen
Die Abrasion durch das Zähnebürsten wird von zahlreichen Faktoren beeinflußt. So nehmen der Anpreßdruck der Bürste, die
Bürstbewegung oder die verwendete Zahnpasta Einfluß auf die
Menge des Zahnhartsubstanzverlustes. Die Stärke der Abrasion
ist auch von der Art der gebürsteten Zahnhartsubstanz abhängig.
Daher ist der Substanzverlust am Zahnschmelz deutlich geringer
ausgeprägt als am Dentin oder Zement [11, 40]. Dabei kann
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
23
davon ausgegangen werden, daß nicht nur die Härte der Substanzen, sondern auch ihre chemische Zusammensetzung und ihr
strukturelles Gefüge einen Einfluß auf die Abrasionsresistenz
besitzen.
Zahnbürsten werden in unterschiedlichen Härten und mit Borsten aus natürlichen bzw. künstlichen Materialien angeboten. Die
Steifheit der Borsten bestimmt sich aus dem Durchmesser und
dem Elastizitätsmodul der Borsten im Verhältnis zur Borstenlänge. Es wird allerdings kontrovers diskutiert, ob die Härte der
verwendeten Zahnbürste einen Einfluß auf die Bürstabrasion
besitzt [24, 40]. Die Verwendung härterer Zahnbürsten wird aber
in direktem Zusammenhang mit dem Auftreten von Schleimhautläsionen im Munde gesehen.
Die Abrasion von Zahnhartsubstanz mit einer Zahnbürste und
einer Zahnpaste als Abrasionsmedium ist ein Beispiel für eine
typische „Drei-Medien-Abrasion“, die bei Testungen von zahnärztlichen Restaurationsmaterialien weite Verbreitung gefunden
hat [60]. Die Abrasivität der verwendeten Zahnpasta wird von
vielen Autoren als die Hauptursache für den Abtrag von Zahnhartsubstanz beim Zähnebürsten angesehen [11, 40]. Werden
Zähne ohne Zahnpasta, d. h. nur mit Wasser oder Glyzerin
gebürstet, findet kaum ein Abtrag statt. Eine Bewertung der
Abrasivität einer Zahnpasta an Dentin korreliert nicht direkt mit
der Abrasivität der Paste an Schmelz [11]. Dies bedeutet, daß eine
Zahnpasta mit einer hohen Schmelzabrasion durchaus eine
geringe Dentinabrasion aufweisen kann. Die Abrasivität einer
Zahnpasta hängt von der Form, Größe und Härte der in der
Paste vorhandenen Abrasivstoffe ab. Abrasivstoffe sind für den
Reinigungs- und Poliereffekt einer Paste verantwortlich. Dabei ist
es noch immer ungeklärt, wie „abrasiv“ eine Zahnpaste sein
muß, um eine effektive Zahnreinigung zu gewährleisten. Je nach
Produkt liegen 15 bis 55% Abrasivstoffe, d. h. Putzkörper, in
einer Zahnpasta vor. Putzkörper wirken an einem Gewebe dann
abrasiv, wenn ihre Härte größer ist als die Härte des betreffenden
Gewebes. Je größer und rauher ein Putzkörper ist, desto höher ist
seine Abrasivität [24]. Die Menge an Putzkörpern im ZahnpastaSpeichel-Gemisch hat ebenfalls einen Einfluß auf die Abrasivität
der Paste. So sinkt die Abrasivität einer Zahnpasta mit zunehmender Verdünnung des Abrasionsgemisches [40]. Zahnpasten
Zahnerhaltung
24
T. Attin
mit Glyzerin als Bindemittel sind geringer abrasiv als Zahnpasten
mit Carboxymethylcellulose als Bindemittel. Der pH-Wert einer
Zahnpasta hat nur einen untergeordneten Einfluß auf die Abrasivität von gesundem Schmelz [24]. Dagegen verfügt der Fluoridgehalt einer Zahnpasta über eine protektive, abrasionsreduzierende
Wirkung. So führt die Verwendung von fluoridierter Zahnpasta
bei säurebehandeltem Zahnschmelz zu einem geringeren Abtrag
als fluoridfreie Zahnpasta [14]. Durch das Bürsten von Schmelzerosionen mit einem sauren, hochkonzentrierten Fluoridgel kann
die Abrasionsresistenz des Schmelzes im Vergleich zu Gelen, die
unfluoridiert oder neutral sind, sogar verbessert werden [5]. Dies
kann in der durch die Fluoridierung verbesserten Remineralisation des Schmelzes begründet sein.
Ein noch bedeutenderer Einfluß auf Abrasionen als die Härte
der verwendeten Zahnbürste und die Abrasivität der Zahnpasta
wird durch den Anpreßdruck der Zahnbürste, die verwendete
Zahnputztechnik und die Häufigkeit bzw. zeitliche Dauer des täglichen Zähnebürstens ausgeübt [40]. Durch die Erhöhung des
Anpreßdrucks einer Bürste kommt es zu einer deutlichen Steigerung der Abrasionswirkung. Horizontale Bürstbewegungen
führen zu größeren Abrasionsverlusten der Zahnhartsubstanz als
vertikale oder kreisende Bewegungen. Horizontale Bürstbewegungen mit hohem Anpreßdruck werden daher von vielen Autoren als Ursache für das Auftreten zervikaler Abrasionsdefekte
angesehen [34]. Es ist nicht geklärt, ob Zahnhartsubstanz aufgrund möglicher spezifischer Eigenschaften auf eine horizontale
Bürstung empfindlicher reagiert als z. B. auf kreisende Bürstbewegungen. Vielmehr muß angenommen werden, daß die bei horizontaler Bürstbewegung beobachteten Läsionen auf einem gleichzeitig verstärkten Anpreßdruck beruhen. Ferner muß bedacht
werden, daß horizontale Bürstbewegungen eine immer wiederkehrende, gleichförmige Bewegung in der zervikalen Einziehung
am Zahn bedeuten.
Behandlung erosiver Läsionen
In einer Umfrage konnte verdeutlicht werden, daß bei Zahnärzten eine große Unsicherheit bezüglich der Diagnose und Behand-
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
25
lung von erosiven Defekten herrscht [10]. Für den betreuenden Zahnarzt ist es aber sehr wichtig, erosive Veränderungen
an Zahnflächen frühzeitig zu erfassen, da durch eine gezielte Prophylaxe größere Schäden meistens vermieden werden können.
Die Behandlung von Erosionsdefekten läßt sich in präventive,
nichtinvasive und invasiv-restaurative Maßnahmen unterteilen.
Das Ziel präventiver Maßnahmen ist die Vermeidung des erosiven Einflusses auf die Zahnhartsubstanz. Von Imfeld [42] werden verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen:
O Verringerung der Häufigkeit des Kontaktes mit einer erosiven
Noxe;
O Konsum von Nahrungsmitteln mit geringem erosiven Potential;
O Stärkung der Abwehrmechanismen, wie Speichelfließrate und
Pellikelbildung;
O Verbesserung der Säureresistenz der Zahnhartsubstanz und
Remineralisierung der Zahnoberfläche;
O Vermittlung eines chemischen oder mechanischen Schutzes;
O Verringerung der Abrasion.
Präventive Maßnahmen
Der optimale präventive Schutz vor einer Zahnerosion ist die
Vermeidung des Zahnkontaktes mit einer erosiven Noxe. Werden
Erosionen durch säurehaltige Lebensmittel induziert, sollte angestrebt werden, die Häufigkeit des Konsums von sauren Substanzen zu vermeiden. Der Konsum sollte auf die Hauptmahlzeiten
beschränkt bleiben. Zur Kontrolle der Eß- und Trinkgewohnheiten ist gefährdeten Patienten das Führen eines Ernährungstagebuches anzuraten [56]. Darin sollten Zeitpunkt und Art der aufgenommenen Nahrung genau dokumentiert werden. Darüber
hinaus sollen in dem Tagebuch die Mundhygienemaßnahmen
notiert werden. Empfehlenswert ist es, saure Getränke mit einem
Strohhalm zu trinken, um einen Kontakt der Zähne mit der Flüssigkeit zu reduzieren. Die Getränke sollten nach Möglichkeit
nicht langsam nippend, sondern schnell getrunken werden.
Dadurch wird die Verweildauer der Säure im Mund reduziert.
Daher ist es auch vorteilhaft, bei der Verschreibung saurer Medi-
Zahnerhaltung
26
T. Attin
kamente Tabletten- oder Kapselpräparaten, die sofort geschluckt
werden, den Vorzug zu geben.
Patienten, deren Erosionen durch intrinsische Faktoren hervorgerufen werden, sollten allgemeinmedizinisch bzw. internistisch
betreut werden. Bei Patienten mit psychogenen Eßstörungen, wie
Bulimia nervosa oder Anorexia nervosa, ist eine psychologische
oder psychiatrische Betreuung notwendig, um die Ursachen des
häufigen Erbrechens zu analysieren und zu therapieren [42].
Patienten sollten dazu angehalten werden, bei sauren Nahrungsmitteln darauf zu achten, daß diese wenn möglich nur ein
geringes erosives Potential aufweisen. Es muß beachtet werden,
daß z. B. bei sogenannten Soft- und Erfrischungsgetränken der
erfrischende Charakter vor allem auf dem sauren Geschmack der
Getränke basiert. Veränderungen der Säureeigenschaften der
Getränke haben somit auch Veränderungen im Geschmack zur
Folge und senken so möglicherweise die Akzeptanz des Produkts
durch den Verbraucher. So weisen saure Getränke mit künstlich
zugesetzten Kalzium-Phosphaten oder Kalziumlaktat ein geringeres erosives Potential auf [17, 78]. Das Vorhandensein von geringen Konzentrationen an Zitrat in Getränken stellt einen interessanten Ansatz zur Reduzierung von Säureangriffen dar [76].
Durch die Zitratzugabe wird der Speichelfluß angeregt und die
Pufferkapazität des Speichels erhöht. Allerdings muß beachtet
werden, daß Zitrat als Chelatbildner Kalzium binden und
Schmelzdemineralisationen fördern kann. Deshalb sollten besser
Getränke mit Maleinsäure an Stelle von Zitronensäure als Säuerungsmittel empfohlen werden [64]. Durch die Verwendung von
Xylitol als Süßungsmittel in sauren Getränken mit einem gleichzeitig hohen Fluoridgehalt kann der erosive Charakter deutlich
reduziert werden. Xylitol dient dabei als Träger von Kalziumionen, bei dessen Anwesenheit die Diffusion von Kalzium aus dem
Schmelz gehemmt wird [1].
Die Karbonierung von Getränken hat im Verhältnis zu den im
Getränk enthaltenen Säuren nur einen geringen Einfluß auf das
erosive Potential der Getränke. Dennoch kann durch einen Verzicht auf Kohlensäure die Ausprägung von erosiven Zahnhartsubstanzdefekten im Vergleich zu karbonierten Getränken vermindert werden [71].
Die Anwendung von Fluorid wird bei einer Erosion vornehm-
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
27
lich empfohlen, um eine Progression des Defekts durch Verringerung der Säurelöslichkeit an der Oberfläche der Zahnhartsubstanz zu stoppen [42]. Es wurde gezeigt, daß die Fluoridierung
von Zahnschmelz oder während der Remineralisationsphase
appliziertes Fluorid zu einer Verringerung von erosiven Defekten
führt [7]. Durch die Behandlung von Zahnschmelz mit einer
–
natriumfluoridhaltigen Lösung (1,2% F ) oder einem natrium–
fluoridhaltigen Lack (2,26% F ) kann die Erosionsresistenz des
Schmelzes erhöht werden [85]. Bei einer Erosion liegt im Gegensatz zur Karies keine tiefe demineralisierte Schicht unter einer
intakten Schmelzoberfläche vor. Bei Applikation hoch dosierter
Fluoride auf die Oberfläche kariöser Läsionen besteht die Gefahr,
daß die Remineralisation der tieferen Schmelzschichten blockiert
wird. Bei einer Erosion wird hingegen ausschließlich angestrebt,
eine dünne oberflächlich erweichte Schicht wieder zu erhärten.
Daher scheint bei einer Erosion die Anwendung hoch dosierter
lokaler Fluoridapplikationen vielversprechender zu sein, so daß
regelmäßige Fluoridlackapplikationen empfohlen werden können
[42, 85]. Allerdings sind noch Fragen zur optimalen Fluoridkonzentration sowie zur Geschwindigkeit der Remineralisation nach
der Fluoridapplikation offen.
Die Wiedererhärtung von erosiv-erweichtem Zahnschmelz
kann auch durch den Konsum von Milch oder Käse beschleunigt
werden. Die Remineralisation wird dabei vermutlich durch den
Einbau von Kalzium, Phosphaten oder anderen Mineralien gefördert, die in Käse und Milch enthaltenen sind [28, 29].
Ein chemischer Schutz der Zähne nach dem Kontakt mit Säuren
kann durch eine Neutralisierung der aufgenommen Säure erfolgen.
Zu diesem Zweck kann der Patient z. B. Harnstoff-haltige Kaugummis kauen. Der Harnstoff wird durch bakterielle Enzyme
(Urease) in Kohlendioxid und Ammoniak gespalten. Ammoniak
ist dann für die Alkalisierung des sauren Speichels verantwortlich
[44]. Zusätzlich wird durch das Kaugummikauen die Speichelfließrate angeregt, wodurch auch die Pufferkapazität des Speichels
erhöht wird. Dadurch kann einer erosiven Noxe entgegengewirkt
werden. Es ist nicht geklärt, ob ein vermehrter Speichelfluß auch
zu einer verstärkten Ablagerung von Speichelmuzinen in der Pellikel beiträgt und so die Zahnoberfläche vor einem Säureangriff
schützen kann. Es sollte allerdings bedacht werden, daß es beim
Zahnerhaltung
28
T. Attin
Kauen von Kaugummi auch zur Abrasion oder Attrition von
Zahnhartsubstanz kommen kann. Zur Kontrolle der Speichelqualität von Patienten können sogenannte Speicheltests durchgeführt
werden. Mit diesen Tests kann die Speichelfließrate und die Pufferkapazität des Speichels überprüft werden.
Darüber hinaus wird das Ausspülen des Mundes mit Natriumkarbonat (Na2CO3) oder Backpulver (NaHCO3) empfohlen, das
zuvor in Wasser gelöst wird [41]. Ferner können in alkalischen
Zahnpasten enthaltene Zusätze, wie Bikarbonate, zu einer
Erhöhung des pH-Wertes im Munde beitragen. Auch das Spülen
des Mundes mit in Wasser gelösten Antacida können zu einer
Senkung des pH-Wertes und der Abpufferung von Säuren im
Mund beitragen [65]. Antacida sind Medikamente, die Patienten
mit gastrointestinalen Problemen, wie z. B. Reflux oesophagitis,
verschrieben werden. Der säurepuffernde Effekt der meisten
Antacida beruht auf der Wirkung von Magnesiumhydroxid,
Magnesiumkarbonat oder Aluminiumhydroxid.
Ein mechanischer Schutz gefährdeter, erodierter Zahnoberflächen kann durch eine Versiegelung der Oberflächen mit einem
Kunststoffmaterial erfolgen. Ferner wird die sicherlich schwierig
zu realisierende Empfehlung gegeben, eine zahnbedeckende
Kunststoffschiene zum Schutz der Zähne während einer Säureeinwirkung zu tragen [79]. Das Tragen von Zahnschienen verhindert
auch den exzessiven Substanzverlust erweichter Zahnhartsubstanz durch Attrition.
Patienten müssen auf die erhöhte Abrasion der erodierten
Zahnoberfläche durch das Zähnebürsten hingewiesen werden.
Den Patienten sollte daher am besten der Gebrauch neutraler bzw.
alkalischer, glyceringebundener, fluoridhaltiger und gering abrasiver Zahnpasta (RDA-Wert > 50) empfohlen werden. Ferner ist
Patienten mit Zahnerosionen eine Bürsttechnik mit geringem
Anpreßdruck, eine weiche Zahnbürste oder die Verwendung
druckkalibrierter elektrischer Zahnbürsten anzuraten. Nach dem
Konsum einer sauren Lösung kommt es zu einer kurzzeitigen
Absenkung des pH-Wertes (2 bis 3) auf der palatinalen Zahnoberfläche von Frontzähnen [68]. Daher ist der Hinweis, die Zähne
nicht unmittelbar nach einer Säureeinwirkung zu putzen, besonders wichtig. In-vitro-Untersuchungen konnten zeigen, daß zwar
die Abrasionsresistenz von erodiertem Dentin, nicht aber die von
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
29
erodiertem Schmelz, durch eine unmittelbar nach dem erosiven
Angriff und direkt vor dem Zähnebürsten erfolgte Anwendung
von Fluoridlösungen verbessert werden kann [3, 9]. Somit sollte
zunächst eine Neutralisierung der Säure im Speichel und eine
Remineralisierung der Zahnoberfläche abgewartet werden. Eine
Neutralisierung des Speichels über den kritischen pH-Wert von 5,5
kann nach dem Konsum einer sauren Substanz ohne Verwendung
zusätzlicher Pufferagentien frühestens innerhalb von ca. 8 bis 10
Minuten erwartet werden [69]. Es ist allerdings nicht bekannt, in
welchem Zeitraum die Abrasionsresistenz einer erodierten Zahnoberfläche vollständig wiederhergestellt ist. Nach eigenen bisher
unveröffentlichen Ergebnissen einer Laborstudie ist aber von
einem Zeitraum von bis zu 4 Stunden auszugehen. Wegen das
Abriebs des schützenden Speicheloberhäutchens beim Zähnebürsten, sollte es aber auch vermieden werden, unmittelbar nach dem
Bürsten erosive Nahrungsmittel zu konsumieren.
Nichtinvasive Maßnahmen
Nichtinvasive, zahnärztliche Maßnahmen dienen im Fall von
Erosionen der Behandlung von Zahnhypersensitivitäten. Erosionsauslösende Faktoren tragen maßgeblich zur Entstehung von
Zahnhypersensitivitäten bei. Ist die Schmelzschicht des Zahnes
entfernt, führt der Kontakt mit Säuren oder säurehaltigen
Lebensmitteln zu einer Entfernung der Schmierschicht auf dem
Dentin. Dadurch kommt es zu einer Freilegung und Öffnung der
Dentintubuli. Entsprechend der hydrodynamischen Theorie führt
eine durch Berührung, Temperaturwechsel oder osmotische bzw.
hydrostatische Druckgradienten ausgelöste Bewegung des Dentinliquors in den Dentintubuli zu einer Depolarisierung von Nervenendigungen in der Zahnpulpa. Ziel vieler Maßnahmen zur Desensibilisierung hypersensibler Zähne ist daher der Verschluß der
freigelegten Dentinkanälchen durch Remineralisationsprozesse.
Die Remineralisation kann unter anderem durch lokale Fluoridierungsmaßnahmen, wie Fluoridlacke, unterstützt werden. Die Versiegelung der freigelegten Dentinkanälchen mit Dentinadhäsiven
stellt eine weitere bekannte Maßnahme dar, mit der Hypersensibilitäten behandelt werden können.
Zahnerhaltung
30
T. Attin
Invasiv-restaurative Maßnahmen
Nach Lambrechts et al. [51] werden restaurative Maßnahmen zur
Therapie erosiver Läsionen bei folgenden Diagnosen notwendig:
O Gefährdeter Erhalt des Zahnes aufgrund der Größe des
Defektes,
O Verstärkte Sensibilität des Zahnes,
O Für den Patienten aus ästhetischen Aspekten nicht akzeptabler
Defekt,
O Wahrscheinlichkeit der Pulpaexposition bei einem Weiterfortschreiten der Erosion (Abb. 14).
Bei größeren Zahnhartsubstanzdefekten werden oftmals prothetische Maßnahmen, d. h. eine Überkronung der betroffenen Zähne
notwendig. Eine Überkronung der Zähne soll dabei auch eine
Wiederherstellung und Sicherung der okklusalen, vertikalen Beziehungen der Kiefer zueinander gewährleisten. Defekte, die auf
die vestibulären oder lingualen Flächen der Zähne begrenzt sind,
können mit einer Füllung versorgt werden. Werden die vorhandenen ätiologischen Einflüsse aber nicht beseitigt, kann es z. B. bei
Persistenz einer falschen Zahnputztechnik zu massiven Defekten
am Füllungsrandbereich kommen (Abb. 15). Daher bieten sich
bei Defekten, deren Ränder ausschließlich im Zahnschmelz liegen, neben Füllungen aus Kompositmaterialien auch Versorgungen mit abrasionsresistenten keramischen Veneers an. Läsionen
im Zahnhalsbereich lassen sich mit Kompomeren erfolgversprechend versorgen. Allerdings sollte vor allem bei Patienten mit
erosionsbedingten Läsionen beachtet werden, daß die Abrasions-
Abb. 14 Deutlich ausgeprägte zervikale Läsion,
bei der aufgrund der
Tiefe des Defekts bei
einem Weiterfortschreiten
eine Pulpaexposition
befürchtet werden muß
Zahnerhaltung
Erosion und Abrasion von Zahnhartsubstanz
31
Abb. 15 Füllungsranddefekte bei Vorliegen
einer horizontalen Bürsttechnik
resistenz von Kompomeren durch Kontakt mit Säure reduziert
wird [4]. Bei der Adaptation von Füllungsmaterialien oder Haftvermittlern sollte ferner bedacht werden, daß eine erodierte Dentinoberfläche teilweise sklerotische Veränderungen aufweisen
kann. Dies kann zu einer eingeschränkten Haftung von Materialien am Dentin führen [51]. Daher empfiehlt sich in diesen Fällen
vor der Applikation des Haftvermittlers eine Anfrischung der
Dentinoberfläche mit rotierenden Instrumenten.
Wie beschrieben, stellt die Therapie von manifesten erosiven
und abrasiven Zahnhartsubstanzdefekten oftmals eine große Herausforderung für den Zahnarzt dar. Daher soll abschließend noch
einmal betont werden, daß es wichtig ist, Erosionen und Abrasionen frühzeitig zu diagnostizieren und eine rechtzeitige Korrektur von möglicherweise vorliegenden ätiologischen Einflußfaktoren vorzunehmen.
Literatur
Das Literaturverzeichnis kann im Internet
http://www.zahnheilkunde.de abgerufen werden.
unter
der
Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. Thomas Attin
Abteilung Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und
Parodontologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Hugstetter Str. 55, D-79106 Freiburg
Zahnerhaltung
Adresse
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